Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Bedeutung als Bezugsgegenstand
Einwand I: Leere Bezeichner
Einwand II: Gleicher Bezugsgegenstand bei verschiedener Bedeutung
Einwand III: Nicht alle Ausdrücke sind Namen
3. Mentalistische Bedeutungskonzeption
4. Putnams Kritik an der mentalistischen Konzeption
5. Bedeutung und Übersetzung bei Quine
6. Bedeutung als regelgemässer Gebrauch bei Wittgenstein
7. Vermittlungsversuch zwischen den einzelnen Positionen
8. Schlusswort
9. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Bedeutung ist einer der zentralen Begriffe in der Auseinandersetzung mit Sprache. Jedoch handelt es sich um einen äusserst schillernden Begriff. Sowohl in der Alltagssprache als auch in der wissenschaftlichen Diskussion ist die Bedeutung von „ Bedeutung “ schwierig zu bestimmen (vgl. Ogden/Richards 1923, 185-208). Um erklären zu können, wie Sprache funktioniert, muss die erste fundamentale Frage demnach lauten: Was sind Bedeutungen, und auf welche weniger unscharf bestimmten Begriffe können wir Bedeutung zurückführen? Drei „Kandidaten“, die dafür in Frage kommen, sind die Begriffe Bezugsgegenstand, Übersetzung und Gebrauch. In der vorliegenden Arbeit soll anhand sprachphilosophischer Positionen des 20. Jahrhunderts gezeigt werden, wie der Bedeutungsbegriff mit den besagten Begriffen in Beziehung gebracht werden kann.
Im ersten Kapitel wird gezeigt, welche Probleme entstehen, wenn man Bedeutung einfach mit Bezugsgegenstand identifiziert. Im Anschluss daran soll mit der mentalistischen Konzeption der Bedeutung eine mögliche Alternative aufgezeigt werden. Die im Folgenden behandelten Positionen Putnams, Quines und Wittgensteins richten sich jeweils gegen diese mentalistische Auffassung von Bedeutung. Sie verfolgen in ihrer Kritik jedoch unterschiedliche Strategien, die zu verschiedenen Bestimmungen von Bedeutung führen. Während Putnam den Begriff des Stereotyps hinzuzieht, um Bedeutungen zu erklären, plädiert Quine im Rückgriff auf den Übersetzungsbegriff dafür, den Bedeutungsbegriff fallen zu lassen. Wittgenstein hingegen zeigt, dass, zumindest in vielen Fällen, Bedeutung durch Gebrauch ersetzt werden kann. Ziel der Arbeit ist es, in den einzelnen vorgestellten Theorien den Bedeutungsbegriff zu klären.
Im letzten Kapitel sollen mögliche Berührungspunkte zwischen den angesprochenen Positionen grob skizziert werden, um dadurch den Zusammenhang zwischen Bedeutung, Bezugsgegenstand, Übersetzung und Gebrauch noch klarer hervortreten zu lassen.
2. Bedeutung als Bezugsgegenstand
Ein Blick auf ein eher vortheoretisches Verständnis von Bedeutung zeigt, dass wir diesen Ausdruck, zumindest in der deutschen Sprache, ethymologisch mit der Funktion des Bezeichnens in Verbindung bringen. Wörter be-deuten etwas, sie deuten auf etwas hin. In diesen Formulierungen steckt die Intuition, dass sprachliche Bedeutung mit ostensiver Definition zu identifizieren ist. Wörter verweisen auf Gegenstände in der Welt. Diese Beziehung zwischen sprachlichen Ausdrücken und ihren Bezugsgegenständen wird als Referenz bezeichnet. Im einfachsten Fall erfasst Referenz die Relation zwischen einem einzelnen Wort und dem singulären Gegenstand, für den dieses Wort steht. Der Eigenname „Micheline Calmy-Rey“ beispielsweise referiert genau auf die Person aus Fleisch und Blut, die im Jahr 2011 Bundespräsidentin der Schweiz ist.
Abbildung 1:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten1
Diese Definition von Bedeutung scheint prima vista einleuchtend. Zumindest für Eigennamen - und der im Beispiel verwendete Ausdruck ist ein Eigenname - scheint die durch Referenz ausgedrückte Eins-zu-Eins-Beziehung eine adäquate Definition für Bedeutung zu liefern. Aufbauend auf dieser Grundidee lässt sich in der Folge eine Referenztheorie formulieren, die den Mechanismus des Bezeichnens auf die Gesamtheit sprachlicher Ausdrücke ausweitet. Eine solche Theorie geht davon aus, dass die Bedeutung von Worten, Phrasen und Sätzen generell auf den Begriff der Referenz zurückgeführt werden kann. Somit lässt sich gemäss Referenztheorie ein allgemeines Prinzip für sprachliche Bedeutung formulieren:
Für jeden sprachlichen Ausdruck „X“ gilt: Die Bedeutung von „X“ ist der Gegenstand X.
Aus diesem Grundprinzip der Referenztheorie folgt, dass auch Sätze auf Gegenstände verweisen. Sätze sind Kombinationen aus Wörtern. Die referenzielle Beziehung von Wörtern zu Gegenständen ergibt sich folglich auch auf der Ebene des Satzes.
In der Philosophie der Neuzeit finden sich Formulierungen einer Referenztheorie der Bedeutung bei John Stuart Mill (vgl. Mill 1867) und später bei Alexius Meinong (vgl. Meinong 1904). Insbesondere durch den kanonisch gewordenen Aufsatz On Denoting von Bertrand Russell, der explizit auf Meinongs Bedeutungskonzeption Bezug nimmt, ist die Referenztheorie kritisiert worden (vgl. Russell 1905). Russell macht auf eine Reihe verschiedener Probleme aufmerksam, denen die Referenztheorie gegenübersteht. Drei zentrale Einwände Russells sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.2
Einwand I: Leere Bezeichner
Nicht alle Namen haben einen so klar zu fassenden Gegenstand als Referenz, wie es das Beispiel mit der Bundespräsidentin vermuten lassen könnte. Es gibt Namen, denen wir als Sprecher zwar eine klare Bedeutung zuweisen können, die aber mit keinem tatsächlich in der Welt existierenden Individuum in Beziehung stehen - beispielsweise Namen wie „Pegasus“, das „Christkind“ oder „Superman“ oder die fiktiven literarischen Orte „Mittelerde“ oder „Utopia“ gehören zu einer Klasse von Namen, unter denen wir uns zwar etwas vorstellen können, doch bleibt die Suche nach einem Referenzgegenstand in der Welt erfolglos. Weil diese Namen offensichtlicherweise keinen Bezugsgegenstand haben und gemäss des referenztheoretischen Grundprinzips allein der Bezugsgegenstand die Bedeutung bestimmt, dürften diese Namen gar keine Bedeutung haben. Das Problem besteht auch bei Sätzen, in denen solche leeren Bezeichner vorkommen. Da kompetente Sprecher solche Ausdrücke aber offensichtlicherweise verstehen, müssten sie von einer brauchbaren Bedeutungstheorie als bedeutungsvoll ausgewiesen werden.3
Einwand II: Gleicher Bezugsgegenstand bei verschiedener Bedeutung
Ein weiterer schwerwiegender Einwand, den Russell gegen die Referenztheorie erhebt, basiert auf Identitätsaussagen, in denen beispielsweise ein Eigenname mit einer Kennzeichnung identifiziert wird. Russell bringt ein Beispiel mit dem britischen Schriftsteller Sir Walter Scott, dem Verfasser des Romans Waverley (vgl. Russell 1905, 485f.). Ein Kenner der englischen Literatur des 19. Jahrhunderts könnte die Identitätsaussage „Sir Walter Scott ist der Autor von Waverley“ dafür benutzen, um einem weniger bewanderten Leser mitzuteilen, dass Scott der Verfasser des besagten Romans ist. Die Identitätsaussage wäre für den Adressaten informativ. Ohne diese Information würde er nicht in der Lage sein, die beiden Ausdrücke „Sir Walter Scott“ und „Der Autor von Waverley“ als synonym zu erkennen - sie hätten für ihn unterschiedliche Bedeutungen, obwohl sie tatsächlich auf denselben Gegenstand, den historischen Schriftsteller, referieren. Laut Referenztheorie müsste die Synonymie der beiden Ausdrücke allerdings allein dadurch gewährleistet sein, dass sie dieselbe Referenz haben, also extensionsgleich sind. Wäre das der Fall, könnte obenstehende Identitätsaussage nicht informativ sein. Die Annahme der Referenztheorie, dass Extensionsgleichheit hinreichend ist für Bedeutungsgleichheit, ist falsch.4
Einwand III: Nicht alle Ausdrücke sind Namen
Das letzte hier erläuterte Problem ergibt sich aus der Beobachtung, dass viele Wörter ganz andere sprachliche Funktionen haben, als Gegenstände zu bezeichnen. Prädikate beispielsweise sagen vielmehr etwas über Gegenstände aus, als dass sie sie bezeichnen. Auch Ausdrücke wie Konjunktionen, Adverbien oder Präpositionen haben mit Sicherheit keine gegenständliche Referenz. Trotzdem können wir ihnen eine stabile Bedeutung zuweisen. Weil die Referenztheorie diese Unterschiede sprachlicher Funktionen nicht berücksichtigt, kann sie dem Anspruch einer allgemeinen Bedeutungstheorie die Bedeutungen für alle Ausdrücke zu erklären, nicht genügen.
In der Summe zeigen die Einwände deutlich (und es liesse sich noch eine Reihe weiterer angeben, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann), dass die Referenztheorie als umfassende Bedeutungstheorie nicht tragbar ist. Im folgenden Abschnitt soll eine mögliche Alternative skizziert werden.
3. Mentalistische Bedeutungskonzeption
Die Probleme der Referenztheorie entstehen dadurch, dass Bedeutung ausschliesslich durch den direkten Bezug zwischen der Sprache und der Welt bestimmt wird. Der Rolle des sprechenden und verstehenden Subjekts wird keine Beachtung geschenkt. Der Ansatz, der im Folgenden unter dem Sammelbegriff mentalistische Bedeutungskonzeption dargestellt wird, besteht in seinem Kern in der Annahme, dass die Probleme der Referenztheorie dadurch beseitigt werden können, dass Bezeichnen als ein mentaler Prozess beschrieben wird. Bedeutung wird dabei indirekt bestimmt, sozusagen über den Umweg eines mentalen Begriffs im Kopf des Sprechers. In impliziter Form taucht diese Konzeption bereits bei Aristoteles auf (vgl. Glück 2000, 625). Charles Ogden und Ivor Richards formulierten sie in ihrem 1923 publizierten Werk The Meaning of Meaning (vgl. Ogden/Richards 1923) aus und illustrierten die triadische Beziehung zwischen Sprache, Welt und Begriff anhand eines semantischen Dreiecks. In ihrer Terminologie (blaue Schrift in Abbildung 2) kann unser Beispiel mit der Bundespräsidentin wie folgt von einem linearen zu einem dreieckigen Bedeutungsmodell erweitert werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Semantisches Dreieck (vgl. Ogden/ Richards 1923, 11)
Den sprachlichen Ausdruck fassen die Autoren als Symbol (SYMBOL) auf. Als solches hat es von sich aus keine Bedeutung, sondern erhält dadurch Bedeutung, dass es von einem Sprecher als Zeichen für einen Bezugsgegenstand (REFERENT) verwendet wird. Die zugeschriebene Beziehung (imputet relation) zwischen Symbol und Gegenstand verläuft über die mentale Bezugnahme (THOUGHT OR REFERENCE). Dabei handelt es sich um einen mentalen Begriff im Kopf des Zeichenbenutzers, der durch den Gegenstand kausal hervorgerufen wird und auf den das Symbol referiert. Die Verbindung zwischen dem Symbol und dem Bezugsgegenstand wird also erst durch den mentalen Prozess gestiftet, was durch die gepunktete Linie angedeutet wird. Dazu Ogden und Richards:
„Between the symbol and the referent there is no relevant relation other than the indirect one, which consists in its being used by someone to stand for a referent.“ (Ogden/ Richards 1923, 11).
[...]
1 Mit dem Ausdruck links ist der Name (als Zeichenfolge) gemeint. An Stelle des Bildes müsste auf der rechten Seite des Pfeils die reale Frau Bundespräsidentin stehen.
2 Die Behandlung der Einwände gegen die Referenztheorie folgt im Wesentlichen den Mitschriften zur Vorlesung „Bedeutung und Verstehen“ von Prof. Glock, gehalten im FS 2008 an der Universität Zürich.
3 Von referenztheoretischer Seite (Meinong) wird diesem Einwand mit dem Postulat nicht realer Gegenstände entgegnet, auf welche die fiktiven Namen referieren. Der ontologische Status solcher Gegenstände ist aber äusserst fragwürdig (vgl. Kanterian 2004, 35f.).
4 Gottlob Frege versucht das Problem extensionsgleicher, nicht synonymer Ausdrücke in seinem bekannten Morgenstern/Abendstern-Beispiel dadurch zu lösen, dass er die beiden semantischen Dimensionen Bedeutung und Sinn unterscheidet. Die Fregesche Bedeutung, die er als „Bezeichnetes“ (Frege 1892, 26) definiert, ist zumindest für singuläre Termini (einfache Namen für Gegenstände) unproblematisch. Dagegen handelt es sich beim Fregeschen Sinn als „Art des Gegebenseins“ (ebd., 26) um einen wenig exakten Begriff, der in einer wissenschaftlichen Bedeutungstheorie nicht ohne weitere Klärung Verwendung finden darf.