Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Hintergrund der Cognitiv Load Theory und Lösungsbeispiele
II. Annahmen der Cognitive Load Theory
III. Menschliche Erkenntnis und der Lösungsbeispieleffekt
1.) Natürliche Informationsverarbeitungsprozesse
a) Informationsspeicher Prinzip (Store principle)
b) Das Leihprinzip (Borrowing principle)
c) Zufälligkeit als Entstehungsprinzip (Randomness as genesis principle)
d) Das Prinzip der Begrenzung von Veränderungen (Narrow limits of change principle)
e) Das Umweltorganisations- und Verknüpfungsprinzip (The environment organising and linking principle)
2.) Studien zu Lösungsbeispielen
a) Reisslein, Atkinson, Seeling und Reisslein
b) Große und Renkl
c) Gerjets, Scheiter und Catrambone
IV. Die Grenzen der Cognitiven Load Theorie
1.) Verringerung des Extraneous Cognitive Load
2.) Steigerung des Germane Cognitive Load
3.) Verringerung des Intrinsic Cognitive Load
V. Zusammenfassung und künftige Forschung
Literaturverzeichnis
Eidesstattliche Erklärung
I. Hintergrund der Cognitiv Load Theory und Lösungsbeispiele
Die Cognitive Load Theory (CLT) von John Sweller und seinen Mitabeitern entstand in den 1980ern und erlebte in den 1990ern eine beachtliche Entwicklung und Ausbreitung in der weltweiten Forschung. Inzwischen ist sie durch empirische Befunde gut belegt. Mit Betrachtung der Zusammensetzung von Informationen und der kognitiven Anordnung, die es dem Lernenden erlaubt Informationen zu verarbeiten, konnten die Cognitive Load Theoretiker eine Vielzahl von Instruktionsdesigns erschaffen (vgl. Paas, Renkl & Sweller, 2003, S. 1), womit die systematische Planung und Gestaltung von Lernumgebungen gemeint ist, die an die Lernenden und gestellten Aufgaben angepasst sind (Lehner - Wieternik, 2007, S. 127). Lösungsbeispiele werden beim Problemlösen von gut strukturierten Bereichen wie der Physik und Mathematik eingesetzt. Zunächst wird ein Beispielproblem gestellt, dann werden die Lösungsschritte angezeigt und letztlich die Antwort auf das Problem offenbart. Der Gebrauch von Lösungsbeispielen steht im Einklang mit einem vier Stufen Modell der Expertise nach dem gut bekannten ACT-R Bezugssystem. Danach lösen Lernende, die sich in der ersten Stufe der Fertigkeitsaneignung befinden, Probleme durch Analogien. Sie nutzen bekannte Beispiele von Problemen und versuchen diese mit dem vorliegenden neuen Problem in Verbindung zu setzen. In der zweiten Stufe haben die Lernenden abstrakte, deklarative Regeln oder Schemata entwickelt, die sie beim künftigen Problemlösen leiten. In der dritten Stufe werden diese Schemata mit ausreichender Übung prozeduralisiert. Darauf werden schließlich in der vierten Stufe der Expertise automatisierte Schemata mit analogen Schlussfolgerungen aufgrund eines großen Pools von Beispielen kombiniert, um erfolgreich eine Vielfalt an Problemtypen lösen zu können. Der Befund, dass beispielbasiertes Lernen effektiver ist für die Aneignung von Problemlösefähigkeit als der Standardprozess des Problemlösens, wird in der Cognitive Load Literatur als Lösungsbeispieleffekt bezeichnet (vgl. Moreno, 2006, S. 1 f.). Im Folgenden geht es um wesentliche Annahmen der CLT, worauf die Technik der Lösungsbeispiele im Zusammenhang mit menschlicher Erkenntnis sowie drei Studien dazu dargestellt werden. Im darauffolgenden Kapitel werden die Grenzen des Effekts von Lösungsbeispielen aufgezeigt und damit auch die CLT in Frage gestellt. Das abschließende Kapitel gibt eine Zusammenfassung und einen Ausblick für weitere Forschung.
II. Annahmen der Cognitive Load Theory
Informationen variieren in einem Bereich von niedriger bis hoher sogenannter element interactivity. Bei niedriger element interactivity kann jedes Element verstanden und individuell für sich alleine gelernt werden. Im Gegensatz dazu können die Elemente bei hoher element interactivity zwar einzeln gelernt, aber nicht verstanden werden, bis alle Elemente in Bezug zueinander gesetzt wurden. Deshalb ist Material mit hoher element interactivity schwieriger zu verstehen. Dieses Verständnis des Zusammensetzung von Informationen findet sich in der ersten der drei Arten des Cognitive Load, d.h. der kognitiver Belastung, die intrinsic cognitive load (ICL) genannt wird. Da sich die element interactivity, also die Komplexität, in verschiedenen Materialien in ihrem Grad unterscheidet und sie die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses beansprucht, unterscheidet sich auch der ICL, gleichzusetzen mit der Schwierigkeit der Aufgabe an sich, je nach Material. Diese kann nicht durch instruktionale Veränderungen beeinflusst werden. Um insbesondere hohe element interactivity verarbeiten zu können, besteht der menschliche kognitive Aufbau aus einem Arbeits- und einem Langzeitgedächtnis. Das Arbeitsgedächtnis, in dem alle bewussten kognitiven Vorgänge ablaufen, kann nur eine begrenzte Anzahl von Elementen, in etwa drei, verarbeiten. Eine Erweiterung dazu stellt das Langzeitgedächtnis dar, das sogenannte Schemata enthält, kognitive Konstrukte, die viele Elemente von Informationen in einem einzigen Element mit einer bestimmten Funktion integrieren und abspeichern. Auf diese Weise muss im Arbeitsgedächtnis nur ein Element verarbeitet werden, was dessen begrenzter Kapazität entgegen kommt. Auch die Automatisierung der Schemata, sodass sie unbewusst verarbeitet werden können, verringert die kognitive Belastung des Arbeitsgedächtnisses. Aber nicht nur die element interactivity, sondern auch die Art und Weise, wie Informationen den Lernenden dargeboten werden, kann die kognitive Belastung erhöhen. Wenn die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses unnötig beansprucht und somit die Schemaaneignung und ‑automatisierung beeinträchtigt, spricht man von extraneous load (ECL). Diese zweite Art des Cognitive Load bezieht sich auf die instruktionelle Gestaltung des Lernmaterials und kann dadurch auch verringert werden. Die dritte und letzte Art ist der sogenannte germane cognitive load (GCL). Diese lernbezogene Belastung beschreibt wie gut die eigenen vorhandenen kognitiven Resourcen ausgeschöpft werden und entsteht immer dann, wenn kognitive Schemata abgerufen oder aufgebaut werden. Somit steigert er das Lernen. Wie auch der ECL wird der GCL von der Gestaltung des Lernmaterials und der Lernaktivität, die vom Lernenden gefordert wird, beeinflusst. Zusammengefasst stellt der ICL die Basisbelastung dar, die nicht verringert werden kann und die restliche Arbeitsgedächtniskapazität wird vom germane und dem extraneous cognitive load unterschiedlich beansprucht. Eine Verringerung des ECL durch ein effektives Instruktionsdesign lässt demnach mehr Freiraum für den förderlichen germane load (vgl. Paas, Renkl & Sweller, 2003, S. 1 f.). Dieser Thematik widmete sich die Forschung und brachte u.a. die Lösungsbeispiele hervor, um den Cognitive Load zu verringern (vgl. Sweller, 2003, S. 3). Im Folgenden geht es um diese Technik im Zusammenhang mit menschlicher Wahrnehmung.
III. Menschliche Erkenntnis und der Lösungsbeispieleffekt
Der Lösungsbeispieleffekt ist der wohl bekannteste und am meisten untersuchte aller Cognitive Load Effekte. Er macht die Grundlagen der menschlichen Erkenntnis deutlich. Im Folgenden sollen einige der kognitiven Prinzipien erläutert werden, die die Cognitive Load Theory unterstreichen und eine Verbindung zum Lösungsbeispieleffekt anzeigen (vgl. Sweller, 2006, S. 165).
1.) Natürliche Informationsverarbeitungsprozesse
Menschliche Erkenntnis ist ein Beispiel für einen natürlichen Informationsverarbeitungsprozess und kann auf viele Wege dargestellt werden. In diesem Abschnitt sollen fünf grundlegende Prinzipien erklärt und abschließend jeweils mit der Evolutionstheorie in Beziehung gesetzt werden (vgl. Sweller, 2006, S. 165).
a) Informationsspeicher Prinzip (Store principle)
Menschliche Erkenntnis wird von den Inhalten im Langzeitgedächtnis beherrscht. Alles was Menschen wahrnehmen, wie sie denken und ihr Problemlöseverhalten ist stark festgelegt durch das, was bereits gelernt und im Langzeitgedächtnis abgespeichert worden ist. Das Leihprinzip, das im nächsten Abschnitt erklärt wird, ist dabei der hauptsächliche Mechanismus (vgl. Sweller, 2006, S. 165).
b) Das Leihprinzip (Borrowing principle)
Beinahe das gesamte im Langzeitgedächtnis gespeicherte Wissen ist vom Langzeitgedächtnis anderer Individuen ausgeliehen. Das geschieht, indem Menschen diese nachahmen, ob im Verhalten oder indem sie hören was andere sagen oder lesen was sie schreiben. Die Kombination aus den Informationen von dem eigenen Langzeitgedächtnis und dem eines anderen führt zum Schemaaufbau, der sich von beiden Informationsquellen unterscheidet. Bei dem Versuch neue Informationen aufzunehmen, suchen Menschen nach einer Bedeutung, die ihnen zugewiesen werden kann und überprüfen, ob sie brauchbar ist. Dabei wird also versucht, neue Informationen mit den alten im Langzeitgedächtnis zu verknüpfen. Auf die gleiche Weise sind bei der sexuellen Fortpflanzung die Genome des Nachwuchses eine Zusammensetzung des genetischen Materials von beiden Elternteilen während eines Prozesses, der sicherstellen will, dass sich der Nachwuchs von beiden Eltern unterscheidet (vgl. Sweller, 2006, S. 165).
c) Zufälligkeit als Entstehungsprinzip (Randomness as genesis principle)
Wenn während eines Problemlöseprozesses keine Informationen aus dem Langzeitgedächtnis verfügbar sind, funktioniert das Leihprinzip nicht und folglich muss zufällig ein Schritt erzeugt werden, bei dem Veränderungen im Langzeitgedächtnis nur dann vorgenommen werden, wenn sie sich als effektiv erwiesen haben. Schlussendlich kann alles dort vorhandene Wissen auf diesen Prozess zurückgeführt werden und auch beim Leihprinzip wird Wissen an einer gewissen Stelle dadurch erzeugt. Auch in der Biologie erzeugt Mutation zufällig neue Variationen, die auf ihre Effektivität, d.h. auf Fortpflanzungstauglichkeit, geprüft werden (vgl. Sweller, 2006, S. 166).
d) Das Prinzip der Begrenzung von Veränderungen (Narrow limits of change principle)
Das Langzeitgedächtnis erwirbt Informationen mit Hilfe des Leihprinzips und des Prinzips der Zufälligkeit der Entstehung. In beiden spielt die Zufälligkeit eine große Bedeutung. Deswegen müssen alle Veränderungen klein gehalten werden. Das gewährleistet der menschliche kognitive Aufbau durch die begrenzte Arbeitsgedächtniskapazität. Erfolgreiche genetische Veränderungen sind ähnlich klein und verlaufen schrittweise über eine lange Zeitspanne (vgl. Sweller, 2006, S. 166).
e) Das Umweltorganisations- und Verknüpfungsprinzip (The environment organising and linking principle)
Das Arbeitsgedächtnis kann nur eine begrenzte Anzahl von neuen Informationen verarbeiten, allerdings aber auch eine unbegrenzte Anzahl von vorher geordneten Informationen aus dem Langzeitgedächtnis. Letztere werden verwendet, um sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen und sie zu gestalten. Demnach verändert die Information aus dem Langzeitgedächtnis die Eigenschaften des Arbeitsgedächtnisses. Entsprechend dazu erstrecken sich erhebliche Veränderungen eines Genoms über viele Generationen, aber eine große Anzahl von vorher geordnetem genetischen Material kann genutzt werden, um Protein zu erzeugen, das der unmittelbare Zweck eines Genoms ist (vgl. Sweller, 2006, S. 166).
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