Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Wirtschaftliche Grundlagen des Cash Pooling
I. Begriffliche Einordnung
II. Funktionsweise
1. Physisches Cash Pooling
2. Virtuelles Cash Pooling
III. Wirtschaftliche Vorteile
IV. Wirtschaftliche Risiken
Rechtliche Qualifikation des Cash Pooling
I. Rechtsnatur der Zahlungsströme
II. Rechtsverhältnis zwischen Pool- und Finanzierungsgesellschaft
III. Rechtverhältnis zwischen Konzern und Kreditinstitut
Kapitalschutz als Grenze des Cash Pooling
I. Kapitalerhaltung
1. Der Grundsatz der Kapitalerhaltung
2. Kapitalerhaltung und Cash Pooling vor dem MomiG
a. Das „November-Urteil“ vom 24
b. Auswirkungen des November-Urteils auf die Cash Pool Praxis
3. Kapitalerhaltung und Cash Pooling nach Inkrafttreten des MoMiG
a. Vollwertigkeitsgebot
aa. Maßgeblichkeit bilanzieller Grundsätze
bb. Drittvergleich
(1) Rendite
(2) Besicherung
(3) Liquidität
(4) Zusammenfassung
cc. Bemessung anhand Rating
b. Deckungsgebot
c. Rechtsfolgen einer verbotenen Auszahlung
II. Kapitalaufbringung
1.Behandlung von Altfällen
2.Relevanter Zeitpunkt der Unterscheidung
3.Die verdeckte Sacheinlage § 19 IV GmbHG
a. Tatbestand
b. Rechtsfolgen
c. Kontokorrentproblematik
4.Hin- und Herzahlen im Cash-Pool
a. Tatbestand
b. Erfüllungswirkung
c. Rechtsfolge
5.Verhältnis zwischen der verdeckten Sacheinlage und dem Hin- und Herzahlen
6.Haftung der Beteiligten
7.Gestaltungsmöglichkeiten für eine ordnungsgemäße Kapitalaufbringung
a. Sonderkonto
b. Einbringung einer offenen Sacheinlage
c. Einstellung von Eigenkapital in Rücklagen Fehler! Textmarke nicht definiert.
Zusammenfassung in Thesen
Einleitung
Am 9. Juni 2009 beantragte die Arcandor AG die Eröffnung des Insolvenzverfahrens für sich und ihre Tochtergesellschaften Quelle GmbH Deutschland, Primondo GmbHG und Karstadt Warenhaus GmbH. Die Empörung darüber war groß, Schlagzeilen wie „Arcandor presst Quelle aus“[1] oder „Nicht ein einziger Cent“[2] zierten die Medienlandschaft. Neben dem Konkurs dieses riesigen Konzerns sorgte die Tatsache für Aufregung, dass die gesamte Liquidität der Quelle GmbH angeblich am Vorabend des Insolvenzantrags an Arcandor abgeführt worden ist. Auch die Schwestergesellschaften hatten kein Geld mehr auf dem Konto, der Saldo war Null. Grund dafür war, dass die gesamte Konzerninnenfinanzierung, mit Ausnahme der Thomas Cook AG, über ein Cash Pool gesteuert wurde. Es kam die Frage auf, ob so etwas überhaupt seriös sein kann, die Medien standen dem kritisch gegenüber.
Doch Cash Pooling ist schon längst ein beliebtes und übliches Verfahren innerhalb eines Konzerns: Die gesamte Liquidität der Tochtergesellschaften wird gebündelt um die Finanzstruktur zu optimieren. Doch es ist nicht nur beliebt, sondern hat auch eine enorme Bedeutung für die Wirtschaftspraxis: Cash Pooling ist „unverzichtbar“[3] oder „wichtigster und effektivster Bestandteil eines konzernweiten Cash Managements, das heute nicht mehr wegzudenken sei“[4]. Typisch dafür ist, dass die überschüssige Liquidität der Poolgesellschaften in den Pool fließt, bei Liquiditätsmangel werden die Konzerntöchter wiederrum mit Geld aus dem Pool versorgt. Diese Umbuchungen erfolgen zumeist täglich. Aber nicht nur in einer Insolvenz kann dieses Verfahren Probleme mit sich bringen und auf Kritik stoßen: In den vergangenen Jahren prägte das Cash Pooling als Mittel der Konzernfinanzierung durch diverse Urteile und das MoMiG die Landschaft der Fachliteratur.
Grund dafür war vor allem das Novemberurteil des BGH, welches die Cash Pooling Praxis vor erhebliche Schwierigkeiten stellte und zu einer „Renaissance der juristischen Diskussion“[5] führte. Einem befürchteten Untergang des Cash Pooling wirkte der Gesetzgeber aber mit dem MoMiG entgegen, welches die konzerninterne Finanzierung auf rechtssichere Weichen stellen sollte.
Diese Arbeit behandelt das Cash Pooling im Rahmen des faktischen GmbH-Konzerns, bei welchem die abhängigen Poolgesellschaften über eine Mehrheitsbeteiligung an die Cash Pool-Betreiberin gebunden ist. Nach einer wirtschaftlichen Betrachtung des Cash Pooling und dessen rechtlicher Qualifikation wird auf die zentrale Frage der rechtlichen Zulässigkeit im Rahmen der Kapitalschutzvorschriften eingegangen. Ziel der Arbeit ist es, die kapitalschutzrechtlichen Grenzen des Cash Pooling näher zu beleuchten und eventuelle Risiken und Haftungsfallen aufzuzeigen.
Wirtschaftliche Grundlagen des Cash Pooling
I. Begriffliche Einordnung
Die Steuerung und Koordination der täglichen Gelddispositionen in großen Unternehmen und Konzernen erfolgt häufig über ein Cash Management System, welches zur effizienten Abwicklung des Zahlungsverkehrs eingeführt wird.[6] Dieses System ist ein Instrument der kurzfristigen Unternehmensplanung und aktiven Liquiditätsbewirtschaftung.[7] Es soll einerseits die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens oder Konzerns sicherstellen und andererseits zur Rentabilitätserhöhung und Optimierung des Zinsergebnisses führen.[8] Als Mittel hierzu dient im Wesentlichen die zentrale Liquiditätsplanung und -beschaffung, sowie der konzerninterne Liquiditätsausgleich.[9]
Als Maßnahmen des Liquiditätsausgleichs kommen das Netting und das Cash Pooling in Betracht. Das Netting oder auch Clearing beschreibt ein Verfahren, bei dem es zu einer periodischen Aufrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen den Konzernunternehmen zur Verringerung des internen Cash-Flows kommt.[10] Beim Cash Pooling wird hingegen die überschüssige Liquidität der Konzernunternehmen gebündelt und bedarfsgerecht verteilt, wodurch es zur Deckung etwaiger Liquiditätsengpässe kommt.
II. Funktionsweise
Die Gestaltungen des Cash Pooling sind in der Praxis mannigfaltig und weisen sehr unterschiedliche, auf den Einzelfall angepasste vertragliche Regelungen auf. Dessen ungeachtet ist den meisten Konzernen gemein, dass sie sich zur Durchführung des Systems eines automatisierten Verfahrens bedienen, welches von Banken als Dienstleistung angeboten wird. Grundsätzlich lassen sich zwei Grundmodelle unterscheiden: Das physische und das virtuelle Cash Pooling.
1. Physisches Cash Pooling
Das physische Cash Pooling stellt die verbreitetste Form dar, denn dabei können grundsätzlich alle potenziellen wirtschaftlichen Vorteile des Cash Pooling realisiert werden; anderseits sind die rechtlichen und tatsächlichen Risiken und Unsicherheiten auch wesentlich größer als bei den anderen Poolingformen. Das physische Cash Pooling wird auch als effektives Cash Pooling, Cash Concentrating oder Kontenübertragungsverfahren bezeichnet.[11] Dabei werden die liquiden Mittel aller am Poolingverfahren beteiligten Konzerngesellschaften (sog. Poolgesellschaften) zusammengeführt, indem sie auf ein gesondert angelegtes Zentralkonto (auch Master Account, Zielkonto oder Konzentrationskonto genannt) gebucht werden. Die Konten der Poolgesellschaften werden dazu intern als Durchlaufkonten (sog. Quellkonten) genutzt.[12] Habensalden auf dem Quellkonto werden auf das Zentralkonto gebucht, während vorhandene Sollbestände der Quellkonten durch Zahlungen des Zentralkontos ausgeglichen werden. Liquiditätsströme können daher sowohl „upstream“ von Quell- zu Zentralkonto als auch in umgekehrter Richtung „downstream“ fließen.[13] Die Umbuchungen erfolgen arbeitstäglich zu einem festen Zeitpunkt, meist Tagesultimo.[14] Um dieses Verfahren praktikabel zu machen werden die gesamten Konten üblicherweise bei demselben Kreditinstitut geführt. Die Betreiberin des Cash Pooling (sog. Finanzierungsgesellschaft) hat dabei Verfügungsgewalt über das Zentralkonto. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um die Muttergesellschaft, denkbar ist aber auch die Verwendung einer Zwischenholding oder einer „Inhouse-Bank“ (auch „Treasury“ genannt).[15]
Innerhalb des physischen Cash Pooling kann wiederrum das Zero Balancing, das Target Balancing und das Settlement Pooling unterschieden werden: Beim Settlement Pooling erfolgt der Liquiditätstransfer nicht banktäglich, sondern immer dann, wenn der fortgeschriebene Valutasaldo auf dem Nebenkonto bestimmte Grenzwerte (sog. Settlements Lines) über- oder unterschreitet.[16] Beim Zero Balancing werden sämtliche Quellkonten täglich auf den Saldo Null gestellt, die gesamte Liquidität der Poolgesellschaft wird somit abgebucht oder etwaige Debetsalden komplett ausgeglichen.[17] Das Target Balancing unterscheidet sich vom Zero Balancing nur darin, dass der Zielsaldo (Target) der einzelnen Quellkonten nach der Durchführung des Transfers nicht Null sein muss, sondern frei gewählt werden kann.[18] Dadurch wird der Tochtergesellschaft ein bestimmter Liquiditätsstock zur Verfügung gestellt, wodurch die Abhängigkeit von der Konzernmutter hinsichtlich der Liquiditätsversorgung reduziert wird. Dennoch ist das Zero Balancing die gängigste Art des physischen Pooling, weil die gesamte frei verfügbare Liquidität optimal verteilt oder angelegt werden kann.
2. Virtuelles Cash Pooling
Das virtuelle Cash Pooling wird auch als Notional[19] Pooling bezeichnet, die Gelder werden dabei nicht tatsächlich umgebucht, vielmehr bleiben die Saldi unverändert auf den Quellkonten bestehen. Das kontoführende Kreditinstitut erstellt aber arbeitstäglich ein Gesamtsaldo, und fingiert damit eine Zusammenführung der Konten.[20] Dadurch entsteht ein virtuelles Gesamtsaldo auf dem sog. Schattenkonto, welches die Grundlage einer einheitlichen Zinsberechnung für die gebündelte Konzernliquidität bildet. Der Vorteil des virtuellen Pool liegt bei den positiven Zinseffekten, ohne dass dazu Zahlungsvorgänge erforderlich werden.[21] Weiterhin können dadurch Transaktionskosten eingespart und rechtliche Schwierigkeiten der physischen Variante vermieden werden. Trotz allem spielt das Notional Pooling eine untergeordnete Rolle und hat ausschließlich im internationalen Bereich Relevanz: Tochterunternehmen, die ihren Sitz in Ländern mit nationalen Beschränkungen des Geldverkehrs haben, wie in Russland, Rumänien und Bulgarien, können aufgrund dieser Beschränkungen nicht ins physische Cash Pooling einbezogen werden. Als Ausgleich dafür bieten die Kreditinstitute dem Konzern Zinsvorteile.[22] Weiterhin spielt es eine größere Rolle in Ländern, wie der Schweiz, in denen hohe Bankgebühren das physische Cash Pooling unlukrativ werden lassen.[23] Da es beim virtuellen Cash Pooling an der tatsächlichen Abführung der Liquidität mangelt und sich daraus keine gesellschaftsrechtlichen Probleme ergeben, beziehen sich die folgenden Ausführungen nur auf das physische Cash Pooling.
III. Wirtschaftliche Vorteile
Neben geringeren Verwaltungskosten bietet das konzernweite Cash Pooling aus betriebswirtschaftlicher Sicht den Vorteil, dass kein Fremdkapital vom externen Kapitalmarkt bezogen werden muss. Jedenfalls soweit der Liquiditätsbedarf der einzelnen Unternehmen konzernintern gedeckt werden kann.[24] Die Optimierung der Liquiditätsstruktur führt dazu, dass die vorhandenen Mittel grundsätzlich zu den Poolgesellschaften geleitet werden, die sie aktuell benötigen.[25] Dadurch wird verhindert, dass Liquiditätsengpässe mit hochverzinsten Fremdkapital überbrückt werden müssen, während an anderer Stelle für Liquiditätsüberschüsse in der Regel nur geringe Habenzinsen erzielt werden können.[26] Der Verzicht auf externe Kredite verkürzt die Dauer und das Risiko des Kapitaltransfers und führt zudem zu einem besseren Ansehen des Konzerns. Falls eine externe Kreditaufnahme doch nötig wird, kann diese von der Finanzierungsgesellschaft zentral gesteuert werden. Dabei lassen sich bessere Finanzierungskonditionen aushandeln, weil die Konzernmutter durch die gepoolte Liquidität in der Regel ein besseres Rating erfährt.[27]
Im Übrigen kann sich die Muttergesellschaft einen weitreichenden Überblick über den jeweiligen Liquiditätsstatus der Tochterunternehmen verschaffen. Das bedeutet bessere Überwachung und höhere Transparenz des Konzerns, außerdem können Risiken schneller identifiziert und bekämpft werden.[28]
Letztendlich führen die Einsparungen von Personal- und Sachkosten, sowie die Bündelung von Know-how unter Einsatz von Anlagespezialisten zu einem optimalen wirtschaftlichen Ergebnis.[29] Damit ist das Cash Pooling eine finanzwirksame und effektive Maßnahme zur Optimierung der zur Verfügung stehenden Mittel im Konzern und wird auch vom Gesetzgeber als „ökonomisch sehr sinnvoll“[30] betrachtet.
IV. Wirtschaftliche Risiken
Den finanziellen Vorteilen stehen aber auch erhebliche Risiken gegenüber: Exemplarisch dafür sind der Konkurs und die Insolvenzen von renommierten deutschen Konzernen, wie der AEG-Telefunken AG, Bremer Vulkan AG und Babcock Borsig AG.[31]
Die wirtschaftlichen Risiken ergeben sich vor allem aus der erhöhten Unselbstständigkeit und finanziellen Abhängigkeit der teilnehmenden Poolgesellschaften: Da die Betreibergesellschaft häufig nicht über eine ähnlich hohe Bonität verfügt wie ein Kreditinstitut erhöht sich das Bonitätsrisiko der Poolgesellschaften zumindest abstrakt.[32] Zudem fehlt es an der sonst üblichen Streuung des Ausfallrisikos, wodurch die Konzerntöchter ein erhebliches „Klumpenrisiko“ eingehen.[33] Dieses beschreibt die Gefahr, die entsteht, wenn alle freien Mittel bei nur einem Schuldner angelegt sind.[34] Mit Realisierung der Gefahr könnte ein in Liquiditätsschwierigkeiten geratenes Konzernunternehmen jegliche Liquidität über den Pool absaugen und das Insolvenzrisiko des ganzen Konzerns erhöhen.[35] Im „worst case“ entwickelt sich daraus ein Dominoeffekt, bei dem die Krise des Konzerns oder eines Konzernteils auf gesunde Konzerntöchter durchschlägt. Da die Bonität der Finanzierungsgesellschaft abhängig von der Bonität jeder einzelnen Poolgesellschaft ist, kann auch diese in den Sog des Dominoeffekts gezogen werden.[36] Sollte der Konzern in eine Krise geraten, kann die eigenständige Liquiditätsversorgung der Poolgesellschaften mangels externer Kreditlinien gefährdet sein, da durch die Zentralisierung der Liquiditätsverwaltung die direkten Bankkontakte reduziert werden.[37] In der Regel werden von ihnen auch Sicherheiten für Kredite der Finanzierungsgesellschaft verlangt, weshalb zusätzlich eine Inanspruchnahme durch das Kreditinstitut droht.
Damit kann festgehalten werden, dass das Cash Pooling einem gesunden Konzern enorme finanzielle Vorteile bringt. Dem stehen aber gleichermaßen erhebliche Risiken gegenüber, sobald eine Konzerngesellschaft in die Krise gerät. Die Realisierung einiger dieser Risiken kann aber durch eine vorsichtige Führung der Konzernfinanzierung und ein funktionierendes Informations- und Kontrollsystem vermieden werden, was letztendlich in der Hand der Konzernführung liegt.
Rechtliche Qualifikation des Cash Pooling
In Ansehung der rechtlichen Einordnung des Cash Pooling stellt sich zunächst das Problem, dass es das typische Cash Pooling System nicht gibt. Vielmehr finden sich in der Praxis zahlreiche unterschiedliche vertragliche Gestaltungen, die üblicherweise versuchen, der Interessenlage im jeweiligen Einzelfall bestmöglich Rechnung zu tragen.[38] Gewisse Strukturen können allerdings beim automatisierten physischen Cash Pooling in Form des Zero Balancing festgestellt werden. Im Zusammenhang mit der rechtlichen Einordnung dieser Grundstrukturen kann zwischen der Rechtsnatur der Zahlungsströme, den Rechtsbeziehungen zwischen den Poolgesellschaften und der Finanzierungsgesellschaft, sowie dem Vertragsverhältnis zwischen Konzern und Kreditinstitut unterschieden werden.
I. Rechtsnatur der Zahlungsströme
Zunächst muss eine rechtliche Einordnung der Zahlungsströme, also der Transaktionen zwischen den Poolgesellschaften und der Finanzierungsgesellschaft, stattfinden. Nahe liegend erscheint die Einstufung der Liquiditätsströme als Gelddarlehen i.S.d. § 488 I BGB: Der empfangenden Gesellschaft werden von der zahlenden Gesellschaft Geldbeträge auf Zeit zur Verfügung gestellt damit sie damit wirtschaften kann. Der Empfänger muss dafür als Vergütung für die Kapitalnutzungsmöglichkeit Zinsen entrichten sowie das Darlehen in der Zukunft zurückerstatten. Diese Merkmale sind wesensbestimmend für ein Darlehen.[39] Denkbar wäre daher, die Zahlungsströme als aufsteigende Darlehen der Poolgesellschaften und als absteigende Darlehen der Finanzierungsgesellschaft zu klassifizieren, je nachdem ob die teilnehmenden Poolgesellschaften zum Pooling-Zeitpunkt einen Haben- oder Sollsaldo aufweisen.
Einige Stimmen im Schrifttum folgen der darlehensvertraglichen Einordnung nicht und sehen die Zahlungsströme als unregelmäßige Verwahrungsverträge gem. § 700 I BGB an.[40] Der unregelmäßige Verwahrungsvertrag ist weder Darlehensvertrag noch Verwahrungsvertrag, sondern begründet ein Schuldverhältnis eigener Art mit Elementen der Verwahrung und des Darlehens.[41] Der Unterschied zum Darlehen besteht darin, dass die unregelmäßige Verwahrung überwiegend dem Interesse des Hinterlegers an einer sicheren Aufbewahrung bei jederzeitiger Verfügbarkeit dient und dieser deshalb die Initiative zum Vertragsschluss ergreift.[42] Begründet wird diese Auffassung damit, dass Rückzahlungsverpflichtungen aufgrund der Disposition der Konzernleitung jederzeit fällig sein können und das diese Möglichkeit der jederzeitigen Fälligstellung typisches Merkmal der unregelmäßigen Verwahrung sei.[43] Beim Darlehen fehle es hingegen an einem jederzeitigen Verfügungsrecht da die Rückforderung stets erst nach Kündigung oder Ablauf der Laufzeit möglich sei.
Gegen diese Auffassung spricht, dass ein jederzeitiges Verfügungsrecht kein zwingend anhaftendes Merkmal des Vertragstypus ist. Vielmehr ergibt sich aus der Vertragsgestaltung des Cash Pools, ob überhaupt eine ständige Verfügbarkeit vorliegt. Wird diese vereinbart, wäre eine Einordnung als Darlehen ebenfalls möglich: Die dreimonatige Kündigungsfrist gem. § 488 III 2 BGB ist dispositiv, sodass die beteiligten Gesellschaften die Frist gänzlich aufheben könnten. Zwar bedürfe es dann vor einem Zugriff der Kündigung des Darlehens, im Rückforderungsverlangen kann aber eine konkludente Kündigung gesehen werden. Allein die Vereinbarung eines jederzeitigen Rückforderungsrechts kann daher noch nicht zu einer Einordnung als unregelmäßige Verwahrung führen. Deshalb muss zur Abgrenzung zwischen den beiden Vertragsarten das Merkmal der Interessenlage hinzutreten. Doch gerade die bestehende Interessenlage beim Cash Pool entspricht nicht der einer unregelmäßigen Verwahrung, denn das überwiegende Interesse an der Durchführung der Transaktion liegt hier beim jeweiligen Zahlungsempfänger, nicht beim Zahlenden: Im Rahmen des absteigenden Zahlungsflusses steht das Interesse der Poolgesellschaft, ihren Liquiditätsbedarf zu befriedigen und Verbindlichkeiten zu erfüllen, im Vordergrund.[44] Das Interesse der Finanzierungsgesellschaft liegt dabei nicht in der sicheren Aufbewahrung der Gelder, sondern in der Finanzierung der Unternehmung der Poolgesellschaft. Beim umgekehrten Liquiditätsfluss gilt nichts anderes: Das Interesse der Finanzierungsgesellschaft als Zahlungsempfänger liegt in der Verwendung der Mittel zur Liquiditätsversorgung und zur Steigerung der Rentabilität. Die Poolgesellschaft gibt ihre Liquidität weniger aus eigenen Interessen weg, sondern eher aufgrund der Anweisung der Konzernmutter. Gerade, wenn sich der Konzern in einer finanziellen Schieflage befindet, kann es nicht im Interesse einer florierenden Tochtergesellschaft liegen, ihre überschüssige Liquidität an den Pool abzuführen und sich damit einem unsicheren Rückforderungsanspruch zu verschaffen. Alles in allem fehlt es damit an dem für die unregelmäßige Verwahrung wesensbestimmenden Interesse des Hinterlegers: Die Zahlungsströme stellen keine unregelmäßige Verwahrung dar.
Weiterhin wird vertreten,[45] dass die Grundlage der Zahlungsströme in den organisationsrechtlichen Vorgaben der Konzernspitze zu finden sei. Da es somit an einem charakteristischen Merkmal einer anderen Vertragsart fehle müssten die Transaktionen als realvertraglich begründete Forderungen gem. §§ 241 I, 311 I BGB qualifiziert werden. Es handle sich nicht um Darlehen, die den Konzerntöchtern zur wirtschaftlichen Nutzung und Verwertung auf Zeit eingeräumt würden, da sich der Zweck der Finanzmittel darin erschöpfe, den bestehenden Liquiditätsbedarf der Poolgesellschaft zu decken.[46] Die optimierte Nutzung der bei den Teilnehmern vorhandenen Liquidität entspräche daher nicht dem Zweck eines Darlehens.[47]
Dieser wirtschaftliche Zweck und die Vornahme der Zweckbestimmung durch die Konzernspitze verbieten die Annahme eines Darlehens aber nicht. Vielmehr ist es bei der rechtlichen Qualifikation des Zahlungsvorganges irrelevant, welcher darüber hinausgehende wirtschaftliche Zweck mit der Überlassung der Finanzmittel verfolgt wird.[48] Er kann allenfalls herangezogen werden, um den rechtsgeschäftlichen Parteiwillen zu ermitteln.[49] Auch wenn die Poolgesellschaft ihre Liquidität nur abführt, weil sie dazu verpflichtet ist, ändert sich nichts an der Tatsache, dass die Mittel abgeführt werden um sie der Finanzierungsgesellschaft vorübergehend zur Nutzung zur Verfügung zu stellen. Dass es sich dabei um Mittel handelt, welche die Poolgesellschaft gerade nicht benötigt, entspricht vielmehr der Natur des Darlehens: Nur wer Kapital gerade nicht benötigt, überlässt es anderen zur Nutzung.
Für einen Vertrag sui generis wird weiterhin vorgebracht, dass die Liquiditätsverschiebungen im Cash Pool nicht zur artgleichen Rückerstattung bestimmt wären.[50] Aber auch dieses Argument muss unter dem Gesichtspunkt abgelehnt werden, dass die Zahlungen sehr wohl zur artgleichen Rückerstattung bestimmt sind: Das Cash Pooling stellt keine enteignende Zusammenführung liquider Mittel dar. Wäre keine Rückführung der übernommenen Liquidität geschuldet, müsste man von verbotener Einlagenrückgewähr gem. § 30 I 1 GmbHG oder von verdeckter Gewinnausschüttung ausgehen.
Es spricht damit nichts gegen die Einordnung der Zahlungsströme als Darlehen i.S.d. § 488 BGB: Im Kern geht es stets um die Bereitstellung liquider Mittel, die vom jeweiligen Zahlungsempfänger zurückgewährt und eventuell verzinst werden müssen. Durch den verfolgten Zweck der Liquiditätsverschiebungen, sowie dem Automatismus der Zahlungen erfährt der konventionellen Darlehensvertrag nur besondere Ausprägungen. Es wird somit von aufsteigenden Darlehen („upstream loans“) gesprochen, wenn die Gelder von der Pool- zur Finanzierungsgesellschaft fließen, bei umgekehrter Flussrichtung entsprechend von absteigenden Darlehen („ downstream loans“)
Aufgrund des ständigen Wechsels der Rechtspositionen der Poolgesellschaft und der Finanzierungsgesellschaft stellt sich schlussendlich noch die Frage, ob die entgegengesetzten Zahlung Darlehenstilgungen oder ebenfalls Darlehen darstellen. Liegt eine Kontokorrentvereinbarung zwischen den beteiligten Gesellschaften vor, wovon in der Praxis häufig ausgegangen werden kann, werden die Transaktionen in beiden Richtungen in Form eines Darlehens vollzogen.[51] Die resultierenden Rückforderungsansprüche werden dann als Rechnungsposten in das Kontokorrent eingestellt, rechtlich gebunden und mit Ablauf der vereinbarten Periode verrechnet. Liegt keine Kontokorrentvereinbarung vor, ist davon auszugehen, dass das zunächst bestehende Darlehen getilgt und erst nach deren vollständiger Rückführung Darlehen durch die zahlende Gesellschaft gewährt werden.[52]
In den meisten Fällen stellen die Zahlungsströme innerhalb des Cash Pools somit rein rechtstechnisch gesehen wechselseitige Darlehensgewährungen dar.
II. Rechtsverhältnis zwischen Pool- und Finanzierungsgesellschaft
Der Implementierung und Durchführung des Cash Pool Systems liegt eine vertragliche Regelung zwischen der Finanzierungsgesellschaft und den Poolgesellschaften zugrunde. Die Verträge bestehen jeweils zwischen den Poolgesellschaften und der Finanzierungsgesellschaft unter Ausschluss von unmittelbaren vertraglichen Beziehungen zwischen den einzelnen Poolgesellschaften.[53] Denkbar wäre, jede Transaktion als standarisierten Darlehensvertrag auszugestalten.[54] Eine solche Konstruktion ist aus der Praxis allerdings nicht bekannt[55],wäre nicht praktikabel und würde den wirtschaftlichen Vorteilen entgegenstehen und sie erheblich mindern. Vielmehr beruhen die Rechtsbeziehungen auf einem umfassenden gesonderten Vertragswerk, der sogenannten Cash Pool Abrede.[56] Dabei handelt es sich um eine Rahmenvereinbarung in Form eines Geschäftsbesorgungsvertrags mit dienstvertraglichen Elementen[57] gem. §§ 675, 611 BGB, in der die Teilnahme der Gesellschaften am Cash Pooling und deren damit verbundene Rechte und Pflichten geregelt werden. Um die alleinige Verantwortlichkeit der Finanzierungsgesellschaft zu sichern muss jedoch das gesetzlich angeordnete Weisungsrecht abbedungen werden. Die Finanzierungsgesellschaft fungiert somit als Geschäftsbesorger für die Poolgesellschaften: Die Konzernmutter übernimmt dabei das komplette Finanzmanagement, die Tätigkeit der Töchter beschränkt sich hingegen auf das operative Geschäft mit externen Dritten. Damit sind sie regelmäßig von der eigenen Finanzierungsverantwortung entbunden. Da die Tätigkeit der Finanzierungsgesellschaft auch für die Poolgesellschaften Vorteile mit sich bringt, fungiert sie bezüglich der Geld- und Verwaltungspolitik als Interessenwahrer der Poolgesellschaften.[58]
Die Cash Pool Abrede weist inhaltlich im Wesentlichen folgende Regelungen auf:
Die Poolgesellschaft verpflichtet sich zur Abführung ihrer liquiden Mittel an die Finanzierungsgesellschaft im Rahmen des automatisierten Cash Pool Systems. Umgekehrt verpflichtet sich die Finanzierungsgesellschaft in gewissen Grenzen die Poolgesellschaft mit benötigter Liquidität zu versorgen. Die aus den einzelnen Zahlungen folgenden Darlehensrückzahlungsansprüche werden üblicherweise in ein internes Kontokorrent eingestellt..[59] Dieses entspricht häufig dem gesetzlichen Regelfall des Periodenkontokorrents, § 355 I HGB; der Saldo wird zu Informationszwecken wöchentlich mitgeteilt.[60] Die grundsätzliche Möglichkeit, über den am Ende einer Verrechnungsperiode festgestellten Saldo zu verfügen, wird in der Cash Pool Vereinbarung regelmäßig ausgeschlossen, sodass die abgeführte Liquidität im Pool verbleibt.[61] In Betracht kommt auch die Besicherung der hingegebenen Liquidität, die Vereinbarung von Kündigungsfristen und Zinssätzen, sowie die Festlegung einer Kreditlinie, durch welche die downstream loans häufig höhenmäßig begrenzt werden. Bei Überschreitung kann die Finanzierungsgesellschaft in aller Regel das Verhältnis zur Poolgesellschaft beenden oder zumindest aussetzen. Regelmäßig sehen die Rahmenvereinbarungen ein außerordentliches Kündigungsrecht vor, sobald eine Poolgesellschaft aus dem Konzern ausscheidet oder das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet wird.[62] Hat eine Poolgesellschaft der Finanzierungsgesellschaft ein Darlehen gewährt, dessen Rückzahlung durch eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage gefährdet wird, ist diese gem. § 490 I BGB zu dessen außerordentlicher Kündigung berechtigt. Weiterhin verpflichtet sich die Finanzierungsgesellschaft zur Durchführung des Cash Pooling, indem sie für die notwendigen Bankverbindungen sorgt, die überschüssige Liquidität anlegt oder Bankkredite zu möglichst günstigen Konditionen aufnimmt.[63]
III. Rechtverhältnis zwischen Konzern und Kreditinstitut
Als Basis für die vertragliche Beziehung zwischen den Konzernunternehmen und der Pool-Bank dienen zahlreiche Einzelverträge. Zunächst bestehen übliche Giroverträge i.S.d. § 676 f BGB, aufgrund derer die Bank das Zentralkonto sowie die Quellkonten führt. Weiterhin bedarf es einer Vertragsgrundlage für die Durchführung des Cash Pooling Systems durch die Bank, einen sog. Cash Pool Service Vertrag[64]. Dieser entgeltliche Vertrag hat Geschäftsbesorgungscharakter, § 675 BGB.[65] Zentraler Vertragsgegenstand ist die Ermächtigung und Verpflichtung der Bank alle Umsätze der Quellkonten bei den jeweiligen Niederlassungen der Bank arbeitstäglich auszubuchen und auf das Zielkonto zu übertragen.[66] In diesen Verträgen finden sich zahlreiche weitere Bestimmungen, mit denen Art und Umfang von Zusatzleistungen dem individuellen Bedarf der teilnehmenden Gesellschaften angepasst werden können. Die Finanzierungsgesellschaft kann sich von der Bank z.B. eine Tagesumsatzliste erstellen lassen oder erhält auf Wunsch eine Zinsstaffel.[67] Daneben überwacht das Kreditinstitut die Finanzpolitik des Konzerns und steht als Ansprechpartner zur Verfügung. Üblicherweise verlangt die Bank von den Poolgesellschaften die Bestellung von Sicherheiten, meist in Form einer Übernahme der gesamtschuldnerischen Haftung, zur Absicherung von Ansprüchen gegen die Finanzierungsgesellschaft.[68]
Zusätzlich räumt die Bank der Finanzierungsgesellschaft für das Zentralkonto eine Kreditlinie ein, die der Deckung des konzernweiten Liquiditätsbedarfs dient.[69] Es handelt sich dabei um einen Kontokorrentkredit, dessen Beurteilung sich grundsätzlich nach den Regeln über den Girovertrag, sowie nach den Kontokorrent- und Darlehensvorschriften richtet.[70]
Die Rahmenvereinbarung wird entweder befristet oder im Normalfall als Dauerschuldverhältnis auf unbestimmte Zeit ausgestaltet.[71] Der Bank und der Finanzierungsgesellschaft steht ein ordentliches Kündigungsrecht zu, zudem kann stets aus wichtigem Grund gem. § 314 BGB gekündigt werden. Die Bank wird insbesondere dann berechtigt sein, den Cash Pool Service Vertrag zu kündigen, wenn sich die wirtschaftliche Lage der Finanzierungsgesellschaft wesentlich verschlechtert, zumal sie dann regelmäßig auch das Giroverhältnis und den eingeräumten Kontokorrentkredit kündigen kann.[72] Die Regelung zur Beendigung von Cash Pool Service Vertrag und Cash Pool Abrede müssen selbstverständlich aufeinander abgestimmt werden, damit vermieden wird, dass eine der Vereinbarung beendet wird, während die andere weiterhin in Kraft bleibt.
Kapitalschutz als rechtliche Grenze des Cash Pooling
Im Rahmen des Cash Pooling sind insbesondere diejenigen Vorschriften und Rechtsinstitute zu beachten, die der Aufbringung und dem Schutz des Gesellschaftsvermögens dienen. Dabei geht es in erster Linie um die Grundsätze der Kapitalaufbringung und der Kapitalerhaltung. Das Kapitalerhaltungsrecht fußt ebenso wie das Kapitalaufbringungsrecht auf dem in § 13 II GmbHG verankerten Trennungsprinzip und dem damit verbundenen Haftungsprivileg der Gesellschafter. Diese haften grundsätzlich nicht für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Dieses Privileg rechtfertigt sich allein durch die Verpflichtung der Gesellschafter, zunächst das Gesellschaftsvermögen in Höhe des gesetzlichen oder gesellschaftsvertraglich festgesetzten Stammkapitals aufzubringen und der Gesellschaft dieses Vermögen in entsprechender Höhe zu belassen. Die Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsvorschriften werden daher auch als Kernstück der Finanzverfassung im GmbH-Recht bezeichnet.[73]
I. Kapitalerhaltung
Begründet durch den tatsächlichen Liquiditätsabzug im physischen Cash-Pooling können sich Konflikte mit den Grundsätzen der Kapitalerhaltung ergeben. Insbesondere durch Abzug aller liquiden Mittel ist das Risiko gegeben, dass bei einer Poolgesellschaft durch aufsteigende Darlehensgewährung eine verbotene Auszahlung im Sinne des § 30 I 1 GmbHG getätigt wird.
In Form des § 30 I 2 und § 30 I 3 GmbHG n.F. hat der Gesetzgeber im Zuge des MoMiG verschiedene Ausnahmetatbestände eingeführt, die eine Auszahlung an Gesellschafter zulasten des in § 30 I 1 GmbHG geschützten Vermögens ermöglichen. Diese Ausnahmetatbestände sollen nach einer kurzen Vorstellung des Grundsatzes der Kapitalerhaltung und der Rechtlage vor dem MoMiG erläutert werden.
1. Der Grundsatz der Kapitalerhaltung
Die zentrale Gläubigerschutzvorschrift zum Erhalt des satzungsmäßigen Stammkapitals stellt § 30 I GmbHG dar.[74] § 30 I 1 GmbHG statuiert, dass jegliche Auszahlungen an Gesellschafter aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens verboten sind (sog. Auszahlungsverbot).[75] Auszahlungen in diesem Sinne sind Leistungen aller Art, die wirtschaftlich das Gesellschaftsvermögen verringern.[76] Das Verbot umfasst auch Leistungen an Dritte, soweit sie rechtlich oder persönlich mit dem Gesellschafter verbunden sind oder die Leistung mittelbar an den Gesellschafter erfolgt.[77] Vor etwaigen Verlusten aus operativen Geschäften oder Verwirtschaftung wird das relevante Gesellschaftsvermögens jedoch nicht geschützt. § 30 I 1 GmbHG kommt nur zur Anwendung, wenn durch eine Auszahlung an einen Gesellschafter eine Unterbilanz herbeigeführt oder vertieft wird.[78] Von einer Unterbilanz ist auszugehen, wenn das Reinvermögen die Stammkapitalziffer nicht erreicht oder gleichbedeutend, wenn die Summe der Aktiva kleiner der Summe von Stammkapital und echten Passiva ist.[79] Darüber hinaus besteht ein generelles Auszahlungsverbot im Fall der Überschuldung. Dabei übersteigen die echten Passiva die Aktiva: das Eigenkapital ist wirtschaftlich aufgebraucht.[80]
Das Auszahlungsverbot hat aufgrund des Haftungsausschlusses aller GmbH-Gesellschafter besondere Bedeutung für Gläubigerschutz; es soll aber auch die GmbH selbst schützen, indem das Gesellschaftskapital den dauernden Grundstock des Unternehmens bildet und dadurch dessen Selbstständigkeit sichert.[81] Ferner dient es auch den Gesellschaftern, denn ihnen kommt es zugute, wenn das Betriebsvermögen vor Entzug durch andere Gesellschafter geschützt wird und die GmbH ihre Geschäfte führen kann.[82]
2. Kapitalerhaltung und Cash Pooling vor dem MomiG
Vor dem MoMiG war umstritten, ob § 30 I GmbHG die konkrete Zusammensetzung des Vermögens schütze oder nur die Erhaltung des Vermögens dem Werte nach (bilanzielle Betrachtungsweise). Nach überwiegender Auffassung war die bilanzielle Betrachtungsweise maßgebend.[83] Für Darlehen einer Gesellschaft an ihre Gesellschafter bedeutete dies, dass eine Auszahlung nur vorlag, wenn der Bilanzansatz des Rückzahlungsanspruchs nicht dem Betrag der Verminderung der Aktiva aufgrund der Auszahlung entsprach.[84] Für die Bilanzierung des Rückzahlungsanspruchs waren Bonität und Zahlungswilligkeit des Schuldners maßgebend.[85] Ein Verstoß gegen das Auszahlungsverbot des § 30 I GmbHG war danach nur gegeben, wenn der Rückzahlungsanspruch gefährdet und daher nicht vollwertig war.[86]
Die Gegenansicht hatte hingegen ein weites Verständnis vom Auszahlungsbegriff des § 30 I GmbHG und stellte allein auf die Auszahlung der Darlehensvaluta ab, während sie den Rückzahlungsanspruch und dessen Werthaltigkeit nicht oder nur im geringen Maße mitberücksichtigte.[87] Demnach wurde schon dann gegen das Auszahlungsverbot verstoßen, wenn die Darlehensgewährung an den Gesellschafter ohne Berücksichtigung des Rückzahlungsanspruchs eine Unterbilanz herbeiführe oder vertiefe.[88] Diese Ansicht ging somit von einem Schutz der realen Vermögenssubstanz aus. Der Streit um den Auszahlungsbegriff des § 30 I GmbHG gipfelte im sog. „November-Urteil“[89] des BGH.
Obwohl die Rechtsprechung mit Inkrafttreten des MoMiG überholt ist, stellt sie weiterhin eine fundamentale Entscheidung in der Rechtsentwicklung zum Kapitalerhaltungsgrundsatz dar und bietet die Möglichkeit, die Änderungen des § 30 I GmbHG durch das MoMiG besser zu verstehen. Daher muss diese Entscheidung und deren Auswirkung auf die Cash Pool Praxis kurz vorgestellt werden.
a. Das „November-Urteil“ vom 24.11.2003
Mit dem „November-Urteil“ vom 24.11.2003 erfuhr der § 30 GmbHG als zentrale Kapitalerhaltungsvorschrift eine erhebliche Erweiterung seines Schutzbereiches. Gegenstand des Rechtsstreits war die Bewertung einer Kreditgewährung an einen Gesellschafter aus dem gebundenen Vermögen der GmbH. Die BGH-Richter entschieden, dass Darlehensgewährungen einer GmbH an Gesellschafter, die zulasten des gebundenen Vermögens der Gesellschaft erfolgten, grundsätzlich als verbotene Auszahlung von Gesellschaftsvermögen zu bewerten seien.[90] Dies sollte auch dann gelten, wenn der Rückzahlungsanspruch gegen den Gesellschafter im Einzelfall vollwertig sein sollte.[91] Damit entschied sich der BGH gegen die bilanzielle Betrachtungsweise und schloss sich der bisherigen Mindermeinung an. Zur Begründung wurde angeführt, dass die rein bilanzrechtliche Betrachtungsweise nicht den Vermögens- und Gläubigerschutz gewährleistest, der durch den Kapitalerhaltungsgrundsatz beabsichtigt ist.[92] Der BGH machte deutlich, dass der Austausch von liquider Haftmasse gegen einen zeitlich hinausgeschobenen schuldrechtlichen Anspruch in Form einer Forderung im Aktivvermögen zur Verschlechterung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger führe.[93]
b. Auswirkungen des November-Urteils auf die Cash Pool Praxis
Nach dem Novemberurteil war zunächst unklar, ob die Maßstäbe überhaupt auf das Cash Pooling anwendbar sind, denn dem Urteil lag kein Cash Pooling Sachverhalt zugrunde. Es ging vielmehr um die Geschäftsführerin einer kleinen GmbH, die den Gesellschaftern, welche natürliche Personen waren, Darlehen in Millionenhöhe ausgereicht hatte, obwohl eine Unterbilanz bestand. Diese Situation unterscheidet sich also von derjenigen der Darlehensgewährung im Cash Pooling. Das Spektrum der Interpretation des Urteils reichte von der Annahme eines generellen Cash Pooling Verbots[94] bis zu der Meinung, die Grundsätze fänden beim Cash Pooling keine Anwendung.[95] Jedoch waren im Urteil keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ungeschriebene Ausnahmen zuzulassen seien; die Argumente des BGH waren prinzipiell auf das Cash Pooling übertragbar.[96] Letztendlich hätte die Nichtanwendung dieser Entscheidung auf Cash Pooling Systeme bedeutet, dass ein positives Sonderrecht etabliert werden würde, wozu es aber einer besonderen Begründung bedurft hätte. Bestätigt wurde die Anwendbarkeit der Maßstäbe durch das OLG München im November 2005[97] und durch den BGH im Januar 2006[98], welche das Cash Pooling ohne Einräumung eines Sonderrechts bedingungslos den Grundsätzen der Kapitalerhaltung und Kapitalaufbringung unterwarfen. Insofern konnten keine Zweifel mehr daran bestehen, dass die Rechtsprechung aus dem Novemberurteil auch auf Cash Pooling Systeme Anwendung finden sollte.
Dies stellte vor allem die Cash Pooling Praxis im faktischen Konzern vor erhebliche Schwierigkeiten.[99] Das Urteil wurde dahin gehend interpretiert, dass eine Darlehensgewährung an Gesellschafter nur noch aus freiem Vermögen zulässig sei.[100] Folglich wäre ein Großteil der gewährten Darlehen als verbotene Auszahlungen der Poolgesellschaften im Sinne des § 30 I GmbHG a.F. zu werten gewesen. Deshalb beschränkte sich die Konzernpraxis verbreitet darauf, Cash Pooling in faktisch abhängigen Gesellschaften mbH nur mit dem nicht gebundenen Vermögen zu praktizieren, da ein Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsgebot nicht rechtssicher ausgeschlossen werden konnte.[101] Später bildete sich die herrschende Meinung heraus, dass die bilanzielle Betrachtungsweise nur für den Fall unzulässig sei, soweit im Zeitpunkt der Darlehensgewährung an den Gesellschafter eine Unterbilanz vorliegt und die Auszahlung diese vergrößern oder erst begründen würde.[102] Diese Ansicht wurde aber als praxisuntauglich eingestuft, denn es ist für die beteiligten Geschäftsleiter kaum zu bewältigen und schwer zumutbar, wenn sie täglich die bilanzielle Situation der abhängigen GmbH ermitteln müssen.[103] Die durch das Urteil ausgelöste Unsicherheit nahm der Gesetzgeber als Anstoß, dem als „ökonomisch sinnvoll“[104] erachteten Cash-Pooling mit dem MoMiG Rechtssicherheit zu verschaffen. Somit ist der Streit über die Auslegung des Novemberurteils obsolet.
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[1] Business on, 29.06.2009.
[2] Süddeutsche Zeitung, 27.06.2009.
[3] Mülbert/ Leuschner, NZG 2009, 281,(281).
[4] Wirsch, S. 15.
[5] Brocker/ Rockstroh, BB 2009, 730,(730).
[6] Billek, S. 3.
[7] Hormuth, S. 51 ff.
[8] Wehlen in Lutter/ Scheffler/ Schneider, § 23, Rn.6.
[9] Schneider in Lutter/ Scheffler/ Schneider, § 25, Rn.1.
[10] Vgl. Faßbender, S. 26.
[11] Deckart, S.8
[12] Faßbender, S.27.
[13] Billek, S. 5.
[14] Ebenda.
[15] Jäger, DStR 2000, 1653, (1653).
[16] Faßbender, S. 41.
[17] Jagmetti, S. 59.
[18] Sieder, S. 40.
[19] Faßbender, S. 28.
[20] Siede r, S. 28.
[21] Jülch, S. 25.
[22] Jauch, S. 31.
[23] vgl. Jülch, S. 27.
[24] Hormuth, S. 83 f..
[25] Vgl. Jauch, S.26.
[26] Jauch, S.26.
[27] Zahrte, S. 56.
[28] Zahrte, S. 59.
[29] Jülch, S. 30.
[30] So Begr. RegE MoMiG, BT- Drucks. 16/6140, S.41.
[31] Zahrte, S. 61.
[32] Gärtner, S. 55.
[33] Roth in Roth/ Altmeppen, § 30, Rn. 92.
[34] vgl. Gärtner S. 56.
[35] Vogt, in: Beck’sches Handbuch der GmbH, Rn. 317.
[36] Zahrte, S.61.
[37] Vetter/ Stadler, Rn. 21.
[38] Vetter/ Stadler, Rn. 187 ff..
[39] Vgl. Weidenkaff, in Palandt, § 488, Rn. 6.
[40] so Schäfer, GmbHR 2005, 133, (135f.).
[41] Sprau, in Palandt, § 700, Rn.1.
[42] Wirsch, S. 42.
[43] Schäfer, GmbHR 2005, 133, (136).
[44] so auch Wirsch, S.68.
[45] v.A. Hommelhoff, WM 1984, 1105 (1106).
[46] Ebenda.
[47] Blöse, GmbHR 2006,146, (147).
[48] Vgl. Faßbender, S. 33.
[49] Wirsch, S. 72.
[50] Hommelhoff, WM 19984, 1105 (1106).
[51] So Wirsch, S. 79.
[52] Wirsch, S.80.
[53] Wirsch, S. 64
[54] So Faßbender, S.35.
[55] Zahrte, S.81.
[56] Sieder, S. 56.
[57] Jülch, S.55; Hormuth, S.102; Faßbender, S.36; Hangebrauck, S.60.
[58] Sieder, S.55.
[59] Siede r, S. 37.
[60] Vgl. Faßbender, S.39.
[61] Wirsch, S. 75.
[62] Faßbender, S. 38.
[63] Faßbender, S. 38.
[64] Sieder, S.54.
[65] Hormuth, S.114.
[66] Faßbender, S. 39.
[67] Vgl. Faßbender, S.40.
[68] Vetter/ Stadler, Rn.80.
[69] Vetter/ Stadler, S. 53.
[70] Heidinger, in Michalski, § 32b, Rn. 84.
[71] Jülch, S.61.
[72] Sieder, S. 64.
[73] Deckart, S.19.
[74] Altmeppen, in Roth/ Altmeppen, § 30, Rn.1.
[75] Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 30 Rdnr.1.
[76] Ebenda, Rn. 33.
[77] Ebenda, Rn. 24.
[78] BGHZ 31, 258, (276); Altmeppen in Roth/ Altmeppen, § 30 Rn. 8 f.; Hommelhoff, in Hommelhoff/ Lutter, § 30, Rn. 10.
[79] Hueck/ Fastrich in: Baumbach/ Hueck, § 30, Rn. 19.
[80] Hueck/ Fastrich in: Baumbach/ Hueck, § 30, Rn. 20.
[81] Zahrte, S. 89.
[82] Hangebrauck, S.205.
[83] Schmidt, § 37 III 1 c; Vetter/ Stadler, Rn. 68; Hormuth, S. 202, Hangebrauck, S.209.
[84] Vetter/ Stadler, Rn.68.
[85] Ebenda.
[86] Hormuth, S. 202 f.; Vetter/ Stadler, Rn. 68.
[87] Heidinger, in Michalski, § 30, Rn.49.
[88] Hangebrauck, S. 210.
[89] BGHZ 157, 72 – November-Urteil.
[90] BGHZ 157, 72 – November-Urteil.
[91] Ebenda.
[92] Ebenda.
[93] Ebenda.
[94] Seidel, DStR 2004, 1130, (1131).
[95] Engert, BB 2005, 1951, (1956 f.)
[96] Schäfer, GmbHR 2005, 133, (137f.).
[97] OLG München, Urt.v. 24.11.2005- 23 U 3480/05- zweites November-Urteil; GmbHR 2006,144.
[98] BGHZ 166,8 (LS)- Cash Pool I.
[99] Begr. RegE MoMiG, BT-Drs. 16/6140, S.41.
[100] Seidel, DStR 2004, 1130, (1130ff.).
[101] Gärtner, S. 391.
[102] Goette, ZIP 2005, 1481,(1484); Altmeppen, ZIP 2006, 1025,(1030); Vetter, BB 2004, 1509, (1514).
[103] Gärtner, S.391.
[104] Begr. RegE MoMiG, BT-Drs. 16/6140, S.41.