Weltgesellschaftstheorie nach John W. Meyer mit einem besonderen Bezug zur arabischen Revolution in Tunesien


Hausarbeit, 2011

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Und die arabische Welt bewegt sich doch!

2. Weltgesellschaft, Nationalstaat und Tunesien
2.1. Zentrale These und Begriffe der Weltgesellschaftstheorie
2.2. Das Wesen des Nationalstaates
2.3. Tunesien unter Ben Ali: Ausgangsposition und Gründe für die Revolution
2.4. Tunesien auf dem Weg zur Isomorphie
2.5. Tunesien im Kontext globaler Organisationen
2.6. Zwischenfazit

3. Abgrenzung und Kritik der Theorie
3.1. Abgrenzung der Theorie zu anderen theoretischen Ansätzen
3.2. Kritik an der Theorie

4. Zusammenfassung

5. Literaturverzeichnis

1. Und die arabische Welt bewegt sich doch!

Das erste Quartal des Jahres 2011 kann weltpolitisch als eine Zeit des Umbruchs bezeichnet werden. Dafür gibt es mehrere Begriffe: arabische Revolution, Jasmin-Revolution, arabischer Frühling oder Arabellion. Gemeint ist jedoch weitgehend dasselbe, nämlich die beginnenden Volksaufstände in der arabischen Welt.

Was ließ diese Revolution entstehen? Augenscheinlich ist für eine Revolution immer ein Op- fer notwendig, dessen Tod über die grundlegenden Dinge nachdenken lässt und letztlich zu einer Revolution führt. Denkt man bspw. an den ersten Schuss, der sich während der Barri- kadenkämpfe am 18. März 1948 in Berlin löste und damit sowohl Opfer forderte als auch den Weg für eine Konstitution in Deutschland bereitete. In Tunesien, dem Keimling der arabi- schen Revolution, war es ein Mann namens Mohammed Bouazizi, dessen Opfer am 17. Dezember 2010 in Sidi Bouzid weitreichende Auswirkungen auf die arabische Welt besaß:

„The world knows Mohammed Bouazizi (…) as the poor and desperate young man, har- assed by the authorities, who set fire to himself in this town in central Tunisia, inspiring a revolution that brought down the country's dictator, an act still reverberating through the Arab world.”1

Seine genaue Motivation zu dieser Tat ist unklar, doch wird sowohl von Familienmitgliedern als auch einstimmig in der Presselandschaft von Frustration gesprochen. Frustration über Zustände im Land, die anscheinend nicht den Idealen Bouazizis entsprachen: hohe Arbeits- losigkeit und weit verbreitete Armut. Es war daraufhin vor allem die junge Bevölkerung Tune- siens, die beginnend mit dem Tod Bouazizis innerhalb von nur drei Wochen dafür sorgte, dass der amtierende Präsident Zine al-Abidine Ben Ali aus dem Land fliehen musste. Und Tunesien war erst der Anfang. Es folgten Marokko, Algerien, Ägypten, Libyen, Syrien u.s.w.

Das Besondere dieser arabischen Bewegung ist, dass sie sich stark an Prinzipien orientiert, die charakteristisch für die westliche Welt sind. Der Ruf nach Demokratie, Würde und Men- schenrechte ist lautstark zu vernehmen. Es stellen sich dabei die Fragen: 1. Wie kann es eine Bewegung geben, die auf solchen Prinzipien und Modellen beruht? Und 2. Welchen Einfluss und welche Auswirkungen besitzt diese auf Staaten der Peripherie und des Zent- rums? Um diese Fragen beantworten zu können, beziehe ich mich in den folgenden Kapiteln auf die Theorie von John W. Meyer (2005). Ich werde versuchen darzustellen, wie sich diese Theorie in Hinblick auf die Bedeutung des Nationalstaates und dessen Bevölkerung auf die aktuellen Geschehnisse in der arabischen Welt übertragen lässt und welche Rolle dabei die westliche Kultur spielt.

Dazu werde ich zunächst den theoretischen Rahmen spannen, der sich auf die Weltgesell- schaftstheorie von Meyer stützt und im Kontext aktueller Geschehnisse die Bedeutung dieser aufzeigen. Geografisch, politisch und gesellschaftlich beziehe ich mich einzig auf die Revolution in Tunesien. Schlussendlich soll damit die Frage beantwortet werden, ob sich die theoretischen Überlegungen der Weltgesellschaftstheorie von Meyer an einem aktuellen Beispiel wie Tunesien belegen lassen.

2. Weltgesellschaft, Nationalstaat und Tunesien

John W. Meyer ist emeritierter Professor für Soziologie an der Stanford University und Mitglied der Fakultät „Center on Democracy, Development and the Rule of Law“. Bevor er nach Stanford kam, promovierte er an der Columbia University und lehrte dort mehrere Jahre. Seine Forschungsschwerpunkte konzentrieren sich auf die weltweite Ausbreitung moderner Institutionen und ihre Auswirkungen auf die nationalen Staaten und Gesellschaften. In diesem Zusammenhang spiegelt sich auch seine Theorie der Weltgesellschaft wider, um die er sich seit den 1970’er Jahren intensiv bemüht.2

Ich werde mich in den folgenden Abschnitten auf eben diese Theorie beziehen. Ich werde dabei vor allem den Aspekt des Nationalstaates in den Blick nehmen und das komplexe the- oretische Geflecht an diesem ausrichten. Dabei gehe ich zunächst auf die zentrale These ein und zeige entscheidende Begriffe der Theorie auf (2.1.). Danach gehe ich auf den National- staat und dessen Rolle in der Weltgesellschaft ein (2.2.). Diese theoretischen Grundlagen werde ich dann auf das Beispiel Tunesien beziehen (2.3. bis 2.5.), wozu ich den Einstieg bereits gelegt habe.

2.1.Zentrale These und Begriffe der Weltgesellschaftstheorie

Die zentrale These Meyers bzgl. der Weltgesellschaft und des Nationalstaates lautet, dass sich viele Merkmale moderner Nationalstaaten von globalen Modellen abgeleitet haben, die „in globalen, von Kultur und Verbänden getragenen Prozessen erzeugt und verbreitet werden“3. Es geht dabei um die Frage, warum sich die Gesellschaften in einer nationalstaatlich organisierten Welt strukturell und in ihrem Wandlungsprozess ähnlich sind. Um dies verstehen zu können, müssen zunächst verschiedene Begriffe klar sein.

Die These setzt an der Weltgesellschaft an, der wichtigsten Ebene für diese Theorie. Die Weltgesellschaft ist kein Staat und besitzt somit auch keine organisationalen Grenzen, weder nach außen noch nach innen. Sie besteht im Wesentlichen aus „rationalisierten Anderen“, d.h. Wissenschaften und Professionen, die in internationalen Verbänden und Gemeinschaf- ten verortet sind und dort wissenschaftliche und professionelle Diskurse erzeugen. Sie sind allgegenwärtig und beraten Akteure in Hinblick auf ihre Zwecke, Identitäten u.s.w.4 Die Ak- teure, werden von der Weltgesellschaft konstruiert. Es handelt sich dabei um autorisierte Akteure, wie Individuen, Organisationen und die Nationalstaaten. Letztgenannte sind für die- se Arbeit entscheidend. Nationalstaaten werden „als eine grundlegende und stark legitimierte Handlungseinheit“5 definiert. Zwischen der Weltgesellschaft und dem Nationalstaat herrscht ein kausales und einseitiges Verhältnis, d.h. dass die Vorgaben nur „top-down“ von der Weltgesellschaft an den Nationalstaat weitergegeben werden, nicht jedoch umgekehrt. Der Nationalstaat allein besitzt - ausgenommen in internationalen Organisationen - demnach keine „bottom-up“ Beeinflussungsmöglichkeiten gegenüber der Weltgesellschaft. Die Kausa- lität besagt, dass es durch die Einwirkung der Weltgesellschaft zu bestimmten Auswirkungen im Nationalstaat kommt, die rational berechenbar sind. Der Weg, welcher dafür betreten werden muss, führt über die globalen Modelle.6

Die Herausbildung globaler Modelle ist keine moderne Erscheinung. Bereits in der griechi- schen Antike zeigte sich, dass allein die Übernahme der griechischen Sprache in viele ande- re damalige Länder als kulturelle Hochsprache ein bedeutendes Modell darstellt. Die stärkste Entwicklung der Weltgesellschaft und damit auch der Modelle ergab sich jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg, da sich in dieser Zeit die Entwicklung einer weltgesellschaftlichen Kultur und darin operierenden Organisationen um ein Vielfaches beschleunigte. Hier kann bspw. auch auf das Modell des Nationalstaates verwiesen werden, welches dafür sorgte, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem enormen Anstieg souverän werdender Staa- ten kam.7

Meyer et al. (2005) vertreten die Auffassung, dass „Nationalstaaten mehr oder weniger von außen konstruierte Einheiten sind“8, deren Bewohner zwar agieren und den Staat formen, dies jedoch aufgrund eines vorgegebenen „Drehbuches“ - den globalen Modellen - tun. Die- se gesteuerte Konstruktion sorgt für eine standardisierte und auf selbstverständliche Weise geschehene Formung der unterschiedlichsten Bereiche des Nationalstaates, wie den sozia- len, wirtschaftlichen oder politischen Sektoren. Die globalen Modelle liefern also Strategien und Ansätze zum Lösen von Problemen auf nationalstaatlicher Ebene, welche schließlich nur noch einer Umsetzung bedürfen.9

Globale Modelle sind nach Meyer et al. (2005) klar strukturiert, organisiert, formuliert und rationalisiert. Globale Modelle sind kognitiv und instrumentell und explizieren ihr Wesen in Form von stark rationalisiertem und universalistischem Wissen über das Funktionieren von Individuen, Gesellschaften und Staaten.10 Sie haben die Aufgabe Handlungen und Entschei- dungen von lokalen Akteuren zu definieren und zu legitimieren und „prägen die Strukturen und Programme von Nationalstaaten und anderen nationalen und lokalen Akteuren“11 in vie- len verschiedenen staatlich organisierten Bereichen. Diese Einwirkungen beruhen darin, dass der Nationalstaat aufgrund der genannten Eigenschaften der Modelle darauf vertraut, dass diese funktionieren und universell und weltweit anwendbar sind. Daher akzeptiert und übernimmt er diese. Der dadurch entstehende Konsens unter den einzelnen Nationalstaaten resultiert in der Ausbildung fundamentaler Modelle - bspw. Demokratie, Gleichheit, Bürger- und Menschenrechte - welche global die stärkste Prägung aller Modelle haben. Es entsteht eine große Autorität dieser Modelle, was letztlich dazu führt, dass sie sich schnell ausbreiten und eingesetzt werden. Dabei ist einzig der Funktionalismus bedeutsam, der dazu führt, dass die Annahmen, welche dahinter stehen, nicht hinterfragt, sondern aufgrund ihres Funk- tionierens umgesetzt werden; und das selbst in Regionen, in denen diese Annahmen in kei- ner Weise als funktional angesehen werden können.

Nationalstaaten beziehen ihre Legitimität weitgehend aus gemeinsamen Modellen. Dies führ- te dazu, dass untereinander ein hoher Grad an Diffusion zwischen den Nationalstaaten statt- fand. Dies ermöglichte letztlich die relative Transparenz über die Umsetzung und den Erfolg der Modelle und führte zu einer Orientierung an den Modellen der Triade - Europa, USA und Japan - unter Einbezug spezifischer eigener Tugenden.12 Solche Modelle sind in ihrer Aus- prägung äußerst autoritär und finden in anderen Nationalstaaten große Verbreitung.

2.2.Das Wesen des Nationalstaates

Für Meyer et al. (2005, S.95 ff.) sind vier Eigenschaften von Nationalstaaten prägnant, welche in dem Verständnis gründen, dass der Nationalstaat teilweise als Produkt einer übergreifenden Kultur existiert:

1. Nationalstaaten sind isomorph, d.h. sie ähneln sich untereinander in der Ausprägung ihrer politischen Programme und Strukturen, wie bspw. Verfassungen, die allgemeine Schul- bildung, umfassende allgemeine Menschenrechte und formale Gleichberechtigung der Frau. Diese Tatsache lässt sich nur dadurch erklären, dass „übergreifende globale Kräfte am Wir- ken sind“13, die den Nationalstaat in eine weltkulturelle Ordnung einbetten. 2. Nationalstaaten sind rational bzw. tendieren zu rationalem Verhalten und folgen so dem ebenfalls stark rationellen und universalistischen Charakter der Weltkultur. Diese natio- nalstaatliche Form des rationalen und verantwortlichen Akteurs hat sich durchgesetzt und besteht heute in einer konkurrenzlosen Sphäre. Das Ziel ist dabei in allen Nationalstaaten ähnlich und besagt die Steigerung des Fortschritts im Sinne von Erhöhung des Bruttoin- landsproduktes und Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung. Zwar gleichen sich die Nationalstaaten in dieser Hinsicht untereinander - d.h. sie sind auch hier wieder isomorph - allerdings ist jeder Akteur eigenverantwortlich für die Übernahme und Umsetzung der Maßnahmen zuständig, durch die letztlich das Ziel erreicht werden soll. 3. Nationalstaaten zeigen eine „Entkopplung zwischen formalen Zwecken und realen Strukturen“14. Entkopplung meint dabei den Sichtwechsel von der eigenen traditionellen Kul- tur und den Verhaltenserwartungen hin zu einer Orientierung an einer externen Kultur. Prob- lematisch ist dies, da bestimmte Modelle nicht ohne weiteres auf bestehende und funktions- fähige Systeme angewendet werden können.

4. Nationalstaaten treiben den Ausbau formaler Strukturen voran, d.h. sie schaffen for- male, rationalisierte und differenzierte Organisationsformen innerhalb verschiedenster ge- sellschaftlicher Bereiche und breiten diese aus. Dabei orientieren sich die Nationalstaaten wiederum an den globalen Modellen. Im Ergebnis sind dies gemeinsame weltgesellschaftli- che Modelle, die dafür sorgen, dass Staaten Ministerien, Behörden und politische Program- me einrichten, die sich um spezielle Probleme - wie Umwelt, Bildung, Soziales - kümmern. Die Ausprägung solcher Strukturen findet global statt, hängt jedoch eng mit der nationalen Ressourcenlage zusammen. Damit wird die Rolle des Nationalstaates legitimiert, die besagt, dass er eigen- und hauptverantwortlich die ihm obliegenden Probleme, welche oft durch Globalisierung hervorgebracht werden, im Sinne seiner Gesellschaft zu erkennen und zu lösen hat.

In den folgenden Abschnitten werde ich diese grundlegenden Punkte der Theorie durch zu- sätzliche ergänzen und im gleichen Schritt auf das hier zugrundeliegende Beispiel Tunesien beziehen.

[...]


1 Beaumont 2011; vgl. Wandler 2010

2 vgl. Center on Democracy, Development and the Rule of Law

3 Meyer et al. 2005, S.85

4 vgl. Meyer et al. 2005, S.111

5 Meyer et al. 2005, S.97

6 vgl. Meyer et al. 2005, S.90 f.

7 vgl. Meyer et al. 2005, S.85; 106

8 Meyer et al. 2005, S.94

9 Meyer et al. 2005, S.94 f.

10 vgl. Meyer et al. 2005, S.92

11 Meyer et al. 2005, S.85

12 vgl. Meyer et al. 2005, S.113 f.

13 Meyer et al. 2005, S.96

14 Meyer et al. 2005, S.95

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Weltgesellschaftstheorie nach John W. Meyer mit einem besonderen Bezug zur arabischen Revolution in Tunesien
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Globalisierung
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
18
Katalognummer
V182893
ISBN (eBook)
9783656069768
ISBN (Buch)
9783656069843
Dateigröße
529 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Globalisierung, Weltgesellschaft, Meyer, Tunesien, Arabische Revolution
Arbeit zitieren
B.A Bildungs- und Erziehungswissenschaftler Michel Beger (Autor:in), 2011, Weltgesellschaftstheorie nach John W. Meyer mit einem besonderen Bezug zur arabischen Revolution in Tunesien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/182893

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