Verhältnis von StPO und Vorratsdatenspeicherung nach dem Urteil des BVerfG


Epreuve d'examen, 2012

59 Pages, Note: 14


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis

A. Einleitung

B. Bergifsbestimmung
I. Darstellung Vorratsdatenspeicherung
1. Verkehrsdaten
2. Telekommunikationsdaten
3. Verbindungsdaten
3. Bestandsdaten
4. Standortdaten
5. Nutzungsdaten
II. Zusammenfassung

C. Anforderungen an die Datenspeicherung nach EG Richtlinie
I. Entstehung der Richtlinie 2006/24/EG und Zielsetzung
II. Umsetzung der EG Richtlinie in Deutschland
1. StPO
2. TKG
3. Zusammenfassung
III. Überwachung der Telekommunikation nach §§ 100 ff. StPO
1. Allgemein
2. Voraussetzungen der Überwachung der Telekommunikation, §§ 100 a, 100b StPO
IV. Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung
1. Urteil des BVerfG
2. Zusammenfassung
3. Entscheidung anderer europäischer Verfassungsgerichte
4. Klage vor dem EuGH

D. Folgen der Entscheidung des BVerfG für die Strafverfolgung
I. Einführung von „Vorratsdaten“ in die Hauptverhandlung
II. Einordnung der Daten die vor dem BVerfG Urteil erhoben wurden
III. Folge der Entscheidung für Berufsgeheimnisträger
IV. Zusammenfassung

E. Diskussion zum nutzen der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland
I. Meinung der Wissenschaft zur Vorratsdatenspeicherung
1. Schwächen dieser Meinungen
2. Kritik an den Meinungen
II. Position der Praktiker zum nutzen der Vorratsdatenspeicherung
1. Schwächen dieser Position
2. Kritik an dieser Position
III. Bericht der EU Kommission zur Richtlinie 2006/24/EG
IV. Stellungnahme

F. Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Einleitung

Die Wege der modernen Kommunikation haben zur Folge das auch die Strafverfolgung nach neuen Wegen suchen muss um dieser Bedrohung Herr zu werden. Was dazu führt, dass das Thema Vorratsdatenspeicherung1 aus der politischen Diskussion2 nicht zu verbannen ist. Es handelte sich um die Aufzeichnen von Telefonverbindungen und In- ternetdaten im großen Stil. Mit Urteil aus dem Jahr 2010 wurden die §§ 113a, 113b TKG und § 100g StPO, welche diese Speicherung ermöglichten, vom BVerfG für nichtig erklärt.3 Was die politische Landschaft in Deutschland in zwei Lager teilte, die Befürworter der Vorratsdatenspeiche- rung und die Gegner. Auch die aus dem Urteil resultieren- den strafprozessualen Fragen sind nicht nur von theoreti- schem Interesse, insbesondere die Frage der Verwertbarkeit von Vorratsdaten im Strafverfahren, soweit diese vor der Nichtigkeitserklärung durch das BVerfG erhoben wurden. Hierzu haben bereits einige Strafsenate des BGH Stellung bezogen.4 Die vorliegende Arbeit will diese gegenwärtigen praktischen Auswirkungen näher konkretisieren und einen kurzen Ausblick auf mögliche Entwicklungen geben. Zu die- sem Zweck erfolgt zunächst eine kurze Darstellung der ge- setzlichen Ausgangslage vor dem Urteil des BVerfG sowie ein Überblick über die für den hier behandelten Bereich re- levanten Kernaussagen des Urteils. Anschließend werden Entscheidungen anderer Europäischer Verfassungsgerichte und deren Bedenken gegen die Richtlinie dargestellt, um dann die Auswirkungen auf laufende Strafverfahren in Deutschland zu beleuchten, wobei neben Frage der Ver- wertbarkeit auch auf die aktuell bestehenden Möglichkeiten eines Rückgriffes auf Telekommunikationsdaten eingegan- gen werden sollen. Danach werden einige Perspektiven für die Neugestaltung der Vorratsdatenspeicherung in Deutsch- land aufgezeigt, wobei hierzu auf die aktuelle Diskussion eingegangen wird und die unterschiedlichen Meinungen zum Nutzen der Vorratsdatenspeicherung gegenüber ge- stellt werden. Zuletzt werden in einem abschließenden Fazit mögliche Zukunftsperspektiven angedeutet.

B. Begriffsbestimmung

I. Darstellung Vorratsdatenspeicherung

In der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung werden technische oder juristische Begriffe verwendet, deren Be- deutung zunächst intuitiv klar scheint, bei genauerem Hin- sehen aber verschwimmt. Der in diesem Zusammenhang auftretenden Konfusion soll zunächst Rechnung getragen werden, indem die wichtigsten Begriffe bestimmt werden.

1. Verkehrsdaten

Der Begriff der Verkehrsdaten wird in § 3 TKG legal defi- niert. Gem. § 3 TKG handelt es sich dabei um Daten, die bei Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden.5 Die Pflicht zur Vorratsda- tenspeicherung ergibt sich in Deutschland aus § 113 a TKG. Diese Vorschrift ist nur auf Telekommunikationsdienste anwendbar.6 Nach § 3 Nr. 24 TKG sind Telekommunikati- onsdienste nur in der Regel gegen Entgelt erbrachte Dienste.7 Zur Erläuterung dieses Merkmals heißt es in der Begründung des entsprechenden Gesetzentwurfs: Diese Definition entspricht Art. 2 Buchstabe c S. 1 RRL.8

2. Verbindungsdaten

Der Begriff der Verbindungsdaten lässt sich mit Hilfe des Gesetzes nicht klar definieren. Beim Blick auf die a. F. des § 100 g StPO, erweckt dieser den Anschein als hätte es dort den Versuch der Legaldefinition gegeben.9 Nach der vorma- ligen Rechtslage enthielt die Vorschrift lediglich eine Befug- nis der Strafverfolgungsbehörde, Auskunft über gespeicher- te Verbindungsdaten von denjenigen zu verlangen, die ge- schäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken10. Eine weitere Verwendung des Begriffes findet sich auch im § 102 Abs. III SGB IV. Im § 102 Abs. III SGB wird auch aufgeführt, welche Daten als Minimum pro- tokolliert werden müssen. Beim Blick in § 16 b des Gesetzes zum Wertpapierhandel findet sich die Verwendung schon in der Überschrift des Paragraphen. Auch beim Blick in § 2 „Begriffsbestimmung“, lässt sich keinen Hinweis auf die Be- deutung des verwendeten Begriffes finden. Die Orientierung an der Rechtsprechung11 zeigt, dass mit Verbindungsdaten wohl Verkehrsdaten gemeint sind.

3. Bestandsdaten

Bestandsdaten werden in § 3 TKG definiert. Es sind solche Daten die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung o- der Änderung eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Telekommunikationsabieter und dem Nutzer erforderlich sind.12

4. Standortdaten

Standortdaten sind gem. § 3 TKG die Daten, die in einem Telekommunikationsnetz erhoben oder verwendet werden und den Standort des Endgeräts eines jeden Nutzers be- stimmen zu können.13

5. Nutzungsdaten

Nutzungsdaten werden in § 15 I TKG definiert als Merkmale zur Identifikation des Nutzers, Angaben über Beginn und Ende sowie des Umfanges der jeweiligen Nutzung und An- gaben über die vom Nutzer in Anspruch genommen Telemedien.14 Diese Daten dienen jedoch nur der Abrechnung.15

II. Zusammenfassung

Festzuhalten ist, dass mittels der hier vorgestellten Daten Telekommunikationsanbietern vorgeschrieben wurde, zu ar- chivieren, wer wann wo mit wem mittels Telefon, Mobiltele- fon, Internet-Telefonie oder E-Mail Kontakt oder Kontaktver- suche hatte, sowie wer wann einen Internetzugang genutzt hat.

C. Anforderungen an die Datenspeicherung nach EG Richtlinie

Um das Urteil des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung besser zu verstehen, werden die EG-Richtlinie und die Umsetzung in Deutschland kurz umrissen. Dies soll die Möglichkeit einer historischen Einordnung geben, um die Reichweite der Richtlinie besser zu verstehen.

I. Entstehung der EG Richtlinie 2006/24 und Zielsetzung

Frankreich, Irland, Schweden und das Vereinigte Königreich legten dem Rat im April 2004 einen Vorschlag für einen Rahmenbeschluss16 vor, der auf die Artikel des EU-Vertra- ges gestützt war, die die polizeiliche und justizielle Zusam- menarbeit in Strafsachen betrafen. Dieser Vorschlag betraf die Vorratsspeicherung von Daten, die im Zusammenhang mit der Bereitstellung öffentlicher elektronischer Kommuni- kationsnetze aufgezeichnet werden, oder von Daten, die in öffentlichen Kommunikationsnetzen vorhanden sind, für die Zwecke der Vorbeugung, Ermittlung, Aufdeckung und Ver- folgung von Straftaten, inclusive Terrorismus.17 Als Rechts- grundlage für diese Richtlinie stütze die Kommission diese auf den EG- Vertrag,18 genauer gesagt, Art. 95 EG (nun- mehr Art. 114 AEUV), welcher die Annahme von Maßnah- men ermöglicht, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand hat.19 Im Dezember 2005 entschied sich der Rat für eine Richtlinie auf der Grundlage des EG-Vertrags und am 21.2.2006 beschloss er mit qualifizierter Mehrheit die Richtlinie über die Vorratsda- tenspeicherung von Daten.20 Die wesentlichen Eckpunkte der Richtlinie sind wie folgt zu beschreiben: Nach Artikel 1 Abs. 1 dient die Richtlinie zunächst der Harmonisierung der Vorschriften über die obligatorische Speicherung von Ver- kehrsdaten in den Mitgliedstaaten und bezweckt zugleich, die Verfügbarkeit dieser Daten für Strafverfolgungszwecke sicherzustellen.21 Gemäß Art. 3 I RI 2006/24/EG haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass die in Artikel 5 I der Richtlinie näher bestimmten Arten von Daten ohne einzel- fallbezogenen Anlass gespeichert werden, soweit sie von den Diensteanbietern bei der Bereitstellung ihrer Telekom- munikationsdienste erzeugt oder verarbeitet werden.22 Nach Artikel 6 der Richtlinie ist eine Speicherungsdauer von min- destens sechs und höchstens 24 Monaten vorzusehen. Arti- kel 5 II der Richtlinie stellt klar, dass Daten, die den Inhalt der Kommunikation betreffen, nicht gespeichert werden dürfen.23 Aus der Beschreibung des Speicherungszwecks in Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie folgt zugleich, dass eine Ver- wendung der nach Maßgabe der Richtlinie gespeicherten Daten für die dort genannten Strafverfolgungszwecke zuläs- sig ist.24 Zu der Frage, ob diese Daten zu weiteren Zwecken Verwendung finden sollen dürfen,, verhält sich die Richtlinie bewusst nicht.25 Artikel 11 der Richtlinie i. V. m. Artikel 15 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommuni- kation (2002/58/EG) bringt vielmehr zum Ausdruck, dass die Richtlinie insoweit keine abschließende Regelung darstellt und die „auf Vorrat“ gespeicherten Daten daher - in den Grenzen von Artikel 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG - für weitere Zwecke verwendet werden dürfen.26 Losgelöst von der Frage der zulässigen Verwendungszwecke ver- pflichtet Artikel 4 der Richtlinie die Mitgliedstaaten zur Schaf- fung adäquater Vorschriften über die Weitergabe der Daten und den Zugang zu diesen.27 Die Artikel 7 und 13 der Richt- linie machen Vorgaben zu Datenschutz und Datensicherheit sowie zu Rechtsbehelfen, Haftung und Sanktionen, die weitgehend der geltenden Rechtslage entsprechen28 und deren Geltung auch im Zusammenhang mit den nach Maß- gabe der Richtlinie zu speichernden Daten klarstellt. Artikel 10 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, der Kom- mission jährlich eine Statistik mit in Artikel 10 im Einzelnen beschriebenen Angaben zu übermitteln.29 Die Angaben soll- ten einfließen in die von der Kommission nach Artikel 14 der Richtlinie bis zum 15. September 2010 vorzulegende Be- wertung der Anwendung der Richtlinie sowie der Auswirkun- gen auf Wirtschaft und Verbraucher.30 Diese Bewertung soll- te der Feststellung etwa erforderlicher Änderungen der Richtlinie insbesondere aufgrund fortschreitender Entwick- lungen in der Telekommunikatonstechnologie dienen.31 Die Frage, auf welche Rechtsgrundlage ein Instrument der EU zur Einführung von Speicherungspflichten für Verkehrsdaten zu stützen ist, war Gegenstand kontroverser Diskussionen während der Beratungen auf europäischer Ebene sowie in den Mitgliedstaaten und wird bis heute unterschiedlich beurteilt.32 Sowohl der von Frankreich, Schweden, Irland und Großbritannien am 28. April 2004 vorgelegte und zu- nächst beratene Entwurf für einen Rahmenbeschluss, der auf die Artikel 31 und 34 des Vertrages über die Europäi- sche Union (EU-Vertrag) gestützt war, als auch der Kom- missionsvorschlag für eine auf Artikel 95 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) gestützte Richtlinie vom 21. September 2005 war dem Ein- wand einer verfehlten Rechtsgrundlagenwahl ausgesetzt.33 Die juristischen Dienste der Kommission und des Rates vertraten in ihren gutachterlichen Stellungnah- men vom 22. März 2005 bzw. 5. April 2005 übereinstim- mend die Auffassung, dass es sich bei der Einführung von Speicherungspflichten für Verkehrsdaten um eine gemein- schaftsrechtliche Angelegenheit handele, die nicht Gegen- stand eines Rahmenbeschlusses in der „Dritten Säule“ der EU (Titel VI des EU-Vertrages über die polizeiliche und justi- zielle Zusammenarbeit in Strafsachen) sein könne.34 Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dass der Umgang mit Verkehrsdaten bereits in Artikel 6 I der Daten- schutzrichtlinie für elektronische Kommunikation35 geregelt sei, wo eine Löschung oder Anonymisierung der Daten vor- sehen ist.36 Ein Rechtsinstrument, das die Mitgliedstaa- ten zum Erlass von Regelungen zur Speicherung dieser Daten verpflichte, berühre diese Vorschrift und sei somit nach Arti- kel 47 des EU-Vertrages in der „Dritten Säule“ unzulässig.37 Auch die in Artikel 15 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation enthaltene Öffnungsklausel für bestimmte abweichende Rechtsvorschriften in den Mit- gliedstaaten führe nicht zu einer anderen Bewertung, da sie als Ausnahmeregelung restriktiv auszulegen sei und grund- sätzlich nur abweichende Regelungen im Einzelfall zulasse.38 Dass die einzelnen Mitgliedstaaten teils keinerlei, teils sehr unterschiedliche Speicherungsvorschriften für Ver- kehrsdaten erlassen hätten, beeinträchtige den Binnenmarkt für elektronische Kommunikation, da die zumeist grenzüber- schreitend tätigen Diensteanbieter mit unterschiedlichen Rechtsvorschriften konfrontiert seien.39 Ein Rechtsinstru- ment zur Einführung einheitlicher Speicherungspflichten in- nerhalb der EU diene der Harmonisierung dieser unter- schiedlichen Rechtsregime und fördere damit das Funktio- nieren des Binnenmarktes.40 Somit sei ein solches Rechts- instrument auf Artikel 95 des EG-Vertrages zu stützen und im Verfahren der Mitentscheidung des Europäischen Parla- ments nach Artikel 251 des EG-Vertrages zu erlassen.41

Diese Ansicht wurde zuletzt auch von allen Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Irlands und der Slowakei) vertreten.42 Auch die Bundesregierung vermochte sich den dargelegten Er- wägungen letztlich nicht zu verschließen43, zumal ihre zu- nächst - in Übereinstimmung mit dem Deutschen Bundes- tag und dem Bundesrat - vertretene gegenteilige Haltung durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 13. September 2005,44 durch das der Rahmenbeschluss des Rates über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht für nichtig erklärt worden war, weil er in die der Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten übergegriffen habe, erheblich geschwächt wurde.45 Vor diesem Hintergrund hat die Bun- desregierung der Richtlinie beim Ministerrat für Justiz und Inneres am 21. Februar 2006 zugestimmt, nachdem sie hierzu durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 16. Februar 2006 aufgefordert worden war.46

II. Umsetzung der EG Richtlinie in Deutschland

Die deutsche Umsetzung der EG Richtlinie 2006/24 berück- sichtigt die Forderungen des Deutschen Bundestages, hin- sichtlich der Speicherungsdauer und der erfassten Datenar- ten keine über die Mindestvorgaben der Richtlinie hinaus- gehenden Regelungen vorzusehen und die Verwendung der gespeicherten Daten für Strafverfolgungszwecke nur bei er- heblichen oder mittels Telekommunikation begangenen Straftaten zuzulassen.47 Somit setzte der deutsche Gesetz- geber die Vorgaben der Richtlinie wie folgt um:

1. StPO

§ 100g StPO regelte mit Bezug auf § 113b S. 1 Halbsatz 1 Nr. 1 TKG - die Nutzung der vorsorglich gespeicherten Da- ten zum Zweck der Strafverfolgung.48 Insgesamt betrachtet ist die Vorschrift dabei weiter gefasst und regelt den Zugriff auf Telekommunikationsverkehrsdaten überhaupt.49 Die Re- gelung erlaubt somit zudem auch den Zugriff auf Verbin- dungsdaten, die aus anderen Gründen, wie etwa zur Ab- rechnung von Gebühren, bei den Telekommunikationsanbie- tern gespeichert werden. Der Gesetzgeber hat sich dazu entschieden, nicht zwischen der Nutzung der nach § 113a TKG vorsorglich gespeicherten Verkehrsdaten zu unterscheiden.50 Er erlaubte auch die Nutzung der Vorrats- daten unabhängig von einem abschließenden Straftatenka- talog für die Zwecke der Verfolgung von Straftaten mit er- heblicher Bedeutung und darüber hinaus nach Maßgabe ei- ner einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung auch allgemein zur Verfolgung von Straftaten, welche mittels Te- lekommunikation begangen wurden.51 Erforderlich hierzu war eine vorherige richterliche Entscheidung. Die Strafpro- zessordnung kennt in diesen Fällen eine Benachrichti- gungspflichten und rückwirkenden Rechtsschutz.52

2. TKG

§ 113a TKG regelte, dass öffentlich zugängliche Telekom- munikationsdiensteanbieter verpflichtet waren, praktisch sämtliche Verkehrsdaten von Telefondiensten53 vorsorglich anlasslos zu speichern.54 Nicht zu speichern waren demge- genüber der Inhalt der Kommunikation,55 und damit verbun- den auch, welche Internetseiten von den jeweiligen Nutzern aufgerufen wurden. Die Daten mussten nach Ablauf der Speicherfrist von sechs Monaten gelöscht werden.. § 113a Abs. XI TKG.§ 113b TKG regelt die Verwendung der nach § 113 a gespeicherten Daten. Die Vorschrift enthielt selbst keine Ermächtigung zur Datenabfrage, sondern bezeichnete nur grobmaschig allgemein mögliche Nutzungszwecke, die durch gesetzliche Regelungen des Bundes und der Länder konkretisiert werden sollten.56 In § 113b S. 1 Hs. 1 TGK werden dabei die möglichen Zwecke der unmittelbaren Nut- zung der Daten aufgelistet: Hierzu zählen, die Verfolgung von Straftaten, die Abwehr von erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und die Erfüllung von nachrichten- dienstlichen Aufgaben.57 Halbsatz 2 erlaubt darüber hinaus die mittelbare Nutzung der Daten für Auskünfte nach § 113 I TKG in Form eines Auskunftsanspruchs gegenüber den Diensteanbietern zur Identifizierung von IP-Adressen. Be- hörden können danach, wenn sie etwa durch Anzeige oder durch eigene Ermittlungen eine IP-Adresse bereits kennen, Auskunft über die dem Anschlussnehmer zugeordnete Ad- resse verlangen. Der Gesetzgeber erlaubt dies unabhängig von näher begrenzenden Maßgaben zur Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie zur Gefahren- abwehr; ein Richtervorbehalt ist insoweit ebenso wenig vor- gesehen wie Benachrichtigungspflichten.58

3. Zusammenfassung

Der Zweck der Vorhaltung all dieser Daten ist, sicher zu stel- len, dass diese Daten für eine spätere Strafverfolgung oder Gefahrenabwehrmaßnahme auch vorhanden sind.59 So sol- len auf diese gespeicherten Daten Strafverfolgungsbehörden und weitere Bedarfsträger Zugriff haben, um alle Telekommunikationsverbindungen im gespeicherten Zeitraum im Nachhinein zuordnen zu können. Somit soll eine effektive Vorbeugung und Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus gewährleistet werden.60

III. Überwachung der Telekommunikation nach §§ 100 ff. StPO

Vor der Entscheidung des BVerfG wurde durch einstweilige Anordnung,61 dass die Vorratsdatenspeicherung nur die Tä- tigkeit der hiervon betroffenen Dienstanbieter betrifft und nicht den Zugang zu den Daten oder deren Nutzung durch die Polizei und Justizbehörden gestaltet. So wurden Ver- kehrsdaten, die aufgrund der § 113 a TKG vom Dienstanbie- ter gem. § 100g StPO gespeichert werden mussten, nur dann an die Behörden weitergegeben, wenn die Vorrausset- zungen der § 100 a I StPO vorlagen. Dazu musste sich aus der Anordnung nach § 100g II StPO iVm § 100b I und II StPO ergeben, dass das Ermittlungsverfahren eine Katalog- tat nach § 100a II StPO zum Gegenstand hatte.62 Deshalb sollen im Folgenden die Vorraussetzung der §§ 100a ff. StPO kurz dargestellt werden.

1. Allgemein

Die Überwachung der Telekommunikation ist in § 100a StPO (Voraussetzungen) und § 100b StPO (Zuständigkeit für die Anordnung) geregelt. Die Vorschriften stellen strafprozessu- ale Zwangsmaßnahmen dar.63 Sie sind in der Regel stets mit einem Grundrechtseingriff (Art. 10 GG) verbunden64, deshalb gelten besondere Anforderungen an die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.65 § 100a StPO gewährt sowohl einen Eingriff in die durch Art. 10 GG geschützte Privatsphä- re des Beschuldigten als auch in die unbeteiligter Dritter.66 § 100a StPO gestattet nicht nur die Überwachung der Tele- kommunikation, sondern darüber hinaus auch die Aufzeich- nung der Gespräche durch die Ermittlungsbehörden.67 Da- bei ist der Anwendungsbereich des § 100a StPO nicht nur auf die herkömmlichen Formen des Telefonierens und Fern- schreibens beschränkt, sondern umfasst jegliche Art der Nachrichtenübermittlung.68

2. Voraussetzungen der Überwachung der Telekommuni- kation, §§ 100a, 100b StPO

Gemäß der Anordnungsbefugnis nach § 100b I StPO ist der Richter, bei Gefahr im Verzug auch die StA zuständig. Die Anordnung tritt in letzterem Fall außer Kraft, wenn nicht in- nerhalb von drei Tagen eine richterliche Bestätigung ergeht, § 100b I 3 StPO. Die Höchstdauer der Maßnahme beträgt 3 Monate, kann aber verlängert werden (§ 100b II 4, 5 StPO). Die Betroffenen sind von der Überwachung nachträglich zu benachrichtigen (§ 101 IV 1 StPO). Es muss ein Tatverdacht vorliegen, der die Überwachung rechtfertigt. Erfasst sind hierbei sowohl Täter als auch Teilnehmer; ferner sowohl Vollendungs- als auch Versuchstaten; darüber hinaus auch bestimmte Vorbereitungshandlungen.69 Die Anordnung der Telefonüberwachung ist nur bei Verdacht einer in § 100a II StPO genannten Katalogtat zulässig, § 100a I 1 Nr. 1 StPO diese Aufzählung ist abschließend.70 Die Tat muss auch im konkreten Einzelfall schwer wiegen (vgl. § 100a I Nr. 2 StPO). Der Subsidiaritätsgrundsatz muss beachtet werden. Dadurch kommt die Anordnung der Telefonüberwachung nur dann in Betracht, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre (vgl. § 100a I Nr. 3 StPO). Die Maßnahme muss einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten, da es sich um ei- ne Zwangsmaßnahme handelt. Die Anordnung richtet sich in erster Linie gegen den Tatverdächtigen. Darüber hinaus kann die Telefonüberwachung auch unmittelbar gegen Dritte angeordnet werden, soweit der Verdacht besteht, dass die- se für den Beschuldigten als Nachrichtenübermittler fungie- ren (vgl. § 100a III StPO); hier ist auch näher umschrieben, wann eine solche Nachrichtenmittlerfunktion71 vorliegt.

[...]


1 Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/ 24/EG vom 21. 12. 2007 (BGBl I, 3198).

2 DRB, MMR-Aktuell 2011, 320110; DAV, MMR Aktuell 2011, 320112; MMR- Aktuell 2011, 319439 zum Gesetzesentwurf des BMJ, "Quick Freeze-Verfah- rens".

3 BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2.3.2010, Absatz-Nr. (1 - 345).

4 BGH NJW 2011, 467 (4. Strafsenat) = HRRS 2011 Nr. 266; BGHSt 56, 127 (3. Strafsenat) = HRRS 2011 Nr. 481; BGH NJW 2011, 1377 (1. Strafsenat) = HRRS 2011 Nr. 428; ferner OLG München MMR 2010, 793; OLG Hamm NStZ-RR 2010, 246; LG Verden StV 2011, 13 ff..

5 HK-StPO-Gercke, § 100g Rn. 3.

6 HK-StPO-Gercke, § 100g Rn. 3.

7 HK-StPO-Gercke, § 100g Rn. 4.

8 Bundesregierung, Begründung v4.0 zur TKÜV (I).

9 Sankol, JuS 2006, S. 703 (702).

10 Klein, in: Benda/ders., VerfProzR, 2. Aufl. (2001), Rdnrn. 190f..

11 BVerfG, NJW 2006, 976.

12 HK-StPO-Gercke, § 100g Rn. 1.

13 HK-StPO-Gercke, § 100g Rn. 4.

14 Bär, Aktuelle Rechtsfragen bei strafprozessualen Eingriffen in die Telekommunikation, MMR 2000, 472.

15 BT-Drucks., 16/5846, S. 24.

16 Richtlinie EG 2006/24/EG ABl. L 105, S. 54.

17 RL 2006/24/EG v. 21. 12. 2007.

18 RL 2006/24/EG v. 21. 12. 2007.

19 vgl. Freier Warenverkehr und nationale Regelungsgewalt in der Europäischen Union, § 3, S. 37.

20 RL 2006/24/EG v. 21. 12. 2007

21 RL 2006/24/EG v. 21. 12. 2007

22 RL 2006/24/EG v. 21. 12. 2007

23 RL 2006/24/EG v. 21. 12. 2007

24 RL 2006/24/EG v. 21. 12. 2007

25 Handbuch Datenschutzrecht, Kapitel: Datenschutz im Internet, S. 227.

26 Handbuch Datenschutzrecht, Kapitel: Datenschutz im Internet, S. 227.

27 RL 2006/24/EG v. 21. 12. 2007.

28 vgl. Grabitz/Hilf, Art. 192, Rn 88.

29 RL 2006/24/EG v. 21. 12. 2007.

30 Beulke, Strafprozessrecht, § 1 V 2, Rn 10 ff..

31 RL 2006/24/EG v. 21. 12. 2007.

32 BT-Drucksache, 275/07, S.59.

33 BT-Drucksache, 275/07, S.59.

34 BT-Wissenschaftlicherdienst, Nr. 04/09.

35 Richtlinie 2002/58/EG zu finden unter http://www.internet4jurists.at/gesetze/rl_datenschutz.pdf, (Februar 2012).

36 Az.1258, deutsche Übersetzung des Urteils: http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/342/1/#Urteil (Februar 2012)

37 Beulke, Strafprozessrecht, § 1 V 2, Rn 10b.

38 vgl. Frenz, Europäischer Datenschutz und Terrorabwehr, EuZW 2009, S. 6 (6-8).

39 vgl. Westphal, Die Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Verkehrsdaten - Neues aus Brüssel zum Verhältnis von Sicherheit und Datenschutz in der Informationsgesellschaft, juridikum 2006, 34 (33-37).

40 Verhandlung des Deutschen Bundestages: Stenographischer Bericht, Band 228, S. 567.

41 Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zur Vorratsdatenrichtlinie, RZ 40, C 298 vom 29. November 2005.

42 BT-Drucksache 16/5846, S. 29.

43 BT-Drucksache 16/5846, S. 52.

44 EuGH, Rs. C-176/03.

45 BT-Drucksache 16/545, S. 4.

46 BT-Drucksache 16/545, S. 4.

47 BT-Drucksache 16/545, S. 4.

48 Beulke, Strafprozessrecht, §12 X 4, Rn 254a.

49 BT-Drucksache 16/5846, S. 51.

50 Beulke, Strafprozessrecht, §12 X 4, Rn 254a.

51 Beulke, Strafprozessrecht, §12 X 4, Rn 254a.

52 Beulke, Strafprozessrecht, §12 X 4, Rn 254b.

53 Es waren betroffen: Festnetz, Handy, Fax, S.M.S., M.M.S., E-Mail-Dienste und Internetdienste.

54 BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2.3.2010, Absatz-Nr. 207.

55 Spindler /Schuster, § 113 Rn. 5, (Holznagel /Ricke).

56 Praxishandbuch Internetstrafrecht, Kapitel 5, Rn. 667.

57 BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2.3.2010, Absatz-Nr. 133.

58 BeckOK, TKG, § 113a, Rn. 10, (Bock).

59 BMJ: Telekommunikationsgesetz vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), zu- letzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198). http://bundesrecht.juris.de/tkg_2004/BJNR119000004.html (Februar 2012).

60 BT-Drucksache 16/545, S. 16.

61 Az 1 BvR 256/08 - BGB1 I 659 = NStZ 2008, 290 = MMR 2008, 303 m Anm Bär 307.

62 BeckOK, StPO, 8.Abschnitt, § 100a II, Rn. 119a, (Graf).

63 Böckenförde, Die Ermittlung im Netz, 2003, S. 473.

64 Radtke/Hohmann/Röwer, StPO, § 100a, Rn. 6.

65 Jahn, JuS 2006, S. 491 (494).

66 Jahn, JuS 2006, S. 491 (494).

67 BeckOK, StPO, 8. Abschnitt, § 100a II, Rn. 119, (Graf).

68 BeckOK, StPO, 8. Abschnitt, § 100a II, Rn. 118, (Graf).

69 Roxin,StPO,§34 CIV Nr.3,4.

70 Roxin,StPO,§34 CIV Nr.3,4

71 Zuck, JA 2006, 747, (747).

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Résumé des informations

Titre
Verhältnis von StPO und Vorratsdatenspeicherung nach dem Urteil des BVerfG
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University of Hannover
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14
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Année
2012
Pages
59
N° de catalogue
V199239
ISBN (ebook)
9783656323440
ISBN (Livre)
9783656324324
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Langue
allemand
Annotations
Eine Darstellung der strafprozessualen Folgen des Urteils des BVerfG auf die Vorratsdaten die gem. der Richtlinie EG 2004/24 und der nationalen Umsetzung in § 100a StPO, 113 TKG umgesetzt wurden und der aktuelle Stand der Diskussion in den Medien
Mots clés
Vorratsdatenspeicherung, MPI, BKA, StPO, TKG, Strafrecht, Strafverteidigung, Urteil BVerfG
Citation du texte
Ramin Wais (Auteur), 2012, Verhältnis von StPO und Vorratsdatenspeicherung nach dem Urteil des BVerfG, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199239

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Titre: Verhältnis von StPO und Vorratsdatenspeicherung nach dem Urteil des BVerfG



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