Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Abweichendes Verhalten
2.1 Die normativorientierte Definition
2.2 Die erwartungsorientierte Definition
2.3 Die sanktionsoientierte Definition
3 Die Theorie des Labeling Aproach zur Entstehung von Devianz
3.1 Der Etikettierungs- oder Reaktionsansatz
3.2 Primäre und sekundäre Devianz
3.3 Modell der abweichenden Karriere
3.4 Makro- und mikrosoziologische Prozessaspekte
4 Schlussbemerkung
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Aufgrund des zunehmenden kriminellen Verhaltens junger Menschen wird die Frage nach den Ursachen für Delinquenz in der Gesellschaft immer gegenwärtiger. Viele Kriminalsoziologische Theoretiker befassen sich mittlerweile damit die Gründe der Täter zu untersuchen. Die konformen Gesellschaftsmitglieder möchten verstehen können was in den oftmals minderjährigen Tätern vor sich geht und was sie dazu bewegt so brutal zu handeln, wie es im Februar 2011 der Fall war. Am Berliner U-Bahnhof Lichtenberg wurde ein 30 jähriger Mann von Jugendlichen, im Alter zwischen 14 und 17 Jahren ins Koma geprügelt.[1] Die jungen Täter hatten es auf die Wertgegenstände des Opfers abgesehen und schränkten ihre Gewalt auch dann nicht ein, als dieses bereits wehrlos am Boden lag.
Mit sozialpsychologischen Ansätzen versuchen nun viele Ansätze der Kriminalsoziologie die inneren Beweggründe der Täter zu ergründen. Im Folgenden soll jedoch die Entwicklung von Devianz im Allgemeinen, nach ihren Ursachen außerhalb des Individuums, mit Hilfe des Labeling Approachs untersucht werden. Dieser soziologisch relativ junge Ansatz der Ursachenforschung von abweichendem Verhalten, fasst den „Täter weniger als Subjekt denn als ein Wesen (…), dessen Verhalten letztlich ein Produkt von Zuschreibung ist“[2], auf.
2 Abweichendes Verhalten
Um die Entstehung abweichenden Verhaltens nachvollziehen zu können, muss zunächst der Begriff der Devianz geklärt werden. Laut Becker ist Abweichung keine Qualität des Verhaltens selbst, sondern die Interaktion zwischen der handelnden Person und denen die darauf antworten.[3] Devianz ist also eine Handlung, die von anderen als abweichend definiert wird. Sowohl abweichendes Handeln, als auch konformes Handeln sind somit „Ausprägungen sozialen Handelns“[4]. Als ein Maßstab an dem das menschliche Handeln gemessen wird, können Normen dienen. Diese können von „Strafrechtsbestimmungen bis hin zu informellen Regelungsformen“[5] reichen. Da jedoch eine unendliche Vielzahl an Normen in unserer Gesellschaft existieren, ist es für jeden einzelnen fast unmöglich sich an jede zu halten. Trotzdem gilt in einer Gesellschaft die Mehrheit der Mitglieder als konform und nur eine Minderheit wird als deviant bezeichnet.[6] Die bloße Abweichung einer Norm zieht also noch nicht die Definition des Abweichlers nach sich. Welche Regeln bestimmen also, welche Arten des Verhaltens als abweichend bezeichnet werden, so dass sie Sanktionen nach sich ziehen?
Laut Kitsuse handelt es sich dann um abweichendes Verhalten, „wenn andere Personen auf ein bestimmtes Verhalten entsprechend reagieren“[7]. Wird ein Verhalten beobachtet und vom Beobachter zwar als abweichend empfunden, dieser die Person, die sich abweichend verhält nach diesem Verhalten allerdings nicht anders behandelt als zuvor, gilt diese Handlung aus soziologischer Sicht nicht als abweichend.
Offensichtlich existieren eine Variabilität an Bedingungen, welche erfüllt sein müssen, um ein Verhalten tatsächlich als abweichend definieren zu können. Um eine bessere Übersicht über die verschiedenen Merkmale von Devianz zu erhalten, ist es sinnvoll diese in verschiedene Kategorien einzuteilen. In Anlehnung an Wiswede lassen sich drei Kategorien der Definition abweichend definieren.
2.1 Die normorientierte Definition
Im Fall der normorientierten Definition, wird Devianz als eine Abweichung von einer Norm verstanden. Was als abweichend oder konform gilt, „unterliegt immer auch der Geltungskraft differenzierter normativer Erwartungen“[8]. Handlungsleitende Normen lassen sich in zwei Kategorien unterteilen. Zunächst einmal in die formellen Normen, sogenannte „Muß- oder Sollnormen“[9]. Sie sind institutionalisierte und im Strafgesetzbuch kodifizierte Strafrechtsnormen und stellen unbedingte Verhaltensanforderungen dar. Eine Nichteinhaltung dieser juristisch festgelegten Normen wird seitens offizieller Institutionen sozialer Kontrolle, wie zum Beispiel der Polizei und dem Gericht, sanktioniert. Um „Kannormen“[10], die das Verhalten steuern, handelt es sich bei informellen und oftmals traditionellen Normen und Wertvorstellungen. Sie werden von gesellschaftlichen Gruppen gesetzt. Sie können jedoch von Gruppe zu Gruppe variieren. Eine Nichteinhaltung wird nicht juristisch sanktioniert. Normen sind also Verhaltensanforderungen. Besonders im Hinblick auf die gesetzlichen Normen, sind gewisse Tatbestandsmerkmale eindeutig festgelegt. Ihre „tatsächliche und rechtliche Würdigung eines bestimmten abweichenden Verhaltens [lässt] sich in Bezug auf die Normdefinition nicht immer eindeutig vornehmen (…)“[11]. Es handelt sich hierbei um eine „Subsumptionsproblemtik“[12]. In der Gesellschaft bestehen also gesetzte Normen, die das Handeln orientieren und messbar machen, ob eine Handlung jedoch tatsächlich daran gemessen wird, ist abhängig von den Regeln, die notwendig sind, wenn die abstrakten Normen auf ein bestimmtes Verhalten angewendet werden sollen.[13] Eine Handlung muss zunächst auf informeller Ebene bemerkt und als abweichend empfunden werden. Wenn sie anschließend einer offiziellen Kontrollinstanz gemeldet wird, ist es deren Aufgabe diesem Verhalten eine Qualität zuzuschreiben. Erst dann kann ihm das Etikett abweichend aufgedrückt werden. Ein Beispiel hierfür wäre das Entwenden eines fremden Gegenstandes. Die Handlung an sich kann nicht sofort als Diebstahl definiert werden, denn es könnte sich ebenfalls um Mundraub handeln.
2.2 Die erwartungsorientierte Definition
Bei der erwartungsorientierten Definition von Devianz, widerspricht das Verhalten „den Erwartungen der Interaktionspartner an das Verhalten“[14]. Verhaltenserwartungen stellen eine weiter gefächerte Klasse dar, als die Verhaltensanforderungen. Aufgrund ihrer Quantität ist es schwierig zu bestimmen, welches die konkreten Verhaltenserwartungen, in einer bestimmten Situation, an die handelnde Person sind. Außerdem werden sie von unterschiedlichen Gruppen subjektiv different formuliert. Beobachtet Beispielsweise ein Schüler einen seiner Mitschüler beim Spicken in einer Schulaufgabe, so sieht er sich zwei unterschiedlichen Erwartungshaltungen gegenübergestellt. Zum einen die des Mitschülers, der erwartet dass man ihn als Freund nicht beim Lehrer verpetzt. Und zum anderen die Anforderung des Lehrkörpers, der das Unterbinden des Spickens, aufgrund der Norm Ehrlichkeit, erwartet. Somit ergibt sich eine Paradoxie für den beobachtenden Schüler, da er sich egal, für welche Handlung er sich entscheidet, Petzen oder Verheimlichen, immer zugleich deviant und konform verhält. Aus diesem Grund wird im weiteren Verlauf der Untersuchung zur Entstehung devianten Verhaltens auf die erwartungsorientierte Definition von Devianz verzichtet.
2.3 Die sanktionsorientierte Definition
Laut der sanktionsorientierten Definition von Devianz, gehen wir immer dann von abweichendem Verhalten aus, wenn „auf diese Handlung eine Reaktion bei den Interaktionspartnern einsetzt, die als negative Sanktion interpretierbar ist“[15]. Aber auch die Befolgung von Normen kann sanktioniert werden. Hierbei handelt es sich dann um Belohnung oder das Vermeiden von Bestrafung. Also eine positive Sanktionierung von Verhalten. Eine negative, auf Devianz folgende Sanktion wäre eine Strafe. Problematisch wird es, wenn die Bestrafung seitens des Setzers und es Bestraften subjektiv unterschiedlich empfunden und gedeutet werden kann. Die Strafe des Freiheitsentzugs könnte zum Beispiel von einem Obdachlose als kostenlose Unterkunft und somit als Belohnung gedeutet werden. In diesem Fall verfehlt die negative Sanktion ihren eigentlichen Zweck. Ein weiteres Problem der sanktionsorientierten Definition von abweichendem Verhalten besteht darin, dass deviantes Verhalten oftmals unbemerkt bleibt und somit auch nicht sanktioniert werden kann. Hierbei handelt es sich dann zwar um ein Verhalten, dass gegen eine offizielle Norm verstößt, jedoch laut Definition nicht als abweichend definiert werden kann, da es nicht negativ sanktioniert wurde.
3 Die Theorie des Labeling Approachs zur Entstehung von Devianz
Der Labeling Approach hat eine relativ neue Richtung der Soziologie abweichenden Verhaltens, eingeschlagen. Diese neue Theorie fasst mehrere verschiedene Einzelansätze, wie das Kontrollparadigma, interaktionistische Orientierungen, den Reaktionsansatz oder die Etikettierungstheorie, zusammen. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie nicht ätiologisch orientiert sind. Sie suchen also nicht innerhalb der Psyche einer Person nach den Ursachen von Devianz. „Abweichung wird als Zuschreibungsprozess des Attributes der Devianz zu bestimmten Verhaltensweisen im Rahmen von Interaktionen verstanden."[16] Durch das explizite Eingehen auf den Normsetzungscharakter der Zuschreibung, wird die Geltung von Normen weitgehend relativiert. Besonders ist außerdem am Labeling Ansatz, im Vergleich zu anderen Theorien abweichenden Verhaltens, dass er die Reaktionen, die auf deviantes Verhalten folgen, in seine Untersuchung mit einbezieht. Obwohl die ersten Gedanken zum Labeling Approach schon 1938 verfasst wurden, gewann er erst in den 50er Jahren an Bedeutung und etablierte sich erst gegen Ende der 60er Jahre in Deutschland.[17]
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[1] Vgl. Internetquelle: www.welt.de
[2] Dietrich Oberwittler: Soziologie der Kriminalität, S. 76
[3] Vgl. Trabandt: Aufklärung über Abweichung, S. 29
[4] Kühnel: Gruppenprozesse und Devianz, S. 174
[5] Wolfgang Kühnel: Gruppenprozesse und Devianz, S. 175
[6] Vgl. Helga Trabandt: Aufklärung über Abweichung, S. 29
[7] Siegfried Lamnek: Theorien abweichenden Verhaltens I, S. 48
[8] Wolfgang Kühnel: Gruppenprozesse und Devianz, S. 174
[9] Siegfried Lamnek: Theorien abweichenden Verhaltens I, S. 50
[10] Siegfried Lamnek: Theorien abweichenden Verhaltens I, S. 50
[11] Siegfried Lamnek: Theorien abweichenden Verhaltens I, S, 49
[12] Siegfried Lamnek: Theorien abweichenden Verhaltens I, S. 49
[13] Vgl. Helga Trabandt: Aufklärung über Abweichung, S. 29
[14] Siegfried Lamnek: Theorien abweichenden Verhaltens I, S. 51
[15] Siegfried Lamnek: Theorien abweichenden Verhaltens I, S. 52
[16] Siegfried Lamnek: Theorien abweichenden Verhaltens I, S. 223
[17] Vgl. Siegfried Lamnek: Theorien abweichenden Verhaltens, S. 224