Zwischen Säkularisierung und Wiederkehr des Religiösen

Zum Phänomen einer neuen Religionsfreudigkeit


Bachelorarbeit, 2009

70 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS:

0. Einleitende Überlegungen
0.1 Die religiöse Tendenz in Europa
0.2 Ziel der Auseinandersetzung

1. Was ist Religion?
1.1 Definition
1.2 Religion aus soziologischer Sicht
1.3 Die Funktion der Religion

2. Die Gotteskrise
2.1 Ist Glaube eine Frage der Entscheidung?
2.2 Ist Glaube nur eine Vermutung?
2.3 Ist Gott tot?
2.4 Die religiöse Gleichgültigkeit
2.4.1 Weltanschauliche Gleichgültigkeit
2.4.2 Sittliche Beliebigkeit
2.4.3 Kirchenferne
2.4.4 Geistliche Ungeborgenheit
2.5 Der Christ in der modernen Welt
2.6 Anzeichen für eine Veränderung des religiösen
Bewusstseins

3. Gesellschaftliche Umbrüche
3.1 Individualisierung
3.2 Pluralisierung
3.3 Säkularisierung
3.3.1 Der Prozess der Säkularisierung
3.3.2 Kennzeichen und Belege für die
Säkularisierung
3.3.3 Säkularisierung als Chance
3.4 Demokratisierung
3.5 Ökonomisierung

4. Das „Ich“ im Umbruch
4.1 Der Trend zum „Ich“
4.2 Ideologieverdächtige Haltungen
4.3 Auf der Suche

5. Neue Religiosität
5.1 Die Weltanschauungsdimension der Gegenwart
5.2 Kein Ende der Religion
5.3 Neue religiöse Kulturformen – Esoterik
5.3.1 New Age
5.3.2 Hoffnung auf Lebensglück durch
„Positives Denken“
5.3.3 Parapsychologische Glücksbringer
5.3.4 Wege zur Heilung durch Berührung
mit dem Göttlichen
5.3.5 Entspannte Kreativität
5.3.6 Eigenverantwortung für das eigene
Schicksal – Reinkarnationstherapie
5.3.7 Der „Kosmische Christus“
5.3.8 Neues Denken in der Psychologie
5.3.9 Bewusstseinsänderung in der
Wissenschaft
5.3.10 Ganzheit, Harmonie und Heil durch
Bioprodukte
5.3.11 Geschichten und Spiele, die die Ein-
fühlung in die neue Zeit ermöglichen
5.4 Orientierung in fremden Religionen
5.5 Die Anthroposophie
5.6 Okkulte Praktiken
5.7 Andere Erscheinungen, die das Religiöse
kompensieren
5.7.1 Erleben statt leben – Zwischen
Sinnsuche und Erlebnismarkt
5.7.2 Das Medium Fernsehen
5.7.3 Neue Medien
5.8 Jugend und Religion
5.9 Kritik an der „neuen Religiosität“

6. Kirche heute
6.1 Institutionen in der Krise
6.2 De-Institutionalisierung in der christlichen Religion
6.3 Zur kirchlichen Einschätzung
6.3.1 Kirchenmitgliedschaft
6.3.2 Das Kirchenimage
6.3.3 Verlust des Gottesmonopols
6.3.4 Die Sprachbarrieren
6.4 Religion und Kirche
6.5 Neue Herausforderungen für die Kirche

Literaturverzeichnis

Verzeichnis über verwendete Internetadressen

0. EINLEITENDE ÜBERLEGUNGEN:

0.1 Die religiöse Tendenz in Europa:

Religion gehört angeblich zu den Megatrends des neuen Jahrtausends und vor allem im „säkularisierten“ Westen stellen Sozial- und Trendforscher eine zunehmende Bedeutung fest. Gleichzeitig ist gerade im deutschsprachigen Europa ein Bedeutungsverlust der christlichen Konfessionen zu erkennen.1 F.X. Kaufmann, Professor für Soziologie, schreibt in seinem Buch „Wie überlebt das Christentum“ Folgendes: „Wenn man die Entwicklung der konfessionellen und zumal der kirchlichen Verhältnisse Westeuropas an diesem zu Ende gehenden Jahrhundert betrachtet, so drängt sich der Eindruck eines langfristigen Trends auf, der jedoch unterschiedlich gedeutet wurde und gedeutet wird.“2

Empirische Studien lassen erkennen, dass die sogenannte „Patchwork-Religiosität“ (Robert Wuthnow) im Vormarsch ist. Paul M. Zulehner spricht in diesem Zusammenhang von „Religionskompositionen“, weil Elemente unterschiedlichster Weltanschauungen bunt gemischt werden, die nicht selten Widersprüche in sich tragen. Es entstehen neue religiöse Subkulturen, welche die jeweilige Lebensführung beeinflussen.3

0.2 Ziel der Auseinandersetzung:

Wo ist Gott? Haben Glaube und Religion wirklich an Bedeutung verloren oder kehrt die Religion wieder? Ist der Mensch heute wirklich areligiös? Gibt es Kennzeichen und Belege über die Säkularisierung? Steckt die Kirche in einer Krise? Gibt es im säkularisierten Westen Erscheinungen, die das Religiöse kompensieren? Nimmt die Kirche die große Herausforderung, die sich ihr stellt, auch wahr? Hat das Christentum eine Überlebenschance?

1. WAS IST RELIGION?

1.1 Definition:

Das Wort Religion kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „zurückbinden an, etwas wiederholt und sorgfältig beachten“. Religion ist der in großen Bevölkerungsgruppen in langen Traditionen kultivierte gemeinsame Glaube an das über die direkt erfahrbare Existenz Hinausgehende, zumeist an eine übernatürliche, überweltliche, persönliche oder transzendente Wesenheit (Gott). Die Religionen bieten dazu besondere Vorstellungen, Kenntnisse und Praktiken an, die den Einzelnen in Verbindung zu diesem Wesen bringen soll. Diese werden mündlich oder schriftlich überliefert. Zur Stärkung des Glaubens bilden die meisten Religionsgemeinschaften Organisationen. Im Christentum wird diese Organisation als „Kirche“ bzw. „Gemeinde“ bezeichnet. Viele Religionen und Konfessionen pflegen eine eigene Art von Spiritualität, also das geistliche Erleben, welches die festgesetzte Lehre der Religion darstellt. Im normalen Sprachgebrauch wird Spiritualität als seelische Suche nach Gott bezeichnet.1

1.2 Religion aus soziologischer Sicht:

Religion ist von vielen Sozialwissenschaftlern unter Bezug auf etwas „Übernatürliches“ - ein übermenschliches, geistiges, überlegenes, transzendentes Wesen - definiert worden. Religion lässt sich aber auch als System von Symbolen definieren, das in grundlegender Weise der Wirklichkeit Sinn und Bedeutung verleiht. Ihre grundlegende Funktion besteht darin, Mitglieder einer natürlichen Gattung in Handelnde zu verwandeln, und zwar innerhalb einer geschichtlich entstandenen gesellschaftlichen Ordnung.

Die Soziologie unterscheidet zwei Bestimmungen: eine substantiale und eine funktionale. Erstere spricht das Wesen des Religiösen an: Religion ist das Unterfangen des Menschen, einen heiligen Kosmos zu errichten. Die funktionale Definition wirft die Frage auf, wozu Religionen überhaupt gut sind. Der Religionssoziologie geht es ja nicht um die Wahrheitsfrage, ob es Gott wirklich gibt oder nicht, sondern um die Bedeutung religiöser Vorstellungen, Übungen und Institutionalisierungen in der Gesellschaft.1

1.3 Die Funktion der Religion:

Im Vordergrund steht die Funktion der Orientierung und Sinnstiftung: Die Menschen sind mit Angstsituationen und Schicksalsschlägen konfrontiert, mit Schwangerschaft, Geburt, Krieg, Tod, usw. Die Religion liefert in jeder Situation Orientierung. Religion wird als Fundament der Gesellschaft angesehen, sie vermittelt sozialen Nutzen und hat gleichzeitig eine Entlastungsfunktion, da religiöse Vorstellungen und Handlungen als Ersatz für Schicksalsschläge und Leiden dienen. Die Bedürfnisse, die einem Menschen versagt bleiben, werden in einer „besseren“ Welt gesucht. In jedem Fall aber setzt Religion die Anrufung einer Gottheit oder einer übernatürlichen Kraft voraus.2

„Franz-Xaver Kaufmann spricht nicht mehr von Funktion, sondern von ‚lebensdienlichen Kulturleistungen’ und nennt deren sechs:

- Identitätsstiftung durch Affektbindung und Angstbewältigung;
- Handlungsführung durch Moral, Ritus und Magie;
- Kontingenzbewältigung durch Beantwortung oder Kompensation der Theodizeefrage;
- Sozialintegration durch Legitimierung und Einbindung in die Gemeinschaft;
- Kosmisierung durch Eröffnung eines Deutehorizonts, der Sinnlosigkeit und Chaos ausschließt;
- Weltdistanzierung durch Widerstandskraft gegen ungerechte und unmoralische Verhältnisse.“1

Die Umfrage „Religion im Leben der ÖsterreicherInnen 1970 – 2000“ ist der Frage nach der Religionsfunktion ebenfalls nachgegangen. Die Studie ergab, dass sich jene Funktionen abgeschwächt haben, die „antiautonom“ sind (Kinder müssen lernen, was sich gehört, Religion benötigt man für sein Selbstbewusstsein,...). Die Schutz- und Trostrolle der Religion blieb hingegen stabil.2

Trotzdem sprechen Theologen nicht von einer Religionskrise, denn Religion boomt. Es ist auch nicht mehr nur von einer Kirchenkrise die Rede. Was die europäische Bevölkerung befallen hat, ist eine „ausgewachsene Gotteskrise“. Diesem Thema ist das nachfolgende Kapitel gewidmet.

2. DIE GOTTESKRISE:

2.1 Ist Glaube eine Frage der Entscheidung?

Der Theologe Karl Rahner spricht von der Möglichkeit der Entscheidung gegen Gott. In seinem Buch „Grundkurs des Glaubens“ schreibt er, dass Verantwortlichkeit und Freiheit zu den Strukturcharaktere des menschlichen Daseins gehören. Diese Freiheit des Subjekts besteht immer und überall und ist in jede einzelne geschichtliche Tat des Menschen integriert. Dabei ist es unmöglich, eine Entscheidung durch eine gegenteilige außer Kraft zu setzen, was zur Folge hat, dass Freiheit zwangsläufig zu einem endgültigen und unwiderruflichen Ergebnis führt. Freiheit ist für K. Rahner das Ereignis des Ewigen. Freiheit des Subjekts bedeutet immer auch ein eindeutiges Ja oder Nein gegenüber jenem Woraufhin und Wovonher der Transzendenz, das wir „Gott“ nennen. Wenn der Mensch als Wesen der Freiheit Gott verneint, dann tut er dies Gott selbst gegenüber und nicht nur zu einer kindlichen oder innerweltlichen Vorstellung von Gott.1 „Zu Gott selbst, nicht bloß zu irgendeiner innerweltlichen Maxime des Handelns, die wir mit Recht oder Unrecht als ‚Gesetz Gottes’ ausgeben. Ein solches Nein zu Gott ist gemäß dem Wesen der Freiheit ursprünglich und primär ein Nein zu Gott in dem einen und ganzen Daseinsvollzug des Menschen in seiner einen und einmaligen Freiheit. Ein solches Nein zu Gott ist nicht ursprünglich als bloß moralisches Fazit, das wir aus den guten oder bösen Einzeltaten zusammenrechnen, sei es, dass wir alle diese Posten als gleichberechtigt behandeln, sei es, dass man meint, in diesem Fazit komme es auf den zeitlich letzten Einzelposten in unserem Leben allein an, als ob dieser eben bloß als der zeitlich letzte und nicht insofern von absoluter Bedeutung sei, als ob dieser eben die ganze eine Freiheitstat eines ganzen Lebens in sich hineinintegriert.“2

2.2 Ist Glaube nur eine Vermutung?

In unserer Alltagssprache bedeutet „glauben“ oft nicht mehr als „meinen“ oder „vermuten“. Dieser Sprachgebrauch hat sich im Laufe der Zeit auch im religiösen Bereich durchgesetzt. Das Wort „Glaube“ drückt für viele nur eine Überzeugung aus, die zwar Anhaltspunkte aufweist, aber nicht auf feststellbaren Tatsachen beruht. Das Problem stellt die Unbeweisbarkeit der Aussagen über Gott dar. Eine Aussage gilt nämlich dann als wahr, wenn sie dem Sachverhalt entspricht, auf den sie sich bezieht. Seit der Aufklärung (17./18. Jahrhundert) hat sich ein Maßstab herauskristallisiert, wonach jede Erkenntnis bzw. Aussage folgenden drei Bedingungen standhalten muss:

1. Die Forderung der Widerlegbarkeit: Man muss Fakten angeben können, durch die eine Behauptung möglicherweise widerlegt werden kann.
2. Die Forderung des Experiments: Wer etwas als „wahr“ ausgibt, muss Methoden nennen können, um die Tatsachen auch experimentell herbeiführen zu können.
3. Die Forderung der allgemein einsichtigen, autoritätsfreien Kommunikation: Man muss Behauptungen so begründen, dass sie dem Gesprächspartner einsichtig gemacht werden können und er diesen in Freiheit zustimmen kann.

Nur wenn eine Aussage diese drei Bedingungen erfüllt, gilt sie heute bei vielen als wahr. Diese Einstellung ist nicht nur im wissenschaftlichen Bereich anzufinden, sondern bestimmt auch das alltägliche Erkennen und Sprechen.1 „Das war keineswegs zu allen Zeiten so, und es trifft auch heute nicht auf alle Kulturkreise zu. Zum Beispiel galt bis zum Ausgang des Mittelalters (und auch heute in Lebensräumen, die nicht so stark von der westlichen Mentalität geprägt sind) eine Aussage auch dann als >wahr<, wenn sie sich auf die Autorität eines >Weisen< oder einer ehrwürdigen Tradition oder einer unbezweifelbaren Institution berufen konnte; oder wenn dahinter die Lebenserfahrung eines ganzen Volkes steht; oder wenn sie sich auf die >Evidenz<, d. h. die innere, unhinterfragbare Einsichtigkeit der Sache selbst stützt (so war z. B. die Existenz eines >göttlichen Weltgrundes< für den antiken, ja auch noch für den mittelalterlichen Menschen eine selbstverständliche Wahrheit, weil alle Dinge dieser Welt ihn unmittelbar bezeugten, d. h. auf ihn >durchsichtig< waren und ihn dadurch >einsichtig< machten).“1

Die Aussagen über Gott und den christlichen Glauben erfüllen keine der drei oben genannten Bedingungen. Diese Tatsache ist ein Grund dafür, dass der christliche Glaube bei uns in Bedrängnis geraten ist und er immer öfter als willkürliche Behauptung abgetan wird.

Friedrich Nietzsche hat die Gotteskrise als willkürliche Tat des Menschen, als Mord, beschrieben.

2.3 Ist Gott tot?

„Wohin ist Gott? Ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder!“, ruft der tolle Mensch in Friedrich Nietzsches Schrift „Die fröhliche Wissenschaft“, in der er seine Sicht des Säkularisierungsprozesses beschreibt.2 Es ist naheliegend, dass Nietzsche sich selbst in der Rolle des „tollen Menschen“ sieht und dass der Markt in Athen gemeint ist, auf dem nicht nur Marktschreier ihre Waren anpriesen, sondern auch Philosophie betrieben wurde. Da wurde diskutiert über den Urgrund der Welt, über die geistige Herkunft der Natur und nicht zuletzt über den göttlichen Logos. Selbst Sokrates trat hier auf, um nach der Wahrheit zu suchen und aus der Apostelgeschichte (Apg 17,23-28) ist bekannt, dass fünfhundert Jahre nach Sokrates Paulus aus Tarsus die Leute dort mit dem Gott bekannt machte, der die Welt erschaffen hat. An diesem Umschlagplatz philosophischer Gedanken lässt Nietzsche den „tollen Menschen“ den Tod Gottes verkünden.1

Trotzdem gibt es auch heute noch Menschen, die Gott noch nicht für tot erklärt haben. Beispielweise erhebt der Autor Georg Betz in seinem Buch „Glauben Christen gottlos?“ Einspruch gegen den alltäglichen Atheismus. Auch wenn die Zahl im Schrumpfen ist, sind es noch Millionen, die am Gottesglauben festhalten. Wären so viele Menschen bereit für Gottesdienste, Gebete und Opfer, wenn sie nicht sicher spüren würden, dass es Gott gibt? Für Betz sind auf Distanz gegangene Christen nicht diejenigen, die Gott leugnen, sondern Menschen, die negative Erfahrungen mit der Kirche gemacht haben. Gott ist nicht tot, weil sich Millionen von Menschen nicht irren können. Solange Gott Verehrer findet, lebt er. Außerdem ist für viele Gläubige die Schöpfung genauso ein Beleg für die Existenz Gottes wie die Person Jesu, in der Gott selbst auf die Erde gekommen ist, wenn auch nur für kurze Zeit. Der Autor gibt aber auch offen zu, dass die Begründungen der Gläubigen nicht auf tragfähigem, lebendigem Fundament stehen, zumal Gott in den zweitausend Jahren, die seit den Jüngererfahrungen verstrichen sind, längst wieder gestorben sein könnte. Für Betz kann das Bekenntnis heute nur wirken, wenn es einen Grund dafür im eigenen Erleben gibt.2

Laut einer europäischen Wertestudie aus dem Jahr 1999 glauben 83 % der Österreicher an Gott, das sind um 6 % mehr als im Jahr 1990. Es handelt sich bei diesem Personenkreis aber nicht um Christen im traditionellen und herkömmlichen Sinn.3

Gegenwärtig wird auch Gleichgültigkeit als Grund für die Gotteskrise genannt.

2.4 Die religiöse Gleichgültigkeit:

Viele Menschen leben heute so, als gäbe es Gott nicht. Gott spielt in ihrem Leben keine Rolle. Es ist ihnen egal, ob es Gott gibt oder nicht. Diese Haltung wird „praktischer Atheismus“ oder „Indifferentismus“ genannt. Der Unterschied zum theoretischen Atheismus besteht darin, dass dieser mit Argumenten untermauert wurde, was beim praktischen Atheismus nicht der Fall ist. Dass diese religiöse Gleichgültigkeit weit verbreitet ist, wird kaum mehr bestritten.

Der Autor Hermann Schulze-Berndt spricht in seinem Werk „Stirbt der Gottesglaube aus“ von vier Merkmalen, auf denen diese Gleichgültigkeit basiert.

2.4.1 Weltanschauliche Gleichgültigkeit:

Ein Leben, in dem Gott keine Rolle spielt, ist gleichzeitig mit weltanschaulicher Gleichgültigkeit und Unentschiedenheit verbunden. Für solche Menschen ist es wichtig, dass ihre eigenen Interessen und ihr privater Lebenskreis nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Sie sehen sich selbst als politisch, philosophisch und religiös tolerant, obwohl sie bereits als „indifferent“ bezeichnet werden können. Die Gefahr liegt darin, dass solche Leute aufgrund ihrer Gleichgültigkeit kein Interesse daran haben, irgendwelche Informationen über ideologische oder theologische Themen einzuholen, was zu Unwissenheit und in der Folge zu leichter Beeinflussbarkeit führt. Die Chancen für religiöse und politische „Verführer“ steigen.1

2.4.2 Sittliche Beliebigkeit:

„Der Verlust an weltanschaulicher und religiöser Entschiedenheit geht offenbar einher mit einem gewissen Schwund bei der Orientierung an sittlichen Normen, die als verbindlich gelten. Manche Zeitgenossen begnügen sich mit einem Mindestmaß an moralischen Überzeugungen. Man könnte von einem ethischen Minimalismus oder einer sittlichen Beliebigkeit sprechen. Die Devise lautet: Jeder darf das tun, was er will, solange er gegen kein staatliches Gesetz verstößt. Die Angst vor rechtlichen Strafen gerät dadurch unter Umständen zum einzigen Motiv, etwas zu unterlassen oder zu tun. Sittliche Überlegungen, die den inneren Gehalt der Gesetze bestimmen, sind schon gar nicht mehr geläufig. Die Tatsache, dass manche Vergehen (z.B. Kaufhausdiebstähle) mittlerweile von einigen Menschen als Kavaliersdelikte aufgefasst werden, deutet die Gefahr an, dass auch die Grenze der Gesetze auf Dauer vernachlässigt werden könnte. Ein kompliziertes Gemeinwesen kann sich solch eine Entwicklung aber nicht leisten, wenn es Bestand haben will. Daher bedroht der ethische Minimalismus letztlich auch die staatliche Ordnung und Stabilität.“1

2.4.3 Kirchenferne:

Viele Menschen, denen Gott gleichgültig geworden ist, haben sich auch von der Kirche entfernt, ein Hinweis dafür sind die hohen Kirchenaustrittszahlen und der nachlassende Gottesdienstbesuch. Umgekehrt kann zwar nicht davon ausgegangen werden, dass alle Menschen, die sich von der Kirche lösen, ihre Gottesbeziehung aufgegeben haben und religiös gleichgültig geworden sind, trotzdem besteht die Gefahr, dass Menschen, die über einen längeren Zeitraum ohne kirchliche Praxis leben, im inneren Glauben an Gott nachlassen, weil es großer Anstrengung bedarf, den Gottesglauben ohne kirchliche Bindung zu pflegen.

2.4.4 Geistliche Ungeborgenheit:

Beachtenswert ist, dass die Gleichgültigkeit gegenüber Gott bei vielen Menschen nur vordergründig ist. Auch in Menschen, die ein Leben ohne Gott zu führen scheinen, kann eine Sehnsucht nach Religion schlummern, die unter Umständen wach wird, wenn zum richtigen Zeitpunkt ein Anstoß erfolgt. Freilich kommen solche Anstöße auch aus dem Bereich der Esoterik, für den gerade Menschen mit der oben beschriebenen unentschiedenen Haltung, denen Wissen und Informationen in allen Richtungen fehlen, „anfällig“ sind.1

[...]


1 Vgl. POLAK, Regina: Megatrend Religion? Neue Religiositäten in Europa, Ostfildern:

Schwabenverlag, 2002, S. 17

2 KAUFMANN, Franz Xaver: Wie überlebt das Christentum? Freiburg im Breisgau: Verlag

Herder, 2000, S. 11

3 Vgl. POLAK, Regina: Megatrend Religion? Neue Religiositäten in Europa, S. 28

1 Vgl. http://www.edu.uni-klu.ac.at/~asvoboda/interreli/religion.htm (05-07-01).

1 Vgl. PRISCHING, Manfred: Soziologie. Grundlagen des Studiums, Wien: Böhlau Verlag,

1995, S. 390 - 391

2 Vgl. PRISCHING, Manfred: Soziologie. Grundlagen des Studiums, S. 392 - 393

1 ZULEHNER/HAGER/POLAK: Kehrt die Religion wieder? Religion im Leben der Menschen

1970 – 2000. Band 1, Ostfildern: Schwabenverlag, 2001, S. 29

2 Vgl. ZULEHNER/HAGER/POLAK: Kehrt die Religion wieder?, S. 250

1 Vgl. RAHNER, Karl: Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums,

Freiburg im

Breisgau: Herder Verlag, 1984, S. 101 - 108

2 RAHNER, Karl: Grundkurs des Glaubens, S. 108

1 Vgl. KEHL, Medard: Hinführung zum christlichen Glauben, Mainz: Matthias-Grünewald-

Verlag, 1995, S. 9 - 14

1 KEHL, Medard: Hinführung zum christlichen Glauben, S. 13 - 14

2 Vgl. http://home.rhein-zeitung.de/~rdober/relkrit/nietzsche1.html (02-10-31)

1 Vgl. ESSER, Wolfgang G.: Philosophische Gottsuche. Von der Antike bis heute, München:

Kösel Verlag, 2002, S. 311-313

2 Vgl. BETZ, Georg: Glauben Christen gottlos? Einspruch gegen den alltäglichen Atheismus,

Freiburg i. Br.: Christophorus-Verlag, 1989, S. 12 - 16

3 Vgl. POLAK, Regina: Megatrend Religion? Neue Religiositäten in Europa, S. 37 - 38

1 Vgl. SCHULZE-BERNDT, Hermann: Stirbt der Gottesglaube aus? Der praktische Atheismus

und seine Überwindung, Würzburg: Echter Verlag, 1991, S. 11 - 14

1 SCHULZE-BERNDT, Hermann: Stirbt der Gottesglaube aus, S. 14 - 15

1 Vgl. SCHULZE-BERNDT, Hermann: Stirbt der Gottesglaube aus, S. 15 - 16

Ende der Leseprobe aus 70 Seiten

Details

Titel
Zwischen Säkularisierung und Wiederkehr des Religiösen
Untertitel
Zum Phänomen einer neuen Religionsfreudigkeit
Hochschule
Private Pädagogische Hochschule der Diözese Linz
Veranstaltung
Fundamentaltheologie/Soziologie
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2009
Seiten
70
Katalognummer
V192109
ISBN (eBook)
9783656179061
ISBN (Buch)
9783656179450
Dateigröße
680 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
zwischen, säkularisierung, wiederkehr, religiösen, phänomen, religionsfreudigkeit
Arbeit zitieren
Martina Pernegger (Autor:in), 2009, Zwischen Säkularisierung und Wiederkehr des Religiösen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192109

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