Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Pierre Bourdieu: Soziale Ungleichheit und das Bildungssystem
2.1. Die Theorie sozialer Ungleichheit
2.1.1. Kapital
2.1.2 Habitus
2.1.3 Habitus und Kapital im sozialen Raum
2.2 Die soziale Bedingtheit von Bildungserfolg
3 Die soziale Bedingtheit von Bildungschancen in Deutschland
3.1 Die Entwicklung der Bildungschancen in Deutschland
3.2 Die Ursachen bildungsbedingter Chancenungleichheiten
3.2.1 Auswirkungen familiärer Ressourcen
3.2.2 Habituell bedingte Einflüsse
3.3 Das deutsche Schulsystem – Kompensator oder Konservator ungleicher Bildungschancen?
4 Fazit
5 Bibliografie
1. Einleitung
Bildung spielt in der modernen Wissensgesellschaft eine immer wichtigere Rolle. Sie ist heute die zentrale Voraussetzung für eine Teilhabe am wirtschaftlichen, politischen und gesell-schaftlichen Leben. Bildung bedeutet dabei jedoch auch immer Auslese. Der vorherrschende Meritokratieansatz rechtfertigt diese mit den unterschiedlichen Begabungen der Schüler. Verschiedenste Untersuchungen dagegen belegen, dass Bildungschancen nicht nur von der kognitiven Leistungsfähigkeit eines Schülers, sondern auch von seiner sozialen Herkunft bestimmt werden. So unterstrich die letzte PISA-Studie, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Bildungserfolg in Deutschland so hoch ist, wie in kaum einem anderen OECD-Land (OECD 2007: 37).
Dass Bildungschancen sozial bedingt sind ist daher heute unumstritten. Über die genauen Mechanismen der Reproduktion sozialer Ungleichheiten im Bildungsbereich herrscht jedoch Uneinigkeit. Die folgende Arbeit wird versuchen, bestehende Chancenunterschiede im deutschen Bildungssystem anhand der durch Pierre Bourdieu entwickelten Konzepte von Habitus und Kapital zu erklären. Nach einer kurzen Charakterisierung dieser Kernelemente und einer Darstellung ihrer Auswirkungen auf die gesellschaftliche Ordnung, werden dabei zunächst Bourdieus eigene Erkenntnisse zur sozialen Bedingtheit von Bildungschancen näher betrachtet. Im späteren Verlauf soll dann untersucht werden, welchen Einfluss Habitus und familiäre Kapitalressourcen auf die Bildungschancen deutscher Schüler haben. Abschließend wird die Frage zu klären sein, in wie weit das Schulsystem zur Konservierung sozialer Ungleichheiten beiträgt.
2. Pierre Bourdieu: Soziale Ungleichheit und das Bildungssystem
2.1. Die Theorie sozialer Ungleichheit
2.1.1. Kapital
Bourdieu führt die soziale Stellung eines Menschen vor allem auf sein verfügbares Kapital zurück. Das ökonomische Kapital besteht aus dem geldwerten Vermögen, während das soziale Kapital all jene Chancen umfasst, die sich aus den Beziehungsnetzwerken einer Person und ihrer sozialen Herkunft ergeben. Mit kulturellem Kapital bezeichnet Bourdieu alle kulturell erworbenen Ressourcen. Diese können in objektivierter Form (z.B. Bücher, Kunstwerke oder Artefakte) oder inkorporiert als selbst angeeignetes Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten auftreten. Da Letzteres für Außenstehende nur schlecht zu bewerten ist, kann es durch seine Institutionalisierung in Bildungstiteln vergleichbarer gemacht werden. In der Gesellschaft herrscht ein ständiger Kampf um die Verteilung und Wertbemessung der einzelnen Kapitalsorten. Oberstes Ziel aller Beteiligten ist es, ihre Ressourcen in soziales Kapital, d.h. Ansehen, umzuwandeln, um damit ihren Status langfristig zu sichern (Bourdieu 2001: 113-120).
2.1.2 Habitus
Die gesellschaftliche Lage einer Person drückt sich, so Bourdieu, nicht nur in ihrem verfüg-baren Kapital, sondern auch in ihrer inneren Disposition aus. So werden die äußeren Lebens-bedingungen im Laufe der Sozialisation zu einer inkorporierten Sozialstruktur umgewandelt (Schwingel 1995: 60-61). Dieser sog. Habitus gibt dem Individuum klassenspezifische Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata vor und setzt dadurch einen Rahmen des sozial möglichen.[1] Er prägt nicht nur Verhalten, Geschmack und Lebensstil, sondern auch die Lebenschancen des Einzelnen. Der Habitus wirkt gleichzeitig als sozialer Selbstver-ortungssinn (sens pratique), mit dessen Hilfe die Akteure instinktiv erkennen, welches Verhalten ihrer sozialen Position angemessen ist (Schwingel 1995: 55-57). So ist er nicht nur ein Produkt der sozialen Lage (opus operatum), sondern trägt durch die Strukturierung der menschlichen Praxis (modus operandi) auch zu ihrer Reproduktion bei (Bourdieu 1987: 281).
2.1.3 Habitus und Kapital im sozialen Raum
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1 Der soziale Raum (Schwingel 1995: 104)
Jeder Einzelne nimmt durch seine objektiven Lebensbedingungen und seinen Habitus eine bestimmte soziale Stellung ein. Bourdieu verdeutlicht dies, indem er die einzelnen Akteure anhand des Umfangs und der Art ihres Kapitals, sowie ihrer sozialen Laufbahn in einem fiktiven sozialen Raum positioniert. Den verschiedenen Positionen sind dabei spezifische Berufe und Lebensstile zu- geordnet (Schwingel 1995: 102-107).
Basierend auf der Position im sozialen Raum konstruiert Bourdieu drei verschiedene Klassen. Am oberen Ende der sozialen Skala steht die herrschende Klasse der bürgerlichen und industriellen Elite, welche über ein großes Kapitalvolumen und einen hohen sozialen Status verfügt. Sie grenzt sich durch Habitus und Lebensstil von dem ihr untergeordneten Kleinbürgertum ab. Diese zweite große Klasse zeichnet sich vor allem durch ihre Hetero-genität und ihre hohe innere Mobilität aus. So verfügt das obere Kleinbürgertum über einen enormen Aufstiegswillen und versucht den Lebensstil der herrschenden Klasse zu kopieren, während andere Teile der Mittelschicht lediglich ihren Statuserhalt anstreben. Am unteren Ende der sozialen Hierarchie befindet sich die Volksklasse der Bauern und einfachen Arbeiter. Sie verfügt kaum über Kapital und hat daher nur wenig Chancen, ihren Status zu verbessern (Münch 2004: 423-424).
2.2 Die soziale Bedingtheit von Bildungserfolg
Wie vorhergehende Erläuterungen gezeigt haben, reproduzieren Habitus und Kapital die soziale Position eines Menschen und beeinflussen damit seine Lebenschancen. Bourdieu weist diesen Prozessen vor allem im Bildungswesen eine große Bedeutung zu. Entgegen dem vorherrschenden Meritokratieansatz, welcher Bildungserfolg auf individuelle Begabungen zurückführt, würden die Bildungschancen eines Schülers vor allem durch seine soziale Lage geprägt. So stellt er fest, dass die „Aussichten auf Hochschulbesuch [...] für den Sohn eines Führungskaders achtzigmal größer als für den eines Landarbeiters und vierzigmal größer als für den eines Arbeiters [...]“ sind (Bourdieu/Passeron 1971: 20).
[...]
[1] Die Persönlichkeit bildet dabei eine Variante des klassenspezifischen Habitus, die durch individuelle Erfahrungen und Lebensverläufe gekennzeichnet ist (Schwingel 1995: 66-67).