Auswärtige Sicherheitspolitik in der Periode vom 11.September 2001 bis zum 27. Januar 2003 - Die Vereinigten Staaten von Amerika und die Bundesrepublik Deutschland im Vergleich


Dossier / Travail de Séminaire, 2003

51 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

2 Afghanistankrieg und Anti-Terror-Koalition
2.1 Der Afghanistankrieg
2.2 Die Bewertung des Afghanistankrieges
2.3 Die Anti-Terror-Koalition
2.4 Die Bewertung der Anti-Terror-Koalition

3 Strategische Ausrichtung in einer Neuen Weltordnung
3.1 Der Umbruch der Internationalen Struktur
3.2 Die strategischen Konzepte der USA
3.3 Die strategischen Versäumnisse der BRD
3.4 Die Implementierung der Strategischen Ansätze

4 Irakkrise
4.1 Die US-Strategien im Bezug auf die Irakkrise
4.2 Der geradlinige Weg der USA
4.3 Der Schlingerkurs der BRD
4.4 Die Auswirkung der Strategien auf die Außenpolitiken

5 Fazit

Quellenverzeichnis

1 Einführung

Das Ende des Ost-West-Konfliktes repräsentiert eine drastische Wende in der Ausgestaltung der internationalen Strukturen. Doch noch bevor eine Neue Weltordnung deutliche Konturen annehmen kann, sieht sich die Welt am 11.September 2001 mit einer erneuten historischen Zäsur konfrontiert. In der Folgezeit wird schnell offenbar, dass die Staaten jenseits und diesseits des Atlantiks den neuen Herausforderungen mit teils sehr unterschiedlichen Rezepten begegnen. Die vorliegende Arbeit vergleicht exemplarisch die Entwicklung auswärtiger Sicherheitspolitik in den Vereinigten Staaten und in der Bundesrepublik Deutschland. Den Zeitrahmen der Analyse bildet die Periode vom 11.September 2001 bis zum 27.Januar 2003, dem Termin, an dem der Chef der UN-Waffeninspektoren Hans Blix dem UN-Sicherheitsrat den Kontrollbericht über das irakische Rüstungsniveau vorstellt.

Orientiert an einem chronologischen Gerüst, wird die untersuchte Phase schwerpunktmäßig in drei Themenkomplexe untergliedert:

Das erste Kapitel skizziert die Entwicklungen vom 11.September 2001 bis zum Afghanistankrieg. Rasch wird dabei deutlich, dass die USA in unmittelbarer Folge auf die Anschläge die Handlungshoheit übernehmen und die entstandene Dynamik nutzen, ihr Vorgehen national wie international in einem weitgehenden Konsens einzubetten. Nach Meinung des Verfassers müssen die vermeintlichen Erfolge des Afghanistanfeldzuges aus heutiger Sicht aber in Frage gestellt werden. Eine stabile Nachkriegsordnung ist bis dato nicht abzusehen. Als loses Staatenkonstrukt ohne institutionelle Ausprägung scheint auch die Anti-Terror-Koalition keiner funktionsfähigen Zukunft entgegen zu sehen. Die Bundesrepublik Deutschland erklärt sich zwar uneingeschränkt solidarisch zu den USA, kann aufgrund ihrer eingeschränkten Kooperationsfähigkeit aber nur sehr begrenzten Einfluss auf den Kriegsverlauf und die internationale Terrorbekämpfung ausüben.

Im folgenden Abschnitt wird dargestellt, welche sicherheitspolitischen Konsequenzen die Vereinigten Staaten bzw. Deutschland aus der veränderten Bedrohungslage ziehen. Basierend auf dem Konzept des Nuclear Posture Review verkünden die USA, sich den Einsatz nuklearer Waffen generell als taktische Option offen zu halten. Die Gegenüberstellung mit asymmetrischen Bedrohungsszenarien relativiert jedoch deutlich das Abschreckungs- bzw. Vergeltungspotential dieser Erwägungen. Eine grundlegendere Auseinandersetzung mit den sicherheitspolitischen Herausforderungen liefert die National Security Strategy. Unter der Prämisse der Effizienz wird Multilateralismus auf eine instrumentelle Variable reduziert. Gefahrenpotentiale sollen dabei unilateral definiert und notfalls mit antizipatorischer Verteidigungsschlägen bekämpft werden. Besonders kritisch erscheint hierbei das weite Feld zu bekämpfender Akteure: Das stetige Spektrum reicht von terroristischen Netzwerken bis hin zu Staaten, die aufgrund (geo-)strategischer Machtpotentiale oder per Proliferation von Massenvernichtungswaffen zu einer künftigen Gefahrenquelle generieren könnten.

Deutschland vermag den amerikanischen Strategiepapieren zunächst keine umfassenden Ergänzungs- oder Alternativkonzepte entgegen zu setzen. Anstatt die entstandene Dynamik auf eine Reform internationaler Institutionen und Beziehungen zu kanalisieren, beharrt die BRD auf den althergebrachten Normen, selbst wenn diese der realpolitischen Funktionalität entbehren. Effiziente Strukturen multilateraler Entscheidungsfindung bilden jedoch eine essentielle Handlungsvoraussetzung für die Bundesrepublik, da ihre außenpolitische Machtstellung ein singuläres Vorgehen nicht zulässt. Innenpolitische Budgetrestriktionen begrenzen zudem die nötige Kostenbereitschaft, sicherheitspolitische Idealvorstellungen auch substanziell zu unterfüttern.

Das folgende Kapitel beschreibt, wie die unterschiedlichen Positionen der USA und Deutschlands im Irakkonflikt zu Tage treten. Von amerikanischer Seite wird das irakische Regime wegen mutmaßlicher Verbindungen zum internationalen Terrorismus, dem vermuteten Besitz von Massenvernichtungswaffen und aufgrund geostrategischer Machtpotentiale zum Feindbild deklariert. Zwar halten sich die USA die Option offen, ihr Vorgehen wenn möglich über einen Beschluss der Uno zu legitimieren. Ihr aktuelles Gebären scheint jedoch darauf hinzuweisen, dass eine gewaltsame Intervention auf unilateraler Ebene bereits entschieden worden ist. Sollte es zu einem weiteren Irakkrieg kommen, könnte sich die amerikanische Konzeptlosigkeit betreffend einer Nachkriegsordnung noch als folgenreiches Manko erweisen.

Vor dem Hintergrund eines polarisierenden Bundestagswahlkampfes zeigt sich die deutsche Regierung jedoch nicht in der Lage, die Debatte auf die argumentativen Defizite der USA zu fokussieren. Kakophonie und undiplomatische Wahlkampfrhetorik ebnen stattdessen den Weg ins außenpolitische Abseits. Besonders deutlich wird dies bei den erfolglosen Bemühungen, eine europäische Position zu konstruieren. Betreffend der Frage, ob nach der Vorstellung des UN-Rüstungskontrollberichtes eine weitere Resolution von Nöten ist, manövriert sich die BRD in eine diplomatische Sackgasse. Ein schlüssiges Rezept, wie dem irakischen Regime international zu begegnen sei, bietet Deutschland nicht an.

Abschließend wird deutlich, dass die Vereinigten Staaten den Wandel zu einer Neuen Weltordnung unwiderruflich eingeläutet haben. Die Kompromisslosigkeit, mit der sie diese Ordnung zu gestalten versuchen, wirft jedoch die Frage auf, ob die USA den Umgestaltungsprozess auf lange Sicht unilateral kontrollieren können. In Deutschland hingegen ist die außenpolitische Neupositionierung nach dem Ost-West-Konflikt durch innenpolitische Problemstellungen lange Zeit verschleppt worden. Innerhalb eines vertretbaren Rahmens scheint eine deutsche Interessenpolitik auf auswärtiger Ebene durchaus legitim. Substanzielle Unterfütterung und professionelle Güterabwägungen müssen den Emanzipationsprozess jedoch begleiten.

2 Afghanistankrieg und Anti-Terror-Koalition

2.1 Der Afghanistankrieg

Bereits am 11.September 2001 wird deutlich, dass die USA die terroristischen Anschläge als einen Kriegsakt interpretieren. Diese Perzeption eröffnet eine reaktive Optionenvielfalt, die das Recht auf kriegerische Vergeltung ausdrücklich einschließt. Da der aus Saudi-Arabien stammende Terrorist Osama Bin Laden bereits für die Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Nairobi (Kenia) und Daressalam (Tansania) am 7.August 1998 sowie für den Anschlag auf den US-Zerstörer USS-Cole bei Aden (Jemen) am 12.Oktober 2000 verantwortlich gemacht wird, kann das Al-Qaida-Netzwerk um Bin Laden rasch als erstes und allgemein unwidersprochenes Feindbild implementiert werden. In einem Spiegel-Interview erläutert Bush´s außenpolitischer Berater General a.D. Brent Scowcroft unmissverständlich, dass die Wortwahl von „Krieg der Mobilisierung“[1] diene und das Feindbild Bin Ladens ein „nützliches Symbol“[2] dafür biete.

In einer argumentativen Verknüpfung mit der historischen Bringschuld der BRD gegenüber den Vereinigten Staaten verkündet der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder am 12.September in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag die uneingeschränkte Solidarität mit den USA. Unter der Formel „Wir sind eine Welt“ brandmarkt er die Anschläge zur „Kriegserklärung gegen uns alle, […] gegen die gesamte zivilisierte Welt.“[3] Schröder folgt somit zunächst der amerikanischen Kriegslogik und unterstützt diese solidarisch. Die Berufung auf eine zivilisierte Welt suggeriert zudem die Existenz eines unzivilisierten Weltteils, der nur schwerlich trennscharf abzugrenzen sein dürfte. Die undifferenzierten Solidaritätsbekundungen werden bald durch eigene Initiativen ergänzt. In einer weiteren Regierungserklärung erklärt der Bundeskanzler: „Unser Ziel muss es sein, möglichst alle Länder in ein weltweites System von Sicherheit und Wohlstand zu integrieren.“[4] Demzufolge regt der deutsche Regierungschef an, den Kampf gegen den Terrorismus durch eine „geistig-philosophische Auseinandersetzung mit dem Islam“[5] zu flankieren. Auf Drängen Schröders treffen die europäischen Staats- und Regierungschefs in einer Sondersitzung zusammen und fordern im Rahmen eines Europäischen Aktionsplans zur Unterstützung Amerikas, militärische Aktionen durch ein Bündel politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und kultureller Maßnahmen abzurunden.

Die Kombination von Solidarität und konstruktiver Eigeninitiative folgt dem Kalkül, nur über einen prinzipiellen Schulterschluss mit den USA gestalterischen Einfluss auszuüben zu können. Der deutsche SPD-Außenpolitiker Gernot Erler unterstreicht diese Haltung, indem er darauf hinweist, ein transatlantischer Bündnisfall bedeute „auch eine Selbstverpflichtung der Amerikaner, dass sie die Partner einbeziehen in ihre Pläne.“[6] Mit diesem außenpolitischen Kurs findet sich die BRD in das internationale und v.a. europäische Staatengefüge gut eingebettet. Der französische Außenminister Hubert Vedrine konstatiert, man gehe davon aus, dass die USA klug genug seien, sich nicht auf kriegerische Auseinandersetzungen mit dem Islam allgemein einzulassen.[7] Der hohe Vertreter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) Javier Solana betont, die Konsequenz dürfe nicht lediglich Krieg und Zurückschlagen lauten, nicht der Zusammenprall der Zivilisationen, sondern der Dialog.[8]

Im Rahmen der Nato werden die Anschläge gemäß Art. 5 des Nordatlantik-Vertrages als erstmaliger Bündnisfall mit Beistandspflicht gewertet. Nachdem der Posten des amerikanischen UN-Botschafters über nahezu acht Monate vakant gewesen ist und die USA mit der Zahlung ihrer Uno-Beiträge in erheblichen Rückstand geraten sind, vereinen sich die Mitglieder des Sicherheitsrates zunächst im Kampf gegen den Terrorismus. Sowohl Beistandspflicht als auch Verteidigungsrecht werden in einer Resolution des UN-Sicherheitsrates am 12.September 2001 bestätigt. Das Gremium definiert Terrorismus als Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Stabilität. Die strategische Konkurrenz der USA zu Russland und China scheint dem Bewusstsein einer universellen Bedrohung zu weichen und eine kooperative Gestaltung der Neuen Weltordnung zu ermöglichen.

In seiner Rede an die Nation am 20. September 2001 dehnt Präsident Bush sowohl den temporären Horizont einer US-Vergeltung als auch den Kreis potentieller Kriegsziele ins Unbestimmte aus. Ein zeitlich nicht näher definierter Kreuzzug gegen den internationalen Terrorismus wird proklamiert. Staaten, die dem Terrorismus direkte oder indirekte Unterstützung gewährleisten, werden in den Fokus der Vergeltung miteinbezogen.[9] Die konkrete Umsetzung dieses Postulats kristallisiert sich heraus in einen Krieg gegen das afghanische Taliban-Regime, das als Förderer des islamistischen Terrornetzwerkes Al-Quaida gilt. Im Vorfeld stellt Bush die Staatenwelt vor die strategische Grundsatzentscheidung: „either with us, or with the terrorists.“[10] Vor dem Hintergrund der tragischen Ereignisse erschwert es die dichotome Katalogisierung den internationalen Akteuren, Kritik am Vorgehen der US-Administration anzumelden, ohne den Anschein tendenzieller Solidarisierung mit dem definierten Feindbild zu erwecken. Da die amerikanische Kriegsrhetorik besonders auf die innenpolitische Mobilisierung zugeschnitten ist, folgen international Beschwichtigungen, dass nur gezielte Militärschläge auf Afghanistan durchgeführt würden, die wiederum in politische, diplomatische und wirtschaftliche Konzepte eingebettet sein sollen. Sowohl der amerikanische Senat als auch das Repräsentantenhaus erteilen Bush weitgehend sicherheitspolitische Handlungsfreiheit. Im Rahmen der Militäroperation Infinite Justice sollen die Verantwortlichen der Anschläge vom 11.September zur Rechenschaft gezogen werden. Als Langzeitprogramm zur weltweiten Terrorbekämpfung kann die Maßnahme nahtlos in die Operation Noble Eagle (später umbenannt in Enduring Freedom) übergehen. Sämtliche Mandate entbehren einer zeitlichen oder territorialen Begrenzung.

Am 2.Oktober 2001 bittet Washington die Nato-Partner in Brüssel formell um militärischen Beistand. Die faktische Ausprägung der Unterstützung offenbart sich vorwiegend als zeitweilige Entlastung der US-Streitkräfte in kriegsfernen Regionen. Der Einsatz deutscher Awacs -Flugzeuge im amerikanischen Luftraum oder die Bereitstellung weicher Ressourcen, wie z.B. Stationierungs- und Überflugrechtrechte sowie logistische Hilfe, stellen illustrierende Beispiele dar. In Erinnerung an das multinationale Vorgehen während des Kosovo-Krieges stellt sich eine weitreichendere Einbeziehung der Partnerstaaten aus US-Perspektive als uneffiziente Beschneidung der eigenen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit dar. Einen Kernaspekt der Nato-Beteiligung bildet folglich die implizite Legitimation amerikanischer Militäraktionen durch prinzipielle Beistandszusagen.

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Vereinigten Staaten unmittelbar nach den Terrorakten die situative Definitionshoheit übernehmen. Die international weitgehend unwidersprochene Bewertung der Anschläge als Kriegsakt brandmarkt den Charakter der folgenden Auseinandersetzung automatisch als Krieg und legitimiert militärische Aktionen als Vergeltungsmittel. Sowohl innen- als auch außenpolitisch sichert sich die US-Administration großen Beistand für ihr Vorgehen, ohne sich im Gegenzug in ihrer Handlungsfreiheit einschränken zu lassen. Aufgrund der drohenden Dichotomisierung der Staatenwelt kann der offenen Fassung des betroffenen Akteursradius oder eines zeitlichen und territorialen Rahmens nur schwer widersprochen werden. In ihren ersten Reaktionen fügt sich die BRD der amerikanischen Auffassung und nimmt keinen entscheidenden Einfluss auf die anstehenden Entwicklungen.

Nachdem die Taliban ein Ultimatum zur Auslieferung Bin Ladens verstreichen lassen erfolgt am 7.Oktober 2001 der Angriff der USA auf Afghanistan. Inzwischen charakterisiert die US-Regierung das Taliban-Regime als menschenverachtende Diktatur, die von der freien Welt bekämpft werden müsse. Folglich generiert neben der Aufspürung Bin Ladens und Ausschaltung des Al-Qaida-Netzwerkes auch die Ablösung des Taliban-Regimes zum Kriegsgrund. Völkerrechtlich erscheint dies zwar kritisch, auf internationaler Ebene wird der moralische Imperativ aber als legitim perzipiert.

Mit der Zielsetzung, militärische Ressourcen der Taliban zu binden und amerikanische Bodentruppen nicht unnötig aufzureiben, integrieren die USA die oppositionelle afghanische Nordallianz in den Feldzug. Nach mehrwöchigem Kriegsverlauf kommt die Effizienz gezielter US-Schläge zunehmend zum erliegen: Die wenigen Kampflugzeuge, Flughäfen und Luftabwehr-Stellungen Afghanistans sind rasch zerstört. Aufgrund der Bewaffnung mit vorwiegend leichtem Gerät erweisen sich die Taliban-Kämpfer als unerwartet mobil. Der inner-amerikanischen Perzeption einer kriegerischen Bedrohung wird durch eine Serie von Anthrax-Anschlägen an der Heimatfront neuer Aufschwung verliehen. Da Bushs Postulat eines langen Kreuzzug gegen den Terrorismus aber gleichzeitig einen kurzen Krieg in Afghanistan suggeriert hatte, wächst sowohl innen- als auch außenpolitisch der Erfolgsdruck auf die US-Administration. War anfänglich von lediglich gezielten Militärschlägen die Rede, erfolgt nun ein Taktikwechsel zu flächendeckenden und implizit unpräzisen Bombardements. Mit zunehmender Unklarheit über strategische Ziele gerät auch die internationale Solidarität zu den USA ins Wanken. Insbesondere die arabische und muslimische Staatenwelt sieht sich mit einem Zielkonflikt zwischen Solidarität und innenpolitischer Stabilität konfrontiert.

In der BRD droht Schröders Unterstützungskurs in Konflikt mit dem pazifistischen Grundtenor der SPD-Basis und des Koalitionspartners sowie einem fragilen Meinungsbild der Bevölkerung zu geraten. Die verbale Selbstbindung der uneingeschränkten Solidarität ist außenpolitisch nur schwerlich zu relativieren, wird innenpolitisch aber bald kritisiert. Selbst nach massiver Überzeugungsarbeit des Grünen Außenministers Joschka Fischer sowie eine Koppelung von Vertrauens- und Sachfrage kann der Bundeskanzler eine Abstimmung im Bundestag über einen militärischen Beitrag Deutschlands lediglich mit knapper Mehrheit für sich entscheiden.

Am 13.November 2001 zieht die Nordallianz in die afghanische Hauptstadt Kabul ein. Schon während des Krieges beteiligt sich die deutsche Regierung an Planungen für einen politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau Afghanistans. Zu diesem Zweck skizziert sie den Entwurf einer breit angelegten Regierung der nationalen Einheit im Post-Taliban-Prozess. Ab dem 27.November richtet die Bundesrepublik eine Afghanistan-Friedenskonferenz auf dem Bonner Petersberg aus. Die Unterzeichnung des Petersberg-Abkommens am 5.Dezember 2001 kann als ein außenpolitischer Höhepunkt der Zivilmacht Deutschland gewertet werden. Die BRD übernimmt eine verantwortungsvolle Rolle und stärkt diplomatisch sowohl die Uno als auch den Gemeinschaftsgedanken einer Anti-Terror-Koalition. Darüber hinaus verpflichtet die Ausrichtung einer Friedenskonferenz die deutsche Seite zur aktiven Absicherung des zerbrechlichen Friedens: Insgesamt bewilligt die BRD zunächst 100 Millionen Euro Hilfsgelder und stimmt einer Beteiligung an den internationalen Friedenstruppen zu. Im Rahmen der Isaf-Truppe sichert eine multinationale Brigade unter der Führung des deutschen Generals Carl Hubertus von Butler die afghanische Interimsregierung in der Hauptstadt Kabul. Basierend auf dem Bundestagsmandat vom 16.November beteiligen sich im Süden Afghanistans deutsche Krisen-Reaktions-Kräfte (KSK) ab Januar 2002 zudem an der Jagd amerikanischer und britischer Soldaten auf Al-Qaida-Anhänger.

2.2 Die Bewertung des Afghanistankrieges

Ausgehend von den Anschlägen des 11.Septembers ist es den USA auf nationaler wie internationaler Ebene gelungen, ihr Vorgehen in Afghanistan zu legitimieren. Innenpolitisch verfügt die US-Administration über ein weitreichendes Mandat des Kongresses sowie der Zustimmung eines Großteils der amerikanischen Öffentlichkeit. Basierend auf der Deklaration des Nato-Beistandsfalles und einer entsprechenden Uno-Resolution wird eine weltumspannende Anti-Terror-Koalition ausgerufen, deren Teilnehmer die US-Aktionen direkt unterstützen oder zumindest offiziell billigen. Betreffend der Kriegsführung reduziert sich diese Unterstützung meist auf politische Rückendeckung für Washington. Nach Kriegsende kann die internationale Gemeinschaft zu Aufgaben der Friedenssicherung und des Wiederaufbaus herangezogen werden.

Gemessen an der offiziellen Zielsetzung Washingtons lässt sich ein Erfolg des Afghanistankrieges jedoch nicht vollends konstatieren. Obwohl der Feldzug in einem relativ raschen Sieg mündet, kann rückblickend weder das Terrornetzwerk Al-Qaida dauerhaft geschwächt, noch deren zum Feindbild stilisierte Integrationsfigur Osama Bin Laden gefasst werden. An die Stelle der Taliban-Herrschaft tritt zwar eine prowestliche Interimsregierung unter Hamid Karzai, der Regierungswechsel geht allerdings kaum mit der erwarteten Zunahme innenpolitischer Stabilität einher. Bereits im Vorfeld der Großen Ratsversammlung (Loya Jirga) im Juni 2002 kommen rund ein Dutzend afghanischer Delegierter gewaltsam zu Tode. Die Region um Khost steht zeitweilig vor dem Abgrund eines Bürgerkrieges zwischen Gouverneur Hakim Taneiwal und Provinzfürst Padscha Khan. Der Versuch, unter Einbeziehung der heterogenen Nordallianz eine zugleich ethnisch repräsentative und politisch funktionsfähige Regierung zu installieren gelingt nur streckenweise. Nach der Beseitigung des Taliban-Regimes zerbricht das multiethnische Bündnis. Usbeken und Tadschiken rivalisieren untereinander um die Macht in den Provinzen, die politische Einflusszone Karzais endet faktisch an den Toren der Hauptstadt. Da die internationale Kostenbereitschaft eine Ausweitung der Truppenpräsenz über die Grenzen Kabuls nicht zulässt, ist ein Ende dieser Entwicklung vorerst nicht abzusehen. Nach dem Amtsantritt Karzais fallen zwei Minister Mordanschlägen zum Opfer. Das Staatsoberhaupt selbst entkommt nur knapp einem Attentat. Binnen Jahresfrist entwickelt sich Afghanistan wieder zu einem der größten Schlafmohn-, Opium- und Heroin-Lieferanten der Welt. Können sich die USA für ihre Aktionen auf eine nahezu weltumspannende Legitimierung berufen, erscheint der Erfolg eines nation building weiterhin fragwürdig.

Eine Analyse, die diese Problemfelder berücksichtigt, findet in der US-Öffentlichkeitsarbeit nicht statt. Der Sieg im Afghanistankrieg wird gleichgesetzt mit einem umfassenden Erfolg und durch ein fortschreitendes Agendasetting zu einem abgeschlossenen Kapitel erklärt. Die über das Kriegsende hinaus bleibende Militärpräsenz der USA in Mittelasien, z.B. in Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisien, überschneidet sich mit bisher exklusiv definierten Einflusszonen Chinas und Russland und schafft ein Fundament neuer Machtkonkurrenz.[11] In den Anrainer-Staaten hinterlässt der Krieg häufig ein Bündel von Folgeproblemen, die durch tendenzielle Radikalisierung islamistischer Gruppen und innenpolitische Destabilisierung geprägt werden.

Für die deutsche Außenpolitik repräsentiert die Entwicklung vom 11.September bis zum Afghanistan-Krieg einen erneuten Meilenstein. Seit der deutschen Wiedervereinigung und dem Ende des Ost-West-Konfliktes sieht sich die Bundesrepublik gezwungen, ihre globale Rolle neu zu definieren. Das Konzept der Zivilmacht erschöpft sich lange Zeit in der restriktiven Praxis sekundärer Hilfsleistungen, wie finanzieller Leistungen und der Bereitstellung von Infrastruktur. Bundeskanzler Schröder weitet die internationale Verantwortung Deutschlands definitiv über diese Ebene aus und meistert den innenpolitischen Drahtseilakt, diesen Kurs erfolgreich zu vertreten.

2.3 Die Anti-Terror-Koalition

Das Feindbild des Terrorismus wollen die USA auch auf internationaler Ebene implementieren. Der amerikanische Außenminister Collin Powell versucht, die US-Entscheidungen in einem Netzwerk von Verbündeten rückzukoppeln. Eine grand coalition mit breit gefächertem Teilnehmerradius und wenig konkreter Ausgestaltung sichert den USA gleichermaßen ein großes Legitimationsfundament sowie eine flexible Optionenvielfalt. Eine verbindliche Definition einheitlicher Ziele, Mittel, Zeitfenster oder betroffener Territorien findet ebenso wenig statt wie eine institutionelle Einbettung mit manifestierten Reglementarien der Entscheidungsfindung.

Die Prämisse, eine möglichst große Anzahl von Staaten in einer weltumspannenden Anti-Terror-Koalition zu vereinen, mündet in einem heterogenen Konstrukt, dessen unüberbrückbare Widersprüche sich bald bemerkbar machen: Die Beteiligung islamischer und arabischer Staaten am Bündnis wirft die implizite Forderung auf, deren Kooperationsbereitschaft durch Fortschritte im Nahost-Konflikt zu kompensieren. Das steht jedoch in einem eklatanten Spannungsverhältnis zum Schulterschluss Israels mit dessen traditioneller Protektionsmacht USA. Dieser wird vielfach als Quelle islamistischen Terrors ausgewiesen. Um der Klassifizierung als Schurkenstaat zu entgehen, sieht sich Pakistan gezwungen, im Kampf gegen den Terrorismus mit den USA zu kooperieren. Im Gegenzug wird Islamabad neben einer Aufhebung internationaler Sanktionen und finanziellen Hilfestellungen, eine politischen Amnestie für die bisherige Unterstützung der Taliban in Aussicht gestellt. Diese Kompensation verprellt wiederum das verbündete Indien, welches den Einsatz von Taliban-Kämpfern in der Kaschmir-Region als pakistanisch kontrollierten Terrorismus reklamiert. Die außenpolitische Kehrtwende Pakistans kann zwar als Beleg einer integrativen Wirkung der Allianz gewertet werden. Andererseits beinhaltet die Unterstützung der USA in Staaten wie Indonesien, Saudi-Arabien, dem Iran oder Pakistan aber ein erhebliches Maß an innenpolitischer Sprengkraft. Die populistische Subsumierung der heterogenen Troika Iran, Irak und Nordkorea in einer axis of evil durch den US-Präsidenten wirken als Katalysator anti-amerikanischer Strömungen.

Neben den Widersprüchen in der Zusammensetzung der Koalition birgt auch die schwammige Definition des zu bekämpfenden Terrors einigen Konfliktstoff. Der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon stärkt den USA unweigerlich den Rücken und lässt bereits an den Folgetagen des 11.Septembers israelische Panzer in Jenin und Jericho einrücken um dem islamistischen Terror Einhalt zu gebieten. Präsident Putin deklariert das Vorgehen Russlands im nordkaukasischen Tschetschenien als Terrorbekämpfung. China geht im politischen Windschatten von Afghanistankrieg und Anti-Terror-Koalition gegen vermeintliche islamische Fundamentalisten und uigurische Separatisten in der rohstoffreichen Westregion Xinjiang vor.

[...]


[1] Scowcroft, Brent (Interview) in: Der Spiegel (Nr.40 / 2001), S.´170

[2] ebenda

[3] Emcke, Carolin u.a. in: Der Spiegel (Nr.38 / 2001), S.´30

[4] Hoyng, Hans u.a. in: Der Spiegel (Nr.39 / 2001), S.´36

[5] Beste, Ralf u.a. in: Der Spiegel (Nr.45 / 2001), S.´24

[6] Hogrefe, Jürgen u.a. in: Der Spiegel (Nr.41 / 2001), S.´23

[7] Vgl.: Emcke, Carolin u.a. in: Der Spiegel (Nr.38 / 2001), S.´23

[8] ebenda

[9] Hoyng, Hans u.a. in: Der Spiegel (Nr.39 / 2001), S.´150

[10] Bush, George Walker (20.9.2001), unter: www.whitehouse.gov

[11] Vgl.: Die Ausführungen von: Malek, Martin (2002)

Fin de l'extrait de 51 pages

Résumé des informations

Titre
Auswärtige Sicherheitspolitik in der Periode vom 11.September 2001 bis zum 27. Januar 2003 - Die Vereinigten Staaten von Amerika und die Bundesrepublik Deutschland im Vergleich
Université
LMU Munich  (Geschwister-Scholl-Institut (GSI))
Cours
Fragen angewandter Politikforschung
Note
1,0
Auteur
Année
2003
Pages
51
N° de catalogue
V19780
ISBN (ebook)
9783638238243
Taille d'un fichier
564 KB
Langue
allemand
Annotations
Forschungskolloquium am Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) in München.
Mots clés
Auswärtige, Sicherheitspolitik, Periode, September, Januar, Vereinigten, Staaten, Amerika, Bundesrepublik, Deutschland, Vergleich, Fragen, Politikforschung
Citation du texte
Philipp Lehmann (Auteur), 2003, Auswärtige Sicherheitspolitik in der Periode vom 11.September 2001 bis zum 27. Januar 2003 - Die Vereinigten Staaten von Amerika und die Bundesrepublik Deutschland im Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19780

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