"Warum hast du das getan?" Zur moralischen Begründung von deviantem Verhalten von Heimkindern oder wie Sozialarbeiter sie besser verstehen können


Diploma Thesis, 2002

81 Pages, Grade: 2


Excerpt


,,Warum hast du das getan?"
Zur moralischen Begründung von deviantem Verhalten von Heimkindern
oder wie Sozialarbeiter sie besser verstehen können
Prüfer:
Prof. Dr theol. Weber
Ekkehard Kreutter
Abgabedatum: 06.03.2002
Diplomarbeit zur Diplomprüfung Wintersemester 2001/2002
an der evangelischen Fachhochschule Hannover
eingereicht von Andreas Fechner

Vorwort
Eine Frage habe ich mir in meinem Leben, bei verschiedensten Gelegenheiten immer wieder
gestellt. Sie ergab sich im Freundeskreis, in der Familie oder in der Partnerschaft, in der
Schule im Studium oder im Beruf.
Diese Frage findet sich im Titel der Arbeit wieder ,,Warum hasst Du das getan?"
Gestellt habe ich mir diese Frage immer wieder im Zusammenhang mit von der Norm
abweichenden Handlungen meiner Mitmenschen. Diese Handlungen sind nicht zwangsläufig
als kriminell zu bezeichnen aber sie können in gewisser Weise eine kriminelle Karriere
vorbereiten.
Die Frage, die ich mir gestellt habe ist nicht meine Frage, denn auch Eltern, Lehrer oder
Schüler stellen sich die Frage nach dem Warum, wenn das Verständnis für die Handlung des
Sohnes, Schülers oder des Freundes nicht mehr ausreicht.
Im Zuge der Arbeit soll die Frage nach dem Warum in bezug auf Heimkindern beantwortet
werden. Heimkinder sind in der Arbeit aber nur das Synonym für Kinder die mit Problemen
im Leben zu kämpfen haben.
Zum besseren Verständnis werden die verschiedenen Theorien der Entstehung von
abweichenden Verhalten vorgestellt.
Der Hauptteil der Arbeit beschäftigt sich mit der Frage wie durch moralische Erziehung
deviantem Verhalten vorgebeugt werden kann.
Ich gehe auf die gesellschaftlichen, familiären und wirtschaftlichen Probleme ein, welche die
Heranwachsenden zu abweichenden Taten bewegen.
Die Idee meine Arbeit im Internet auszustellen ergab sich durch die Idee Anderen bei der
Suche nach dem Warum zu helfen!!!
Viel Spaß beim lesen.

,,Warum hast Du das getan?"
Zur moralischen Begründung von deviantem Verhalten von Heimkindern
- oder wie Sozialarbeiter sie besser verstehen können.
1
Gliederung
Seite
0 Einleitung
4
1 Begriffsklärungen
7
1.1 Heimkinder
7
1.2 Jugend
7
1.3 Moral
8
1.3.1 Normen
9
1.3.2 Werte
9
1.3.3 Konventionen
10
1.4 Devianz
10
2 Heimkinder
11
2.1 Institution Heim
12
2.2 Zielgruppe: Heimkind
12
2.3 Gefährdungslagen
14
2.3.1Der Leidensweg
15
2.3.2 Fallbezug
15
3 Die Entwicklung zur individuellen Persönlichkeit
16
3.1 Entwicklungsphasen
17
3.1.1 Jugendalter/Heranwachsen
17
3.1.2 Adoleszenz
17
3.2 Entwicklungsaufgaben
19
3.2.1 Der Überbegriff: Jugend
19
3.2.2 Der Weg zur Selbstständigkeit
20
3.2.3 Das biologische Reifen
22
3.2.3.1 Pubertätswachstumsschub
22
3.2.3.2 Geschlechtsreifung
23
3.2.4 Die Entwicklung von Beziehungen
23
3.2.4.1 Endogen-organismische Modell
24
3.2.4.2 Exogen-kontextuelles Modell
24
3.2.4.3 Handlungstheoretisch-
25
konstruktivistische Modell

,,Warum hast Du das getan?"
Zur moralischen Begründung von deviantem Verhalten von Heimkindern
- oder wie Sozialarbeiter sie besser verstehen können.
2
Seite
3.2.4.4 Peergroups-Elternbeziehungsmodell
26
3.2.5 Die Entwicklung von Identität
28
3.2.5.1 Identitätstheorie nach Erikson
28
3.2.5.2 Berufliche Identität/ ein Problem
31
für Heimkinder
3.3 Entwicklungsaufgaben und Krisen
32
des Adoleszenten
3.4 Belastungsfaktoren
34
3.4.1 DSM-III R
34
3.4.2 MAS
35
4 Moralische Entwicklung
37
4.1 Entwicklung eines moralischen Urteils
37
4.1.1 Klugheit
37
4.1.2 Moral
37
4.1.3 Abwehrstrategie oder um Lösung bemühen
38
4.1.4 Das Kind ist kein schlechter Erwachsener
38
4.2 Entwicklungstheorie
39
4.2.1 Stufen der Entwicklung
40
4.2.3 Zwischenstufen
42
4.2.4 Entwicklungsfaktoren
42
4.3 Vergleich zwischen Moral, Kognition
43
und Perspektivenübernahme
5 Devianz
46
5.1 Erklärungsmodelle von Devianz
46
5.1.1 Die Anomietheorie
46
5.1.2 Theorie der Ziel-Mittel Diskrepanz
47
5.1.3 Die Subkulturtheorie
48
5.1.4 Die Theorie des differentiellen Lernens
49
5.1.5 Die Zuschreibungsansätze
50
5.1.6 Das Teufelskreismodell
52

,,Warum hast Du das getan?"
Zur moralischen Begründung von deviantem Verhalten von Heimkindern
- oder wie Sozialarbeiter sie besser verstehen können.
3
Seite
6 Prävention- oder Handlungsansätze
54
6.1 Gefährdungslagen
54
6.2 Deviantes Verhalten moralisch begründen
56
6.2.1 Fallbeispiel Daniela
56
6.2.2 Fallbeispiel Marijan
58
6.3 Pädagogische Grundmodelle der moralischen Erziehung 59
6.3.1 Die romantische Erziehungsphilosophie
59
6.3.2 Der werteübermittlungs oder technologische Ansatz 60
6.3.3 Der progressive Ansatz
61
6.3.4 Der Disskursansatz
62
6.4 Prävention durch Sozialarbeiter oder Betreuer
62
6.4.1 Stimulierung der moralischen Entwicklung/
62
Nachholtheorie
6.4.2 Messen der moralischen Urteilsfähigkeit
63
6.4.3 Entwicklungsförderung betreiben
65
6.5 Prävention von Seiten des Staates
66
6.5.1 Die Polizei
66
6.5.2 Das Gesetz
68
6.5.3 Die Schule
69
7 Schlußbetrachtung
71
Literaturverzeichnis

0 Einleitung
4
0 Einleitung
Daniela ist 18 Jahre alt und wohnt in einem Sozial-Therapeutischen Jugend-
wohnhaus. Sie konnte bei ihrer medikamenten-abhängigen Mutter und ihrem
Stiefvater nicht mehr wohnen. Die Mutter hat sie Medikamente besorgen ge-
schickt und den Besuch der Schule verboten. Daniela erreichte nach langem
ringen beim Jugendamt, dass sie von ihrer Mutter weg konnte. Daniela und
ihrer kleinen Schwester wurde vom Jugendamt eine Wohnung vermittelt. Da
Daniela schon siebzehn Jahre alt war glaubte das Jugendamt sie könne sich
um ihre Schwester kümmern. Daniela wollte sich jetzt auf den Hauptschulab-
schluss konzentrieren, da ihr die Wichtigkeit eines Schulabschlusses be-
wusst war. Sie besuchte die Schule sehr unregelmäßig und musste sie we-
gen zu viel Fehlzeiten verlassen. Das Jugendamt erkannte die Notwendigkeit
einer Betreuung. Auf dem Hintergrund der Vorgeschichte und durch Gesprä-
che mit Daniela erwog das Jugendamt die Finanzierung eines Platzes im
Sozial-Therapeutischen-Jugendwohnhaus(JWH). Sie zog ins JWH ein. Mit
der Selbstständigkeit im eigenen Zuhause war sie überfordert. Die Finanzie-
rung des Wohnhausplatzes war an den Besuch der Schule gekoppelt. Da-
niela ist 18Jahre alt und hat die Schulpflicht erfüllt. Bei Schwänzen der Schu-
le droht ihr der Rausschmiß aus Schule, dem JWH und der Abrutsch in die
Sozialhilfe. Nach zwei Monaten im JWH begann sie die Schule zu schwän-
zen und die Maßnahme wurde nach Verwarnungen durch das Jugendamt
beendet.
Die Frage der Betreuer und mir als Praktikanten war: ,,Warum hast du das
getan?"
Während meiner Studienpraktika und danach folgenden Urlaubsvertretungen
konnte ich die Arbeit in dem Sozial-Therapeutischen-Jugendwohnhaus ken-
nen lernen. Hierbei konnte ich verschiedene Schicksale von Jugendlichen
erleben, die alle schlechte Erlebnisse in der Familie gemeinsam hatten. In
den meisten der Fälle musste auch mit deviantem Verhalten gerechnet wer-
den. Durch den Kontakt zum Jugendwohnhaus der nun drei Jahre besteht,
konnte ich die Entwicklungen in der Betreuung der Jugendlichen mit verfolg-

0 Einleitung
5
gen. Ich musste hierbei feststellen, dass drei-viertel der Fälle in die Sozialhil-
fe abrutschen und die Hilfe in bezug auf die Entwicklung einer neuen Rollen-
perspektive als Auszubildender nicht erfolgreich war. Deviantes Verhalten
war hierbei der Grund für das Scheitern.
Daniela ist ein Beispiel für deviantes Verhalten welches nicht als delinquent
zu bezeichnen ist. Ein weiterer Jugendlicher den ich im Wohnhaus kennen
lernen konnte ist Marian. Das Verhalten von Marian zeichnet sich durch Kri-
minalität aus. Marian möchte ich als zweiten Fall in die Arbeit einbeziehen
weil er die andere Seite der Devianz darstellt, die Kriminelle.
Die Entwicklung des Menschen vom Kind zum Jugendlichen und im Ab-
schluss zum Erwachsenen ist ein schwieriger Prozess. Während dieser Zeit
steht dem Individuum seine Familie liebevoll mit Rat und Tat zur Seite. So
wäre es wünschenswert für jeden Menschen in der Entwicklung zum Er-
wachsenen. Leider wollen oder können die Eltern sich dieser Verantwortung
aber nicht immer stellen oder ihr gerecht werden. Deshalb kann die Folge der
Aufenthalt in einem Heim sein. Dort soll dem Kind Hilfe bei seiner Entwick-
lung hin zum selbstständigen Individuum gegeben werden. Das Personal trifft
bei der Arbeit immer wieder auf deviantes Verhalten. Ein Verhalten, dass von
der Norm unserer Gesellschaft abweicht.
Wie dem Handeln von Daniela geht bei jedem Handeln ein Urteil voraus. Im
laufe der Arbeit wollen wir ein Verständnis für Danielas Handeln entwickeln
und aufzeigen, wie dem Handeln hätte vorgebeugt werden könnte.
Danielas Verhalten hätte durch das Verhalten ihrer Betreuer vorgebeugt
werden können. Hierbei befinden wir uns schon im Bereich der Moral, näher-
gesagt der Moralerziehung. Um Danielas Handeln zu verstehen müssen wir
wissen wie Daniela ihr Urteil fällt. Hierfür muss sie in eine Stufe der morali-
schen Entwicklung eingeordnet werden. Anhand ihrer Lebensgeschichte
müssen wir versuchen ihre Identität zu beschreiben. Im Abschluss können
wir schauen was für Fehler hätten vermieden werden können, damit ihr devi-
antes Verhalten nicht so passiert wäre.

0 Einleitung
6
Wie sich bei Daniela schon zeigt ist nicht die Heimunterbringung, sondern die
Erlebnisse vor der Heimunterbringung für ihr Handeln verantwortlich. Wir
werden also die Auswirkungen der Erlebnisse vor der Heimunterbringung
betrachten. Das Heim befindet sich im Titel der Diplomarbeit weil es einen
Ort zur Intervention für uns als Sozialarbeiter bietet. Es wird auch ein Blick
auf die Schule geworfen. Die Schule ist der Ort wo Entwicklung und Lernen
stattfindet, auch das moralische Lernen. Es ist ein fester Bestandteil im
Rahmenlehrplan. Wir könnten uns fragen: ,,Was wurde bei Daniela überse-
hen?" Nach ein paar Begriffsklärungen wird ein Blick auf das Heim und die
Gründe für den Aufenthalt geworfen. Im Anschluss werden wir uns mit den
Entwicklungsaufgaben und den Belastungsfaktoren in der Adoleszenz be-
schäftigen und die moralische Entwicklung des Kindes zum Erwachsenen
betrachten. Es erfolgt die Überleitung zur Klärung abweichenden Verhaltens
mit seinen vielen Fassetten.
Zum Ende betrachten wir Präventionstheorien zum abweichendem Verhalten
und hierbei auch Präventionsmodelle des Staates zur Delinquenz.
In der Schlussbetrachtung möchte ich die Arbeit reflektieren.
Da ich versuchen möchte die theoretischen Erklärungen durch Fallbeispiele
praktisch zu hinterlegen folgt nun das zweite Fallbeispiel. Neben Daniela be-
nutzte ich hierbei das Fallbeispiel von Marian.
Der Fall Marian
Marian lernte ich im gleichen Wohnhaus wie Daniela kennen. Während mei-
nes Praktikums zog er in das Wohnhaus ein. Er war auf Bewährung aus der
JVA-Hameln entlassen worden. Seine Delikte waren Diebstahl, Raub und
Körperverletzung. Der Verlust der Bewährung schwebte wie ein Damokles
Schwert über seinem Kopf. Er wurde bewusst in einer neuen Stadt unterge-
bracht um ihn von seinem schädlichen sozialen Umfeld zu distanzieren. Er
bekam noch eine Chance. Er wurde von seinen Betreuern in eine Maßnahme
vermittelt, bei der er seinen Hauptschulabschluss nachmachen konnte. Diese
einjährige Maßnahme absolvierte er auch erfolgreich. Nach dieser Maßnah-
me bewarb er sich für verschiedene Praktika, wobei er beim Extramarkt

1 Begriffsklärungen
7
durch ein erfolgreiches Praktikum einen Ausbildungsplatz bekam. Während
der ganzen Zeit
kursierten im Heim die Gerüchte das Marian wieder Kontakt zu seinen alten
Kreisen aufgenommen hätte. Niemand wusste aber etwas Genaues. Marian
dementierte diese Vermutungen bis zuletzt. Ihm wurde der Ausbildungsplatz
gekündigt weil er zu viel fehlte. Die Bewährung wurde aufgehoben, weil er
die Auflagen nicht erfüllt hatte. Zum einen der Verlust des Ausbildungsplat-
zes und zum anderen die nicht eingehaltenen Termine mit seinem Bewäh-
rungshelfer waren für das Aufheben seiner Bewährung verantwortlich. Mari-
an musste wieder in die JVA-Hameln.
1 Begriffsklärungen
1.1 Heimkinder
Ein Heim bietet Hilfe für Kinder. Kinder, die Aufgrund des Todes der Eltern in
ein Heim kommen, da sie bei Verwandten kein Zuhause finden können, Kin-
der die dem Zugriff der Eltern entzogen werden mussten oder Kinder, auf die
ihre Eltern keinen Zugriff mehr haben.
Das heißt, dass Jugendamt und das Familiengericht sind verpflichtet, dass
Kindeswohl bei einer Gefährdung im familiären Kontext zu sichern.
Die Gefahrenlage wird durch die Einweisung in ein Heim abgewendet.
(vgl.: Dölling(2000), S.67)
1.2 Jugend
Die Jugend ist in der heutigen Zeit ein Begriff der sehr weitgehend gebraucht
wird. Mein Vater sagt, er habe sich sein Jugendliches-Denken bewahrt. Die
Jugend bezeichnet aber den Bereich der Pubertät. In dieser Phase entwickelt
der Körper seinen Reifezustand. Der Mensch entwickelt eine Identität und die

1 Begriffsklärungen
8
wichtigste Entwicklung in der Jugend findet von der Fremd- zur Selbstbe-
stimmung statt.
Anhand des Gesetzes lässt sich der Begriff Jugend besser definieren.
Nach dem §1Abs.2JGG(Jugendgerichtsgesetz) ist ein Jugendlicher zwischen
vierzehn und achtzehn Jahre alt, ein Heranwachsender ist zwischen acht-
zehn und einundzwanzig Jahre alt. Diese strickte Festlegung findet ihre Er-
weiterung aber im §3JGG. Ein Jugendlicher muss von seiner sittlichen und
geistigen Entwicklung her die Verantwortung seiner Tat ersehen können.
Hierbei wird die geistige von der körperlichen Entwicklung gesondert betrach-
tet.
(vgl.: Jugendgerichtsgesetz(1999), S.212, im Strafvollzugsgesetz(1999))
Den Wandel der Jugend vom Beginn einer aufkommenden Bewegung hin
zur Erlebnisjugend möchte ich an einer Tabelle verdeutlichen.
,,Jahre
Figuration
Verhalten
1910er
Jugendbewegung
Vereinigung von Erwachsenenstan-
dards, Aufbruch in eine neue zivilisati-
onsferne Natürlichkeit
1930er
Staatsjugend
Kollektiv agierend, manipuliert
1950er
Skeptische Jugend Distanziert, privatistisch
1970er
Politische Jugend
Politisch fordernd, stark innovative Im-
pulse setzend
1990er
Erlebnisjugend
Teils affektuell, teils ästhetisch stilisierte
Eigenwelt, partielle Proteste"
(Witterstätter, K.(1994), S.129)
1.3 Moral
Das Urteil eines Menschen in einem Konflikt beruht auf einer Moral. Die Mo-
ral setzt sich zum einen durch Normen, Werte und Konventionen einer Ge-
sellschaft zusammen und zum anderen, in der höheren Stufe der Entwick-
lung mit der Einbeziehung von Prinzipien in das Urteil. Moral findet Anwen-

1 Begriffsklärungen
9
dung, wenn bei einem Urteil die Folgen für andere Personen mitbedacht
werden und die beste Lösung für alle gesucht wird.
(vgl.: Oser/Althof(1994), S.35-39)
1.3.1 Normen
Die Individuen einer Gesellschaft bewegen sich in ihrem Mikrosystem der
Familie und in einem Makrosystem in dem sie in Kontakt mit Behörden oder
Arbeitgebern stehen . Die Regeln, die in diesen Bereichen unausgesprochen
gelten, sind die Normen. ,,Soziale Normen sind Verhaltenserwartungen, wel-
che die Mitglieder der Gesellschaft wechselseitig aneinander hegen, und die
von ihnen für verbindlich gehalten werden."(Witterstätter, K.(1994), S.33)
Ein gutes Beispiel für die Normen bietet die Sprache. Durch sie ist ein aufei-
nander bezogenes Miteinander von Familie, Verwaltung, Schule, Wirtschaft,
Kulturbetrieb, Freizeiteinrichtungen usw. möglich.
Normen engen jedoch nicht ein.
- Sie nehmen den Entscheidungsdruck, denn jeder weiß, dass er pünktlich
zur Arbeit kommen muss.
- Sie geben Erwartungssicherheit, denn ich weiß, dass mein Kollege mit
dem Frühstückmesser nur sein Brot schmiert. Die Verhaltensweisen un-
serer Mitmenschen werden vorherseh- und berechenbar.
- Sie sind verantwortlich für die Verhaltenskoordination, denn sie koordinie-
ren das Handeln verschiedener Menschen miteinander und machen es
dadurch effektiv.
- Sie sind verantwortlich für die Integrationsfunktion, denn sie integrieren
die Mitglieder einer Gesellschaft untereinander und sorgen so für den Zu-
sammenhalt von Menschengruppen.
(vgl.: Witterstätter, K.(1994), S.32)
1.3.2 Werte
Als Werte eines Menschen ist seine Familie zu nennen. Bei der Familie kön-
nen wir unmittelbar auf den Werte-Wandel zu sprechen kommen. Galten vor
einigen Jahren die Kinder noch als beste Altersvorsorge, so haben sich heu-
te die Werte gewandelt. Die Eltern sehen sich in der Situation selbst vorzu-

1 Begriffsklärungen
10
sorgen um das Alter finanzieren zu können. Die Eltern haben keinen Platz
mehr im Haus der Kinder. Diesem Wertewandel folgt auch der frühere Schritt
in die Selbstständigkeit. Die Kinder bekommen schon früh die Verantwortung
für sich selbst.
Die neuen Werte der Gesellschaft sind eine hohe Lebensqualität(guter Beruf,
Wohnverhältnisse, Freizeit), eine gute Beziehung zur Natur und Umwelt, und
neue Innerlichkeit(gegen Veräußerung und Entfremdung, ganzheitliches Le-
ben).
Früher waren die Werte das materielle Wohlergehen, physische Sicherheit,
das Wirtschaftswachstum, unbeschränkte Nutzung der Natur und die techno-
logische Entfremdung.
Die neuen Werte verdeutlichen das Unbehagen in der hochkomplexen mo-
dernen Welt.
(vgl.: http//www.socio.ch/t_rsonder1.htm,Datum:04.02.02)
1.3.3 Konventionen
Konventionen beziehen sich auf Begriffe der sozialen Ordnung, z.B. ,,Klei-
derordnung, Anredeformen, Geschlechtsrollen, Manieren und Aspekte der
Sexualmoral"(Nunner-Winkler(1993), S.71) Konventionen sind Erwartungen
anderer an die eigene Person und regeln das soziale Miteinander.
1.4 Devianz
,,Von abweichenden Verhalten spricht man dann, wenn die von der Gesell-
schaft per Norm erhobene Verhaltensanforderung, und das tatsächliche Ver-
halten nicht übereinstimmen und für diesen Vorgang negative Sanktionen
innerhalb des gesellschaftlichen Systems der sozialen Kontrolle vorgesehen
sind."(Witterstätter, K.(1994), S.151)
Im Fall von Daniela wird das normwidrige Verhalten nicht von der Justiz be-
straft, sondern von anderen gesellschaftlichen Sanktionen. Sie wird es
schwer haben einen Ausbildungsplatz oder eine Wohnung zu bekommen,
und dadurch werden ihre Lebensgrundlagen sehr beeinträchtigt werden. Im

3 Die Entwicklung zur individuellen Persönlichkeit
11
Fall von Danielas abweichendem Verhalten wird nicht in die Rechte Anderer
eingegriffen. Sie schadet nur sich selbst und vielleicht der Gesellschaft der
Steuerzahler.
Die typischen Formen von Devianz die in der Adoleszenz vorkommen
- Suizid und Suizidversuch
- Konsum und Beschaffung von Drogen oder Alkohol
- Rauchen
- Psychische Verhaltensauffälligkeiten
- Zugehörigkeit zu einer extremen Orientierung
- Verwahrlosung, Trebegang, Vandalismus
- Depression ­ Aggression
- Sexuelles Fehlverhalten und Prostitution
- Kriminalität, Delinquenz, Gewalt
(vgl.: Witterstätter, K.(1994), S.151)
2 Heimkinder
Gerade die Jugendlichen spüren die sozialen Schichten heute mehr als je
zuvor, z.B. durch die Kleidung. Die Kleidung als Synonym für die Dazugehö-
rigkeit zu einer Gruppe. Schnell bekommt der Jugendliche eine Außenseiter-
rolle aufgrund der Markenabweichung. Die Jugendlichen im Heim haben kei-
ne Eltern denen sie das Geld abschwatzen können. Ihre Toleranz gegenüber
den gesellschaftlichen Normen kann aufgrund der Leiden in ihrer Identität
nicht sehr hoch sein. Die sozialen Unterschiede durch deviantes Verhalten
auszugleichen liegt nahe. Deviantes Verhalten als Grund für den Heimau-
fenthalt, ,,ein dazu gehören wollen
Gründe für den Aufenthalt und einen Blick auf die gefährdeten Altersgruppen
soll in diesem Punkt geworfen werden. Das Heim stellt in vielen Fällen die
letzte Chance dar. Die erste Chance, die Vermittlung in eine Pflegefamilie ist
schnell getan. Fast kein Kleinkind muss im Heim aufwachsen.
Das Hauptaugenmerk richtet sich auf Kinder,

3 Die Entwicklung zur individuellen Persönlichkeit
12
- die schon selbst entscheiden können, ob sie in eine Familie vermittelt
werden wollen oder nicht.
- die aufgrund ihres Verhaltens nicht bei der Verwandtschaft erwünscht
sind und in keine Pflegefamilie vermittelt werden können.
- die von schlechten Erfahrungen in der Familie geprägt wurden oder die
ihre Eltern geprägt haben.
2.1 Institution Heim
Das Heim bietet einen Auffangort für Kinder und Jugendliche, denen es nicht
mehr möglich ist in ihrer Familie zu leben. Es soll den Kinder helfen sich zu
entwickeln. Das heißt Verantwortung für sich selbst zu tragen und einen
Schulabschluss und schließlich einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Hei-
me bieten sowohl einen Platz für die Kinder und Jugendlichen im Heim, als
auch ambulante Betreuung für Jugendliche, die den Schritt in die eigene
Wohnung machen. Heime bieten Hilfe beim Erlernen einer sinnvollen Ernäh-
rung, beim verantwortlichen Umgang mit Geld, beim Gestalten der Freizeit
oder beim Einüben von Grundfertigkeiten wie Sauberkeit und Pünktlichkeit.
2.2 Zielgruppe: Heimkind
Die Einweisung in ein Heim erfolgt durch den gesetzlichen Auftrag des Ju-
gendamtes. Nach § 50 Abs. 3 KJHG ist das Jugendamt verpflichtet zur Ab-
wendung einer Gefährdung des Wohls des Kindes oder des Jugendlichen
das Gericht anzurufen und zu informieren. Hierbei kann das Gericht sich ver-
anlasst sehen das Wohl des Kindes nur erhalten zu können, indem das Kind
oder der Jugendliche die Familie verlässt. Der neue Wohnort wird ein Ver-
wandter oder in der Regel das Heim sein.
(vgl.: Dölling(2000), S.67)

3 Die Entwicklung zur individuellen Persönlichkeit
13
Ich möchte jetzt anhand von Daten zeigen welche Altersgruppen der Kinder
und Jugendlichen gefährdet sind.
,,Altersgruppen
Geschlecht
Gesamt
Weiblich
Männlich
Absolut
In %
0<1 Jahr
24
15
39
12,3
1<3 Jahre
20
20
40
12,6
3<6 Jahre
31
26
58
18,3
6<9 Jahre
22
27
49
15,5
9<12 Jahre
23
23
46
14,5
12<15 Jahre
21
21
42
13,2
15<18 Jahre
29
10
39
12,3
Keine Angabe
3
2
5
1,6
Gesamt
173
144
318
100,0"
(Dölling(2000), S.69)
Es handelt sich hierbei um 318 Fälle, die in einer Umfrage bei Jugendämtern
gesammelt und ausgewertet wurden. Aus der Tabelle geht hervor, dass
ca.43% der betroffenen Kinder unter sechs Jahren alt sind. Diese 43% sind
für unser Thema aber nicht so interessant, da die Vermittlung in eine Pflege-
familie oder zu Verwandten relativ problemlos erfolgt. Die restlichen 57 %
verteilen sich relativ gleichmäßig auf die anderen Altersgruppen.
In diesen Altersgruppen können die Kinder und Jugendlichen in einer Form
beeinflusst worden sein, dass die Vermittlung in Pflegefamilien schwer fällt,
oder die Jugendlichen für sich entscheiden im Heim leben zu wollen, da sie
vielleicht auch bald in einer eigenen Wohnung ziehen können. Damit sind wir
bei einer ambulanten Betreuung. Hierbei gilt es Kinderheime, in denen die
Kinder und Jugendlichen aufwachsen und die Jugendwohnhäuser zu unter-
scheiden. In den Jugendwohnhäusern leben Jugendliche, denen bei der Fin-
dung einer neuen Rollendefinition z.B. als Schüler(Festigung der Rolle), oder
als Auszubildender geholfen werden soll. Aber gerade diese neuen Le-
benserfahrungen in den neuen Rollen bieten, wie wir später sehen werden

3 Die Entwicklung zur individuellen Persönlichkeit
14
einen Ansatz um das bisherige Weltbild zu überdenken und sich in eine hö-
here
Moralstufe zu begeben. In Jugendwohnhäusern können nur Jugendliche o-
der Heranwachsende einziehen.
(vgl.: Dölling(2000), S.69)
2.3 Gefährdungslagen
In der folgenden Tabelle wird angeführt unter welchen Gefährdungslagen
das Gericht vom Jugendamt informiert wird.
,,Gefährdungslage
Absolut in %
Vernachlässigung
207
65,1
Seelische Misshandlung
117
36,8
Körperliche Misshandlung
75
23,6
Elternkonflikte um das Kind 75
23,6
Sexueller Missbrauch
53
16,7
Autonomiekonflikte
41
12,9
Sonstiges
74
23,3"
(Dölling(2000), S.70)
Anhand der 318 Fälle der Umfrage lässt sich ersehen, dass es viele Mehr-
fachnennungen gibt, also die verschiedenen Gefährdungslagen gekoppelt
vorkommen.
Ganz oben bei den Gefährdungslagen steht mit Abstand(65,1%) die Ver-
nachlässigung. Vernachlässigung durch Karriere der Eltern oder hervorgeru-
fen durch den Wertewandel habe ich bei meinen Erfahrungen im Heim ganz
besonders kennen gelernt. Allerdings tritt diese Gefährdungslage meist ge-
koppelt mit der seelischen und körperlichen Misshandlung und den Eltern-
konflikten um das Kind auf.
Excerpt out of 81 pages

Details

Title
"Warum hast du das getan?" Zur moralischen Begründung von deviantem Verhalten von Heimkindern oder wie Sozialarbeiter sie besser verstehen können
College
University of Applied Sciences Hanover
Grade
2
Author
Year
2002
Pages
81
Catalog Number
V185780
ISBN (eBook)
9783656983729
ISBN (Book)
9783867466646
File size
1102 KB
Language
German
Keywords
warum, begründung, verhalten, heimkindern, sozialarbeiter
Quote paper
Andreas Fechner (Author), 2002, "Warum hast du das getan?" Zur moralischen Begründung von deviantem Verhalten von Heimkindern oder wie Sozialarbeiter sie besser verstehen können, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185780

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