Die Rezeptionsgeschichte Jules Vernes


Magisterarbeit, 2006

117 Seiten, Note: 2.3


Leseprobe


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1. Einleitung

»›Ich reise niemals nach Paris, lebe tief in meiner Provinz und bin der unbekannteste aller Menschen.‹ Das behauptet 1895, zehn Jahre vor seinem Tod, ein Schriftsteller, der seit über dreißig Jahren in regelmäßiger Folge Bücher veröffentlicht und der sich weder von kriegerischen noch von innerfamiliären Auseinandersetzungen, Magenbeschwerden oder beginnender Blindheit davon abbringen lässt. Die Bücher haben ihn zum erfolgreichen Begründer der Gattung des ›wissenschaftlichen Romans‹ gemacht, einige seiner Figuren und Themen sind schon zu Lebzeiten Mythen der Moderne geworden, und ungefähr seit 1873 übersetzt man ihn simultan in ein Dutzend verschiedener Sprachen […]« 1

Die Rede ist von Jules Verne - Autor von mehr als 80 Romanen und Kurzgeschichten, darunter so weltberühmte Werke wie »Die Reise um die Erde in 80 Tagen« oder »20.000 Meilen unter dem Meer«.

Betrachtet man den französischen Schriftsteller etwas genauer, blickt man auf einen sympathisch einfachen Mann. Insofern hatte Verne Recht; sein Leben und seine Person allein hätten ihm wohl kaum zu der weltweiten Berühmtheit verholfen, die er seinen Romanen verdankt. Diese, im 19. Jahrhundert zur Hochblüte der Industrialisierung entstanden, handeln meist von den faszinierenden Möglichkeiten von Wissenschaft und Technik, aber auch von den Gefahren, die selbige beinhalten. Eine Problematik, die a uch heute noch Aktualität besitzt. 2 Viele, die einmal in die abenteuerliche Welt Jules Vernes eingetaucht sind, zeigen sich begeistert von den spannenden Abenteuern und dem wissenschaftlichen Detailreichtum der Geschichten, aber auch vom ironischen Humor und den kritischen Zukunftsvisionen Vernes. Dieser hat mit seinen Romanen schon etliche Generationen fasziniert und unterhalten und gilt heute als einer der größten französischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts.

Am 24. März dieses Jahres jährte sich der Todestag des beliebten Romanautors zum 100. Mal. Für sein Heimatland Frankreich war dies ein Anlass, das Jahr 2005 zum Gedenkjahr zu Ehren des französischen Schriftstellers auszurufen. Frankreichs Kulturminister Renaud Donnedieu de Vabres eröffnete die Feierlichkeiten am 11. Januar mit den Worten: »Von dem nach Jules Verne benannten Krater auf

1 Dehs 2005a, S. 7

2 Vgl.: Dehs 2005a, S. 8 f

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2. Jules Verne

Die folgenden Kapitel befassen sich mit Leben und Werk Jules Vernes, um zunächst den Autor selbst ein wenig besser kennen zu lernen.

2.1 Biographie

2.1.1 Lebenslauf

Jules-Gabriel Verne wird am 8. Februar 1828 auf der Insel Feydeau geboren, unweit der bretonischen Hafenstadt Nantes. Er ist das erste der insgesamt fünf Kinder Pierre Vernes, einem angesehen Rechtsanwalt aus Provins, und seiner Frau Sophie Allotte de la Fuÿe, die einer Reederfamilie aus Nantes entstammt. Verne verlebt eine behütete Kindheit und beginnt bereits im Knabenalter mit der Lektüre großer Schriftsteller wie Edgar Allan Poe, Honoré de Balzac und James Fenimore Cooper, deren abenteuerliche Geschichten später seine eigenen Werke beeinflussen. Ebenfalls geprägt werden Vernes Erzählungen von seiner Liebe zum Meer, die er gleichfalls in jenen Kindertagen in Nantes entdeckt, wo er vom Haus seiner Eltern das Ein- und Auslaufen der Handelsschiffe und das bunte Treiben im Hafen beobachtet. Vernes kindliche Begeisterung für das abenteuerliche Leben der Seefahrer wird noch angefacht durch die Geschichten Madame Sambins, einer Witwe, bei der er mit fünf oder sechs Jahren seinen ersten Unterricht erhält. Ihr eigener Mann fuhr als Kapitän zur See und kehrte eines Tages nicht mehr von seiner Reise zurück. Eine Geschichte, die den jungen Jules Verne tief beeindruckt und beim späteren Schreiben seiner Romane womöglich inspirierte. Seine erste Biographin, Marguerite Allotte de la Fuÿe, will sogar von einem Ausbruchsversuch des Jungen wissen. Mit elf Jahren soll er versucht haben, als Schiffsjunge auf dem Südseefahrer »Coralie« anzuheuern, um nach Amerika zu segeln. Sein Vater soll jedoch rechtzeitig davon erfahren und Jules Verne ihm kleinlaut versprochen haben: »Ich werde nur noch in Gedanken reisen.« 4 Über den Wahrheitsgehalt dieser abenteuerlichen Episode im Leben Vernes streiten sich die Biographen jedoch.

Mit neun Jahren besucht Verne zusammen mit seinem Bruder Paul zunächst das Eliteinternat »Saint-Stanislas« und ab 1840 das Priesterseminar von Saint-Donatien, bekannt auch als »Petit Séminaire«. Wird er in den ersten drei Jahren

4 Vgl.: Klam 1999, »Jules Verne«

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Irland und Schottland sowie in den Mittelmeerraum. Viele der Eindrücke, die er von seinen Reisen mitbringt, verarbeitet er später in seinen Romanen. Zwar publiziert Verne fast pausenlos weiter, doch mit etwa fünfzig Jahren hat er seinen schöpferischen Zenit überschritten. Sein früher unerschütterlicher Glaube an Technik und Fortschritt wird schwächer, er selbst immer konservativer. Das Jahr 1886 bringt einen endgültigen Wandel im Leben Jules Vernes: Am 9. März wird er das Opfer eines Anschlags durch seinen geistig verwirrten Neffen Gaston, der in einem Anflug von Raserei zwei Revolverkugeln auf ihn abfeuert. Eine von beiden trifft Verne am linken Fuß und kann nicht entfernt werden, weshalb Verne für den Rest seines Lebens gehbehindert bleibt. In den folgenden Jahren verkapselt er sich ganz in das Leben eines Provinzlers. Zwar ist er noch immer schriftstellerisch tätig, doch die Phantasie und die Kraft seiner Werke lassen allmählich nach. Nachdem sein Vater bereits 1870 verstorben war, trägt er nun schwer am Tod seiner Mutter und seines Freundes und Verlegers Hetzel.

Neben seiner Arbeit als Romanautor kandidiert Verne 1888 auf Seite der Sozialisten für den Gemeinderat von Amiens mit dem Ergebnis, dass er die Wahl gewinnt. Auch seine Kandidaturen 1892, 1896 und 1900 sind von Erfolg gekrönt. Mit peinlicher Genauigkeit widmet er sich seiner Tätigkeit und engagiert sich dabei vor allem im Bereich der Kultur.

Um die Jahrhundertwende verschlechtert sich der Gesundheitszustand Jules Vernes jedoch zusehends: Er klagt über Magenprobleme und Rheuma, leidet unter Gleichgewichtsstörungen und erblindet fast vollständig. Immer wieder rafft er sich auf bis schließlich eine Lähmung seiner rechten Körperhälfte eintritt. Am 24. März 1905 erliegt Jules Verne in Amiens seiner Krankheit, die später als Diabetesleiden diagnostiziert wird. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wird er am 28. März auf dem Madeleine-Friedhof in Amiens bestattet.

2.1.2 Der Mensch Jules Verne

Das vorangegangene Kapitel referiert den Lebenslauf Jules Vernes, doch was für ein Mensch verbirgt sich hinter den nüchternen Daten und Fakten? In Form von einigen ausgewählten Zitaten soll in diesem Kapitel ein Blick sowohl auf die äußere Erscheinung als auch auf das Wesen des Mannes gegeben werden, der zu den bekanntesten Schriftstellern Frankreichs zählt.

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erinnert etwas an Verdi mit seinem ernsten, gutmütigen Gesicht; in Blick und Wort liegt etwas künstlerisch Lebhaftes. Sein Auftreten ist sehr einfach und trägt das Gepräge einer edlen Reinheit in allen Gefühls- und Gedankenäußerungen. Sprache, Kleidung und Benehmen sind die eines Mannes, der nicht aufzufallen wünscht.« 8 Der alte Verne hingegen machte auf André Maurel, einen Freund von Vernes Sohnes Michel, einen eher düsteren, beinahe grimmigen Eindruck: »Er war ein großer Greis mit rund geschnittenem Bart, mürrisch und schweigsam. […]Ich habe in der Nähe von Dinard den Sommer mit der Familie verbracht. Höflich, sogar galant, konnte er vor geistreichen Einfällen und Bemerkungen sprühen, fiel aber schnell in sein sauertöpfisches Schweigen zurück.« 9

Um das Bild Jules Verne abzurunden, abschließend ein Zitat aus der Stuttga rter Zeitung, die anlässlich seines 100. Todestages am 24. März 2005 schrieb: »Seine flammende Begeisterung und rege Fantasie machten ihn zu einem der bedeutendsten Schriftsteller von Abenteuer- und Zukunftsromanen. Er hat in seinen herrlichen Geschichten [...] nichts erfunden, sondern sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse seiner Zeit gestützt. Denn wenn der eher stille und in sich gekehrte Franzose nicht mit seinem Bruder Paul auf einer ihrer Yachten nach Schottland oder New York segelte, saß er über wissenschaftlichen Büchern und Zeitungen.« 10

2.2 Werk

2.2.1 Wegbereiter und Nachfolger

Bevor im nachfolgenden Kapitel das schriftstellerische Werk Jules Vernes vorgestellt werden soll, wird sich dieses Kapitel jenen Autoren widmen, die entweder

8 Popp 1999, S. 21 9 Dehs 2005a, S. 392

10 Stuttgarter Zeitung 2005, »Jules Verne«

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Ein Zitat des Verne-Biographen Volker Dehs zeigt jedoch abschließend, dass das Erbe Vernes ein schwieriges war:

»Im Ausland hatten es Schriftsteller schwer, sich am wissenschaftlichen Roman und an technischer Phantastik zu versuchen, ohne als ›englischer Jules Verne‹ wie Herbert George Wells oder ›deutscher Jules Verne‹ wie Kurd Lasswitz und Hans Dominik […] erklärt zu werden, obwohl die meisten unter ihnen doch ganz andere Anliegen verfolgten als der Autor der ›Außergewöhnlichen Reisen‹.« 13

2.2.2 Gesamtwerk

Jules Verne schuf in den 77 Jahren seines Lebens ein literarisches Werk, das mehr als 80 Romane und Kurzgeschichten umfasst, von denen einige beeindruckenden Weltruhm erlangt haben. Darüber hinaus verfasste Verne auch einige populärwissenschaftliche Abhandlungen wie »Die illustrierte Geographie Frankreichs und seiner Kolonien« (1868) sowie zahlreiche Theaterstücke. Im Folgenden sollen ein Einblick in die schriftstellerische Arbeit Vernes sowie ein erster Überblick über die Rezeption seiner Werke im Verlauf der letzten 150 Jahre gegeben werden. Vernes schriftstellerische Karriere begann 1863 mit der Veröffentlichung von »Fünf Wochen im Ballon«. Weder die Leser seines ersten Romans noch Verne selbst konnten zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass von nun an vierzig Jahre lang ein Roman dem anderen folgen würde.

Doch »Fünf Wochen im Ballon« war nicht nur der Roman, der Verne bekannt machte, sondern auch der Auftakt der »Außergewöhnlichen Reisen«. 54 Romane umfasst dieser Romanzyklus, der seinen Namen von Vernes Verleger Hetzel erhielt und gleichzeitig das Lebenswerk Jules Vernes da rstellt. Laut Hetzel war die Absicht dieser umfangreichen Romanreihe »[…] alle geographischen, geologischen, physikalischen, astronomischen Kenntnisse, die die moderne Wissenschaft angehäuft hat, zusammenzufassen und in […] anziehender und malerischer Art die Geschichte des Universums neu zu schreiben.« 14 Verne selbst sagte 1893 im Gespräch mit einem amerikanischen Journalisten: »Mein Ziel

13 Dehs 2005a, S. 319

14 Evans 2005, S. 135

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Förderkreis Phantastik in Wetzlar e.V., oder auch die von Wolfgang Thadewald herausgegebene CD-Rom »Jules Verne. Bekannte und unbekannte Welten. Das erzählerische Werk.« (2004).

2.2.3 Der naturwissenschaftliche Abenteuerroman

Während Jules Verne heutzutage oftmals »Vater der Science-Fiction« oder auch »der Mann, der die Zukunft erfand« 26 genannt wird, hatten die Leser und Kritiker des 19. Jahrhunderts einige Schwierigkeiten mit der Einordnung seiner Werke in eine der bekannten literarischen Gattungen. Warum dies so war und welchem Genre die Romane Vernes heute zugeordnet werden, soll an dieser Stelle erörtert werden.

Lange Zeit wurde Verne als unbedeutender Kinderbuchautor verkannt, dessen schlichtes Werk keiner weiteren Auseinandersetzung bedürfe. Dabei sind Vernes Erzählungen alles andere als »eindimensional«, wie ihm seine Kritiker oft vorwarfen. Im Gegenteil: Sein Romanzyklus der »Außergewöhnlichen Reisen« umfasst nahezu alle Gattungen der populären Unterhaltungsliteratur des 19. Jahrhunderts - Robinsonade, historischer Roman, Reiseroman, Sozial-, See-, Schauer- und Kriminalroman. Doch vor allem anderem sind Vernes Erzählungen eins: naturwissenschaftliche Abenteuerromane, die den technischen Fortschritt seiner Epoche schildern. 27

Im Gegensatz zur programmatischen Verweigerungshaltung anderer zeitgenössischer Autoren formte Verne den Populärroman des 19. Jahrhunderts mit Hilfe wissenschaftlicher Belehrung und technischer Effekte zu einem modernen Unterhaltungsinstrument um. Dass dieser neue Romantypus von den Lesern voller Begeisterung angenommen wurde, war vor allem der beschleunigten technischnaturwissenschaftlichen Entwicklung zu verdanken, die um 1850 ihren Anfang nahm und ihren Niederschlag in einer allgemeinen Wissenschaftsgläubigkeit (Szientismus) fand. 28

Als an den Schulen zunehmend eine naturwissenschaftliche Ausbildung gefordert wurde und sich die Vertreter des Positivismus wie Tain oder Forunel um die Versöhnung von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften bemühten,

26 Vgl.: Born 1960

27 Vgl.: Dehs 2002, S. 14

28 Vgl.: Wolfzettel 1988, S. 7

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Ende der Leseprobe aus 117 Seiten

Details

Titel
Die Rezeptionsgeschichte Jules Vernes
Hochschule
Universität Leipzig
Note
2.3
Autor
Jahr
2006
Seiten
117
Katalognummer
V186243
ISBN (eBook)
9783869438276
ISBN (Buch)
9783869430782
Dateigröße
990 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rezeptionsgeschichte, jules, vernes
Arbeit zitieren
Maja Roseck (Autor:in), 2006, Die Rezeptionsgeschichte Jules Vernes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/186243

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