In dieser Studie wird nach den Ursachen für das Vorkommen und die Gewaltsamkeit gesellschaftsinterner und -externer Herausforderungen bzw. innenpolitischer und internationaler Konflikte gesucht. Als abhängige Variablen werden Terrorismus, Protest, internationale Krisen und die Gewaltsamkeit dieser Konfliktmanifestationen analysiert. Als unabhängige Variablen werden machtpolitische Faktoren (Fehlen konsensualer Macht und Zwangsmacht) und politisch-institutionelle Faktoren in Betracht gezogen.
INHALTSVERZEICHNIS
VERZEICHNIS DER THEORETISCHEN AUSSAGEN
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN UND TABELLEN
1. EINLEITUNG
2. THEORETISCHE ANNAHMEN UND DEDUKTIONEN
2.1 Theorie der Herausforderung politischer Systeme
2.2 Ursachen der Herausforderung politischer Systeme
2.2.1 Machtpolitische Ursachen
2.2.1.1 Soziopolitische und internationale Polarisierung als Konkretisierung fehlender konsensualer Macht
2.2.1.1.1 Faktor der Entstehung systemherausfordernder Bewegungen
2.2.1.1.2 Faktor der Gewalteskalation politischer Herausforderungen
2.2.1.1.3 Hemmnisfaktor von Kompromisslösungen
2.2.1.2 Fehlen von Zwangsmacht
2.2.1.2.1 Inkonsistenz hoheitlichen Zwangs
2.2.1.2.2 Gesellschaftsexterne Unterstützung systemherausfordernder Bewegungen
2.2.1.2.3 Externe Abschreckungsinkompetenz
2.2.2 Politisch-institutionelle Ursachen
2.2.2.1 Institutionalisierung von Protestkanälen
2.2.2.1.1 Expressive Funktion von Protestkanälen
2.2.2.1.2 Instrumentelle Funktion von Protestkanälen
2.2.2.1.3 Fehlen von Außenpolitik mäßigenden Demokratiestrukturen
2.2.2.2 Fehlende Institutionalisierung der internationalen Beziehungen
2.2.2.2.1 Pazifizierende Funktion internationaler Institutionen
2.2.2.2.2 Fallbeispiel: Das internationale Regime des Management interkultureller Beziehungen
3. VARIABLEN UND ANALYSEN
3.1 Abhängige Variablen
3.1.1 Häufigkeit terroristischer Aktionen
3.1.2 Protestmobilisierung ethnischer Gruppen
3.1.3 Häufigkeit der Opfer terroristischer Aktionen
3.1.4 Rebellionstendenz ethnischen Protests
3.1.5 Häufigkeit internationaler Krisen
3.1.6 Gewaltsamkeit internationaler Krisen
3.2 Unabhängige Variablen und Determinanten
3.2.1 Repressivität hoheitlichen Zwangs
3.2.2 Mittelmäßigkeit der Repressivität hoheitlichen Zwangs
3.2.3 Intensität gesellschaftsinterner Herausforderungen
3.2.4 Internationale Zwangsmachtdifferenz
3.2.5 Mittelmäßigkeit der Zwangsmachtdifferenz
3.2.6 Demokratischer Konstitutionalismus
3.2.7 Mittelmäßigkeit des demokratischen Konstitutionalismus
3.2.8 Ausmaß interdemokratischer Wechselwirkungen
3.2.9 Ethnopolitische Variablen
3.2.10 Maße internationaler Polarisierung
3.2.11 Kulturelle Bruchlinie
3.2.12 Gewalthistorie
3.2.13 Kollabiertes politisches System
3.2.14 Internationale Landgrenze
3.2.15 Periodeneffekte
4. FORSCHUNGSERGEBNISSE
5. ANHANG
5.1 Systemherausfordernde Gewaltbewegungen
5.2 Terrorismus
5.3 Ethnischer Protest
5.4 Gewaltsamkeit des Terrorismus
5.5 Gewaltsamkeit ethnischen Protests
5.6 Gesellschaftsexterne Herausforderungen
5.7 Gewaltsamkeit gesellschaftsexterner Herausforderungen
5.8 Hoheitliche Repressivität
5.9 Zwangsmachtdifferenz
5.10 Demokratischer Konstitutionalismus
5.11 Interdemokratische Wechselwirkungen
5.12 Ethnopolitische Variablen
5.13 Determinanten des Terrorismus
5.14 Determinanten ethnischen Protests
5.15 Determinanten der Gewaltsamkeit des Terrorismus
5.16 Determinanten der Gewaltsamkeit ethnischen Protests
5.17 Determinanten gesellschaftsexterner Herausforderungen
5.18 Determinanten der Gewaltsamkeit internat. H‘forderungen
6. LITERATURVERZEICHNIS
VERZEICHNIS DER THEORETISCHEN AUSSAGEN
AXIOM 01: Systemherausfordernde Handlungen als Bedürfnisbefriedigung
AXIOM 02: Bedürfnisbefriedigung als Nutzenmaximierung
AXIOM 03: Dualität instrumenteller und expressiver Handlungsmotivationen
DEFINITION 01: Systemherausfordernde Organisationen
DEFINITION 02: Macht - Zwangsmacht und konsensuale Macht
PROPOSITION 01: Variation der Präferenzen für die Unterstützung systemherausfordernderOrganisationen entsprechend der von der Organisation bereit- oder in Aussicht gestellten
Bedürfnisbefriedigung
PROPOSITION 02: Variation des Ausmaßes, in dem die Regierung mit Zwangsmacht und / oderkonsensualer Macht ausgestattet ist, variiert entsprechend dem Ausmaß der von ihr durchWertzuweisungen bereitgestellten (in Aussicht gestellten) und / oder entzogenen (als
entzogen angedrohten) Bedürfnisbefriedigungen
PROPOSITION 03: Reziproke Variation der Entstehungs- und Wachstumschancen
systemherausfordernder Bewegungen entsprechend dem Ausmaß, in dem die Regierung
mit Macht - Zwangsmacht und / oder konsensualer Macht ausgestattet ist
PROPOSITION 04: Reziproke Variation der Präferenz von Regierungen für gesellschaftsexterneHerausforderungen entsprechend dem Ausmaß, in dem die Regierung des (potentiell)herausgeforderten politischen Systems mit Macht - Zwangsmacht und / oder konsensualer
Macht - ausgestattet ist
PROPOSITION 05: Reziproke Variation der Präferenz der Führer systemherausfordernder
Organisationen für Gewaltstrategien entsprechend dem Ausmaß, in dem die Regierung desherausgeforderten politischen Systems mit Macht - Zwangsmacht und / oder konsensualer
Macht - ausgestattet ist
PROPOSITION 06: Variation des Erfolgs systemherausfordernder Bewegungen entsprechend
der Institutionalisierung von Protestkanälen
PROPOSITION 07: Reziproke Variation der Präferenz von hoheitlichen Entscheidungsträgern
für gesellschaftsexterne Herausforderungen entsprechend der Institutionalisierung von
Demokratiestrukturen in der Gesellschaft des potentiellen gesellschaftsexternen
Herausforderers
8 Verzeichnis der theoretischen Aussagen
PROPOSITION 08: Reziproke Variation der Präferenz von hoheitlichen Entscheidungsträgernfür gesellschaftsexterne Herausforderungen entsprechend der Institutionalisierung der
internationalen Beziehungen
PROPOSITION 09: Reziproke Variation der Präferenz der Entscheidungsträger
systemherausfordernder Regierungen für Gewaltstrategien entsprechend der
Institutionalisierung von Protestkanälen
PROPOSITION 10: Reziproke Variation der Präferenz der Entscheidungsträger
systemherausfordernder Regierungen für Gewaltstrategien entsprechend der Institutionalisierung von Demokratiestrukturen in der Gesellschaft des
gesellschaftsexternen Herausforderers
PROPOSITION 11: Reziproke Variation der Präferenz der Entscheidungsträger
systemherausfordernder Regierungen für Gewaltstrategien entsprechend der
Institutionalisierung der internationalen Beziehungen
HYPOTHESE INTERN-KM: Variation der Tendenz zu gesellschaftsinternen
Herausforderungen entsprechend der soziopolitischen Polarisierung
HYPOTHESE G-INTERN-KM: Variation der Gewaltsamkeit gesellschaftsinterner
Herausforderungen entsprechend der soziopolitischen Polarisierung
HYPOTHESE EXTERN-KM: Variation der Tendenz zu gesellschaftsexternen
Herausforderungen entsprechend der internationalen Polarisierung
HYPOTHESE G-EXTERN-KM: Variation der Gewaltsamkeit gesellschaftsexterner
Herausforderungen entsprechend der internationalen Polarisierung
HYPOTHESE INTERN-ZM-1: Variation der Tendenz zu gesellschaftsinternen
Herausforderungen entsprechend der Inkonsistenz hoheitlichen Zwangs
HYPOTHESE G-INTERN-ZM-1: Variation der Gewaltsamkeit gesellschaftsinterner
Herausforderungen entsprechend der Inkonsistenz hoheitlichen Zwangs
HYPOTHESE INTERN-ZM-2: Variation der Tendenz zu gesellschaftsinternen
Herausforderungen entsprechend der Verfügbarkeit gesellschaftsexterner Unterstützung für
die potentiellen Herausforderer
HYPOTHESE G-INTERN-ZM-2: Variation der Gewaltsamkeit gesellschaftsinterner
Herausforderungen entsprechend der Verfügbarkeit gesellschaftsexterner Unterstützung für
die Herausforderer
HYPOTHESE EXTERN-ZM-1: Variation der Tendenz zu gesellschaftsexternen
Herausforderungen entsprechend der Abschreckungsinkapazität der das potentiell von
einer Herausforderung betroffene politische System repräsentierenden Regierung
gegenüber der potentiell herausfordernden Regierung
HYPOTHESE G-EXTERN-ZM-1: Variation der Gewaltsamkeit gesellschaftsexterner
Herausforderungen entsprechend Abschreckungsinkapazität der das von einer
Herausforderung betroffene politische System repräsentierenden Regierung gegenüber der
herausfordernden Regierung
HYPOTHESE EXTERN-ZM-2: Variation der Tendenz zu gesellschaftsexternen
Herausforderungen entsprechend der Differenz der Zwangskapazitäten der potentiell
herausfordernden und der das potentiell von einer Herausforderung betroffene politische
System repräsentierenden Regierung
HYPOTHESE G-EXTERN-ZM-2: Variation der Gewaltsamkeit gesellschaftsexternerHerausforderungen in Form einer Glockenkurve entsprechend der Differenz derZwangskapazitäten der herausfordernden und der das von einer Herausforderung
betroffene politische System repräsentierenden Regierung
HYPOTHESE INTERN-I: Reziproke Variation der Tendenz zu gesellschaftsinternen
Herausforderungen entsprechend der Institutionalisierung von Protestkanälen
HYPOTHESE INTERN-I: Reziproke Variation der Gewaltsamkeit gesellschaftsinterner
Herausforderungen entsprechend der Institutionalisierung von Protestkanälen
HYPOTHESE EXTERN-I: Reziproke Variation der Tendenz zu gesellschaftsexternen
Herausforderungen entsprechend der Institutionalisierung von Demokratiestrukturen in der
Gesellschaft der potentiellen gesellschaftsexternen Herausforderer
HYPOTHESE EXTERN-I: Reziproke Variation der Tendenz zu gesellschaftsexternen
Herausforderungen entsprechend der Institutionalisierung von Demokratiestrukturen im
potentiell herausgeforderten politischen System
HYPOTHESE G-T-I: Variation der Gewaltsamkeit des Terrorismus in Form einer Glockenkurve
entsprechend der Repressivität des hoheitlichen Zwangs
HYPOTHESE EXTERN-I-1: Reziproke Variation der Tendenz zu gesellschaftsexternen
Herausforderungen entsprechend der Institutionalisierung der internationalen Beziehungen. 40 HYPOTHESE EXTERN-I-1: Reziproke Variation der Gewaltsamkeit gesellschaftsexternerHerausforderer entsprechend der Institutionalisierung der internationalen Beziehungen...
HYPOTHESE EXTERN-I-2: Reziproke Variation der Tendenz zu gesellschaftsinternen
Herausforderungen entsprechend der Institutionalisierung der internationalen Beziehungen. 40 HYPOTHESE EXTERN-I-2: Reziproke Variation der Gewaltsamkeit gesellschaftsinternerHerausforderer entsprechend der Institutionalisierung der internationalen Beziehungen...
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN UND TABELLEN
ABBILDUNG 01: Das politische System und der politische Prozess nach EASTON
TABELLE 01: Das Gefangenendilemma - Rüstungswettlauf
ABBILDUNG 02: Kosten des Krieges und effektives Verhandeln
ABBILDUNG 03: Modell der Entstehung systemherausfordernder Bewegungen
ABBILDUNG 04: Modell einer Gewaltspirale im Rahmen gesellschaftsgesellschaftsinterner
Herausforderungen
ABBILDUNG 05: Variation der Gewaltsamkeit internationaler Konflikte in Form einer
Glockenkurve entsprechend der Differenz der hoheitlichen Zwangskapazitäten
TABELLE 02: Systemherausfordernde Gewaltbewegungen, 1978-2008
TABELLE 03: Häufigkeit terroristischer Aktionen pro Jahrzehnt im internationalen und
diachronischen Vergleich
TABELLE 04: Ethnische Protestmobilisierung im internationalen und diachronen Vergleich . 82TABELLE 05: Häufigkeit der Opfer terroristischer Aktionen pro Jahrzehnt im internationalen
und diachronischen Vergleich
TABELLE 06: Gewaltsamkeit ethnischen Protests im internationalen und diachronen Vergleich. 90 TABELLE 07: Häufigkeit gesellschaftsexterner Herausforderungen im internationalen und
diachronem Vergleich
TABELLE 08: Gewaltsamkeit gesellschaftsexterner Herausforderungen im internationalen und
diachronem Vergleich
TABELLE 09: Hoheitliche Repressivität als Operationalisierung der soziopolitischen
Polarisierung im internationalen und diachronischen Vergleich
TABELLE 10: Zwangsmachtdifferenz als Operationalisierung der Abschreckungsinkapazitätder potentiell von extrasozialen Herausforderern betroffenen Regierung gegenüber
potentiellen Herausforderern im internationalen und diachronem Vergleich
TABELLE 11: Demokratischer Konstitutionalismus als Operationalisierung der
Institutionalisierung von Protestkanälen im internationalen und diachronischen Vergleich... 113 TABELLE 12: Internationale Wechselwirkungen als Operationalisierung geringfügigerinternationaler Polarisierung und der Institutionalisierung der internationalen Beziehungen
im internationalen und diachronen Vergleich
TABELLE 13: Soziopolitische Exklusion ethnischer Gruppen als Operationalisierung der
Polarisierung zwischen ethnischen Gruppen und herrschender Kultur im internationalen
und diachronischen Vergleich
TABELLE 14: Verlust des Autonomiestatus, Gruppenkonzentration und transnationale
Dispersion im internationalen Vergleich
TABELLE 15: Determinanten der Häufigkeit terroristischer Aktionen in 114 Gesellschaften,
1978-2008
TABELLE 16: Determinanten der Protestmobilisierung 252 ethnischer Gruppen, 1985-2006 133TABELLE 17: Determinanten der Gewaltsamkeit terroristischer Aktionen, 1978-2008 134TABELLE 18: Determinanten der Gewaltsamkeit des Protests 241 ethnischer Gruppen, 19852006
TABELLE 19: Determinanten der Tendenz zur gesellschaftsexternen Herausforderung
politischer Systeme, 1978-2007
TABELLE 20: Determinanten der Tendenz zur gesellschaftsexternen Herausforderung
politischer Systeme, 1978-2007 (ohne Großmächte)
TABELLE 21: Determinanten der Gewaltsamkeit 219 gesellschaftsexterner Herausforderungen,
1978-2007
TABELLE 22: Determinanten der Gewaltsamkeit 153 gesellschaftsexterner Herausforderungen,
1978-2007 (ohne Großmächte)
1. EINLEITUNG
Politische Systeme sind alle Interaktionsmuster, die an der gesamtgesellschaftlich verbindli-chen Zuweisung von Werten orientiert sind, gesellschaftliche Eingaben in Form von Forde-rungen und Unterstützung verarbeiten und in Rückkopplung zu den Eingaben Ausgaben inForm verbindlicher Wertzuweisungen hervorbringen (EASTON 1957: 384; vgl. Abbildung 01).Die Geschichte politischer Systeme ist zugleich eine Geschichte ihrer gesellschaftsinternenund -externen Herausforderung. Herausforderungen politischer Systeme sind Handlungen vonhoheitlichen oder nicht-hoheitlichen Organisationen, welche die Komponenten des politischenSystems in Frage stellen.1 Ziele von politischen Herausforderungen können die Veränderungder Grenzen der politischen Gemeinschaft (z.B. Sezession oder Verschiebung internationalerGrenzen) oder der politischen Institutionen (z.B. Demokratisierung, Aufbau des Kommunis-mus oder Errichtung einer Theokratie) sein.
ABBILDUNG 01: Das politische System und der politische Prozess nach EASTON
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Politische Herausforderungen könnten sich ereignen, wenn sich im Inneren von oder zwi-schen Gesellschaften bestehende systemrelevante Konflikte zuspitzen. Systemrelevante Kon-flikte sind Interessengegensätze (Positionsdifferenzen) um nationale Werte von einiger Dauerund Reichweite zwischen mindestens zwei Parteien (Bewegungen und / oder Regierungen), die entschlossen sind, sie zu ihren Gunsten zu entscheiden (vgl. die Konzeption von PFETSCH1991: 8). Ausgangspunkt einer politischen Herausforderung ist das Vorhandensein eines la-tenten Konflikts. In einem latenten Konflikt werden zum Beispiel sozialen Gruppen oder einerganzen Gesellschaft bestimmte Werte vorenthalten, jedoch stellt die deprivierte Gruppe oderdie deprivierte Gesellschaft keine politischen Forderungen, die zu einer Linderung der Wert-vorenthaltung führen könnten. Die Herausforderung findet erst in der Phase der Konfliktmani-festation statt. In manifesten Konflikten werden von einem Herausforderer (gesellschaftsin-ternen nichthoheitlichen Organisationen oder gesellschaftsexternen Regierungen) politischeForderungen an einen Betroffenen (eine Regierung) im Hinblick auf die Herausgabe bestimm-ter Werte gestellt. Der Unterschied zwischen politischen Forderungen und Herausforderungenbesteht im Ausmaß, in dem die geforderten Wertzuweisungen die Integrität des politischenSystems gefährden. Gegebenenfalls können die weiteren von den Konfliktparteien ergriffenenMaßnahmen dazu führen, dass ihr Konflikt in einer Phase mündet, in der die Konfliktparteiengewaltsame Mittel zum Einsatz bringen.
Auf der gesellschaftlichen Ebene ereign(et)en sich die gesellschaftsinternen Herausforderun- gen der Institutionen, Persönlichkeiten und Praktiken der Herrscher durch die nominellenHerrschaftsunterworfenen (GURR 1970: 3), also durch nicht-hoheitliche Bewegungen. DieseHerausforderungen nehmen und nahmen ganz überwiegend die Form antisystemischer - eth-nisch-nationaler (sezessionistischer oder irredentistischer), sozialrevolutionärer oder religiöser
- Bewegungen an. Selten sind national-konservative Bewegungen, welche die politisch-ökonomischen Verhältnisse in einer Gesellschaft verteidigen, dabei allerdings das hoheitlicheZwangsmonopol herausfordern, oder eine an die Regierungsmacht gekommene sozialrevolu-tionäre Bewegung bekämpfen. Ethnisch-nationale Bewegungen wollen eine eigene politischverfasste Nation oder den Anschluss an eine andere Nation. Sozialrevolutionäre und religiöseBewegungen wollen tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen politisch-ökonomischer(Sozialismus oder Kommunismus) und / oder soziokultureller Art (Theokratie und / oderWiederherstellung religiöser Werte) herbeiführen und sind daher überwiegend machtfixiertbzw. an der Übernahme der Regierungsmacht orientiert. Aber auch ideologisch wenig reflek-tierte, machtfixierte Bewegungen von desertierten Militärkommandanten, Warlords und sons-tigen Potentaten, welche Regierungsmacht erobern oder ihre regionalen Herrschaftsansprüchegegen eine Zentralregierung durchsetzen wollen, finden sich zuhauf. In besonders blutigeKonflikte mit der Regierung im Zeitraum 1978-2008 verwickelt waren folgende Herausforde-rerbewegungen2:
Die machtfixierte UNITA in Angola (1978-1995, 1998-2002), die ethnisch-nationale LTTEvon Tamilen in Sri Lanka (1984-2001, 2003, 2005-2008), die ethnisch-nationale und sozialre-volutionäre PKK von Kurden in der Türkei (1984-2008), die sozialrevolutionäre / machtfi-xierte CPP / NPA in den Philippinen (1978-1995, 1997, 1999-2008), die ethnisch-nationaleKNU von Karen in Myanmar (1978-1992, 1995, 1997-2003, 2005-2008), die ethnisch-nationale OLF von Oromo in Äthiopien (1978, 1980-1981, 1983-1985, 1987-1992, 1994-1995, 1998-2008), die machtfixierte RENAMO in Moçambique (1978-1992), die ethnisch-nationale SPLM/A von Stämmen des südlichen Sudan (1093-2004), der sozialrevolutionäre /machtfixierte Sendero Luminoso in Peru (SL; 1982-1999, 2007-2008), die sozialrevolutionäre/ machtfixierte FMLN in El Salvador (1979-1991), die ethnisch-nationale EPLF von Eritreern in Äthiopien (1978-1991), die ethnisch-nationale ULFA von Assamesen in Indien (1990-1991, 1994-2008), die sozialrevolutionäre / machtfixierte CPB in Myanmar (1978-1988), diesozialrevolutionären / machtfixierten Volksmudschahedin (MEK) im Iran (1979-1982, 1986-1988, 1991-1993, 1997, 1999-2001), die ethnisch-nationale KIO von Kachin in Myanmar(1978-1992), die ethnisch-nationale FRETELIN aus der Bevölkerung von Osttimor in Indone-sien (1978-1989, 1992, 1997-1998), die ethnisch-nationale JSS/SB von Angehörigen der Chit-tagong-Hügelstämme in Bangladesch, die sozialrevolutionäre / machtfixierte CPN-M in Ne-pal (1996-2006) und die national-konservative Kontrabewegung FDN in El Salvador (1981-1989). Die religiöse Bewegung mit der stärksten Gewaltinvolvierung sind die radikal-islamischen Taliban in Afghanistan (1995-1996, 2003-2008). Eine Synopse systemherausfor-dernder Gewaltbewegungen befindet sich in Tabelle 02.3
Auf der Ebene der internationalen Beziehungen ereign(et)en sich gesellschaftsexterne Her ausforderungen politischer Systeme ganz überwiegend durch externe Regierungen und damit Konflikte um internationale Macht, politische Ideologie oder Grenzverläufe bzw. Territorium. Bei einem überwiegenden Anteil der internationaler Positionsdifferenzen handelt es sich um Grenzverlaufs- und Territorialkonflikte. Als besonders blutige Auseinandersetzungen im Zeitraum 1978-2008 sind diese Fälle zu nennen4:
Der Konflikt zwischen Iran und Irak um verschiedene Regionen (1. Golfkrieg; 1980-1988),zwischen Indien und Pakistan um die Kaschmir-Region (1984, 1987, 1989-1992, 1996-2003),zwischen China und Vietnam um verschiedene Regionen (1978-1981, 1983-1988), zwischenÄthiopien und Eritrea um die Badme-Region (1998-2000), zwischen Irak und dem v.a. vonder USA unterstützten Kuwait um die Zugehörigkeit Kuwaits zum Irak (2. Golfkrieg; 1990-1991), zwischen Laos und Thailand um den Verlauf der gemeinsamen Grenze (1986-1988),zwischen Äthiopien und Somalia um die Ogaden-Region (1983, 1987), zwischen einer Koali-tion um die USA und Irak um internationale Macht und den politischen Wechsel im Irak (3.Golfkrieg; 2003), zwischen Libyen und Tschad um den Aozou-Streifen (1987), zwischen Ar-gentinien und Großbritannien um die Falklandinseln (1982), zwischen Burkina Faso und Malium den Agacher-Streifen (1985), zwischen Djibouti und Eritrea um den Verlauf der gemein-samen Grenze (2008), zwischen Ecuador und Peru um die Region Cordillera del Condor(1995), zwischen Kambodscha und Thailand um den Verlauf der gemeinsamen Grenze (1978),zwischen Kamerun und Nigeria um die Bakassi-Region (1996), zwischen Nigeria und Tschadum den Tschad-See (1983), zwischen Panama und der USA um den politischen Wechsel inPanama (1989) und zwischen Tansania und Uganda um die Region Kagera Salient (1978).
Diese Studie nimmt sich zum Ziel, die Ursachen des Vorkommens und der Gewaltsamkeit dergesellschaftsinternen und -externen Herausforderung politischer Systeme zu identifizieren.
Die Erklärung politischer Herausforderungen und ihrer Gewaltsamkeit erfolgt im Rahmeneiner Theorie der Herausforderung politischer Systeme, die im Verlaufe dieser Untersuchungentwickelt werden soll. Diese Theorie begreift sich als eine genuin politikwissenschaftlicheTheorie, die sich ausschließlich auf politische Kausalmechanismen bezieht. Zur Erklärungwerden machtpolitische und politisch-institutionelle Ursachen sowie Herausforderungen alsUrsache von Herausforderungen in Betracht genommen. Nach Max WEBER ist Macht ein kon-stitutives Merkmal des Politischen: Politik sei ein „Streben nach Machtanteil oder nach Be-einflussung der Machtverteilung“ und „Werbung von Bundesgenossen und von freiwilligerGefolgschaft“ (Zitate in SCHMIDT 1995: V). Neben diesen machtpolitischen Faktoren „gehören zur Politik [aber] auch die Institutionen und Arenen, in denen um Machtanteil gerungen wird und Genossen und Gefolge geworben werden“ (ibidem).
Die Abhandlung dieses Forschungsprojektes erfolgt in drei Schritten. In einem ersten Schritt(Kapitel 2) werden theoretische Annahmen aufgestellt, innerhalb derer die Ableitung dermöglichen Ursachen bzw. die Formulierung und Begründung von Forschungshypothesen er-folgt. In einem zweiten Schritt, der in Kapitel 3 vorgenommen wird, werden in Form von ab-hängigen und unabhängigen Variablen die Operationalisierungen der erklärungsbedürftigenund erklärenden Komponenten vorgestellt und zum Zwecke von Hypothesentests einer empi-rischen Analyse zugeführt. Abschließend und viertens erfolgt in Kapitel 4 eine Darstellungder Forschungsergebnisse.
2. THEORETISCHE ANNAHMEN UND DEDUKTIONEN
Dieses Kapitel führt in zweierlei Sachverhalte ein. Erstens in die Theorie der Herausforderung politischer Systeme und zweitens in die mutmaßlichen Ursachen der Herausforderung politischer Systeme, die sich in Form von Hypothesen von der Theorie deduzieren lassen.
2.1 Theorie der Herausforderung politischer Systeme
Theorien sind wissenschaftliche Aussagensysteme, die aus Axiomen, Propositionen und Defi-nitionen bestehen (SCHNELL et al. 1995: 52). Während die als Axiome definierten Grundan-nahmen einer Theorie sich aus forschungsstrategischen und forschungspraktischen Gründeneiner Falsifikation entziehen, sind die von den Axiomen abgeleiteten Propositionen theoreti-sche Aussagen, die wissenschaftlicher Kritik zugänglich sind und sich nicht Versuchen einerFalsifikation entziehen können. Im Rahmen der hier vorliegenden Theorie politischer Heraus-forderungen angreifbar sind also lediglich die theoretischen Deduktionen und nicht das in denAxiomen sich wiederspiegelnde „Forschungsprogramm“ (LAKATOS 1974).
Nun erfolgt die Darstellung der wissenschaftlichen Aussagen, aus denen die Theorie politischer Herausforderungen besteht.
AXIOM 01: Handlungen potentieller oder tatsächlicher Herausforderer politischer Systeme erfüllen für diese die Funktion der Bedürfnisbefriedigung .
AXIOM 02: Die Bedürfnisbefriedigung potentieller oder tatsächlicher Herausforderer beinhaltet die Wahl von Handlungen, von denen die Handelnden glauben, dass sie ihre Bedürfnisse (ihren Nettonutzen) am besten befriedigen (maximieren). Bedürfnisbefriedigung im Rahmen von Handlungen erfolgt als Maximierung der Summe eines instrumentellen Erwartungsnutzens und eines expressiven Konsumnutzens.
Anmerkung zu Axiom 02: Erwartungsnutzen und Konsumnutzen
In der hier vorliegenden Theorie werden instrumentelle und expressive Handlungsorien-tierungen unterschieden, die gleichermaßen das Handeln der Menschen prägen(BRENNAN & LOMASKY 1993). Diese Dualität der Handlungsorientierungen fügt sichinsbesondere in die Handlungstypologie WEBERs, der zwischen zweckrationalem bzw.instrumentellem und zweckrationalem bzw. expressiven Handeln unterscheidet (WEBER1972). Instrumentelle Motivation beinhaltet, dass ein Akteur bei gegebenen Handlungs-bedingungen genau die Alternative wählt, die seine situative Nutzenerwartung maxi-miert. Die Nutzenerwartung ist die Summe der Produkte der Werte U bestimmter Fol-gen des Handelns mit den jeweiligen Erwartungen p, dass diese Konsequenzen mit demHandeln auch eintreten. „Personen versuchen also, ihren Nutzen in dem Sinne zu ma-ximieren, daß sie von den Handlungsalternativen, die sie wahrnehmen, diejenige aus-führen, die den höchsten Nettonutzen hat, d.h., deren Belohnungs- und Erwartungswerterelativ hoch sind“ (OPP 1978: 50). Handelnde, die indessen einer expressiven Motivati- on folgen, wollen ein Gefühl, eine Überzeugung oder die Konformität mit einer be-stimmten Ideologie, sozialen Norm oder Identität zum Ausdruck zu bringen. In denWorten WEBERs ist expressive bzw. wertrationale Handlungsmotivation „durch bewuß-ten Glauben an den - ethischen, ästhetischen, religiös oder wie sonst immer zu deuten-den - unbedingten Eigen wert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchem und un18 Theoretische Annahmen und Deduktionen abhängig vom Erfolg“ (WEBER 1972: 12; Hervorhebung im Original) geprägt. Diesesaxiologisch geleitete Handeln erfolgt demnach unabhängig davon, welche Folgen sichaus der Handlung ergeben. Expressives Handeln ist in diesem Sinne Selbstzweck, weiles dem Handelnden einen unmittelbar aus der Handlung fließenden Konsumnutzen ein-bringt und nicht (wie instrumentelles Handeln) eine Investition in erwartete Nutzen-ströme darstellt.
AXIOM 03: Instrumenteller Erwartungsnutzen bezieht sich auf die Befriedigung elitärer Bedürfnisse nach Machtprestige und auf die Befriedigung von Massenbedürfnissen nach sozialer Anerkennung und Sicherheit. Expressiver Konsumnutzen bezieht sich auf die Befriedigung der Bedürfnisse nach sozialer Zugehörigkeit und Vergeltung.
Anmerkung zu Axiom 03: Instrumentelle Nutzenargumente
Gemäß den Annahmen des instrumentalistischen Ansatzes in der Konfliktforschungstellt sich die Unterstützung intrasozialer Herausforderungen als ein Instrument zur Be-seitigung sozialer und privater Missstände sowie zur Produktion öffentlicher und priva-ter Güter dar. Wenden wir uns zunächst den als Unterversorgung mit kollektiven Güternzu verstehenden sozialen Missständen zu. Diese Güter sind die „grundlegenden undelementaren [von der Regierung] bereitgestellten Güter und Dienste, wie Verteidigung,Polizeischutz und allgemein das System von Recht und Ordnung“, die „so beschaffen[sind], daß sie jedem oder praktisch jedem innerhalb der Nation zugänglich sind“(OLSON 1968: 13). Protest als instrumentelles Handeln zur Beseitigung von Kollektiv-gutdefiziten lässt sich folgendermaßen definieren: „Wenn Personen bestimmte Hand-lungen ausführen, dann nennen wir diese Handlungen nur dann Protesthandlungen (oderProtest), wenn die Personen deutlich machen, daß die Handlungen andere dazu bringensollen, die nach ihrer Meinung die Deprivation bedingenden Sachverhalte ganz oderteilweise zu eliminieren“ (OPP 1978: 24). Apathie ist nach OPP das Gegenstück zu Pro-test. Apathie entspreche einer Tendenz zum Trittbrettfahren und impliziere, selbst untä-tig zu bleiben und die Kosten der Krisenbewältigung anderen zu überlassen. Unter demGesichtspunkt einer instrumentellen Handlungsorientierung stellt demnach die erfolg-reiche Beseitigung von Kollektivgutdefiziten selbst ein kollektives Gut dar, von demauch jene profitieren, die nicht an dessen Produktion teilgenommen haben. Daher müs-sen zumindest unter instrumentellen Gesichtspunkten private Vorteile wie Macht undReichtum in Aussicht stehen, damit ein sozialen Missständen ausgesetztes Individuumnicht apathisch bleibt. Da als instrumentell motiviert angenommene Akteure aufgrundder Trittbrettfahrerproblematik nicht bereit sind, zum Zwecke der Produktion kollekti-ver Güter zu protestieren oder zu kämpfen und stattdessen in Apathie verweilen, scheintdesweiteren eine Ausweitung der Betrachtung auf private Güter, die dem Ausschluss-prinzip - der Konsum eines Gutes durch A impliziert den Nicht-Konsum durch B - un-terliegen, angebracht. In der Bürgerkriegsforschung hat sich ein solches Vorgehen als„greed approach“ (Gier-Ansatz) einen Namen gemacht (COLLIER & HOEFFLER 2004).Die Herausforderung politischer Systeme wird hier letztlich modelliert als eine privateGüter an die Aufständischen verteilende Industrie, sodass „the insurgents areindistinguishable from bandits or pirates“ (GROSSMANN 1999: 269) und die Grenze zwi-schen Konfliktforschung und Kriminologie verschwimmt. COLLIER und HOEFFLER ma-chen mit der Verarmung der Gesellschaft bzw. der Unterversorgung mit privaten Güterneine zentrale Konflikt generierende soziale Krise aus. Oder umgekehrt: Je höher dasPro-Kopf-Einkommen bzw. das Wirtschaftswachstum, desto geringer sei das Risiko ei-nes Bürgerkrieges. Erklärbar sei dies mit den Opportunitätskosten einer Rebellion
Theorie der Herausforderung politischer Systeme 19
(COLLIER & HOEFFLER 1998: 565). Diese Kosten bezeichnen den Aufwand, den ein po-tentieller Rebell zu tragen hat, wenn er sich einer Rebellion anschließt und seine bishe-rige Lebensführung aufgibt. Ist diese von Armut und Perspektivlosigkeit geprägt, sinddie Opportunitätskosten einer Rebellion vor allem bei jungen Männern gering, womitein Anreiz zur Rebellion gegeben ist. Dieses Kalkül lässt sich in dem Motto „ich habewenig zu verlieren“ trefflich zusammenfassen. In einer Wohlstandsgesellschaft hinge-gen sind die Opportunitätskosten hoch, man hat viel zu verlieren und schreckt vor einemRebellendasein mit all seinen Unannehmlichkeiten zurück. Bei Außerachtlassung desals schwach wirkend angenommenen Kollekivgutanreizes ist von einem instrumentellenModell der innergesellschaftlichen Herausforderung politischer Systeme auszugehen,wie es von dem ökonomischen Modell der Revolution nahegelegt wird (TULLOCK 1971;SILVER 1971: 64). Es hält folgende Motivationskomponenten bereit: Erstens das Pro-dukt aus den privaten Belohnungen für das Individuum (z.B. Macht, Prestige und Ein-kommen), den es mit einem erfolgreichen Aufstand assoziiert und der von ihm perzi-pierten Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Aufstandes im Falle seiner eigenenNeutralität oder Nicht-Teilnahme, zweitens das Produkt der befürchteten Kosten auf-ständischer Unterstützung aufgrund von Bestrafung im Falle eines gescheiterten Auf-standes und der Wahrscheinlichkeit eines gescheiterten Aufstandes, drittens das Produktaus den befürchteten Kosten bei der Teilnahme an aufständischen Aktivitäten aufgrundphysischer Beeinträchtigung oder Vernichtung durch die Regierung (z.B. Inhaftierung,Folter, Verletzung oder Tod im Kampf) und der Wahrscheinlichkeit, dass diese Kostentatsächlich auferlegt werden und viertens die Opportunitätskosten aufständischer Unter-stützung entstehend aus dem Verzicht auf alternative Nutzen stiftende Aktivitäten. ImHinblick auf Opportunitätskosten verdienen auch jene Kosten Beachtung, die anfallen,wenn ein Individuum sich nicht den Herausforderern anschließt. Wenn eine Regierungbei der Bekämpfung einer Herausforderung willkürlich Gewalt anwendet, können, weildie Gewalt jeden treffen kann, die Kosten der Untätigkeit die Kosten eines Rebellenda-seins übertreffen. MASON & KRANE (1989: 175 ff.) beschreiben, wie die zunehmendeWillkür des von einer Regierung ausgeübten Zwangs immer größere Teile der Bevölke-rung dazu bringt, Schutz bei den Herausforderern der Regierung zu suchen.
Anmerkung zu Axiom 03: Machtprestige
Eliteaspiranten wünschen sich Macht - „Macht entweder als Mittel im Dienst anderer Ziele - idealer oder egoistischer - oder Macht ‚um ihrer selbst willen‘: um das Prestigegefühl, das sie gibt, zu genießen“ (WEBER 1994: 159).
Anmerkung zu Axiom 3: Das Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit
Der Konsumnutzen der Befriedigung des Bedürfnisses nach sozialer Zugehörigkeitkönne ein Triebfaktor des Engagements eines Menschen für systemherausfordernde Or-ganisationen sein. WINTROBE (2003: 2 f.) thematisiert diesen Sachverhalt, indem er dieBereitschaft von Menschen zur Teilnahme an Akten des Selbstmordterrorismus analy-siert. Er argumentiert, dass es möglich sei, dieses Phänomen in den Begriffen einer rati-onalistischen Theorie zu erklären und dass solche Akte bloß ein grenzwertiges Beispieleiner allgemeinen Klasse sozialer Handlungen bildeten, in der sich alle Menschen be-wegten. Ein Grund für die Bereitschaft zum Selbstmordattentat sei Solidarität bzw. dasBedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit. Solidarität werde typischerweise erworbendurch gruppenbezogene Aktivitäten in vielerlei sozialen und politischen Organisationen.Die Produktion von Solidarität könne als Tauschhandel analysiert werden, der Glau-bensinhalte und Werte betreffe. Das Individuum nehme die von der Gruppe sanktionier-ten Glaubensinhalte an und erhalte dafür im Austausch den aus sozialer Kohäsion flie20 Theoretische Annahmen und Deduktionen
ßenden Nutzen. Zur Erklärung des Phänomens sei nun die Inbezugnahme des sogenann-ten Solidaritätsverstärkers („solidarity multiplier“) entscheidend. Die dahinter stehendeGrundidee besage, dass ein Individuum als Ergebnis eines gegebenen Wandels der exo-genen Bedingungen mehr Gruppensolidarität als zuvor wünsche und zu deren Erhaltseine Gruppenaktivitäten steigere. Dabei gebe es seine eigenen Werte auf und ersetzesie durch die Werte der Gruppe, wodurch sich seine Nutzenfunktion verändere undmehr Gruppenwerte als zuvor beinhalte. Ein solcher Tausch bringe es mit sich, dass ei-ne Person mehr und mehr seine eigene Identität zugunsten der Identität der Gruppe, dievielleicht durch ihren Führer verkörpert werde, aufgebe. Dadurch gehe die Fähigkeitverloren, Entscheidungen zu treffen, die nicht im Einklang mit den Werten des Führersstünden. Die normale Tendenz des Grenznutzens der dem Gruppenmitglied zukommen-den Solidarität, bei zunehmender Realisierung von Solidarität abzunehmen, werdedurch die zunehmende Inkorporation der Werte des Führers in die Nutzenfunktion desMitglieds umgekehrt. Als Folge daraus wähle das Mitglied mehr Solidarität als es aufder Grundlage seiner ursprünglichen und noch autonomen Nutzenfunktion gewählt hät-te. Soweit der Prozess der Solidaritätsverstärkung. Unter bestimmten Bedingungen kön-ne dieser sich selbstverstärkende Prozess zunehmender Aneignung von Solidarität ei-nem grenzwertigen Bereich annähern, bei der Solidarität maximal und dieNutzenfunktion des Mitglieds jener des Führers identisch sei. In der Nähe dieses Be-reichs sei rationaler Selbstmord für die Gruppe möglich.
Anmerkung zu Axiom 03: Das Bedürfnis nach Vergeltung
Wahrscheinlich ist ein erheblicher Teil der expressiven Anreize zur Unterstützung intrasozialer Herausforderungen auf den Wert der Vergeltung erlittenen Unrechts zurückzuführen. Die Wirkungsmächtigkeit des Wunsches nach Vergeltung wird von einer langen Denktradition behauptet. ARISTOTELES sieht in seiner strafrechtlichen Zurechnungslehre den Grund für das Phänomen der Rache in der Empörung über erlittenes Unrecht begründet (LÖNING 1903: 462): Der durch die Rechtsverletzung empfundene Schmerz rufe im Verletzten den Trieb hervor, durch Wiederverletzung am Täter die erlittene Kränkung zu beseitigen und damit das Schmerzgefühl in ein Lustgefühl zu verwandeln. Dieser Trieb, eine besondere Art des sinnlichen Begehrens, wurzele tief in der menschlichen Natur, tiefer als andere Begierden. Der Rechtsgelehrte v. HIPPEL (1925: 500 f.) bezeichnete dieses Vergeltungsbedürfnis folgendermaßen:
Das Vergeltungsbedürfnis gegenüber Angriffen, schon von Aristoteles als mächtiger Naturtrieb gekennzeichnet, ist Ausfluß des Selbsterhaltungstriebes, der bei Tieren wie bei Menschen zu gewaltsamer Abwehr willkürlichen Angriffs als dem unbedingt notwendigen Mittel der Selbstbehauptung drängt. Mit elementarster Gewalt wirkt dieser Trieb in uns.
Eine Weiterentwicklung der antiken Sichtweise auf das Phänomen der Vergeltung istdie Frustrations-Aggressions-Theorie von DOLLARD et al. (1939). Ausgangspunkt derTheorie ist die Annahme, dass aggressives Verhalten immer eine motivationale Folgevon Frustration sei, womit erstens angenommen wird, dass das Auftreten aggressivenVerhaltens immer das Vorhandensein von Frustration voraussetze, und zweitens, dassdas Vorhandensein von Frustration immer zu irgendeiner Form aggressiven Verhaltensführe. Frustration ist nach DOLLARD et al. definiert als Störung einer zielgerichtetenHandlung, die zu einer Vorenthaltung erwarteter Belohnungen führe. Wiederum weiter-entwickelt wurde die Frustration-Aggression-Theorie von GURR, der in seiner Theorieder relativen Deprivation annahm, dass die auf eine Frustration gerichtete Gewaltbereit-schaft eines Menschen eine Funktion der Intensität der Frustration durch diese Quelle
Theorie der Herausforderung politischer Systeme 21
sei. Die angeborene Bereitschaft frustrierter Menschen, gegen die FrustrationsquelleVergeltung zu üben, verhalte sich proportional zu der Intensität der Frustration genausowie die gegenseitige Anziehungskraft von Objekten sich proportional zu ihrer relativenMasse und reziprok zu ihrem Abstand verhalte (GURR 1970: 37). Aus der Lehre vonGURR lässt sich weiter entnehmen, dass sich im Verlauf eines Konfliktprozesses die zu-nehmend feindselig werdende Beziehung zwischen den Kontrahenten zu einem eigen-ständigen Konfliktgegenstand entwickle, der die ursprünglichen Streitgegenstände über-lagert. GURR macht diesen Gedanken deutlich, indem er die Auswirkungen vonSanktionsmaßnahmen der Regierung auf die Handlungsorientierungen der Oppositionschildert (GURR 1970: 259). Anders als bei instrumentell orientierten, mit exogenen Prä-ferenzen ausgestatteten Akteuren, die sich bei Positionsdifferenzen nach einem Wech-selspiel aus Drohung und Gegendrohung auf einen ihren Zwangskapazitäten entspre-chenden Kompromiss einigten, seien die Werthierarchien der Akteure variabel undprozessabhängig (also nicht exogen, sondern endogen). Die Androhung und Auferle-gung von Sanktionen durch die Regierung verändere die Situationsbewertungen derOpposition: Je heftiger die Androhung und Anwendung von Sanktionen seien, destogrößer sei vermutlich der Wert, den die potentiellen Herausforderer der Vergeltungbeimäßen. Es sei angenommen zunächst instrumentell orientierte Regimekritiker riefeneinen Generalstreik aus, um ihre politische und ökonomische Position zu verbessern.Antworte die Regierung daraufhin mit Gewalt und lege den Streikführern Sanktionenauf, dann werde Vergeltung mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu einem zunehmend be-deutenden Wert für die Gegner der Regierung werden und der Konflikt werde eskalie-ren. Wenn die Gewaltanwendung massiv und die Sanktionen streng seien, könne derWert der Vergeltung eine gewichtigere Bedeutung annehmen als die politischen undökonomischen Werte, deren Erlangung dem Streik zugrunde lag. Die Bedeutung vonReziprozitäts- bzw. Vergeltungsnormen für die Konfliktaustragung nimmt demnach al-so mit zunehmender Schärfe des Konfliktprozesses zu. Bei dem soeben geschildertenModell eines Konflikts zwischen Herausforderer und Herausgefordertem ist die Ausei-nandersetzung nicht mehr nur ein „Kampf um Werte oder Statusansprüche, um Machtund knappe Ressourcen, in dem die Ziele der streitenden Parteien sich nicht nur auf dieErreichung der begehrten Werte, sondern auch auf die Neutralisierung, Verletzung oderBeseitigung ihrer Rivalen“ richten (COSER 1965: 232). Im Sinne der theoretischen Ori-entierung dieser Untersuchung sind Theoriesynthesen zu begrüßen, die den Wert derVergeltung als Nutzenargument in Rational-Choice-Modelle politischer Gewalt integ-rieren. Das als Vergeltung ausgeübte aufständische Handeln wird dabei nicht wegen zu-künftigen Gewinnen ausgeübt, sondern wegen dem direkt aus der Vergeltungshandlungfließenden Konsumnutzen. Akteure werden bei ihren Handlungswahlen den unmittelbaraus Vergeltung resultierenden Konsumnutzen gegen die erwarteten Kosten der Hand-lungskonsequenzen bzw. die Handlungsrisiken abwägen (BRAY 2009: 5).
DEFINITION 01: Systemherausfordernde Organisationen sind arbeitsteilig strukturierte, inFührungs- bzw. Entscheidungsrollen und Vollzugsrollen ausdifferenzierte Gruppierungenvon Menschen, die die Veränderung der Komponenten eines politischen Systems (politi-sche Gemeinschaft, Regierungssystem und Regierung) zum Ziel haben. Nicht-hoheitlicheOrganisationen sind Bewegungen, hoheitliche Organisationen sind Regierungen.
Anmerkung zu Definition 01: Führungs- und Entscheidungsrollen
Organisationen sind Gruppierungen, in denen „bestimmte Rechte oder Ressourcen ihrerMitglieder einer einheitlichen, gemeinsamen Disposition unterstehen und die Entschei22 Theoretische Annahmen und Deduktionen dung über den Einsatz zusammengelegter Ressourcen in irgendeiner Weise zentralisiert ist“ (VANBERG 1979: 107).
DEFINITION 02: Macht ist die Chance, Menschen zu Folgsamkeit zu bewegen. Zwangs-macht ist die Chance, Menschen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt zuFolgsamkeit zu bewegen. Konsensuale Macht ist die Chance, Menschen durch Überzeu-gung oder die Inaussichtstellung der Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu Folgsamkeit zu be-wegen.
Anmerkung zu Definition 02:
Eine ähnliche Definition von Macht findet sich bei WEBER (1972: 28). Definition von Zwangsmacht und konsensualer Macht in Anlehnung an PFETSCH (1995: 84 f.).
PROPOSITION 01: Die Präferenz von Menschen für die Unterstützung von oder für die Mitgliedschaft in systemherausfordernden Organisationen variiert entsprechend der ihnen von der Organisation bereit- oder in Aussicht gestellten Bedürfnisbefriedigung. Die Präferenz der Mitglieder systemherausfordernder Organisationen für die effektive und effiziente Ausübung ihrer organisatorischen Rollen variiert entsprechend der ihnen von der Organisation bereit- oder in Aussicht gestellten Bedürfnisbefriedigung. Die Führer systemherausfordernder Organisationen präferieren eine Politik, von der sie glauben, dass sie den Organisationserfolg und damit zugleich ihre elitären Bedürfnisse befriedigt.
PROPOSITION 02: Das Ausmaß, in dem die Regierung mit Zwangsmacht und / oder konsensualer Macht ausgestattet ist, variiert entsprechend dem Ausmaß der von ihr durch Wertzuweisungen bereitgestellten (in Aussicht gestellten) und / oder entzogenen (als entzogen angedrohten) Bedürfnisbefriedigungen. Zwangsmacht basiert auf negativen, konsensuale Macht auf positiven Wertzuweisungen durch die Regierung.
PROPOSITION 03: Die Entstehungs- und Wachstumschancen systemherausfordernder Bewegungen variieren reziprok entsprechend dem Ausmaß, in dem die Regierung des (potentiell) herausgeforderten politischen Systems mit Macht - Zwangsmacht und / oder konsensualer Macht - ausgestattet ist.
PROPOSITION 04: Die Präferenz von Regierungen für gesellschaftsexterne Herausforderungen variiert reziprok entsprechend dem Ausmaß, in dem die Regierung des (potentiell) herausgeforderten politischen Systems mit Macht - Zwangsmacht und / oder konsensualer Macht - ausgestattet ist.
PROPOSITION 05: Die Präferenz der Führer systemherausfordernder Organisationen für gewaltsame Strategien variiert reziprok entsprechend dem Ausmaß, in dem die Regierung des herausgeforderten politischen Systems mit Macht - Zwangsmacht und / oder konsensualer Macht - ausgestattet ist.
Anmerkung zu Proposition 05: Strategische Pr ä ferenz führender Herausforderer
Strategisches Handeln ist instrumentelles Handelns, das nicht auf relativ stabile Um-weltanreize reagiert, sondern ein Handeln, das auf die Handlungen anderer reagiert. EiTheorie der Herausforderung politischer Systeme 23
ne strategische Handlungssituation impliziert, dass die Akteure insofern interdependentsind, als dass das Ergebnis ihrer Interaktion sowohl von der Entscheidung des einen Ak-teurs als auch von der Entscheidung seines Opponenten abhängt (SNYDER & DIESING1977: 37). Der instrumentelle Ansatz problematisiert die strategische Orientierung füh-render Herausforderer (Bewegungsführer und externe Regierungen) als Erklärung dervon ihnen angeordneten Maßnahmen der Konfliktaustragung, ihrer direkten oder indi-rekten Adressaten und ihrer Gewaltsamkeit. Den als instrumentell-strategisch orientiertangenommenen führenden Herausforderern stehen gewaltfreie bzw. kooperative Strate-gien und gewaltsame bzw. nicht-kooperative Strategien als Alternativen der Konflikt-austragung zur Verfügung. Mit SCHELLING (1966) können Gewaltstrategien als Teil ei-nes Verhandlungsprozesses angesehen werden, in dem die Konfliktparteien die Lösungdes Konflikts mit gewaltsamen Mitteln anstreben. “[War] appears to be, and threatens tobe, not so much a contest of military strength as a bargaining process - dirty, extortio-nate, and often quite reluctant bargaining on one side or both - nevertheless a bargain-ing process” (SCHELLING 1966: 7). Gewalt fungiere meistens als Verletzungsmacht(“power to hurt”), einer Strategie, die eher darauf abziele, dem Konfliktopponentendurch die gewalttätige Auferlegung von Kosten Konzessionen abzuringen, und wenigereinen militärischen Sieg über diesen zu erringen. Diese Sicht entspricht dem Diktumvon CLAUSEWITZ, der Krieg sei eine Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln.
An dieser Stelle sollen mit dem strategischen Modell des Gefangenendilemmas, einemVerhandlungsmodell des Krieges und einem Modell terroristischer Gewaltproduktiondrei Ansätze der Modellierung instrumentell-strategischen Handelns vorgestellt werden.
Das Gefangenendilemma stellt die bekannteste Modellierung in der Spieltheorie dar. Esbesteht aus einem Satz von zwei eigennützig-rationalen Spielern bzw. Akteuren, einerkooperativen und einer nicht-kooperativen bzw. defektiven Strategie und vier mögli-chen Auszahlungen. Die beste Auszahlung erhält ein Spieler, wenn er der „Versuchungzu defektiveren“ erliegt und der andere Spieler kooperiert. Die zweitbeste Auszahlungerfolgt in Form einer „Belohnung für wechselseitige Kooperation“. Eine „Bestrafungfür wechselseitige Defektion“ stellt die zweitschlechteste Auszahlung dar. Die Positioneines „gutgläubigen Opfers“ (schlechteste Auszahlung) nimmt ein kooperierender Spie-ler ein, dessen Gegenspieler defektiert (AXELROD 2000: 7). Am Beispiel des Rüstungs-wettbewerbs der Supermächte im Kalten Krieg lässt sich diese Spielkonstellation ge-nauer verstehen (ZANGL 2006: 125 f.):
Diese Interessenkonstellation kann in Bezug auf die internationale Politik bei-spielsweise anhand des Rüstungswettlaufs zwischen den USA und der UdSSRwährend des Kalten Krieges veranschaulicht werden. Jede Supermacht hatte einInteresse, durch ihre Rüstungsausgaben gegenüber der jeweils anderen Super-macht einen Sicherheitsvorteil zu gewinnen und versuchte zugleich einen Sicher-heitsvorteil des anderen unbedingt zu verhindern. Da diesem Interesse entspre-chend beide ihre Rüstungsausgaben fortlaufend ausdehnten, konnte keine derbeiden Supermächte die eigene Sicherheit verbessern. Aufgrund der Wohlfahrts-verluste, die sie durch ihre Rüstungsanstrengungen zu verkraften hatten, wärenRüstungskontrollvereinbarungen im beiderseitigen Interesse gewesen […]. Da an-ders als in hierarchischen [hoheitlichen] Strukturen in den anarchischen Struktu-ren der internationalen Politik Kooperation nicht zentral durchgesetzt werdenkann, waren Rüstungskontrollvereinbarungen, welche die Interessen beider beför-dert hätten, kaum zu erreichen. Für jede Supermacht bestand in dieser Interessen-konstellation zum einen ein Anreiz, heimlich aus etwaigen Rüstungskontrollver-einbarungen auszuscheren, um sich einen Sicherheitsvorteil zu verschaffen und zugleich die Angst, daß der andere durch vereinbarungswidrige Rüstungsmaßnahmen einen Sicherheitsvorteil erreicht […]. Diese Interessenkonstellation, bei der beide ihre gemeinsamen Interessen dadurch verfehlen, dass sie jeweils versuchen, ihre individuellen Interessen zu wahren, lässt sich spieltheoretisch wie folgt darstellen [vgl. Tabelle 01].
TABELLE 01: Das Gefangenendilemma - Rüstungswettlauf
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Modell prognostiziert, dass eigennützige und rationale Akteure bei einem einzigen,simultanen Spielzug defektieren, sodass beide Spieler die Strafe für wechselseitige De-fektion hinnehmen müssen. Immerhin vermeiden sie durch ihre Strategiewahl dieschlechteste Auszahlung für ein gutgläubiges Opfer. AXELROD (2000: 3) beschreibt dasaus der Spielkonstellation des Gefangenendilemmas hervorgehende Problem der Ko-operation mit folgender Frage:
Unter welchen Bedingungen entsteht Kooperation in einer Welt von Egoisten oh-ne zentralen Herrschaftsstab? Diese Frage hat die Menschen aus gutem Grund seitlanger Zeit fasziniert. Wir wissen alle, daß Menschen keine Engel sind, und daßsie dazu neigen, in erster Linie für sich selbst und ihre eigene Interessen zu sorgen[…]. Heute gehen [Regierungen] ohne eine zentrale Kontrollinstanz miteinanderum. Deshalb sind die Bedingungen für die Entstehung von Kooperation bedeut-sam für viele zentrale Fragen internationaler Politik. Das wichtigste Problem ist das Sicherheitsdilemma: [Regierungen] verwenden für ihre eigene Sicherheit häufig solche Mittel, die die Sicherheit anderer bedrohen. Dieses Problem taucht bei eskalierenden lokalen Konflikten und beim Rüstungswettlauf auf.
Die Antwort auf diese Frage lautet (AXELROD 2000: 11):
Die Entwicklung der Kooperation wird dadurch ermöglicht, daß die Spieler immer wieder aufeinander treffen können. Dies bedeutet, daß gegenwärtige Entscheidungen nicht allein den Ausgang des gegenwärtigen Treffens bestimmen, sondern auch die späteren Entscheidungen der Spieler beeinflussen können. Die Zukunft kann folglich einen Schatten auf die Gegenwart zurückwerfen und dadurch die aktuelle strategische Situation beeinflussen.
Das Verhandlungsmodell von FEARON (1995) enthält folgende Aussagen: Gegeben sei-en zwei Akteure A und B (z.B. die Regierung und eine Rebellengruppe oder zwei Re-gierungen), die über wohldefinierte Präferenzen bezüglich der Aufteilung eines Streit-gegenstandes (z.B. ein Territorium oder Eigentumsrechte) verfügten. A präferiere dieKontrolle über das ganze Gebiet oder die Inkraftsetzung von Eigentumsrechten. Dassel-be gelte für B. Auf einer einzelnen Dimension, die einen Wertbereich zwischen 0 und 1abbilde, befinde sich der Idealpunkt von A weit rechts bei 1 und der Idealpunkt von Bweit sozialrevolutionär / machtfixiert bei 0 (vgl. Abbildung 02). Die Aufteilung desKonfliktgutes sei bestimmt durch das entweder tatsächliche oder erwartete Ergebnis ei-ner kriegerischen Auseinandersetzung (q). Wenn die Kontrahenten den bewaffnetenKampf aufnähmen, um die Aufteilung des Gutes zu verändern, erlegten sie sich gegen-seitig die Kosten a und b auf. Ihr Nettovorteil bei einem Kampf liege für A bei q - a undfür B bei q + b. Weil Kämpfen kostspielig sei, eröffne sich ein Verhandlungsraum zwi-schen q - a und q + b, innerhalb dessen beide Konfliktparteien jedes Aufteilungsverhält-nis des Gutes einem tatsächlichen Krieg vorzögen. Sogar wenn eine Seite aufgrund ei-nes Zuwachses an Zwangsmacht das tatsächliche oder erwartete Aufteilungsverhältnisaufgrund eines Krieges von q nach p verschieben könne, bestehe immer noch ein Ver-handlungsraum zwischen p - a und p + b, in dem die Akteure einen größeren Anreizzum Verhandeln als einen Anreiz zum Kampfe hätten. Zum Krieg komme es allerdings,wenn drei Bedingungen vorlägen:
(1) Es bestünden zwischen den Kontrahenten abweichende Wahrnehmungen über Kräf-teverteilungen und das Resultat eines Krieges, weil sie über private Informationenverfügten, die dem jeweiligen Kontrahenten vorenthalten werden könnten.
(2) Eine der beiden Parteien oder beide Parteien könnte(n) der jeweiligen Gegenseitenicht glaubhaft machen, dass sie das in einem Kompromiss festgehaltene Auftei-lungsverhältnis in Zukunft respektieren würde(n).
(3) Der Konfliktgegenstand sei unteilbar (z.B. aufgrund der Wahrnehmung eines Terri-toriums als heilig oder als Heimat).
ABBILDUNG 02: Kosten des Krieges und effektives Verhandeln
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Alle drei Aspekte sind für unsere Studie von Bedeutung. Die Ungewissheit der Kontra-henten eines Konflikts über die wahren Zwangskapazitäten des jeweiligen Gegners unddes Ergebnisses eines Krieges könnte erstens eine Hypothese begründen, der zufolgeRegierungen, deren Zwangskapazitäten sich einem Gleichgewicht annähern, stärker zuinternationalem Krieg tendieren als Dyaden mit einer stark ungleichen Verteilung derZwangskapazitäten. Bei einer ungleichen Verteilung scheint unter Regierungen wenigerZweifel am Ergebnis eines Krieges zu bestehen. Diese Hypothese wird in Abschnitt 2.2.1.2.3 nochmals aufgegriffen. Der zweite Aspekt verweist auf die friedenssicherndeFunktion internationaler Institutionen, ohne deren Wirken die Erwartungsverlässlichkeitzwischen Streitparteien vermutlich geringer und damit deren Gewaltbereitschaft höherwäre. Auf die pazifizierende Wirkung internationaler Institutionen wird in Abschnitt 2.2.2.3.1 eingegangen. Drittens ist es die Unteilbarkeit eines umstrittenen Gutes, die einen Kompromiss verhindert und damit die Wahrscheinlichkeit internationalen Kriegs erhöht. Dieser Sachverhalt wird teilweise in Abschnitt 2.2.1.1.3 thematisiert, wo in unversöhnlichen Differenzen zum Ausdruck kommende Polarisierung als Hemmnisfaktor einer friedlichen Konfliktbearbeitung behandelt wird.
SÁNCHEZ-CUENCA (2007) geht in seinem Modell der Produktion terroristischer Gewaltvon zwei Arten von Handlungsbeschränkungen aus, die die strategischen Handlungsal-ternativen der Anführer einer terroristischen Organisation prägen. Im Rahmen der pr ä -ferenziellen Beschr ä nkung müssten die terroristischen Führungskräfte die Gewaltsam-keit ihrer Aktivitäten den Präferenzen und der Radikalität ihrer (potentiellen)Sympathisanten anpassen. Es sei oft der Fall, dass die Bezugsgruppe der Terroristengemäßigtere Gewaltpräferenzen aufweise als die Terroristen selbst. Die Unterstützerkönnten willkürliche Angriffe auf die Bevölkerung ablehnen. Wenn die Terroristen dieUnterstützung der weniger radikalen Teile ihrer Sympathisanten behalten wollten,müssten sie auf bestimmte Gewaltformen verzichten (SÁNCHEZ-CUENCA 2007: 7 f.). InBezug auf materielle Beschr ä nkung, die Restriktionen im Hinblick auf potentielle Rek-ruten, Geld, Nachrichtenmaterial, Waffen usw. beschreibe, sei es offensichtlich, dass dieHerausforderung des politischen Systems umso stärker ausfalle, je mehr eine terroristi-sche Organisation über materielle Ressourcen verfüge. In Abwesenheit von externerHilfe durch Regierungen oder von Exilantengemeinschaften sei die Ressourcenausstat-tung der Terroristen eine Funktion der Unterstützung in ihrer Bezugsgruppe. Je größerdiese Unterstützung sei, desto besser sei die Ressourcenausstattung (idem: 8). Jede die-ser beiden Arten der Beschränkung terroristischer Aktivitäten erzeuge ein unterschiedli-ches Austauschverhältnis bei der Entscheidung über die Selektivit ä t und die strategi-schen Ziele der Gewaltakte. Eine hohe Selektivität sei gegeben, wenn die Gewalt durchdas Handeln eines Individuums (z.B. eines Regierungskollaborateur) ausgelöst werde,während von einer geringen Selektivität dann zu sprechen sei, wenn die eingesetzte Gewalt insofern willkürlich sei, als ihr Menschen zufällig und nicht nach Auswahl zumOpfer fielen (idem: 11). Hinsichtlich der Ziele seien Kontrolle und Zermürbung („attri-tion“) zu unterscheiden. Kontrollstrategien setzten ausschließlich auf selektive Gewaltund beinhalteten entweder die Ausschaltung von Akteuren, die der Sicherheit oderSchlagkräftigkeit der Gewaltorganisation schaden könnten (z.B. Verräter oder konkur-rierende Terrororganisationen) oder die Gewinnung neuer Unterstützer (z.B. durch dieTötung von Drogen-Dealern). Zermürbung sei eine gegen die Regierung gerichtete Stra-tegie, die sowohl in selektiven Anschlägen gegen Vertreter der Regierung (z.B. Polizis-ten, Soldaten, Beamte oder Richter) als auch willkürlichen Anschlägen münde und da-rauf abziele, die Kosten der Regierung dermaßen zu erhöhen, dass sie zu Konzessionengegenüber den Terroristen (meistens: Abzug der ‚Besatzungsmacht‘) bereit sei. ZweiHypothesen seien aus den Modellkomponenten zu folgern: (1) Je stärker die Gewaltprä-ferenzen der Unterstützer ausgeprägt seien, desto höher sei der Anteil willkürlicher Ge-waltakte. (2) Je besser die Ressourcenausstattung der terroristischen Organisation, destogrößer sei die relative Bedeutung von Zermürbungsstrategien gegenüber Kontrollstrate-gien.
PROPOSITION 06: Der Erfolg von systemherausfordernden Bewegungen variiert entsprechend der Institutionalisierung von Protestkanälen.
PROPOSITION 07: Die Präferenz von hoheitlichen Entscheidungsträgern für gesellschaftsex-terne Herausforderungen variiert reziprok entsprechend der Institutionalisierung von De-mokratiestrukturen in der Gesellschaft des potentiellen gesellschaftsexternen Herausforde-rers.
PROPOSITION 08: Die Präferenz von hoheitlichen Entscheidungsträgern für gesellschaftsexterne Herausforderungen variiert reziprok entsprechend der Institutionalisierung der internationalen Beziehungen.
PROPOSITION 09: Die Präferenz der Führer systemherausfordernder Bewegungen für ge-waltsame Strategien variiert reziprok entsprechend der Institutionalisierung von Protestka-nälen.
PROPOSITION 10: Die Präferenz der Entscheidungsträger systemherausfordernder Regierungen für gewaltsame Strategien variiert reziprok entsprechend der Institutionalisierung von Demokratiestrukturen in der Gesellschaft des gesellschaftsexternen Herausforderers
PROPOSITION 11: Die Präferenz der Entscheidungsträger systemherausfordernder Regierungen für gewaltsame Strategien variiert reziprok entsprechend der Institutionalisierung der internationalen Beziehungen.
2.2 Ursachen der Herausforderung politischer Systeme
Im Folgenden werden nun die Ursachen der Herausforderung politischer Systeme vorgestellt.Diese Ursachen leiten sich aus den Propositionen der Theorie politischer Herausforderungenab und stellen Konkretisierungen derselben dar. Die darzustellenden Ursache-Wirkung28 Theoretische Annahmen und Deduktionen
Beziehungen werden in Form von Hypothesen dargestellt. Allgemein entfalten die Ursachen ihre Wirkung in Form von mehr oder weniger gut beobachtbaren Restriktionen, denen potentielle oder tatsächliche politische Herausforderer in einer bestimmten Handlungssituation unterliegen: „Ändern sich die Restriktionen, so werden bestimmte Handlungsalternativen relativ mehr und andere relativ weniger vorteilhaft“ (KIRCHGÄSSNER 1991: 26).
Jeder Hypothese sind Kürzel zugeordnet, die ihren Inhalt in Kurzform zusammenfassen. INTERN und EXTERN kennzeichnen, ob sich die Hypothese auf die Erklärung gesellschaftsgesellschaftsinterner oder gesellschaftsexterner Herausforderungen bezieht. Zudem gibt die Ziffer G Auskunft darüber, dass nicht die Tendenz zur Herausforderung politischer Systeme Inhalt einer Hypothese ist, sondern die Gewaltsamkeit der jeweiligen Herausforderung. Schließlich gibt es Kürzel, die Angaben über den Ursachenteil der Hypothese machen. ZM, KM und I geben an, ob vermutete Verursachungsfaktoren den Ursachentypen Zwangsmacht, konsensuale Macht oder Institutionen zuzuordnen sind.
2.2.1 Machtpolitische Ursachen
Es gibt zwei Formen politischer Macht, mit denen Regierungen den Gehorsam der nominellen Herrschaftsunterworfenen oder anderer Nationen evozieren und damit zugleich ihre Bereitschaft zu systemherausforderndem Handeln begrenzen: Zwangsmacht und konsensuale Macht (PFETSCH 1995: 84 f.). Zwangsmacht ist die Chance, Menschen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt zu Folgsamkeit zu bewegen. Konsensuale Macht ist die Chance, Menschen durch Überzeugung oder die Inaussichtstellung von Nutzen zu Folgsamkeit zu bewegen. Das Fehlen dieser Machtquellen könnte eine wichtige Ursache für Vorkommen und Gewaltsamkeit intrasozialer und extrasozialer Herausforderungen sein.
2.2.1.1 Soziopolitische und internationale Polarisierung als Konkretisierung fehlender kon-sensualer Macht
Die Variationsdimension der Polarisierung beschreibt das Ausmaß, in dem soziale Gruppenoder Gesellschaften bzw. Nationen in unversöhnliche gegnerische Lager gespalten sind unddie Spaltungen kaum mehr mit Verhandlungen und Kompromissen überbrückt werden kön-nen. Polarisierung stellt das innergesellschaftlich oder international bestehende Gewaltpoten-tial dar. Es wird angenommen, dass sich das Fehlen konsensualer Macht in Polarisierung kon-kretisiert. Unversöhnlichkeit steht für mangelnde Folgsamkeit. Im Folgenden wird diePolarisierung zwischen den Angehörigen derselben Gesellschaft soziopolitische Polarisie- rung, die Polarisierung zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Gesellschaften internati-onale Polarisierung genannt.
Drei Funktionen der Polarisierung - (1) Faktor der Entstehung systemherausfordernder Be-wegungen, (2) Faktor der Gewalteskalation politischer Herausforderungen und (3) Hemmnis-faktor ausgehandelter Kompromisslösungen - stellen theoretische Begründungen dieser Hy-pothesen dar.
HYPOTHESE INTERN-KM: Die Tendenz zu gesellschaftsinternen Herausforderungen variiert entsprechend der soziopolitischen Polarisierung.
HYPOTHESE G-INTERN-KM: Die Gewaltsamkeit gesellschaftsinterner Herausforderungen variiert entsprechend der soziopolitischen Polarisierung.
HYPOTHESE EXTERN-KM: Die Tendenz zu gesellschaftsexternen Herausforderungen variiert entsprechend der internationalen Polarisierung.
HYPOTHESE G-EXTERN-KM: Die Gewaltsamkeit gesellschaftsexterner Herausforderungen variiert entsprechend der internationalen Polarisierung.
Ursachen der Herausforderung politischer Systeme 29
2.2.1.1.1 Faktor der Entstehung systemherausfordernder Bewegungen
Ausgangspunkt der Entstehung von Bewegungen, die ein politisches System herausfordern,ist ein latenter Interessenkonflikt zwischen zwei gesellschaftlichen Gruppen. Latenz bedeutet,dass die Bedürfnisbefriedigungen in einer sozialen Gruppe die Bedürfnisbefriedigungen ineiner andern sozialen Gruppe beeinträchtigen, dieser Interessengegensatz jedoch nicht in kol-lektivem Handeln mit dem Ziel der Beseitigung dieses Gegensatzes mündet. Dabei besteht einkausaler Zusammenhang zwischen Interessengegensatz und soziopolitischer Polarisierung:Die soziopolitische Polarisierung variiert entsprechend der Positionsdifferenz zwischen sozia-len Gruppen. Zunehmende soziopolitische Polarisierung scheint dann die zentrale Triebkraftzu sein, die latente Konflikte zu manifesten Konflikten eskalieren lässt. Konflikte von natio-naler Bedeutung manifestieren sich in Form von systemherausfordernder Bewegungen, diesich Veränderungen der Komponenten des politischen Systems als Ziel nehmen. Abbildung 03 zeigt ein Modell, das die Entstehung systemherausfordernder Bewegungen erklärt. Aus-gangspunkt ist die Benachteiligung einer sozialen Gruppe auf gesellschaftlicher Ebene. Dieseführt auf der Ebene der Angehörigen der diskriminierten Gruppe - vermittelt durch Unzufrie-denheit, Verärgerung und steigendes Gruppenbewusstsein - zu erhöhten Bedürfnissen nachMachtprestige, Sicherheit, Solidarität und Vergeltung. Die gesellschaftliche Ebene reflektiertdiese menschlichen Regungen als soziopolitische Polarisierung. Polarisierte Gesellschaftenstellen wiederum günstige Gelegenheiten (Opportunitäten) für politisches Unternehmertumdar. In ihren Machtbedürfnissen frustrierte Eliteaspiranten aus den Reihen der benachteiligtensozialen Gruppen tendieren zur Gründung von systemherausfordernden Bewegungen, dieihren potentiellen oder tatsächlichen Mitgliedern und Unterstützern die Befriedigung ihrerBedürfnisse bereit- oder in Aussicht stellen. Motivationale Triebkräfte der Gründung vonBewegungen sind annahmegemäß vor allem die aus frustrierten elitären Bedürfnissen resultie-renden Vergeltungsbedürfnisse (GURR 1970: 143 ff.) und die polarisierungsinduzierten erhöh-ten Erfolgsaussichten und reduzieren Kosten des Strebens nach Machtprestige im Rahmensystemherausfordernder Bewegungen (WIMMER 2002: 95 f.).
ABBILDUNG 03: Modell der Entstehung systemherausfordernder Bewegungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2.1.1.2 Faktor der Gewalteskalation politischer Herausforderungen
Das an das Modell der Produktion terroristischer Gewalt von SÁNCHEZ-CUENCA (2007) ange-lehnte Modell in Abbildung 04 fasst die Auswirkungen soziopolitischer Polarisierung auf dieGewaltsamkeit gesellschaftsgesellschaftsinterner Herausforderungen zusammen: Zunächstführt die Erhöhung der Repressivität hoheitlichen Zwangs gegenüber bestimmten sozialenGruppen z.B. als Reaktion auf die Mobilisierung einer systemherausfordernden Bewegung -vermittelt durch Furcht, Verärgerung und steigendes Gruppenbewusstsein - zu erhöhten Be-dürfnissen nach Machtprestige, Sicherheit, Solidarität und Vergeltung. Die auf diesen Bedürf-nissen resultierende (steigende) Polarisierung zwischen unterdrückten und herrschendenGruppen erhöht die gewaltstrategischen Opportunitäten führender Herausforderer in zweierleiWeise.
[...]
1 Von der Verwendung des Staatsbegriffs wird in dieser Studie abgesehen. Stattdessen wird eine Annäherung an die systemtheoretische Terminologie von EASTON versucht. Bei den im Verlauf der Studie erfolgenden Darstellungen der Argumentationsmuster aus der Literatur wird anstelle des Staatsbegriffs der Begriff der Hoheit bzw. Regierung oder der Begriff des politischen Systems ausgewiesen. Dies mag Sinn machen, weil der Staatsbegriff verschleiert, ob mit ihm nun die Regierung als staatliche Handlungseinheit oder die politisch organisierte Gesellschaft gemeint ist.
2 Die Bestimmung der Bewegungen und die Rangfolge bezüglich ihrer Involvierung in Gewaltkonflikte beruht auf der Summe der Gewaltintensitäten der bewaffneten Konflikte im Zeitraum 1978-2008, an denen die jeweiligen Bewegungen teilgenommen haben. Datengrundlage ist das „Armed Conflict Datset“ des UPPSALA CONFLICT DATA PROGRAM (UCDP) und des INTERNATIONAL PEACE RESEARCH INSTITUTE, OSLO (PRIO) (UCDP & PRIO 2011).
3 Die Tabellen 02-22 befinden sich im Anhang dieser Schrift.
4 Die Rangfolge der nach Gewaltintensität gewichteten internationalen Konflikte wurde ebenfalls auf Grundlage der Daten des „Armed Conflict Datset“ (UCDP & PRIO 2011) berechnet.
- Arbeit zitieren
- Christoph H. Maaß (Autor:in), 2012, Die gesellschaftsinterne und -externe Herausforderung politischer Systeme, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/189868
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