Schriftspracherwerb unter schwierigen Bedingungen

Vor welchen Hürden Kinder mit Deutsch als Zweitsprache beim Lesen- und Schreibenlernen stehen


Term Paper, 2012

20 Pages, Grade: 2,0

Dana Frank (Author)


Excerpt


Inhalt

1. Einleitung

2. Zweitsprache
2.1 Deutsch als Zweitsprache
2.2 Zweitspracherwerbstheorien - Die Interdependenzhypothese von CUMMINS
2.3 Der Stellenwert anderer Herkunftssprachen und Submersion

3. Schriftspracherwerb
3.1 Definition
3.2 Die Rolle der Familiensprache beim Schriftspracherwerb
3.3 Vor welchen Hürden stehen Kinder mit Deutsch als Zweitsprache beim Schriftspracherwerb?
3.3.1 Soziokulturelle Herkunft
3.3.2 Sprachliche Besonderheiten

4. Anregungen für einen Unterricht in mehrsprachigen Klassen

5. Exkurs: Eine soziologische Perspektive auf die Bildungsbenachteiligung von Schülern mit Migrationshintergrund in Deutschland

6. Zusammenfassung und Schluss

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Bis heute wird in Deutschland stetig über den Status der Bundesrepublik im Bezug auf Migration diskutiert. So ertönte es im November 2010 seitens des stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden Volker Bouffier in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt: „Wir haben Einwanderung, aber Deutschland ist kein Einwanderungsland“[1]. Bündnis 90/Die Grünen sprechen sich dagegen, im Rahmen ihrer Flüchtlingspolitik, klar für den Status „Einwanderungsland Deutschland“ aus.[2] Unabhängig davon steht aber fest, dass Menschen mit Migrationshintergrund ein Teil unserer Gesellschaft sind. Gerade an Schulen wird dies immer deutlicher. So hatten im Jahr 2010 29,2 % der Schüler[3] (vgl. Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, 2012: S. 163-165)an allgemeinbildenden Schulen einen Migrationshintergrund, 8,9 % der Gesamtschülerschaft waren nicht deutscher Nationalität. Das ist ein nicht unerheblicher Teil und es zeigt sich, dass die Tendenz steigend ist. Die Einwanderungs- und die Bildungspolitik Deutschlands haben in den letzten 60 Jahren nicht adäquat auf die Anforderungen, welche sich daraus ergeben, reagiert und diese Bevölkerungsgruppe marginalisiert (vgl. Jeuk, 2010: 103). Die Folgen werden deutlich an herrschender Bildungsbenachteiligung und soziokulturellen Diskrepanzen. Ein Blick auf die Schulstatistik untermauert dies (vgl. Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, 2012: S. 163-165).

Im Jahr 2010 war der Anteil der ausländischen[4],[5] Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen haben, mit 12,8% mehr als doppelt so hoch wie bei ihren deutschen Mitschülern. Bezüglich der Verteilung auf die Schultypen stellen sich ebenfalls erhebliche Abweichungen heraus. So wurden überproportional viele Ausländer (33%, bei den Deutschen 12%) an Hauptschulen unterrichtet. Ihr Anteil an den Gymnasien war weit unterdurchschnittlich. Jeder zweite deutsche Schüler (52%) besuchte ein Gymnasium, bei den ausländischen war es jeder Vierte (26%). Während die Verteilung auf der Realschule ausgeglichen war, ist alarmierend, dass 13% der Schülerschaft an den Sonder- bzw. Förderschulen einen nicht-deutschen Pass hatten, obwohl sie nur 8,9% der Gesamtschülerschaft darstellten.

Durch diese Ungleichverteilung wird klar, dass es Schüler mit Migrationshintergrund schwieriger haben, eine erfolgreiche Schulkarriere zu absolvieren. Die Ursachen hierfür liegen sicher nicht in mangelnden kognitiven Fähigkeiten, sondern sind anderswo zu suchen.

In der folgenden Arbeit liegt der Fokus dabei besonders auf dem Grundschulfach Deutsch und vor welchen Hürden Kinder mit Deutsch als Zweitsprache (DAZ)beim Schriftspracherwerb stehen. Die Sprache dient im schulischen Kontext„nicht nur als ein Medium derVerständigung, sondern auch als Instrument des Wissenserwerbs“ (Schmölzer-Eibinger, 2006: 128). Daher liegt in der Vermittlung (schrift-)sprachlicher Kompetenzen der Schlüssel für einen erfolgreichen Schulbesuch.

Um dieser Frage nachgehen zu können, werden im zweiten Teil der Arbeit zuerst die Termini Zweitsprache, Zweitspracherwerb und ihre schulische Relevanz näher erläutert. Dabei wird darauf eingegangen mit welchen pädagogischen und schulischen Modellen Mehrsprachigkeit und Migrationshintergrund in Deutschland begegnet wird. Darauf aufbauend wird im dritten Teil der Zusammenhang zwischen Spracherwerb und Schriftspracherwerb deutlich durch den sich wichtige Rückschlüsse auf die Hürden ziehen lassen, vor denen DAZ-Kinder stehen. Aufbauend auf diesen Betrachtungen werden im vierten Teil Vorschläge für einen konstruktiven Umgang mit mehrsprachigen Klassen gegeben. Für die vorliegende Arbeit stehen die sprachlichen Hürden, vor denen Kinder mit Deutsch als Zweitsprache stehenund der Umgang der Lehrkraft damit, im Mittelpunkt.Dennoch folgt,im fünften Teil, ein kleiner soziologischer Exkurs. In diesem wird zusätzlich deutlich gemacht, weswegen es Schüler mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen so schwer haben. Zuletzt erfolgt eine kurze Zusammenfassung bezüglich der Anforderungen, die sich an einen (Deutsch)-Lehrer stellen und ein Ausblick in welche Richtung zukünftig geforscht werden sollte.

2. Zweitsprache

2.1 Deutsch als Zweitsprache

Um zu verstehen vor welchen Hürden Kinder beim Schriftspracherwerb stehen, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, muss zunächst erörtert werden, was der Begriff Deutsch alsZweitsprache meint.

Ein erster Einblick entsteht durch die Definition von BREDEL u.a., welche den Terminus Zweitsprache wie folgt umreißt:

„eine mit zeitlichen Abstand zur Erstsprache gelernte, weitere Sprache. Der Begriff wird im Unterschied zur Fremdsprache meist für außerschulisch erworbene Sprachen in authentischen Sprachumgebungen verwendet.“ (BREDEL u.a., 2011: 235)

JEUK (vgl. 2010: 14-17) führt diese Definition näher aus. Er spricht von Erstsprache (S1) und Zweitsprache(S2), welche die Reihenfolge des zeitlichen Erwerbs widerspiegeln. Außerdem trifft er eine Unterscheidung in frühe Zweisprachigkeit, bei welcher beide Sprachen simultan erworben werden und sukzessiver Zweisprachigkeit, bei welcher die Zweitsprache nach der ersten, b einem Alter von etwa drei Jahren, erworben wird.

Zudem lehnt er den problematischen Begriff Muttersprache, zugunsten des Begriffes Familiensprache, ab . Damit ist jene Sprache gemeint, die bevorzugt innerhalb der Familie gesprochen wird.

Laut JEUK ist frühe Zweisprachigkeit oft in Akademikerfamilien zu finden, deren Elternteile unterschiedliche Sprachen sprechen. Ihre Kinder besuchen demnach häufig bilinguale Kindertagesstätten (Kitas)und Schulen in denen adäquat auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird. Ihre Schullaufbahn und ihr Schriftspracherwerb stehen somit unter günstigen Voraussetzungen. Kinder hingegen, die die Zweitsprache sukzessive erwerben, treffen in der Nachbarschaft, in der Kita und in der Schule auf Sprachsituationen die nicht ihrer Familiensprache entsprechen. Sie haben beim Lesen- und Schreibenlernen viele Klippen zu umfahren, weshalb diese Gruppe in der vorliegenden Arbeit im Fokus steht.

2.2 Zweitspracherwerbstheorien - Die Interdependenzhypothese von CUMMINS

Es existieren zahlreiche Zweitspracherwerbstheorien (Kontrastivhypothese von FRIES&LADO; Identitätshypothese von CHOMSKY; Interlanguagehypothese zurückgehend auf CORDER; Teachabilty-Hypothesis von PIENEMANN und zahlreiche andere[6] ) die höchst unterschiedlich sind und verschiedene Positionen zur Zweitspracherwerbsforschung einnehmen (vgl. Jeuk, 2010: 36). Dennoch ist kein Ansatz in der Lage Zweitspracherwerbsprozesse vollständig zu erklären. Zudem beziehen sie sich lediglich auf bilingual aufwachsende Kinder. Die erziehungswissenschaftliche Interdependenzhypothese von CUMMINS (1980; ebd., 2010: 37) hingegen grenzt sich von den übrigen psycholinguistischen Theorien ab. Für die vorliegende Arbeit ist sie von besonderer Bedeutung, da sie sich explizit auf den sukzessiven Zweitspracherwerb von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund bezieht Zudem stellt sie einen Zusammenhang zwischen Zweitspracherwerb und Schriftspracherwerb her.

CUMMINS beschreibt die kommunikativen Anforderungen, die den Sprachgebrauch in Alltag und Schule bestimmen, als höchst unterschiedlich. Vor Schuleintritt sind DAZ-Kinder mit sprachlichen Situationen konfrontiert, bei denen sie sich parasprachliche Kommunikationsmittel, wie Gestik, Mimik, Lautstärke, zu Hilfe nehmen können (vgl. Bredel u.a., 2011: 187). Auf dieser elementaren Ebene des mündlichen Sprachgebrauchs sind sie schnell kommunikationsfähig. Mit dem Eintritt in die Schule reichen diese Kompetenzen allein aber nicht mehr aus; jetzt „geht es von Anfang an um eine Sprache, die anders aufgebaut ist als die mündliche Alltagssprache“ (ebd.: 187).

Um diese unterschiedlichen Sprachanforderungen zu kennzeichnen, führte CUMMINS die Kategorien BICSbasic interpersonal communicative skills und CALPcognitive academic language profiency ein. Das Erreichen der CALP ist für den schulischen und späteren beruflichen Erfolg von entscheidender Bedeutung. Eine Förderung, dieser kognitiv-akademischen Sprachfähigkeit, ist daher für alle Schüler wichtig.

2.3 Der Stellenwert anderer Herkunftssprachen und Submersion

„DasThemaMehrsprachigkeit im Deutschunterrichtlässt sich nicht auf rein methodisch-didaktische Fragen reduzieren, etwa auf die beste Art und Weise wie in Klassen mit unterschiedlichen Deutschkenntnissen Sprachunterricht zu bewerkstelligen sei. Vielmehr geht es um zentrale Fragen des Selbstverständnisses des Faches Deutsch.“ (Wintersteiner, 2003: 602).

Damit wird deutlich, dass sich in der Schule und im (Deutsch-)Unterricht grundsätzliche Haltungen unserer Gesellschaft widerspiegeln. In den meisten Fächern wird vornehmlich deutschsprachig unterrichtet. Menschen mit Migrationshintergrund müssen die Mehrheitssprache Deutsch als Mittel zur verbalen Kommunikation und eine Abwertung ihrer Herkunftssprache akzeptieren(vgl. Jeuk, 2010: 17). Es gibt jedoch auch einige Sprachen wie Englisch oder Französisch, welche mit großem Aufwand in der Schule gefördert werden. In der bildungspolitischen Debatte, in Deutschland, ist folglich eine Wertigkeit in bedeutsame und unbedeutsame Sprachen auszumachen.

Das in Deutschland vorherrschende Schulmodell zum Umgang mit Mehrsprachigkeit nennt sich Submersion . Das Ziel dieses Programmes ist der Erwerb von Kompetenzen der Mehrheitssprache, wobei die Herkunftssprache der Schüler einen geringen Status besitzt. DAZ-Schüler besuchen eine Regelklasse, wobei gesonderte Förderung in Erst- und Zweitsprache nicht vorgesehen ist. Man vertritt die Ansicht, dass der bloße Sprachkontakt, mit den deutschsprachigen Schülern der Klasse, wesentlich zum Spracherwerb bei trägt. Ziel dieses Programmes ist die Assimilation (Vgl. Jeuk 2010: 110).

Übersetzt heißt Submersion soviel wie Untertauchen. NEHR u.a. nennen es nicht umsonst auch „ Unterbuttern“ (vgl. Bredel u.a., 2010: 189). JEUK bezeichnet es treffenderweise als „schwimm oder ertrink“ (Jeuk, 2010: 110). Die Tatsache, dass dieses Modell in Deutschland am weitesten verbreitet ist, zeigt einmal mehr den Standpunkt der deutschen Gesellschaft zu Menschen mit Migrationshintergrund auf.

[...]


[1] Gaugele, Jochen & Strunz, Claus (2010) URL:http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article1706684/Gastarbeiter- Fehler-nicht-wiederholen.html (Stand 28.07.2012).

[2] Bündnis 90/Die Grünen (2011): URL: http://www.gruene.de/themen/frieden-globalisierung/fluechtlinge.html (Stand 28.07.2012)

[3] Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit lediglich die männliche Form genannt, die jeweils die weibliche Form mit einbezieht.

[4] Die folgenden Angaben beziehen sich nicht auf Schüler mit Migrationshintergrund, sondern lediglich auf den rechtlichen Status, weil in der Schulstatistik derzeit nur Nationalitäten erfasst werden. Der Terminus „Ausländer“ ist daher an dieser Stelle nicht diskriminierend gemeint und wird nur verwendet um diesen Unterschied deutlich zu machen.

[5] In der Schulstatistik findetnur der Teil der Schüler mit Migrationshintergrund Erwähnung, der keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Sie eignet sie sich daher nur bedingt als Indikator. Dennoch können die Angaben helfenum Disparitäten aufzudecken. Für nähere Informationen: Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration , 2012: S. 162.

[6] Für nähere Ausführungen: Jeuk, 2010: 31-36.

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Details

Title
Schriftspracherwerb unter schwierigen Bedingungen
Subtitle
Vor welchen Hürden Kinder mit Deutsch als Zweitsprache beim Lesen- und Schreibenlernen stehen
College
University of Leipzig
Grade
2,0
Author
Year
2012
Pages
20
Catalog Number
V199483
ISBN (eBook)
9783656257561
ISBN (Book)
9783656258032
File size
614 KB
Language
German
Keywords
schriftspracherwerb, bedingungen, hürden, kinder, deutsch, zweitsprache, schreibenlernen, lesen, schreiben, migration, migrationshintergrund, DAZ, DAF, Deutsch als Zweitsprache, Deutsch als Fremdsprache, lesenlernen, grundschule, didaktik
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Dana Frank (Author), 2012, Schriftspracherwerb unter schwierigen Bedingungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199483

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