Das Konfliktpotenzial zwischen Minna und Tellheim

Unterschiedliche Vorstellungen und Prioritäten in Gotthold Ephraim Lessings Lustspiel „Minna von Barnhelm, oder Das Soldatenglück“


Term Paper, 2012

24 Pages, Grade: 1,3


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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Lessingsche Lustspiel

3 Wie die Aufklärung (nicht) in das Lustspiel hineinwirkt
3.1 Der moderne Gedanke der Ehe als Verbindung zweier Liebender 3.2 Die Vernachlässigung des familiären Aspektes in „Minna von Barnhelm“

4 Der Konflikt zwischen den Verlobten und das Verwirrspiel Minnas
4.1 Einseitige Aufhebung der Verlobung 4.2 Kommunikationsverhalten und unterschiedliche Werte 4.3 Minnas „Intrige“: Gründe, Ablauf und Behandlung der Frage, warum sie das Spiel nicht abbricht
4.4 Lösung des Konflikts

5 Schlussbemerkungen

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Das Lustspiel „Minna von Barnhelm, oder Das Soldatenglück“ des deutschen Dramatikers und Dichters Gotthold Ephraim Lessing aus dem Jahre 1767 war seinerzeit ein äußerst populäres Drama und zählt auch heute noch zum festen Repertoire europäischer Theaterhäuser. Somit handelt es sich hierbei um das älteste deutschsprachige Stück, das noch auf den Bühnen gespielt wird.1Der Grund für diese erstaunliche Tatsache liegt scheinbar darin, dass sich nicht nur frühere Zuschauer mit den Protagonisten der Komödie identifizieren konnten, sondern auch in unserer modernen, schnelllebigen, globalisierten Welt noch Berührungspunkte mit dem dargestellten Geschehen vorhanden sind. Daher habe ich dieses bedeutende, häufig „als das beste deutsche Lustspiel“2titulierte Drama ausgewählt.

In meiner Hausarbeit möchte ich mich eingehender mit dem Dramentext befassen und dabei vor allem untersuchen, wie die zwischen der Sächsin Minna und ihrem Verlobten, dem Major Tellheim, ausgetragenen Kontroversen aufgebaut sind und wie sich diese erklären lassen. So ist vornehmlich herauszufinden, weshalb sich der männliche Protagonist zunächst vehement gegen eine Vermählung sperrt, obgleich das Fräulein leidenschaftlich darum wirbt, während es sich im zweiten Teil des Stückes genau andersherum verhält.

Nach einer theoretischen Einführung, in der ich skizzenhaft auf das deutsche Lustspiel, wie es von Lessing modifiziert wurde, wie auf die Verbindungen der Komödie zur Aufklärung eingehe, werde ich das Konfliktpotenzial zwischen den Protagonisten sowie das häufig als „Intrige“ bezeichnete Verwirrspiel Minnas um ihre angebliche Enterbung und die Vertauschung der Verlobungsringe näher beleuchten. Schließlich möchte ich analysieren, aus welchen Gründen das Fräulein ihr Spiel nach Einlenken Tellheims nicht abbricht und wie die Auseinandersetzung des Paares beigelegt wird, bevor sich das Drama zu einem Trauerspiel entwickeln kann.

2 Das Lessingsche Lustspiel

Das Lessingsche Lustspiel wurde in Abgrenzung zur Komödie Johann Christoph Gottscheds entwickelt und in der „Hamburgischen Dramaturgie“ theoretisch behandelt. Eines seiner Kennzeichen ist die Loslösung von der Ständeklausel, nach der die Tragödie nur von hochrangigen, die Komödie dagegen nur von „niederen“ Personen handeln darf.3„Minna von Barnhelm“ dient als Beispiel dafür, dass Lessing diese Regel aufgehoben hat, da hier zwei Adlige als Protagonisten in einem Lustspiel fungieren.

Was die Konzeption der drei Einheiten betrifft, so lehnt Lessing die Übernahme der Einheiten Ort und Zeit für seine Dramen grundsätzlich ab. Für ihn ist lediglich noch die Einheit der Handlung von Relevanz.4Dem widerspricht der Aufbau der „Minna von Barnhelm“, da Lessing sich hier am Modell der Dramentheorie Aristoteles' orientiert.5

Im Vergleich zu vorherigen Lustspielen ist in den Komödien Lessings keine Heilungsfunktion und somit keine Wandlung der Protagonisten mehr impliziert, was laut zahlreichen Interpreten auch für das hier behandelte Drama gilt.6Zudem unterscheidet Lessing zwischen unterschiedlichen Arten des Komischen: Während das Niedrigkomische für jeden Zuschauer leicht verständlich ist und oberflächlich bleibt, erfordert die wesentlich schwieriger zu erkennende hohe Komik Denkarbeit bzw. Intellekt. In „Minna von Barnhelm“ sind beide Formen der Komik auszumachen.7

Schließlich wird durch Lessings aufklärerische Komödientheorie ein neues Verständnis des Lachens etabliert, markiert durch den bedeutenden Satz: „Die Komödie will durch Lachen bessern, aber nicht eben durch Verlachen“8. So handelt es sich bei den Protagonisten nun nicht mehr um durchweg schlechte, sondern um gemischte Charaktere, mit denen sich der gewöhnliche Mensch identifizieren kann. Aus diesem Grund ist trotz des gelegentlichen Lachens der Zuschauer über die Unvollkommenheiten der Figur weiterhin Akzeptanz für diese vorhanden, während in der Typenkomödie Gottscheds die vollständige Erniedri- gung der gänzlich fehlerhaften Figur vorherrschte. Zwar liegt Lessings Ziel auch in der geistig-seelischen Besserung des Publikums, ist jedoch im Gegensatz zu Gottsched nicht bezogen auf die Berichtigung einzelner Charakterschwächen, sondern auf die Schulung der allgemeinen Fähigkeit, Lächerliches zu erkennen und so allmählich ein kritisches Urteilsvermögen zu entwickeln, das sich der eigenen Schwächen bewusst ist und somit dazu beiträgt, dass der Rezipient nachsichtiger mit seinen Mitmenschen umgeht.9„Das Lachen des Aufklärers ist auf die Humanität bezogen“10.

3 Wie die Aufklärung (nicht) in das Lustspiel hineinwirkt

3.1 Der moderne Gedanke der Ehe als Verbindung zweier Liebender

Das Lustspiel „Minna von Barnhelm“ gilt „als repräsentativ für das deutsche Drama der Aufklärung“11 und als „deutsche[...] Aufklärungskomödie par excellence“12.

Neben der aufklärerischen Grundhaltung Minnas, Verwendung der Motive Vernunft und Notwendigkeit sowie dem Austausch klassischer Geschlechter- verhältnisse ist eine weitere Begründung für diese Feststellung sicherlich die, dass die Verbindung der Protagonisten auf Liebe basiert.13Während Ehen vor Beginn der Aufklärung vornehmlich aus Gründen der Zweckmäßigkeit, abhängig von Gesellschaftsschicht und wirtschaftlichen Faktoren, geschlossen wurden, wandelt sich das Beziehungsverhältnis im 18. Jahrhundert dahingehend, dass Gefühle nun zunehmend eine Rolle spielen und Paare immer öfter aus Liebe heiraten.14Damit einhergehend ist zu beobachten, dass Familien nun immer seltener als Produktionsgemeinschaften im Haus arbeiten, sondern Beruf und Privatleben weitgehend voneinander getrennt sind.15Dadurch wird die Frau, die im Gegensatz zum Mann das Haus hütet, „auf den von der Produktion entlasteten Bereich der Familie festgelegt: als Erzieherin der Kinder und als liebende Frau des Ehemannes. So pädagogisiert, privatisiert und emotionalisiert sich die Familie“16. Infolgedessen bilden sich unterschiedliche Schwerpunkte bezüglich der gemein samen Verbindung aus: Während die Frau aufgrund ihrer häuslichen Position den privaten Liebesaspekt der Ehe betont, ist für den Mann als Vertreter in der Öffentlichkeit, bedingt durch seinen Status als Arbeitnehmer, der gesellschaftliche Charakter der Beziehung relevanter.17

3.2 Die Vernachlässigung des familiären Aspektes in „Minna von Barnhelm“

Die Familie als grundlegende Institution der Aufklärung, grundsätzlich verbunden mit einer autoritären Vaterfigur, spielt im behandelten Lustspiel eine wesentlich geringere Rolle als in der Realität des 18. Jahrhunderts.18Minnas Eltern leben nicht mehr. Als einziger familiärer Bezugspunkt bietet sich ihr der Oheim, Graf von Bruchsall, der ihr jedoch viele Freiheiten lässt, was gegen die Konventionen der damaligen Zeit verstößt [vgl. II,2].19Ebenfalls untypisch ist, dass Minna ihren Bräutigam selbst wählen darf [IV,6].20

Somit handelt es sich bei dem Fräulein um eine eigenständige, von familiären Bindungen weitgehend losgelöste 20-Jährige. Ihr Selbstbewusstsein beruht mitunter sicherlich auf dieser Unabhängigkeit, weshalb Minnas Vorgehensweise bereits als emanzipiert bezeichnet werden kann.21

4 Der Konflikt zwischen den Verlobten und das Verwirrspiel Minnas

Die Auseinandersetzung zwischen Minna und Tellheim kreist um die Frage, ob eine Heirat unter den gegebenen Umständen möglich bzw. sinnvoll ist. Dabei wird deutlich, dass die Protagonisten vollkommen unterschiedliche Prioritäten setzen und ihre Vorstellungen von der Ehe nicht konform sind. Diese Unterschiede führen zu Missverständnissen. Im Folgenden setze ich mich eingehender mit dem bestehenden Konflikt auseinander.

4.1 Einseitige Aufhebung der Verlobung

Nach Ende des Siebenjährigen Krieges richtet Tellheim bloß noch einen einzigen Brief an seine Verlobte, in welchem er ihr mitteilt, sie „nähere [s]ich der Erfüllung [ihrer] Wünsche.“ [II,1]. Aus diesen Worten geht hervor, dass eine baldige Hochzeit geplant ist. Doch als der Verdacht auf Bestechlichkeit, Staatsschädigung und Befehlsverweigerung gegen den Major erhoben wird, entschließt er sich, von der Vermählung Abstand zu nehmen, da ihm dies seine „Ehre befiehlt“ [IV,6]. Denn „[d]as Fräulein von Barnhelm verdienet einen unbescholtenen Mann.“ [ebd.], dessen berufliches und privates Ansehen noch intakt ist. Dass Tellheim seiner Verlobten die Entscheidung, ob diese einen des Verbrechens Beschuldigten heiraten möchte, nicht selber überlässt, sondern stellvertretend für sie eine Wahl trifft, gründet zwar darauf, dass seine Liebe zu Minna so stark ist, dass er lieber auf sie verzichtet, als finanzielle und soziale Nachteile für sie entstehen zu lassen (vgl. Kap. 4.2), zeigt aber auch, dass er das Fräulein nicht als individuelle Persönlichkeit akzeptiert, da er sie mit seiner einsamen Entscheidung bevormundet bzw. gar entmündigt. Als Mann des 18. Jahrhunderts fühlt sich Tellheim verpflichtet, der Frau an seiner Seite jegliche Verantwortung abzunehmen und sie zu schützen, was auch auf seinem Ehrenkodex als Soldat beruht und eine altruistische Einstellung kennzeichnet. Daneben ist sein Verhalten jedoch auch geprägt von Superiorität [IV,6; V,9].22

Über seinen Entschluss setzt er die junge Frau nicht einmal in Kenntnis, weil ihm „Vernunft und Notwendigkeit befehlen, Minna von Barnhelm zu vergessen“ [II,9], und ihm dies offenbar leichter fällt, wenn er jeglicher Diskussion ausweicht. Dadurch, dass er Minna in Unwissenheit lässt, handelt er äußerst feige und unmoralisch. Aus keiner Dialogstelle geht hervor, dass er sich Gedanken darüber macht, wie es ihr unter diesen Umständen ergehen könnte.

Der Verlobungsring des Fräuleins bedeutet Tellheim nach wie vor sehr viel, er bezeichnet ihn gar als „einzige Kostbarkeit, die [ihm] übrig ist“ [I,10]. Dennoch lässt er ihn versetzen, womit eine einseitige Auflösung des Verlobungsversprechens einhergeht.

Es ist ersichtlich, dass der Verkauf des Ringes nicht die einzige oder letzte Möglichkeit für den Soldaten gewesen wäre, zu Geld zu kommen [III,7]. Daraus, dass er trotzdem auf die beschriebene Weise handelt, deute ich nicht nur, dass Tellheim keine Hilfe annehmen kann, sondern ebenfalls, dass er das Schmuck- stück zumindest teilweise auch aus innerem Antrieb heraus weggeben möchte, da es für ein Versprechen steht, das der Major nicht mehr in der Lage ist zu geben.

Darüber hinaus erinnert ihn der Ring unaufhörlich an das, was er verloren hat, weshalb neben den finanziellen Gründen für dessen Versetzung auch emotionale Aspekte eine Rolle spielen. Sein Verhalten scheint gar geprägt von Egoismus: Während er sich von dem Versprechen, das er Minna seinerzeit gegeben hat, löst, gesteht er ihr nicht zu, dasselbe zu tun.23

4.2 Kommunikationsverhalten und unterschiedliche Werte

Bei der ersten Begegnung der Protagonisten im Drama ist die anfängliche Freude über das Wiedersehen auf beiden Seiten augenfällig und durch die Regieanweisungen verdeutlicht [II,8].

Bereits Momente später fasst Tellheim sich jedoch wieder, da ihm bewusst wird, dass ein solches Verhalten seinem gefassten Trennungsplan entgegensteht. Während er die junge Sächsin zuvor noch „meine Minna“ [ebd.] nannte, bezeich- net er sie nun förmlich als „gnädiges Fräulein“ [ebd.] sowie als „das Fräulein von Barnhelm“ [ebd.]. Mit dieser veränderten Anrede geht eine Distanzierung zu seiner Verlobten einher. Zugleich macht der Major damit auf Minnas soziale Stellung aufmerksam, wodurch zum Ausdruck kommt, dass er die gemeinsame Verbindung nicht als reine Liebesbeziehung betrachtet, sondern ebenso sehr als gesellschaftliche Institution, worauf ich später noch zurückkomme.24

Minna lässt sich nicht durch Tellheims gewandeltes Benehmen verunsichern und spielt darauf an, dass ihr Verlobter sie noch nicht zur Frau genommen hat. Obgleich ihr Hinweis humorvoll formuliert ist, ist er gleichwohl als Kritik am Verhalten Tellheims zu verstehen.

Zunächst macht es den Eindruck, der Major fühle sich unwohl, im Beisein des Wirtes mit dem Fräulein zu sprechen, herausgestellt durch eine entsprechende Regieanweisung [ebd.]. Er scheint hilflos und nicht imstande zu handeln, gleich wie gelähmt.

Doch als das Paar in II,9 alleine zurückbleibt, ist Tellheim nach wie vor verwirrt und weicht Minnas Annäherungsversuchen aus. Sie hingegen ist glücklich, ihren geliebten Soldaten so schnell schon wiedergefunden zu haben. Dass sich die Situation des Majors unglücklich gewandelt hat, hat keine Bedeutung für das Fräulein, was bereits auf die unterschiedlichen Ansichten der Protagonisten vorausdeutet.

[...]


1 Vgl. Saße, 1993, S. 6.

2 Kornbacher-Meyer, 2003, S. 268.

3 Vgl. ebenda, S. 98.

4 Vgl. ebenda, S. 79-80.

5 Vgl. Fischer, 1881, S. 104.

6 Vgl. Kornbacher-Meyer, S. 299-300; vgl. Werner, 1984, S. 51.

7 Vgl. Kornbacher-Meyer, S. 91-93.

8 Schwan, 1993, S. 313.

9 Vgl. Kornbacher-Meyer, S. 82-83, 93, 95, 97.

10 Gaier, 1991, S. 46.

11 Prutti, 1996, S. 1.

12 Siehe ebenda, S. 6.

13 Vgl. Grevel, 1996, S. 485, 489, 491; vgl. Schmidt, 2005, S. 34-35.

14 Vgl. Saße, S. 48.

15 Vgl. Hassel, 2002, S. 22-23.

16 Saße, S. 47.

17 Vgl. ebenda, S. 48-49.

18 Vgl. Hassel, S. 25.

19 Vgl. Schwan, S. 315; vgl. Winter, 1994, S. 28.

20 Vgl. Prutti, S. 183.

21 Vgl. Keckeis, 2004, S. 282;

22 vgl. Werner, 1984, S. 45; vgl. Haag, 2009, S. 50; vgl. Prutti, S. 6.

23 Vgl. Prutti, S. 212-213.

24 Vgl. Saße, S. 41.

Excerpt out of 24 pages

Details

Title
Das Konfliktpotenzial zwischen Minna und Tellheim
Subtitle
Unterschiedliche Vorstellungen und Prioritäten in Gotthold Ephraim Lessings Lustspiel „Minna von Barnhelm, oder Das Soldatenglück“
College
University of Hagen
Grade
1,3
Author
Year
2012
Pages
24
Catalog Number
V192197
ISBN (eBook)
9783656170389
File size
533 KB
Language
German
Notes
Kommentar des Dozenten: "[Die Arbeit] enthält eine Folge kluger Beobachtungen und einleuchtender Überlegungen, die stets eingebettet bleiben in die Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur."
Keywords
Hausarbeit, Lessing, Literaturwissenschaft, Minna von Barnhelm, Konflikt, Tellheim, Lustspiel, Komödie
Quote paper
Stefanie Bonk (Author), 2012, Das Konfliktpotenzial zwischen Minna und Tellheim, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192197

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