Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Einfluss von Nicht-Regierungsorganisationen auf die Umweltpolitik der Europäischen Union. Im Mittelpunkt stehen hierbei Umweltverbände, die Lobbying bei den EU-Institutionen betreiben.
Es scheint sich sowohl bei den nationalen Regierungen der EU-Mitgliedstaaten, als auch bei der jeweiligen Bevölkerung die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Umweltpolitik effizienter auf EU-Ebene betrieben werden kann.
In einer Spezialuntersuchung des Eurobarometers zum Thema Umweltpolitik wurden 1995 die Menschen in den Mitgliedsländern der Union dazu befragt, ob die Umweltpolitik eine nationale Angelegenheit ist, oder ob Umweltpolitik auf Gemeinschaftsebene praktiziert werden sollte.
Es zeigt sich, dass in allen Mitgliedsländern eine breite Mehrheit dafür ist, dass Umweltpolitik auf Ebene der EU betrieben werden sollte. Den höchsten Wert hat hierbei die Niederlande, wo über 85% der Bevölkerung dieser Meinung sind.
Auch innerhalb des politischen Systems der EU scheint die Umweltpolitik einen immer größer werdenden Stellenwert einzunehmen.
Angesichts globaler Umweltprobleme, die sich in länderübergreifenden Katastrophen widerspiegeln, scheint es erforderlich, Umweltpolitik auf supranationaler Ebene zu betreiben. Besonders das sog. „Jahrhundert-Hochwasser“ im August 2002 in Deutschland, Tschechien und Österreich vergegenwärtigt, dass bei der Lösung von Umweltproblemen länderübergreifende Maßnahmen nötig sind.
Auch wenn diese Hochwasserkatastrophe möglicherweise nicht kausal mit der Erhöhung des CO2-Anteils in der Atmosphäre zusammenhängt, so ist doch „wissenschaftlich erwiesen, dass der Mensch für die Erwärmung des Erdballs wesentlich verantwortlich ist“ und somit zumindest eine Ursache für die Veränderung des Weltklimas darstellt.
Einleitung
Es zeigt sich, dass in allen Mitgliedsländern eine breite Mehrheit dafür ist, dass Umweltpolitik auf Ebene der EU betrieben werden sollte. Den höchsten Wert hat hierbei die Niederlande, wo über 85% der Bevölkerung dieser Meinung sind. Auch innerhalb des politischen Systems der EU scheint die Umweltpolitik einen immer größer werdenden Stellenwert einzunehmen.
Angesichts globaler Umweltprobleme, die sich in länderübergreifenden Katastrophen widerspiegeln, scheint es erforderlich, Umweltpolitik auf supranationaler Ebene zu betreiben. Besonders das sog. „Jahrhundert-Hochwasser“ im August 2002 in
Deutschland, Tschechien und Österreich vergegenwärtigt, dass bei der Lösung von Umweltproblemen länderübergreifende Maßnahmen nötig sind. Auch wenn diese Hochwasserkatastrophe möglicherweise nicht kausal mit der Erhöhung des CO2-Anteils in der Atmosphäre zusammenhängt, so ist doch „wissenschaftlich erwiesen, dass der Mensch für die Erwärmung des Erdballs wesentlich verantwortlich ist“ 1 und somit zumindest eine Ursache für die Veränderung des Weltklimas darstellt.
Die Europäische Union hat diesbezüglich sowohl die Möglichkeit, verbindliche umweltpolitische Entscheidungen für ihre Mitgliedstaaten festzusetzen, als auch im Rahmen einer weltweiten Klimadebatte eine Vorreiterrolle einzunehmen. Denn selbst diejenigen Mitgliedstaaten, die „die EU eher als funktionalen Zweckverband sehen, haben keine grundsätzlichen Einwände, im Rahmen eines europäischen Verbandes eine größere Rolle in der Weltpolitik zu spielen“ 2 . Erste Anzeichen hierfür zeigten sich beispielsweise daran, dass bei der Weltklimakonferenz in Kyoto im Dezember 1997 die EU mit einem gemeinsamen Positionspapier an den Verhandlungstisch ging.
Allerdings zeichnet sich die Europäische Union nach landläufiger Ansicht durch ein erhebliches demokratisches Defizit aus. Hauptkritikpunkt hierbei sind oft die geringen Partizipationsmöglichkeiten der Bürger.
Insofern bilden die Umweltverbände, die auf EU-Ebene tätig sind, eine intermediäre Instanz zwischen den Bürgern der Union und dem politisch-administrativen System der Union. Daher soll in dieser Arbeit untersucht werden, welche Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten die europäischen Umweltverbände auf die Umweltpolitik der EU besitzen.
Ende der 60-er und zu Beginn der siebziger Jahre wurden auf Ebene der EG erste Ansätze hinsichtlich einer gemeinsamen Umweltpolitik unternommen. Einige der damals verabschiedeten Rechtsakten, die sich mit der Angleichung von Umweltstandards beschäftigten, hatten allerdings einen ökonomischen Hintergrund, da unterschiedliche Umweltstandards in den Mitgliedsländern zu Verzerrungen innerhalb des gemeinsamen Marktes führten.
1971 gab die Kommission in einer Mitteilung bekannt, dass Umweltschutz und Umweltgestaltung als eine wesentliche Aufgabe der Gemeinschaft betrachtet wird (vgl. Schmitz 1996).
Es entstand eine Diskussion zur Frage, ob Umweltschutz auf Gemeinschaftsebene erfolgen sollte oder lediglich durch zwischenstaatliche Abstimmung unter den Mitgliedstaaten. Vor allem Frankreich war gegen eine Verlagerung des Themas Umweltschutz auf EG-Ebene.
Während des Pariser Gipfels 1972 gaben die Staats- und Regierungschefs der Kommission grünes Licht für eine gemeinsame Umweltpolitik und forderten die Kommission auf, ein umweltpolitisches Aktionsprogramm auszuarbeiten. Dieses im Jahr 1973 erschienene Aktionsprogramm enthielt drei wesentliche Orientierungsmerkmale. Es proklamierte die Eindämmung und Verhütung von Umweltverschmutzungen, die Verbesserung der Umwelt und des Lebensrahmens sowie die Durchführung von Gemeinschaftsaktionen. Auch wurde die Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit umweltschutzorientierten internationalen Einrichtungen betont (vgl. Wepler 1999).
Diesem ersten Umweltaktionsprogramm folgten im Zeitraum von 1977-1992 vier weitere „von der Europäischen Kommission erarbeitete und vom Rat verabschiedete Aktionsprogramme, die jeweils die umweltpolitischen Ziele, Prioritäten und ggf. Aktionspläne der Gemeinschaft festlegten“ 3 .
Hey (1994) kommt allerdings zur Einschätzung, dass sowohl das erste als auch die später folgende Umweltaktionsprogramme lediglich den jeweiligen Diskussionsstand wiedergaben, aber keine bindende Arbeitsaufträge darstellten. Auch Wepler (1999) verweist ebenfalls darauf, dass dieses Aktionsprogramm keine rechtliche Verpflichtung für die Mitgliedsländer hatten, doch sei dadurch eine normative Grundlage für ein Tätigwerden der EG im Umweltbereich geschaffen worden.
Innerhalb der Gemeinschaft setzte sich dann zunehmend die Erkenntnis durch, dass konkrete und verbindliche Maßnahmen zur Lösung des Umweltproblems erforderlich sind, für die allerdings eine rechtliche Legitimation nötig war. Diese Grundlage stellte Artikel 100 (Harmonisierungsartikel) des EWG-Vertrages (Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft) dar, auf den „Maßnahmen zur Rechtsangleichung innerhalb der Gemeinschaft gestützt werden konnten“ 4 . Eckrich (1994) weist diesbezüglich auf die seit Anfang der 70-er Jahre bestehende Dichotomie im Umweltbereich hin, da die Harmonisierungsmaßnahmen meistens eine doppelte, nämlich sowohl eine umweltpolitische als auch eine binnenmarktorientierte Zielsetzung verfolgten, wobei die Gewichtung der Ziele schwankte.
Darüber hinaus gewann der Artikel 235 als eine Art Auffangkompetenz für die Umweltpolitik des EWG-Vertrages an Bedeutung. Dieser erlaubte es der Gemeinschaft, „Vorschriften für Bereiche zu erlassen, in denen der Vertrag keine Gemeinschaftsbefugnisse vorgesehen hatte“ 5 , sofern es sich um die Verwirklichung von Zielen hinsichtlich des Gemeinsamen Marktes handelte. Die Zeit zwischen 1973 und 1987 kann man als Phase der stagnierende Integration und einer verhaltenen Entwicklung der gemeinschaftlichen Umweltpolitik beschreiben (vgl. Eckrich 1994). 6
1.1.2. Gemeinschaftliche Umweltkompetenzen durch die EEA
1.1.3. Artikel 130r, Absatz 1 und 2
Das Ursprungsprinzip besagt, dass nicht vermeidbare Umweltbelastungen „am frühesten Punk ihres Entstehens, also an der Quelle zu bekämpfen sind“ 9 . Das Verursacherprinzip soll vor allem die Kostenzurechnung für Umweltverschmutzungen regeln. Demnach soll derjenige die anfallenden Kosten tragen, der die Verschmutzung herbeigeführt hat. Es schließt damit Regelungen aus, nach denen staatliche Zahlungen an dessen Stelle treten, weil dadurch „die Allgemeinheit, also der Steuerzahler, mit den Kosten für Umweltbeeinträchtigungen belastet würde“ 10 .
Des weiteren enthielt die EEA den neuen Harmonisierungsartikel 100a, der im Gegensatz zum bisherigen Art. 100 dem Rat erlaubt, Ratsentscheidungen mit qualifizierter Mehrheit zu treffen, anstatt wie bisher mit einstimmigen Beschlüssen (vgl. Eckrich 1994). Die Änderung dieses Artikel wird häufig als Willen interpretiert, schnellere und wirksamere Entscheidungen zu treffen. 11 Allerdings gibt Hey (1998) diesbezüglich zu bedenken, dass es zwar durch die Einstimmigkeitsregel möglich war und ist, dass umweltpolitische Innovationen durch Mitgliedstaaten mit geringem umweltpolitischen Interesse zu Fall gebracht werden. Doch hat die Einstimmigkeitsregel andererseits auch umweltorientierte Mitgliedstaaten, die in manchen Politikfeldern in der Minderheit sind, wiederum auch geschützt. Nämlich in den Fällen, bei denen „Verursacherinteressen repräsentierende Mehrheitskoalitionen ihre Ziele auf Kosten von umweltorientierten Minderheiten durchsetzen wollten“ 12 .
Somit ist die umweltpolitische Bewertung der Entscheidungsregel stark von jeweiligem Kontext abhängig und kann nicht generell als Zeichen einer gestärkten Umweltpolitik interpretiert werden (vgl. Hey 1998). In Absatz 3 dieses Artikels wird die Kommission verpflichtet, in ihren Umweltschutzvorschlägen von einem hohen Schutzniveau auszugehen. Auch wenn
8 Eckrich (1994): 12
sich dies nur auf die Rechtsangleichung zur Verwirklichung des Binnenmarktes bezieht, so kann diese Verpflichtung zugleich als Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes im Bereich der EG-Umweltschutzgesetzgebung angesehen werden (Hailbronner 1992). Diese Folgerung ist schlüssig, denn „es würde kaum einen Sinn ergeben, wenn nur die Kommission bei der Vorlage von Richtlinien-Entwürfen [...] auf ein hohes Umweltschutzniveau verpflichtet würde, ohne dass sich daraus Folgerungen für das Verhältnis zwischen Marktfreiheiten und Umweltschutzbelangen ableiten ließen“ 13 .
Hey (1994) vertritt die Ansicht, dass durch Artikel 100a zwar dem EP größere Mitwirkungsmöglichkeiten gegeben wurden, er bemängelt aber, dass dadurch erhebliche Hürden gegen nationale Vorreiterrollen aufgebaut wurden. Die gestärkte Rolle des Parlamentes hat insofern für den Umweltschutz Bedeutung, „als sich dieses in der Vergangenheit stets als Befürworter und Förderer eines strengen Umweltschutzes gezeigt hat“ 14 .
Durch den Maastrichter Vertrag (Vertrag zur Europäischen Union, VEU), der 1993 in Kraft trat, kam es nur zu verhältnismäßig kleinen Veränderungen im Bereich des Umweltschutzes. Vor allem wurden die Umweltbestimmungen, die durch die EEA in den EWG-Vertrag hinzugefügt wurden, „abgerundet, redaktionell überarbeitet, zu einem Teil aber auch erweitert“ 15 .
Der VEU hat die „eigenständige Zuständigkeit der Europäischen Union für Umweltpolitik bekräftigt, aber primär die Zuständigkeiten im Entscheidungsverfahren in dem Sinne geändert, dass mehr Zuständigkeiten von Kommission, Rat und Parlament gemeinsam zu entscheiden sind“ 16 .
Die wichtigste Neuerung im Vertragswerk war die Änderung des Art. 130s, der die Kompetenzausübung regelt und über den vor allem die Umweltaktionsprogramme der Union legitimiert werden. Waren bisher diesbezüglich einstimmige Entscheidungen des Rates erforderlich, so können jetzt „Maßnahmen mit qualifizierter Mehrheit unter Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament“ 17
verabschiedet werden. Von dieser Regelung ausgenommen blieben aber einige Bereiche wie die Energieversorgung, die Bodennutzung, die Wasserbewirtschaftung und die Umweltsteuern, für die weiterhin das Einstimmigkeitsprinzip bei Entscheidungen des Rates gilt (vgl. Hartje 1998). Eine weitere wesentlichen Veränderungen bestand darin, dass unter gewissen Umständen die Gemeinschaft für Kosten im Bereich des Umweltschutzes aufkommt. Finanzschwache Mitgliedsländer haben also die Möglichkeit, den damals neu gegründeten Kohäsionsfond der Union zu nutzen. Damit soll sichergestellt werden, dass es innerhalb der Union nicht zu gravierenden Niveauunterschieden im Umweltschutz kommt (vgl. Epiney 1997).
Kahl (1993) gibt zu bedenken, dass der EWG-Vertrag keine Definition des Umweltbegriffes enthält, sondern allenfalls aus Art. 130r Abs. 1, den Umwelt-Aktionsprogrammen und einzelnen Richtlinien erschlossen werden können. Er begründet diesen Sachverhalt damit, dass „die Einheit und Wirksamkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung gefährdet würde, wollte man zur Konkretisierung mit rechtsanalog transponierten nationalstaatlichen Begriffen operieren und den Umweltbegriff des Vertrages im Lichte der nationalen Umweltbegriffe interpretieren“ 18 .
Durch den 1999 in Kraft getretenen Amsterdamer Vertrag wurde „die Verpflichtung der Gemeinschaft auf den Umweltschutz erneut verstärkt“ 19 , wenngleich auch „keine tief greifenden Veränderungen an den umweltpolitischen Grundlagen der EU vorgenommen wurden“ 20 . Die wichtigste Änderung bestand darin, dass bei den umweltpolitischen Rechtsakten das Mitentscheidungsverfahren das Zusammenarbeitsverfahren ablöste und „somit das Europäische Parlament seitdem als gleichberechtigter Mitspieler im umweltpolitischen Entscheidungsprozess der Union agieren kann“ 21 .
In Art. 2 des VEU wird nun betont, dass sich die Gemeinschaft auf ein umweltverträgliches Wachstum verpflichtet. Diese Formulierung knüpft an den Begriff
des „sustainable development“, der nach der internationalen Umweltkonferenz von Rio 1992 weltweit zum Leitmotiv im Bereich des Umweltschutzes wurde (vgl. Malek 2000).
Die europäische Umweltpolitik zählt zu „jenen Politikbereichen, in denen die Frage nach der angemessenen Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten in den zurückliegenden Jahren kontrovers diskutiert wurde“ 22 . Durch die EEA wurde zunächst Artikel 130r, Absatz 4 im EG-Vertragswerk installiert. Durch diesen Artikel wurde festgelegt, dass die Gemeinschaft im Bereich der Umweltpolitik insoweit tätig wird, als die Ziele besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können als auf Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten. Diese Bestimmung ist als umweltpolitisches Subsidiaritätsprinzip bekannt geworden. Durch diese Bestimmung wurde der Grundsatz der geteilten Verantwortung aufgegriffen, der für die Umweltpolitik der Gemeinschaft von Anfang an leitend gewesen ist (vgl. Wepler 1999).
Zwar wurde dieser Artikel durch den Vertrag von Maastricht gestrichen, allerdings wurde durch diesen Vertrag das „Subsidiaritätsprinzip sogar zum allgemeinen Handlungsprinzip der Gemeinschaft“ 23 erhoben. Das Subsidiaritätsprinzip besagt, dass „öffentliche Aufgaben möglichst von der niedrigsten dazu fähigen Handlungseinheit wahrgenommen werden sollen“ 24 . Dies bedeutet konkret, dass nur diejenigen Aufgaben der Gemeinschaft übertragen werden sollen, die von den einzelnen Mitgliedstaaten nicht bewältigt werden können. Aufgrund des Art. 130r fällt zwar kaum ein Bereich „von vornherein aus dem Anwendungsbereich der gemeinschaftlichen Rechtsgrundlagen“ 25 , allerdings bedeutet eine Kompetenz der Gemeinschaft nicht zwangsläufig, dass „sie auch tätig werden darf, vielmehr ist die Ausübung ihrer Kompetenzen nur unter den durch das Subsidiaritätsprinzip festgelegten Voraussetzungen möglich“ 26 .
Das Subsidiaritätsprinzip ist in Art. 3b des EG-Vertrages verankert und umfasst drei Elemente (vgl. Döring 1997).
Im ersten Absatz dieses Artikels wird festgelegt, dass die Befugnisse, die durch den Vertrag nicht geregelt werden, bei den Mitgliedstaaten verbleiben. Dieser Absatz soll verdeutlichen, dass das im zweiten Absatz folgende Subsidiaritätsprinzip selber keine Kompetenzen gewähren kann, sondern lediglich regeln, wer innerhalb der Gemeinschaft für eine Aufgabe zuständig sein soll.
Absatz 2 dieses Artikels beschäftigt sich mit dem Subsidiaritätsprinzip im engeren Sinne. Dieses Prinzip soll nur in diesen Bereichen Anwendung finden, in denen die Gemeinschaft nicht ausschließlich (im Sinne von alleinig) zuständig ist, also in Bereichen, bei denen konkurrierende Zuständigkeiten zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten vorherrschen. Die Gemeinschaft solle demnach nur dann tätig werden, sofern die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können (vgl. Döring 1997). Hierbei kann das Erfordernis „der nicht ausreichenden Zielverwirklichung, das sich auf die Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten bezieht, aus objektiven oder subjektiven Gründen vorliegen“ 27 . Epiney (1997) zufolge ist ersteres dann anzunehmen, wenn das anvisierte Ziel aufgrund seines Umfangs oder seiner Wirkungen nicht ausreichend auf Ebene der Mitgliedstaaten verwirklicht werden kann. Subjektive Gründe liegen analog dann vor, wenn die Mitgliedstaaten zwar prinzipiell die Ziele selber erreichen könnten, „jedoch -aus welchen Gründen auch immer- nicht die hierzu erforderlichen effizienten Maßnahmen ergreifen“ 28 . Absatz 3 des Artikels 3b wird als Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bezeichnet und soll gewährleisten, dass die Maßnahmen der Gemeinschaft nicht über das erforderlich Maß zur Erreichung eines Zieles hinausgehen (vgl. Döring 1997). Nach Einschätzung von Schmitz (1997) stellt dieses Verhältnismäßigkeitsprinzip daher „neben dem Subsidiaritätsprinzip eine weitere Schranke für die Kompetenzausübung dar“ 29 .
So kann das Subsidiaritätsprinzip als Ausgleich zwischen einer effizienten Realisierung der vertraglichen Ziele und der Aufrechterhaltung von mitgliedstaatlicher Kompetenzen zur Verfolgung autonomer Politiken betrachtet werden (vgl. Epiney 1997).
In einer kritischen Perspektive wird am Subsidiaritätsprinzip die fehlende analytische Präzision und die nicht eindeutigen gesellschaftspolitischen Handlungsanweisungen bemängelt (vgl. Döring 1997). So sind beispielsweise die umfassenderen Einheiten dazu verpflichtet, „im Bedarfsfall subsidiär tätig zu werden, d.h. eine Aufgabe zu übernehmen, wenn sie diese besser erfüllen können oder die kleineren Einheiten nicht imstande sind“ 30 . Doch sind die Begriffe „besser“ und „nicht imstande“ so vage, dass unklar ist, wann tatsächlich der Bedarfsfall vorliege. Hey (1994) kommt ebenfalls zu einer kritischen Einschätzung des Subsidiaritätsprinzips und vermutet, dass das Subsidiaritätsprinzips deshalb angewendet wird, „um die umweltpolitische Kompetenz und Kontrollbefugnis der EG insgesamt in Frage zu stellen“ 31 .
Wie gesehen stützen sich die Umweltmaßnahmen der Europäischen Union auf zwei Grundpfeiler. Zum einen sind es die verbindlichen, umweltschutzrelevanten Bestimmungen im EU-Vertragswerk, zum anderen sind es die unverbindlichen Rechtsakte (z.B. Empfehlungen und Stellungnahmen) und die Umweltaktionsprogramme. Doch scheint es nicht möglich, diesbezüglich eine klare Grenze zu ziehen, denn „viele verbindliche Umweltschutzrichtlinien wandeln in der Praxis der Umsetzung in den mitgliedstaatlichen Umweltschutz ihren Charakter in Richtung einer Sollvorschrift“ 32 . Darüber hinaus sprechen die sehr verschiedenen Umweltvorstellungen der einzelnen Mitgliedsländern und die vage gehaltene Formulierung, wann das Subsidiaritätsprinzip zum Tragen kommt, gegen eine Umweltpolitik auf höchst möglichem Niveau.
Allerdings müssen die verschiedenen Umweltschutzeinstellungen der Mitgliedstaaten nicht zwangsläufig zu einer Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners führen. So führen die verschiedenen Vorschläge der Mitgliedstaaten zu „einer additiven Logik, die sich darin bemerkbar macht, dass sich die aus unterschiedlichen Traditionen stammenden Regulierungsansätze und -philosophien in verschiedenen
Einzelrichtungen zusammenfügen, so dass ein eklektizistisches Gesamtwerk entsteht“ 33 .
Auch haben Mitgliedstaaten, die bereits starke Regulierungen im Umweltschutz besitzen, z.T. ein großes Interesse daran, ihr eigenes Regulationsmodell auf die europäische Ebene zu übertragen. Dies spart einerseits Anpassungskosten an eine europäische Gesetzgebung, andererseits besteht gerade in hochregulierenden Ländern ein hohes ökonomisches Interesse an einer Angleichung der Umweltstandards, um die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft zu fördern. Vornehmlich hochregulative Mitgliedstaaten versuchen also „den Wirkungsbereich europäischer Politik ihren eigenen Präferenzen entsprechend zu vergrößern und ihren eigenen Stil der Regulierung auf die europäische Ebene zu übertragen“ 34 . Diesbezüglich spricht Héritier (1995) von einem regulativen Wettbewerb. Durch das Initiieren eines Vorschlag bei der Kommission übt ein Mitgliedstaat „ein Handlungsdruck auf die anderen Mitgliedstaaten aus, der diese vor die Wahl stellt, sich entweder regulativen Vorstößen [...] anzupassen, oder aber selbst die Initiative zu ergreifen, um innovative nationale Maßnahmen auf die europäische Ebene zu heben“ 35 .
Darüber hinaus hat die schrittweise Stärkung des Europäischen Parlaments und die teilweise Aufhebung des Einstimmigkeitsprinzips die umweltpolitische Handlungsfähigkeit der EU erhöht, da dadurch der nationale Einfluss auf EU-Entscheidungsprozesse verringert wurde.
Prinzipiell ist sicher zu sagen, dass die enge Verbindung von Wirtschafts- und Umweltpolitik dafür gesorgt hat, dass eine aktive Umweltpolitik verhindert wurde. Allerdings liegt darin für die Zukunft betrachtet auch eine Chance. Denn wenn sich die allgemeine Interessenlage zugunsten umweltpolitischer Zielsetzungen verändert, könnte dadurch eine Ökologisierung der Wirtschaft erreicht werden.
1.2. Bedeutung der EU für Umweltverbände
1.3. Umweltverbände auf EU-Ebene
von europäischen Umweltverbänden wurde von der Kommission unterstützt, die sich davon Unterstützung im Bereich der Umweltpolitik versprach (vgl. Hey 1994). In der zweiten Hälfte der 80er Jahre etablierten sich drei weitere Umweltverbände, die aufgrund ihrer nationalen Mitgliedsverbände ebenfalls Dachverbandscharakter besitzen. Es handelt sich hierbei um Greenpeace, dem World Wide Fund (WWF), sowie Friends of the Earth (FoE). Diese Organisationen leisten ebenfalls eine allgemeine Interessenvertretung 38 .
Darüber hinaus existieren mittlerweile zahlreiche weitere Verbände, fachliche Netzwerke und Arbeitsgruppen, die meist einen spezialisierten Fokus haben. Von diesen Verbänden sind vier hervorzuheben, nämlich Birdlife International, Climate Network Europe, European Federation for Transport and Environment, sowie The World Conservation Union.
Zusammen mit den vier großen Dachverbänden bilden diese Verbände das informelle Kommunikationsforum „Group of Eight (G8)“ (vgl. Eising 2001). In den Brüsseler Büros dieser Organisationen sind zwischen 2 (Birdlife International, Climate Network Europe) und 11 (Europäisches Umweltbüro EEB) MitarbeiterInnen tätig (vgl. Greenwood 1997).
Die Anzahl der reinen Lobbyisten ist dementsprechend kleiner. So sind bspw. beim WWF und beim Climate Network Europe jeweils zwei MitarbeiterInnen für Lobbying zuständig, beim EEB gibt es drei LobbiystInnen (vgl. Groth 1997). Es wird geschätzt, dass es auf EU-Ebene ungefähr 10000 Lobbyisten gibt (vgl. Lahusen/Jauß 2001), von denen aber maximal 5% dem Bereich Umwelt- und Verbraucherschutz zuzurechnen sind (vgl. Kraack/Pehle/Zimmermann-Steinhart 2001). Somit spielen Umweltverbände im Lobbying-Gefüge der EU rein personell betrachtet eine untergeordnete Rolle.
Unter dem Begriff Nicht-Regierungsorganisationen (NGO’s - Non-Governmental Organizations) sind private und freiwillige Zusammenschlüsse zu verstehen, die - zumindest normativ gesehen- „staats- und parteiunabhängig, nicht an wirtschaftlichem Gewinn und auch nicht an den Eigeninteressen ihrer Mitglieder orientiert sowie nicht ethnisch, national, religiös oder geschlechtsspezifisch exklusiv sind“ 39 .
Hirsch (2001) konkretisiert diese Definition dahingehend, dass NGO’s eine relative organisatorische und finanzielle Unabhängigkeit gegenüber Staatsapparaten und Unternehmen besitzen und über ein gewisses Maß an Professionalisierung und organisatorischer Dauerhaftigkeit verfügen.
Nicht-Regierungsorganisationen nehmen eine stellvertretende Interessenswahrnehmung in Anspruch. In der wissenschaftlichen Wahrnehmung bewegen sich Nicht-Regierungsorganisationen zwischen „dem am meisten überschätzten Akteur der neunziger Jahre“ 40 und einem Hoffnungsträger einer zivilgesellschaftlichen und demokratischen Entwicklung.
In dieser Diplomarbeit liegt der Fokus auf international tätige NGO’s bzw. auf NGO’s, die Einfluss auf die Umweltpolitik der Europäischen Union nehmen. Die Begriffe Interessenverbände und Nicht-Regierungsorganisationen werden hierbei synonym verwendet, da eine exakte Trennung nicht zweckmäßig ist. Denn auf EU-Ebene sind sowohl transnational operierende Organisationen wie Greenpeace und World Wide Fund (WWF) vertreten, als auch kleine Umweltgruppen, die im Europäischen Umweltbüro (EEB) integriert sind.
Der Begriff Lobby stammt vom lateinischen Wort „labium“, das Vorhalle bzw. Wartehalle bedeutet. In diesen Räumen -so die historische Perspektive- „schaffen
sich Verbände durch angestellte Lobbyisten direkte Kontakte zu Abgeordneten und suchen so Einfluss auf die Gestaltung der Gesetzesvorlagen“ 43 In einer eng gefassten Definition meint Lobbying bzw. Lobbyismus „die Gesamtheit von Bestrebungen von Interessengruppen, durch Beauftragte im Sinne ihrer Ziele und Interessen Einfluss auf öffentliche Institutionen und Amtsinhaber vor allem der Legislative und Exekutive zu nehmen“ 44 .
Lobbying kann demzufolge als wertneutraler Sammelbegriff für die Einflussnahme auf Entscheidungen von Behörden und offiziellen Institutionen angesehen werden, wobei es die Beeinflussung von öffentlichen Akteuren (hauptsächlich Beamten) mit einschließt.
Diese Einflussnahme wird von Personen und von Interessenverbänden vorgenommen, die nicht Teil des Entscheidungsprozesses sind. Allerdings ist dieses normative Postulat gerade bei der Europäischen Union nicht klar erkennbar, da „einige Abgeordnete des Europäischen Parlamentes Vertreter sozioökonomischer Interessengruppen sind und die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Einflussnahme auf das politische System der EU nutzen“ 45 . Daher empfiehlt sich im Bezug zur EU die weiterführende Definition, die „Lobbying als den Versuch der Beeinflussung von Entscheidungsträgern durch Dritte“ 46 definiert.
Nach diesem Verständnis kann das Lobbying als eine legitime Tätigkeit angesehen werden, bei der Verbände das Recht besitzen, Anregungen und Bemerkungen den politischen Organen vorzulegen. In der kritischen Perspektive wird „die relative geringe Transparenz des Lobbyismus und die unterschiedlichen Einflusschancen betont, die durch ihn je nach Konfliktfähigkeit und Organisationsfähigkeit gegeben sind“ 47 . Prinzipiell ist sicherlich davon auszugehen, dass die Tätigkeit von Lobbyisten „das ganze Spektrum möglicher Lobbyformen umfassen: von der legitimen Übermittlung branchenspezifischer Informationen bis zum Einsatz nicht legitimer Mittel“ 48 .
Da die Einflusschancen beim EU-Lobbying aber zu einem großen Anteil auch auf dauerhaftem Kontakt beruhen, dürften „Erpressung und Bestechung, die in der
deutschen Öffentlichkeit gelegentlich mit dem Lobbying assoziiert werden, äußerst selten vorkommen“ 49 .
Diekmann, K. (1998) zufolge gehören zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren für das EU-Lobbying die vorhandenen Ressourcen des Lobbyisten, die Qualität der bereitgestellten Informationen, das Erfassen des richtigen Zeitpunkts und der richtige Adressat. Von Nutzen ist darüber hinaus das persönliche Prestige des Lobbyisten, ein Know-how über die Entscheidungsprozesse, sowie die Eindeutigkeit der verfolgten Ziele.
Kennzeichnend für Lobbying ist die besondere Beziehung zur Öffentlichkeit. So entzieht sich das Lobbying in der Regel „einer breiten Öffentlichkeit, ist aber gleichzeitig auf indirekte Weise von eben jener Öffentlichkeit abhängig, denn ohne dass die lobbyierende NGO zur Herstellung von Öffentlichkeit in der Lage ist, wäre kaum die Grundlage vorhanden, auf dem die NGO ihre Mitsprache zur Geltung bringen könnte“ 50 .
Sowohl der Korporatismusansatz, auf den später detailliert eingegangen wird, als auch die Theorie der Neuen Politischen Ökonomie heben den Tauschaspekt in der Beziehung Interessengruppe und Staat hervor (vgl. Buholzer 1998). Diese Tauschbeziehung soll vorab erörtert werden, indem die Adressaten des Lobbying berücksichtigt werden.
Innerhalb der Adressaten des Lobbying ist es zweckmäßig, zwischen politischen Akteuren (hauptsächlich Politiker) und bürokratischen Akteuren (hauptsächlich Verwaltungsangestellte) zu unterscheiden.
Buholzer (1998) betont, dass politische Akteure in regelmäßigen Abständen vom Volk gewählt werden und deshalb daran interessiert sind, von Interessengruppen Tauschgüter zu bekommen, die ihre Wahlchancen verbessern. Denn für Politiker
„besteht die Zielsetzung darin, ein politisches Amt, also einen Sitz im Parlament, zu erringen oder beizubehalten“ 51 .
Interessengruppen können in diesem Zusammenhang „entweder direkt die Wiederwahl [der politischen Akteure] unterstützen, etwa durch die Mobilisierung von Stimmen, oder indirekt die Zuführung von Stimmen ermöglichen und unterstützen (z.B. mit finanziellen Mitteln, Werbung etc.)“ 52 .
Politiker haben die Möglichkeit, sich auf mitgliederstarke Interessengruppen zu konzentrieren, also eine Wählerschaft, die sich über ein gemeinsames Interesse formiert.
Das macht insofern Sinn, als dass „eine weitere Eigenschaft des Politikers darin zu sehen ist, dass er nur begrenzte Kenntnisse über die Bedürfnisse der Wähler oder einzelne Wählergruppen besitzt“ 53 .
Somit dienen Interessengruppen und Verbände den Regierungsorganen „um abschätzen zu können, in wie weit bestimmte Politiken in der Bevölkerung auf Zustimmung oder Ablehnung stoßen werden“ 54 .
Vor allem die indirekte Wahlunterstützung durch die Informationen von Wählern (bspw. Wahlkampfunterstützung und Abstimmungsempfehlungen) ist ein wichtiges Tauschgut von Verbänden (vgl. Buholzer 1998).
Das Tauschgut besteht für bürokratische Akteure vorwiegend in den Informationsleistungen der Interessengruppen. Denn ein bürokratischer Akteur, der für ein neues Thema zuständig ist „befindet sich oft substantiell auf dem Niveau eines Laien und ist nicht nur auf faktische Informationen angewiesen, sondern auch auf die Darstellung von Zusammenhängen, Sachverhalten, Problemen und Lösungen“ 55 .
Das Tauschgut Information „sollte deshalb nicht nur sachlich richtige und fundierte Informationen beinhalten, sondern auch eine gesellschaftliche Aggregationsleistung,
d.h. die Interessengruppen haben bereits eine Filterung und Aggregation der an sie gerichteten Bedürfnisse zu Forderungskompromissen zu erbringen“ 56 . Die Beamten können daher Ressourcen sparen, wenn sie gut fundierte und politisch realisierbare Vorlagen bekommen, sind aber dadurch der Einflussnahme der Interessengruppen mehr oder minder ausgesetzt.
Durch die Unterstützung von Interessengruppen können bürokratische Akteure ihren Einfluss auf politische Akteure bzw. ihr Prestige erhöhen. Zudem kommt, dass „ihre Tätigkeit mit einem Gehalt entgolten wird, das sich weitgehend nach dem hierarchischen Rang, den der Bürokrat innehat, bemisst.“ 57 Das Lobbying einer Interessengruppe ist generell dann als erfolgreich zu bezeichnen, wenn ein optimales Verhältnis zwischen eingesetzten Kosten (Input) und bekommenen Nutzen (Output) besteht (vgl. Buholzer 1998).
3.1. Verbände im politischen Prozess
Korporatismus „um die autoritativen Wertzuweisungen vornehmenden staatlichen Akteure und ihre Bedürfnisse und Interessen, also vor allem um die Tatsache, dass sie zur Ausführung der von ihnen erwarteten Steuerungsleistungen auf Informationen und Mitarbeit seitens der Interessengruppen angewiesen sind“ 62 . In der folgenden Erörterung sollen die Unterschiede dieser zwei Konzepte herausgearbeitet werden, indem einerseits die Merkmale der Interessengruppen charakterisiert und andererseits die Beziehung zwischen Staat und Interessengruppe verdeutlicht werden.
Durch die Analyse von Pluralismus und (Neo-) Korporatismus soll im Bezug auf diese Arbeit also ein Fundament gelegt werden, hinsichtlich dessen die Umweltverbände im System der EU verortet werden können. Diese beiden Formen der verbandlichen Interessenvermittlung werden diesbezüglich als Eckpunkte eines Kontinuums verstanden, in deren Grenzen die Verbände später eingeordnet werden.
3.2.1. Begriff
Der Verbändepluralismus bedeutet somit im politischen Alltag ein konkurrenzdemokratisches Modell, in dem die unterschiedlichen Interessengruppen gegeneinander um mehr Einfluss kämpfen.
Die normative Seite des Pluralismus umfasst die Forderung, dass „diese Vielfalt in die Inhalte der politischen Gestaltung demokratischer Gemeinwesen einzugehen hat“ 65 .
Für die exakte Analyse des pluralistischen Ansatzes ist allerdings die deskriptive und empirische Definition maßgeblich.
Die neopluralistische Erweiterung zielt Groth (1997) zufolge auf die Funktion der Regierenden ab, „die Interessengruppen als Unterstützung für eigene Politikinhalte zu mobilisieren, manche bevorzugt am politischen Prozess teilhaben zu lassen, andere auszugrenzen und auf diese Art und Weise das Potenzial der organisierten Interessen aufzusaugen“ 66 .
Groth (1997) spricht in diesem Zusammenhang von einer Instrumentalisierung der Interessengruppen. 67
Buholzer (1998) weist darauf hin, dass dem pluralistischen Ansatz gemäß Verbände aufgrund gemeinsamer Interessen entstehen. Ursache für ein solches Zusammenschließen von Individuen zu einem Verband sind häufig Benachteiligungen und Unzufriedenheit von bestimmten Gruppen. Aus diesem Grund gibt es neben den bereits organisierten Gruppen so genannte potentielle Gruppen, die erst bei der Bedrohung ihrer Interessen aktiv werden. Die Individuen schließen sich mit der Intention zusammen, gemeinsam eine stärkere Position gegenüber dem Staat zu bekommen.
In Charakterisierungen des idealtypischen Pluralismus wird die Neutralität der Staates gegenüber den Interessengruppen hervorgehoben. Es besteht im
idealtypischen Fall weder staatliche Kontrolle auf die Gruppen noch staatlicher Einfluss, also beispielsweise keinerlei staatliche Begünstigungen (Eichener 2000). Weitere wichtige Postulate im pluralistischen Ansatz sind Reutter (1991) zufolge die Freiwilligkeit der Mitglieder, die nicht hierarchische Koordination der Verbände, sowie die Mehrfachmitgliedschaften eines Individuums in verschiedenen Verbänden. Das letztgenannte Postulat würde im politischen Prozess dazu führen, dass „Individuen mit verschiedenen konkurrierenden Mitgliedschaften mäßigend auf die Forderung der jeweiligen Gruppen einwirken“ 68 .
Aus der Konkurrenzsituation zwischen den Verbänden leitet sich ab, dass sich Verbände bei der Lobbyarbeit gegenüber einer unbestimmten Anzahl anderer Verbände durchsetzen müssen, denn eine institutionalisierte Form des Interessenausgleichs ist im Pluralismus nicht vorgesehen. Konkret bedeutet dies, dass Verbände im Pluralismus von der Politikformulierung und dem Vollzug von politischen Maßnahmen formal ausgeschlossen sind (vgl. Buholzer 1998).
Folglich haben Interessengruppen beim pluralistischen Ansatz lediglich die Möglichkeit, indirekt auf die Entscheidungsträger Einfluss zu nehmen, in dem (öffentlicher) Druck auf diese ausgeübt wird. Ein Vorteil im System der pluralistischen Interessenvertretung liegt darin, dass „Verbände -die ja nur beeinflussen wollen und nicht gesamtgesellschaftliche Macht ausüben wollen- die egoistischen Interessen ihrer Klientel offen vertreten können; da sie keine Mehrheiten anstreben, stehen sie nicht unter dem permanenten Zwang, die Vertretung von Partikularinteressen am Gemeinwohl zu legitimieren“ 69 .
Heinze (1981) betont, dass sich im pluralistischen Modell die wesentlichen gesellschaftlichen Interessen in Verbänden organisieren und es „durch Konkurrenz-und Kompromissbildungen im politischen Willensbildungsprozess zu einem relativen Gleichgewicht kommt, dass als Gemeinwohl verstanden wird“ 70 . Der Theorie nach führt die pluralistische Interessenkonkurrenz somit zu einem gesellschaftlichen Gleichgewicht, bei dem die gesellschaftlichen Interessen optimal
aggregiert sind. Zumal sich die konkurrierenden Interessen gegenseitig kontrollieren und in ihrer Macht beschränken (vgl. Buholzer 1998).
Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts begann mit dem Aufsatz „Still the Century of Corporatism“ von Philippe Schmitter eine „breite internationale Diskussion über einen neuen Korporatismus“ 71 .
Ein weiterer wichtiger Protagonist des Korporatismus war zur selben Zeit Gerhard Lehmbruch, der zwischen autoritärem und liberalen Korporatismus unterschied (vgl. Schmidt 1995).
Für den liberalen Korporatismus, der „auf Grundlage von Vereinigungsfreiheit, Koalitionsfreiheit und Verbandsautonomie beruht“ 72 , hat sich die Bezeichnung „Neo-Korporatismus“ eingebürgert. Das Liberale am liberalen Korporatismus ist „in erster Linie die Freiwilligkeit des Ein- und Austritts, nicht der Individuen gegenüber ihren Verbänden, sondern der Verbände gegenüber staatlichen Politiken und Konzertierungsversuchen“ 73 .
Czada (1994) zufolge haben Schmitter und Lehmbruch der politikwissenschaftlichen Verbändeforschung insofern eine Neuorientierung gegeben, als dass man mit politischer Verbändeforschung „fortan nicht mehr die illegitime ‚Herrschaft der Verbände’ assoziierte, sondern eine erwünschte Option sozialer und politischer Steuerung“ 74 .
Nach dem klassischen Pluralismus und den Neopluralismen stellt der Korporatismus die dritte Welle der Verbändeforschung dar (vgl. Czada 1994).
Die Akteure in (neo-) korporativen Interessenvermittlungssystemen sind einerseits das poltisch-administrative System und anderseits die Verbände. Denn der Neo-Korporatismus bezieht sich direkt auf die Inkorporierung von Kapitalverbände und Gewerkschaften, sowie anderer Spitzenverbände in einzelnen Politikfeldern (vgl. Heinze 1981). Beim korporativen Idealtyp herrscht ein Tripartismus vor, bei dem “die Spitzen von Verband und Gegenverband gemeinsam mit staatlichen Repräsentanten die für die Beteiligten […] optimale Interessenrealisierung aushandeln” 75 . Kennzeichnend ist darüber hinaus der “direkte Weg der Interessenvermittlung ins Entscheidungszentrum, typisch ist, dass die Interessenten den Umweg über die Parteien nicht bedürfen” 76 .
3.3.5. Institutionelle Beteiligung von Verbänden beim Neokorporatismus
Beamte profitieren von den Verbänden insofern, als dass „ihnen ein kostengünstiger Zugang zu den gesellschaftlichen Interessen ermöglicht wird“ 81 . Die an dieser idealtypisch tripartistischen Tauschgemeinschaft beteiligten Akteure haben dabei „die Einsicht, dass eine Schädigung des Partners langfristig den eigenen Interessen zuwiderläuft und daher auch egoistische Akteure in die Tauschgemeinschaft einwilligen“ 82 .
Ein Effekt einer neokorporativen Ordnung besteht daher darin, dass die beteiligten Akteure durch gegenseitige Anpassung und regelmäßiger Interaktion „der Versuchung aus dem Weg gehen, augenblickliche Vorteile voll auszuschöpfen und vermeiden die Gefahr, in der schlechtestmöglichen Situation zu enden“ 83 . Doch müssen dafür langwierige Verhandlungen, sowie manchmal nur schwer zu akzeptierende Kompromisslösungen in Kauf genommen werden. Weitere Kennzeichen für den Neokorporatismus -darauf verweist Eichener (2000) unter Berufung auf Schmitter- sind die Gewährung staatlicher Gründungs- oder Organisationshilfen für die Verbände, die geringe Anzahl der Verbände innerhalb des jeweiligen Politikfelds und „eine Verpflichtungsfähigkeit der Verbände gegenüber ihrer Mitgliedschaft, um die mit staatlichen Instanzen ausgehandelten Vereinbarungen durchsetzen zu können“ 84 . Darüber hinaus wird eine Selbstbeschränkung der Verbände bei der Wahl der ihrer Mittel zur Interessenartikulation erwartet, quasi im Gegenzug dafür, dass die Verbände durch ihre Einbettung in das politisch-administrative System über gewisse Privilegien verfügen.
Innerhalb einer neokorporativen Interessenvermittlung sind die einzelnen Akteure voneinander strategisch abhängig, da die Vertretung von Interessen hierbei einen berechenbaren und bestimmenden Einfluss auf die anderen beteiligten Akteure hat (vgl. Streeck/Schmitter 1996). Damit bei dieser Form der Interessenvermittlung stabile Pakte zustande kommen, müssen die „miteinander konkurrierenden Interessenverbände ein gewisses Ausmaß an Symmetrie in ihren jeweiligen
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