Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Assimilation und Integration: eine Begriffsdefinition nach Hartmut Esser
3 Lehrpläne für den islamischen Religionsunterricht
3.1 Das Beispiel Niedersachsen: Unterrichtskonstruktionen und Bildungsziele
3.2 Lehrkräfte für den islamischen Religionsunterricht
3.3 Wer verantwortet den Unterricht?
4 Resümee: Verhindert islamischer Religionsunterricht Islamismus bzw fördert islamischer Religionsunterricht die Integration?
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Das Thema dieser Hausarbeit lautet „Was leistet der islamische Religionsunterricht für die Integration? Eine Analyse ausgewählter Lehrpläne und Bildungsziele des islamischen Religionsunterrichts“. Es wird per se auf die Bedeutung der Integration und der Assimilation eingegangen; dies geschieht durch Begriffsdefinitionen nach Hartmut Esser. Außerdem werden Lehrpläne für den islamischen Religionsunterricht vorgestellt, welche in den jeweiligen Bundesländern in Deutschland existieren. Insbesondere wird der Lehrplan des Landes Niedersachsens analysiert, im Kapitel 3.1 wird näher auf den islamischen Religionsunterricht in Niedersachsen als Modellversuch eingegangen. Auch die Ausbildung der Lehrkräfte ist themenrelevant und wird deshalb angesprochen. Außerdem wird erläutert, wer den islamischen Religionsunterricht in Deutschland verantwortet. Abschließend wird thematisiert, inwiefern der islamische Religionsunterricht den Islamismus fördern beziehungsweise unterbinden kann und ob und dieser Unterricht die Integration von muslimischen Migranten fördert.
2 Assimilation und Integration – eine Begriffsdefinition nach Hartmut Esser
„Assimilation bedeutet im Zusammenhang interethischer Beziehungen zunächst ganz allgemein die >Angleichung< der Akteure beziehungsweise Gruppen in gewissen Eigenschaften an einen >Standart<“[1]. Das bedeutet im Falle der Migranten eine Anpassung respektive Angleichung an die Mehrheitsgesellschaft, welche sie umgibt; dies zielt jedoch nicht auf die Homogenisierung einer Gesellschaft ab.
Esser unterscheidet weiterhin zwischen drei Formen der Assimilation: Sozial-Integration individueller Akteure im sozialen System, soziale Strukturen in der Aufnahmegesellschaft und die System-Integration, also das soziale Gebilde allgemein. Im Folgenden werden diese Begrifflichkeiten näher erläutert.
„Unter der Sozial-Integration der individuellen Akteure wird deren >Inklusion< in bereits bestehende soziale Systeme verstanden“[2], nämlich in die Kulturation, also die Übernahme von Wissen, Fertigkeiten und beispielsweise sprachliche Sozialisation. Weiterhin erfolgt die Platzierung des Einzelnen, etwa im Arbeitsmarkt, d.h. Einnehmen einer bestimmten Position. Interaktion bezeichnet die Aufnahme von sozialen Beziehungen und das Einfügen in soziale Netzwerke. Identifikation drückt die Übernahme gewisser Verbundenheit mit dem jeweiligen sozialen System aus.
Als Spezialfall der sozialen Integration ist die individuelle Assimilation zu nennen, so zu sagen, der Migrant als individueller Akteur. Hier lassen sich ebenfalls vier Ebenen voneinander unterscheiden: kulturelle Assimilation (z.B. Spracherwerb); strukturelle Assimilation (z.B. Aneignung von Bildung); soziale Assimilation (z.B. Kontakt der Migranten zur einheimischen Bevölkerung); emotionale Assimilation(z.B. Identifikation mit den Bedingungen im Aufnahmeland).
„Interethische Beziehungen haben neben den individuellen Eigenschaften und Verhaltensweisen stets auch Aspekte, die die sozialen Strukturen der Aufnahmegesellschaft berühren, und man kann annehmen, dass sie, verglichen mit den individuellen Aspekten, politisch und sozial die wichtigeren sind“[3]. Soziale Strukturen sind also eng mit der individuellen sozialen Integration vernetzt, aber nicht unmittelbar. So kann sich ein Migrant beispielsweise in das System assimilieren, aber gleichzeitig sozial differenzieren. Eine Alternative bietet eine ethnische Differenzierung oder ethnische Segmentation.
In Hinblick auf die Frage, ob der islamische Religionsunterricht zur Integration beiträgt, ist der Kern der System – Integration relevant, denn hierdurch können ethnische Konflikte entstehen.
„Die Integration eines sozialen Systems als Gesamtheit wird als System – Integration bezeichnet, im Unterschied zur Sozialintegration von Akteuren in ein soziales System […]“[4]. Wenn eine Gesellschaft untereinander verbunden und wechselseitig voneinander abhängig ist und jeder integrale Bestandteil des sozialen Systems wechselseitig funktioniert, dadurch ein sozialer Zusammenhalt existiert, spricht man von System-Integration. Dies ist allerdings auch das Kernproblem einer multikulturellen Gesellschaft. Jedoch betont Hartmut Esser: „Die System-Integration und die individuelle wie die gesellschaftliche Assimilation von Migranten und ethnischen Gruppen sind jedenfalls konzeptionell unabhängig voneinander“[5].
Nach Hartmut Esser ist es unwahrscheinlich, dass Migranten zu mehr als zur Assimilation bereit sind, selbst im mehrfachen Generationenverlauf. Denn: Alternativen zur Assimilation (Auflösung ethnischer Schichtungen, ethnischer Segmentation) steht eine strukturelle Assimilation der individuellen Migranten gegenüber. Das bedeutet, dass eine Inklusion der Migranten in Funktionsbereiche der Aufnahme Gesellschaft geschieht, wie bereits bei Sozial-Integration erwähnt. Laut Esser gibt es „[…] zur individuellen strukturellen Assimilation als Modell der intergenerativen Integration keine (vernünftige) Alternative“[6].
Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass Integration und Assimilation zusammen fungieren. Denn, wer integriert ist, ist auch assimiliert und umgekehrt. Assimilation ist somit die Bedingung der Möglichkeit erfolgreicher Integration. Esser unterscheidet , wie erwähnt , zwischen kultureller Assimilation (Wissen, Fertigkeit, Sprache), struktureller Assimilation (Behauptung in Bildung und auf dem Arbeitsmarkt), sozialer Assimilation (Beziehungsnetz, Heiratsverhalten) und emotionaler Assimilation (die gefühlsmäßige Identifikation).
3 Lehrpläne für den islamischen Religionsunterricht
Die Lehrpläne für den islamischen Religionsunterricht unterscheiden sich in jedem Bundesland voneinander. Dies sei nur ein grober Überblick, im Kapitel 3.1 wird näher auf den islamischen Religionsunterricht in Niedersachsen als Modellversuch eingegangen. In diesem Kapitel wird aufgezeigt, in welchen Bundesländern islamischer Religionsunterricht beziehungsweise abweichende Formen existieren.
In Nordrhein-Westfalen wird Islamkunde seit 1999/2000 an etwa 150 Schulen angeboten; dies geschieht in den Jahrgangsstufen 1 – 10. Der Unterricht erfolgt auf Deutsch. Im August 2008 nahmen in Nordrhein-Westfalen circa 10.000 SchülerInnen daran teil. Der Unterricht ist „ordentlich“, das bedeutet, dass die Leistungen prüfungsrelevant und versetzungsrelevant sind. Muslimische Organisationen waren nicht an der Lehrplanentwicklung beteiligt und der Unterricht steht auch Nicht-Muslimen offen.
In Bayern wird islamische Unterweisung seit 2001/2002 an Grund- und Hauptschulen in deutscher Sprache gelehrt (Stand 2008; 77 Schulen; Jahrgangsstufen 1 – 10). Auch hier war keine Muslimische Organisation an der Entwicklung eines Lehrplans beteiligt, die Verantwortung liegt allein beim Staat. Nur der Islam per se wird behandelt, das heißt , es wird sich lediglich auf Informationen über diese monotheistische Religion beschränkt.
In Bremen wird seit 2002/2003 an lediglich einer Schule der Modellversuch Islamkunde praktiziert (Stand 2008). Der Unterricht steht für die Jahrgangsstufen 5 und 6 offen. Die Islamkunde wird parallel zu Philosophie und Biblische Geschichte angeboten. Die Lehrpläne der Islamkunde wurden von Moscheeverbänden ausgearbeitet.
In Baden-Württemberg existiert seit 2006/2007 islamische Religionslehre (Stand 2008). Dieser Unterricht wird an 10 Schulen betrieben (Stand 2008) und wendet sich ausschließlich an sunnitische SchülerInnen. Der Lehrplan hierfür wurde vom Kultusministerium ausgearbeitet, die Bildungsinhalte wurden von verschiedenen Verbandsvertretern entwickelt (sunnitisch, alevitisch, religionspädagogisch).
In Schleswig-Holstein besteht Islamunterricht an Grundschulen (Stand 2008). Als Vorbild für den Lehrplan wurde der des Landes Niedersachsens benutzt. Der Unterricht richtet sich ausschließlich an alevitische SchülerInnen.[7]
All diese Lehrpläne sollen den Weg für einen regulären islamischen Religionsunterricht ebnen, welcher flächendeckend eingeführt werden soll. Hinzu kommt die Tatsache, dass dieser Unterricht den interkulturellen und interreligiösen Dialog fördern kann. „Insgesamt betrachtet bleibt festzustellen, dass die Produkte der Lehrplanentwicklung für einen staatlichen Islamunterricht aus islamwissenschaftlicher Perspektive zahlreiche, z.T. gravierende Mängel aufweisen“[8].
3.1 Das Beispiel Niedersachsen: Unterrichtskonstruktionen und Bildungsziele
Im Bundesland Niedersachsen wurde das Fach islamischer Religionsunterricht im Jahr 2003 als Modellversuch an 42 Grundschulen eingeführt.
Als Kernpunkt des islamischen Religionsunterrichts in Niedersachsen dienen die sechs Glaubensartikel und die fünf Säulen des Islam. Über diese Kategorien definieren die Rahmenrichtlinien, was Islam ist. Hinzu kommen die Bereiche Ich und meine Gemeinschaft, Prophet Mohammed, Koran und Grundlagen des Islam. Nachdem das Thesenpapier für den islamische Religionsunterricht überarbeitet wurde, finden die Themen Gott (Allah), Gottes Schöpfung, Beten, Fasten, Miteinander leben, Gemeinschaft der Muslime (Umma) und Begegnung mit anderen Religionen Erwähnung.
Diese Rahmenrichtlinien der Themengebiete sind inhaltlich noch nicht ausgereift, d.h. diese sind noch zu bestimmen. In Niedersachsen folgt man dem Lehrplan für den islamischen Religionsunterricht, welcher 1999 vom Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) herausgegeben wurde. „Mit den verschiedenen Strukturansätzen, die sich nicht aufeinander beziehen, wirken die niedersächsischen Richtlinien insgesamt inhomogen und verwirrend“[9].
Der ZMD hat klare Richtlinien für den islamischen Religionsunterricht erarbeitet und stellt als Mittelpunkt die Verortung von Gott beziehungsweise Allah dar. Im Lehrplan heißt es: „Im Zentrum eines islamischen Religionsunterrichts steht Allah in seiner Beziehung zum Menschen wie zur gesamten Schöpfung […] Ziel des Unterrichts muß sein, den Schüler zu befähigen, aus dem Glauben heraus und in Verantwortung seinem Schöpfer gegenüber sein eigenes und das Leben der Gemeinschaft zu gestalten, wobei ihm der Koran und die Sunna des Propheten Mohammed Hilfe und Richtschnur sind“[10]. Hieraus ergibt sich, dass keine Universalität existiert, anstelle des Wortes Gott wird das Wort Allah gebraucht Somit stellt dieser Themenkomplex den Mittelpunkt, quasi den Kern des islamischen Religionsunterrichts dar. Jedoch kann dies nicht als konkreter Unterrichtsinhalt betitelt werden, sondern nur als eine Beschäftigung mit Allah verstehen. Zudem wird deutlich, dass die Verantwortung, welche das Individuum gegenüber Allah hat, im Lehrplan des ZMD an erster Stelle steht. Das Kultusministerium in Niedersachsen hat dem nicht zugestimmt: „Im Zentrum des Islam steht der Glaube an Gott (Allah) und die Beziehung zwischen Gott und den Menschen sowie zwischen Gott (Allah) und der gesamten Schöpfung, wie sie im Koran und in der Prophetentradition zum Ausdruck gebracht werden“[11]. Hier ist Gott universal ausgelegt mit dem Zusatz Allah. Zudem orientiert sich das Kultusministerium verbindlich am Thema Gott (Allah) und konsultiert nicht den Lehrplan des ZMD.
Der zweite Themenkomplex beinhaltet die Beziehung zwischen Gott und Mensch, welcher von beiden Seiten her dargestellt wird. Ebenso werden die Beziehungen untereinander beziehungsweise zueinander thematisiert.
Hier soll diskutiert werden, inwiefern Glaubensunterschiede bestehen, welche gegenseitig geachtet werden sollen. Auch Individuen mit unterschiedlichen Traditionen (z.B. Sunniten und Aleviten), sollen sich austauschen. Somit wird garantiert, dass keine der verschiedenen Untergruppierungen des Islam vernachlässigt wird oder gar Kinder etwas gelehrt bekommen, was diese in der religiösen Praxis durchaus ablehnen.
[...]
[1] Hartmut Esser: Welche Alternativen zur Assimilation gibt es eigentlich? In: IMIS-Beiträge 23/2004 Migration - Integration - Bildung. Grundfragen und Problembereiche Für den Rat für Migration herausgegeben von Klaus J. Bade und Michael Bommes, S. 45
[2]. Hartmut Esser: Welche Alternativen zur Assimilation gibt es eigentlich? In: IMIS-Beiträge 23/2004 Migration - Integration - Bildung. Grundfragen und Problembereiche Für den Rat für Migration herausgegeben von Klaus J. Bade und Michael Bommes, S. 46
[3] ebd., S. 50
[4] Hartmut Esser: Welche Alternativen zur Assimilation gibt es eigentlich? In: IMIS-Beiträge 23/2004 Migration - Integration - Bildung. Grundfragen und Problembereiche Für den Rat für Migration herausgegeben von Klaus J. Bade und Michael Bommes, S. 53
[5] ebd., S.54
[6] ebd., S. 58
[7] Vgl. Kiefer, Michael; Gottwald, Eckart; Ucar, Bülent (Hrsg.): Auf dem Weg zum islamischen Religionsunterricht. Sachstand und Perspektiven in Nordrhein-Westfalen. Berlin 2008, Anhang
[8] Mohr, Irka-Christin; Kiefer, Michael (Hrsg.): Islamunterricht, Islamischer Religionsunterricht, Islamkunde. Viele Teile – ein Fach? Bielefeld 2009, S. 58
[9] Mohr, Irka-Christin; Kiefer, Michael (Hrsg.): Islamunterricht, Islamischer Religionsunterricht, Islamkunde. Viele Teile – ein Fach? Bielefeld 2009, S. 61
[10] ebd., S. 62
[11] ebd., S. 63