Soziale Organisation und Theorieprogramm: Zur institutionellen Biographie des AJK


Diploma Thesis, 1997

294 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Vowort

1. Einleitung

I. Wissenschaftsphilosophie und Wissenschaftssoziologie: Perspektiven für eine integrative Analyse wissenschaftlichen Wissens
2. Entwicklungslinien in der Wissenssoziologie und Wissenschaftssoziologie
2.1 Die Wissenssoziologie von K. Mannheim
2.2 Die funktionalistische Wissenschaftssoziologie von R. K. Merton
2.3 Die anti-positivistische Wende in der Wissenschaftsforschung
2.3.1 T. S. Kuhns Konzept der Wissenschaftsentwicklung
2.3.2 Epistemologische Kritik an T. S. Kuhns Paradigmabegriff
2.4 Die Soziologie wissenschaftlichen Wissens
3. Wissenschaftssoziologie und Wissenschaftsphilosopie: Die Frage nach der Geltung wissenschaftlichen Wissens
4. Ein integrativer Ansatz für die Wissenschaftssoziologie: Soziale und kognitive Faktoren als konstitutive Elemente wissenschaftlichen Wissens

II. Etablierung und Entwicklung eines neuen Paradigma in der Kriminologie: Die kritische Kriminologie und der AJK als scientific community
5. Die soziale Organisation des AJK und ihre Entwicklung von 1969-1996
5.1 Ziele des AJK
5.2 Formalisierung der Eintritts- und Austrittsbedingungen im AJK und seiner differenzierten Binnenstruktur
5.3 Geschäftsführung des AJK
5.4 Redaktion des KrimJ
5.5 Sozialpolitischer Ausschuß des AJK
5.6 Personelle Zusammensetzung des AJK
5.7 Regionale Schwerpunkte im AJK
5.8 Der AJK und seine Beziehungen zur Umwelt
5.8.1 Beziehungen zur Öffentlichkeit
5.8.2 Beziehungen zur Sektion „Soziale Probleme und soziale Kontrolle“ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
5.8.3 Beziehungen zur Deutschen Forschungsgemeinschaft
5.8.4 Beziehungen zu anderen kriminologischen Gesellschaften in Deutsch- land
5.9 Personelle Institutionalisierung an den Lehrstühlen deutscher Universitäten
6. Die Analyse der Entwicklung der sozialen Organisation des AJK in bezug auf seine Funktion als scientific community
7. Das KrimJ als Kommunikationsmedium des AJK
7.1 Intention und Aufbau des KrimJ
7.2 Zwanzig Jahre KrimJ und ein virtuelles Beiheft
7.3 Bibliometrische Analyse zur thematischen Entwicklung der kritischen Kriminologie
7.3.1 Die Untersuchungskonzeption
7.3.2 Themenanalyse des Kriminologischen Journals
7.3.3 Autorenanalyse des Kriminologischen Journals
7.3.4 Auswertung der Datenbank SOLIS zum Schlagwort „labeling approach“
8. Das Theorieprogramm der kritischen Kriminologie und seine Entwick- lung von 1969-1996
8.1 Die Krise der traditionellen Kriminologie als konstitutives Element eines neuen Paradigmas in der Kriminologie
8.2 Die Grundpositionen der kritischen Kriminologie Anfang der 70er Jahre
8.2.1 Der negative Konsensus im AJK als Ausgangspunkt einer kritischen Kriminologie: Die Kritik an der traditionellen Kriminolgie
8.2.2 Der fehlende positive Konsensus im AJK: Die kontroverse Kons- titution der kritischen Kriminologie in 70er Jahren
8.2.2.1 Die Zuspitzung auf ein „Entweder-Oder“ in der kritischen Kriminologie: Zwei programmatische Versuche der theoreti- schen Fundierung einer kritischen Kriminologie
8.2.2.1.1 Die „marxistisch-interaktionistische“ Theorie von F. Sack
8.2.2.1.2 Die Kontroverse zwischen F. Sack und K. D. Opp
8.2.2.1.3 Die Grundsatzkritik von D. und H. Peters an der traditionellen Kriminologie aus sozialwissenschaft- licher Perspektive
8.2.2.2 Positionen eines integrierenden „Sowohl-Als-auch“ in der kritischen Kriminologie
8.2.2.3 Keine Integration möglich?: Probleme und Perspektiven des labeling approach aus der kritischen Sicht von W. Keckeisen
8.2.2.4 Die marxistische Kritik an der kritischen Kriminologie, insbe- sondere an Sacks „marxistisch-interaktionistischer“ Theorie
8.3 Abgege in der kritischen Kriminologie Ende der 70er
8.4 Der Abolitionismus als Kriminalpolitik der kritischen Kriminologie
8.4.1 Die Diskussion um den Abolitionismus
8.4.2 Bezüge der abolitionistischen Perspektive auf die Habermassche Ge- sellschaftstheorie
8.4.3 Abolitionismus und labeling approach
8.5 Die gesellschaftstheoretische Wendung der Etikettierungstheorie: Ein Aus- bruchsversuch aus den disziplinären Schranken der Kriminologie
8.6 Historisierung in der Kriminologie: Erweiterung oder Verengung der kriti- schen Kriminologie durch historische Forschung?
8.7 Die Diskussion um den „linken Realismus“ in der Kriminologie
8.8 Feministische Theorie und kritische Kriminologie
8.9 Die Ersetzung eines Begriffes? „Soziale Kontrolle“ vs. „Soziale Ausschlie- ßung“ als Zentralbegriff einer kritischen Kriminologie
8.10 Die kritische Kriminologie am Ende (des 20. Jhd.)?
8.10.1 Das Thema „Gewalt“ (von rechts): Kritische Kriminologen als atypische Moralunternehmer
8.10.2 Die Krise der kritischen Kriminologie am Ende der 90er Jahre: Kritische Ätiologie als Metamorphose der kritischen Kriminologie?

III. Das Interdependenzverhältnis zwischen scientific community und Theorieprogramm als konstitutives Element eines Paradigmas
9. Interdependenz zwischen der Entwicklung der sozialen Organisation des AJK und dem Theorieprogramm der kritischen Kriminologie
10. Ausblick

IV. Anhang
Anhang A: Übersicht über die Themen der Schwerpunkthefte des KrimJ
Anhang B: Übersicht über die AJK-Symposien und Tagungen von 1969 bis 1996
Anhang C: Codebuch der Themenanalyse des KrimJ
Anhang D: Zusammensetzung der Herausgeberschaft des KrimJ von 1969 bis 1996
Anhang E: Herkunftsdisziplin und Arbeitsstätte der Herausgeber des KrimJ aus den Jahren 1969, 1972, 1980 und 1996
Anhang F: Geburts- und Promotionsjahrgang der Herausgeber des KrimJ aus den Jahren 1969 und 1972
Anhang G: Konzept für das 3. Beiheft des KrimJ über Reflexionen zur zwanzig- jährigen Geschichte des KrimJ und des AJK
Anhang H: Aufstellung der ausgewerteten AJK-Rundschreiben und -briefe, sowie der Protokolle des wissenschaftlichen Beirats des KrimJ
Anhang I: Akzente für eine zukünftige AJK-Politik

Verzeichnis der Abkürzungen

Literaturverzeichnis

Vorwort

Die ursprüngliche Idee zu der vorliegenden Diplomarbeit ist aus einem im WS 1994/95 vorgetragenen und anschließend ausgearbeiteten Referat zum Thema „Zur Positionsbestimmung der `Kritischen Kriminologie´“ entstanden. Damals ist es die Idee gewesen, eine ideengeschichtliche Aufarbeitung des labeling approach zu leisten und die Rezeption der Habermasschen Gesellschaftstheorie innerhalb der kritischen Kriminologie aufzuzeigen. Diese Idee konnte sich allerdings in zahlreichen Gesprächen mit dem Erstgutachter dieser Arbeit nicht durchsetzen. Um dem sozialwissenschaftlichen Studiengang, in dessen Rahmen diese Diplomarbeit geschrieben worden ist, Tribut zu zollen, ist einvernehmlich ein wissenschaftssoziologischer Ansatz für die Beschäftigung mit der kritischen Kriminologie gewählt worden. Mit dieser Entscheidung und meiner Präferenz für ideengeschichtliche und wissenschaftstheoretische Fragestellungen (siehe beispielsweise Kapitel 3) ist dann auch die Grundlage für den nicht unerheblichen Umfang dieser Diplomarbeit gelegt worden.

Durch die wissenschaftssoziologische Fragestellung besteht diese Arbeit eigentlich aus drei verschiedenen Zugängen zum Untersuchungsgegenstand und stellt damit die Anforderung, in verschiedenen „Bindestrichsoziologien“ sozialisiert zu sein: In der Wissenschaftssoziologie, für die Erarbeitung der Untersuchungskonzeption, der Organisationssoziologie, für die Aufarbeitung der sozialen Organisation des AJK und der Soziologie abweichenden Verhaltens und sozialer Kontrolle für die Darstellung des Theorieprogramms der kritischen Kriminologie. Aufgrund meiner akademischen Sozialisation, in der ich vor dieser Arbeit nicht mit organisationssoziologischen Fragestellung konfrontiert worden bin, ist die Beschäftigung mit der Organisationssoziologie in dieser Arbeit etwas zu kurz gekommen. Trotzdem bin ich der Meinung, daß die Erarbeitung der sozialen Organisation des AJK, soweit sie als solche überhaupt existiert, im Hinblick auf die Fragestellung der Arbeit geglückt ist.

Während der Erarbeitung der einzelnen Teile dieser Arbeit, (1) die wissenschaftssoziologische Untersuchungskonzeption, (2) die soziale Organisation des AJK, (3) das Theorieprogramm der kritischen Kriminologie und (4) das Interdependenzverhältnis, mußte ich leider mit Entsetzen feststellen, daß die Arbeit immer umfangreicher geworden ist. Obwohl ich mir am Anfang ein Limit von maximal 200 Seiten (plus Anhang) gesetzt habe, sind daraus 300 (inklusive Anhang) geworden. Trotz dieses, für eine Diplomarbeit schon ungewöhnlichen Umfangs bin ich der Meinung, daß dieser gerechtfertigt ist. Der Umfang der Arbeit liegt zum einen darin begründet, daß es sich eigentlich um drei verschiedene Zugangsweisen zum Untersuchungsobjekt handelt und es zur Entwicklung der sozialen Organisation des AJK noch keine Vorarbeiten gibt, auf die ich mich hätte stützen können oder auf die ich hätte verweisen können, so daß ich, die Fragestellung immer im Blick, auch teilweise Details in die Arbeit aufnehmen mußte. Zum anderen denke ich, stellt die Reduktion von sieben großen Elba-Ordnern voller Kopien (zuzüglich der nicht fotokopierten Monographien) schon eine erhebliche Reduktion von Komplexität dar. Außerdem ist die Erarbeitung eines Koordinatenkreuzes über die in der kritischen Kriminologie behandelten Themen, auf der Grundlage der Artikel des Kriminologischen Journals, in eine Themen- und Autorenanalyse des Kriminologischen Journals gemündet. Natürlich hätte man das Kapitel über das Theorieprogramm der kritischen Kriminologie auch kürzen können, aber nur unter Verlust der Rekonstruktion auch kleinerer Verästelungen der Theoriediskussion und des Verständnisses. Hinzu kommt, daß es sich um die Rekonstruktion von sozialer Organisation und Theorieprogamm von fast drei Jahrzehnten handelt.

Abschließend möchte ich noch bemerken, daß ich im Hinblick auf die Fragestellung der Arbeit versucht habe, eigene Stellungnahmen bei der Rekonstruktion der sozialen Organisation und des Theorieprogramms zu unterdrücken oder in Fußnoten zu verbannen. Rückblickend betrachtet ist mir dies aber leider nicht immer gelungen, daher bitte ich um Nachsicht, die Versuchung war manchmal einfach zu groß.

Bedanken möchte ich mich in diesem Zusammenhang im besonderen bei Frau Dr. H. Cremer-Schäfer, die das Anliegen meiner Arbeit im AJK unterstützt und sich die Zeit genommen hat, mir eine erste Einführung in die soziale Organisation des AJK zu geben. Außerdem möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. M. Brusten bedanken, der mir freundlicherweise seine Materialien über den AJK, insbesondere die AJK-Rund­schreiben und alle Rundschreiben des wissenschaftlichen Beirats des KrimJ zur Ver­fügung gestellt hat, ohne die das Kapitel über die soziale Organisation des AJK nicht möglich gewesen wäre.

Mein ganz besonderer Dank gilt Frau S. Wagener, die sich der mühsamen Aufgabe unterzog, das Manuskript zu redigieren. Darüber hinaus hat sie die für mich inspirierende und wohltuende Rolle übernommen, den Text ohne fachspezifische Scheuklappen zu kritisieren. Außerdem möchte ich mich bei Frau Dipl.-Des. C. Wozniak für die Hilfe bei der graphischen Umsetzung der Entwicklung des Formalisierungsgrad im AJK und der aus ihm entstandenen Institutionen (Abb. 02) bedanken.

Wuppertal, im Mai 1997 Stefan Drees

1. Einleitung

Die vorliegende Diplomarbeit beschäftigt sich mit der Frage, in welcher Weise sich die soziale Organisation einer scientific community und ihr Theorieprogramm gegenseitig beeinflussen. Dahinter steht die These, daß die Entstehung, Entwicklung und Geltung von wissenschaftlichen Wissen abhängig ist von kognitiven und sozialen Faktoren. Beide Faktoren sind für das wissenschaftlichem Wissen konstitutiv. Exemplarisch wird diese Frage in dieser Arbeit anhand der sozialen Organisation des Arbeitskreises Junger Kriminologen (AJK) als die scientific community der kritischen Kriminologie und dem Theorieprogramm der kritischen Kriminologie behandelt.

Der erste Teil dieser Arbeit legt die wissenschaftssoziologische Untersuchungskonzeption dieser Arbeit dar. Ich beginne in Kapitel 2 und 3 mit der Erörterung der bisherigen Konzepte zum Verhältnis von kognitiven und sozialen Elementen bei der Genese und Geltung wissenschaftlichen Wissens. Dabei wird auf Ansätze der Wissenschaftsphilosophie und -soziologie sowie der Wissenssoziologie zurückgegriffen. Auf der Grundlage der konstruktiven Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen in Kapitel 2 und 3 wird in Kapitel 4 der eigene Untersuchungsansatz präsentiert.

Der zweite Teil dieser Arbeit dient der Rekonstruktion der beiden Elemente soziale Organisation und Theorieprogramm, deren Interdependenzverhältnis im Untersuchungszeitraum von 1968 bis 1996 analysiert werden soll. In Kapitel 5 wird die soziale Organisation des AJK beschrieben und anschließend in Kapitel 6 erste analytische Schlüsse im Hinblick auf ihre Funktion als eine scientific community gezogen. Anschließend gibt in Kapitel 7 eine Themenanalyse der Fachzeitschrift des AJK einen Überblick über die von der kritischen Kriminologie im Untersuchungszeitraum behandelten Themen. Danach erfolgt in Kapitel 8 die Rekonstruktion des Theorieprogramms der kritischen Kriminologie, wobei ich auch auf die aktuellen Entwicklung in den Jahren 1996 und 1997 eingehen werde.

Der dritte Teil dieser Arbeit versucht die in Kapitel 5 bis 8 isoliert dargestellten Elemente in einen interdependenten Zusammenhang zu bringen. Abschließend gibt Kapitel 10 einen Ausblick auf weiterführende Fragestellungen im Zusammenhang mit der Entwicklung der kritischen Kriminologie, die über diese Arbeit hinausweisen.

I. Wissenschaftsphilosophie und Wissenschaftssoziologie: Perspektiven für eine integrative Analyse wissenschaftlichen Wis- sens

Die Wissenschaftsphilosophie analysiert die interne Gesetzmäßigkeit wissenschaftlicher Entwicklung. Dagegen untersucht die traditionelle Wissenschaftssoziologie die externen Faktoren der wissenschaftlichen Entwicklung sowie die sozialen Strukturen der Wissenschaft. Der Untersuchungsgegenstand der traditionellen Wissenschaftssoziologie wird bis zum Ende der 60er Jahre von den normativen Vorstellungen der analytischen Wissenschaftsphilosophie geprägt. Die analytische Wissenschaftsphilosophie weist bekanntermaßen dem wissenschaftlichen Wissen gegenüber dem Alltagswissen eine epistemologische Sonderstellung zu, da dieses durch zeitlos gültige Verfahrensregeln und universale Beurteilungsstandards rational bestimmt sei. Innerhalb dieses Prozesses ordnet sie soziale Faktoren als externe Determinanten ein, die das wissenschaftliche Wissen während seiner Genese kontaminieren und deshalb möglichst eliminiert oder zumindest kontrolliert werden müssen. Der Einfluß der sozialen Faktoren und somit auch der Untersuchungsgegenstand der traditionellen Wissenschaftssoziologie beschränkt sich demnach nur auf die Genese wissenschaftlichen Wissens und nicht auf seine Geltung, wobei unter Geltung eine rationale Gel­tung, das heißt die Übereinstimmung zwischen einer Aussage und der als unabhängig von einem erkennenden Subjekt gedachten Realität, verstanden wird.[1] Von der Frage nach der Gültigkeit wissenschaftlichen Wissens und der Analyse des Prozesses, wie wissenschaftliches Wissen Gültigkeit erlangt, wird demnach die traditionelle Wissenschaftssoziologie völlig ausgeschlossen. Die traditionelle Wissenschaftssoziologie hat noch die daraus resultierende Arbeitsteilung akzeptiert. Wissenschaftsphilosophie und (traditionelle) Wissenschaftssoziologie sind infolgedessen säuberlich voneinander geschiedene Untersuchungsansätze und exemplifizieren dadurch die Dichotomie von internen und externen Determinanten der Genese wissenschaftlichen Wissens.

Eine frühe Ausnahme stellt dabei die Wissenssoziologie, deren Untersuchungsgegenstand insofern von dem der (traditionellen) Wissenschaftssoziologie abweicht, indem sich die Wissenssoziologie nicht nur für das Zustandekommen des wissenschaftlichen, sondern aller Formen des Wissens in einer Gesellschaft interessiert, von K. Mannheim dar. Hier wird die soziale Gebundenheit des Wissens, nicht nur seiner Genese, sondern auch seines Inhalts, in den Mittelpunkt gerückt. K. Mannheim postuliert nicht mehr eine epistemologische Unterscheidung zwischen wissenschaftlichem Wissen und Alltagswissen, klammert dabei allerdings das naturwissenschaftliche Wissen aus. Die traditionelle Wissenschaftssoziologie, die lange Zeit von der Wissenssoziologie getrennt gewesen ist, geht dagegen grundsätzlich von einem epistemiologischen Sonderstatus allen wissenschaftlichen Wissens aus und beschränkt sich auf die Analyse der institutionellen Rahmenbedingungen und der sozialen Organisation der Wissenschaft. Demnach erfolgt innerhalb der traditionellen Wissenschaftssoziologie in der Zeit nach K. Mannheim eine Verengung auf die Genese des wissenschaftlichen Wissens, die K. Mannheim bereits überwunden hat. Erst nach der anti-positivistischen Wende, die den epistemologischen Sonderstatus allen wissenschaftlichen Wissens in Frage stellt, näherten sich Wissens- und Wissenschaftssoziologie wieder aneinander an, und die Verengung auf die Genese wissenschaftlichen Wissens wird wieder aufgehoben. Die nun entstandene „Soziologie wissenschaftlichen Wissens“ tritt wieder mit dem Anspruch auf, die soziale Gebundenheit der Genese und der Geltung wissenschaftlichen Wissens zum Gegenstand soziologischer Untersuchungen zu machen. Innerhalb dieser neuen Richtung der Wissenschaftssoziologie werden die Erkenntnisse aus der anti-positivistischen Wende radikal angewendet und dem wissenschaftlichen Wissen ein erkenntnistheoretischer Sonderstatus konsequent abgesprochen. Die radikalsten Vertreter einer „Soziologie wissenschaftlichen Wissens“ postulieren sogar die Ersetzung der Wissenschaftstheorie durch die Wissenssoziologie.

Die Entwicklung dieses Konflikts zwischen einer idealistischen und einer historisch-materialistischen Vorstellung der Wissenschaftsentwicklung wird in diesem Kapitel anhand exemplarischer Beispiele nachvollzogen, um das Potential eines möglichen integrativen Interpretationsrahmens zwischen Wissenschaftsphilosophie und -sozio-logie, zwischen kognitiven und sozialen Elementen der Wissenschaftsentwicklung aufzuzeigen. Dabei werden weder alte, bereits „geschlagene Schlachten“ nocheinmal ausgetragen, noch wird ein lückenloser historischer Abriß der Geschichte der Wissens- und Wissenschaftssoziologie geleistet. Die Ausführungen im folgenden Kapitel dienen nur dazu, den jeweils in den materialistisch/externen und auch idealistisch/internen Positionen weilenden Determinismus aufzudecken, um ihn dann in einer integrativen Perspektive überwinden, sowie die Potentiale dieser beiden Positionen für einen integrativen Ansatz herauszuarbeiten zu können.

In den darauf folgenden Kapiteln werden zum einen die erkenntnistheoretischen Probleme dieser Ansätze erörtert, insbesondere im Hinblick auf die Frage nach der Geltung wissenschaftlichen Wissens, und zum anderen wird der sich aus dem beschriebenen Potential ergebende integrative Ansatz dargestellt. Ausgangspunkt für diesen integrativen Ansatz ist dabei die Postulierung einer Interdependenz zwischen kognitiven und sozialen Elementen der Genese und Geltung wissenschaftlichen Wissens.

2. Entwicklungslinien in der Wissenssoziologie und Wissenschaftssoziologie

2.1 Die Wissenssoziologie von K. Mannheim

Die Ausgangsvorstellung der Wissenssoziologie stammt von K. Marx und beruht auf seiner allgemeinen Behauptung, daß das gesellschaftliche Sein das Bewußtsein bestimmt. Dabei wird für K. Marx das gesellschaftliche Sein oder der „Unterbau“ in erster Linie von den ökonomischen Verhältnissen bestimmt. Bei ihm und bei M. Weber wird die Grundlage für eine kultursoziologische Perspektive gelegt, die erst heute wieder für die Wissenschaftssoziologie bedeutsam wird. Diese kultursoziologische Perspektive stellt die Frage nach dem Bedingungsverhältnis von sozialen Strukturen auf der einen und Ideen, Werte und somit indirekt auch der Wissenschaft auf der anderen Seite. M. Weber weist zum Beispiel in seiner Abhandlung über „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ eindringlich darauf hin, daß es „... nicht die Absicht sein [kann], an Stelle einer einseitig `materialisti­schen´ eine ebenso einseitig spiritualistische kausale Kultur- und Geschichtsdeutung zu setzen. Beide sind zwar gleich möglich, aber mit beiden ist, wenn sie nicht Vorarbeit, sondern Abschluß der Untersuchung zu sein beanspruchen, der historischen Wahrheit gleich wenig gedient“[2]. Allerdings erfährt man von M. Weber nicht, wie er sich eine Vermittlung vorstellt.

Die Beziehung zwischen dem sozialen Sein und Bewußtsein wird in der Nachfolge von K. Marx und M. Weber zum zentralen Thema der Wissenssoziologie. Auf der Grundlage des Marxschen Basis-Überbau-Schemas wird zum Beispiel von M. Scheler und vor allem K. Mannheim der Begriff des „sozialen Seins“ und der Ideologiebegriff aus ihrem spezifischen theoretischen Zusammenhang herausgelöst und ausgeweitet. Das soziale Sein beschränkt sich bei beiden nicht mehr nur auf die ökonomischen Verhältnisse, sondern bezieht sich auf alle sozialen Faktoren, und der Ideologiebegriff wird auf das gesamte menschliche Denken ausgeweitet. K. Mannheim, der als Begründer der klassischen Wissenssoziologie in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts gilt, nimmt mit seinem totalen Ideologiebegriff, der über den Ideologiebegriff des Marxismus hinausgeht, die radikalste Position ein.

Die Wissenssoziologie ist für K. Mannheim eine soziologische Disziplin, „... die als Theorie eine Lehre von der sogenannten `Seinsverbundenheit´ des Wissens aufzustellen und auszubauen und als historisch-soziologische Forschung diese `Seinsver­bundenheit´ an den verschiedenen Wissensgehalten der Vergangenheit und Gegenwart herauszustellen bestrebt ist“[3]. Mit der „Seinsverbundenheit“ des Wissens meint K. Mannheim allgemein eine Perspektivität des Wissens. Das Wissen wird nicht „von der Sache her“ bestimmt, sondern entscheidend und nicht nur peripher von außertheoretischen Faktoren, die er „Seinsfaktoren“ nennt.[4] Alles Wissen ist demnach abhängig vom sozialen und historischen Standort des Denkenden, so daß man bei jeder historisch-politischen Leistung feststellen kann, „... von wo aus die Dinge gesehen wurden“[5]. Daraus entwickelt K. Mannheim seine, über den marxistischen Ideologiebegriff hinausgehende, Ideologienlehre und führt die Unterscheidung zwischen einem partikularen und einem totalen Ideologiebegriff ein. Der partikulare Ideologiebegriff, der dem marxistischen Ideologiebegriff entspricht, unterstellt eine Seinsgebundenheit einzelner Ideen, die als bewußte Fälschungen entlarvt werden sollen. Demgegenüber unterstellt der totale Ideologiebegriff von K. Mannheim eine notwendige Standortgebundenheit des gesamten Denkens, also aller Menschen und zu jeder Zeit. Da die daraus resultierende Einseitigkeit nicht auf eine bewußte Fälschung zurückgeht, sondern „... sich das gesellschaftliche Gefüge mit allen seinen Phänomenen offenbar notwendigerweise den an verschiedenen Punkten dieses Gefüges verankerten Beobachtern verschieden gibt“[6], wird diese Form der Ideologie für K. Mannheim zum Gegenstand der Wissenssoziologie.

Diese Konzeption von K. Mannheim beinhaltet zwei erkenntnistheoretische Implikationen, die zu einer heftigen Kritik an seiner Konzeption führen, und gegen die sich K. Mannheim in verschiedener Weise zu schützen sucht. Zum einen handelt es sich dabei um das Relativismusproblem, den die „... These der `Seinsgebunden­heit´ des Wissens impliziert, radikal interpretiert, nicht nur, daß die Richtung, die das Denken nimmt, von sozialen Faktoren mitbeeinflußt ist, sondern behauptet zusätzlich eine `Seinsrelativität´ auch für den context of justification[7]. Das bedeutet, daß es keine übergreifende Evaluationskriterien für konkurrierende Geltungsansprü­che gibt. Zum anderen handelt es sich dabei um ein Reflexivitätsproblem, da K. Mannheim auch die Wissenssoziologie selbst als ideologisch ansieht. Die Perspektive der Wissenssoziologie steht für K. Mannheim selbst nicht außen vor, sondern ist genauso perspektivisch wie irgendein anderes Wissen auch und kann somit keine absolute Gültigkeit für sich beanspruchen. Um dem Relativismus-Vorwurf zu entkräften, entwickelt K. Mannheim zwei Strategien und zwar einerseits die Selbstbeschränkung und andererseits ein Konzept von Objektivität, das mit seiner These der „Seinsver­bundenheit“ des Wissens zu vereinbaren ist.[8] Die Selbstbeschränkung bezieht sich darauf, daß, obwohl K. Mannheim in manchen Formulierungen von der Seinsverbundenheit „des Denkens“[9] spricht, er den Bereich des naturwissenschaftlichen und des mathematischen Denkens davon ausnimmt und sich nur auf „... das historische Denken ..., das politische Denken, das Denken in den Geistes- und Sozialwissenschaften und auch das Denken des Alltags“[10] bezieht.

K. Mannheim ist sich des Relativismusproblems für das nicht von der „Seinsver­bundenheit“ ausgenommene Wissen durchaus bewußt[11], aber er behauptet dagegen, daß aus seinem Konzept nicht folge, „... daß man das Postulat der Objektivität und Entscheidbarkeit sachhaltiger Diskussionen preisgibt oder einem Illusionismus huldigt, wonach alles Schein und nichts entscheidbar ist, sondern nur ..., daß diese Objektivität und Entscheidbarkeit nur auf Umwegen herstellbar ist“[12]. Die Objektivität soll durch ein Übersetzen und Umrechnen der verschiedenen Perspektiven, oder Aspektstrukturen, wie K. Mannheim es nennt, ineinander erreicht werden. Für die Entscheidung, welche Perspektive die optimale ist, gibt K. Mannheim folgendes Kriterium an: „die größte Fassungskraft, die größte Fruchtbarkeit dem empirischen Material gegenüber“[13]. Demnach stellt K. Mannheim die Existenz eines Ansichseins sozialer Phänomene nicht in Frage, aber der Mensch kann sie nur unter bestimmten Perspektiven wahrnehmen. Damit folgt K. Mannheim erkenntnistheoretisch dem empirischen Realismus von I. Kant. Die Mannheimsche Objektivität postuliert demnach nicht eine Aufgabe dieser dem Denken inhärente Perspektivität, sondern eine Synthese von möglichst vielen Perspektiven. Je größer die Vielfalt der Perspektiven ist, die sich auf den Gegenstand des Denkens richten, umso deutlicher wird dieser. Das Erreichen einer absoluten Synthese ist aber nicht möglich, denn auch die Synthese verschiedener Perspektiven des Denkens unterliegt der Seinsgebundenheit. Die konkrete Vermittlung zwischen sozialen und kognitiv inhaltlichen Strukturen bleibt dabei unklar.

2.2 Die funktionalistische Wissenschaftssoziologie von R. K. Merton

In den dreißiger Jahren entsteht, neben der Entwicklung der Wissenssoziologie, die vorwiegend von R. K. Merton initiierte funktionalistische Wissenschaftssoziologie. Innerhalb dieser funktionalistischen Wissenschaftssoziologie geht es um die Frage der Funktionalität bestimmter sozialer Bedingungen für die Entstehung, die innere Entwicklung und den weiteren Bestand der modernen Wissenschaften.

Dabei unterstellt R. K. Merton bei seinen Ausführungen zwar einen positivistischen Wissenschaftsbegriff, wonach die Bedeutung von Begriffen identisch ist mit der Art ihrer empirischen Überprüfung und die Wissenschaft durch eine logischen Methode ausgezeichnet ist, aber durch seine funktionalistische Position, die die Motive und Folgen von Handeln, im Gegensatz zu den kognitiven Aspekten von Handeln, hervorhebt, ist er gezwungen, die Wissenschaft letztlich auf non-rationale Verpflichtungen zu gründen. Nach den Vorstellungen des Funktionalismus geben nicht bestimmte Ziele und Zwecke den Anstoß zum Handeln, sondern Gefühle und Werte. Aus diesem Grund versucht R. K. Merton aufzuzeigen, „... daß die Konformität des Wissenschaftlers mit den positivistischen Regeln wissenschaftlicher Untersuchung durch non-logische soziale Gefühle und nicht durch Vernunft garantiert wird“[14]. Demzufolge schenkt R. K. Merton zwar den normativen Verpflichtungen von Wissenschaftlern große Aufmerksamkeit, aber nicht ihren kognitiven Verpflichtungen, also den Inhalten des Wissenschaftsprozesses.

Wissenschaft ist für R. K. Merton ein Subsystem in einem größeren sozialen System mit einem spezifischen institutionellen Ziel, nämlich der „...Erweiterung abgesicherten Wissens“[15]. In Anlehnung an das positivistische Wissenschaftsbild liefern die zu diesem Zweck eingesetzten Methoden die einschlägige Definition von Wissen. Die institutionellen (non-logischen) Verhaltensmaßregeln für das Subsystem Wissenschaft leiten sich aus diesem Ziel und den Methoden ab: „Die Verhaltensmaßregeln der Wissenschaft besitzen auch eine methodologische Grundlage, aber sie sind bindend nicht nur wegen ihrer prozeduralen Effizienz, sondern auch, weil sie für richtig und gut erachtet werden. Sie sind zugleich moralische und technische Vorschriften.“[16] R. K. Merton nennt vier[17] institutionelle (non-logische) Verhaltensmaßregeln für die „moderne“ Wissenschaft, deren Einhaltung ein optimales Funktionieren der Wissenschaft garantieren soll:[18]

Universalismus:

Universalismus bezieht sich darauf, daß wissenschaftliche Arbeiten, deren Annahme und Zurückweisung, unabhängig von den individuellen und sozialen Merkmalen des Autors beurteilt werden. Außerdem findet der Universalismus Ausdruck in der Forderung, wissenschaftliche Karrieren nicht aus anderen Gründen als Gründen des nicht ausreichenden Talents zu behindern.

Kommunismus:

Diese Verhaltensmaßregel besagt, daß wissenschaftliche Erkenntnisse nicht einer bestimmten Person, sondern grundsätzlich den Wissenschaftlern insgesamt gehören. Kein Wissenschaftler hat ein Eigentumsrecht an seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Ansprüche des Wissenschaftlers auf „seine“ Erkenntnisse beschränken sich auf Anerkennung und Ansehen. Dazu gehört auch die Pflicht, neue Erkenntnisse den anderen Wissenschaftlern mitzuteilen, sie öffentlich zu machen.

Uneigennützigkeit:

Der Wissenschaftler hat danach nicht aktiv nach persönlichen Vorteilen bei seiner Arbeit zu streben. Die Umsetzung dieser Norm wird dadurch unterstützt, daß die Wissenschaftler ihren Standesgenossen rechenschaftspflichtig sind, und somit sind die Wissenschaftler, stärker als andere Gruppen, einer strengen Kontrolle der Fachkollegen ausgesetzt.

Organisierter Skeptizismus:

Diese Norm verlangt von einem Wissenschaftler, grundsätzlich skeptisch gegenüber wissenschaftlichen Gültigkeitsansprüchen zu sein, die von ihm selber oder anderen vorgebracht werden. Er stellt nicht nur ein institutionelles, sondern auch ein methodologisches Gebot dar.

Nur wenn alle diese institutionellen (non-logischen) Verhaltensmaßregeln, die für R. K. Merton zeitlos sind, erfüllt werden, wird nach R. K. Merton die wissenschaftliche Produktivität maximiert. Die Wissenschaftsentwicklung, im Sinne einer Erweiterung gesicherten Wissens, hängt deshalb hauptsächlich von der verbreiteten Konformität mit diesen oben genannten (non-logischen) Verhaltensmaßregeln ab, die aber nicht den Inhalt des Wissens bestimmen oder erklären können. Durch diese (non-logischen) Verhaltensmaßregeln bzw. wissenschaftlichen Werte, die die Fortschrittlichkeit der Wissenschaft garantieren, erhält die Konformität des Wissenschaftlers mit den logischen Methoden ein soziales Motiv.

Für R. K. Merton gilt wissenschaftliches Wissen als erkenntnistheoretischer Sonderfall, das nicht durch soziale Faktoren kontaminiert werden darf. Aus diesem Grund fragt er sich, wie die Gesellschaft eingerichtet sein muß, damit wissenschaftliches Wissen nicht durch soziale Faktoren kontaminiert wird. Seine Antwort darauf sind die vier oben beschriebenen normativen Verhaltensmaßregeln bzw. Werte die den Ethos der Wissenschaft bilden sollen. Werden diese eingehalten, so kann das wissenschaftliche Wissen vor einer Kontamination durch soziale Faktoren geschützt werden.

2.3 Die anti-positivistische Wende in der Wissenschaftsforschung

Durch die Arbeiten von K. Mannheim und R. K. Merton bilden Wissenssoziologie und Wissenschaftssoziologie lange Zeit getrennte Bereiche. Die Wissenssoziologie von K. Mannheim untersucht die soziale Gebundenheit des Wissens, bezogen auf dessen „weiche“ Formen, wie politische und soziale Theorien sowie alltagstheoretische Deutungsmuster. Innerhalb dieser „weichen“ Formen des Wissens trifft er keine epistemologische Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen Wissen und Alltagswissen. Nur dem Wissen der Naturwissenschaften wird ein erkenntnistheoretischen Sonderstatus zugeschrieben, der sich erst durch die wissenschaftshistorischen Arbeiten von T. S. Kuhn, P. Feyerabend und anderen ändert. Die nach K. Mannheim entstehende Wissenschaftssoziologie R. K. Mertons hält an diesem epistemologischen Sonderstats des naturwissenschaftlichen Wissens fest und beschränkt sich auf die Analyse der institutionellen Rahmenbedingungen und der sozialen Organisation der (Natur‑)Wis­senschaft.

Erst durch die sogenannte „anti-positivistische Wende“ in der Wissenschaftsphilosophie und -geschichte in den frühen 60er Jahren, hervorgerufen durch die wissenschaftshistorischen Arbeiten von T. S. Kuhn, P. Feyerabend und anderen, verliert das naturwissenschaftliche Wissen seinen epistemologischen Sonderstatus. T. S. Kuhn kann in seiner Arbeit über die Wissenschaftsentwicklung zeigen, daß auch die Naturwissenschaften dem normativen Wissenschaftsideal der Positivisten und des Realismus nicht entsprechen. Damit wird die Voraussetzung für eine wissenssoziologische Betrachtung der Naturwissenschaften bzw. des naturwissenschaftlichen Wissen geschaffen. In der Nachfolge dieser wissenschaftshistorischen Arbeiten rücken die Inhalte der Wissenschaft in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Die in den 80er Jahren entstandene „Soziologie wissenschaftlichen Wissens“ versteht sich auch entsprechend als Wissenssoziologie des naturwissenschaftlichen Wissens.

Nachfolgend wird ausführlich auf das Konzept T. S. Kuhns eingegangen, der in seiner Studie wissenschaftstheoretische, -geschichtliche und -soziologische Elemente miteinander verbindet, da dieses als Grundlage für die weitere Analyse der Entstehung und Etablierung des AJK und der kritischen Krmininologie als ein neues Paradigma in der Kriminologie dienen wird. Insbesondere wird in der nachfolgenden Untersuchung unter anderem einer möglichen Kongruenz der kognitiven und institutionellen Elemente des Kuhnschen soziologischen Paradigmabegriffs mit der Entstehung und Etablierung des AJK und der kritischen Kriminologie nachgegangen.

2.3.1 T. S. Kuhns Konzept der Wissenschaftsentwicklung

T. S. Kuhn setzt in seinem Buch über „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“[19] dem traditionellen Bild von der Wissenschaftsentwicklung als ein kumulativer Prozeß, indem Einzelheiten zu einem immerwährend wachsenden Bestand zusammengefügt werden und junge Wissenschaftler auf den „Schultern“ der älteren Wissenschaftlern stehen, sein Konzept des Paradigmas und des Paradigmawechsels entgegen. Anhand einer Rekonstruktion der Entwicklung zentraler naturwissenschaftlicher Theorien versucht T. S. Kuhn aufzuzeigen, daß sich die Wissenschaftsentwicklung in revolutionären Sprüngen und Neuorientierungen von einem Paradigma zu einem anderen Paradigma vollzieht. Dahinter steht erkenntnistheoretisch[20] die Ablehnung der Vorstellung einer wie auch immer gedachten absoluten Wahrheit, die die Wissenschaft erkennen oder an die sie sich im Verlauf ihrer Entwicklung durch eine universelle und non-soziale Vorgehenslogik annähern kann. Für T. S. Kuhn gibt es auch keine unabhängigen Daten, die in irgendeiner Weise die „Wirklichkeit“ repräsentieren. Damit bereitet er den Weg für die These der Theoriegeladenheit der empirischen Beobachtung, bei der davon ausgegangen wird, daß es keine voraussetzungslose Beobachtung gibt. Daten sind für ihn abhängig von den jeweiligen Theorien, auf deren Grundlage sie gewonnen und beschrieben werden, und Theorien wiederum werden nicht nach Grundsätzen des Falsifikationismus gewählt, sondern in Abhängigkeit von Paradigmata.[21] Außerdem verweist T. S. Kuhn auf den Umstand, „... daß auf eine gegebene Sammlung von Daten immer mehr als eine theoretische Konstruktion paßt“[22] (die heute sogenannte These der empirischen Unterdeterminiertheit von Theorien[23] ). Dabei verfällt er aber nicht in einen bloßen Relativismus, sondern er geht von einer Gerichtetheit und Unumkehrbarkeit der wissenschaftlichen Entwicklung aus, bei der spätere Theorien besser geeignet sind, Probleme zu lösen, als frühere. Auch bemüht er sich um eine Analogie zwischen der Evolution von Organismen und dem Prozeß der wissenschaftlichen Entwicklung, da, und dies ist sein Hauptargument, beide keine Entwicklung auf etwas hin als ein vordefiniertes Ziel sind.[24]

Ganz allgemein betrachtet steht nach T. S. Kuhn ein Paradigma für „... die Quelle aller Methoden, Problemgebiete und Lösungsnormen, die von einer reifen wissenschaftlichen Gemeinschaft zu irgendeinem Zeitpunkt anerkannt werden“[25]. Das hat zur Folge, daß ein Paradigma auch die Zulässigkeit, Relevanz und Lösungen von Problemen der jeweiligen Disziplin bestimmt, und sich dies im Rahmen des Wechsels eines Paradigmas ändert. T. S. Kuhn geht sogar soweit zu behaupten, daß ein Paradigmawechsel die Wissenschaftler veranlaßt, „... die Welt ihres Forschungsbereichs anders zu sehen“[26]. Das Paradigma, welches von einer wissenschaftlichen Gemeinschaft verwendet wird, gibt dieser eine Perspektive vor, unter der sie die Welt sehen. Als Beispiel dient ihm unter anderem der Blick auf ein Blasenkammerphoto in der Physik, auf dem der Laie nur unzusammenhängende und unterbrochene Linien erkennt. Der ausgebildete Physiker hingegen, der in seiner Ausbildung auch eine bestimmte „Seh-weise“ gelernt hat, sieht die Aufzeichnung von subatomaren Teilchen. Wechselt das Paradigma, zum Beispiel dieses Physikers, müßte dieser lernen, in vertrauten Situationen neue Dinge bzw. eine neue Gestalt zu sehen, die er vorher nicht gesehen hat.[27] Ein weiteres Beispiel von T. S. Kuhn bezieht sich auf die unterschiedliche „Seh-weise“ eines an einer Kette schwingenden Steines innerhalb des Aristotelischen und des Galileischen Paradigmas: „Für die Anhänger des Aristoteles, die glaubten, ein schwerer Körper werde aus sich heraus von einer höheren Lage in einen Zustand der natürlichen Ruhe in einer niedrigeren Lage bewegt, war der schwingende Körper lediglich ein mit Behinderung fallender Körper. Von der Kette gehalten, konnte er am niedrigsten Punkt nur nach einer mühsamen Bewegung und einer beträchtlichen Zeitspanne zum Stillstand kommen. Galilei aber sah beim Anblick des schwingenden Körpers ein Pendel, einen Körper, dem es fast gelang, die gleiche Bewegung immer wieder ad infinitum auszuführen.“[28] Demnach sieht Aristoteles beim Betrachten eines schwingenden Steines einen gehemmten Fall und Galilei ein Pendel, und beide sehen somit etwas anderes.

T. S. Kuhn spricht sich dagegen aus, diese Beispiele als ein Wechsel der Interpretation des Wissenschaftlers, hervorgerufen durch ein Wechsel des Paradigma, anzusehen, wie es im Rahmen des traditionellen, von Descartes entwickelten, philosophischen Paradigmas gesehen wird. Es findet durch einen Paradigmawechsel kein Wechsel der Interpretationen von stabilen Daten statt, sondern jegliche Interpretation findet innerhalb eines Paradigmas statt und setzt dieses voraus. Eine „... Interpretationstätigkeit ... vermag ein Paradigma nur zu artikulieren, nicht zu korrigieren“[29].

In seinem 1969 verfaßten Postskriptum zu seinem oben genannten Buch unterscheidet T. S. Kuhn zwei ganz verschiedene Bedeutungen des Begriffs „Paradigma“, die sich durch sein ganzes Buch ziehen.[30] Zum einen steht Paradigma „... für die ganze Konstellation von Meinungen, Werten[31], Methoden usw., die von den Mitgliedern einer gegebenen Gemeinschaft geteilt werden“[32]. Dies nennt T. S. Kuhn auch die soziologische Bedeutung des Ausdrucks „Paradigma“. Zum anderen sieht er Paradigma an als „... ein Element in dieser Konstellation, die konkreten Problemlösungen, die, als Vorbilder oder Beispiele gebraucht, explizite Regeln als Basis für die Lösung der übrigen Probleme der `normalen Wissenschaft´ ersetzen können“[33]. Letzteres bedeutet, daß ein Paradigmata aus der Summe von gemeinsamen Beispielen bzw. Musterbeispielen besteht, die den Wissenschaftler in die Lage versetzen, eine Aufgabe so zu sehen wie eine Aufgabe, vor die er schon einmal gestellt war. T. S. Kuhn geht dabei von der These aus, daß Wissenschaftler Begriffe, Gesetze und Theorien niemals in abstracto und an sich lernen, sondern aufgrund von Beispielen und Anwendungen.[34] Bei der Vermittlung dieser Musterbeispiele an die angehenden Wissenschaftler spielen Lehrbücher eine große Rolle. Aus diesem Grund ist auch eine gleichartige Ausbildung und berufliche Initiation der Wissenschaftler eine wichtige Voraussetzung für ein gemeinsames Paradigma.

Die soziologische Bedeutung des Paradigmabegriffs, Paradigma als Konstellationen von Gruppenpositionen, der die Basis für diese Arbeit darstellt, läßt sich unterteilen in kognitive und institutionelle Elemente. Die kognitiven Elemente beziehen sich darauf, daß nach T. S. Kuhn das Paradigma die Quelle aller Methoden, Problemgebiete und Lösungsnormen für die Mitglieder einer wissenschaftlichen Gemeinschaft darstellt.[35] Das Paradigma legt somit fest, welche Probleme überhaupt zulässig sind, welche Erwartungen man im Hinblick zum Beispiel auf das Ergebnis von Experimenten hat, anhand dessen erst entsprechende Apparaturen gebaut werden können. Innerhalb eines Paradigmas wird dafür eine komplizierte Ausrüstung konstruiert, ein esoterisches Vokabular und besondere Fähigkeiten entwickelt. Außerdem erfolgt eine Verfeinerung der Begriffe, die sich immer weiter von allgemein gebräuchlichen Begriffen entfernen.[36] Als Indikatoren für ein neues Paradigma können demnach das Entstehen einer neuen (1) Fachsprache, (2) Apparaturen, (3) Methoden, (4) Musterbeispiele und (5) neue, für die wissenschaftliche Untersuchung verfügbare, Probleme gelten.

Für die institutionellen Elemente eines Paradigmas gibt T. S. Kuhn die Entwicklung von (1) eigenen Fachzeitschriften, (2) die Gründung von Fachvereinigungen und (3) die Beanspruchung eines besonderen Platzes im Lehrplan an.[37] Außerdem seien (4) die Wissenschaftler, die einem neuen Paradigma anhängen „... entweder sehr jung oder auf dem Gebiet, dessen Paradigma sie änderten, sehr neu“[38]. Dieser Umstand erklärt sich daraus, daß beide Gruppen nicht durch langjährige frühere Praxis an die traditionellen Regeln der normalen Wissenschaft gebunden sind.

T. S. Kuhn bezieht den Begriff „Paradigma“, und zwar in beiden seiner Bedeutungen, auf die wissenschaftliche Gemeinschaft, deren Mitglieder ein Paradigma teilen und in der sich die Mitglieder zur Durchsetzung des Paradigma organisieren. Der Begriff „Paradigma“ steht damit, wie in den obigen Ausführungen bereits immer wieder zu lesen war, in engem Zusammenhang mit dem Begriff „wissen­schaftliche Gemeinschaft“ bzw. „scientific community“. Allerdings ist das Auftreten dieser beiden Begriffe, wie T. S. Kuhn in seinem Postskriptum von 1969 auch selbst erklärt, zirkulär: „Ein Paradigma ist das, was den Mitgliedern einer wissenschaftlichen Gemeinschaft gemeinsam ist, und umgekehrt besteht eine wissenschaftliche Gemeinschaft aus Menschen, die ein Paradigma teilen.“[39] Auf der Grundlage dieser Definition schlägt T. S. Kuhn vor, bei Untersuchungen eines Paradigmas zuerst wissenschaftliche Gemeinschaften ohne vorherigen Rückgriff auf Paradigmata zu isolieren, um dann ein vorliegendes Paradigma durch die Untersuchung des Verhaltens der Mitglieder einer gegebenen Gemeinschaft identifizieren zu können.[40] Für die Identifikation einer wissenschaftlichen Gemeinschaft gibt T. S. Kuhn fünf Merkmale an: (1) Die Mitglieder sind einer gleichartigen Ausbildung und (2) beruflichen Initiation unterworfen, (3) sie haben dieselbe Fachliteratur gelesen, (4) ein eigenes Gegenstandsgebiet und (5) die Grenzen der Fachliteratur bezeichnen auch die Grenzen des wissenschaftlichen Gegenstandsgebietes.[41] Solche Gemeinschaften bestehen auf zahlreichen Ebenen. Auf der Ebene der wissenschaftlichen Berufsgruppe ist die Mitgliedschaft nach T. S. Kuhn anhand folgender Indikatoren entscheidbar: (a) Die Fachrichtung des höchsten akademischen Grades, (b) die Mitgliedschaft in Fachgesellschaften und (c) die gelesenen Zeitschriften.[42]

Existiert ein Paradigma für eine wissenschaftliche Gemeinschaft, so spricht T. S. Kuhn von einer normalen Wissenschaft. Das Paradigma gibt für die wissenschaftliche Gemeinschaft den engen Bereich der zu untersuchenden Probleme an, sowie einen Erwartungsrahmen, indem das Paradigma zum Beispiel vorgibt, welches Ergebnis bei bestimmten Experimenten zu erwarten ist. Daraufhin werden zum Beispiel die Apparaturen gebaut, die für ein Experiment benötigt werden. „Durch Konzentration der Aufmerksamkeit auf einen kleinen Bereich relativ esoterischer Probleme zwingt das Paradigma die Wissenschaftler, ein Teilgebiet der Natur mit einer Genauigkeit und bis zu einer Tiefe zu untersuchen, die sonst unvorstellbar wären.“[43] Durch die Annahme eines Paradigmas sind die grundlegenden Annahmen innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft im wesentlichen unproblematisch, die Ergebnisse von einzelnen Forschungen können problemlos in diesem Rahmen verortet werden, und es werden nicht Ressourcen in unendlichen Grundlagendiskussionen verschwendet. Dies führt zu einem Anwachsen von kurzen Artikeln in Fachzeitschriften, die sich nur noch an die Fachkollegen wenden und bei denen der Autor keine Grundprinzipien und grundlegende Kenntnisse voranstellen und diskutieren muß, da diese Kenntnisse durch das gemeinsame Paradigma vorausgesetzt werden können.

Die Arbeit des Forschers innerhalb der normalen Wissenschaft bezeichnet T. S. Kuhn als das Lösen von Rätseln. Zum einen, weil nur solche Probleme behandelt werden, von denen aufgrund des Paradigmas vermutet werden kann, daß sie eine Lösung haben und deren Lösung nur Mangel an Scharfsinn verhindern könnte. Zum anderen liefert das Paradigma Regeln, die die Schritte zur Lösung, wie auch die Art der annehmbaren Lösung, einschränken.[44] Dies sind auch die Gründe für den schnellen Fortschritt in der normalen Wissenschaft und somit in den Disziplinen, die ein Paradigma besitzen. Für T. S. Kuhn ist wissenschaftlicher Fortschritt nur in Zeiten normaler Wissenschaft gesichert,[45] und nur in dieser Zeit ähnelt die Wissenschaftsentwicklung dem positivistischen Schema. Infolgedessen hängen die Begriffe „Paradigma“, „normale Wissenschaft“ und „Fortschritt“ eng miteinander zusammen, denn ohne ein Paradigma ist normale Wissenschaft nicht möglich und ohne normale Wissenschaft auch kein wissenschaftlicher Fortschritt. Außerdem ist, wie im weiteren Verlauf gezeigt wird, die normale Wissenschaft auch die Voraussetzung für einen Paradigmawechsel.

T. S. Kuhn weist allerdings darauf hin, daß Paradigmata nicht mit Regeln gleichzusetzen sind, diese leiten sich zwar aus dem Paradigma her, letztere können die Forschung aber auch ohne Regeln leiten. Dies ist die bereits weiter oben erwähnte Bedeutung des Begriffs „Paradigma“ als eine Summe von Musterbeispielen, die die Forschung anleiten. Wissenschaftler „... können in der Identifizierung eines Paradigmas übereinstimmen, ohne sich über seine vollständige Interpretation oder abstrakte Formulierung einig zu sein oder auch nur zu versuchen, eine solche anzugeben. Das Fehlen einer Standardinterpretation oder einer anerkannten Reduzierung auf Regeln hindert ein Paradigma nicht daran, die Forschung zu führen [Hervorhebungen im Original].“[46]

Die Wahrnehmung eines Phänomens, welches aufgrund des Erwartungshintergrundes, den das Paradigma vorgibt, nicht vorgesehen ist, nennt T. S. Kuhn eine Anomalie. „Die normale Wissenschaft strebt nicht nach neuen Tatsachen und Theorien und findet auch keine, wenn sie erfolgreich ist.“[47] Falls sie doch welche findet, wird zuerst versucht, die Theorie so zu modifizieren, daß das Anomale zum Erwarteten wird. Ist dies nicht (mehr) möglich und zeigt sich, daß „... eine Anomalie mehr zu werden scheint als lediglich ein weiteres Rätsel der normalen Wissenschaft, so hat der Übergang zur Krise und zur außerordentlichen Wissenschaft begonnen.“[48] Daher ist die normale Wissenschaft auch die Voraussetzung für einen Paradigmawechsel, denn ohne, daß der Forscher weiß, was er erwartet, kann er auch keine Anomalie erkennen, die zu einer Krise und diese wiederum zu einem Paradigmawechsel führen kann. Symptome für eine Krise sind (1) das Wuchern konkurrierender Versionen einer Theorie, (2) der Ausdruck einer offenen Unzufriedenheit, daß das Paradigma diese Anomalie nicht zu erklären in der Lage ist, (3) das Zufluchtsuchen bei der Philosophie und (4) eine tiefgehende Diskussion über gültige Methoden, Probleme und Lösungsgrundsätze, sowie (5) ein dadurch bedingter Rückgang von Forschungsarbeiten.[49] Den sich daraus ergebenden Übergang zu einem neuen Paradigma nennt T. S. Kuhn wissenschaftliche Revolution. Dabei wird, entgegen der Vorstellung des Popperschen Falsifikationismus, ein Paradigma nur dann für ungültig erklärt, wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist.[50] Aber auch nicht jede Krise führt nach T. S. Kuhn zu einem Paradigmawechsel. Es gibt auch Krisen, die in einer Neubelebung des alten Paradigmas, ungeachtet einer Lösung des Ausgangsproblems, enden.

Die Entscheidung zwischen zwei Paradigmata ist nach T. S. Kuhn allerdings nicht auf der Grundlage eines logischen Beweises zu fällen, da unterschiedliche Paradigmata inkommensurabel sind.[51] In Diskussionen zwischen Vertretern zweier unterschiedlicher Paradigmata wird einerseits jeweils für die eigene Theorie gezeigt, daß sie den eigenen Kriterien völlig genügt, und andererseits wird die Theorie der Gegner in das eigene Paradigma übersetzt und anhand dessen Kriterien geprüft.[52] Dieses Vorgehen ist vergleichbar mit dem aus der Ethnologie bekannten Problem, das Eigene auf das Fremde zu projizieren. Auch bei Paradigmadiskussionen besteht die Gefahr, daß Fremde mit den eigenen Kategorien zu beurteilen.[53] Diese Parallelität hat T. S. Kuhn unter anderem auch den Vorwurf des Relativismus eingebracht.[54] Für die Inkommensurabilität von verschiedenen Paradigmata gibt T. S. Kuhn folgende Gründe an: Die Liste der Probleme, die für wichtig und wissenschaftlich gehalten werden, weichen voneinander ab, da ihre Definitionen und Normen der Wissenschaft voneinander abweichen. Innerhalb des neuen Paradigmas treten alte Ausdrücke, Begriffe und Experimente in ein neues Verhältnis zueinander, und in manchen Bereichen sehen die Wissenschaftler durch das Paradigma verschiedene Dinge, und sie sehen sie in unterschiedlichen Beziehungen zueinander.[55]

Der Prozeß eines Paradigmawechsels beginnt, indem zuerst im Geiste von einer oder einigen Personen ein neues Paradigma auftaucht, die es soweit entwickeln, daß stichhaltige Argumente angeführt und angehäuft werden können. Voraussetzung für diesen Prozeß ist das bereits oben erwähnte Vorliegen einer Krise innerhalb des geltenden Paradigmas. Für eine Annahme des neuen Paradigmas müssen die Wissenschaftler davon überzeugt werden, daß das neue Paradigma einerseits einige hervorragende und allgemein anerkannte Probleme lösen kann, die auf keine andere Weise zu bewältigen sind, und andererseits muß es „... die Erhaltung eines relativ großen Teils der konkreten Problemlösungsfähigkeit versprechen, die sich in der Wissenschaft von seinen Vorgängern her angesammelt hat“[56]. Die Argumente für ein neues Paradigma beruhen allerdings nicht nur auf einem Vergleich seiner Fähigkeit, Probleme zu lösen, mit derjenigen der Konkurrenten, sondern sie appellieren auch, wenn auch nur selten explizit, an den Sinn des einzelnen für das Passende oder das Ästhetische. Dergleichen darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß letztlich die Verlagerung der Bindung von einem Paradigma auf ein anderes eine Konversion ist, und es dabei nicht um Beweis oder Irrtum geht.

Allerdings darf man sich diesen Prozeß nach T. S. Kuhn nicht so vorstellen, daß sich in kürzester Zeit eine große Gruppe von Wissenschaftlern zu einem neuen Paradigma bekehren läßt, sondern es erfolgt eine wachsende Verlagerung der Bindung an ein Paradigma, die manchmal eine ganze Generation lang andauern kann. Insbesondere ältere Wissenschaftler, die bereist sehr lange mit den traditionellen Paradigma gearbeitet haben, leisten gegenüber dem neuen Widerstand: „Der Ursprung des Widerstands ist die Gewißheit, daß das ältere Paradigma letztlich alle seine Probleme lösen werde, daß die Natur in die vom Paradigma gelieferte `Schublade´ hineingesteckt werden könne.“[57] Diese Gewißheit ist es aber auch, die konstitutiv für die normale Wissenschaft ist, die bei der Präzisierung des Paradigmas Anomalien herausarbeitet und die wiederum zu einem neuen Paradigma führen können. Demzufolge ist dieser Widerstand auch die Quelle für einen Paradigmawechsel bzw. ein neues Paradigma, und jedes neue Paradigma enthält den Keim seiner Ablösung schon in sich. T. S. Kuhn schließt aber nicht gänzlich aus, daß, und dies ist insbesondere für die Sozialwissenschaften von Bedeutung, auch zwei Paradigma koexistieren können.

Zusammengefaßt bietet T. S. Kuhn mit seiner Arbeit einen theoretischen Rahmen für die Analyse der Wissenschaftsentwicklung an. Er beschränkt sich dabei auf den Prozeß, wie konkurrierende Theorieinhalte im Wissenschaftsprozeß durchgesetzt werden, und zeigt auf, daß nicht nur rationale Argumente diese Wahl beeinflussen, sondern auch soziale Faktoren. Ich würde im Gegensatz zu W. Meinefeld[58] sogar so weit gehen zu behaupten, daß letztendlich im Rahmen seiner Inkommensurabilitäts­these nur soziale Faktoren zwischen konkurrierenden Theorieinhalten ausschlag­gebend sind. Eine Beeinflussung der kognitiven Elemente bzw. Theorieinhalte selber verfolgt er nicht.[59] Akzeptieren wir T. S. Kuhns allgemeinen Ansatz, so bedeutet dies für die weitere Arbeit, daß wir uns eingestehen müssen, daß unser eigenes (wissenschafts-) soziologisches Wissen nicht besser begründbar oder privilegiert ist als die Erkenntnisse der von T. S. Kuhn untersuchten Wissenschaften.[60] Beides Wissen ist „nur“ durch die Gemeinschaft legitimiert, durch die es produziert wird. Für den Wissenschaftssoziologen, der sich mit der Soziologie als Wissenschaft beschäftigt, ergibt sich daraus allerdings letztendlich ein Zirkel, dessen Aufhebung noch nicht in Sicht ist, denn der Wissenschaftssoziologe benutzt sein soziologisches Wissen über Gruppen zur Analyse der soziologischen Gruppen, deren Praxis die kontextuelle Legitimation des Wissen darstellt, das er zur Analyse verwendet.[61]

2.3.2 Epistemologische Kritik an T. S. Kuhns Paradigmabegriff

Aus der zahlreichen Kritik[62] an T. S. Kuhns Modell, insbesondere seiner epistemologischen Grundlagen, greife ich einige Kritiker heraus, um an ihnen exemplarisch die immer wiederkehrenden Hauptkritikpunkte, nämlich den Relativis­mus- und Irrationalismusvorwurf, die Ablehnung der Inkommensurabilitätsthese und die Zurückweisung der Kuhnschen normalen Wissenschaft als „normal“ aufzuzeigen.

Die Inkommensurabilitätsthese von T. S. Kuhn ist nicht ohne Widerspruch geblieben. Kritiker, wie B. Giesen und M. Schmid,[63] lehnen diese These als logisch falsch ab und lassen nur eine moderate Version zu, nämlich daß Theorien inkommensurabel sein können und nicht müssen. Auch K. R. Popper sieht dies als einen zentralen Kritikpunkt an T. S. Kuhn, wenn er behauptet: „Thus in science, as distinct from theology, a critical comparison of the competing theories, of the competing frameworks, is always possible. And the denial of this possibility is a mistake.“[64] Diese Art von Kritik greift allerdings im Sinne von T. S. Kuhns Modell nicht, denn die Forderung nach einer Kritisierbarkeit von Theorien hat keine universelle Bedeutung, sondern ist selbst eine Prämisse aus einem bestimmten Paradigma[65]. Mit dieser Form der Kritik wird der bereits oben ausgeführte Fehler begangen, gegnerische Paradigmata mit den Kriterien des eigenen Paradigmas zu beurteilen. Diese Argumentation führt aber nach Aussage der Kritiker zu einer Immunisierung von Theorien gegenüber Fakten und Kritik durch alternative Theorien und dem damit verbundenen Vorwurf des Relativismus. Dabei betont auch T. S. Kuhn, daß es durchaus sinnvoll ist „... zu fragen, welche von zwei miteinander konkurrierenden Theorien besser zu den Fakten paßt“[66]. Dergleichen ist aber nur möglich, wenn es nur eine einzige Menge wissenschaftlicher Probleme und Lösungsmöglichkeiten gäbe. Da diese Bedingung aber niemals ganz gegeben ist, bewegen sich die Befürwörter einzelner Paradigmata nach T. S. Kuhn immer in gewissem Grade auf verschiedenen Ebenen. Diese Feststellung von T. S. Kuhn widerspricht auch nicht der Aussage von K. R. Popper, daß es „... ever since antiquity, constant and fruitful discussion between the competing dominant theories of matter“[67] gegeben hat. Allerdings geht K. R. Popper, im Gegensatz zu T. S. Kuhn, davon aus, daß diese Diskussionen letztendlich rational gelöst werden können. Eine Konfrontation von unterschiedlichen Paradigmata findet nach T. S. Kuhn zwar im Rahmen eines Paradigmawechsels auch statt, nur sind die Kriterien der Entscheidung zwischen zwei Paradigmata letztendlich nicht rational bzw. kann diese Entscheidung nicht durch logische Beweise entschieden werden.[68] In seinem Postskriptum von 1969 verdeutlicht T. S. Kuhn aber noch einmal, daß man Theorien daran messen kann, ob sie besser als frühere geeignet sind, Probleme auf die sie angewendet werden, zu lösen.[69]

K. R. Popper stimmt in seiner Kritik[70] T. S. Kuhn zu, daß es das, was T. S. Kuhn als normale Wissenschaft bezeichnet, zwar gibt, aber dieses ist nach K. R. Popper eher die Ausnahme in der Wissenschaft als das „normale“ Vorgehen: „I believe, however, that Kuhn is mistaken when he suggests that what he calls `normal´ science is normal ... I wish to suggest that few, if any, scientists who are recorded by the history of science were `normal´ scientists in Kuhn´s sense.“[71] Dabei beklagt K. R. Popper, daß der in der normalen Wissenschaft tätige Wissenschaftler zu unkritisch und eher zu einem anwendenden Wissenschaftler geworden ist, der im Gegensatz zu dem steht, was er einen reinen Wissenschaftler nennt. Das ist aber genau das, was T. S. Kuhn zeigen will, nämlich daß die Praxis der Wissenschaft nicht den normativen Vorgaben von K. R. Poppers Falsifikationsmodell folgt. Für K. R. Popper ist die von T. S. Kuhn beschriebene normale Wissenschaft „... a phenomenon which I dislike (because I regard it as danger to science) while he apparently does not dislike it (because he regards it as `normal´) is another question“. Dabei vergißt K. R. Popper anscheinend, daß T. S. Kuhn den faktischen Prozeß der Forschung untersucht, ohne normative Verfahrenslogiken aufzustellen und ohne den faktischen Prozeß der Forschung moralisch beurteilen zu wollen. K. R. Popper bestreitet außerdem, allerdings ohne detaillierte empirische Angaben, die Kuhnsche These von der Wissenschaftsentwicklung durch revolutionäre Sprünge und Neuorientierungen und hält an der Vorstellung einer kumulativen Entwicklung ohne Brüche fest: „His schema of `normal´ periods, dominated by one ruling theory (a `paradigm´ in Kuhn´s terminology) and followed by exceptional revolutions, seems to fit astronomy fairly well. But it does not fit ...“[72]. Dabei ist für K. R. Popper, im Gegensatz zu Kuhn, die Wissenschaftsentwicklung auf ein bestimmtes Ziel hin gerichtet, nämlich auf die Wahrheit.

In seinem Postskriptum von 1969 und in seinem 1970 erschienenen Artikel „Logic of Discovery or Psychology of Research“[73] hat T. S. Kuhn der Verpflichtung der Wissenschaftler auf bestimmte übergreifende Werte in Zeiten von Krisen und bei der Frage der Theoriewahl eine größere fundamentale Bedeutung zugeschrieben als dem Paradigma: „Obgleich sie immer wirksam sind, werden sie besonders wichtig, wenn die Mitglieder einer bestimmten Gemeinschaft eine Krise erkennen oder sich später zwischen unvereinbaren Möglichkeiten des Betreibens ihres Faches entscheiden müssen ... In solchen Dingen kann die Berufung auf gemeinsame Werte ... der Gemeinschaft die Möglichkeit bieten, das Risiko zu verteilen und den langfristigen Erfolg zu sichern.“[74] Ob die Vorwürfe des Relativismus und der Irrationaliät seiner Kritiker zu diesem Wandel der Kategorien seiner Analyse geführt haben, sei einmal dahingestellt. Als Folge davon wird T. S. Kuhn u.a. von M. D. King insofern kritisiert, daß dies „... sehr den soziologischen Wert seiner Erklärung wissenschaftlichen Wandels mindert“[75] und ihn in R. K. Mertons soziologische Position drängt. Denn T. S. Kuhns nachträglich eingeführten höchsten Werte, um die Fortschrittlichkeit der Wissenschaft ohne eine non-soziale Verfahrenslogik garantieren zu können, sind „... letztlich nicht weniger abstrakt und ahistorisch ... als Mertons Verfahrenslogik“.[76] Auch bei R. K. Merton garantieren die von ihm postulierten Werte die Fortschrittlichkeit der Wissenschaft, die aber bei ihm der unterstellten non-sozialen Verfahrenslogik soziales Gewicht verleihen. Um die soziologische Erklärungsreichweite von T. S. Kuhns Ansatz nicht zu mindern, wird in dieser Arbeit auf die von ihm nachträglich vorgenommene stärkere Gewichtung von übergreifenden Werten verzichtet.

2.4 Die Soziologie wissenschaftlichen Wissens

Eine weitere Radikalisierung der Wissenschaftssoziologie, im Gefolge der Arbeiten von T. S. Kuhn, setzt Mitte der 70er Jahre ein. Anknüpfend an T. S. Kuhn und die Wissenssoziologie von K. Mannheim, aber in ihrem Anspruch über sie hinausgehend, kehrt die Wissenschaftssoziologie wieder auf jene Fragestellung zurück, die sie durch R. K. Merton mit der Wissenssoziologie verlassen hatte. Der Anspruch dieser neuen Soziologie wissenschaftlichen Wissens ist es, die Seins­gebundenheit von Denken und Wissen auf alle Wissenstypen anzuwenden und nicht nur die Genese von wissenschaftlichem Wissen, sondern auch dessen Inhalt und Geltung sozial erklären zu können. Ihr Forschungsgebiet ist die wissenschaftliche Produktion in den Naturwissenschaften.

Zum einem Teil entsteht die neue, aus Großbritannien kommende Wissenssoziologie der Wissenschaft in direkter Auseinandersetzung mit der traditionellen Wissenschaftssoziologie, wie sie durch R. K. Merton geprägt ist. Zum anderen Teil entsteht sie aber auch unabhängig von der Wissenschaftssoziologie. Nach H. M. Collins[77], einer der Vertreter der „Soziologie wissenschaftlichen Wissens“, lassen sich sechs Autoren unterscheiden, die unabhängig voneinander zur „Soziologie des wissenschaftlichen Wissens“ beigetragen haben. Diese Gruppe läßt sich in zwei gleich große, sich von ihrem theoretischen Ansatz und ihrer Biographie unterscheidende Untergruppen aufteilen: einerseits in die Untergruppe, die eine relativistische Perspektive in der Wissenssoziologie vertritt und deren Autoren nicht aus der Wissenschaftssoziologie, sondern aus der Ethnologie, Philosophie und Mathematik stammen. Zu dieser Gruppe gehören B. S. Barnes, D. Bloor und H. M. Collins. Andererseits gibt es die Untergruppe, deren Arbeiten geprägt ist durch eine Opposition zu R. K. Merton im Lichte von T. S. Kuhn. Zu dieser Gruppe gehören R. G. A, Dolby, M. Mulkay und R. D. Whitley, die während ihres fortgeschrittenen Studiums in den Vereinigten Staaten in die traditionelle Wissenschaftssoziologie eingeführt werden.

Exemplarisch werde ich mich nun in meiner Darstellung auf das einflußreiche „strong programm“ von D. Bloor beschränken, um mich danach einer neueren Strömung innerhalb der „Soziologie wissenschaftlichen Wissens“, der sogenannten Mikrosoziologie des Wissens oder auch Laborstudien-Ansatz genannt, in Deutschland vor allem vertreten durch K. Knorr-Cetina, zu widmen.

D. Bloor führt für sein sogenanntes „strong programme“ vier Bedingungen auf, denen auch die „Soziologie wissenschaftlichen Wissens“ zu genügen habe: (1) Die kausale Erklärung von Wissen und Überzeugung aus den Bedingungen, unter denen sie entstanden sind, (2) die Unparteilichkeit des Soziologen in bezug auf den Status des Wissens als richtig oder falsch, rational oder irrational, (3) die soziologische Erklärung müsse symmetrisch sein, das heißt für richtiges und falsches Wissen müßten dieselben Gründe zu benennen sein und (4) die soziologische Erklärung müsse auch für den Soziologen selbst gelten, also reflexiv sein.[78]

Innerhalb dieses Programms postuliert D. Bloor einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Inhalt jeglichen, auch des wissenschaftlichen Wissens und sozialer Interessen und zwar eine Kausalität ausgehend davon, daß die sozialen Interessen die (wissenschaftlichen) Inhalte beeinflussen und sich folglich erstere vor den zweiteren ausbilden. Einen irgendwie gedachten erkenntnistheoretischen Sonderstatus wissenschaftlichen Wissens lehnt er damit ab und verfällt in einen soziologischen Reduktionismus, in dem Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie durch Wissenssoziologie ersetzt wird.[79] Dabei blendet er kognitive Faktoren ganz aus. Es ist allerdings auch eine umgekehrte Kausalität zwischen sozialen Interessen und wissenschaftlichem Wissen möglich.[80] Die Kritik gegenüber D. Bloor basiert auf dem Argument, daß seine historischen Beispiele die These nicht belegen würden, da sie auf der Ebene einer reinen Kovarianz zwischen den zu einem bestimmten Zeitpunkt vorherrschenden sozialen Interessen und den wissenschaftlichen Inhalten stehenbleiben.[81]

Seit den 80er Jahren entwickelt sich daran anschließend innerhalb der „Soziologie wissenschaftlichen Wissens“ eine Richtung, die sich mit der praktischen Tätigkeit des Wissenschaftlers, insbesondere des Wissenschaftlers im Labor[82], beschäftigt. Die Grundthese dieses Ansatzes lautet, daß Beobachtungen nicht nur theorieabhängig sind, wie mit der anti-positivistischen Wende zum Beispiel von T. S. Kuhn postuliert wird, sondern daß Beobachtungen von einem Wissenschaftler hergestellt bzw. konstruiert werden. Es steht demnach nicht eine historisch-soziale Einbettung von Theorien, sondern deren Herstellung im Labor im Mittelpunkt der Untersuchungen.

Grundlage dieses Ansatzes, der von K. Knorr-Cetina selbst als eine Mikrosoziologie des Wissens[83] genannt wird, sind direkte Beobachtungsstudien der praktischen Arbeit von Wissenschaftlern in Labors. Es ist eine konstruktivistische Wissenssoziologie, die K. Knorr-Cetina vertritt, bei der die Frage „WIE“ Wirklichkeit konstruiert wird vor der Frage „WAS“ diese ausmacht gestellt wird. Im Labor findet sich nach den Erfahrungen von K. Knorr-Cetina[84] nirgends Natur, sondern das „... meiste, mit dem Wissenschaftler im Labor zu tun haben, ist hochgradig vorstrukturiert, wenn nicht zur Gänze artifiziell“[85]. Das, was Wissenschaft ausmacht, ist innerhalb dieses konstruktivistischen Ansatzes kein Bezug zur Realität, der womöglich, wie bei R. K. Merton durch soziale Faktoren kontaminiert wird, sondern es ist die „... Praxis von Akteuren ..., die gemeinsam ihre (wissenschaftlichen) Handlungsfelder gestalten, die dann ihrerseits wiederum dieses praktische Geschäft beeinflussen“[86]. Dabei schließt K. Knorr-Cetina weder eine hinter den Konstruktionen der Wissenschaft stehende Wirklichkeit noch eine Interaktion zwischen Wissenschaft und Realität aus.[87] Letzteres wäre aber nach ihrem Konzept eher zufällig, da sie eine non-realistische Position vertritt und damit Wissenschaft als einen deskriptiven Vorgang ablehnt.

Das wissenschaftliche Feld bezeichnet K. Knorr-Cetina, in Anlehnung an P. Bourdieu, als den Ort des Konkurrenzkampfes um das Monopol wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit: „Glaubwürdigkeit ist ein symbolisches Kapital, das die Handelnden dadurch erwerben, daß sie in diesem Feld bestimmte Definitionen und Darstellungen wissenschaftlicher Objekte erfolgreich geltend machen.“[88] Mit Blick auf den faktischen Ablauf der Laborforschung erkennt K. Knorr-Cetina als handlungsleiten­des Prinzip des Forschungsprozesses die Orientierung an Erfolg und nicht an Wahrheit. Wissenschaftliche Glaubwürdigkeit ist demnach nur durch Erfolg im Forschungsprozeß zu erreichen. Was als Erfolg gilt, ist abhängig (a) vom Akteur selbst, (b) von Handlungsort und -zeit sowie (c) den Interpretationsweisen der Umwelt. Daraus folgt, daß die Produkte der Wissenschaft kontext-spezifische Konstruktionen darstellen. Daneben gibt es noch eine weitere Außenbeziehung, denn die Forschung, insbesondere der Forschungsbericht, wird auch im Hinblick auf die antizipierte Reaktionen der Fachkollegen durchgeführt.

Statt eines systematischen Testens theoretisch abgeleiteter Hypothesen identifiziert K. Knorr-Cetina im Forschungsprozeß den Verhaltenstyp des „konstruktiven Tüftlers“, der versucht, gebunden an Handlungsort und -zeit, mit den örtlich vorgegebenen Möglichkeiten wie Apparaturen, Personal, finanzielle Mittel etc., zu einer praktikablen Lösung zu kommen. Dieser sucht in jede Richtung, in der er eine Erfolgschance vermutet. Der Wissenschaftler hofft dabei, daß seine Forschungsarbeit letztlich zu einer alternativen Theorie führt.[89]

Der Hauptunterschied dieser Position zu derjenigen, die zur anti-positivistischen Wende geführt hat, ist vornehmlich die Einbeziehung des technischen Instrumentariums und des praktischen Forschungshandelns bei der Untersuchung, was wissenschaftliches Wissen ausmacht. Allerdings führt die Ausschließlichkeit, mit der diese mikrosoziologische Perspektive vertreten wird, zu einer Einseitigkeit, bei der die strukturelle Einbettung des Forschungshandelns, die makrosoziologische Perspektive, komplett ausgeblendet wird.[90] Vielleicht liegt dieses Problem auch in der von K. Knorr-Cetina vertretenden Methodologie einer ausschließlichen teilnehmenden Beobachtung, bei der „... das wissenschaftliche Handeln auf die von ihr als soziologische Beobachterin analysierbaren sozialen Prozesse verkürzt wird“[91]. Das Ziel ihrer konstruktivistischen Analyse ist, „... ein Terrain so zu erschließen, daß die geordnete Bewegung in diesem Terrain möglich wird“[92]. Allerdings ist aufgrund ihrer Schilderung kein Soziologe (oder irgendein anderer Mensch) in der Lage, sich als Naturwissenschaftler, also als Teilnehmer eines naturwissenschaftlichen Forschungslabors, zu bewegen. Was ihm unter anderem fehlen würde, wäre das fachliche Wissen. Demnach fehlt in Anlehnung an W. Meinefeld bei „... K. Knorr-Cetinas Rekonstruktion des wissenschaftlichen Handelns in einem Forschungslabor eine wesentliche Dimension: nämlich die Orientierung am (fachlichen) Wissenssystem als selbstverständlicher Basis des Handelns ...“[93].

3. Wissenschaftssoziologie und Wissenschaftsphilosopie: Die Frage nach der Geltung wissenschaftlichen Wissens

Alle bisher genannten Ansätze, mit Ausnahme des „strong programme“ von D. Bloor, setzen ontologische Annahmen über die Beschaffenheit der Realität voraus. Sie unterstellen eine vom erkennenden Subjekt unabhängige Realität. Sie unterscheiden sich allerdings in der Frage nach der Möglichkeit der Erkennbarkeit der Realität durch die Wissenschaft. Dabei lassen sich zwei erkenntnistheoretische Postulate differenzieren, unter die alle oben genannten Ansätze subsumiert werden können. Entweder wird postuliert, daß die Wissenschaft in der Lage ist, die vom erkennenden Subjekt als unabhängig gedachte Realität ganz oder teilweise zu erkennen[94] und daß das wissenschaftliche Wissen somit ein priveligiertes Wissen ist; oder, daß das, was Wissenschaft ausmacht, notwendigerweise nicht das Erkennen von Realität ist[95] und daß das wissenschaftliche Wissen somit nicht unterscheidbar ist vom Alltagswissen. Selbst K. Knorr-Cetina, die Wissenschaft als einen konstruktiven Vorgang ansieht, bei dem wissenschaftliches Wissen hergestellt wird, schließt eine hinter den Konstruktionen der Wissenschaft stehende Wirklichkeit und eine, allerdings zufällige, Übereinstimmung zwischen Wissenschaft und Realität nicht aus.[96] Sie kann aber aufgrund ihrer konstruktivistischen Position keine Evaluationskriterien für das Erkennen einer zufälligen Übereinstimmung mit der Realität angeben. Daher wäre es konsequenter, die Vorstellung einer vom erkennenden Subjekt unabhängigen Realität ganz aufzugeben.[97]

Damit stellt sich die Frage nach der Geltung wissenschaftlichen Wissens und dessen Evaluationskriterien bei den einzelnen oben dargelegten wissens- und wissenschaftssoziologischen Ansätzen. Für die analytische Wissenschaftsphilosophie ist die Antwort eindeutig: sie postuliert eine strikte Trennung von Genese und Geltung wissenschaftlichen Wissens. Nach ihren Vorstellungen entscheiden über die Geltung wissenschaftlichen Wissens keine sozialen Prozesse, sondern nur rationale Verfahren und Kriterien. Schwieriger, und dessen war er sich auch selbst bewußt, wird es da schon bei der Wissenssoziologie von K. Mannheim, da bei ihm das Wissen, das wissenschaftliche Wissen und das Alltagswissen, notwendig abhängig ist von den sozialen und historischen Bedingungen seines Entstehens. Aber auch K. Mannheim verzichtet, trotz seiner Erkenntnis von der Seinsgebundenheit des Wissens, nicht gänzlich auf eine ontologische Annahme über die Beschaffenheit der Realität. Er geht von einem „An-sich-sein“ sozialer Phänomene aus, die aber nur seinsrelativ erfaßt werden können.[98] Dies gilt auch für seinen Objektivitätsbegriff, der von einer Synthese verschiedener Perspektiven ausgeht, die aber keine „absolute Synthese“ darstellen kann, da die Seinsgebundenheit auch für die Synthese nicht zu überwinden ist.[99] Folglich konzentriert sich K. Mannheim auf die Frage nach der Möglichkeit von Erkenntnis im Gegensatz zur Frage nach ihrer Geltung. Nur dem naturwissenschaftlichen Wissen schreibt er einen erkenntnistheoretischen Sonderstatus zu.

Die funktionalistische Wissenschaftssoziologie im Gefolge von R. K. Merton unterstellt dagegen einen positivistischen Wissenschaftsbegriff, bei dem die Entscheidung über die Geltung wissenschaftlichen Wissens ausschließlich anhand kognitiver und rationaler Verfahrensweisen und Kriterien erfolgt. Im Zuge der anti-positivistischen Wende kann T. S. Kuhn mit seiner wissenschaftshistorischen Studie aufzeigen, daß auch die Naturwissenschaften dem normativen Wissenschaftsideal der analytischen Wissenschaftsphilosophie nicht entsprechen. Für T. S. Kuhn ist die Geltung wissenschaftlichen Wissens gebunden an die Annerkennung innerhalb einer scientific community, deren Mitglieder sich an einem Paradigma orientieren. Dieses Paradigma wiederum enthält kognitive Elemente wie Methoden, Problemgebiete und Lösungsnormen, innerhalb derer die scientific community über die Geltung wissenschaftlichen Wissens entscheidet. Über die von T. S. Kuhn beschriebenen wissenschaftlichen Revolutionen, denen ein Paradigmawechsel folgt, können sich diese kognitiven Kriterien wiederum ändern. Es gibt für ihn kein externes Kriterium mehr, an dem wissenschaftliches Wissen in seinem Verhältnis zu einer als vom erkennenden Subjket gedachten unabhängigen Realität überprüft werden kann. Es ist jenes wissenschaftliche Wissen gültig, welches von der jeweiligen scientific community, die es produziert, als gültig anerkannt wird. Das gilt, wenden wir T. S. Kuhns Analyse auf die Soziologie an, auch für das Wissen der Wissenschaftssoziologie.

Die Anhänger der „Soziologie wissenschaftlichen Wissens“ haben dies noch radikalisiert und erklären die Frage nach der Gültigkeit wissenschaftlichen Wissens zu einem Relikt eines von ihnen überwundenen Paradigmas.[100] Für D. Bloor zum Beispiel ist das wissenschaftliche Wissen ausschließlich determiniert durch soziale Faktoren. Das wissenschaftliche Wissen ist damit eine gleichrangige Form des Wissens neben anderen. Wissenschaftstheorie wird durch Wissenssoziologie ersetzt. Damit stellt sich aber die Frage nach der Stellung des Wissens der Wissenssoziologie selber. Wenn jedes Wissen sozial bedingt ist, dann gilt das auch für das Wissen der Wissens- bzw. Wissenschaftssoziologie selber. Die Erkenntnisse der Wissens- bzw. Wissenschaftssoziologie über die soziale Bedingtheit wissenschaftlicher Erkenntnis können ebenfalls keinen allgemeinen Geltungsanspruch erheben. M. A. Overington beschreibt diese Entwicklung[101] als einen metatheoretischen Skandal: „wir selbst verwenden notwendigerweise die innerhalb unserer eigenen Gemeinschaft erfundenen ideologischen Kategorien zum Zwecke des soziologischen Studiums der Ideologien anderer Gemeinschaften - ohne auf eine metatheoretische Legitimation für diese Grenzüberschreitung verweisen zu können! Wann werden die Magier kommen, um unsere Arbeit, unsere Spielchen zu beobachten?“[102] Allerdings glaubt M. A. Overington, daß die Einsicht in dieses metatheoretische Problem nicht unbedingt dazu führt, daß die Soziologen ihr Pochen auf einen priveligierten Wissensstatus aufgeben und diese Einsicht auf ihre eigene Gemeinschaft anwenden werden. Denn die „... Metatheorie der Soziologie beruht auf der Praxis der Soziologen, nicht umgekehrt: metatheoretische Skandale sind etwas für Metatheoretiker und für Leute, die sich gerne aufregen“[103]. Die Vorstellungen von M. A. Overington über den metatheoretischen Skandal in der Soziologie verweisen auf die Prämissen der „Postmoderne“, die nicht mehr nach der „Wahrheit“, für die es ihrer Auffassung zufolge kein unabhängiges Beurteilungskriterium gibt, strebt. Die „Postmoderne“ negiert einen universellen Maßstab und postuliert einen irreduziblen Pluralismus der Kulturen, Lebensformen oder Sprachspiele. Bezogen auf den Status des wissenschaftlichen Wissens gibt es demnach keinen Beurteilungsmaßstab mehr außerhalb des Kontextes einer Kultur, Lebensform oder Sprachspiel, das es ermöglicht und ihm Bedeutung verleiht.[104] Dies führt für die „Postmoderne“ zu einem gleichberechtigten Nebeneinander von unterschiedlichen Kulturen, Lebensformen und Sprachspielen sowie auch für ein Nebeneinander von „Moderne“ und „Postmo­derne“, da letztere, aufgrund ihres Pluralismuspostulats, nicht den Anspruch erhebt, die „Moderne“ zu ersetzen.

Damit sich die Wissenschaft nicht in der Beliebigkeit alternativer Interpretationen verliert und ihre Existenz als ein ausdifferenzierter gesellschaftlicher Teilbereich nicht in Frage gestellt werden kann,[105] versuchen einige Soziologen das wissenschaftliche Wissen mit einem, wie es M. A. Overington nennt, „cordon sanitaire“ zu immunisieren und so den Implikationen dieses metatheoretischen Skandals zu entgehen. Zum Beispiel führt W. Meinefeld meines Erachtens in seiner vom Versuch der Integration von Realismus und radikalem Konstruktivismus gekennzeichneten Abhandlung „Realität und Konstruktion“[106] die vom erkennenden Subjekt unabhängige und nicht von diesem erkennbare Realität als eine Art „cordon sanitaire“ ein. Dabei unterscheidet er zwischen den Begriffen „Realität“, die unabhängig vom erkennenden Subjekt „da ist“ und von diesem aber nicht erkannt werden kann und der „Wirklichkeit“, die die Gesamtheit der Vorstellungen der Handelnden über die Beschaffenheit der Welt bezeichnet. Für W. Meinefeld konstituieren kognitive und soziale Rahmenbedingungen zwar Erkenntnis, aber dies rechtfertigt seiner Meinung nach „... nicht die Schlußfolgerung, sie darin aufgehen zu lassen und sich von dem zwar nicht einlösbaren, dennoch aber unverzichtbaren Ziel freizusprechen, `Struktu­ren der Realität´ zu erfassen. Die Unterstellung der Existenz eines externen, dem Erkenntnisprozeß nicht zu eigenen Bezugs- und Prüfpunktes wird daher hier als konstitutiv für jede wissenschaftliche Vorgehensweise betrachtet“[107]. Ein nicht zu erreichendes Ziel soll demnach ein Orientierungs- und Prüfpunkt für das Forschungshandeln darstellen. Dabei bleibt bei W. Meinefeld allerdings offen, wie etwas als Orientierungs- und Prüfpunkt fungieren kann, von dem ausdrücklich behauptet wird, daß man es nicht erkennen kann. An dieser Stelle sei an den „empirischen Realismus“ von I. Kant und seinen Ausführungen in „Kritik der reinen Vernunft“ verwiesen.

Das von W. Meinefeld vorgestellte Konzept der Genese und Geltung von Erkenntnis kann meines Erachtens aber auch ohne die Annahme einer vom erkennenden Subjekt unabhängigen Realität auskommen. Innerhalb dieses Konzeptes kann man ohne Erkenntnisverlust den Begriff „Realität“ durch den von W. Meinefeld selbst definierten Begriff „Wirklichkeit“ ersetzen. Dadurch verliert man „nur“ die „fiktiven“, innerhalb seiner Konzeption nicht zu erreichenden, externen Gütekriterien für das wissenschaftliche Wissen und ersetzt diese, wie zum Beispiel bei T. S. Kuhn zu sehen ist, durch die Akzeptanzkriterien der scientific community. Allerdings würde das wissenschaftliche Wissen ohne diese externen Gütekriterien und gleichzeitig auch die Wissenschaft selber, ihren priveligierten Status verlieren, und es käme zu den von M. A. Overington beschriebenen Legitimationsproblemen der Wissenschaft und damit auch für die sie betreibenden Wissenschaftler. Diese Konsequenzen scheinen W. Meinefeld aber nicht zu behagen, und daher führt er den aufgezeigten „cordon sanitaire“ ein.

Dagegen zeigen P. L. Berger und T. Luckmann[108] mit ihrem konstruktivistischen Ansatz einer Wissensoziologie, daß die soziale Welt trotz ihrer Gegenständlichkeit für unsere Erfahrung keinen ontologischen Status besitzen muß. Ihre Wissenssoziologie beschränkt sich dabei nicht auf das wissenschaftliche Wissen, sondern beschäftigt sich darüber hinausgehend mit dem sogenannten „Jedermanns­wissen“. Für sie ist die Wissenssoziologie keine Bindestrichsoziologie, sondern konstitutiv für eine allgemeine Soziologie. Sie versuchen aufzuzeigen, daß es sich nicht widerspricht, daß Gesellschaft auf der einen Seite objektive Faktizität besitzt und auf der anderen Seite durch Tätigkeiten der Subjekte, die subjektiv gemeinten Sinn zum Ausdruck bringen, konstruiert wird. Grundsätzlich gehen sie von einer Konstruiertheit der Wirklichkeit durch die Subjekte aus. Das Subjekt ist einerseits der Hervorbringer der Wirklichkeit, und andererseits wirkt diese Hervorbringung als objektive Faktizität wieder auf das Subjekt zurück. Das Subjekt und die von ihm produzierte Wirklichkeit stehen in einer reziproken Beziehung zueinander. Dieser Prozeß ist für sie ein dialektischer Prozeß, bestehend aus Externalisierung, Objektivation und Internalisierung: „Gesellschaft ist ein menschliches Produkt, Gesellschaft ist eine objektive Wirklichkeit. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Produkt [Hervorhebungen im Original] .[109] Dabei kann nach Angaben der Autoren das Paradoxon entstehen, daß das Subjekt fähig ist, eine Wirklichkeit zu produzieren, die es dann anders als ein menschliches Produkt erlebt. Ein Manko dieses Ansatzes ist allerdings, daß die erkennnistheoretischen und methodologischen Probleme und Implikationen von ihnen nicht erörtert werden, sondern sie diese in den Zuständigkeitsbereich der Philosophie verweisen.

4. Ein integrativer Ansatz für die Wissenschaftssoziologie: Soziale und kognitive Faktoren als konstitutive Elemente wissenschaftlichen Wissens

Nachdem bisher die Entwicklung des Konflikts zwischen einer idealistischen und einer historisch-materialistischen Vorstellung der Wissenschaftsentwicklung nachvollzogen worden ist, wird nun dieses Material für einen einheitlichen kultursoziologischen Zugang zur Genese und Geltung wissenschaftlichen Wissens fruchtbar gemacht. Dazu wird in diesem Kapitel ein theoretischer Analyserahmen entfaltet, in dem kognitive Inhalte und soziale Faktoren, hier im besonderen die soziale Organisation der scientific communities, nicht als isolierte und unabhängige Faktoren sondern als Interdependent[110] begriffen werden, und zwar ausdrücklich bezogen auf die Genese und Geltung wissenschaftlichen Wissens und ohne diesem einen ontologischen Status zuzuweisen. Dabei liegt der Schwerpunkt der nachfolgenden Untersuchung der kritischen Kriminologie auf den interdependenten Beziehungen zwischen diesen beiden Elementen, wobei ausdrücklich keinem der beiden ein Primat zugesprochen wird.

Grundlage für diesen theoretischen Analyserahmen bildet einerseits das Kuhnsche Konzept der Wissenschaftsentwicklung und andererseits die wissenssoziologische Fragestellung der klassischen Wissenssoziologie transformiert auf die Analyse der Wissenschaft. Diese Verbindung führt dazu, daß die von der traditionellen Wissenschaftssoziologie vorgenommene Perspektivenverengung auf die Genese wissenschaftlichen Wissens aufgehoben wird und sich das Postulat der Interdependenz von kognitiven Inhalten und sozialer Organisation der scientific community ausdrücklich auf die Genese und Geltung[111] wissenschaftlichen Wissens bezieht.

Innerhalb von T. S. Kuhns Konzept der Wissenschaftsentwicklung rücken wissen­schaftliche Standards und Verfahrensregeln in den Untersuchungsbereich der Soziologie, weil der wissenschaftliche Prozeß von lokalen Denktraditionen (Paradig­mata) bestimmt wird, die für bestimmte Gruppen autoritativen Charakter erhalten, und deren Ausübung, Elaborierung und Wandlung an Gruppenprozesse innerhalb einer scientific community zurückgebunden sind. Diese Bindung von lokalen Denktraditionen an spezifische scientific communities zeigt sich deutlich in T. S. Kuhns zirkulärer Paradigmabestimmung in seinem Postskriptum von 1969: „Ein Paradigma ist das, was den Mitgliedern einer wissenschaftlichen Gemeinschaft gemeinsam ist, und umgekehrt besteht eine wissenschaftliche Gemeinschaft aus Menschen, die ein Paradigma teilen.“[112] Daraus folgt, daß T. S. Kuhn davon ausgeht, daß ein Paradigma nur in Zusammenhang mit der Existenz einer scientific community gedacht werden kann. Die Entscheidung für oder gegen ein neues Paradigma ist somit für ihn letztendlich ein ausschließlich sozialer Prozeß[113], so daß die Geltung eines Paradigmas (Inter-Paradigma-Geltung) immer von der Anerkennung durch eine scientific community abhängig ist. Mit dem Wechsel eines Paradigmas ändern sich auch die Evaluationskriterien, die somit selbst wandelbar sind für das, was als wahr bzw. unwahr angesehen wird. Dabei wird unterstellt, daß es nicht eine einzige allumfassende scientific community in der Wissenschaft gibt, sondern nur lokale scientific communities auf der Ebene der Fachdisziplinen. Hier ist es durchaus möglich, daß innerhalb einer Fachdisziplin mehrere scientific communities und demnach auch mehrere Paradigmata nebeneinander existieren. Die Soziologie ist zum Beispiel eine Disziplin, in der verschiedene Paradigmata nebeneinander existieren. Ob dies auf die Kriminologie ebenfalls zutrifft, wird unter anderem die nachfolgende Untersuchung zeigen.

Die kognitiven Inhalte innerhalb eines Paradigmas (Intra-Paradigma-Geltung) werden durch die vom Paradigma vorgegebenen Methoden, Problemgebiete und Lösungsnormen beeinflußt, so daß soziale Prozeße, hier die soziale Organisation der scientific community, nicht beliebigen kognitiven Inhalten zur Durchsetzung verhelfen, sondern nur jenen, die in Übereinstimmung mit dem Paradigma stehen. In wissenschaftlichen Argumentationen geht es somit nicht um „Wahrheit“, sondern um die Akzeptierung oder Verwerfung von Aussagen, die durch die Wissenschaftler der scientific community behauptet[114] werden, so daß die Anerkennung der Geltung kognitiver Inhalte innerhalb eines Paradigma einen sozialen Prozeß innerhalb der scientific community darstellt.[115] Kognitive Inhalte der Wissenschaft (Theorien, Begriffe, Methoden etc.) bedürfen folglich für ihre „rationale“ Wirksamkeit der sozialen Durchsetzung und somit Anerkennung in der scientific community. Nach der Durchsetzung in der scientific community besitzen die kognitiven Inhalte den Status von sozialen Normen für diese scientific community. Bei einer Anomalie gerät die soziale Geltung der Normen in Widerspruch zur empirischen Beobachtung. Daraus kann nach T. S. Kuhn durch eine wissenschaftliche Revolution wiederum ein neues Paradigma entstehen.

Die Hauptschwierigkeiten für die nachfolgende Analyse des Interdependenzverhältnisses von kognitiven Inhalten und sozialer Organisation der scientific community ergeben sich zum einen durch die Notwendigkeit, die beiden Einheiten des Interdependenzverhältnisses, kognitive Inhalte und soziale Organisation, in analytische Einheiten zu konzeptualisieren und voneinander zu trennen, und zum anderen aus der Zerlegung und Abgrenzung der Interdependenzverhältnisse zwischen diesen analytisch isolierten Einheiten, damit sie einer empirischen Analyse zugänglich werden. Bisherige Untersuchungen über einen Paradigmawechsel in der kritischen Kriminologie beschäftigen sich nur einseitig mit den kognitiven Elementen der kritischen Kriminologie und lassen die institutionellen Elemente (soziale Organisation) eines Paradigma(wechsels) außer Acht.[116] Dagegen beziehen sich die bisherigen Untersuchungen über Entstehung und Wandel von scientific communities, insbesondere die in dieser Arbeit zitierten, fast ausschließlich auf Fachdisziplinen in den Naturwissenschaften. Es ist zu vermuten, daß die Gründe für diese Lücke unter den wissenschaftssoziologischen Untersuchungen über die eigenen soziologischen scientific communities einerseits dem von Antony Giddens postulierte Problem der doppelten Hermeneutik in den Sozialwissenschaften, und andererseits in den Implikationen des bereits in Kapitel 3 erörterten metatheoretischen Skandals und den daraus erwachsenen Zirkel für den Wissenschaftssoziologen, der sich mit seiner eigenen Disziplin beschäftigt, zu suchen sind.

In der nachfolgenden Untersuchung werde ich im Rahmen der Konzeptualisierung und Abgrenzung der beiden analytischen Einheiten mit der Lokalisierung und Abgrenzung der scientific community der kritischen Kriminologie beginnen und auf dieser Grundlage ihre Entwicklung beschreiben. Dabei gehe ich davon aus, daß sich die soziale Organisation der kritischen Kriminologie im AJK manifestiert.[117] Danach erfolgt die Rekonstruktion des Theorieprogramms der kritischen Kriminologie und dessen Entwicklung, auf der Grundlage der schriftlich fixierten Produkte der Mitglieder des AJK, insbesondere in der Fachzeitschrift des AJK, dem Kriminologischen Journal (KrimJ). Um das Interdependenzverhältnis des kognitiv-institutionel­len Arrangements des AJK und seiner Entwicklung in einem zweiten Schritt analysieren zu können, müssen die beiden analytisch getrennten Einheiten wieder gedanklich zusammengefügt werden. Dazu wird das Interdependenzverhältnis analytisch zerlegt in das Verhältnis der Beeinflussung der sozialen Organisation der scientific community durch die kognitiven Inhalte und umgekehrt.

Für die Konzeptualisierung und Abgrenzung der scientific community als soziale Organisation kann man zunächst ganz allgemein von den Bestimmungskriterien einer Organisationen ausgehen. Als Organisation bezeichnet man alle Institutionen, Gruppen und sozialen Gebilde, deren konstitutives Merkmal das gemeinsame und bewußte Hinarbeiten auf ein Ziel ist. Dabei sind Organisationen einerseits geplant arbeitsteilig gegliedert und haben andererseits ihre Aktivitäten auf Dauer eingerichtet. Ihre Grenzen bestimmen sie allgemein durch Mitgliedschaft bzw. durch eine Formalisierung von Eintritts- und Austrittsbedingungen. Für M. Crozier und E. Friedberg „... erscheint das Phänomen ` Organisation´ letztlich als politisches und kulturelles Konstrukt, als Instrument, das sich soziale Akteure schmiedeten, um ihre Interaktionen so zu `regeln´, daß sie das zur Verfolgung kollektiver Ziele notwendige Minimum an Kooperation erreichen und dabei noch ihre Autonomie als relativ freie [!] Handelnde bewahren [Hervorhebungen im Original].“[118] Bezogen auf die scientific community als soziale Organisation besteht das Ziel in der Durchsetzung, Erweiterung und Erhaltung ihres Paradigmas.

Jede Organisation ist in zweifacher Weise davon abhängig, Beziehungen mit ihrer Umwelt aufzunehmen: „...einmal, um die für die Fortführung notwendigen materiellen und menschlichen Ressourcen ... zu erhalten; zum anderen, um ihr Produkt, sei es ein materielles Gut oder eine immaterielle Leistung, zu verkaufen oder an den Mann zu bringen“[119]. Dies gilt auch für scientific communities, deren immaterielle Leistung, die sie verbreiten wollen, ihr Paradigma ist. Für die Fortführung dieses Paradigmas benötigt die scientific community materielle Ressourcen, nämlich Forschungsgelder, und menschliche Ressourcen, wobei das erstere in der Regel die Voraussetzung für letzteres ist.

Die Mitglieder einer scientific community kann man nach T. S. Kuhn anhand von fünf Merkmalen identifizieren: (1) Die Mitglieder sind einer gleichartigen Ausbil­dung und (2) beruflichen Initiation unterworfen, (3) sie haben dieselbe Fachliteratur gelesen, (4) ein eigenes Gegenstandsgebiet und (5) die Grenzen der Fachliteratur bezeichnen auch die Grenzen des wissenschaftlichen Gegenstandsgebietes.[120] In der präinstitutionellen Phase einer scientific community muß allerdings auf andere Indikatoren zurückgegriffen werden: (a) den Besuch von Fachkonferenzen,[121] (b) die Verteilung von Rohmanuskripten vor der Publikation und (c) die informellen Kommunikationsnetze, wie zum Beispiel Briefwechsel oder gegenseitiges Zitieren.[122]

Die kognitiven Elemente (eines Paradigma) entsprechen den Theorien, Methoden, Problemgebiete und Lösungsnormen der Mitglieder einer scientific community und können zum Beispiel anhand von Publikationen in der eigenen Fachzeitschrift, kollektiven Veröffentlichungen in Sammelbänden oder den Berichten über eigene Tagungen identifiziert werden.

Für eine Beeinflussung der sozialen Organisation der Wissenschaft durch ihre kognitiven Inhalte spricht, daß nach T. S. Kuhn eine scientific community durch die Anerkennung und das Festhalten an einem gemeinsamen Paradigma entsteht und zusammengehalten wird. Der Lebenszyklus dieser scientific community ist demnach durch die Fruchtbarkeit des Paradigma bestimmt. Die organisatorische Gliederung der scientific community erfolgt dabei nach Maßgabe der gültigen kognitiven Differenzierung der Problemfelder und Forschungsmethoden des von ihr anerkann­ten Paradigmas.

Andererseits, und dies spricht für die Beeinflussung des kognitiven Inhalts durch die soziale Organisation der Wissenschaft und beinhaltet gleichzeitig die von T. S. Kuhn erwähnte Zirkularität in seinem Paradigmabegriff, ist der Lebenszyklus und die Geltung eines Paradigma wiederum gebunden an das Vorhandensein einer Gruppe bzw. scientific community und deren stützende Strategien. Wird ein Paradigma nicht von einer scientific community anerkannt oder rekrutiert diese nicht erfolgreich Nachwuchs, so stirbt das Paradigma mit seinen anfänglichen Trägern aus. Um die scientific community und damit das Paradigma erhalten zu können, müssen die Mitglieder von ersterem ihr Paradigma in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit präsent machen und sich gegen konkurrierende Paradigmata behaupten (s. Abb. 01). Dazu dient die Gründung von eigenen Fachzeitschriften und Fachvereinigungen, da die traditionellen Fachzeitschriften und Fachvereinigungen aufgrund der Inkommensur­abilität von Paradigmata andere Qualitäts- und Auswahlkriterien für wissenschaftli­che Arbeiten besitzen. Dazu gehört außerdem die Beanspruchung eines besonderen Platzes im Lehrplan, die Einnahme von Lehrstühlen an den Universitäten und das Einwerben von Forschungsmitteln. Die drei letzten Strategien dienen dabei nicht nur der Verbreitung des Paradigmas sondern auch der Rekrutierung von Nachwuchs, um das Paradigma ausbauen zu können und sich somit gegenüber konkurrierenden Paradigmata behaupten zu können, und außerdem den Lebenszyklus des Paradigma über den der ursprünglichen Träger hinaus zu verlängern. Um dafür erfolgreich Forschungsmittel einwerben zu können, ist eine personale und kognitive Diffusion des Paradigma in bereits bestehende Forschungs- oder Fördergesellschaften und die Gründung eigener Gesellschaften nötig. Der Zusammenhang zwischen der (notwen­digen) personellen Diffusion eines Paradigma in bereits bestehende Forschungs- oder Fördergesellschaften und der Präsenz und Behauptung des Paradigma in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit ist aus Gründen der größeren Transparenz noch einmal schematisch in Abbildung 02 dargestellt.

Einen weiterer Indikator für die Beeinflussung kognitiver Inhalte durch die soziale Organisation der Wissenschaft bieten die Geschichte der Wiederentdeckungen innerhalb der Wissenschaft. Die Existenz von Wiederentdeckungen zeigt auf, daß Entdeckungen zum Teil durch die soziale Struktur der Wissenschaft nicht zum Durchbruch kommen, weil sich innerhalb der scientific community, wie von T. S. Kuhn aufgezeigt, Widerstand gegen die Entdeckung, die nicht dem durch das Paradigma erwartete entspricht, geleistet wird.

Abbildung 01: Der Zusammenhang zwischen einer personellen Diffusion des Para- digma in Forschungs- und Fördergesellschaften und der Präsenz und

Behauptung eines Paradigma in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenDie oben genannten isolierten Elemente der Beeinflussung der kognitiven Inhalte durch die soziale Organisation der scientific community können auch beschrieben werden als ein Prozeß zunehmender Institutionalisierung der sozialen Organisation der scientific community und damit einhergehend der kognitiven Inhalte eines Paradigmas. Die zunehmende Institutionalisierung kann grob in verschiedene aufeinanderfolgende Phasen eingeteilt werden,[123] deren Konvergenz dann mit einer bestimmten scientific community, hier dem AJK, überprüft werden kann.

Die erste Phase oder Anfangsphase der Institutionalisierung ist dabei noch nicht Gegenstand einer kollektiven Handlungsstrategie, sondern ihr Ausgangspunkt. Nach T. S. Kuhn taucht die Idee zu einem neuen Paradigma zuerst im Geiste von einer Person oder einigen Personen auf, die zunächst versuchen, Argumente für diese Idee bzw. das neue Paradigma anzuhäufen. Diese Wissenschaftler sind entweder sehr jung oder auf dem Gebiet, dessen Paradigma sie ändern wollen, sehr neu. Da nach T. S. Kuhn die Krise des alten Paradigma als kognitive Voraussetzung für diesen Prozeß und die Entwicklung eines neuen Paradigmas im Kontext der normalen Wissenschaft des traditionellen Paradigmas entsteht, liegt hier schon der Keim des Konflikts zum traditionellen Paradigma und demzufolge auch zu der dieses Paradigma anerkennenden scientific community. Dieser Konflikt und der sich daraus ergebende durch T. S. Kuhn beschriebene Widerstand gegen das neue Paradigma führen, um das neue Paradigma überhaupt artikulieren zu können, zu dem Versuch, eine neue scientific community zu bilden.

Aus dieser Situation heraus entstehen in einer zweiten Phase informelle Kommunikationsbeziehungen zur Elaborierung und Versicherung der eigenen Position. Des weiteren erfolgt eine erste Veröffentlichung der neuen Problemstellung, Problemlösung oder sogar einer neuen Forschungsstrategie. Nach P. Weingart kann die nun entstehende Gruppe lokal völlig unabhängig aufkommen, oder es bildet sich ein geographisches Zentrum heraus. „Gerade die Bedeutung des `geographischen Zentrums´ ... in der frühen Phase ist aber ein Indiz für die Deckungsgleichheit von kognitiver Orientierung und sozialer Gruppenstruktur.“[124]

Daran schließt sich in einer dritten Phase die Herausbildung systematischer Kommunikationsbeziehungen und der zu ihrer Organisation notwendige Gründung einer Fachvereinigung an. Dazu gehören gemeinsame Forschungen und Veröffentlichungen.[125] Um die Veröffentlichungen zu garantieren, erfolgt die Gründung einer eigenen Fachzeitschrift; zusammen mit der Bildung einer wissenschaftlichen Gesellschaft ist das der wichtigste Institutionalisierungsschritt. Dieser Schritt ist notwendig, da die neue scientific community und ihr Paradigma im Widerspruch zum traditionellen Paradigma stehen und damit unterschiedliche Qualitäts- und Auswahlkriterien für wissenschaftliche Arbeiten bestehen. Daher würden die Arbeiten der neuen „scientific community“ in den traditionellen Fachzeitschriften kaum Verbreitung finden. Mit der Gründung einer neuen Fachzeitschrift setzt die neue scientific community ihre eigenen Standards und Auswahlkriterien: „Die Gründung von Zeitschriften und wissenschaftlichen Gesellschaften ist somit der sozial-institutionelle Ausdruck eines bis zu diesem Punkt erfolgreichen `Paradigmawechsels´ bzw. Selektionsprozesses und von diesem isoliert nicht erklärbar.“[126] Dies sichert die Sichtbarkeit der kognitiven Inhalte und die Kommunikation sowie die Diskussion untereinander. Außerdem erfolgt nun eine bewußte Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen. „Diese Abgrenzung ist sowohl Voraussetzung wie Folge des Gruppenbewußtseins, d.h. sie dient dessen Stärkung und resultiert aus den von außen erfahrenen Widerständen ... Das wiederum dient der Verpflichtung auf das `Dogma´ der Gruppe und die mit ihm verbundenen Orientierungsstandards ... .“[127] Die Folge solch einer bewußten Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen ist ein verstärktes „in-group/out-group-Bewußtsein“[128] und damit verbunden eine Beschränkung des Forschungsinteresses und eine immer mehr zunehmende Verschließung gegenüber Informationen von außen.

Außerdem ist in einer vierten Phase für die Herstellung der Sichtbarkeit und Diffusion der kognitiven Inhalte die Rekrutierung weiterer Anhänger und das Einwerben von Forschungsmitteln über den Zugang zu bestehenden Institutionen wie Forschungsstiftungen und -gemeinschaften sowie den Universitäten notwendig. Innerhalb dieser bestehenden Institutionen muß die neue scientific community versuchen, „... die `herrschenden´ Standards der `Zugangs´- und `Verteilungskontrollen´ außer Kraft zu setzen ...“[129]. Dazu gehört auch die von T. S. Kuhn beschriebene Beanspru­chung eines besonderen Platzes im akademischen Lehrplan.

Darauf folgt in der fünften Phase eine Konsolidierung und der Übergang in T. S. Kuhns sogenannte „normale Wissenschaft“, die den Keim für neue Revolutionen bereits in sich hat. Diese Phase manifestiert sich unter anderem in der Besetzung und Schaffung von neuen Lehrstühlen und neuen Studiengängen, deren Curriculum sich an dem neuen Paradigma orientiert. Diese fünfte Phase und der damit einhergehende Übergang in die „normale Wissenschaft“ repräsentiert zugleich den Abschluß des Institutionalisierungsprozesses.

Diese Untersuchungskonzeption könnte im Zusammenhang mit der Paradigmaidee von T. S. Kuhn noch um die Dimension der wissenschaftsexternen Verwendung der kognitiven Inhalte erweitert werden. Dabei würde als ein zusätzliches Element neben den kognitiven und organisatorischen Elementen die Diffusion der kognitiven Inhalte in die gesellschaftliche Praxis und deren Auswirkung auf die Durchsetzung des Paradigmas analysiert werden müssen. Wissenschaftssoziologisch würde diese zusätzliche Dimension auf den Zusammenhang zwischen der Erklärungskraft und der Anerkennung eines Paradigmas in der gesellschaftlichen Praxis verweisen. Zum Beispiel postuliert A. D. Biderman ein Interdependenzverhältnis zwischen sozialem Einfluß, Förderung und Erklärungswert einer Sozialwissenschaft.[130]

In Bezug auf die in dieser Arbeit analysierte kritische Kriminologie wäre beispielsweise zu fragen, inwiefern die kognitiven Inhalte der kritischen Kriminologie Eingang gefunden haben in das (Alltags-)Wissen der Kontrollinstanzen und deren Forschungsinstitutionen und welche Auswirkungen dies auf das Theorieprogramm der kritischen Kriminologie hat. Es wäre denkbar, daß selektiv nur ein Teil der kognitiven Inhalte der kritischen Kriminologie von den Kontrollinstanzen und deren Forschungsinstitutionen aufgenommen wird und daß diese selektive Rezeption auf die Weiterentwicklung und Verbreitung des Theorieprogramms der kritischen Kriminologie einen Einfluß hat.[131] Mit der empirischen Überprüfung dieser Dimension hätte man allerdings auch das Problem der Identifizierung von „wissenschaftlichem Wissen“ in der gesellschaftlichen Praxis zu lösen und wäre damit im Zentrum der derzeitigen Diskussion innerhalb der Verwendungsforschung.[132] Eine Erörterung dieses Problems und eine darauf aufbauende empiri­sche Analyse der Verwendung der kognitiven Inhalte der kritischen Kriminologie in der gesellschaftlichen Praxis sprengt allerdings den Rahmen dieser Arbeit und muß daher an weiteren Arbeiten über dieses Thema überlassen werden.

Darüber hinaus verweist die Dimension der Verwendung wissenschaftlichen Wis­sens auch auf die gesellschaftliche Umwelt von kognitiven Inhalten und der Beeinflussung durch diese. Dabei läßt sich beispielsweise die Frage stellen, unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen sich eine bestimmte Theorie und eine bestimmte soziale Organisation ausbildet? Oder andersherum: Warum bildet sich zu einer bestimmten Zeit eine bestimmte Art und Form von Theorie und sozialer Organisation aus? Auch die Beantwortung dieser Fragen kann diese Arbeit nicht leisten.[133]

II. Etablierung und Entwicklung eines neuen Paradigma in der Kriminologie: Die kritische Kriminologie und der AJK als scientific community

5. Die soziale Organisation des AJK und ihre Entwicklung von 1969-1996

5.1 Ziele des AJK

Die mit der Gründung des AJK im Juni 1969 in Hannover verbundenen Ziele lassen sich in drei Klassen einteilen:[134]

a.) kommunikative Ziele
b.) wissenschaftspolitische Ziele
c.) kriminalpolitische Ziele

Diese drei Klassen sind allerdings nicht unabhängig voneinander, sondern bedingen sich zum Teil, als Mittel zur Erreichung der jeweils anderen Zielen, selbst. Zum Beispiel ist der mit den kommunikativen Zielen verbundene Informationsaustausch untereinander ein Mittel, um wissenschaftspolitische Ziele erreichen zu können.

Zur Klasse der kommunikativen Ziele gehört die gegenseitige Information und Diskussion über laufende und geplante Forschungsvorhaben und Theoriekonzeptionen im AJK, um der eigenen Vereinzelung und institutionellen Abhängigkeit der im AJK zusammengeschlossenen Wissenschaftler entgegenzutreten und dadurch einen größeren forschungspolitischen Einfluß gewinnen zu können. Als Kernstück des Informationsaustausches im AJK dienen die selbst organisierten Tagungen zu aktuellen theoretischen und kriminalpolitischen Themen. Außerdem fungieren das KrimJ und ab 1972 die AJK-Rundbriefe als Informationsmedien des AJK. Diese kommunikativen Ziele sind für den AJK deshalb so elementar, da nach seiner Ansicht die bisherige Diskussion von Forschungskonzeptionen in der Kriminologie hinter verschlossenen Türen stattgefunden hat.[135]

Die wissenschaftspolitischen Ziele erstrecken sich zum einen auf die theoretische und institutionelle Etablierung der kritischen Kriminologie an den Universitäten und dort besonders in der Form, „... Lehrstühle zu besetzen und das Fach Kriminologie auszuweiten ...“[136]. Zum anderen erstrecken sie sich auf die Einflußnahme bei der Forschungsfinanzierung und Forschungsmittelvergabepolitik, wobei der AJK insbesondere eine Demokratisierung der außeruniversitären Forschungsmittelvergabepolitik anstrebt, sowie eine Beeinflussung der Besetzung der Gutachtergremien der entsprechenden außer­universitären Institutionen. Bereits auf der Programmtagung I des AJK 1973 wird festgestellt, daß der AJK eine eigene Forschungspolitik verfolgen will und zu diesem Zweck bestrebt ist, „... bei der Vergabe öffentlicher Mittel für kriminologischer Forschungszwecke eine mitwirkende Funktion auszuüben“[137]. Bei diesen wissenschaftspolitischen Zielen einer Neuverteilung der Forschungsressourcen und Reorganisation der Kriminologie als Wissenschaft sowie der Mitwirkung an der Struktur- und Curriculumreform der Ausbildungsgänge für Kontrollinstanzen „... geht es natürlich auch um handfeste Fragen der Macht, nämlich über Sozialisationsprozesse auch bei Juristen und jungen Kriminologen zu verfügen“[138], um die eigene Position zu vertreten und somit zugleich eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs rekrutieren zu können. Um diese wissenschaftspolitischen Ziele erreichen zu können, rückt für den AJK die Analyse der kriminologischen Forschung selbst, ihrer Förderung und der selektiven Zugangsgewährung in den Mittelpunkt, um auf der Grundlage einer Bestandsaufnahme die Strategien zur Durchsetzung der eigenen wissenschaftspolitischen Ziele besser planen zu können.

Daß die kritische Kriminologie die theoretische Analyse nicht nur als einen nach wissenschaftlichen Kriterien legitimierbaren Selbstzweck betreiben will, sondern sich auch dafür einsetzen will, die beschriebenen Mängel zu beseitigen, zeigen die kriminalpolitischen Ziele des AJK. Gemeinsame Akzente für eine AJK-Politik werden auf der AJK-Klausurtagung vom 05. bis 11.08.1973 in Bielefeld verabschiedet. Dabei stellt sich der AJK „... unter die Erwartung und den Zwang, seine theoretischen wie sonstigen Aktivitäten in folgenreiche Instrumente der Veränderung gesellschaftlicher Wirklichkeit zu transformieren. Seine kriminalpolitischen Ziele sind:[139]

- Aufklärung über sozialstrukturelle Verankerungen der Kriminalität
- Aufdeckung der Interessengebundenheit der Instanzen sozialer Kontrolle
- Illegitimierung der herrschenden Normen und Verfahrensweisen im Kriminalisie- rungsprozeß
- Legitimierung alternativer Praxismodelle
- Klärung der politischen Bedingungen von Reformen auf dem Gebiet der sozialen Kontrolle
- Neuverteilung der Forschungsressourcen und Reorganisation der Kriminologie als Wissenschaft

An den weiteren „Akzenten für eine zukünftige AJK-Politik“[140] kann man in den Kategorien „Zielgruppen“ und „Mittel“ bereits erkennen, daß die kritische Kriminologie mit dem bis dahin ebenfalls in der traditionellen Kriminologie vorherrschenden Postulat des kritischen Rationalismus bricht, für den politische Zielorientierungen als prinzipiell unentscheidbar gelten und deshalb aus dem wissenschaftlichen Diskurs ausgeklammert werden müssen.[141] Die kritische Kriminologie will demgegenüber ihre Erkenntnisse in die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und politischen Parteien hineintragen, um einen gesellschaftlichen Wandel in der Kriminalpolitik zu erreichen. Allerdings sind die von ihr unter der Kategorie „Zielgruppen“ aufgeführten Institutionen, mit denen sie einen gesellschaftlichen Wandel durchsetzen will, eher stabilisierende Kräfte in unserer Gesellschaft. Die dafür vom AJK beabsichtigten einzusetzenden Mittel sind ebenfalls durchaus ganz herkömmlicher Art. Es wird kein politisches Mandat für die Wissenschaft bzw. Kriminologie gefordert, es soll weiterhin eine Trennung in sachlicher aber nicht mehr in personeller Hinsicht erfolgen. Darunter versteht die kritische Kriminologie das politische Engagement des einzelnen Wissenschaftlers als ein Engagement als Staatsbürger. Dies zeigt sich zum Beispiel in dem Mittel der aktiven Mitarbeit in politischen Organisationen.

Diese kriminalpolitischen Ziele des AJK sind wiederum abhängig von der Veränderung bestimmter wissenschaftsorganisatorischer Voraussetzungen, die der AJK mit seinen wissenschaftspolitischen Zielen verfolgt: „(1) der Zuweisung von Forschungsmitteln für Projekte, die das ... Wissen erschließen sollen; (2) der Mitwirkung bei Berufungen auf Positionen, die im engeren oder weiteren Sinne an der beruflichen Sozialisation von in Kontrollinstanzen Tätigen mitwirken; (3) Beteiligung an der Ausarbeitung von Curricula für die Ausbildung der in Kontrollinstanzen Tätigen.“[142]

5.2 Formalisierung der Eintritts- und Austrittsbedingungen im AJK und seiner differenzierten Binnenstruktur

Die ursprüngliche Idee des AJK ist einerseits die Offenheit des Kreises und andererseits die Teilhabe aller an allen Aktivitäten. Dies impliziert zunächst einen bewußten Verzicht auf eine strenge Formalisierung der Eintritts- und Austrittsbedingungen im AJK. „Die Frage der Mitgliedschaft war deshalb immer problematisch“[143], konstatieren L. Pongratz, H. J. Kerner und K. H. Ohle 1977. In den Anfangsjahren des AJK ist die AJK-Mitgliedschaft identisch mit der Beteiligung am Herausgeberkreis des KrimJ. Formale Voraussetzungen, um diesem Kreis anzugehören, sind noch nicht kodifiziert.

Der erste organisatorische Einschnitt hin zu einer Formalisierung und Institutionalisierung des AJK resultiert einerseits aus der Übertragung von Herstellung und Vertrieb des KrimJ im Jahr 1972 an den Juventa-Verlag und andererseits dem selbstgesteckten Ziel einer größeren wissenschaftspolitischen Wirksamkeit des AJK.[144] Aus diesen Gründen wird auf dem AJK Symposion vom 08. bis 09. Juli 1972 in Rheda zum Thema „Fragen der Wissenschafts- und Forschungspolitik“ über eine strengere Formalisierung von Mitgliedschaftskriterien diskutiert. Die Vorschläge dazu werden allerdings abgelehnt. Dagegen wird auf diesem Symposion beschlossen, im AJK die Funktion eines Geschäftsführers einzurichten, um der Gefahr einer möglichen Desintegration des AJK, hervorgerufen durch steigende Mitgliederzahlen und demzufolge auch höheren Teilnehmerzahlen auf den AJK-Symposien, vorzubeugen. Dieser Geschäftsführer[145] soll innerhalb des AJK die interne Kommunikation durch die Versendung von Rundschreiben und der Verwaltung der Adressenliste des AJK übernehmen, da das KrimJ im Zuge der Übernahme durch den Juventa-Verlag eine ausführliche Information der AJK-Mitglieder nicht mehr leisten kann. Außerdem wird bereits auf diesem Symposion festgehalten, daß „... die Redaktion des KrimJ in Zukunft immer deutlicher als der einzige formelle und kontinuierlich zusammenarbeitende Kern des AJK in Erscheinung treten wird ...“[146]. Nach der Übernahme des KrimJ durch den Juventa-Verlag konstituiert sich der neue Herausgeberkreis des KrimJ durch eine einfache Erklärung zur Mitarbeit. Dazu werden „... alle Interessenten angeschrieben und jeder hatte die Möglichkeit, seine Herausgeberschaft zu erklären oder es zu lassen“[147].

Ein Jahr nach diesem Symposion zeigt sich allerdings, daß eine ganze Reihe von Herausgebern keinerlei Aktivitäten für den AJK und das KrimJ aufwenden. Daher entschließt man sich, nach eingehender Diskussion auf der Programmtagung des AJK vom 08. bis 10. März 1973, zum ersten Mal ein formelles Mitgliedschaftskriterium für den AJK und den Herausgeberkreis des KrimJ festzulegen: die schriftliche Verpflichtung zur aktiven Beteiligung an der Arbeit des AJK, durch eine vorgefertigte Beitrittserklärung, die dem Rundschreiben Nr. 5 vom 30.03.1973 beigelegt wird. Die aktive Beteiligung an der Arbeit des AJK wird operationalisiert als: „... entweder durch Ausrichtung oder Durchführung von Symposien oder durch Veröffentlichungen im KrimJ“[148]. Diejenigen, die diesem Kriterium entsprechen und sich schriftlich mittels der vorgefertigten Beitrittserklärung zur Mitarbeit verpflichten, sind gleichzeitig, zusätzlich zur AJK-Mitgliedschaft, auch Herausgeber des KrimJ, so daß zu diesem Zeitpunkt weiterhin noch keine Trennung von AJK-Mitgliedschaft und Herausgeberschaft des KrimJ vorliegt. Neuaufnahmen für die Herausgeberschaft des KrimJ bzw. den AJK erfolgen durch einen Vorschlag eines oder mehrerer Mitglieder des Herausgeberkreises des KrimJ.

Zusätzlich zu den bereits genannten Verpflichtungen wird implizit im Rundschreiben Nr. 5 vom 30.03.1973 eine weitere Pflicht für die AJK-Mitgliedschaft bzw. Herausgeberschaft des KrimJ genannt, und zwar die Wahl der Redakteure für das KrimJ. Über den Status des AJK-Mitglieds hinaus gibt es innerhalb des AJK außerdem noch den Status des Interessenten am AJK, der sich nicht zu einer aktiven Beteiligung an der Arbeit des AJK verpflichten muß, gleichwohl im Rahmen dieses Status die Rundschreiben des AJK und die Einladungen zu den AJK-Symposien zugesendet bekommt. Demnach unterteilt sich die Mitgliederliste des AJK, Stand Mai 1973, in zwei Stati, zum einen in den Status „1. Herausgeber des KrimJ“, die gleichzeitig Mitglieder des AJK und wahlberechtigt für die Redakteure des KrimJ sind und zum anderen in den Status „2. Interessenten“[149]. Dieser Schritt hin zu einer stärkeren Formalisierung des AJK manifestiert sich schon allein in der Tatsache, daß es vor dieser Programmtagung nur eine Adressenliste des AJK gegeben hat, und es nun eine Mitgliederliste des AJK gibt.

Anfang des Jahres 1974 wird von der Redaktion des KrimJ darüber hinaus beschlossen, für alle AJK-Mitglieder, wobei in diesem Fall die Herausgeber des KrimJ und die Interessenten des AJK gemeint sein sollen, einen Mitgliedsbeitrag von DM 10,- einzuführen. Dieser Mitgliedsbeitrag soll teils zur institutionellen Absicherung der AJK-Rundschreiben und teils zur Begleichung von Redaktionsauslagen verwendet werden. Allerdings soll dieser Mitgliedsbeitrag nur in unregelmäßigen Abständen erhoben werden und zwar dann, wenn die jeweiligen Gelder verbraucht sind.[150] Mit dem gleichen Rundschreiben wird vom AJK-Geschäftsführer noch eine Sollvorschrift für die AJK-Mitgliedschaft genannt, nämlich die aktive Abonnentenwerbung für das KrimJ. Die Resonanz der AJK-Mitglieder auf die Einführung des Mitgliedsbeitrags und auf die Wahl des neuen Redakteurs für das KrimJ ist allerdings so gering, daß sich die Redaktion in einem Brief vom 04.04.1974 an die Herausgeber des KrimJ wendet und diese bittet, „... sich über ihre Herausgeberschaft einmal Gedanken [zu] machen und uns möglichst bald mitzuteilen, was sie unter dieser Eigenschaft verstehen“[151]. Falls die Betroffenen nichts mehr von sich hören lassen, versteht sich die Redaktion des KrimJ als Sanktionsinstanz des AJK (AJK-Mitgliedschaft und Herausgeberschaft fallen ja zusammen) und will die Betreffenden aus der Herausgeberliste streichen. Als Reaktion auf diesen Brief wird unter anderem von H. U. Simon im Rundbrief Nr. 13 vom 18.07.1974 eine Trennung von AJK-Mitgliedschaft, deren Zugang offen bleiben soll und dem Herausgeberkreis des KrimJ, dessen Zugang kodifiziert werden soll, vorgeschlagen.

Eine intensive Diskussion über organisatorische Fragen erfolgt erst auf der Programmtagung II des AJK vom 24. bis 29. März 1976 in Bielefeld. Auf dieser Tagung wird daraufhin eine neue formalisiertere und restriktivere Regelung der Mitgliedschaft im AJK beschlossen. Der AJK führt jetzt die Unterscheidung in aktive und passive Mitglieder ein, wobei nur die aktiven Mitglieder das aktive und passive Wahlrecht für die Redaktion des KrimJ und den neu zu gründenden sozialpolitischen Ausschuß innehaben. Außerdem wird der unregelmäßig (bisher nur zweimal) erhobene Mitgliedsbeitrag zu einem Jahresbeitrag von DM 30,- für alle Mitglieder umgewandelt.[152] Für die aktive Mitgliedschaft ist über die Zahlung des Mitgliedsbeitrages hinaus noch der Nachweis zu erbringen, daß man entweder einen Beitrag im KrimJ veröffentlicht hat oder zweimal an einem Symposion des AJK teilgenommen hat. Offen bleibt allerdings, wie lange dies jeweils zurückliegen darf.[153] Aktive und passive Mitglieder werden zu allen Tagungen des AJK eingeladen. Aktive Mitgliedschaft im AJK und Zugehörigkeit zum Herausgeberkreis des KrimJ fallen jedoch weiterhin zusammen. Der Status des Interessierten am AJK fällt nach der neuen Mitgliedschaftsregelung unter den Status der passiven Mitgliedschaft.[154] Alle Personen, die aktives oder passives Mitglied des AJK werden wollen, müssen dies wieder schriftlich auf einem Formblatt, zusammen mit dem Nachweis der jeweiligen formalen Voraussetzungen, beim Geschäftsführer erklären.

Bereits zwei Jahre später konstatiert die amtierende Geschäftsführerin des AJK, S. Karstedt-Henke, daß sich die „... während der Tagung im März 1976 gefaßten Beschlüsse hinsichtlich der Mitgliedschaft ... als mehr oder weniger undurchführbar [erweisen]“[155]. Sie schlägt daher pragmatisch vor, daß alle, die den Rundbrief beziehen, Mitglieder des AJK sind. Auf der darauf folgenden Programmtagung III des AJK am 20.05.1978 in Bielefeld wird über diesen und andere Vorschläge zur „Revitalisie­rung“[156] des AJK beraten. Konkrete Beschlüsse über Mitgliedschaftsfragen werden allerdings nicht gefaßt, da durch eine zu geringe Teilnehmerzahl die Repräsentativität dieser Gruppe nicht gegeben ist. Es wird eine weitere Programmtagung für den Herbst 1978 angesetzt. Bis dahin „... gilt aus Gründen der Neurekrutierung [von Mitgliedern] und Arbeitserleichterung, daß Mitglied erst einmal jeder ist, der den Beitrag zahlt und damit den Rundbrief bezieht“[157].

Auf der nächsten (vierten) Programmtagung des AJK vom 10. bis 12.11.1978 in Bielefeld stellt sich aufgrund eines geringen Interesses an der Zukunft des AJK, das sich quantitativ durch eine geringe Beteiligung ausdrückt, „... die Frage, ob man nicht gleich die Sterbeglocke läuten wolle“[158]. Allerdings würde dies bedeuten, daß das KrimJ eingestellt würde, und darin sind sich die Teilnehmer einig, das wollte man auf keinen Fall. Aufgrund einer anomysierten Mitschrift eines Teilnehmers läßt sich rekonstruieren, daß sich die Teilnehmer der Mitgliederversammlung am 11.11.1978 fragen, wer denn der AJK jetzt überhaupt noch sei. Als Antwort wird die Verteilerliste des Rundbriefs genannt und die Zahl der Mitgliedsbeitragszahlungen. Nach heftigen Diskussionen besteht unter den Teilnehmern ein Konsens darüber, den AJK wieder zu beleben und ihm eine festere Struktur zu geben, damit er nach außen hin Repräsentanten und Ansprechpartner stellen kann. Daher wird vorgeschlagen, den AJK in die Struktur einer wissenschaftlichen Vereinigung zu überführen.[159] Dazu wird eine Vorbereitungskommission gebildet, bestehend aus M. Brusten, P. Boy, M. Dürkop, S. Karstedt-Henke und P. Malinowski. Diese Kommission soll bis zur nächsten Tagung einen Satzungsvorschlag für die Gründung einer wissenschaftlichen Vereinigung erarbeiten. Für die neue Fundierung und Orientierung des AJK wird eine thematisch breit angelegte „Wiederbelebungstagung“[160] mit explizit kriminalpolitischer Schwerpunktsetzung in Bremen geplant.

Auf dieser „Wiederbelebungstagung“ vom 05. bis 07.10.1979 in Bremen wird auf der Mitgliederversammlung am 07.10.1979 von der Vorbereitungskommission der Satzungsentwurf für eine wissenschaftliche Vereinigung als eingetragener Verein vorgelegt. Nach längerer Diskussion einigen sich die Teilnehmer dann darauf, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Gründung eines Vereins nicht angezeigt ist und dieses Vorhaben in ein bis zwei Jahren noch einmal diskutiert werden soll. Die Hauptargumente gegen eine Vereinsgründung sind einerseits, daß neue Mitglieder durch den Status des eingetragenen Vereins abgeschreckt werden und andererseits, daß durch eine formale Struktur keine inhaltliche Arbeit ersetzt werden kann. Außerdem befindet man, daß „... infolge des erfolgreichen Symposiums eine Vereinsgründung überflüssig geworden ist“[161]. Es wird immerhin wieder eine restriktivere Handhabung der auf der Programmtagung II des AJK vom 24. bis 29. März 1976 in Bielefeld vereinbarten Mitgliedschaftskriterien beschlossen. Der Mitgliedsbeitrag wird für Hochschullehrer auf DM 30,- und für alle anderen auf DM 20,- festgesetzt. Außerdem wird zur Straffung der Organisationsstruktur die Wahl eines „Steering-Komitees“[162] für zwei Jahre beschlossen, das die Geschäftsführung unterstützen und gemeinschaftlich für die Durchführung der abgesprochenen Symposien verantwortlich sein soll. Darüber hinaus wird für das KrimJ die Bildung eines wissenschaftlichen Beirats aus den Altredakteuren und dem Geschäftsführer vereinbart. „Mangels einer geeigneten Liste wird mehrheitlich beschlossen, daß die Altredakteure Frau Bittscheid-Peters, Herr Lautmann, Herr Quensel und Herr Schumann die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats aus denjenigen Altredakteuren zusammenstellen sollen, die gegenwärtig noch Mitglied des AJK sind ... Ferner wird beschlossen, daß der Beirat nach eigener Wahl weitere Mitglieder kooptieren kann.“[163] Als Aufgaben für den wissenschaftlichen Beirat wird auf dieser Tagung festgelegt: (1) Wahl der Redakteure, (2) Beschlußfassung über Zusammensetzung der Redaktion (Zahl der Redakteure), (3) Unterstützung der Arbeit der Redaktion und Mitverantwortung für Qualität und Quantität der Zeitschrift insgesamt, insbesondere: Begutachtung einzelner Beiträge, Einwerbung von Beiträgen, Werbung von Abonnenten, die Gestaltung des einen oder anderen Schwerpunktheftes. Die Verantwortung für die einzelnen Beiträge verbleibt dagegen auch weiterhin bei der Redaktion. Die Aufgaben des wissenschaftlichen Beirats unter Punkt (1) und (2) lassen an dieser Stelle bereits erkennen, daß der Beirat des KrimJ faktisch die Aufgaben einer Herausgeberschaft des KrimJ übernimmt, die aber erst am 13.12.1985 offiziell wird. Mit der Einführung eines wissenschaftlichen Beirats für das KrimJ erfolgt gleichfalls erstmals in der bisherigen Geschichte des AJK die Trennung zwischen (aktiver) AJK-Mitgliedschaft und Herausgeberschaft für das KrimJ. Dies wird durch die Zusammensetzung des wissenschaftlichen Beirats, der sich nur aus den Altredakteuren des KrimJ zusammensetzen soll, sogar noch zusätzlich unterstrichen.

Darauf folgend konstituiert sich der wissenschaftliche Beirat des KrimJ am 07.02.1980 auf dem AJK-Symposion zum Thema „Drogenpolitik“ in Bremen.[164] Auf dieser konstituierenden Sitzung wird unter anderem darüber entschieden, einen Sprecher zu wählen. Dazu wird in Abwesenheit einstimmig M. Brusten gewählt. Als Aufgaben des Sprechers werden festgelegt: „(1) Eingangsinitiative zur Organisation und Koordination der praktischen Beiratsarbeit, (2) Kontakt zum Juventa-Verlag, (3) erforderlichenfalls Ausführung der Beiratsbeschlüsse und (4) Ansprechadresse für die Redaktion.“[165] Außerdem stellt der wissenschaftliche Beirat auf dieser konstituierenden Sitzung fest, daß offensichtlich nicht alle Mitglieder des AJK das KrimJ abonniert haben und äußert die Erwartung, daß jedes AJK-Mitglied das KrimJ abonniert.

Auf der 2. Sitzung des wissenschaftlichen Beirats am 20.06.1980 in Wuppertal beschließt dieser die weitere Formalisierung seiner eigenen Eintritts- und Austrittsbedingungen und mißachtet damit die Vereinbarung, die auf der „Wiederbelebungs­tagung“ 1979 über die Amtszeit des wissenschaftlichen Beirats, nämlich zwei Jahre, festgelegt worden ist: „Der Beirat wird nicht in bestimmten Abständen gewählt, sondern versucht sich selbst aktionsfähig zu halten. Zu diesem Zweck wird (a) die Redaktion alle zwei Jahre um eine Stellungnahme zur Arbeit des Beirates gebeten, und (b) der Sprecher des Beirats wird alle zwei Jahre unter den Mitgliedern des Beirats eine interne Umfrage veranstalten, um festzustellen, inwieweit die weitere Mitgliedschaft gewünscht wird, und um die bis dahin inaktiven Mitglieder zu größerer Aktivität aufzufordern.[166] Im übrigen `vermehrt´ sich der Beirat naturgemäß um die jeweils ausscheidenden Redakteure des KrimJ“[167]. Außerdem beschließt der wissenschaftliche Beirat auf dieser Sitzung, daß zwar die Redaktion des KrimJ und der jeweilige Geschäftsführer des AJK an allen Sitzungen des wissenschaftlichen Beirats teilnehmen können, aber nur die Mitglieder der Redaktion, da es sie unmittelbar betrifft, bei der Wahl der neuen Redakteure für das KrimJ aktiv stimmberechtigt sind, der jeweilige Geschäftsführer des AJK dagegen nicht. Daraufhin legt der amtierende AJK-Geschäftsführer P. Boy sein Amt nieder.[168]

Eine erneute Diskussion über die Frage des aktuellen Mitgliederstandes entsteht in der Folge der Übernahme der Geschäftsführung am 01.01.1982 durch P. Malinowski. Der neue Geschäftsführer schreibt in einem Brief vom 26.01.1982 an den Sprecher des wissenschaftlichen Beirats des KrimJ, daß der Zustand der Mitgliederkartei desolat sei und daß keine Unterlagen den jeweiligen Stand erkennen lassen. Aus diesem Grund wird allen in der Mitgliedskartei erfaßten und durch mündliche Überlieferung greifbaren Personen ein Formblatt mit der Bitte zugesendet, erneut zu ihrer AJK-Mitgliedschaft Stellung zu nehmen.

Zum wiederholten Mal diskutiert der wissenschaftliche Beirat auf seiner 5. Sitzung am 23.04.1982 über eine Koppelung von AJK-Mitgliedschaft und Bezug des KrimJ. Dabei einigt man sich darauf, daß Appelle an die Mitglieder des AJK, doch das KrimJ zu beziehen, wirkungsvoller seien, als ein Pflichtbezug des KrimJ. Nachdem der Sprecher des wissenschaftlichen Beirats nach dieser Sitzung im Juli 1982 im 11. Rundschreiben kurz die Ergebnisse der Redakteurswahlen bekannt gibt, wird es um den wissenschaftlichen Beirat des KrimJ und damit auch den AJK ruhig. Erst nach über 13 Monaten meldet sich der Sprecher wieder und stellt in seinem 12. Rundschreiben vom 05.08.1983 fest: „Volle 13 Monate sind seit meinem letzten Rundbrief verstrichen, ohne Protest und Beschwerden. Sollten wir alle ... kein rechtes Interesse mehr an unseren Aufgaben im Beirat haben ... ?“[169] Des weiteren konstatiert er, daß das einstige „Kriminologen-Schlachtschiff“ AJK inzwischen endgültig untergegangen sei und alle Überlebenden entweder vom „Versorgungs-Schiff“ des wissenschaftlichen Beirats des KrimJ oder dem „Wach-Boot“ der Redaktion aufgenommen worden sind.[170] Eine junge Generation von Kriminologen, die ein Interesse hätte, den AJK wieder zu revitalisieren, um sich selbst zu organisieren, sieht er allerdings nicht mehr. An dieser Stelle kommt, als Alternative zu einem AJK als nostalgiegetönte Erinnerungstreffen, nun wieder die Idee einer Vereinsgründung, die zum letzten Mal auf dem AJK-Symposion vom 07.10.1979 verworfen worden ist, ins Gespräch. Allerdings ist die Resonanz auf dieses Rundschreiben nicht groß und so, schreibt der Sprecher, „... hat meine Funktion als `Windmacher´ nun wohl doch nicht so recht `funktioniert´“[171]. Trotzdem trifft sich ein kleiner Kreis aus dem wissenschaftlichen Beirat des KrimJ zu einer Notsitzung am 29.09.1983, während des internationalen Kriminologenkongresses in Wien.

Auf dieser Notsitzung wird unter anderem beschlossen, nun doch die AJK-Mitgliedschaft und den Bezug des KrimJ zu koppeln. Dies wird allerdings auf der AJK-Mitgliederversammlung am 15.06.1984 in Hannover von den AJK-Mitgliedern wieder verworfen. „Denn, so war zu hören: es gibt keine Mitgliederliste des AJK, sondern nur eine AJK-Adressenliste.“[172] Weiterhin soll es demgegenüber einen AJK-Geschäftsführer geben. Zu etwaigen Kriterien zur Aufnahme in die „AJK-Adressen­liste“ ist nichts schriftliches „überliefert“.

Dessen ungeachtet schreitet die Formalisierung des wissenschaftlichen Beirats weiter voran. Auf seiner 8. Sitzung am 31.05.1985 in Gelnhausen beschließt der Beirat, seinen Sprecher nicht mehr, wie bisher, auf unbestimmte Zeit zu wählen, sondern eine Amtszeit von drei Jahren einzuführen. Bei der anschließenden Neuwahl steht allerdings wieder nur ein Kandidat zur Verfügung, und zwar der bisherige Sprecher M. Brusten, der dann einstimmig gewählt wird.[173]

Am 13.12.1985 verkündet der wissenschaftliche Beirat auf seiner 9. Sitzung in Steinkimmern offiziell, daß in Zukunft der wissenschaftliche Beirat als Herausgeber des KrimJ fungiert. Diese Entscheidung wird getroffen, da „... ein konkret faßbarer Mitgliederbestand des AJK neben der Redaktion und dem Wiss. Beirat des Kriminologischen Journals nicht mehr besteht ...“[174]. Damit wird nun eine längst eingetretene faktische Lage, die sich bereits in diesem Kapitel dadurch manifestiert, daß hauptsächlich nur noch vom wissenschaftlichen Beirat des KrimJ die Rede ist und nicht mehr vom AJK, auch offiziell anerkannt. Im Impressum des KrimJ soll künftig ausgewiesen werden: „Das Kriminologische Journal wird herausgegeben vom Wissenschaftlichen Beirat im Namen des Arbeitskreises Junger Kriminologen“. Außerdem wird der Sprecher gebeten, wie auf der Mitgliederversammlung des AJK am 07.10.1979 in Bremen beschlossen, zu prüfen, worin die aktive Mitarbeit der Beiratsmitglieder in den letzten Jahren bestanden hat. Diese Prüfung soll sich indes nur rein formal auf die Teilnahme an Beiratssitzungen beziehen. Dazu erstellt der Sprecher eine entsprechende Übersicht. Die Mitglieder sollen sich dann auf dieser Grundlage selbst fragen, ob sie unter diesen Umständen auch weiterhin bereit sind ihre aktive Mitgliedschaft im wissenschaftlichen Beirat des KrimJ zu erklären. Das entsprechende Formblatt wird allen Beiratsmitgliedern zugesandt.

Als Ausdruck des weiteren Verfalls des AJK als eine formale soziale Organisation und der Konzentration der AJK-Aktivitäten auf Redaktion und wissenschaftlichen Beirat des KrimJ kann der Beschluß des wissenschaftlichen Beirats angesehen werden, die AJK-Kasse von einem Mitglied des wissenschaftlichen Beirats verwalten zu lassen, da de facto nur dieser seit Jahren über die Einwerbung und Verteilung der Gelder befindet. Zur Kassenverwalterin des wissenschaftlichen Beirats wird auf der 11. Sitzung am 21.11.1986 in Saarbrücken H. Cremer-Schäfer gewählt. Als Hauptverwendungszweck werden die Reisekosten für arbeitslose Redaktionsmitglieder und die Übersetzung wichtiger fremdsprachiger Fachbeiträge im KrimJ festgelegt. Um einen Zufluß von Einnahmen, der durch den AJK nicht mehr gewährleistet ist, zu sichern, wird ebenfalls vereinbart, daß alle nicht arbeitslosen Beiratsmitglieder einen Jahresbeitrag von mindestens DM 30,- in die Kasse einzahlen sollen. Außerdem wählt der wissenschaftliche Beirat des KrimJ auf Antrag seines Sprechers H. Cremer-Schäfer zu seiner stellvertretenden Sprecherin.

Ab dem Rundschreiben Nr. 33 vom 28.09.1987 erscheint der Geschäftsführer des AJK, bis dahin P. Malinowski, nicht mehr im Verteiler des Rundschreibens für die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats. Nachdem seit 1985 keine AJK-Rundschreiben mehr von der Geschäftsführung versendet worden sind, scheint dies nun gleichfalls das offizielle Ende der AJK-Geschäftsführung zu sein. Eine Adressenliste oder Mitgliederliste des AJK gibt es nicht mehr und nach Aussage der heutigen Sprecherin des wissenschaftlichen Beirats des KrimJ, Frau H. Cremer-Schäfer,[175] besteht der AJK nur noch aus den Teilnehmern der AJK-Tagungen und dem wissenschaftlichen Beirat des KrimJ, der die AJK-Tagungen organisiert, sowie der Redaktion des KrimJ.[176] Die Ankündigungen für die AJK-Tagungen erscheinen einerseits in den Beiratsrundbriefen und andererseits im KrimJ. Die AJK-Rundbriefe sind ihrer Ansicht nach durch die Beiratsrundbriefe für die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats abgelöst worden, nachdem sich beide noch in der Zeit von 1980 bis 1984 überschnitten haben.

5.3 Geschäftsführung des AJK

Die Funktionsstelle eines Geschäftsführers führt der AJK, wie bereits erwähnt, auf seinem Symposion vom 08. bis 09. Juli 1972 in Rheda ein. Dieser Geschäftsführer soll, um einer möglichen Desintegration des AJK vorzubeugen, die interne Kommunikation in der Form von Rundschreiben organisieren. Zu den weiteren Aufgaben des AJK-Geschäftsführers, die sich aus der Kernaufgabe der Koordination der internen Kommunikation ergeben, gehört die Erstellung und Aktualisierung der Adressenliste des AJK und später, nach den Beschlüssen auf der Programmtagung des AJK vom 08. bis 10. März 1973, der Mitgliederliste des AJK, in Zusammenhang mit der Überwachung der dort beschlossenen Mitgliedschaftskriterien; Des weiteren die Unterstützung der jeweiligen Organisatoren von AJK-Symposien, das Versenden des AJK-Rundbriefes und, bis zu dem Zeitpunkt, an dem der wissenschaftliche Beirat des KrimJ 1980 gegründet wird, die Durchführung der Wahl der Redakteure für das KrimJ.[177] 1974 kommt der Einzug und die Überwachung des von der Redaktion des KrimJ eingeführten AJK-Mitgliedsbeitrags und der daraus entstehenden AJK-Kasse hinzu.

[...]


[1] Dieser Gedanke, daß der Mensch mit seinen sinnlichen Erfahrungen Zugang zu einer bewußtseinsunabhängigen Wirklichkeit hat, wird in der Erkenntnistheorie als „Realismus“ bezeichnet. Innerhalb des „Realismus“ kann man verschiedene Richtungen differenzieren. Diese erstrecken sich von einem sogenannten „naiven Realismus“, der behauptet, daß uns unsere Sinneserfahrungen einen direkten und sicheren Zugang zur Wirklichkeit vermitteln, sich also die Wirklichkeit in unserem Bewußtsein abbildet, bis zu einem sogenannten „repräsentativen Realismus“, der davon ausgeht, daß unsere sinnlichen Erfahrungen zwar von der physischen Wirklichkeit verursacht sind, uns aber niemals sichere Erkenntnis vermitteln können, sondern unsere Erkenntnis immer vermittelt ist durch unsere Sinneseindrücke. Hinzu kommt noch der sogenannte „empirische Realismus“ im Sinne von Kant. Dieser behauptet, daß die Erfahrungswelt zwar unabhängig von dem einzelnen erkennenden Subjekt existiert, nicht aber unabhängig von der Möglichkeit, daß überhaupt erkennende Subjekte existieren, da die Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung nach Kant im Subjekt selber liegt. Die Sinnesempfindungen liefern nur das Material, welches in seiner Mannigfaltigkeit durch das Denken synthetisiert wird.

[2] Weber, Max, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, 4. Aufl., Tübingen 1947, S. 205-206.

[3] Mannheim, Karl, Wissenssoziologie, in: ders., Ideologie und Utopie, 5. Aufl., Frankfurt a. M. 1969, S. 227.

[4] Vgl. ebd., S. 230.

[5] Ebd., Ist Politik als Wissenschaft möglich?, in: ders., Ideologie und Utopie, 5. Aufl., Frankfurt a. M. 1969, S. 109.

[6] Ebd., Wissenssoziologie, in: ders., a. a. O., S. 228.

[7] Heintz, Bettina, Wissenschaft im Kontext, in: KZfSS, Jg. 45, 1993, H. 3, S. 531.

[8] Vgl. ebd., S. 531-532.

[9] Vgl. dazu u.a. Mannheim, Karl, Wissenssoziologie, a. a. O., S. 229 u. S. 230.

[10] Ebd., Die Bedeutung der Konkurrenz im Gebiete des Geistigen, in: ders., Wissenssoziologie: Auswahl aus dem Werk:, eingeleitet und herausgegeben von Kurt H. Wolff, 2. Aufl., Neuwied a. R. und Berlin 1970, S. 569.

[11] Vgl. dazu u.a. Mannheim, Karl, Ideologie und Utopie, a. a. O., S. 38 und S. 71.

[12] Ebd., Wissenssoziologie, a. a. O., S. 258.

[13] Ebd., S. 259.

[14] King, M. D., Vernunft, Tradition und die Fortschrittlichkeit der Wissenschaft, in: Weingart, Peter, Hg., Wissenschaftssoziologie II: Determinanten wissenschaftlicher Entwicklung, Frankfurt a. M. 1974, S. 47.

[15] Merton, Robert K., Entwicklung und Wandel von Forschungsinteressen: Aufsätze zur Wissenschaftssoziologie, 1. Aufl., Frankfurt a. M. 1985, S. 89.

[16] Ebd., S. 89-90.

[17] Nach M. Mulkay werden diesen vier normativen Verhaltensmaßregeln noch die Normen der Originalität, von Merton selber in einem späteren Artikel, und des Individualismus, der in den Arbeiten verschiedener anderer Autoren erscheint, hinzugefügt. Vgl. Mulkay, Michael, Einige Aspekte kulturellen Wachstums in den Naturwissenschaften, in: Weingart, Peter, Wissenschaftssoziologie II, a. a. O., S. 77.

[18] Vgl. Merton, Robert K., a. a. O., S. 90-99.

[19] Kuhn, Thomas S., Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 2. revidierte und um das Postskriptum von 1969 ergänzte Aufl., Frankfurt a. M. 1976.

[20] Retrospektiv betrachtet wird die damit von Kuhn u.a. eingeleitete Phase der wissenschaftstheoretischen Diskussion als „postempirische-“ oder „anti-positivistische Wende“ bezeichnet.

[21] Vgl. Kuhn, Thomas S., a. a. O., S. 133ff. u. 218.

[22] Ebd., S. 89.

[23] Vgl. Heintz, Bettina, a. a. O., S. 532ff.

[24] Vgl. Kuhn, Thomas a. a. O., S., S. 182ff. u. 216ff.

[25] Ebd., S. 116.

[26] Ebd., S. 123.

[27] Vgl. ebd., S. 124.

[28] Ebd., S. 130-131.

[29] Ebd., S. 134.

[30] Margaret Masterman stellt in ihrem Artikel „The Nature of Paradigm“ fest, daß Kuhn den Begriff „Paradigma“ in seinem Buch auf wenigstens zweiundzwanzig verschiedene Arten gebraucht. Vgl. Masterman, Margaret, The Nature of Paradigm, in: Lakatos, Imre und Musgrave, Alan, Hg., Criticism and the Growth of Knowledge, Cambridge 1970, S. 61-65.

[31] Erst in seinem Postskriptum von 1969 und in seinem 1970 erschienenen Artikel „Logic of Discovery or Psychology of Research“, in Lakatos, Imre und Musgrave, Alan, a. a. O., S. 1-23, verweist Kuhn auf die fundamentale Verpflichtung der Wissenschaftler gegenüber bestimmten übergreifenden Werten, die insbesondere in Krisenzeiten und bei der Theoriewahl als eine übergeordnete, im Sinne von über dem Paradigma stehende, Autorität gelten sollen. In seinem Postskriptum von 1969 betont Kuhn ausdrücklich, daß er es für eine Schwäche seiner ersten Fassung des Buches „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ halte, „... daß Werte wie innere und äußere Widerspruchsfreiheit bei der Betrachtung von Krisenquellen und Faktoren bei der Theoriewahl so wenig Beachtung gefunden haben“ (Kuhn, Thomas S., a. a. O., S. 197). Siehe zu der Diskussion über diese Entwicklung bei Kuhn auch das Kapitel 2.3.2 „Epistemologische Kritik an T. S. Kuhns Paradigmabegriff“.

[32] Kuhn, Thomas S., a. a. O., S. 186.

[33] Ebd., S. 186.

[34] Vgl. ebd., S. 60.

[35] Vgl. ebd., S. 116.

[36] Ebd., S. 77.

[37] Vgl. ebd., S. 33.

[38] Ebd., S. 103.

[39] Ebd., S. 187.

[40] Vgl. ebd., S. 188.

[41] Vgl. ebd., S. 188.

[42] Ebd., S. 189.

[43] Ebd., S. 38.

[44] Vgl. ebd., S. 51-52.

[45] Für M. D. King ist Fortschritt im Sinne von Kuhn abhängig von der Unterwerfung der Wissenschaftler unter die Autorität eines Paradigmas. Vgl. King, M. D., a. a. O., S. 66-67.

[46] Kuhn, Thomas S., a. a. O., S. 58.

[47] Ebd., S. 65.

[48] Ebd., S. 95.

[49] Vgl. ebd., S. 61, 83 u. 103.

[50] Vgl. ebd., S. 90.

[51] Vgl. ebd., S. 116.

[52] Als ein neueres Beispiel für dieses Vorgehen auch in der Soziologie siehe die Artikel von K. D. Opp und H. Haferkamp zum Theorienvergleich innerhalb der Soziologie abweichenden Verhaltens, in: Hondrich, Karl O. und Matthes, Joachim, Hg., Theorienvergleich in den Sozialwissenschaften, Darmstadt und Neuwied 1978, S. 21-53, sowie die Einleitung zu diesem Buch von J. Matthes, insbesondere S. 16.

[53] Eine Behandlung dieses grundlegenden Problems in der Ethnologie und die Konsequenzen daraus für die Soziologie erfolgt in einem programmatischen Artikel von König, René, Soziologie und Ethnologie, in: Müller, Ernst W. [u.a.], Hg., Ethnologie als Sozialwissenschaft, KZfSS, Sonderheft 26, 1984, S. 17-35 und bei Den Hollander, Arie N. J., Soziale Beschreibung als Problem, in: KZfSS, Jg. 17, 1965, S. 203-233.

[54] Vgl. Giesen, Bernard und Schmid, Michael, Methodologische Modelle und soziologische Theorien, in: Hondrich, Karl O. und Matthes, Joachim, Hg., a. a. O., S. 233-237; Popper, Karl, Normal Science and its Dangers, in: Lakatos, Imre und Musgrave, Alan, a. a. O., S.51-58.

[55] Vgl. Kuhn, Thomas S., a. a. O., S. 159-161.

[56] Ebd., S. 181.

[57] Ebd., S. 162.

[58] W. Meinefeld behauptet dagegen, daß Kuhn den sozialen Faktoren eine untergeordnete Bedeutung für die Wahl zwischen konkurrierenden Theorieinhalten zuschreibt. Vgl. dazu auch Meinefeld, Werner, Realität und Konstruktion: Erkenntnistheoretische Grundlagen einer Methodologie der empirischen Sozialforschung, Opladen 1995, S. 205.

[59] Vgl. auch ebd., S. 205; Mulkay, Michael, Einige Aspekte kulturellen Wachstums in den Naturwissenschaften, in: Weingart, Peter, Wissenschaftssoziologie II, a. a. O., S. 94.

[60] Diese „Erkenntnis“ führt uns wieder zurück zu K. Mannheims Wissenssoziologie und seiner These von der „Seinsverbundenheit“ des Wissens. Danach ist alles Wissen relativ zum Standort des Erkennenden, und dies gilt nach K. Mannheim ausdrücklich auch für den Wissens- oder hier den Wissenschaftssoziologen. Außerdem hat bereits Mannheim damit die Frage nach den Bewertungskriterien für die Gültigkeit von Wissen aufgeworfen.

[61] Vgl. Overington, Michael A., Einfach der Vernunft folgen: Neuere Entwicklungstendenzen in der Metatheorie, in: Bonß, Wolfgang und Hartmann, Heinz, Hg., Entzauberte Wissenschaft: Zur Relativität und Geltung soziologischer Forschung, Soziale Welt, Sonderband 3, Göttingen 1985, S. 120.

[62] Dabei ist besonders der Sammelband von Lakatos, Imre und Musgrave, Alan, a. a. O. hervorzuheben.

[63] Vgl. Giesen, Bernard und Schmid, Michael, a. a. O., S. 233-237.

[64] Popper, Karl, a. a. O., S. 55.

[65] Die Forderung der Kritisierbarkeit ist eine grundlegende Prämisse des von K. R. Popper selbst vertretenen kritischen Rationalismus.

[66] Kuhn, Thomas S., a. a. O., S. 158.

[67] Popper, Karl, a. a. O., S. 55.

[68] Kuhn, Thomas S., a. a. O., S. 159.

[69] Vgl. ebd., S. 216-218.

[70] Vgl. Popper, Karl, a. a. O., S. 51-58.

[71] Ebd., S. 53-54.

[72] Ebd., S. 54.

[73] Vgl. Kuhn, Thomas S., Logic of Discovery or Psychology of Research, in: Lakatos, Imre und Musgrave, Alan, a. a. O., S. 1-23, insbesondere S. 22 letzter Absatz.

[74] Kuhn, Thomas, S., Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, a. a. O., S. 196-198.

[75] King, M. D., a. a. O., S. 69.

[76] Ebd., S. 70.

[77] Vgl. Collins, Harry M., Die Soziologie des wissenschaftlichen Wissens: Studien zur gegenwärtigen Wissenschaft, in: Bonß, Wolfgang und Hartmann, Heinz, a. a. O., S. 129-150.

[78] Vgl. Meinefeld, Werner, a. a. O., S. 208-209.

[79] Ebd., S. 207, 215 u. 217.

[80] Vgl. hierzu die Thesen von Tenbruck, Friedrich H., „Der Mensch als Merkmalsträger: Wie die Sozialforschung die Privatsphäre veröffentlicht und zerstört“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 78 (31.03.1984).

[81] Vgl. dazu die Kritik von Meinefeld, Werner, a. a. O., S. 213-214 u. Heintz, Bettina, a. a. O., S. 538.

[82] Dies ist bereits eine Einschränkung dieses Ansatzes, da nicht alle (empirischen) Wissenschaften, wie z.B. die Soziologie, Laborwissenschaften sind. Die Arbeiten beziehen sich demnach hauptsächlich auf die Naturwissenschaften. Aus diesem Grund spricht man auch von der Soziologie des naturwissenschaftlichen Wissens.

[83] Vgl. Knorr, Karin D., Die Fabrikation von Wissen: Versuch zu einem gesellschaftlich relativierten Wissensbegriff, in: Stehr, Nico und Meja, Volker, Hg., Wissenssoziologie, KZfSS, Sonderheft 22, Opladen 1980, S. 228.

[84] Knorr-Cetinas Erfahrungen basieren hauptsächlich auf eine im Jahre 1976 bis 1977 durchgeführte teilnehmende Beobachtung der Wissenschaftler im Forschungszentrum Berkeley, Californien/USA.

[85] Knorr, Karin D., Die Fabrikation von Wissen, a. a. O., S. 228.

[86] Knorr, Karin D., Zur Produktion und Reproduktion von Wissen: Ein deskriptiver oder ein konstruktiver Vorgang?, in: Bonß, Wolfgang und Hartmann, Heinz, a. a. O., S. 152.

[87] Vgl. ebd., S. 156 u. 157.

[88] Ebd., S. 152.

[89] Vgl. ebd., S. 161ff.

[90] Diese klassische Einseitigkeit, die Gesellschaft aus einer Perspektive, und zwar entweder makro- oder mikrosoziologisch zu betrachten, zugunsten einer integrativen Perspektive zu überwinden, wird bereits schon seit Mitte der 70er Jahre von einigen führenden Soziologen unternommen. Entsprechende gesellschaftstheoretische Konzeptionen werden u.a. von folgenden Autoren entwickelt: Giddens, Anthony: Interpretative Soziologie: Eine kritische Einführung, Frankfurt a. M. u. New York 1984 (11976); Habermas, Jürgen, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1 u. 2, Frankfurt a. M. 1981; Esser, Hartmut, Alltagshandeln und Verstehen: Zum Verhältnis von erklärender und verstehender Soziologie am Beispiel von Alfred Schütz und „rational choice“, Tübingen 1991 und als Überblick siehe: ders., Soziologie: allgemeine Grundlagen, Frankfurt a. M. u. New York 1993, Kap. 30, S. 587-614.

[91] Meinefeld, Werner, a. a. O., S. 227.

[92] Knorr-Cetina, Karin, Spielarten des Konstruktivismus: Einige Notizen und Anmerkungen, in: Soziale Welt, Jg. 40, 1989, H. 1/2, S. 94.

[93] Meinefeld, Werner, a. a. O., S. 228.

[94] Damit ist die Korrespondenztheorie der Wahrheit gemeint.

[95] Die Wissenschaft kann die Realität nicht erkennen, weil dieses aufgrund der Unmöglichkeit deskriptiv vorzugehen nicht möglich ist, und nicht weil die Wissenschaft womöglich eine falsche Vorgehensweise benutzt oder zwar die richtige Vorgehensweise anwendet, diese aber durch non-rationale Faktoren kontaminiert wird.

[96] Vgl. Knorr, Karin D., Zur Produktion ud Reproduktion von Wissen, a. a. O., S. 156 u. 157.

[97] Diese Forderung entspricht der erkenntnistheoretischen Position des Idealismus, der davon ausgeht, daß es keine Wirklichkeit geben kann, die vom menschlichen Bewußtsein und Denken unabhängig ist.

[98] Wie bereits in Kapitel 2.1 „Die Wissenssoziologie von K. Mannheim“ erwähnt, steht er damit in der erkenntnistheoretischen Tradition des empirischen Realismus Kants.

[99] Vgl. Meinefeld, Werner, a. a. O., S. 197, Fußnote 160.

[100] Vgl. ebd., S. 217 u. 231.

[101] M. A. Overingten macht in seinem Artikel „Einfach der Vernunft folgen“ diesen metatheoreti­schen Skandal an drei Entwicklungen fest, die mit denen in diesem Kapitel erörterten übereinstimmen: (1) das Zerfallen des epistemologisch priveligierten Status wissenschaftlichen Wissens; (2) die in der Soziologie rezipierte kontextuale Wissenschaftsauffassung von Kuhn; (3) der Versuch, die epistemologischen Implikationen der Wissenssoziologie in die Untersuchungen über das wissenschaftliche Wissen wieder einzubeziehen. Vgl. Overington, Michael A., a. a. O., S. 113ff.

[102] Ebd., S. 123.

[103] Ebd., S. 124.

[104] Vgl. Baumann, Zygmunt, Ansichten der Postmoderne, Hamburg und Berlin 1995, insbesondere

S. 132f.

[105] Vgl. Meinefeld, Werner, a. a. O., S. 259f.

[106] Vgl. ebd.

[107] Ebd., S. 261.

[108] Vgl. Berger, Peter L. und Luckmann, Thomas, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit: Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a. M. 1980.

[109] Ebd., S. 65.

[110] Die These eines Interdependenzverhältnisses von kognitiven Inhalten und sozialer Organisation der Wissenschaft ist in der Wissenschaftssoziologie nicht unumstritten. Zwar legen die verschiedenen Autoren den Primat dieses Interdependenzverhältnisses auf jeweils eines dieser beiden Elemente, entweder auf die kognitiven Elemente oder die sozialen Elemente, trotzdem bezweifeln die Gegner dieser Auffassung die Möglichkeit, die sozialen Faktoren mit den kognitiven Faktoren identifizieren zu können. Zu dieser diametral entgegengesetzten Auffassung vgl. Ben-David, Joseph, Probleme einer soziologischen Theorie der Wissenschaft, in: Weingart, Peter, Hg., Wissenschaftsforschung, Frankfurt a. M. 1975, S. 133-161. In diesem Aufsatz postuliert Ben-David die Einheit der scientific community, die soziale Kontrolle u.a. über Belohnungen entsprechend der allgemeinen Normen wissenschaftlicher Entscheidung über alle Wissenschaftler ausübt und zwar auch jene, die in marginalen Gebieten arbeiten, wo die Anwendung wissenschaftlicher Normen unterschiedlich ist: „Dieser Mechanismus ... unterwirft immer noch die gesamte Wissenschaft denselben Kriterien der Beurteilung und wirkt der Aufspaltung der Wissenschaft in Untergruppen entgegen“ (ebd., S. 154-155). Demnach können keine neuen kohäsiven scientific communities entstehen und falls doch, werden diese im Laufe der Zeit wieder von ihren jeweiligen disziplinären Netzwerken absorbiert. Das führt bei J. Ben-David zu dem Schluß, daß die Versuche aufgegeben werden sollten, „... die Mechanismen und Rahmen sozialer Kontrolle mit denen kognitiver Innovation in der Wissenschaft zu identifizieren ...“ (ebd., S. 157). Dagegen stellt P. Bourdieu in seinem Buch „Homo academicus“, Frankfurt a. M. 1992, die These einer fast vollkommenen Homologie zwischen kognitiven und sozialen Faktoren, oder in seinen Worten, „dem Raum der Stellungnahmen und dem Raum der Positionen ihrer Urheber im Produktions­feld“ auf. Als markantes Beispiel dienen ihm dabei die Stellungnahmen der Professoren in Frankreich zu den Ereignissen von 1968. Aufgrund seiner Untersuchung ist P. Bourdieu zu dem Ergebnis gekommen, „... daß sich Stellungnahmen zur Politik im allgemeinen und zu den Universitätsproblemen nach der jeweiligen Stellung im universitären Feld richten ...“ (ebd., S. 18).

[111] Zum Beispiel bezieht sich der Versuch von P. Weingart, auf der Grundlage der wissenschaftssoziologischen Kuhnrezeption ein handlungstheoretisches Modell wissenschaftlichen Wandels zu erarbeiten, nur auf die Genese wissenschaftlichen Wissens, nicht auf Geltungsfragen. Des weiteren wird von ihm ein Primat kognitiver Strukturen untertstellt. Vgl. Weingart, Peter, Wissenschaftlicher Wandel als Institutionalisierungsstrategie, a. a. O., S. 22ff. und ders., Wissensproduktion und soziale Struktur, Frankfurt a. M. 1976, S. 74ff. u. 240.

[112] Kuhn, Thomas S., Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, a. a. O., S. 187.

[113] Da verschiedene Paradigmata, wie bereits in Kapitel 2.3.1 „Kuhns Konzept der Wissenschafts­entwicklung“ ausgeführt, inkommensurabel sind und somit eine Entscheidung zwischen ihnen nicht aufgrund rationaler Faktoren gefällt werden kann.

[114] Indem ich etwas behaupte, erhebe ich nach J. Habermas den Anspruch, daß die Aussage, die ich behaupte, wahr ist (Geltungsanspruch der Wahrheit). Diesen Anspruch kann der Sprecher zu Recht oder zu Unrecht erheben, aber er kann weder wahr noch falsch sein, sondern nur berechtigt oder unberechtigt. Vgl. Habermas, Jürgen, Wahrheitstheorien, in: ders., Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt a. M. 1984, S. 129.

[115] Dagegen spricht P. Weingart bei seiner Rezeption der zentralen Kuhnschen Thesen für die Wissenschaftssoziologie von einer „rationalen Geltung“, die bei Anomalien gegen die „soziale Geltung“ in Widerspruch geraten kann. Da T. S. Kuhn aber von einer Anti-Realismus-Position ausgeht und die These der Theorie- und Paradigmageladenheit der empirischen Beobachtung postuliert, gibt es bei Kuhns Konzeption kein Beurteilungskriterium für eine „rationale Geltung“. Auch sogenannte Anomalien stehen „nur“ im Widerspruch zum sozial Anerkannten und Erwarteten und haben nicht schon dadurch den Anspruch auf „rationale Geltung“. Vgl. Weingart, Peter, Wissenschaftlicher Wandel als Institutionalisierungsstrategie, a. a. O., S. 21 und ders., Wissensproduktion und soziale Struktur, a. a. O., S. 35.

[116] Nur R. Kreissl beschäftigt sich in seinem Artikel „Neue Perspektiven kritischer Kriminologie?“, aus Anlaß eines Rückblicks auf zwanzig Jahre AJK mit der „Entstehung und Entwicklung des kognitiv-institutionellen Arrangements `Arbeitskreis Junger Kriminologen´. Allerdings liegt der Schwerpunkt seiner Typisierung dieser Entwicklung in eine Anfangs-, Konsolidierungs- und Stagnationsphase auf den kognitiven Elementen. Vgl. Kreissl, Reinhard, Neue Persoektiven kritischer Kriminologie?, in: Kriminologisches Journal, Jg. 21, 1989, H. 4, S. 249-258; S. Karstedt-Henke beschränkt sich in ihrem Beitrag auf die Frage, welche Wirkungen ein solcher Paradigmawechsel auf die Entwicklung der empirischen Forschung gehabt haben könnte und kommt zu dem Ergebniss, daß sich keine Indikatoren für die Auswirkung des Paradigmawechsel in der empirischen Forschung finden lassen. Vgl. Karstedt-Henke, Susanne, Zur Lage der empirischen Forschung: Die Entwicklung der Forschung über soziale Probleme von 1967-1977, in: Albrecht, Günter u. Brusten, Manfred. Hg., Soziale Probleme und soziale Kontrolle: Neue empirische Forschungen, Bestandsaufnahmen und kritische Analysen, Opladen 1982, S. 264-287; K. Kunz tituliert seinen Beitrag zwar mit dem Begriff „Paradigmawechsel“, geht auf diesen aber nur in der Einleitung ein. Im Hauptteil erarbeitet er die jeweilige wissenschaftstheoretische Position der traditionellen und der kritischen Kriminologie, um zu zeigen, daß die kritische Kriminologie keine Alternative, sondern eine Ergänzung der traditionellen Kriminologie darstellt. Vgl. Kunz, Karl L., Der `labeling approach´ - Ein Paradigmawechsel in der modernen Kriminalsoziologie, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Jg. LXI/4, 1975, S. 423-428; Im Vordergrund eines Beitrags von M. Brusten stehen vor allem die Reaktionen, mit denen die Vertreter der traditionellen Kriminologie auf das Eindringen der kritischen Kriminologie reagieren. Vgl. Brusten, Manfred, Der `Labeling Approach´ im Zerrbild der traditionellen Kriminologie und der Institutionen sozialer Kontrolle: Skizzen zu einem Paradigmawechsel, in: Franz, Hans-Werner, Hg., 22. Deutscher Soziologentag 1984: Sektions-und Ad-hoc-Gruppen, Opladen 1985, S. 311-313; Zuletzt sei noch das Buch von W. Keckeisen erwähnt, der auf wissenschaftstheoretischer Ebene die Unvereinbarkeit des ätiologischen Paradigma und des Kontrollparadigma aufzeigt. Allerdings beschränk er „... die Untersuchung auf einen Ausschnitt von Wissenschaft, nämlich die schriftlich fixierten Produkte ...“. Vgl. Keckeisen, Wolfgang, Die gesellschaftliche Definition abweichenden Verhaltens: Perspektiven und Grenzen des labeling approach, München 1974, S. 15.

[117] Zur Stützung dieser Ausgangsthese verweise ich auf die Selbstbeschreibung des AJK im Rundschreiben des AJK Nr. 2 vom 10. 07.1978, in dem es heißt: „... die vom AJK vertretene wissenschaftliche Position der `kritischen Kriminologie´ ...“. Das bedeutet in bezug auf meine Ausgangsthese, daß der AJK, als eine soziale Organisation, die wissenschaftliche Position der kritischen Kriminologie als kognitiven Inhalt vertritt. Vgl. Karstedt-Henke, Susanne, Rundbrief Nr. 2 vom 10. Juli 1978, [Masch.-schr.] Bielefeld 1978, S. 2. Außerdem behauptet der AJK selbst, daß der “... AJK geradezu als klassisches Beispiel für die Strukturentwicklung und Ausdifferenzierung einer Scientific Community im Zuge eines Paradigmenwechsels gelten kann ...“. Vgl. Karstedt-Henke, Susanne, „Bericht von der Programm-Tagung des AJK am 11.11.1978 in Bielefeld“, in: ders., Rundbrief Nr. 3 vom 13.12.1978, [Masch.-schr.] Bielefeld 1978, S. 2.

[118] Crozier, Michel und Friedberg, Erhard, Die Zwänge kollektiven Handelns: Über Macht und Organisation, Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1993, S. 111.

[119] Ebd., S. 52.

[120] Vgl. Kuhn, Thomas S., Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, a. a. O., S. 188.

[121] Nach einer Untersuchung von sechs wissenschaftlichen Gemeinschaften durch Griffith, Belver C. und Mullins, Nicholas C., Kohärente soziale Gruppen im wissenschaftlichen Wandel, in: Weingart, Peter, Hg., Wissenschaftssoziologie II, a. a. O., S. 223-238, werden in der präinstitutionel-len Phase Bekanntenkreise innerhalb der Wissenschaft durch Mechanismen wie Treffen und Konferenzen gefördert und entwickelt.

[122] Vgl. Kuhn, Thomas, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, a. a. O., S. 189.

[123] Diese Phaseneinteilung lehnt sich einerseits an die in Kapitel 2.3.1 „Kuhns Konzept der Wissenschaftsentwicklung“ dargestellte Konzeption von T. S. Kuhn an und andererseits an die von P. Weingart vorgenommene Phaseneinteilung für Institutionalisierungsprozesse in der Wissenschaft, wobei seine Ausführungen auch wiederum an T. S. Kuhn anknüpfen. Vgl. Weingart, Peter, Wissenschaftlicher Wandel als Institutionalisierungsstrategie, a. a. O., S. 26ff. Terry Clark sieht dagegen insgesamt drei grundlegende Elemente für die Entwicklung eines neuen wissenschaftlichen Gebietes, nämlich ein Paradigma, Talent und Institutionalisierung. Allerdings operationalisiert er das Element Talent sehr allgemein auf der Grundlage der Allgemein- und Fachausbildung eines Wissenschaftlers und postuliert ein Abhängigkeitsverhältnis dieses Elements mit der Institutionalisierung, so daß mir die Einführung des Elements Talent redundant erscheint. Vgl. Clark, Terry N., Die Stadien wissenschaftlicher Institutionalisierung, in: Weingart, Peter, Hg., Wissenschaftssoziologie II, a. a. O., S. 105-121.

[124] Weingart, Peter, Wissenschaftlicher Wandel als Institutionalisierungsstrategie, a. a. O., S. 28. Siehe dazu auch Griffith, Belver C. und Mullins, Nicholas C., a. a. O., S. 230.

[125] Vgl. Weingart, Peter, Wissenschaftlicher Wandel als Institutionalisierungsstrategie, a. a. O., S. 28.

[126] Ebd., S. 30.

[127] Ebd., S. 29.

[128] B. C. Griffith und N. C. Mullins unterscheiden in ihrer o.g. Untersuchung zwischen revolutionären Gruppen und Elitegruppen. Die revolutionären Gruppen sehen sich selbst in einem Gegensatz zu einer bestimmten „outgroup“, die innerhalb der Universitäten und anerkannten Disziplinen besser etabliert ist, hingegen sind die Elitegruppen zwar abweichend, werden aber von der Disziplin als zentral anerkannt. Vgl. Griffith, Belver C. und Mullins, Nicholas C., a. a. O., S. 227 u. 230.

[129] Weingart, Peter, Wissenschaftlicher Wandel als Institutionalisierungsstrategie, a. a. O., S. 27.

[130] Vgl. Biderman, Albert D., Über den Zusammenhang von Einfluß, Förderung und Erklärungskraft in den Sozialwissenschaften, in: Badura, Bernhard, Hg, Seminar: Angewandte Sozialforschung: Studien über Voraussetzungen und Bedingungen der Produktion, Diffusion und Verwertung sozialwissenschaftlichen Wissens, Frankfurt a. M. 1976, S. 317-325.

[131] Siehe dazu in Kapitel 8.3 „Abgesänge auf den labeling approach vs. Weiterentwicklung: Die Diskussion in der kritischen Kriminologie Ende der 70er Jahre“ und 8.4 „Der Abolitionismus als Kriminalpolitik der kritischen Kriminologie“ die Diskussion um die Reduktion des labeling approach auf eine Stigmatisierungstheorie, welche problemlos in das Mehrfaktoren-Modell der traditionellen Kriminologie übernommen werden kann. Das führt dazu, daß die kritische Kri­minologie erhebliche Ressourcen in die Auseinandersetzung mit ihren Kritikern investieren muß, die ihr in der Weiterentwicklung ihres eigenen Paradigmas fehlen. Vgl. dazu zusammenfas­send Hess, Henner und Steinert, Heinz, Zur Einleitung: Kritische Kriminologie - zwölf Jahre danach, in: Arbeitskreis Junger Kriminologen, Hg., Kriminologisches Journal, Jg. 18, 1. Beiheft 1986, S. S. 2-8.

[132] Vgl. zu den aktuellen Diskussionen in der Verwendungsforschung: Winges, Matthias und Fuchs, Stephan, Ist die Soziologie gesellschaftlich irrelevant?: Perspektiven einer konstruktivistisch ansetzenden Verwendungsforschung, in: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 18, 1989, H. 3, S. 208-219. Die Autoren unterbreiten auch einen Lösungsvorschlag für eine konstruktivitisch ansetzende Verwendungsforschung, der mit der in dieser Arbeit erörterten theoretischen Auffassung von Wissenschaftssoziologie in Einklang steht.

[133] Kurze Erörterungen zu dieser Fragestellung finden sich unter anderem in folgenden Aufsätzen: Kreissl, Reinhard, Der Labeling Approach: Metamorphosen eines theoretischen Ansatzes, in: Kriminologisches Journal, Jg. 17, 1985, H. 2, S.137-144; ders., Was ist kritisch an der kritischen Kriminologie: Eine neue Standortbestimmung, in: Bussmann, Kai-D. und Kreissl, Reinhard, Hg., Kritische Kriminologie in der Diskussion: Theorien, Analysen, Positionen, Opladen 1996, S. 19-43.

[134] Dieses Kapitel „erzählt“ die Geschichte der sozialen Organisation des AJK auf der Grundlage einer Rekonstruktion anhand der Rundschreiben des AJK und des wissenschaftlichen Beirats des KrimJ (die im Anhang H einzeln aufgeführt sind), der Rubrik „Informationen“ im KrimJ, Jg. 1-27 und den AJK-Ordnern I und II zweier Geschäftsführer des AJK (I = K. H. Ohle und II = J. M. Priester). Erst im Kapitel 6 wird die auf der Grundlage der in diesem Kapitel „erzählten“ Geschichte der sozialen Organisation des AJK im Hinblick auf eine komparative Analyse mit der Geschichte des Theorieprogramms der kritischen Kriminologie in Kapitel 8 interpretiert.

[135] Aus einem Brief von L. Pongratz, H. J. Kerner und K. H. Ohle an die Mitglieder des AJK vom 29.07.1977, S. 1.

[136] Karstedt-Henke, Susanne, Bericht von der Programm-Tagung des AJK am 11.11.1978 in Bielefeld, in: dies., Rundbrief Nr. 3/78 vom 13.12.1978, [Masch.-schr.] S. 2.

[137] Berckhauer, Friedrich H. [u.a.], Diskussionsvorlage für die Programmtagung des AJK vom 8.-10. März in Bielefeld, II. Programmvorschlag für den AJK, [Masch.-schr.] S. 8.

[138] Kaiser, Günther, Was ist eigentlich kritisch an der „kritischen Kriminologie“?, in: Warda, Günter, Hg., Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag, Berlin, New York 1976, S. 538.

[139] Vgl. „Zu einem Forschungsprogramm für die Kriminologie: Ergebnisse der Klausurtagung des AJK im August 1973“, in: Kriminologisches Journal, Jg. 5, 1973, H. 4, S. 258-259 und Anhang I.

[140] Die vollständige Aufstellung der „Akzente für eine zukünftige AJK-Politik“ ist im Anhang I abgedruckt.

[141] Diese Auseinandersetzung darüber, an welchen Zielen sich die Kriminologie orientieren soll, führt zu der grundlegenden Frage, welchen Interessen sich Wissenschaft überhaupt verschreiben soll. Eine Diskussion darüber wird bereits im Werturteilsstreit und nachfolgend im Positivismusstreit ausgiebig geführt. Siehe zum Werturteilsstreit: von Ferber, Christian, Der Werturteilsstreit 1909/1959, in: KZfSS, Jg. 11, 1959, S. 21-37. Zum Positivismusstreit siehe: Adorno, Theodor W., Hg., Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, Frankfurt a. M. 1969.

[142] Schumann, Karl F., Bericht über die Einsetzung einer Kommission zur Erarbeitung einer programmatischen Konzeption für die weitere Tätigkeit im AJK auf der Programmtagung des AJK vom 08. bis 10. März 1973 in Bielefeld, [Masch.-schr.] S. 3.

[143] Aus einem Brief von L. Pongratz, H. J. Kerner und K. H. Ohle an die Mitglieder des AJK vom 29.07.1977, S. 1.

[144] Vgl. Brusten, Manfred, Bericht über das Symposium des AJK im Juli 1972, in: Kriminologisches Journal, Jg. 4, 1972, H. 4, S. 317.

[145] Als erster Geschäftsführer wird K. H. Ohle aus Hamburg gewählt.

[146] Brusten, Manfred, Bericht über das Symposium des AJK im Juli 1972, a. a. O., S. 318.

[147] Ohle, Karlheinz, Rundschreiben Nr. 13 vom 19.05.1975, [Masch.-schr.] S. 5.

[148] Ohle, Karlheinz, Rundschreiben Nr. 5 vom 30.03.1973, [Masch.-schr.] S. 1.

[149] Im Interessenten-Status befinden sich, auf der Grundlage der Mitgliederliste des AJK, Stand Mai 1973, 26 Personen.

[150] Mit dem Rundschreiben Nr. 13 vom 19.05.1975 werden die AJK-Mitglieder erneut um einen Mitgliedsbeitrag von DM 10,- gebeten.

[151] Aus: Schreiben der Redaktion des KrimJ an die Herausgeber des KrimJ vom 04.04.1974, in: Ohle, Karlheinz, Rundschreiben Nr. 10 vom 04.04.1974, [Masch.-schr.] S. 2.

[152] In einigen schriftlichen Reaktionen darauf wird dies als „für den AJK revolutionärer Schritt“ bezeichnet. Vgl. u.a. das Schreiben von W. Rasch an J. M. Priester vom 04.10.1976, in: Priester, Jens M., AJK II, a. a. O.

[153] Nach Durchsicht der im AJK-Ordner II von J. M. Priester abgelegten Beitrittserklärungen werden Symposien und Artikel im KrimJ bis zurück zum Jahr 1973 akzeptiert.

[154] Entnommen aus einem Schreiben von J. M. Priester an den Regierungsdirektor K. Hobe vom 27.09.1976, in: Priester, Jens M., AJK II, a. a. O.

[155] Karstedt-Henke, Vorschläge zur Lösung der anstehenden Fragen auf der Planungstagung des AJK [am 20.05.1978], [Masch.-schr.] 1978.

[156] Diese Terminologie verwendet S. Karstedt-Henke in ihrem Rundbrief Nr. 2 vom 10.07.1978, [Masch.-schr.] S. 1.

[157] Ebd., S. 8.

[158] „Bericht von der Programm-Tagung des AJK am 11.11.1978 in Bielefeld“, in: Karstedt-Henke, Susanne, Rundbrief Nr. 3/78 vom 13.12.1978, [Masch.-schr.] S. 2.

[159] Aus der Mitschrift eines anonymisierten Teilnehmers dieser Tagung geht hervor, daß über die Vor- und Nachteile einer Vereinsgründung diskutiert wird. Als positiver Aspekt einer Vereinsgründung wird das Prestige für den Vorstand auf dieser Mitschrift notiert. Es bleibt allerdings unklar, ob dieser Vorteil offen in der Runde diskutiert wird oder ob dies nur eine private Notiz dieses Teilnehmers ist.

[160] Diesen Ausdruck verwendet P. Malinowski in seinem Rundbrief 1/1984 vom 20.04.1984 in seiner damaligen Eigenschaft als AJK-Geschäftsführer, S. 1.

[161] Aus: Boy, Peter, Protokoll der „Mitgliederversammlung“ des AJK am 07.10.1979 in Bremen, in: ders., Rundbrief 1/80 vom 30.01.1980, [Masch.-schr.] S. 3.

[162] Diesem am 07.10.1979 für zwei Jahre gewählten AJK-Steering-Kommittee gehören an: D. Bittscheid-Peters, P. Boy, M. Brusten, M. Dürkop, W. Keckeisen, S. Klein-Schonnefeld, P. Malinowski, S. Quensel und M. Voß.

[163] Aus: Boy, Peter, Protokoll der „Mitgliederversammlung“ des AJK am 07.10.1979 in Bremen, in: ders., Rundbrief 1/80 vom 30.01.1980, [Masch.-schr.] S. 5.

[164] Von den Altredakteuren sagen alle bis auf Herrn F. Haag ihre Mitgliedschaft im wissenschaftlichen Beirat zu. Der wissenschaftliche Beirat des KrimJ besteht bei seiner Konstituierung aus folgenden elf Mitgliedern: D. Bittscheid-Peters, M. Brusten, L. Pongratz, S. Quensel, J. Wolff, J. Feest, H. Hess, R. Lautmann, K. H. Ohle, H. J. Kerner und K. F. Schumann. Nach der Wahl von M. Brusten zum Sprecher des wissenschaftlichen Beirats werden unter Top 1 vier weitere Mitglieder in den wissenschaftlichen Beirat kooptiert: H. Giehring, H. Haferkamp, F. Sack und H. Steinert.

[165] Boy, Peter, Protokoll der ersten Sitzung des Beirates zum KrimJ am 07.02.1980 in Bremen, S. 1.

[166] Die erste Umfrage unter den Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirats findet mit dem 14. Rundschreiben vom 21.10.1983 statt. Die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des KrimJ werden dabei mittels eines Formblattes aufgefordert, sich durch Unterschrift zur weiteren aktiven Mitarbeit im wissenschaftlichen Beirat zu erklären oder ihre Mitgliedschaft zu beenden.

[167] Protokoll der 2. Sitzung des Beirats am 20.06.1980 in Wuppertal, in: Brusten, Manfred, 3. Rundschreiben vom 25.6.1980, [Masch.-schr.] S. 2.

[168] Siehe dazu ausführlich Kapitel 5.3 „Geschäftsführung des AJK“.

[169] Brusten, Manfred, 12. Rundschreiben vom 05.08.1983, [Masch.-schr.] S. 1.

[170] Vgl. ebd., S. 2.

[171] Brusten, Manfred, 13. Rundschreiben vom 13.09.1983, [Masch.-schr.] S. 1.

[172] Brusten, Manfred, Protokoll der 7. Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats des KrimJ am 15.06.1984, in: ders., 17. Rundschreiben vom 25.06.1984, [Masch.-schr.] S. 5.

[173] Auch bei dieser Wahl, wie bei seiner ersten Wahl am 07.02.1980, wird M. Brusten in Abwesenheit zum Sprecher des wissenschaftlichen Beirats des KrimJ gewählt.

[174] Brusten, Manfred, Protokoll der 9. Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats am 13.12.1985, in: ders., 24. Rundschreiben vom 13.01.1986, [Masch.-schr.] S. 4.

[175] Zum 13.11.1993 kandidiert der bisherige Sprecher des wissenschaftlichen Beirat des KrimJ nicht mehr zu einer weiteren zweijährigen Amtszeit. Es wird daraufhin auf der 25. Sitzung des wissenschaftlichen Beirats am 13.11.1993 in Gelnhausen H. Cremer-Schäfer als künftige Sprecherin gewählt. Der dadurch vakant gewordene Posten des Stellvertreters entfällt.

[176] In einem persönlichen Interview mit Frau H. Cremer-Schäfer am 22.05.1996 in Bad Vilbel sagt sie dazu: „Der AJK sind die Tagungen und der Beirat des KrimJ. Mitgliederlisten gibt es keine.“

[177] Allerdings ist der Geschäftsführer bei der Wahl der Redaktion nur ein ausführendes Organ der Redaktion des KrimJ. Von dieser bekommt er nämlich zum einen die Aufforderung, den Wahlvorgang einzuleiten, und zum anderen detailierte Anweisungen über die Durchführung der Wahl und die entsprechenden Fristen. Vgl. dazu die Schreiben des Redaktionsmitgliedes J. Wolff vom 26.10.1976, 13.12.1976, 21.02.1977, 13.03.1977 und 13.08.1977 an den Geschäftsführer des AJK (in: Priester, Jens M., AJK II, a. a. O.).

Excerpt out of 294 pages

Details

Title
Soziale Organisation und Theorieprogramm: Zur institutionellen Biographie des AJK
College
University of Wuppertal  (Fachbereich Gesellschaftswissenschaften)
Grade
1,0
Author
Year
1997
Pages
294
Catalog Number
V18372
ISBN (eBook)
9783638227339
ISBN (Book)
9783638700085
File size
2478 KB
Language
German
Notes
Die Arbeit rekonstruiert die Etablierung und Entwicklung der kritischen Kriminologie in Deutschland seit ihren Anfängen 1968 bis 1997. Anhand der sozialen Organisation (alte Rundschreiben, Korrespondenz etc.) des Arbeitskreises Junger Kriminologen (AJK) und des im wesentlichen aus Veröffentlichungen des Kriminologischen Journals rekonstruierten Theorieprogramms kritischer Kriminologie werden die Debatten und Kontroversen innerhalb der kritischen Kriminologie systematisiert.
Keywords
Soziale, Organisation, Theorieprogramm, Biographie
Quote paper
Dr. Stefan Drees (Author), 1997, Soziale Organisation und Theorieprogramm: Zur institutionellen Biographie des AJK, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18372

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