Sport und Migräne

Auswirkungen eines 10-wöchigen Trainingsprogramms auf die Migränebelastung und den Blutdruck


Examensarbeit, 2011

124 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Verwendete Abkürzungen

Definition medizinischer Fachbegriffe

1 Einleitung

2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Migräne
2.1.1 Begriffliche Klärung und Epidemiologie
2.1.2 Klassifikation und klinisches Bild
2.1.3 Phasen der Migräne und klinisches Bild
2.1.4 Ä tiologie der Migräne
2.1.4.1 Biophysiologische Ansätze
2.1.4.2 Psychologische Ansätze
2.1.4.3 Genetische Prädisposition
2.1.5 Triggerfaktoren
2.1.6 Integration der Theorien
2.1.7 Komorbidität
2.1.8 Behandlungsformen der Migräne
2.1.8.1 Medikamentöse Therapie
2.1.8.2 Nichtmedikamentöse Therapie
2.2 Der Blutdruck
2.2.1 Die Physiologie des Blutdrucks
2.2.2 Die Erfassung des Blutdrucks
2.2.2.1 Die Blutdruckmesswerte
2.2.3 Die Pathophysiologie des Blutdrucks
2.3 Sport
2.3.1 Ausdauer
2.3.1.1 Formen der Ausdauer
2.3.2 Das Ausdauertraining im Gesundheitsbereich
2.3.2.1 Die Quantifizierung des Ausdauertrainings
2.3.2.2 Anpassungsvorgänge durch Ausdauertraining
2.3.2.3 Zwei Ausdauersportarten im Vergleich
2.3.3 Sport und Blutdruck
2.4 Aktuelle Studien
2.4.1 Derzeitiger Forschungsstand zur Rolle von Sport auf Migräne
2.4.2 Derzeitiger Forschungsstand zu Migräne und Blutdruck

3 Methode
3.1 Fragestellung der Untersuchung
3.1.1 Fragestellung A
3.1.2 Fragestellung B
3.2 Formulierung der Hypothesen
3.2.1 Hypothesen zur Fragestellung A
3.2.2 Hypothesen zur Fragestellung B
3.3 Das Untersuchungsdesign
3.4 Die Untersuchungspersonen
3.4.1 Die Interventionsgruppen
3.4.2 Einteilung in die Blutdruckklassen BK 1 und BK 2
3.5 Untersuchungsplan und Untersuchungsablauf
3.6 Datenerhebung
3.6.1 Erhebung der Physical Working Capacity
3.6.1.1 Testvorbereitungen
3.6.1.2 Testablauf
3.6.1.3 Testbewertung
3.1.6.4 Störvariablen
3.6.2 Trainingsintensität
3.6.3 Erfassung der Schmerzcharakteristik
3.6.4 Erhebung des arteriellen Blutdrucks
3.6.4.1 Störvariablen

4 Ergebnisse
4.1 Methoden der Datenauswertung
4.2 Ergebnisdarstellung
4.2 1 Prüfung der A-Hypothesen
4.2.2 Prüfung der B-Hypothesen

5 Diskussion der Ergebnisse
5.1 Diskussion zur methodischen Vorgehensweise
5.1.1 Angemessenheit der Fragestellung
5.1.2 Betrachtung des Studiendesigns
5.1.3 Betrachtung der Probandenzahl
5.1.4 Diskussion der Interventionsphase
5.1.5 Angemessenheit des Datenerhebungsverfahrens
5.1.5.1 Leistungsdiagnostischer Test (PWC150)
5.1.5.2 Die Erfassung der Schmerzcharakteristik
5.1.5.3 Die Erfassung der Blutdruckwerte

6 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang I: Die soziale Veränderungsskala nach Holmes und Range
Anhang II: Aktuelle Normwerte der HBM
Anhang III: Orte der Durchführung des Fitnesstests und der Trainings
Anhang IV: Trainingszeiten
Anhang V: Trainingsheft
Anhang VI: Formular Einverständniserklärung
Anhang VII: Formular Gesundheits-Check
Anhang VIII: PWC-Testprotokoll
Anhang IX: Tabelle Umrechnung Laufgeschwindigkeiten von m/min in Watt
Anhang X: Kopfschmerztagebuch
Anhang XI: Formular der Blutdruckmessung
Anhang XII: Informationen zur Messung
Anhang XIII: Prüfung auf Normalverteilung
Anhang XIV: Histogramme mit Normalverteilungskurve
Anhang XV: Ergebnisse der Berechnung der Varianzhomogenität mit dem Levene Test

Vorwort

An dieser Stelle möchte ich einen Dank an diejenigen aussprechen, die zur Mitgestaltung dieser Arbeit beigetragen haben.

Für die wertvolle Unterstützung, die ermutigenden Worte und der Erstkorrektur gilt mein besonderer Dank Herrn Prof. Dr. Burkhard Weisser. Ebenso gilt dieser meinem Zweitgutachter Herrn Dr. med. Michael Siewers.

Des Weiteren möchte ich mich beim Institut für Medizinische Psychologie und MedizinischeSoziologie für den regen Austausch und die Unterstützung bedanken. Besonders sei hierHerrn Prof. Dr. Wolf-Dieter Gerber erwähnt, sowie Claudia Overath, welche maßgeblich anden Untersuchungen beteiligt war und der ich weiterhin viel Erfolg bei ihrer Habilitationwünsche.

Ebenso möchte ich mich bei Henrik Schäl für die Mitbetreuung der Interventionsgruppen bedanken, dem ich einen großen Teil meiner Schaffenskraft zuschreibe und wünsche ihm viel Erfolg bei seinem Studienabschluss.

Abschließend möchte ich mich noch ganz besonders bei meinen Eltern Kerstin und MichaelGraf bedanken, für den Rückhalt und das Verständnis über die gesamte Studienzeit hinweg.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Darstellung der Lebensqualität von Patienten bei chronischen Krankheiten im Vergleich zu Gesunden

Abbildung 2: Die unterschiedlichen Phasen der Migräne bei MO und MA …

Abbildung 3: Kombination visueller, sensorischer und autonomer Phänomene in der Auraphase

Abbildung 4: Veränderung der momentanen Befindlichkeit während einer Migräneattacke..9

Abbildung 5: Vaskuläre Theorie der Migräne

Abbildung 6: Modell der neurogenen Entzündung

Abbildung 7: Modell der CSD

Abbildung 8: Diathese-Stress-Modell

Abbildung 9: Das Regelkreis-Modell der Migräne

Abbildung 10: Blockierungsschema der Medikamente während einer Attacke

Abbildung 11: Messung des Blutdrucks mittels Blutdruckmanschette …

Abbildung 12: Formen der Ausdauer

Abbildung 13: Die optimalen Trainingsfrequenzen im dementsprechenden Alter

Abbildung 14: Übersicht der wichtigsten Anpassungserscheinungen

Abbildung 15: Referenzwerte des arteriellen Blutdrucks während der Ergometerbelastung im Sitzen

Abbildung 16: Darstellung von vier Studienergebnissen hinsichtlich der Attackhäufigkeit

Abbildung 17: Darstellung des Drop-Out während der gesamten Studiendauer

Abbildung 18: Die Geschlechterverteilung der JG

Abbildung 19: Die Geschlechterverteilung der WG

Abbildung 20: Grafische Darstellung der Studienphasen und erhobenen Parameter

Abbildung 21: Grafische Darstellung der Intervention im Verhältnis der Lauf- und Gehzeit bei der JG, sowie der Gehzeit der WG

Abbildung 22: Grafische Darstellung der systolischen und diastolischen Blutdruckwerte der Vpn zu den Messzeitpunkten t1 und t2 der JG

Abbildung 23: Grafische Darstellung der systolischen und diastolischen Blutdruckwerte der Vpn zu den Messzeitpunkten t1 und t2 der WG

Abbildung 24: Grafische Darstellung der systolischen und diastolischen Blutdruckwerte der Vpn zu den Messzeitpunkten t1 und t2 der BK 1

Abbildung 25: Grafische Darstellung der systolischen und diastolischen Blutdruckwerte der Vpn zu den Messzeitpunkten t1 und t2 der BK 2

Abbildung 26: Streudiagramme mit Darstellung der Blutdruckwerte, sowie der PWC150

Abbildung 27: Darstellung der mittleren Attackenintensität der Phase 1 und Phase 3 der gesamten Studiengruppe

Abbildung 28: Darstellung der mittleren Attackendauer in Stunden der Phase 1 und Phase 3 der gesamten Studiengruppe

Abbildung 29: Darstellung der Attackenanzahl der Phase 1 und Phase

der gesamten Studiengruppe

Abbildung 30: Drop-Out Rate eines fitnessorientierten Sportprogramms

Abbildung 31: Schema der Tagesperiodik der Leistungsbereitschaft und

Leistungsfähigkeit

Tabellenverzeichnis VIII

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Diagnostische Kriterien der Migräne ohne Aura

Tabelle 2: Diagnostische Kriterien der Migräne mit Aura

Tabelle 3: Nichtmedikamentöse Therapieverfahren und ihre Einteilung

Tabelle 4: Endogene und exogene Faktoren, die den Blutdruck beeinflussen

Tabelle 5: Normwerte für die Praxisblutdruckmessung

Tabelle 6: Darstellung der wichtigsten Studien zu Sport und Migräne

Tabelle 7: Darstellung der aktuellsten Studien zu Migräne und Blutdruck

Tabelle 8: Übersicht der UV und AV der jeweiligen Hypothesen

Tabelle 9: Zusammensetzung der Jogging- und Walkinggruppe

Tabelle 10: Statistische Parameter der Migränehistorie der Jogginggruppe

Tabelle 11: Statistische Parameter der Migränehistorie der Walkinggruppe

Tabelle 12: Deskriptive Darstellung der einzelnen Blutdruckwerte der Blutdruckklasse 1

Tabelle 13: Deskriptive Darstellung der einzelnen Blutdruckwerte der Blutdruckklasse 2

Tabelle 14: Auswertung und Normwerte für den PWC150-Test

Tabelle 15: Die unterschiedlichen Herzfrequenzen bei Angabe der Intensität in Prozent der ]Herzfrequenzreserve und der Hfmax

Tabelle 16: Die Hypothesen mit der dazugehörigen Datenanalysemethode

Tabelle 17: Die Größe des linearen Zusammenhangs

Tabelle 18: Ergebnisse des t-Tests für unabhängige Stichproben der Systole von den Trainingsgruppen JG und WG

Tabelle 19: Ergebnisse des t-Tests für unabhängige Stichproben der Diastole von den Trainingsgruppen JG und WG

Tabelle 20: Ergebnisse des t-Tests für unabhängige Stichproben der Systole von den Blutdruckgruppen BK 1 und BK 2

Tabelle 21: Ergebnisse des t-Tests für unabhängige Stichproben der Diastole von den Blutdruckgruppen BK 1 und BK 2

Tabelle 22: Fehlermöglichkeiten von Feldtests

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Die Migräne ist seit tausenden von Jahren bekannt. Auf einer ägyptischen Papyrusrolle 2000vor Christi Geburt, in der Apostelgeschichte 9:1-9 des alten Testaments oder in den Schriftenvon Hildegard von Bingen fanden sich Hinweise auf eine migränöse Erkrankung. Seither sindzahlreiche Therapieversuche unternommen worden, die vom Aderlass über Stromschläge, bishin zur Schädelöffnung führte. Ein optimale Lösung ist bis dato nicht gefunden worden undaus diesem Grund wird bis in die heutige Zeit wird immer noch nach der effektivstenMethode geforscht.

Göbel, Petersen-Braun und Soyka (1993) gaben an, dass 71% zeitweise unter Kopfschmerzenzu leiden. Das machte damals auf die Gesamtbevölkerung Deutschlands hochgerechnet 54Millionen Menschen aus. Laut Schätzungen leiden 2-6% der Gesamtbevölkerung unterMigräne (Göbel, 2004a). Die deutsche Migräneliga spricht von 8 Millionen Bundesbürgern(Neubauer & Ujlaky, 2002). Viele wissen jedoch nicht um ihre Krankheit, da sie sich oftselbst falsch diagnostizieren und eine ärztliche Konsultation nicht in Betracht ziehen.Menschlich betrachtet schränkt die Migräne den Betroffenen in seinem Alltag sehr ein. Siewerden nicht nur während einer Attacke in ihrem normalen Alltagsleben gestört und erleidenSchmerzen, sondern bewegen sich in ihrem Arbeits- und sozialem Umfeld anders. DieMigräne steht gemäß der WHO auf dem 19. Rang der Erkrankung, die eine Behinderungbewirken (Göbel, 2004a). Ragonesi (2007) beschreibt einige Studien, die bei bis zu 56%genannte Einschränkungen belegen. Sie können sich weniger um ihre Kinder kümmern, sindsich oft uneinig mit dem Partner, was zusätzlichen Stress erzeugt. Die von Jane Osterhaus etal. (1994) durchgeführte Studie zeigt bei den Migränikern zusätzlich signifikant niedrigereWerte hinsichtlich der Lebensqualität, als bei den anderen Krankheiten (siehe Abbildung 1).Sie zeigt eine Übersicht zur Lebensqualität von Menschen mit Migräne, solche mit koronarerHerzkrankheit und Diabetes mellitus im Vergleich zu gesunden Menschen. Die Wertebeziehen sich ebenso auf anfallfreie Intervalle.

Ökonomisch betrachtet verursacht die Migräne dem Staat volkswirtschaftliche Kosten dieschwer erfassbar sind, da sie nicht nur direkt anfallen. Unter direkt anfallenden Kosten lassensich Arztkosten, Krankenhausbesuche und Arzneimittelgaben zusammentragen, die dieKrankenkassen zu tragen haben. Als Beispiel für die bedeutend höheren indirekten Kostengilt hier die verminderte oder gar entfallene Arbeitsfähigkeit, beziehungsweise derProduktionsausfall. Der Arbeitsausfall ist mit der bei 60% der Betroffenen als sehr stark eingeschätzten Schmerzintensität zu begründen (Göbel, Petersen-Braun & Soyka, 1993). Somit werden die Kosten auf 2,5 - 13,7 Mrd. Euro jährlich für Deutschland hochgerechnet (Neubauer & Ujlaky, 2002).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1. Darstellung der Lebensqualität von Patenten mit chronischen Krankheiten im Vergleich zu Gesunden (Göbel, 2004b, S. 89).

Therapieversagen und Fehldiagnosen sind weit verbreitet. In viele Therapiestudien bleiben30% der Patienten ungenügend behandelt (Limmroth & Diener, 2003). Es gilt also,Alternativen für diese zu finden, durch die Einschränkung im Alltag, für den Patientenmöglichst gering zu halten. Der Forschungsstand zu der medikamentösen Therapie istmittlerweile ist breit gefächert. Da die psychologischen Mechanismen bis heute jedoch nichtgeklärt werden konnten, fehlen spezifische nichtmedikamentöse Maßnahmen (Fritsche,2007). Aufgrund jahrelanger, meist ungenügend verbessernden Effekten anderer,medikamentöser Therapiemethoden, gehören die Migräniker zu den unzufriedenstenPatienten, angelehnt an den eingeschränkten Lebensstandard während einer Attacke (Lemstra,Stewart & Olszynski, 2002). Um dem entgegen zu wirken ist eine Erforschung der Effektivtätnichtmedikamentöser Verfahren sinnvoll und notwendig.

Da ein positiver Effekt von sportlichem Training auf die Migräne in vorangegangenenStudien nachgewiesen ist, kann jedoch keine genaue Erklärung dafür gegeben werden. DieseStudie soll nun untersuchen, ob sich dieser Effekt erneut bestätigt. Zudem soll aufgezeigtwerden, ob eine mögliche Erklärung ein durch sportliches Training herabgesetzter Blutdrucksein kann.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Die Migräne

2.1.1 Begriffliche Klärung und Epidemiologie

Die Migräne ist eine wiederkehrende neurolovaskuläre Erkrankung. Nach den Kriterien derInternational Headache Society (IHS) wird sie als „eine Erkrankung mit periodischauftretenden Attacken von Kopfschmerzen definiert, die typischerweise mit autonomenBegleitsymptomen einhergehen“ (Diener, 2006, S. 32). Vermutlich ist der Begriff laut Göbel(2004b) aus dem Lateinischen migrare 1 abgeleitet worden und bezeichnet das Schmerz-charakteristikum der Erkrankung. Es bedeutet die Ausbreitung und das wieder Abklingen derSymptomatiken.

Primäre Kopfschmerzerkrankungen lassen sich nicht durch Strukturläsionen nachweisen oderdurch pathologische Befunde und werden daher als eigenständige Erkrankung angesehen(Sixt, 2007). Der Schmerz ist hierbei die eigentliche Krankheit. Die Migräne ist nach demSpannungskopfschmerz die zweithäufigste primäre Kopfschmerzerkrankung. Früher wurdedie Migräne mit dem Cluster-Kopfschmerz und dem Spannungskopfschmerz zu denvasomotorischen Kopfwehtypen zusammengefasst (Mattle & Mumenthaler, 2011). Laut Sixt(2007, S. 82) führen „primäre neuronale Ereignisse […] sekundär zu Veränderungen an denGefäßen [...]“.

Der Migräneanfall kann das normale Alltagsleben eines Migränepatienten völlig unterbinden,sodass dies unter Umständen bis in die Arbeitsunfähigkeit führt. Geprägt wird sie von einerVerlaufsdauer von vier bis 72 Stunden, ist meist unilateral in der Schläfenregion lokalisiertund von einem pochenden, pulsierenden Schmerzcharakter geprägt. Es handelt sich nicht umein einheitliches Krankheitsbild, da sie mit unterschiedlichsten vegetativenBegleitsymptomen einhergeht, die voneinander abzugrenzen sind. Nach dem heutigenKlassifikationsschema der IHS werden 18 Migräneformen subdifferenziert (Göbel, 2004b).In Deutschland wurde 1993 erstmals eine Untersuchung zur Kopfschmerzausprägungunternommen. Diese Studie gilt als repräsentativ für die deutsche Bevölkerung, die in Bezugauf soziodemografische Variablen der IHS untersucht wurde (Göbel, Petersen-Braun &Soyka, 1993). Aus 30000 Haushalten der alten Bundesländer wurden 5000 ausgewählt. Alleoben aufgeführten prozentualen Angaben beziehen sich auf diese Untersuchung. 27,5% der

Probanden leiden unter dem Kopfschmerz vom Migränetyp mit einer mittlerenAttackenhäufigkeit von 2,82, also 34 Tage im Jahr. 66% leiden an ein bis zwei Tagen, 14%an vier bis fünf Tagen und circa 8% der Befragten leiden unter sechs Attacken pro Monat undmehr. Die Frauen bilden die Migräne meist nach der Pubertät, die Männer zwischen dem 20.und 30. Lebensjahr aus. Bei der geschlechtlichen Verteilung der Migräne imErwachsenenalter fallen die Frauen mit 2,14:1 signifikant höher ins Gewicht, als Männer. DieLebenszeitprävalenz für die Ausbildung einer Migräne liegt bei Kindern bei 5-7%, beiErwachsenen 10% (Pfaffenrath, 2001). Der Zenit in der Anfallshäufigkeit ist zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr festgelegt (Yoon & Limmroth, 2007).

2.1.2 Klassifikation und klinisches Bild

Ohne eine Klassifikation der Kopfschmerzen ist eine Therapieform bedingt effektiv möglich,da gewisse Therapieverfahren auf eine gewisse Einordnung beruhen. Die zwei häufigstenMigräneformen sind zum Einen die Migräne mit Aura (MA) und zum Anderen die Migräne ohne Aura (MO). 1988 wurden erstmals durch die Klassifikation der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft klinische Merkmale der Migräne determiniert (ICHD-I), 2004 erschien dann eine neubearbeitete Version (ICHD-II). Die diagnostischen Kriterien der MA und MO sind in den Tabellen 1 und 2 einsehbar.

Die MO, früher auch als einfache Migräne oder Hemikranie bezeichnet, ist von einemklassischen Kopfschmerzverlauf viszeraler Schmerzen geprägt, bestehend aus einer Verlaufs Tabelle 1. Diagnostische Kriterien der Migräne ohne Aura (International Headache Society, 2004).

A. Mindestens fünf Attacken, welche die Kriterien B-D erfüllen

B. Kopfschmerzattacken, die (unbehandelt oder erfolglos behandelt) 4-72 Stunden anhalten

C. Der Kopfschmerz weist mindestens zwei der folgenden Charakteristika auf:
1. einseitige Lokalisation
2. pulsierender Charakter
3. mittlere oder starke Schmerzintensität
4. Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten (z.B. Gehen oder Treppensteigen) oderführt zu deren Vermeidung

D. Während des Kopfschmerzes besteht mindestens eines:
1. Übelkeit und/oder Erbrechen
2. Photophobie und Phonophobie

E. Nicht auf eine andere Erkrankung zurückzuführen dauer von vier bis 72 Stunden, einer unilateralen Lokalisation und einem pulsierendenCharakter geprägt und kann sich während einer Attacke ausbreiten oder verlagern. EineAktzentuierung am Hinterkopf, im Nacken oder im Augenwinkel ist möglich. Sie trägt die typischen Begleiterscheinung mit sich, wie Übelkeit, Licht- und/oder Lärmüberempfindlichkeit (Göbel, 2004a). Die Begleitsymptome betreffen 80-85% aller Migränepatienten und sind zwischen den Betroffenen unterschiedlicher Natur (Yoon & Limmroth, 2007).

Bei einem Anfall der MA, früher auch als klassische Migräne oder Migraine accompagne é bezeichnet, geht dieser mit reversiblen, neurologischen Reiz- und Ausfallsymptomenunterschiedlicher Art einher, auch Aura genannt. Charakteristisch können das beispielsweiseLichtblitze, Fortifikationsspektren, Gesichtsfeldausfälle aber auch Sprech-, Sprach-,Sensibilitäts-störungen und Paresen sein (Fritsche, 2007). Sensibilitätsstörungen drücken sichin Form von Kribbelparästhesien, Dystästhesen und Hypästhesien aus, die meist von distalnach proximal fortschreiten (Sixt, 2007). Die schmerzlose Phase der Aura entwickelt sichüber 5-20 Minuten und hält maximal 60 Minuten an, gefolgt von dem typischenKopfschmerzbild einer MO, spätestens eine Stunde nach Abklingen der Aura.

Tabelle 2. Diagnostische Kriterien der Migräne mit Aura (International Headache Society, 2004).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hierfür wurde die Begrifflichkeit typische Aura mit Migränekopfschmerz (Göbel, 2004a)geschaffen. Sie stellt die häufigste Form der MA dar. In Sonderfällen der MA dauern dieAurasymptome länger als 60 Minuten an, wie bei der Migräne mit prolongierter Aura. Dieunterschiedlichen Auren treten neben- oder hintereinander auf, in einer relativ beliebigenReihenfolge aber immer vor der eigentlichen Kopfschmerzphase. Es gibt auch dieMöglichkeit der Abwesenheit der Schmerzphase, wie bei der Migräneaura ohne Kopfschmerz, vollständig (Pfaffenrath, 2001). An ihr leiden circa 10% der Migräniker. Ebensokonnte bis zum heutigen Tage noch kein evidenter Zusammenhang zwischen Aura undMigräne hergestellt werden.

Der Großteil der Patienten leidet unter der MO, deren durchschnittliche Attackenzahl höher ist, als die der MA. Patienten können an beiden Migräneformen leiden. Leiden Patienten frequentiert unter MA, so ist es wahrscheinlich, dass sie auch unter MO leiden.Des Weiteren gibt es noch weitere Migräneformen, die nicht so häufig anzutreffen sind. Darunter zählt die ophthalmoplegische Migräne, die retinale Migräne, die Basilarismigräne und auch die f amiliäre hemiplegische Migräne (Pfaffenrath, 2001).

Im folgenden Abschnitt wird nun auf die verschiedenen Phasen der Migräne eingegangen, um ein genaues Bild über diese Krankheit zu vermitteln.

2.1.3 Phasen der Migräne und klinisches Bild

Um die Migräne als Erkrankung zu verstehen, wird an dieser Stelle eine genaue Darstellungerfolgen, die sich in verschiedene Phasen, während einer Attacke, gliedert. Die Darstellungder unterschiedlichen Phasen der Migräneattacke kann in der Abbildung 2 eingesehenwerden.

Die erste Phase nennt sich Prodromalphase und ist als „allgemeineBefindlichkeitsveränderung“ (Göbel, 2004a, S. 154) für beide Migränearten zu verstehen. Sieteilt sich in erregende und hemmende Vorbotensymptome auf. Erregende Symptome sind mitdem Körper und der Psyche vernetzt und drücken sich unter Anderem in einer Hyperaktivität,großer Motivation, Appetit auf süße Nahrung, einer psychischen Hochstimmung oder aberauch in einer Licht- oder Lärmüberempfindlichkeit, Polyurie, Tachykardie oder einerGeruchsüberempfindlichkeit aus. Sogenannte hemmende Symptome äußern sich inMüdigkeit, Depression, Erschöpfung oder Konzentrationsschwierigkeiten (Göbel, 2004a).Psychische Prodromalsymptome treten häufiger bei älteren Menschen auf. Körperliche Symptome, wie Schwindel oder gastointestinale Symptome, treten eher bei Kindern auf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2. Die unterschiedlichen Phasen der Migräne bei MO und MA (Limmroth & Diener, 2003, S. 40).

Prodromalsymptome treten bei circa 60% der Migräniker auf (Förderreuther & Straube,2009). Sie stellen die erste Phase der Migräneattacke dar und sind von den fokalen,neurologischen Störungen der Aura abzugrenzen. Die Symptome können einige Stunden, bishin zu zwei Tagen im Vorfeld auftreten (Göbel, 2004a; Yoon & Limmroth, 2007). DieHinweissymptome dürfen vom Betroffenen aber nicht als Ursache interpretiert werden.Als zweite Phase folgt die Auraphase. Der Begriff bedeutet im Griechischen Dampf und hatseine Prägung durch Pilops erhalten, der von einer aufsteigenden Ausbreitung kalter Dämpfevom Fuß oder der Hand Richtung Kopf ausging (Göbel, 2004a). Hauptcharakteristikum derAura ist die Ausbreitung und das Fortschreiten der Phänomene. Dies kann zu visuellen,einseitigen sensiblen Störungen oder Sprachstörungen führen, die jedoch eine motorischeSchwäche ausschließen. Die visuelle Störung tritt mit 90% am häufigsten auf und wird alsZickzackfigur nahe am Fixationspunkt beschrieben, die einseitig im Gesichtsfeld auftritt undsich meist in einer immer unterschiedlichen lateralkonvexen Form ausdehnt. PositivePhänomene beschreiben einen zusätzlichen, das normale Sehfeld überlagerndenStrukturgegenstand. Die Skotome können Lichter, Punkte oder Linien sein, welche sich starroder flexibel im Sichtfeld aufhalten. Möglich ist es, dass negative Phänomene ebensoauftreten. Sie können sich von einem leichten Schliereneindruck bis hin zu einer komplettenErblindung erstrecken. Sensible Störungen treten mit einer Häufigkeit von 30% und 40% aufund können sich in Form von positiven Phänomenen (Kribbelparästhesie) oder negativerPhänomene (Taubheitsgefühl) darstellen. Sie befinden sich meist unilateral und breiten sich von dort Richtung Kopf aus. Eine einseitige motorische Schwäche zeigt sich bei 10-20% der Migräneauren und äußern sich in zum Beispiel in Muskelschwäche oder gestörter Koordination. Dysphasien können ebenso in Erscheinung treten, sind aber schwer kategorisierbar. Hierbei wird eine Phonation der Sprachlaute nahezu unmöglich (Göbel, 2004a). Weitere Störungen können das Hörvermögen betreffen, olfaktorischer oder geschmacklicher Art sein, Schwindel und/oder eine Phono-, beziehungsweise Photophobie. Die unterschiedlichen Ausprägungsformen können während einer Attacke kombiniert auftreten, wie in Abbildung 3 dargestellt ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3. Kombination visueller, sensorischer und autonomer Phänomene in der Auraphase (Göbel, 2006b, S.17).

Der Auraphase schliesst sich als Dritte die Kopfschmerzphase von vier bis 72 Stunden Daueran. Typisch ist eine Attacke über einen Zeitraum von einem Tag. Bei circa 10% der Patientenist die Maximaldauer von 72 Stunden, bei nicht erfolgter oder erfolgloser Behandlung, derFall. Ob MA oder MO, Ablauf und Ausprägung sind weitestgehend gleich, obgleich einigeBücher von einer unterschiedlichen Schmerzintensität berichten. „Erst die charakteristischenBegleitsymptome kennzeichnen die Kopfschmerzphase als Migräneattacke“ (Göbel, 2004a, S. 174). Kardinalsymptome der Kopfschmerzphase sind ein pochender, pulsierender oderdumpfer Schmerzcharakter, sowie bei 50-60% ein einseitiges Auftreten (Göbel, 2004a). DieLokalisation des Schmerzes ist im Grunde am gesamten Kopf möglich, da er sich räumlichund zeitlich ausbreitet und sich auch in seiner Schmerzsymptomatik verändern kann.Körperliche Betätigung kann die Schmerzen zusätzlich verstärken. WeitereBegleiterscheinung können der weitgefasste Begriff der Übelkeit, zudem Erbrechen undAppetitlosigkeit sein, welche schnell in einen Erschöpfungszustand münden können. Eine zusätzliche Gesichtsblässe wird durch die Konstriktion der Gefäße beobachtet und jeglichesensorische Stimulation wird als unangenehm empfunden. Psychische Begleiterscheinungeneiner Migräneattacke äußern sich durch den „Zustand von reduzierten positivenBefindlichkeitsdimensionen“ (Göbel, 2004a, S. 176), sowie psychopathologischenSymptomen der Schläfrigkeit oder des Denkversagens. Photo- und/oder Phonophobie sindebenfalls symptomatisch anzutreffen. Letztere findet sich bei 61-98% der Attacken an (Göbel,2004a). Zur Veränderung der momentanen Befindlichkeit verweise ich auf Abbildung 4. DieDarstellung zeigt die Werte von 40 Migränepatienten auf aus einer Studie von Göbel (2004a).Die Kopfschmerzphase bildet sich, sofern nicht medikamentös behandelt, spontan wiederzurück.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4. Veränderung der momentanen Befindlichkeit während einer Migräneattacke (Göbel, 2004a, S. 176).

Die postiktale Phase, nach einem Anfall, kann mit Begleiterscheinungen, wie Erschöpfung und Müdigkeit noch bis zu zwei weitere Tage andauern. Ebenso findet sich eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit des Kopfes.

Die Phase zwischen zwei Migräneattacken wird als Migräneintervall bezeichnet. Kennzeichnend ist die mangelnde Habituationsbereitschaft für jegliche Stimuli. Hier fehlen jedoch wissenschaftliche Studien, um diese Zwischenphase weiter erörtern zu können.

2.1.4 Ä tiologie der Migräne

Alle bisher durchgeführte Studien konnten keinen singulären Faktor für die Entstehung derMigräne nennen (Fritsche, 2007; Göbel, 2004a). In der aktuellen Literatur gibt es zur Zeitkeine weitreichende wissenschaftliche Erklärung für eine Beziehung zwischen Migräneaura und Migränekopfschmerz. Es kann nur gezeigt werden, dass sich Kopfschmerz und neurologische Störung auf der gleichen Hemisphäre befinden (Göbel, 2004a).

2.1.4.1 Biophysiologische Ansätze

Mit der vaskulären Theorie der Migräne wird die Auraentstehung durch die Vasokonstriktiongroßer zerebraler Gefäße und einer damit einhergehenden Ischämie kortikaler Areale erklärt.Sie galt früher als das favoriserte Therapiemodell. Dieser Ansatz gilt seit Limmroth undDiener (2002) nicht mehr uneingeschränkt, da er eine Dilatation duraler Gefäßemitverantwortlich macht (Fritsche, 2007). In Studien über den Blutfluss wurde bei Patienten,die unter MA leiden eine regionale Durchblutungsverminderung (Vasokonstriktion) von 25bis 30% gemessen, ausgelöst durch Serotonin. Serotonin wird auch 5-Hydroxytryptanium (5-HT) genannt und kommt unter Anderem im Zentralnervensystem und den Thrombozyten vor.Ausgeschüttet nimmt es Einfluss auf die Stimmung, den Schlaf-Wach-Rhythmus, dieNahrungsaufnahme, die Schmerzwahrnehmung und die Körpertemperatur. Die im Serumbefindliche Konzentration wird während eines Migräneanfalls künstlich erhöht, durch einezusätzliche Ausschüttung von 5-HT aus den Thrombozyten. Dieser zu hohe Wert verursachteine intrakranielle Vasokonstriktion. Diese kann, durch die Konstriktion der zerebralenMikrozirkulation, die neurologischen Symptome der Auraphase ausmachen Ebenso wird diePermeabilität der Kapillaren erhöht und Serotonin tritt vermehrt aus der Blutbahn aus. NachMetabolisierung stellt sich ein 5-HT-Mangel ein, welcher zu einer schmerzhaften Vasodilationführt, wie in Abbildung 5 zu sehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5. Vaskuläre Theorie der Migräne (Göbel, 2004b, S. 104).

Diese Beeinflussung kann ein Erklärungsansatz für die visuellen Auren der Migräne sein.Jedoch sind laut Göbel (2004a) nicht nur die 5-HT1B- und 5-HT1D-Rezeptoren für die Freisetzung der Neuropeptide verantwortlich, sondern auch andere, wie α-Adrenorezeptoren,Histamin-H3-Rezeptoren, Opoidrezeptoren und Somatostatinrezeptoren.. Zudem reicht der 5-HT Wertabfall nicht aus, um die fokalen neurologischen Störungen zu erklären. Es lässt sichauch nicht der einseitige Kopfschmerz erklären, wenn die 5-HT-Freisetzung doch imgesamten duralen Bereich stattfand (Göbel, 2004a). Bei Patienten MO finden sich keinerleiVeränderungen des Blutflusses, da vermutlich der Pathomechanismus sehr langsam in Ganggebracht wird. Daher wird davon ausgegangen, dass die Pathomechanismen der Migränenicht ausschließlich auf die Vasokonstriktion und die Vasoldilation zurückzuführen sind.Diese Theorie gilt also als unvollständig.

Die von Lewis im Jahre 1937 beschriebene Theorie der neurogenen Entzündung geht voneiner Vasodilation und Plasmaextravasation als Hauptkomponenten aus (Göbel, 2006b) undist derzeit die favorisierte Theorie. Die neurogene Entzündung betrifft das Gehirn, derenBlutgefäße und die diese innervierenden Neuronen und begünstigen zusätzlich diePermeabilität der Gefäße. Daraus resultiert die erhöhte Sensibilisierung bei Gefäßpulsationen.Zusätzlich kann ein Schmerzempfinden in anderen Körperpartien, wie dem Schädel-,Schulter- und Nackenbereich (Göbel, 2006b). Sie erklärt die Schmerzempfindlichkeitwährend einer Attacke durch eine verstärkte Sensibilisierung sensorischer, perivaskulärerFasern im Bereich der Hirnhaut. Die neurogene Entzündung entsteht durch elektrische,mechanische oder chemische Stimulation der Nervenfasern und stellt eine Art Abwehrsystemgegen Gewebeverletzungen dar. Der Forscher Michael Moskowitz (2004) beschreibtzusätzlich eine dadurch gesteigerte Aktivität am Trigeminusganglion, die eine anhaltendeFreisetzung von Entzündungsmediatoren, den vasoaktiven Neuropeptiden (Substanz P,Neurokrinin A, das calcontonin generated peptide (CGRP) und das vasoaktive intestinalePolypeptid (VIP)) an unmyelinisierten C-Fasern bedingt. Diese induzieren eine Vasodilation,welche zu einer Gefäßwandschwellung mit einhergehenden gedrosselten Blutzirkulationführt. Es entstehen die fokalneurologischen Defizite der Aura. und die sterile neurogeneEntzündung (siehe Abbildung 6). Die Botenstoffe können von den Gefäßen zu denNervenfasern aber auch in die andere Richtung gelangen. Dadurch werden an der Dura materEnzymsysteme (Cycclooxygenase II, Nitric-oxide-Synthease) aktiviert, die zur Produktionvon Prostaglandinen, beziehungsweise Stickstoffmonoxid (NO) führen (Yoon & Limmroth,2007). NO ist wahrscheinlich der bedeutendste Faktor bei der Vasodilation. Es soll bei derWahrnnehmung von Schmerz und bei der Hormonfreisetzung unter Stress beteiligt sein (Göbel, 2004b). Durch Axonreflexe wird die neurogene Entzündung aufrechterhalten, die sichallmählich ausbreitet. Neurokrinin A bewirkt zusätzlich eine Plasmaextravasation. Die tight junctions der Gefäßwände öffnen sich und lassen die Schmerzempfindlichkeit steigen.Miteinhergehender Abnahme der Gefäßwandelastizität lässt sich so auch der pulsierendeCharakter einer Migräneattacke erklären. Die Genese der neurogenen Entzündung bleibtjedoch weiterhin unklar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6. Modell der neurogenen Entzündung (Göbel, 2004b, S.113f).

Bereits in den 50er Jahren wurde über die cortical spreading depression nach Leão (CSD)(Göbel, 2006a) gesprochen. Der Neurologe Cutrer konnte im MRT eine Perfusionsänderungum bis zu 45% und dadurch eine okzipitale Hypoperfusion nachweisen (Yoon & Limmroth,2007). Früher an Katzenhirnen, ist es mittlerweile auch am Menschen nachweisbar(Hadjinkhani, 2001) und soll die Entstehung der visuellen Aura erklären. Dieses Modellbasiert auf einem angenommenen genetischen Ionenkanaldefekt, unter dem eine langsamfortschreitende Depression kortikaler Aktivität von 3,5 +/-1,1 mm/min und Kaliumfreisetzung zu verstehen ist (Yoon & Limmroth, 2007). Anschließend folgt eine Zoneelektrischer Hypoaktivität und eine Reduktion der Gewebeperfusion. Die betroffene Zelle istnun für einige Minuten nicht erregbar. Es beginnt im Sehzentrum und breitet sich über denokizipitalen Kortex nach frontal aus. Als Beispiel gilt es, das Wandern desFortifikationsspektrums oder der Kribbelparästhesien zu nennen. Zu unterstreichen ist, dassdie Geschwindigkeit der CSD mit der Geschwindigkeitsausbreitung einesFortifikationsspektrum korreliert (Göbel, 2006a), wie in Abbildung 7 dargestellt ist. AlsAuslöser können neurochemische Agenzien, Verletzungen, Ischämien oder elektrischeStimulationen angesehen werden.

Die biologischen Schmerzprozesse sollen bei der Theorie des Migränegenerators eineErklärung finden. Die erhöhte neuronale Aktivität im Bereich des Locus coeruleus, desNucleus raphe dorsalis und des periaquäduktalem Graus des Hirnstamms können eineErniedrigung der Schmerzschwelle (Fritsche, 2007) bewirken. Deren Ausfall lässt nunImpulse ungefiltert bis zum Thalamus hindurch. Der empfundene Qualitätssprungüberschreitet die Schmerzschwelle und die vorher nicht-schmerzhafte Empfindung wird zueiner schmerzhaften Wahrnehmung (Göbel, 2004b). Ebenso beeinflussen sie die Kontrolle deskortikalen Blutflusses und sollen mitverantwortlich für die Hypoperfusion sein.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7. Modell der CSD (Göbel, 2006b, S.18).

Des Weiteren kann dadurch eine Aktivierung der serotoninergenen Fasern im limbischen System eingeleitet werden, welche Prodrome entstehen lässt (Yoon & Limmroth, 2007). Dies soll zu der neurogenen Entzündung führen.

Das Modell der kortikalen Hyperaktivität berichtet von einer verminderten mitochondrialenEnergiereserve bei Migränepatienten, die durch eine kortikale Selbststimulation kompensiertwerden soll (Fritsche, 2007). Ebenso ließ sich aufgrund einer Habituationsstörung eineNegativierung der Amplituden der Contingent Negative Variation (CNV) aufzeigen. Diesegeht laut Gerber et al. (1996) mit Verhaltensauffälligkeiten einher. Eine neurophysiologischnachgewiesene Empfindlichkeit von akustischen und optischen Reizen fügt sich diesemModell ebenso hinzu.

2.1.4.2 Psychologische Ansätze

Umfassende Studien haben keine explizite Migränepersönlichkeit herausfiltern können.Einzig und allein lässt sich ein erhöhter Neurotizismus bei den Erkrankten feststellen.Das Modell der kortikalen Reizverarbeitungsstörung aufgrund einer exzessivenmetabolischen Überlastung könnte die Ursache für einen Anfall sein. Dieser würde sozusagenals Überlastungsschutz einsetzen. Eine übermäßige Aussenreizorientierung kann zu einerinadäquaten Fokussierung auf intrapersonelle Reize führen. Eine Person, die von starkausgeprägten Leitideen, wie Altruismus, maximale Leistung oder keine Schwächen zu zeigen,verstärkt die interne Drucksituation. Gerber et al. (1996) kann sein Modell kaum stützen,jedoch ist es wichtig bei der psychologischen Behandlung der Betroffenen.Die in Abbildung 8 dargestellte Theorie des Diathese-Stress-Modells ist zu Beginn der 1980eraufgestellt worden und beruht weitestgehend auf Seyle. Es stellt ein multidimensionellesÄtiopathogenesemodell dar, welches biologische und psychologische Ansätzezusammenfasst. Die Grundlage von Basisanomalien (genetisch, psychisch, physisch,biochemisch) sind in Verbindung mit einer dysfunktionalen habituellen Stressverarbeitung derAuslöser für die Migräne. Stress wird als „eine Folge von noxischen physikalischen, psychischen und sozialen Einflüssen aufgefaßt, welche ein weitgehend stereotypes Reaktionsmuster bei den Betroffenen auslösen“ (Göbel, 2004a, S. 248).Dieses versucht die Auswirkung der Stressoren auf den Organismus zu kompensieren. Gelingtdies nicht, spricht man von einem allgemeinen Adaptionssyndrom, das einen ausgeprägtenEnergieaufwand erfordert, da die Belastungssituation als bedrohlich und dieBewältigungsmöglichkeit als zu gering eingeschätzt wird. Generell sollen BetroffeneStresssituationen als bedrohlicher einschätzen, als Gesunde und somit zu einerStresssensitivität neigen (Fritsche, 2007).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8. Diathese-Stress-Modell (Fritsche, 2007, S. 378).

Komplexe belastende Situationen wurden von Holmes und Range in der sozialenVeränderungsskala festgehalten (Göbel, 2004a, S. 249), die auch im Anhang I einzusehen ist.

2.1.4.3 Genetische Prädisposition

Zwillingsstudien konnten belegen, dass zu einem großen Anteil Verwandte ersten Grades,besonders die Mutter der Patienten, ebenso unter Migräne leiden. Der aktuelleForschungsstand spricht von einer polygenen Vererbung der Migräne, da keine direkteVererbbarkeit besteht, wenn beide Elternteile unter Migräne leiden. Fest steht nur, dass einemögliche Vererbung „nicht X-chromosomal“ stattfindet (Göbel, 2004a, S. 261). Das Auftretenvon Migräne als Symptom kann bei verschiedenen Erbkrankheiten, wie dem sogenanntenMELAS-Syndrom oder CADA-SIL, möglich sein. Seltener gibt es die autosomal dominanteForm der Vererbung, wie sie bei der familiären hemiplegischen Migräne vorgefunden wird.Diese hängt mit einer Punktmutation eines mitochondrialen Gens zusammen (Göbel, 2006b).In einer Studie aus 2005 zeigte sich eine Veränderung auf dem Chromosom 1 auf dem NA+/K+-ATPase-Gen ATP1A2 bei Patienten mit MA festgestellt. Die Funktionsbeeinträchtigung des Natriumionenkanals kann aber noch nicht direkt mit der Migräneentstehung in Zusammenhang gebracht werden. Der Defekt auf dem Chromosom 19 bewirkt eine zerebrale Kalziumionenstörung, die die intrakranielle Serotoninfreisetzung beeinflussen kann (Fritsche, 2007). Es kann zu einer erhöhten Öffnungsfrequenz des defekten Kanals kommen, welche eine temporäre Ca++-Überladung in der Zelle herbeiführt (Limmroth & Diener, 2003). Bei Patienten mit MA fand sich ein Polymorphismus bei dem dopaminrezeptorkodierenden Gens DRD2 (Göbel, 2006b).

2.1.5 Triggerfaktoren

Es ist nicht immer der Fall, dass attackenauslösende Ursachen, sogenannte Triggerfaktoren, gefunden werden. In jedem Fall sind sie von den ursächlichen Faktoren der Migräne abzugrenzen. Besteht eine Anfallsbereitschaft für eine Migräne, so können Triggerfaktoren einen Anfall auslösen.

Das sympatische Nervensystem kann als Triggerfaktor für Migräne angesehen werden, da essich während jeder Phase einer Attacke als prominent verändert darstellt. Stress, Emotionen,Veränderungen des normalen zirkadianen Rhythmus, hormonelle und metabolischeVeränderungen, Schlaf-Wach-Rhythmus, das Auslassen von Mahlzeiten, etwaigeNahrungsmittel und Erschöpfung zählen dazu.Studien haben belegt, dass es weniger auf dieAusprägung des Stresses ankommt, sondern auf die Intensität. Hier sei erneut die Ranglisteder Stressintensitäten nach Holmes und Range zu nennen (Göbel, 2004a, S. 249). WeitereFaktoren können Lichtveränderungen, ein Abfall des Koffeinspiegels, Passivrauchen und/oderbesondere Anstrengungen sein (Yoon & Limmroth, 2007). Der Anstieg des Östrogenspiegelsunmittelbar vor der Periode kann ein Erklärung für die nur zyklisch auftretende Migräne sein.Umweltfaktoren werden ebenso verantwortlich gemacht, jedoch stehen bis heute dahingehendUntersuchungen aus. Der Wasserhaushalt könnte ebenso ein Triggerfaktor sein, da für dieAufrechterhaltung der Homöostase essentiell ist. Martins und Gouveia (2007) berichten voneiner Selbstbeobachtungsstudie eines 38-jährigen Informatikers, der seine zugeführteFlüssigkeitsmenge genau beobachtete, sowie die Migräneattacken und die Akutdosierung vonSumatriptan festhielt. Die durchschnittliche Menge an Flüssigkeit wurde von 80-100cm3 auf1500cm3 über einen Zeitraum von zwei Monaten erhöht. Die mittlere Attackenzahl, sowie dieEinnahme von Triptan sank signifikant (Martins & Gouveia, 2006). Das wäre auch einErklärungsansatz für das Auftreten von Migräne nach sportlicher Belastung oderWetteränderungen. Alkohol zu einer bestimmten Tageszeit soll durch die Dehydrierungebenso eine Attacke induzieren können. Zusammenfassend ist eine plötzliche Veränderungdes normalen Lebensrhythmus anzusehen (Göbel, 2004a).

Ob ein Zusammenhang zwischen einer Migräneattacke und einer Allergie, wie zum Beispiel gegen bestimmte Nahrungsmittel besteht, kann laut Göbel (2004a) nicht genau geklärt werden. Es wird von einem Kofaktor mit einer sehr geringen Gewichtung ausgegangen. Laut Mattle und Mumenthaler (2001) kann das pressorische Tyramin (in einigen Käsen enthalten) und die Einnahme von Monoaminooxidasehemmern einen Anfall triggern.

2.1.6 Integration der Theorien

Die Erklärung der Migräneentstehung bedarf eines multimodalen Modells. Nach derneurogenen Migränetheorie besteht bei den Erkrankten eine angeborene Besonderheit derRezeption und Verarbeitung interner und externer Stimuli im Gehirn. Diese Theorie schließtmit ein: genetische Bedingungen, Umweltfaktoren, biochemischer, vaskulärer und neurologerParameter und die Auswirkung auf die Organsysteme und belegt eine besondereMigränebereitschaft. Diese stellt sich durch die erhöhte Amplitude der CNV, im EEG, derBlutplättchenveränderung und des reduzierten Magnesiumspiegels im ZNS dar.

Das Zusammentreffen der besonderen Migränebereitschaft und den Triggerfaktoren kann eineAttacke auslösen. Welche Faktoren mit welcher Prädisposition auftreten können, ist nichtgeklärt. Die Abbildung 9 des Migränemotors versucht die bisherigen Theorienzusammenzufassen.

Die genetisch determinierte, erhöhte Reaktionsbereitschaft führt unter Zugabe von Triggerfaktoren zu einen kontinuierlichen Anstieg neuronaler Aktivität. Es folgt ein zu schneller Verbrauch der Neurotransmitter wodurch eine folgende Mangelerscheinung und die zentralnervöse Informationsverarbeitung zusammenbricht. Der Migränemotor hält die Periodik der Anfälle am Laufen. Es folgen die typischen Symptome der Kopfschmerzphase. Dieses Modell beschreibt jedoch nicht die Auraentstehung.

Die Auswirkungen einer Migräne sind eine zeitweilige Störung der Versorgung des Hirnnervs(trigeminovaskuläre Innervation), die Freisetzung gefäßaktiver Botenstoffe (vasoaktiveNeurotransmitter), eine veränderte Übermittlung von Schmerzsignalen im Hirnstamm, eineVeränderung der kortikalen, d.h. die Gehirnrinde betreffenden Erregbarkeit von Nervenzellen.Daneben kommt es offenbar auch zu Störungen autonomer Zentren im Hirnstamm undMittelhirn. Bei einer Migräneattacke wird das Gefäßsystem des Hirnnervs (trigeminalesSystem) aktiviert. Schmerzsignale werden über Fasern des Trigeminus transportiert. DieUrsachen dieser Aktivierung sind noch nicht geklärt. Untersuchungen haben allerdingswährend Migräneattacken ein Zentrum mit erhöhter Durchblutung im Hirnstammidentifiziert. Das deutet auf erhöhte Nervenzellaktivität hin und legt die Existenz einesorganischen Migränegenerators nahe. Die erhöhte Aktivität des Hirnstamms scheint alsonicht Folge des Kopfschmerzes, sondern vielmehr die Ursache der Schmerzentstehung zusein. Diese Aktivität könnte auch für den Wiederkehrkopfschmerz verantwortlich sein.

[...]


1 Die Übersetzung lautet umherziehen oder wandern.

Ende der Leseprobe aus 124 Seiten

Details

Titel
Sport und Migräne
Untertitel
Auswirkungen eines 10-wöchigen Trainingsprogramms auf die Migränebelastung und den Blutdruck
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Institut für Sport und Sportwissenschaften)
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
124
Katalognummer
V189852
ISBN (eBook)
9783656563389
ISBN (Buch)
9783656565116
Dateigröße
5931 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ausdauertraining, Migräne, Blutdruck, Sport, Kopfschmerz
Arbeit zitieren
Melanie Graf (Autor:in), 2011, Sport und Migräne, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/189852

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