Kann schwangeren Frauen zum Schutz des ungeborenen Kindes das Rauchen verboten werden?

Untersuchung zum Gesundheitsrecht am Beispiel des Kantons Basel-Stadt


Term Paper, 2012

16 Pages, Grade: 6,0 (= hervorragend)


Excerpt


I. Ausgangslage - Analyse des rechtserheblichen Sachverhalts

Ein Mitglied im Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt hat bei einem informellen Gespräch mit einer Gruppe von Kinderärzten erfahren, dass Rauchen in der Schwangerschaft das Risiko für die Entwicklung von Fehlbildungen bei ungeborenen Kind deutlich erhöht[1]. Nach einer 2011 veröffentlichten Metaanalyse[2], die 172 Studien aus den Jahren 1959 bis 2010 mit den Daten von 11,7 Mio. gesunden Kindern und 173.687 Kindern mit Fehlbildungen einbezog, haben Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft geraucht hatten, u.a. ein um 10 bis 20 Prozent höheres Risiko, Finger- und Zehenanomalien, einen Kryptorchismus oder einen Herzfehler zu entwickeln. Das Risiko für Fehlbildungen an den Extremitäten, für einen Eingeweidebruch oder für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten ist hiernach um 25 bis 50 Prozent höher als bei Kindern, deren Mütter in der Schwangerschaft nicht geraucht haben. Darüber hinaus erhöht sich das kindliche Risiko auf das Siebenfache, an plötzlichen Kindstod (SIDS) zu versterben, wenn die Mutter während der Schwangerschaft täglich mehr als 10 Zigaretten raucht[3]. Fünfzehn Prozent aller Frühgeburten und 20 bis 30 Prozent aller Fälle von geringem Geburtsgewicht werden dadurch verursacht, dass Frauen während der Schwangerschaft rauchen. Rauchen während der Schwangerschaft ist darüber hinaus für eine Erhöhung der gesamten perinatalen Sterblichkeit um 150 Prozent verantwortlich[4]. Im Rahmen des auch als Fetales-Tabaksyndrom bezeichneten Krankheitsbildes kommt es u.a. auch zu Wachstumsstörungen des Gehirns. Bei den betroffenen Kindern ist später die Rate von Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsdefiziten und anderen Verhaltensauffälligkeiten signifikant erhöht[5].

Der Prozentsatz der Mütter, die während der Schwangerschaft rauchen, lag in einer deutschen Studie aus dem Jahr 2008 bei 37,4%[6]. In der Schweiz gaben in den Jahren 2001 bis 2005 13% der schwangeren Frauen und 22% der Mütter von Kleinkindern bis 3 Jahre an zu rauchen.[7]

Das Mitglied im Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt ist daher der Ansicht, dass der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt hier unbedingt gesetzgeberisch aktiv werden muss, um die Zahl der durch Rauchen hervorgerufenen Fehlbildungen zu senken.

Ihm stellen sich daher die folgenden Rechtsfragen:

- Haben ungeborene Kinder ein Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit?
- Haben ungeborene Kinder ein Recht auf Gesundheit?
- Wenn ja: Darf das Recht der persönlichen Freiheit einer werdenden Mutter gegen das Recht des ungeborenen Kindes auf körperliche und geistige Unversehrtheit bzw. auf Gesundheit abgewogen werden?
- Darf der Kanton Basel-Stadt schwangeren Frauen zum Schutz der Gesundheit ihres ungeborenen Kindes das Rauchen verbieten?

III. Welche Rechtsnormen sind anwendbar?

- Rechtsnormen (Verfassung, Gesetz, Verordnung) im Hinblick auf die Rechte des ungeborenen Kindes:
- Schutz des Rechts auf körperliche und geistige Unversehrtheit (Art 10 Abs. 2 BV)
- Schutz der Kinder und Jugendlichen (Art. 11 BV)
- Recht auf Gesundheit – right to health (Art. 25 UNO-Menschenrechtserklärung vom 10.12.1948)
- Art. 31 Schweiz. Zivilgesetzbuch
- Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauch vom 03. Oktober 2008
- Verordnung zum Schutz vor Passivrauchen (Passivrauchschutzverordnung, PRSV) vom 28. Oktober 2009

Rechtsnormen (Verfassung, Gesetz, Verordnung) im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der werdenden Mutter:

- Elterliche Sorge (Art. 301ff. ZGB)
- Schutz der persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV)
- Einschränkung von Grundrechten (Art 36)

IV. Wie sind diese Rechtsnormen zu verstehen?

A. Auslegung der Rechtsnormen im Hinblick auf die Rechte des ungeborenen Kindes

a. Schutz des Rechts auf körperliche und geistige Unversehrtheit / Schutz der Kinder und Jugendlichen

Nach Artikel 10 Absatz 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossen-schaft hat jeder Mensch das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit:

Art 10 Abs 2 BV

Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.

Allerdings heißt es in der Botschaft des Bundesrates zur Revision der Bundesverfassung von 1996[8], dass nur bereits geborene Menschen Träger von Grundrechten sind. Nach Kley[9] lehnte die Botschaft des Bundesrates auch eine Nennung von Kindern als Grundrechtsträgern ab, denn eine solche Differenzierung schade dem universalen Charakter der Grundrechte, „die ja im Prinzip für alle Menschen ohne Unterschied gültig sind“. Trotzdem wurde später noch Artikel 11 in die Revision der Bundesverfassung aufgenommen, der besagt, dass Kinder und Jugendliche Anspruch auf einen besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung haben.

Art. 11 BV Schutz der Kinder und Jugendlichen

1 Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung.
2 Sie üben ihre Rechte im Rahmen ihrer Urteilsfähigkeit aus.

Dieser Artikel bezieht sich auf internationales Recht. Zu nennen ist hier vor allem die UN-Kinderrechtskonvention, die besagt, dass das Kind wegen seiner mangelnden körperlichen und geistigen Reife besonderen Schutzes und besonderer Fürsorge, insbesondere eines angemessenen rechtlichen Schutzes vor und nach der Geburt bedarf[10]. Der Schutz und die Fürsorge des vorgeburtlichen Lebens wurde allerdings nicht explizit mit in die Schweizerische Bundesverfassung aufgenommen. In Artikel 24 der UN-Kinderrechtskonvention erkennen die Vertragsstaaten das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an. Sie bemühen sich hiernach, die volle Verwirklichung dieses Rechts sicherzustellen und treffen u.a. geeignete Maßnahmen, um die Säuglings- und Kindersterblichkeit zu verringern, eine angemessene Gesundheitsfürsorge für Mütter vor und nach der Entbindung sicherzustellen und sicherzustellen, dass v.a. Eltern Grundkenntnisse über die Gesundheit und Ernährung des Kindes vermittelt werden. Die Schweiz ist der UN-Kinderrechtskonvention am 24. Februar 1997 beigetreten.

Auch nach Artikel 25 Absatz 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 haben Kinder Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung[11].

Darüber hinaus beschreibt Artikel 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union die Rechte des Kindes[12]. Nach Absatz 1 haben Kinder Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Absatz 2 besagt, dass das Wohl des Kindes bei allen Maßnahmen öffentlicher oder privater Einrichtungen, die Kinder betreffenden, eine vorrangige Erwägung sein muss.

Innerhalb des nationalen Rechts wird auch in Artikel 31 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches darauf hingewiesen, dass die Persönlichkeit erst mit dem Leben nach der vollendeten Geburt beginnt. Jedoch ist das Kind auch schon vor der Geburt unter dem Vorbehalt rechtsfähig, dass es lebend geboren wird.

Art 31 ZGB

1 Die Persönlichkeit beginnt mit dem Leben nach der vollendeten Geburt und endet mit dem Tode.
2 Vor der Geburt ist das Kind unter dem Vorbehalt rechtsfähig, dass es lebendig geboren wird.

b. Recht auf Gesundheit

Gesundheitsschutz ist eines der Ziele der UNO-Menschrechtspolitik. Nach Artikel 25, Absatz 1 der UNO-Menschenrechtserklärung vom 10.12.1948[13] hat jeder das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet. Ein Recht auf Gesundheit ("right to health") findet sich insbesondere im Internationalen Pakt vom 16. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I)[14]. Hier erkennen die Vertragsstaaten in Artikel 12, Absatz 1 das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an. Nach Artikel 12, Absatz 2 haben die Vertragsstaaten verschiedene Maßnahmen zur vollen Verwirklichung dieses Rechtes zu unternehmen. Hierzu gehören u.a. Maßnahmen zur Senkung der Zahl der Totgeburten und der Kindersterblichkeit sowie zur gesunden Entwicklung des Kindes und Maßnahmen zur Vorbeugung, Behandlung und Bekämpfung sonstiger Krankheiten.

Das Recht auf Gesundheit ("right to health") ist jedoch kein Individualrecht, sondern eine programmatische Bestimmung. Nach der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichtes gilt der UNO-Pakt I - bis auf einige Ausnahmen - nicht als direkt anwendbar, da sich die von der Schweiz mit diesem Pakt eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht an den Einzelnen, sondern primär an die Gesetzgeber der Vertragsstaaten richtet. Diese haben sie als Richtlinien für ihre Tätigkeit zu beachten[15]. Die Vorschriften des UNO-Paktes I gewährten dem Einzelnen also grundsätzlich keine subjektiven und justiziablen Rechte, die der Bürger vor schweizerischen Verwaltungs- und Gerichtsbehörden anrufen könnte[16]. Allerdings könnte sich ein neu zu schaffendes kantonales Recht sehr wohl auf diesen Artikel des UNO-Pakt I berufen.

Im Bereich der nationalen Gesetzgebung gibt es bislang kein gültiges Präventionsgesetz[17]. Das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG), Art. 19f. fördert jedoch bereits neben den individuellen Präventionsleistungen die Verhütung von Krankheiten und unterstützt die Stiftung "Gesundheitsförderung Schweiz".

Art. 19 KVG Förderung der Verhütung von Krankheiten

1 Die Versicherer fördern die Verhütung von Krankheiten.
2 Sie betreiben gemeinsam mit den Kantonen eine Institution, welche Massnahmen zur Förderung der Gesundheit und zur Verhütung von Krankheiten anregt, koordiniert und evaluiert. Kommt die Gründung der Institution nicht zustande, so nimmt der Bund sie vor.
3 Das leitende Organ der Institution besteht aus Vertretern der Versicherer, der Kantone, der SUVA, des Bundes, der Ärzteschaft, der Wissenschaft sowie der auf dem Gebiet der Krankheitsverhütung tätigen Fachverbände.

[...]


[1] Vgl. Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.). Passivrauchende Kinder in Deutschland – Frühe Schädigungen für ein ganzes Leben. Heidelberg, 2003

[2] Hackshaw A, Rodeck C, Boniface S. Maternal smoking in pregnancy and birth defects: a systematic review based on 173 687 malformed cases and 11.7 million controls. Hum. Reprod. Update 2011; 17(5): 589-604; doi:10.1093/humupd/dmr022

[3] Schellscheidt J, Oyen N, Jorch G. Interaction between maternal smoking and other prenatal risk factors for sudden infant death syndrome (SIDS). 1992

[4] Andres RL, Day MC. Perinatal complications associated with maternal tobacco use. Semin Neonatal 2000; 5: 231-241

[5] Rückinger S, Rzehak P, Chen CM et al. Prenatal and Postnatal Tobacco Exposure and Behavioral Problems in 10-Year-Old Childeren: Results from the GINI-plus Prospective Birth Cohort Study. Environmental Health Perspectives 2010; 118(1): 150; http://dx.doi.org/10.1289/ehp.0901209

[6] Hannöver, W., Thyrian, J. R., Ebner, A., Röske, K., Grempler, J., Kühl, R., Hapke, U., Fusch, C. & John, U. (2008). Smoking during pregnancy and postpartum: Smoking rates and intention to quit smoking or resume after pregnancy. Journal of Women's Health, 17 (4), 631-640.

[7] Keller R, Radtke T, Füllemann D, Krebs H, Hornung R. Rauchen in der Schwangerschaft. Tabakmonitoring – Schweizerische Umfrage zum Tabakkonsum. Bern: BAG, 2009

[8] Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20.11.1996, BBl 1997 I 1 ff.

[9] Kley A. Der Grundrechtskatalog der nachgeführten Bundesverfassung – ausgewählte Neuerungen. Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins 1999; 135(6): 301-347

[10] UN-Kinderrechtskonvention. Übereinkommen über die Rechte des Kindes; http://www.unicef.de/fileadmin/content_media/Aktionen/Kinderrechte18/UN-Kinderrechtskonvention.pdf

[11] Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. Dezember 1948; http://www.un.org/depts/german/grunddok/ar217a3.html

[12] Charta der Grundrechte der Europäischen Union. 18.12.2000 DE Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften C 364/13; http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf; die Charta der Grundrechte wurde mit dem am 01.12.2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon von allen EU-Mitgliedstaaten außer Großbritannien, Polen und Tschechien anerkannt

[13] Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. Dezember 1948; http://www.un.org/depts/german/grunddok/ar217a3.html

[14] UNO-Pakt I. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte; http://www.justice-for-peace.org/uno-pakt_i.htm; Beitritt der Schweiz: 18. Juni 1992

[15] Botschaft des Bundesrates vom 30. Januar 1991 betreffend den Beitritt der Schweiz zu den beiden internationalen Menschenrechtspakten von 1966, BBl 1991 I 1193 und 1202

[16] BBl 1991 I 1202; AB 1991 N 1494, S 930

[17] Entwurf zum Bundesgesetz über Prävention und Gesundheitsförderung (Präventionsgesetz, PrävG); http://www.admin.ch/ch/d/ff/2009/7189.pdf

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Details

Title
Kann schwangeren Frauen zum Schutz des ungeborenen Kindes das Rauchen verboten werden?
Subtitle
Untersuchung zum Gesundheitsrecht am Beispiel des Kantons Basel-Stadt
College
University of Zurich  (ISPM)
Course
Gesundheitsrecht
Grade
6,0 (= hervorragend)
Author
Year
2012
Pages
16
Catalog Number
V200456
ISBN (eBook)
9783656268178
ISBN (Book)
9783656268994
File size
505 KB
Language
German
Keywords
Schweiz, schwangere Frauen, Rauchen, Schutz des Ungeborenen, Gesundheit, Public Health, Fehlbildungen, Recht auf körperliche Unversehrtheit, persönliche Freiheit, Basel, Schwangerschaft, Gesundheitswissenschaften
Quote paper
Dr. med. Lotte Habermann-Horstmeier (Author), 2012, Kann schwangeren Frauen zum Schutz des ungeborenen Kindes das Rauchen verboten werden?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200456

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