Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Die Metapher als Werkzeug des Denkens und Handelns
3. Erfahrungsmythos zwischen Objektivismus und Subjektivismus
a. Der objektivistische Mythos
b. Der subjektivistische Mythos
4. Ein Vergleich von Metapherntheorien
a. Aristoteles
b. John Rogers Searle
c. Friedrich Nietzsche
d. Max Black und Ivor Armstrong Richards
e. Bernhard Debatin
f. Benjamin N. Colby
5. Fazit
6. Literatur
1. Einführung
„Und überdies: wie steht es mit jenen Conventionen der Sprache? Sind sie viel-leicht Erzeugnisse der Erkenntnis, des Wahrheitssinnes: decken sich die Bezeich-nungen und die Dinge? Ist die Sprache der adäquate Ausdruck aller Realitä-ten?“1 - In den letzten fünfzig Jahren sind eine Vielzahl wissenschaftlicher Forschungsarbeiten über die Metapher erschienen. Die Ergebnisse der Arbeiten von Max Black2 veranlasste viele Linguisten und Philosophen sich intensiv mit Metaphern zu beschäftigen, so dass wir heute ein breites Spektrum unterschied-lichster Metapherntheorien vorfinden. Es soll nun im Folgenden speziell um die von George Lakoff3 und Mark Johnson4 vorgeschlagene Theorie gehen, welche ausführlich in dem gemeinsam verfassten Buch ‚ Metaphors we live by ’ formuliert wurde.5
Ziel dieser Arbeit soll nach einer Darstellung der wesentlichen Grundzüge dieser Theorie die Einordnung derselben in die aktuelle Forschungslage sein. Dabei wird es zum einen um die von Lakoff und Johnson selbst formulierte Abgrenzung zu objektivistischen und subjektivistischen Sichtweisen allgemein gehen und zum anderen um Vergleiche mit anderen exemplarisch ausgewählten Metapherntheorien.6 Abschließend soll am Beispiel der Kulturtheorie des Anthropologen Benjamin N. Colby gezeigt werden, wie Lakoff und Johnson in der modernen Forschung anderer Wissenschaftsdisziplinen Bestätigung finden.7
2. Die Metapher als Werkzeug des Denkens und Handelns
Unter den Cognitive Scientists zählen Lakoff und Johnson zu den prominentesten Vertretern der kognitiven Linguistik. Ihr Hauptanliegen besteht darin, zu zeigen, dass Metaphern nicht nur bloße stilistische Sprachphänomene sind, sondern unser Denken, die Art und Weise, wie wir unsere Erfahrungen verstehen und sogar unser Handeln bestimmen. Ihrer Auffassung nach sind es im Wesentlichen die metaphorischen Konzepte, die den meisten sprachlichen Ausdrücken zu Grunde liegen, welche unser Begriffssystem strukturieren.8 Demzufolge verwenden Lakoff und Johnson die Bezeichnungen ‚ Konzept ’ und ‚ Begriff ’ synonym. Sie unterscheiden drei Arten von Metaphern. Orientierungsmetaphern9, wie zum Beispiel GLÜCKLICH SEIN IST OBEN, führen sie auf physikalische beziehungsweise anthropologische Tatsachen zurück. Im eben erwähnten Beispiel könnte dies der Umstand sein, dass jemand, der unglücklich ist, den Kopf hängen lässt. Darüber hinaus unterscheiden sie ontologische Metaphern10, wie zum Beispiel INFLATION IST EINE ENTITÄT, und konzeptuelle Metaphern, welchen sie die meiste Beach-tung schenken. Die entscheidende Formulierung dabei ist: „partial understanding of one kind of experience in terms of another.“11
Lakoff und Johnson versuchen stets den Erfahrungsunterbau (‚ experiential grounding ’) in den Vordergrund der Betrachtung zu rücken: „In actuality we feel that no metaphor can ever be comprehended or even adequately represented independently of its experiential basis.“12 Wobei diese Erfahrungs-basis als die Verbindung der beiden Konzepte einer Metapher ‚ A ist B ’ verstan-den werden sollte. Des Weiteren beschreiben Lakoff und Johnson sogenannte Erfahrungsgestalten („experiential gestalts are multidimensional structured who-les“13 ). Diese sind im Sinne von Max Black und Ivor A. Richards14 eine Art Filter, welche den ‚ Zielbereich ’ der Metapher strukturieren, indem sie bestimm- te Aspekte dieses Konzeptes hervorheben und andere wiederum ausblenden (‚ Highlighting and Hiding ’15 ). Welche Aspekte dabei genau ausgeblendet bezie- hungsweise hervorgehoben werden, hängt offensichtlich von der Kohärenz ab, jedoch nicht von der Konsistenz.16 Außerdem gehen Lakoff und Johnson davon aus, dass insbesondere komplexe und nichtphysische Begriffe durch mehrere metaphorische Konzepte strukturiert werden. Die Bezeichnungen Quell- und Zielbereich (‚ source and target domain ’) meinen jeweils die Menge von Eigen-schaften der beiden Konzepte einer Metapher.
Darauf basierend gehen Lakoff und Johnson davon aus, dass Metaphern Realitäten, insbesondere soziale Realitäten, schaffen und uns zu bestimmten Handlungen veranlassen können. Demnach können Metaphern sich selbst erfül-lende Prophezeiungen sein17 oder religiöse oder alltägliche Rituale, Zeremonielle und Bräuche schaffen. Die Metapher ist allgegenwärtig im täglichen Leben und wird meistens unbewusst verwendet. Außerdem behaupten Lakoff und Johnson, dass abstrakte Konzepte ohne ihre Begriffserweiterung durch die metaphorische Strukturierung unvollständig wären und als solches gar nicht existieren würden. Des Weiteren wird ein kohärenztheoretischer Wahrheitsbegriff voraus gesetzt, das heißt, es wird davon ausgegangen, dass es keine absolute Wahrheit gibt.18 Dem entsprechend räumen Lakoff und Johnson ein, dass das System von Metaphern eines Menschen von seiner Zugehörigkeit zur jeweiligen Kultur und zu den jeweiligen sozialen Gruppen abhängt.19 Ein weiterer Verfechter dieser Metapherntheorie ist Zoltán Kövecses.20
3. Erfahrungsmythos zwischen Objektivismus und Subjektivismus
Lakoff und Johnson formulieren nicht nur eine neue Metapherntheorie, sie be-haupten darüber hinaus, eine dritte Alternative zum Antagonismus von Objekti-vismus und Subjektivismus gefunden zu haben. Sie gehen davon aus, dass weder die Annahme einer unabhängigen, bedingungslosen Wahrheit noch die Annahme einer rein individuellen Wahrheit geeignet ist, um unsere Umwelt zu verstehen. Ihrer Meinung nach hängt Wahrheit von unserem Begriffssystem ab, welches wiederum auf unseren Erfahrungen basiert. An dieser Stelle kommt die Metapher ins Spiel, denn das Strukturieren unserer Erfahrungen durch die Ausdrücke der multidimensionalen Gestalten der Metaphern, macht unsere Erfahrungen kohä-rent.21 Die Bezeichnung ‚ Mythos ’ wollen Lakoff und Johnson nicht als etwas Diffuses, vielleicht Übernatürliches oder zum Teil Unerklärbares verstanden wis-sen, sondern vielmehr in einem neutralen Sinne einer Überzeugung.
3.a. Der objektivistische Mythos
Die objektivistische Sichtweise wird laut Lakoff und Johnson bis heute von denen vertreten, welche sich in der Tradition des logischen Positivismus, von Frege, von Husserl und des Neorationalismus von Chomsky befinden.22 Sie ver-suchen nicht nur die Unzulänglichkeiten eines objektivistischen Ansatzes aufzu-zeigen, sondern darüber hinaus, dass dieser zum Teil falsche Ergebnisse liefert. Es wäre ihrer Meinung nach beispielsweise falsch, anzunehmen, dass ein Satz dieselbe objektive Bedeutung besitzt, egal ob dieser von einer Person oder einem Papagei gesprochen wird und, dass der Wahrheitswert dieses Satzes von einem positiven Befund abhängt.23 Sie finden, dass man Objekte nicht aus ihrer Umwelt oder ihrem Kontext herausgelöst betrachten kann. Demzufolge kann man auch nicht davon ausgehen, dass Objekte inhärente Eigenschaften besitzen. Diese sind vielmehr immer interaktional. Außerdem sollten ihrer Meinung nach Kategorien über Prototypen anstatt über starre mengentheoretische Begriffe definiert werden, da sich, wie oben erwähnt, Kategorien durch die Art und Weise, wie Erfahrungen verstanden werden, verändern können.24
Lakoff und Johnson kritisieren nun einige ihrer Auffassung nach fehlerhaften Schlussfolgerungen aus den objektivistischen Denkansätzen. So basiert die Überzeugung, dass Metaphern entstehen, wenn Ähnlichkeiten zwi-schen den inhärenten Eigenschaften zweier Objekte bestehen, auf der generellen Annahme von inhärenten Eigenschaften bezüglich sprachlicher Ausdrücke. Diese Überzeugung sei insofern unzulänglich, als sie auf bestimmte komplexe nicht-physische Begriffe nicht angewendet werden kann, da die inhärenten Eigenschaf-ten dieser Begriffe vorab überhaupt nicht eindeutig bekannt waren. Damit wäre auch die Abstraktionstheorie der Objektivisten hinfällig, welche davon ausgeht, dass bei zwei unterschiedlichen Begriffen, welche dieselbe Bezeichnung haben, der eine Begriff vom anderen abstrahiert wurde.25 Vergleichstheorie26 und Substi-tutionstheorie27 werden mit den selben Argumenten kritisiert. Sie bestreiten darüber hinaus, dass sich jede Metapher in eine Form von objektivem Klartext übersetzten lässt. Dies verdeutlichen sie zum Beispiel am Begriff der Liebe, der weit über seine abstrakte semantische Wörterbuchdefinition hinausgeht. Lakoff und Johnson behaupten schließlich, dass sie mit ihrer Metapherntheorie zeigen, dass der objektivistische Mythos ungeeignet ist um den Verstand, die Sprache, die Werte sowie soziale und kulturelle Institutionen des Menschen zu verstehen, beziehungsweise zu erklären.28
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1 Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hg.): Friedrich Nietzsche. Kritische Studienausgabe (KSA) 2. Aufl., Bd. 1, Berlin 1988, S. 878
2 vgl. dazu Black, Max: Die Metapher (1954), in: Haverkamp, Anselm (Hg.): Theorie der Metapher, Darmstadt 1983, S. 55-79; ders.: Mehr über die Metapher (1977), ebd. S. 379-413
3 George P. Lakoff (*1941) ist Professor für Linguistik an der University of California, Berkeley
4 Mark L. Johnson (*1949) ist Professor für Liberal Arts and Sciences am philosophischen Institut der University of Oregon
5 Lakoff, George/ Johnson, Mark: Metaphors we live by, Chicago 1980, Nachwort 2003; dt. Aus- gabe: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern (übers. von Astrid Hildenbrand), 3. Aufl., Heidelberg 2003; vgl. außerdem Lakoff, George: The contemporary theory of metaphor, in: Ortony, Andrew (Hg.): Metaphor and Thought, 2. Aufl., Cambridge 1994, S. 202-251
6 zur Kategorisierung von Metapherntheorien vgl. Rolf, Eckard: Metaphertheorien. Typologie - Darstellung - Bibliographie, Berlin 2005, S. 9-17; außerdem Reimer, Marga/ Camp, Elisabeth: Metapher, in: Czernin, Franz Josef/ Eder, Thomas (Hg.): Zur Metapher. Die Metapher in Philo- sophie, Wissenschaft und Literatur, München 2007, S. 23-44
7 vgl. dazu Colby, Benjamin N.: Toward a theory of culture and adaptive potential, in: Mathematical Anthropology and Cultural Theory (Online Journal), Vol. 1 No. 3, 2003
8 vgl. dazu Lakoff, George/ Johnson, Mark: Metaphors we live by, S. 5
9 ebd. S. 14 ff
10 ebd. S. 24 ff
11 ebd. S. 154
12 ebd. S. 19
13 ebd. S. 81
14 vgl. dazu Richards, Ivor Armstrong: Die Metapher (1936), in: Haverkamp, Anselm (Hg.): Theorie der Metapher, Darmstadt 1983, S. 31-52
15 vgl. dazu Lakoff, George/ Johnson, Mark: Metaphors we live by, S. 10 ff.
16 ebd. S. 87 ff
17 ebd. S. 156
18 ebd. S. 159 ff
19 vgl. dazu Quinn, Naomi: The Cultural Basis of Metaphor, in: Fernandez, James W. (Hg.): Beyond Metaphor. The Theory of Tropes in Anthropology, Stanford 1991, S. 56-93
20 vgl. dazu z. B. Kövecses, Zoltán: Metaphors of anger, pride, and love. A lexical approach to the structure of concepts, Amsterdam 1986; außerdem ders.: Metaphor. A practical introduction, Oxford 2002
21 vgl. dazu Lakoff, George/ Johnson, Mark: Metaphors we live by, S. 81
22 ebd. S. 195
23 ebd. S. 198
24 ebd. S. 210
25 ebd. S. 211 ff
26 ebd. S. 214 f; außerdem Rolf, Eckard: Metaphertheorien, S. 21-34
27 vgl. dazu z. B. Jakobson, Roman: Der Doppelcharakter der Sprache und die Polarität zwischen Metaphorik und Metonymik (1956), in: Haverkamp, Anselm (Hg.): Theorie der Metapher, Darmstadt 1983, S. 163-174; außerdem Lacan, Jaques: Das Drängen des Buchstabens im Unbe- wußten oder die Vernunft seit Freud (1957), in: ebd. S. 175-215
28 vgl. dazu Lakoff, George/ Johnson, Mark: Metaphors we live by, S. 223