Musik und Jugend - Aufschrei aus hunderttausend Kehlen

Eine soziologische und sozialpsychologische Analyse der Rockmusik in den 50er, 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts


Libro Especializado, 2011

67 Páginas


Extracto


INHALT

Danksagungen

Einleitung

Der Jugendprotest als Ausdruck des Konflikts im Spannungsfeld Individuum – Gesellschaft
Welche Ziele sind im Menschen angelegt? Wonach strebt er?
Welche Ziele verfolgen moderne Industriegesellschaften?
Auswirkungen der gesellschaftlichen Ereignisse auf die Eltern und die
Sozialisation ihrer Kinder
Welche Möglichkeiten bleiben den Jugendlichen?

Rockmusik als Musik der Jugend und Widerspiegelung der gesellschaftlichen Wirklichkeit
Musik als Ausdrucks- und Kommunikationsmittel
Soziale und psychologische Aspekte in der Entwicklung der Rockmusik
Gospels und Spirituals
Der Blues
Country und Western
Jazz
Rock´n Roll
Beat und Rock
Wie erlebten Jugendliche damals ihre Rockmusik?
Beat und Rock als Symbol der Jugend
Punk
Popmusik
Wie reagierte die Gesellschaft auf diesen musikalischen Protest?
Literatur

Danksagungen

Ich möchte allen danken, die durch ihr Verständnis und ihre Unterstützung zur Realisierung dieses Buches beigetragen haben.

Mein Dank gilt den alten Freunden und Kollegen, den Psychologen Hans Dess, der immer ein offenes Ohr für meine Wünsche und Rat in Zweifelsfällen wusste, sowie Jürgen Herkert und Felix Novak für ihre Anregungen und ihre freundliche Kritik.

Mein Dank gilt auch einem guten Freund Mag. Artium Gerhard Martin Kirr, der mit großem Interesse die Entstehung des Buches verfolgte und mir tatkräftig beim Schreiben und den Korrekturen half. Ohne seine Mitarbeit und moralische Unterstützung hätte ich das Buch noch lange nicht vollendet.

Danken möchte ich noch einem guten Freund, dem Musiktherapeuten Bela Kovac, der mit mir viele Jahre musikalisch und musiktherapeutisch arbeitete; er hat sicherlich auch in diesem Buch seine Spuren hinterlassen.

Meine Arbeitskollegin, die Sozialpädagogin Sabine Haase und der Journalist Rainer Landeck haben sich die Zeit genommen, das Manuskript zu lesen und mit mir darüber zu reden. Herzlichen Dank für ihre Anregungen.

Sabine Haase, der Sozialpädagoge Reiner Haberl und meine Tochter, Psychologin Alexandra Curic haben mir bei Arbeiten am Computer tatkräftig geholfen; dafür vielen Dank.

Mein besonderer Dank gilt meiner Tochter Marina Curic; sie hat mit sehr großem Einsatz das Manuskript dieses Buches geschrieben und auf CD übertragen.

Nicht zu vergessen ist die Band, in der ich zehn Jahre (von 1960 bis 1970) als Berufsmusiker an Tourneen durch verschiedene Länder Europas teilgenommen habe. Diese musikalischen und gruppendynamischen Erfahrungen waren für meinen weiteren Berufsweg von grundlegender Bedeutung. Sie waren eine Vorstufe für mein Studium der Psychologie und meine spätere musiktherapeutische Tätigkeit.

Das Buch ist meinen Kindern Alexandra, Marina und Alexander gewidmet. Mit ihnen habe ich oft rege, manchmal polemische Gespräche über die Rockmusik geführt. Auch sie haben dazu beigetragen, dass ich manche meiner Einsichten relativierte.

Einleitung

Wer die Ereignisse in den 60er und 70er Jahren verfolgt hat, wurde immer wieder auf Probleme aufmerksam, welche die damalige junge Generation belasten und zu einer zu-nehmenden Unzufriedenheit junger Menschen führte.

Es gab junge Menschen, die durch Selbstmord dem Leben zu entfliehen suchten. Andere entzogen sich diesem Leben durch Leistungsverweigerung, durch Ablehnung verschiedener Formen der Autorität, durch Alkoholmissbrauch oder durch Drogenkonsum.

Die Lage der damaligen Jugend in der Leistungsgesellschaft verursachte ihre große Unzufriedenheit und sogar den Aufstand, der sich bis heute nicht ganz beruhigt hat.

Der Jugendprotest wurde ein Barometer immer größerer „Krisen der Wertsysteme“ und einer „Sinnkrise“[1], die seit Jahrzehnten die modernen Industriegesellschaften bedrohten.

Subkulturen entstanden vor allem in den Großstädten und die Welt der Erwachsenen stand mit Unverständnis, mit Erschrecken, ja teilweise mit Abscheu den Rockern, Punkern und Skinheads gegenüber, die sich provokativ und aggressiv von ihren Herkunftsfamilien abzugrenzen versuchten.

Demonstrationen und gewaltsame Ausschreitungen beunruhigten damals die Polizei, die Politiker und die Mehrheit der Bürger. Von Staatsverdrossenheit war die Rede, von der Unfähigkeit der etablierten Parteien, das selbstzerstörerische System der Industriegesellschaft mit ihren Sachzwängen und Wachstumsnotwendigkeiten durch ein menschenwürdiges System zu ersetzen, und von der Ablehnung vieler Jugendlicher, in eine der etablierten Parteien einzutreten.

Alle diese Phänomene gab es schon geraume Zeit. Man kann nicht sagen, dass kein Be-mühen erkennbar wäre, diese Probleme zu lösen oder wenigstens zu verbessern, und doch muss man feststellen, dass sehr wenig erreicht wurde.

Es soll deshalb hier der Versuch gemacht werden, die Ursachen und gesellschaftlichen Hintergründe der damaligen Zeit aufzuhellen.

Die Tatsache, dass dies zu Überlegungen geführt hat, inwieweit die Musik durch die Unzufriedenheit junger Menschen entstand, ist darin begründet, dass der Verfasser als Diplom-Psychologe und Musiktherapeut die Bedeutung der Musik in diesem Geschehen besonders deutlich erfahren hat. Er hat auch die Erfahrung gemacht, dass die Musik ein Medium sein kann, um ein neues Verständnis füreinander zu entwickeln und in einer fruchtbaren Weise aufeinander zu zugehen. Dazu ist es aber notwendig, auf die originären Formen des musikalischen Ausdrucks zurückzukommen und nicht nur die kommerzialisierte Musik zu pflegen.

In dieser Arbeit gilt es dennoch aufzuzeigen, wie die ursprüngliche Beat- und Rockmusik als echter musikalischer Ausdruck die Geschehnisse der modernen westlichen Industrienationen widerspiegelte und wie die Jugend damals versucht hat, mit Hilfe der Musik ihr Leben zu gestalten und zu erleichtern. Die Dynamik des Zeitgeschehens kam darin ebenso zum Vorschein wie das Bemühen der Jugend, eine eigene Antwort auf all die gesellschaftlichen Gegensätze und Widersprüche zu finden.

Die Art dieser Widersprüche soll hier betrachtet werden, ihre Ursachen einerseits und ihre Darstellung in der Musik andererseits sollen beschrieben werden. Dazu bedarf es aber einer gründlichen soziologischen Analyse, welche die Anfänge dieser Musik eben-so mit einbezieht wie die Entwicklung der damals bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse.

Dieses komplexe Problem müssen wir natürlich unter dem Aspekt mehrerer Wissenschaftsdisziplinen betrachten, insbesondere der Errungenschaften der Soziologie, Psychologie, Pädagogik und Musikwissenschaft.

Bevor wir uns auf die Analyse dieser komplexen Problematik einlassen, möchten wir eine These aufstellen:

Es bestand damals ein Gegensatz zwischen den Zielvorstellungen junger Menschen und von gesellschaftlichen Kräften, die das bestehende System erhalten wollten und deshalb die Entfaltung der Jugendlichen behinderten. Bei den Jugendlichen entstand ein Konflikt zwischen idealen Vorstellungen und einer Realität, die ihre Verwirklichung nicht zugelassen hat. Dabei sollten diese idealen Vorstellungen der Jugendlichen nicht vor-eilig als wirklichkeitsferne Utopie abgetan werden, vielmehr müssten wir der Jugend ein besonderes Recht zugestehen, sich mit der Frage intensiv zu beschäftigen, wohin unsere Entwicklung in der Zukunft voranschreiten soll.

Ideale sind dabei Zielvorstellung, in denen Hoffnungen, Wünsche und Erwartungen hin-sichtlich einer zukünftigen Wirklichkeit enthalten sind. Wenn wir uns dessen bewusst sind, dass das Ideal selbst unerreichbar bleiben wird, so stimmen wir doch darin über-ein, dass es die Richtung unserer Bemühungen festlegen soll. Daraus wird deutlich, dass diese Überlegungen für alle Menschen relevant sind, wenngleich die jungen Menschen mit der größten Zukunftsperspektive am meisten damit beschäftigt sind.

Aus der Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit und dem Versuch ihrer geistigen Bewältigung erwuchs der Jugendprotest, der sich neben anderem auch in der Musik der 60er und 70er Jahre manifestierte.

Der Jugendprotest als Ausdruck des Konflikts im Spannungsfeld Individuum - Gesellschaft

Welche Ziele sind im Menschen angelegt? Wonach strebt er?

Wenn wir uns auf die Motivationstheorie von Maslow[2] beziehen (Bedürfnishierarchie), können wir davon ausgehen, dass alle Menschen Ziele für ihre Bedürfnisbefriedigung entwickeln. Das höchste Ziel wäre in dieser Vorstellung die Selbstverwirklichung. Aus-gehend von der Auffassung der „ganzheitlichen Persönlichkeit“ handelt es sich dabei um den allseitig entwickelten Menschen mit schöpferischen Fähigkeiten und einem Höchstmaß positiver Eigenschaften (Toleranz, Altruismus, Aufrichtigkeit usw.). Ein Mensch, der sein kreatives Potential verwirklicht, drückt damit seine wahren Bedürf-nisse aus. Aber diese Art von Selbstverwirklichung steht nicht im Gegensatz, sondern im Ergänzungsverhältnis mit sozialen Gegebenheiten. Der „reiche Mensch“ ist der pro-duktive, der freie, der soziale, der zufriedene Mensch, er ist der gesunde Mensch. In ihm existiert die Suche nach Selbstverwirklichung als eine innere Notwendigkeit. Aber diese Selbstverwirklichung des Einzelmenschen vollzieht sich wiederum nicht im psy-chologisch freien Raum, sondern in aktiver Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt. Daraus ergibt sich eine Abhängigkeit der Selbstverwirklichung von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Gesellschaft hat die Aufgabe, jedem weit-gehende Möglichkeiten zu seiner Verwirklichung einzuräumen.

Da der Mensch gleichzeitig ein Natur- und Sozialwesen ist, müssen die Anforderungen der Gesellschaft an den Einzelnen einerseits dessen Natur entsprechen und andererseits den gesellschaftlichen Übereinkünften.

Die Mitglieder der Gesellschaft bestimmen den Gesellschaftsprozess mit und gestalten aktiv und gemeinsam dessen Ziele. Es muss im eigentlichen Interesse der Gesellschaft sein, dass die Menschen ihre eigene Lebensgeschichte selbst in die Hände nehmen, dass sie diese begreifen und gestalten und so nicht nur ihre eigenen egoistischen Ziele verfolgen, sondern auch solche, die allen dienen. Am Ende sollen sich die individuellen und die sozialen Zielvorstellungen wie selbstverständlich ergänzen.

Eine Gesellschaft mit solchen Mitgliedern nennt Fromm eine „gesunde Gesellschaft“.[3] Viele sehen diese Vorstellungen Fromms als eine Utopie. Es ist jedoch zu fragen, ob die Grenzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit in jeder Beziehung so klar sind oder ob es nicht fließende Übergänge geben kann.

Welche Ziele verfolgen moderne Industriegesellschaften?

Es liegt wohl nahe, dass diejenigen, welche diese Gesellschaften repräsentieren und sie im Wesentlichen bestimmen, in erster Linie an der Sicherung eigener Vorteile interessiert sind. Die Entwicklung und Förderung aller Menschen und deren grundlegende Bedürfnisse finden dabei nur soweit Beachtung, als sie sich ohne Schwierigkeiten in Einklang bringen lassen mit den Interessen der 'Mächtigen'.

Welche Personen sind es nun, welche die Macht konkret ausüben, und welche Ziele verfolgen sie?

Es handelt sich um jene „Minderheit“, die einen Großteil des Kapitals und der finanziellen Mittel besitzt (ökonomische Macht) und die gleichzeitig politische Einflussmöglichkeiten (politische Macht) für sich nutzt. Damit kann zweifellos der Ablauf des Wirtschaftsgeschehens bestimmt werden und darüber hinaus nachhaltiger Einfluss auf alle Entscheidungen des öffentlichen Lebens ausgeübt werden.

Die große Mehrheit der Menschen in modernen Industriegesellschaften ist nicht nur von der Mitwirkung an wirklichen wirtschaftlichen Prozessen ausgeschlossen, sie hat auch ihre Fähigkeit eingebüßt, sich selbst mit den lebensnotwendigen Gütern zu versorgen; so hat sie ihre Selbstständigkeit verloren und ist von der mächtigen Minderheit ganz abhängig geworden. Zu eigener Existenzsicherung ist sie gezwungen, ihre Arbeits-kraft als Ware zu verkaufen. Der daraus entstehende „Mehrwert“, der Gewinn also, wird einseitig von der „herrschenden“ Minderheit vereinnahmt und vergrößert deren Hand-lungs- und Entscheidungsspielraum. Die mächtige Minderheit bezieht die Motivation zur Aufrechterhaltung des Systems aus der Möglichkeit, in diesem System Gewinne für sich zu erwirtschaften; diese werden (größtenteils) wieder investiert, um noch größere Gewinne zu erzielen. Das Streben nach solchen Gewinnen lässt so eine Eigendynamik entstehen, in der Wachstum vorprogrammiert ist, wobei zuletzt nicht mehr gefragt wird, ob die Produkte gebraucht werden, sondern nur danach, ob sie schnellen, sicheren und viel Gewinn versprechen. In diesem Geschehen verbinden sich die mächtige Minderheit mit dem technologischen Fortschritt, weil sie ihn ebenfalls braucht, um ihre Ansprüche für die Zukunft sichern zu können. Aus Gewinngründen werden Bodenschätze ausgebeutet, wird die Umwelt in unvertretbarem Maße belastet, und es wird die Energie des Menschen bis an die Grenze des Erträglichen ausgeschöpft. Dabei ist zu beobachten, dass einer physischen Erleichterung (z.B. Arbeitszeitverkürzung) eine psychische Mehrbelastung (Monotonie, Hektik, Konkurrenzdruck) gegenüber steht und sich die Situation des arbeitenden Menschen ständig verschlechtert. Die „Ausbeutung von Menschen durch Menschen“[4] entspricht nicht einem Naturgesetz, sondern ist durch die unzulängliche Entwicklung der Verhältnisse entstanden. Die Erhaltung solcher Verhältnisse ist deshalb nicht selbstverständlich, ja sie ist nur schwer sicherzustellen, weil im System selbst Widersprüche sichtbar werden und weil auch die originären menschlichen Bedürfnisse dem vielfach widersprechen; es kommt deshalb zu Krisen und Spannungen. Der eigentliche Widerspruch liegt in der kollektiven Anstrengung und Produktion der Güter durch die lohnabhängige Mehrheit und der einseitigen Nutzung der Erträge durch eine kleine mächtige Minderheit. Daraus ergeben sich weitere Disharmonien etwa in der Art, dass zwei Arbeiter gleichzeitig Partner und Konkurrenten sind, oder etwa so, dass ein Arbeiter den Unternehmer als Menschen schätzt und sich gleichzeitig von seinem Betrieb betrogen fühlt.

Das System bringt Institutionen hervor, die nicht nur den Fortbestand des Systems sichern sollen, sondern auch den Mächtigen die Möglichkeit eröffnen, auch auf mehr indirekte Weise Einfluss auf Menschen auszuüben. Der Staat ist eine Art Oberinstitution mit Steuerungsaufgaben; er versucht die Interessen der Minderheit so darzustellen, als handele es sich dabei um gesamtgesellschaftliche Interessen. Bei kritischer Betrachtung erkennen wir die bloße Umsetzung der Interessen der Minderheit, wobei es aber doch Aufgabe des Staates wäre, neue und bessere Möglichkeiten der Lebensbewältigung für alle Bürger ausfindig zu machen und durchzuführen.

Damit hat sich der Staat in eine recht zwielichtige Position drängen lassen, weil er inoffiziell die Ziele der Minderheit durchzusetzen versucht, während er offiziell den Dienst für die Allgemeinheit als seine Aufgabe bezeichnet. Der Staat ist Bürge für die formale Gleichheit aller Bürger, wobei gleichzeitig Bedingungen der Ungleichheit herrschen. So versucht der Staat einen Ausgleich zwischen den Ungleichgewichten Arbeitskraft und Kapital zu schaffen. Durch die Politiker wird das, was die Mächtigen in der Minderheit als Ziel festgelegt hat , als „gut“ apostrophiert; es werden allgemein gültige Werte daraus abgeleitet. Solche Werte sind Disziplin, Ordnung, Fleiß, Leistung, Macht, Erfolg usw.; damit sollen die Ziele, wie z.B. Soziale Anerkennung, gesellschaftlicher Status, Luxus, Sicherheit, Wohlstand usw. erreicht werden. Um diese Ziele zu erreichen, muss der Einzelne also einerseits Fleiß und Disziplin zeigen, andererseits verlangt man von ihm, dass er seine eigenen Bedürfnisse hinter die der Vorgesetzten zurückstellt, dass er voll für eine Sache eintritt und dabei einen rücksichtslosen Wettkampf mit seinesgleichen führt. Wer aus diesem harten Wettkampf als Sieger hervorgeht, dem eröffnen sich viele Vorteile, welche diese Gesellschaft zu bieten hat.

Es wird jedem die Möglichkeit zugesichert, ohne Ansehen seiner Herkunft und Person zu seinem persönlichen Erfolg kommen zu können. Dazu werden Einzelschicksale zitiert, wie jemand vom Tellerwäscher zum Millionär geworden sei und dergleichen. Hierbei werden Ausnahmeschicksale als die Regel hingestellt. Alle, die in diesem Wettlauf unterliegen, müssen sich mit ihrer Durchschnittlichkeit abfinden. Die Hoffnung auf das Überwinden dieser beengenden Verhältnisse und die Angst vor dem noch weiteren Abgleiten in den Misserfolg sind die beiden wesentlichen Triebfedern für die Mehrheit, sich immer wieder neu auf den Wettbewerb einzulassen.

Moralisch handelt dabei der, welcher seine privaten Interessen verfolgt, solange er nicht gesellschaftliche Regeln missachtet. Normen und Gesetze sichern zusätzlich den allgemein gültigen Rahmen, innerhalb dessen der Einzelne Nutzen suchen kann. Das Individuum wird nicht nur von seinen ursprünglichen Bedürfnissen weggeführt und auf 'gesellschaftlich' relevante Ziele eingeschworen; der Einzelne unterliegt auch noch einer zweifachen Einschränkung durch Wettbewerb und allgemein gültige Vorschriften. Weil er aber Erfolgsdruck ausgesetzt ist, besteht die Gefahr, dass es sich über gesellschaftliche Regeln hinwegsetzt, um so einen Teil seiner diffus empfundenen Benachteiligung auszugleichen. Es wird immer schwieriger, alle Mitglieder der Gesellschaft gleicher-maßen auf eine einheitliche Moral einzustellen. Die Moral wird so zu einem Instrument, welches das Verhalten der jeweils Anderen regulieren soll. Diese moralischen Postulate verhindern dennoch nicht das Übertreten oder Nichtbeachten der Vorschriften, was da-mit zu erklären ist, dass die moralischen Maßstäbe Ausdruck eines Konfliktes zwischen Individuum und Gesellschaft sind. Die Gesellschaft schafft Instrumente, bedient sich u.a. der Wissenschaft, mit deren Hilfe sie dem Einzelnen im Falle seines Scheiterns die Schuld an seinem persönlichen Misserfolg zuweisen kann. Die Psychologie und die Philosophie werden z.T. dazu benützt, im Individuum selbst und ausschließlich dort die Gründe des Versagens aufzufinden. So ist die Ursachenfindung ganz von den gesellschaftlichen Gegebenheiten weg auf den individuellen Bereich verschoben. Die Widersprüche, die eigentlich zwischen Individuum und Gesellschaft bestehen, sollen nur noch aus dem Individuum verstanden und an ihm selbst gelöst werden. Um an die Lösung dieser Probleme heranzukommen ist wieder zu fragen, welche ursprüngliche Bedürfnisse im Menschen vorhanden sind (s.o. Wonach strebt der Mensch?). Die Untersuchungen von Maslow[5] haben gezeigt, dass die Bedürfnisse in den westlichen Industriegesellschaften nur einseitig befriedigt sind. Zwar werden die Menschen gut mit materiellen Gütern versorgt, es besteht aber ein nicht befriedigtes Bedürfnis hinsichtlich zwischenmenschlicher Beziehungen, was wiederum die Selbstverwirklichung behindert. Lediglich Bedürfnisse nach Nahrung, Wohnkomfort und technischer Ausstattung sind im Übermaß abgedeckt, dafür besteht ein Mangel an Kommunikation, Solidarität, Liebe und echter Zuwendung, Voraussetzungen, die für eine Selbstverwirklichung von Anfang an unverzichtbar sind. Die – nach Maslow – höheren sozialen Bedürfnisse werden aber nicht entwickelt, weil die Gesellschaft eher an 'eindimensional'[6] funktionierenden Menschen interessiert ist, statt an reifen, eigenständigen und eigenverantwortlichen Persönlichkeiten. Wenn man sich den hochspezialisierten Facharbeiter vorstellt, der ganz in das industrielle Geschehen eingebunden ist, ohne dies zu über-blicken oder auch nur im entferntesten beeinflussen zu können, dann wird einem bewusst, dass es sich dabei um einen eingeschränkten, manipulierbaren Menschen handelt.

Wiederum versuchen Wissenschaftler, dies damit zu legitimieren, dass die Mehrzahl der Menschen nicht zu kreativem Denken und handeln berufen sei, sondern sich in der Rolle des Befehlempfängers wohler fühlen würde.[7] Dabei wird das Bild des schwachen, unselbständigen Menschen gezeichnet, der sein Schicksal nicht selbst in die Hand nehmen kann, sondern der beständig jemanden braucht, der ihm Ziele vorgibt und Handlungsanweisungen erlässt. Freiheit wäre für solche Menschen eine Belastung, was daraus zu ersehen wäre, dass sie noch strengere, konsequentere Führung verlangen.

Der Mensch als gleichberechtigter Partner, als gleichwertiger Bürger kommt in dieser Philosophie nicht vor, weil man ihn weiterhin als Objekt der Manipulation sehen möchte. Unterwirft er sich diesem Vorhaben, wird er mit der Erfüllung seiner infantilen Wünsche belohnt. Damit ist er hinreichend abgefunden, weil man ihm ja darüber hinausgehende Bedürfnisse nicht zugesteht. Ein solcher Mensch ist nicht nur angepasst und opferbereit, er lässt sich bis in den privaten Bereich hinein vorschreiben, was er anstreben, wen oder was er lieben und schätzen soll (Keine Liebe jenseits der herrschenden Moral: „In einen Mann ohne Geld verliebe ich mich schon gar nicht“, sagt eine Sieb-zehnjährige!).

Es soll darauf hingewiesen werden, welch ein eklatanter Widerspruch darin besteht, dass man dem Menschen einerseits suggeriert, er sei „seines Glückes Schmied“, und andererseits in solchen Legitimationsphilosophien den Menschen wiederum so darstellt, als könne er selbst seine Ziele nicht alleine finden.

Wie unrealistisch das ist, kann uns ein Beispiel verdeutlichen: nehmen wir einen Jungen, der in einer Alkoholikerfamilie aufgewachsen ist, der keine Berufsausbildung abgeschlossen hat, der auf der Straße als Einzelgänger lebt, der in seiner Jugendzeit schon im Gefängnis war und als Zwanzigjähriger „klauen“ geht, um überleben zu können – über den sagt die Gesellschaft, dass er frei war, das zu tun, was er wollte, und das er selbst daran schuld ist, wenn er wieder im Knast landet; da meinen wir, dass dieser Gedankengang nicht richtig, ja sogar bösartig ist (s. z. B. Auch Presley, Elvis: In the Ghetto).

Durch die finanzielle Entlohnung und die dadurch erschlossene Möglichkeit des generellen Konsums wird die Arbeit zur Nebensache, ein reines Mittel zum Zweck des Geldverdienens. Die Arbeit verliert dadurch ihren Stellenwert als sinnerfüllte Tätigkeit, der Arbeiter wird ein anonymer Teil der Produktion und beliebig austauschbar. Weil der Mensch seine wahren Bedürfnisse nicht befriedigen kann, sie im Laufe der Zeit gar nicht mehr wahrnimmt, schafft er einen Ausgleich für diesen Mangel, indem er konsumiert. Er konsumiert um des Konsums willen und nicht, um echte Bedürfnisse abzudecken. So schließt sich der Kreis, wenn der Mensch zuerst Dinge produziert, die er nicht braucht und danach diese Dinge konsumiert, obwohl daraus keine echte, besten-falls eine fiktive, kurzfristige Befriedigung hervorgeht.

Die Gesellschaft braucht den Menschen als Produzenten einerseits und als Verbraucher andererseits; sie versucht deshalb, ihn auf diese Rolle festzuschreiben.

Auswirkungen der gesellschaftlichen Ereignisse auf die Elter und die Sozialisation ihrer Kinder

Die zunehmende Spezialisierung im Arbeitsbereich, die dem Einzelmenschen monotone, scheinbar unzusammenhängende, sinnlose Arbeitshandlungen zuteilt, führt zu einer Entfremdung[8] des Arbeiters vom Arbeitsgeschehen und vom Arbeitsergebnis. Seine innere Anteilnahme verringert sich, sein Interesse an der Sache schwindet. Der Arbeitsprozess wird zu einem frustrierenden Ereignis, das nur noch in der Existenzsicherung begründet ist und ein notwendiges Übel darstellt. Daraus ergaben sich permanente Belastungen, die auf den Familienbereich Auswirkungen haben in der Form, dass dort die Fähigkeit, sich auf die Bedürfnisse der übrigen Familienmitglieder einzustellen, zu-nehmend geringer wird und primär eine Kompensationsmöglichkeit für die Befriedigung eigener Bedürfnisse gesucht wird. Verstärkt werden solche Belastungen dort, wo der Arbeitnehmer in der Anonymität eines Massenbetriebes untergeht, wo er ein unbedeutender (Produktions-) Faktor unter Tausenden wird und sich so als austauschbar und ersetzbar erlebt. Eine derart unbeachtete Persönlichkeit steht in Gefahr, im privaten Bereich ihre Selbstbestätigung darin zu suchen, anderen, vor allem schwächeren Menschen gegenüber ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Die Technisierung im Arbeits-leben, die neue, kaum noch überschau- und beherrschbare Möglichkeiten bereitstellt und den Arbeitnehmer in einen – im wahrsten Sinne des Wortes – unmenschlichen (Computer)- Wettbewerb stellt, schafft Ängste und Unterlegenheitsgefühle, die solche Prozesse verstärken und eskalieren lassen.

Das „dennoch Mithalten wollen“ in diesem Wettbewerb wird zu einem ständig beschleunigten Jagen nach Geld. Geld soll die materielle Existenz sichern und neue Konsummöglichkeiten erschließen, die wiederum als Ersatz für all die nicht erfüllten eigentlichen Bedürfnisse zu verstehen sind. Die wohl deutlichste Folge dieses Strebens nach mehr Geld zeigt sich in der Beteiligung der Frauen am beruflichen Wettbewerb. So sind z. B. oft beide Eltern in den Produktionsprozess eingespannt, die für die Kinder verbleibende Zeit wird geringer, die elterliche Zuwendung wird delegiert (an den Kindergarten, die Ganztagsschule, die Nachhilfe usw.) oder einfach drastisch eingeschränkt. Die Sozialisation der Kinder leidet dadurch zwangsläufig, denn wodurch könnte das menschliche Zusammenleben besser vorbereitet werden als eben durch das Gespräch, durch das Miteinander leben.

Die fehlende Kommunikation zwischen Eltern und Kindern versuchen viele Familien durch den Einsatz des Fernsehens und heute besonders mit dem Computer (Internet) auszugleichen. Abgesehen davon, dass viele, besonders kleinere Kinder überfordert sind von den Inhalten, der Geschwindigkeit der ablaufenden Bilder, abgesehen davon, dass viele Kindersendungen immer wieder banale Szenen (z. B. Verfolgungsjagden) wiederholen, können die Kinder keine Kommunikation zu dem Gerät aufbauen. Die Informationen fließen nur in eine Richtung, überschwemmen das Kind, ängstigen oder belustigen, machen es aber stets passiv und rezeptiv. Seine Fähigkeit des Denkens wird nicht mehr gefragt, seine natürliche Neugier wird mit Bildern zugedeckt, noch bevor es eine Frage stellen kann.

Menschliche Kommunikation vor dem Fernsehgerät wird in der Regel als störend erlebt und unterbunden. Die Figuren, die Menschen in den Filmen werden zu neuen Identifikationsfiguren der Kinder und erlangen eine Vater- oder Mutterqualität für das Kind, weil sie seine Bedürfnisse nach Information, Unterhaltung, Abwechslung und Zuwendung befriedigen, wenn auch das letzte nur scheinbar. Auch Werte werden über das Fernsehen an Kinder vermittelt, und viele davon sind negativ oder zumindest wirklichkeitsfremd. Das Fernsehen konfrontiert Kinder und Erwachsene pausenlos mit asozialem Verhalten Unfähigen, Kriminellen, Ungehobelter und Geisteskranker. Das andere Extrem sind die Superhelden, die unnatürliche Kraft und übermenschliche Fähigkeiten besitzen und schön und edel sind. Wenn die Kinder ihre Eltern mit den Fernsehhelden vergleichen, dann kommen ihnen die Eltern unzulänglich vor. Viele Kinder können zwischen Wirklichem und Erfundenem nicht unterscheiden.

Es ist zu befürchten, dass durch die Ausweitung des Programmangebotes und den Einsatz von Videorecordern sowie des Internets diese Prozesse noch zunehmen werden. In vielen Familien dürfte sich auch die eingeschränkte Wohnsituation ungünstig auswirken. In großstädtischen Wohnanlagen, in denen die Menschen auf engstem Raum unter-gebracht sind, wobei oft im wahrsten Sinne die „Spielräume“ fehlen, dominiert die gegenseitige Abgrenzung, weil die Angst gegenwärtig ist, man könne in seinem zu kleinen Freiraum noch weiter eingeschränkt werden. Der enge Wohnraum, dünne Wände, schlechte Isolierung, das Eingeschlossen sein in seinen „vier Wänden“ ohne freundliche Kontakte mit den Nachbarn führt dazu, dass die Kinder isoliert bleiben. Kinder lernen in diesen städtischen Wohnanlagen, dass man sich am besten in die eigene Wohnung zurückzieht und dass man außerhalb nicht anecken darf, am besten, man gibt sich unscheinbar und bleibt möglichst unauffällig.

Auswirkungen der Institution Schule auf die Sozialisation der Kinder

Die oben beschriebenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse bringen Institutionen hervor, die den Fortbestand dieser Gesellschaft sichern sollen. Eine solche Institution, die noch dazu im außerfamiliären Raum ganz entscheidend an der Sozialisation von Kindern und Jugendlichen beteiligt ist, ist die Schule. Die Schule der Gegenwart ist weitgehend zu einer Institution der Wissensvermittlung degradiert, auch wenn sie ihren erzieherischen Anspruch beteuert. Die Ganzheitlichkeit der Erziehung ist schon dadurch nicht herstellbar, weil man nicht von den Bedürfnissen der Kinder aus-geht, sondern glaubt, ihnen ein geschlossenes System von Wissenschaften vermitteln zu müssen, das z. B. keine Diskussion über Sinn und Zweck der Fächer oder der Lehrinhalte zulässt. Ein immer größer werdendes Problem besteht deshalb in der abnehmen-den Motivation der Kinder, deren Neugierde durch das Fernsehen bereits gesättigt ist und sie in der Schule wieder das nicht finden, was sie schon zu Hause schmerzlich vermissen mussten, nämlich emotionale Zuwendung, offene Kommunikation und die freie Auseinandersetzung mit Fragen, deren Beantwortung nicht vorgegeben ist.

Es ist klar, dass die Schule oder auch die Universität nicht für ein emotionales Defizit aufkommen kann, das seit der Kindheit und über die ganze bisherige Schulzeit bestanden hat. Die Schule aber könnte bei den Schülern die emotionale Sicherheit wesentlich stabilisieren (z.B. wenn der Lehrer und die Mitschüler den Schüler akzeptieren oder wenn er erfolgreich bei der Bewältigung des Unterrichtsstoffs ist).

Die Zentralisierung des Schulwesens, die zu größeren, teilweise unüberschaubaren Einheiten geführt hat, erzeugt ähnliche Effekte wie die Massenphänomene in Großbetrieben. Die Undurchschaubarkeit des Schulsystems für die Kinder, für die Eltern und teil-weise schon für die Lehrer selbst mach Pädagogik (das Führen eines Kindes) unmöglich, denn dazu ist in erster Linie Orientierung und Klarheit notwendig.

Die ständig zunehmende Quantität des Lernstoffes bei immer schnellerer Relativierung seiner sachlichen Berechtigung führt bei den Schülern zu Resignation und Unlust.

So gesehen vertritt die Schule nicht die Interessen der Kinder, sie kümmert sich nicht oder zumindest zu wenig um deren Anliegen und Nöte, sondern sie versucht, diese Kin-der an gesellschaftliche Zielvorgaben heranzuführen, wobei diese Ziele wiederum von Wenigen in der Gesellschaft festgelegt werden.

Wie erleben die Jugendlichen gesellschaftliche Verhältnisse

und wie reagieren sie darauf?

Die Jugendlichen sind seit den sechziger Jahren größtenteils unzufrieden. Sie empfinden, dass ihre wahren Anliegen keine Beachtung finden, ohne dass sie die Ursachen dafür benennen können. Sie haben wenig Chancen, diesen Ursache – Wirkungszusammenhang aufzuklären, weil sie mit einem formaldemokratischen Gesellschaftssystem konfrontiert sind, das ihnen einerseits global ein Mitspracherecht einräumt, das aber andererseits keine konkreten Wege einer wirklichen Mitbestimmung und Mitgestaltung aufzeigt. Vielmehr spüren sie die Folgen von Ungerechtigkeiten und die Unterlegenheit bei der Durchsetzung eigener Bedürfnisse.

Es scheint nur so, als sei diese pluralistische Gesellschaft tolerant. Die Rahmenbedingungen sind jedoch strikt vorgegeben, sie sind nicht diskutierbar, sie erscheinen unveränderbar. Hinter der Kulisse der Pluralität vollzieht sich eine ständige Polarisierung und Einengung auf eine materialistische Gewinnmaximierung, auf Effektivität und Anpassung. Vielfalt und Flexibilität gibt es nur noch im privaten Bereich bzw. bei einem kleinen, exklusiven Kreis von Personen.

Rein theoretisch existiert die Freiheit der Berufswahl und -ausübung, in der Praxis findet der Jugendliche aber ein Höchstmaß an Reglementierung, das ihm nur wenige oder vielleicht auch gar keine Möglichkeiten offen lässt. Gleiches gilt für neue Lebensformen, seien es Kleidungsgewohnheiten oder Möglichkeiten des Zusammenlebens, die bei praktischer Erprobung einen Sturm der Entrüstung auslösen.

Toleranz und Freiheit sind nur verbale Zugeständnisse, die Realität besteht aus Einengung und Manipulation. Typisch für alle Jugendlichen ist das Bestreben, neue Ziele ausfindig zu machen, neue Wege auszuprobieren und so zu eigenständiger Lebensplanung zu gelangen. Sie geraten damit in Widerspruch zu der geschilderten Realität und werden gezwungen, die mangelnde Übereinstimmung zwischen inneren Impulsen und äußerer Wirklichkeit zu ertragen.

Ideen, originelles Denken und Privatinitiative sind kaum gefragt, solange nicht klar ist, dass sich die betreffenden Personen nicht den vorgegebenen Zielen unterordnen, so lange also die „Gefahr“ nicht ausgeräumt ist, dass sie den vorgezeichneten Ablauf stören könnten. Weil das natürliche Interesse der Jugend, nämlich ihr Bestreben, sich an der Schaffung einer neuen, besseren gemeinsamen Zukunft zu beteiligen, immer wieder zurückgewiesen wurde (und immer noch wird), kam es seit den 60er Jahren in den modernen Industrienationen zu Protestaktionen bei Einzelnen, bei Gruppen, ja sie schienen allmählich die gesamte Jugend zu erfassen.

Welche Möglichkeiten bleiben den Jugendlichen?

Als erstes konnten sie versuchen, die wirklichen Zusammenhänge aufzuklären, aufzudecken und sich an konstruktiven, gesellschaftlich akzeptierten Lösungsversuchen beteiligen. Dies ist der schwierigste Weg, weil hierzu Unterstützung, Entgegenkommen und Verständnis bei den Erwachsenen notwendig wären und weil er zweifellos sehr mühsam ist.

Eine zweite Möglichkeit ist die Anpassung an die Logik der Konsumgesellschaft unter weitgehendem Verzicht auf eigenen Bedürfnisse. Dies befriedigt zunehmend weniger, weil immer mehr Menschen erkennen, dass so nur Ersatzlösungen geschaffen werden.

Die dritte Möglichkeit für junge Leute ist, dass sie die gesellschaftlichen Maximen rigoros ablehnt und nach alternativen Lösungen sucht. Ein Teil der Jugend hat sich dafür entschieden, die Flucht in die Religion anzutreten, in Drogen, in Musik und in eine Subkultur, die einen Ausweg und einen neuen Sinn für das Leben schaffen soll.

Seit den 60er Jahren betrachten die Jugendlichen die Normenwelt der Erwachsenen kritisch und kamen dabei zum Ergebnis, dass sie so nicht leben wollten. Sie wollten nicht konsumieren um des bloßen Konsums willen, sie wollten nicht ihr gesamtes Leben unter das Diktat der Leistung stellen, sie wollten nicht den Wettbewerb auf alle ihre zwischenmenschlichen Beziehungen übergreifen lassen, sie wollten nicht den fehlenden Lebenssinn durch das Anhäufen von Besitz ersetzen, sie wollten nicht ihre Hoffnungen auf ständiges quantitatives Übel hinnehmen und sie konnten nicht die atomare Bedrohung verdrängen. So musste es zwangsläufig zum Konflikt zwischen den Jugendlichen und den Erwachsenen kommen. Dieser Konflikt ist etwas anderes als der vielzitierte und als harmlos, weil vorübergehend, klassifizierte Generationskonflikt; er schuf tiefere Missverständnisse und setzte die Erwachsenen in den Augen der Jugendlichen dem Verdacht aus, dass sie ihrer Verantwortung für die Lebensgestaltung nicht mehr gerecht werden können.

Die Jugendlichen wandten sich verstärkt der Normenwelt der Gleichaltrigen zu; alle verband dabei die Suche nach eigener Identität und das Streben nach Selbstbestimmung. Dabei war nicht nur Ablehnung und Opposition spürbar, vielmehr zeigten sich auch kreative Lösungsansätze. Seit Mitte der 60er Jahre entstanden vielerorts „alternative“ Handwerksbetriebe, Landkommunen, Therapieeinrichtungen, Verlage, Theatergruppen, Musikgruppen usw. Trotz der Vielfalt der Projekte ließen sich gemein-same Ziele ausmachen: selbstbestimmtes Arbeiten, gleiche Rechte aller Gruppenmitglieder, weitgehende Abkehr vom Gewinnprinzip, Abbau der Arbeitsteilung, ökologische Verantwortung bei der Herstellung der Produkte, zusammengefasst die Wiederherstellung der Einheit von Wohnen, Arbeit und Leben. Solche Ansätze boten nicht nur Jugendlichen, sondern auch den Erwachsenen neue Möglichkeiten mit dem Verhältnis von Selbstbestimmung und Fremdbestimmung zu experimentieren, die Grenzen zu verschieben hin zu mehr Autonomie und Selbstverwirklichung. Die Bildung einer Subkultur war der Versuch, wenigstens eine vorläufige Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen zu erreichen, welche die Jugendlichen im Elternhaus, in der Schule, in der Gesellschaft erlebten; sie war der versuche, die ständig größer werdenden Anforderungen des modernen alltäglichen Lebens, denen sie sich nicht gewachsen fühlen, abzuwehren. Diese Subkultur stand den damals vorherrschenden idealen der westlichen Welt wie Materialismus, Wettbewerb, Technologie, Konsum und Militarismus ablehnend gegenüber.

Die Lebensqualität nahm ab, es kam zu einer Entwurzelung der Jugendlichen, die sich nicht geborgen und in Übereinstimmung mit den Erwachsenen fühlten; Gefühle der Einsamkeit, des Unverstanden seins, dominierten angesichts der gestörten Kommunikation zwischen den Jugendlichen und Erwachsenen. Bei den jungen Menschen breitete sich Unsicherheit und Resignation aus. Die gestörte Beziehung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen sollten nach Meinung der Erwachsenen verbessert werden durch professionelle Beziehungspfleger (Sozialarbeiter, Psychologen), durch demonstrative Gespräche mit „der Jugend“ (auf Parteitagen, Kirchentagen, im Parlament) und durch andere Alibi-Aktivitäten. Dadurch versucht die Erwachsenengeneration sich gegen den Vorwurf abzusichern, sie hätte die Missverständnisse hingenommen und nichts zu ihrer Beseitigung beigetragen. Das gesellschaftliche System wurde dabei in keinem Augen-blick in Frage gestellt, vielmehr wurde dem Einzelnen vorgeworfen, er wolle sich nicht anpassen und einfügen und müsse deshalb auch die volle Verantwortung dafür tragen (Schuldzuweisung). Die bestehende Ordnung wurde dadurch legitimiert.

Das menschliche Verhalten resultiert im wesentlichen aus den drei Wurzeln: Anlagen, Umwelteinflüsse und Selbstbestimmung. In unserer Gesellschaft wird die Selbstbestimmung verbal nur bejaht, sie wird zudem als wichtiger Faktor betont (Selbstbestimmung als Ausdruck freiheitlicher Gesellschaftsordnung), wobei in der Wirklichkeit die Entwicklung dieser Autonomie und Eigenidentität massiv erschwert wird, sodass die Umwelteinflüsse, d.h. Die Anpassungsmechanismen der Gesellschaft ein Übergewicht gewinnen.

[...]


[1] Frankl, V.: Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn. München 1979

[2] Maslow, H.A.: Psychologie und Persönlichkeit. Freiburg i. B. 1987

[3] Fromm, E.: Wege aus einer kranken Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1980.

[4] Ebenda, S. 95.

[5] Maslow, H. A.: Psychologie des Seins, München, 1973.

[6] Markuse, H.: Der eindimensionale Mensch. Neuwied, 1971.

[7] Strauss, G.: The personality versus Organisation Hypothesis, in Concepts and Controversy of Organizational Behavior. Goodyear Publishing Company, 1972.

[8] Fromm, E.: Das Menschenbild bei Marx, 1982, S. 49.

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Musik und Jugend - Aufschrei aus hunderttausend Kehlen
Subtítulo
Eine soziologische und sozialpsychologische Analyse der Rockmusik in den 50er, 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts
Autor
Año
2011
Páginas
67
No. de catálogo
V183649
ISBN (Ebook)
9783656081876
ISBN (Libro)
9783656081647
Tamaño de fichero
593 KB
Idioma
Alemán
Notas
Versuch einer sozialpsychologischen Annalyse der Rockmusik.
Palabras clave
musik, jugend, aufschrei, kehlen, eine, analyse, rockmusik, jahren, jahrhunderts
Citar trabajo
Lazar Curic (Autor), 2011, Musik und Jugend - Aufschrei aus hunderttausend Kehlen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/183649

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Título: Musik und Jugend - Aufschrei aus hunderttausend Kehlen



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