Phraseologismen mit dem Glied "ręka/Hand, Arm": Ein polnisch-deutscher Sprachvergleich


Bachelorarbeit, 2010

56 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Terminologie und Definition

2 Phraseologische Merkmale
2.1 Idiomatizität
2.2 Festigkeit /Stabilität
2.3 Lexikalisierung und Reproduzierbarkeit
2.4 Innere Struktur von Phraseologismen (Polylexikalität)

3 Klassifikation der Phraseologismen
3.1 Semantische Klassifikation
3.1.1 Grundzüge unterschiedlicher Klassifikationen
3.1.2 Grad der Idiomatizität
3.2 Strukturelle Klassifikation
3.2.1 Satzwertige Phrasen
3.2.2 Nominalphrasen
3.2.3 Verbalphrasen
3.2.4 Adjektivphrasen
3.2.5 Adverbialphrasen
3.2.6 Parenthese (phraseologische Partikeln)
3.2.7 Verknüpfende Phraseologismen

4 Historische und kulturelle Dimension

5 Kontrastive Phraseologie
5.1 Dimensionen der kontrastiven Phraseologie
5.2 Interlinguale Äquivalenz
5.2.1 Vollständige (strukturell-semantische) Äquivalenz
5.2.2 Teilweise (partielle) Äquivalenz
5.2.3 Nulläquivalenz

6 Phraseologismen mit dem Glied ręka/Hand, Arm
6.1 Strukturelle Klassifikation
6.1.1 Satzwertige Phrasen
6.1.2 Nominalphrasen
6.1.3 Verbalphrasen
6.1.4 Adverbialphrasen
6.2 Semantische Klassifikation
6.2.1 Voll-idiomatische Phraseologismen
6.2.2 Teil-idiomatische Phraseologismen
6.2.3 Problematische Fälle
6.2.4 Abschließende Bemerkung

7 Kontrastierung der polnischen und deutschen Phraseologismen – Äquivalenzbestimmung
7.1 Volläquivalente Phraseologismen
7.2 Teilweise Äquivalenz
7.3 Nulläquivalenz
7.4 Abschließende Bemerkung

Schlussbemerkung

Bibliographie

Anhang
Korpus
Ergänzungen und Quellen zum Korpus

Einleitung

In der Sprache begegnen uns häufig Ausdrücke wie dać sobie rękę uciąć za kogoś ʻsich für jemanden die Hand abhacken lassen’, mieć dwie lewe ręce ʻzwei linke Hände haben’, nosić kogoś na rękach ʻjemanden auf Händen tragen’ oder bronić się rękami i nogami ʻsich mit Händen und Füßen wehren’. Im Volksmund werden solche Erscheinungen als ʻRedewendung’ bezeichnet. In der Sprachwissenschaft haben sich für derartige sprachliche Erscheinungen, die Termini ʻPhraseologismen’ ʻIdiome’ konstituiert.

In phraseologischen Benennungen sind oft menschliche Körperteile, wie z.B. Hand, Fuß, Kopf, Herz, Auge und Bein als Komponente vertreten.

Menschlichen Körperteilen werden bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, daher ist die Bildung von Phraseologismen mit dieser Komponente in der Sprache sehr produktiv. Die Hand ist ein, als am häufigsten genanntes Körperteil in der Bibel und in Rechtstexten, sowohl in der wörtlichen als auch in der übertragenen Bedeutung und somit ist der Begriff Hand schon seit Jahrhunderten ein mehrdeutiger Begriff und Bestandteil vieler phraseologischer Wendungen.

In der vorliegenden Arbeit möchte ich mich mit solchen sog. Somatismen, speziell mit Phraseologismen mit dem Glied ręka/Hand, Arm, näher befassen.

Im ersten Teil meiner Arbeit wird ein zusammenfassendes Gesamtbild von theoretischen Grundlagen der Phraseologismen dargestellt. Hierzu werden Aussagen zur Terminologie, phraseologischen Merkmalen und Klassifikationen getroffen.

Im weiteren Verlauf der Arbeit wende ich mich der kontrastiven Phraseologie zu, indem ich zunächst die Dimensionen dieser Disziplin veranschauliche und anschließend auf die interlinguale Äquivalenz eingehe.

Im letzten Teil der Arbeit werden polnische und deutsche Phraseologismen kontrastiert und auf ihre Äquivalenz untersucht.

1 Terminologie und Definition

Die Phraseologie als wissenschaftliche Teildisziplin ist noch sehr jung. Es erfolgt erst seit einigen Jahrzehnten eine verstärkte Forschung auf diesem Gebiet, daher ist der Begriff Phraseologismus nur sehr vage und nicht eindeutig definiert.

In den osteuropäischen Ländern wird der Terminus Phraseologie und in der westlichen Tradition, in Anlehnung an das Anglo-amerikanische der Terminus Idiomatik verwendet (Laskowski 2003, S. 28).

Der Begriff Phraseologie geht auf das griech.-lat. phrasis ’Redewendung, rednerischer Ausdruck’ zurück, wobei die Phraseologie „die Gesamtheit der einer Sprache oder einem Autor eigentümlichen Redensarten“ ist (Laskowski 2003, S. 29 nach B. Schmitz, 1972; Fleischer 1997, S. 2).

Idiom, Idiomatik oder Idiomatismus stammt aus dem griech. idiōma und bedeutet ‘Eigentümlichkeit, Besonderheit’ (Fleischer 1997, S. 2).

Der Terminus Phraseologie wird in zwei Bedeutungsvarianten gebraucht: zum einen wird damit ein Teil der Lexikologie und zwar die Erforschung und die Lehre von der, für die Sprache charakteristischen Phraseologie bezeichnet. In anderen Worten handelt es sich hier um die Phraseologieforschung. Zum anderen meint der Begriff die Gesamtheit, die Sammlung und den Bestand stabilisierter Ausdrücke, typischer Wendungen und fester Redensarten in einer bestimmten Einzelsprache, das Phraseologielexikon (Laskowski|2003,|S.|29|f;|Lewicki,|Pajdzińska|2001,|S.|315; Fleischer 1997, S. 3).

Eine sehr weit verbreitete und oft zitierte Definition des Begriffs Phraseologismus führte Burger (1982) an: „Phraseologisch ist eine Verbindung von zwei oder mehreren Wörtern dann, wenn (1) die Wörter eine durch die syntaktischen und semantischen Regularitäten der Verknüpfung nicht voll erklärbare Einheit bilden, und wenn (2) die Wortverbindung in der Sprachgemeinschaft, ähnlich wie ein Lexem, gebräuchlich ist. Die beiden Kriterien stehen in einem einseitigen Bedingungsverhältnis: wenn (1) zutrifft, dann auch (2), aber nicht umgekehrt.“ (Burger 1982, S. 1).

In der polnischen einschlägigen Literatur findet sich eine ähnliche Definition: „Frazeologizmy są to społecznie utrwalone połączenia wyrazów wykazujących nieregularność pod jakimś względem, n.p.: w ich składzie występują wyrazy lub formy wyrazów nie wchodzące w swobodne związki składniowe; znaczenie frazeologizmu nie wynika ze znaczeń komponentów; naruszone bywają zasady łączliwości wyrazów” ʻPhraseologismen sind gesellschaftlich etablierte Wortverbindungen, die in einer Hinsicht Irregularitäten aufweisen, z.B. in ihrer Zusammensetzung treten Wörter oder Wortformen auf, die in freien syntaktischen Verbindungen nicht enthalten sind; die phraseologische Bedeutung resultiert nicht aus der Bedeutung der Komponenten; die Regeln der Kombinierbarkeit von Wörtern werden verletzt’ (Lewicki, Pajdzińska 2001, S. 315).

Phraseologie kann sowohl im weiten Sinne als auch im engeren Sinne aufgefasst werden. Diejenigen Phraseologismen, die Polylexikalität (sie bestehen aus mehr als einem Wort) und Festigkeit/Stabilität (sie sind nicht okkasioneller Bildung, sondern in dieser Kombination schon bekannt und gebräuchlich wie ein Wort)[1] werden als Bereich der Phraseologie im weiten Sinne verstanden (Burger|2007,|S.|14). Kommt zu den beiden bereits aufgeführten Merkmalen der Polylexikalität und Festigkeit/Stabilität die Eigenschaft der Idiomatizität (semantische Umdeutung der Gesamtbedeutung des Phraseologismus)[2] hinzu, spricht man von Phraseologie im engeren Sinne (Burger 2007, S. 15).

Eine klare Abgrenzung der beiden Bereiche ist jedoch meist nicht möglich.

Die Abgrenzung der phraseologischen von den freien syntaktischen Wortverbindungen ist nur unter Berücksichtigung von Abstufungen und Übergangsbereichen möglich. In Bezugnahme auf die Prager Linguistische Schule geht man bei dem phraseologischen Bestand von einem Zentrum und einer Periphere aus. Das Zentrum bilden Wortverbindungen mit mindestens einem Autosemantikon (Basiselement)[3] und es müssen allen drei phraseologischen Merkmalen (Idiomatizität, Stabilität, Lexikalisierung[4] ) erfüllt sein. Der Periphere werden Phraseologismen zugeordnet, bei denen ein oder zwei dieser Merkmale fehlen (vgl. Fleischer 1997, S. 68f).

2 Phraseologische Merkmale

„Trotz gewisser Unterschiede im Wortgebrauch werden die gleichen grundlegenden Merkmale der Phraseologie erkennbar: Festigkeit der Verbindung mehrerer Wörter mit teilweise oder vollständig idiomatischer Bedeutung (als Ergebnis einer vollständigen oder teilweisen semantischen Transformation des Konstituentenbestandes), womit Reproduzierbarkeit automatisch einhergeht“ (Hessky 1987, S. 15). Diese sog. phraseologischen Merkmale sollen nun im Weiteren beschrieben werden.

2.1 Idiomatizität

Die Forscher sind sich einig darüber, dass Idiomatizität ein Merkmal der Phraseologie ist, jedoch gehen die Meinungen auseinander, ob es sich um ein obligatorisches, vielleicht sogar ein entscheidendes, oder um ein optionales Merkmal handelt.

Der Begriff der Idiomatizität kann auch hier im weiten Sinne oder engeren Sinne gefasst werden. Im weiten Sinne „umfasst Idiomatizität einerseits die strukturellen Anomalien, die einen Aspekt der ‘Festigkeit’ ausmachen, andererseits die spezifisch semantischen Besonderheiten, die viele Phraseologismen von freien Wortverbindungen abheben„ (Burger|2007,|S.|31). Idiomatizität im engeren Sinne bezieht sich nur auf den semantischen Aspekt, d.h. das Augenmerk gilt nur den semantischen Besonderheiten der Phraseologismen[5].

Burger definiert den Begriff der Idiomatizität wie folgt: „die Komponenten bilden eine durch die syntaktischen und semantischen Regularitäten der Verknüpfung nicht voll erklärbare Einheit“ (Burger|2007,|S.|15). Demzufolge lässt sich die Gesamtbedeutung der Wortverbindung nicht additiv aus den Bedeutungen der einzelnen Komponenten erschließen und somit haben die Komponenten satzextern eine andere Bedeutung als einzeln für sich. Es liegt ein semantischer Überschuss vor und eine Phrase wird zu einem Zeichen. Daher bezeichnet man die Bestandteile eines Phraseologismus als Komponenten oder Glieder, da die einzelnen Wörter ganz oder teilweise ihre wörtliche Bedeutung verloren haben und diese nur im Ganzen zu fassen sind.

Idiomatizität entsteht meist durch Metaphorisierung oder bildhafte Vergleiche, die einen Verlust der Motiviertheit, d.h. einen Aufhebung der wörtlichen Bedeutung der Konstituenten eines Phraseologismus bewirken. Dieser Prozess wird auch Demotivierung genannt. Je stärker die Motiviertheit des Phraseologismus ist, desto schwächer ist seine Idiomatizität und umgekehrt. Somit kann die Motiviertheit als Gegenbegriff zur semantischen Idiomatizität aufgefasst werden.

Berücksichtig werden muss jedoch, dass nicht alle phraseologischen sprachlichen Einheiten Idiome sind und nicht alle Idiome unbedingt zum Gebiet der Phraseologie gerechnet werden können; die Klassen können sich auch überschneiden und idiomatisch sind dann nur einfache Derivate wie z.B. żlótko -strukturell bedeutet es ‘etwas Gelbes’, die im Sprachusus etablierte Bedeutung ist als ‘Eigelb’ lexikalisiert (vgl. Nagórko 2007, S. 256).

Die Idiomatizität nimmt einen gewissen Einfluss auf die Stabilität der festen Wortverbindungen, da die Bedeutung des Idioms von einer bestimmten festen Wortverbindung getragen wird und deren Teile nicht austauschbar oder ersetzbar sind (Laskowski 2003, S. 45 nach Schippan 1984, S. 103).

2.2 Festigkeit /Stabilität

Neben der Termini Festigkeit und Stabilität ist auch die Bezeichnung Fixiertheit geläufig.

Das Kriterium der Festigkeit ist nur bedingt gültig und sehr abhängig vom Grad der Idiomatizität. So treten zum Beispiel vollidiomatische Phraseologismen mit unikalen Komponenten, d.h. Komponenten mit einem heute veralteten und seltenen Wortgut, sehr selten anders als fest auf. Mit sinkender Idiomatizität kommt es häufig zu Variationen und Modifikationen und somit zur Relativierung von lexikalischer Festigkeit im Lexembestand der Phraseologismen.

Bei Variationen haben einzelne Komponenten nicht nur eine Nennform, sondern zwei oder mehrere ähnliche Varianten, d.h. es kommt zu einem Austausch einzelner lexikalischer Komponenten. Die Komponenten können auch eine variable Reihenfolge annehmen oder der ganze Phraseologismus hat aufgrund einer Erweiterung oder Reduktion des Komponentenbestandes, eine längere oder eine kürzere Variante. Da Variationen alternativen Charakters sind, verändern sie nicht die Bedeutung des Phrasems, sie können jedoch in einigen Fällen die Konnotation der Stilschichten beeinflussen (Palm|1997,|S.|72). Das Kriterium der Variation ist eine usuelle Erscheinung und bei sehr vielen phraseologischen Wortverbindungen vorzufinden (vgl. Burger 2007, S. 25 ff).

Modifikationen treten auf wenn „Variationen im Komponentenbestand gelegentlicher (okkasineller) und nicht allgemein gebräuchlicher (usueller) Natur Instrument bestimmter Stilabsichten sind“ (Palm|1997,|S.|72). Phraseologismen mit modifizierten Komponenten werden daher, im Gegensatz zu Variationen, nicht im Lexikon gespeichert.

2.3 Lexikalisierung und Reproduzierbarkeit

Phraseologische Wortgruppenkonstruktionen werden nicht jedes Mal neu gebildet, sondern als komplexe lexikalische Einheiten übernommen, d.h. sie werden im mentalen Lexikon gespeichert und bei Bedarf reproduziert. Die Ganzheitlichkeit der Bedeutung lässt die phraseologische Einheit wie ein Lexem erscheinen.

Ein weiteres Kriterium, wieso Phraseologismen lexikalisiert werden sollen, ist die Produktivität und eine gewisse Variabilität, die sie besitzen. Des Weiteren teilen sie gemeinsame semantische Merkmale mit anderen Lexemen, wie Polysemie, Homonymie, Synonymie, Antonymie u.a. und somit ist ihre Bedeutung, wie bei Lexemen, an eine bestimmte Form gebunden, der Komplexitätsgrad ist jedoch unterschiedlich (Nagorko 2007, S. 259; Hessky 1987, S. 26).

Die Reproduzierbarkeit und somit Speicherung im Lexikon wird oft als entscheidendes Kriterium für die Zuordnung einer Wortverbindung zu den Phraseologismen gerechnet und sie kann nicht gelöst werden vom Merkmal Idiomatizität und/oder Stabilität, denn diese Merkmale sorgen dafür, dass komplexe lexikalische Einheiten nicht immer neu produziert, sondern reproduziert werden (Fleischer 1997, S. 63 f; Hessky 1987, S. 24).

Die Eigenschaft der Reproduzierbarkeit ist nicht nur den Phraseologismen eigen. Auch Wortbildungskonstruktionen, wie Komposita oder Derivate, sowie Satzstücke oder Sprichwörter werden reproduziert.

2.4 Innere Struktur von Phraseologismen (Polylexikalität)

Phraseologismen bestehen aus mindestens zwei Wörtern. Die obere Grenze der Wortmenge ist nicht definiert, da die maximale Ausdehnung einer phraseologischen Wendung nicht lexikalisch sondern syntaktisch festgelegt ist, somit ist der vollständiger Satz als die Maximalstruktur anzusehen (Burger 2007, S. 15).

Je nach Wortartenzugehörigkeit unterscheidet man die Komponenten nach Autosemantikon und Synsemantikon. Autosemantika (Basiselemente) haben eine eigenständige, lexikalische Bedeutung und bezeichnen Klassen von Gegenständen der objektiven Realität. Dazu gehören Wortarten wie Substantive, Verben, Adjektive und Adverbien.

Synsemantika (Verknüpfungselemente) haben eine grammatische, aber keine eigenständige, lexikalische Bedeutung. Sie nehmen einen verweisenden Charakter an und sind ausschlaggebend für die Aufeinanderfolge der einzelnen Elemente in der Satzstruktur. Hierzu zählen Wortarten wie Artikel, Konjunktionen, Präpositionen und Pronomen.

Die Minimalstruktur eines Phraseologismus setzt sich aus mindestens einem Autosemantikon plus einem Synsemantikon zusammen, wobei man von maximal fünf Autosemantika (mehr als drei Autosemantika sind selten) ausgeht; z.B. auf Anhieb (Palm|1997,|S.|42;|Fleischer|1997,|S.|82). Einige Autoren sehen das Autosemantikon als keine obligatorische Komponente der Minimalstruktur und gehen davon aus, dass auch zwei Synsematika ein Phraseologismus bilden können. Jedoch stuft die Mehrheit Verkoppelungen ohne Autosemantikon als kein Phraseologismus ein.

Lewicki/Pajdzinska nennen solche Erscheinungen phraseologische Indikatoren (wskaźniki frazeologiczne); Beispiele sind diskontinuierliche Präpositionen ze względu na… ʻim Hinblick auf’, analytische Partikel że hej (wysoki że hej ʻsehr hoch’) (Nagórko 2007, S. 254 nach Lewicki/Pajdzinska 1930, S. 310).

3 Klassifikation der Phraseologismen

Die Klassifizierung ist bei Linguisten sehr unterschiedlich, da die Phraseologismen nach verschiedenen Gesichtspunkten systematisiert werden können. Am häufigsten werden die Klassifikationen an Hand semantischen, syntaktischen, grammatisch- morphologischen Kriterien und deren Kombinationen erstellt.

3.1 Semantische Klassifikation

Phraseologismen lassen sich nach einem semantischen Kriterium klassifizieren, wobei der Idiomatizität ein hoher Stellenwert zugeschrieben wird. „Sie ist der Grund, weshalb formal gegliederte Ausdrücke semantisch unvorhersehbar sind“ (Nagórko 2007,|S.|254). Im weiteren Verlauf sollen unterschiedliche semantische Klassifikationen dargestellt werden.

3.1.1 Grundzüge unterschiedlicher Klassifikationen

Die Tradition der Phraseologieforschung in Polen basiert auf Skorupka (1952). Er unterscheidet drei Arten von Phrasen: a.) związki stałe (feste Verschmelzungen von Komponenten), b.) związki łączliwe (lose Verschmelzungen) und c.) związki luźne (freie Verbindungen) (Nagórko 2007, S. 249f).

Diese Klassifikation erfolgt nach heterogenen Kriterien der Junktivität der Komponenten („lączliwość wyrazów“) und des Lexikalisierungsgrades.

- feste Wortverbindungen (związki stałe, frazeologizmy idiomatyczne): Hierzu gehören Verbindungen, die semantisch einheitlich und stabilisiert sind und deren Gesamtbedeutung sich nicht additiv aus den Bedeutungen der einzelnen Komponenten erschließen lässt. Sie sind lexikalisiert und werden aus dem Gedächtnis reproduziert.
- losen Wortverbindungen (związki łączliwe): sind solche Wortverbindungen, in denen die Wahl und Folge der Glieder durch den Fachgebrauch festgelegt sind. Die Gesamtbedeutung ist nicht umgedeutet und kann anhand der einzelnen Glieder bestimmt werden.
- freie Wortverbindungen (związki luźne): Die einzelnen Glieder sind trennbar und durch andere Wörter austauschbar (meist durch Synonyme). Die Gesamtbedeutung ist aus der Summe der einzelnen Komponenten zu erschließen. Dazu gehören auch Wendungen, bei denen die Verknüpfungsmöglichkeiten der Glieder mit anderen stark eingeschränkt sind und dadurch eine häufige gemeinsame Verwendung im Sprachusus verursachen. Freie Wortverbindungen sind keine Phraseologismen, da sie ad hoc gebildete Syntagmen darstellen und zum Bereich der Syntax gehören; Bsp.: Zähne putzen, blauer Himmel

(Laskowski 2003, S. 88 ff; Łabno-Falęcka 1995, S.|171|f).

In der germanistischen Phraseologieforschung entscheiden sich ebenfalls einige Forscher für die semantische Klassifikation. So bevorzugt Burger (2007) eine semantische Aufgliederung nach dem Grad der Idomatizität, wobei er in Idiom (idiomatische Wortverbindung), Teil-Idiom (teilidiomatische Wort-verbindungen) und Kollokationen (nicht-|bzw. schwach-idiomatische Verbindungen) unterteilt (Burger 2007, S. 37).

Pilz (1983) teilt die Phraseologismen in endosemantische, exosemantische und endo-exosemantische Phraseologismen auf (Laskowski 2003, S. 86).

Fleischer (1997) gliedert die Phraseologismen semantisch-formal, d.h. in Bezug auf Form, Sinn und Funktion in Phraseolexeme (Kern des phraseologischen Bestandes) und Phraseoschablonen, Nominationsstereotype und kommunikative Formeln (Periphere der Phraseologie).

3.1.2 Grad der Idiomatizität

Semantisch können phraseologische Wortverbindungen nach ihrem Grad der Idiomatizität klassifiziert werden[6].

Der Grad der Idiomatizität wird aus der Diskrepanz zwischen der phraseologischen Bedeutung und der wörtlichen Bedeutung der Komponenten bzw. der ganzen Wortverbindung ermittelt. Je stärker die Diskrepanz zwischen beiden Bedeutungsebenen ist, umso stärker ist die Idiomatizität des Phraseologismus. Es lassen sich drei Grade der Idiomatizität konstituieren:

- voll-idiomatisch: der Ausdruck als ganzer ist umgedeutet und lässt sich semantisch nicht aufgliedern, somit hat er eine synthetische Bedeutung (Fleischer 1997, S.33); Bsp. jeść komuś z ręki ʻjmdm. aus der Hand fressen’
- teil-idiomatisch: nur einzelne Komponenten sind umgedeutet, andere bleiben in ihrer wörtlichen bzw. freien Bedeutung und der Phraseologismus lässt sich semantisch aufgliedern, somit hat er eine analytische Bedeutung (Fleischer 1997,|S.33); Bsp. blinder Passagier, wobei blind als ‘illegitim, ohne Berechtigung’ umgedeutet wird und Passagier seine wörtliche Bedeutung beibehält.
- nicht-idiomatisch: „Ausdrücke, die durch keine (oder minimale) semantische Differenzen zwischen phraseologischer und wörtlicher Bedeutung charakterisiert sind“ (Burger 2007, S. 32). Die Komponenten werden nicht umgedeutet; Bsp: Zähne putzen

3.2 Strukturelle Klassifikation

Bei dieser Klassifikation werden die Phraseologismen nach ihrem Verhältnis zu den in Wortklassen geordneten Wörtern und ihrer syntaktischen Eigenschaft in Anlehnung an Lewicki und Pjadzińska (1993) gruppiert, demnach werden Satzwertige Phrasen, Nominalphrasen, Verbalphrasen, Adjektivphrasen, Adverbialphrasen, Parenthese (phraseologische Partikeln) und verknüpfende Phraseologismen unterschieden[7] (Nagórko 2007, S. 262).

3.2.1 Satzwertige Phrasen

„Satzwertige Phrasen stellen vollständige Äußerungen mit dem prädikativen Zentrum, dem Satzsubjekt sowie sonstigen strukturell notwendigen Ergänzungen dar“ (Nagórko 2007, S. 262). Sie sind beschränkt modifizierbar und der Tempus und Modus des Verbs ist kaum veränderbar; z.B. klamka zapadła[8] (bildhaft) ‘Die Entscheidung ist gefallen. Es gibt kein zurück mehr’; jmdm. geht der Hut hoch[9] (umgangssprachlich) ‘jemand findet etwas unerhört, unverschämt; jemand wird wütend’

3.2.2 Nominalphrasen

Der Kopf der Nominalphrasen ist ein Substantiv oder Substantivpronomen, die attributiv erweitert werden können. Sie nehmen die Stelle des Subjekts oder Objekts im Satz ein und sind deklinierbar.

Es gehören auch nicht-idiomatische Kollokationen, wie z.B. czarna rozpacz (wörtl. schwarze Verzweiflung)[10] dazu (Nagórko 2007, S. 264; Fleischer 1997, S. 142 ff).

3.2.3 Verbalphrasen

Die syntaktische Struktur der Verbalphrasen enthält, wie Verben, den ganzen Satzbauplan. Die obligatorische verbale Komponente kann mit unterschiedlich strukturierten Substantiv-, Adjektiv-/Adverbialgruppen und mit weiteren Verben kombiniert werden. Die Verben sind morphologisch modifizierbar (in Person, Tempus, Modus flektierbar).

Verbalphrasen können meist nur adverbial erweitert werden. Attributive Erweiterung ist nur bei nicht umgedeuteten Komponenten möglich (Nagórko|2007,|S.|262|f; Fleischer 1997, S. 154 ff); z.B. prośić kogoś o rękę ʻum jmds. Hand anhalten’

Problematisch sind Phraseologismen, die mit dem Verb być ʻsein’ und mieć ʻhaben’ gebildet werden. Das Verb ist in solchen Fällen nicht immer eine obligatorische Komponente und folglich kann das Verb kein Basiselement sein. Ist der nominale Teil ohne Bedeutungsveränderung in der syntaktischen Rolle eines Substantivs verwendbar (Nominalisierungsformation), dann handelt es sich nicht um eine obligatorische Komponente.

3.2.4 Adjektivphrasen

Adjektivphrasen kommen wie Adjektive in Nominalphrasen vor und sind mit dem Kopf der ganzen Konstruktion kongruent. Sie können wegen der syntaktischen Ambivalenz von Adjektiven, auch an prädikativer Stelle auftreten. Eine syntaktische Konversion zu Substantiven ist ebenfalls möglich; Bsp. pierwszy lepszy ‚der erste Beste’ (Nagórko 2007, S. 265).

3.2.5 Adverbialphrasen

Adverbialphrasen sind im Satz vom Prädikat als seine Angaben abhängig (meist fakultativ). Syntaktischen Strukturen adverbialer Phrasen werden unter Verwendung von Substantiven als Stützwort und Basiselement gebildet.

Die meisten adverbialen Phraseologismen haben modale Bedeutung, nur wenige lokale oder temporale; z.B. z pocałowaniem ręki ʻmit Handkuss’

Phraseologische Vergleiche mit dem Marker jak ‘wie’ zählen auch dazu; Bsp. leje jak z cebra ‘es gießt in Strömen’[11] (Nagórko 2007, S. 266; Fleischer 1997, S. 149 ff).

3.2.6 Parenthese (phraseologische Partikeln)

Phraseologische Partikeln sind syntaktisch frei und haben meist metasprachlichen Charakter, somit beinhalten sie das Vorhandensein eines Ko-Textes. Mit phraseologischen Partikeln wird die Einstellung des Sprechers und Emotionen zum Ausdruck gebracht; z.B. że tak powiem ‘wenn ich so sagen darf’, na ile to możliwe ‘sofern es möglich ist’ ((Nagórko 2007, S. 267).

3.2.7 Verknüpfende Phraseologismen

Verknüpfende Phraseologismen sind Funktionswörter wie Präpositionen bzw. Konjunktionen mit analytischer Ausprägung. Sie sind meist als buchsprachlich markieret und selten in der Umgangssprache gebräuchlich; z.B. w oparciu o (co – Akk.) ‘in Anlehnung an’, zarówno..., jak i... ‘sowohl... als auch...’ (Nagórko 2007, S. 268).

4 Historische und kulturelle Dimension

Die Phraseologieforschung ist noch eine sehr junge Teildisziplin der Wissenschaft und der besondere Verdienst ihrer Entwicklung ist in der sowjetischen Sprachwissenschaft in der Fortsetzung russischer Traditionen des 19. Jhs. anzusiedeln. Erst in den letzten Jahrzehnten in der Entwicklung der Sprachwissenschaft ist ein verstärktes Interesse sowohl an verschiedenen theoretischen Problemen der Phraseologie als auch an konkreten Untersuchungen des phraseologischen Bestandes entstanden (Laskowski 2003, S. 33).

Ein großer Teil der Idiome wird als ein Teil der europäischen Bildungstradition angesehen. Sie spiegeln sowohl den Einfluss der griechischen und römischen Antike, der Bibel, des katholischen Mittelalters und der Sprache der Reformationszeit, als auch wichtige Naturerscheinungen, Tiere, Freunde und Feinde, die soziale Umwelt wie Wirtschaft, Handel und Gewerbe, Technik, Gebrauchs- und Kunstgegenstände sowie das Hauswesen wider.

In den idiomatischen Spracheinheiten sind oft Volksmeinungen und Wertvorstellungen fixiert, die meistens der allgemeinen Welterfahrung oder der Erfahrung des eigenen Körpers (Somatismen) entstammen z.B. dolewać oliwy do ognia ‘Öl ins Feuer gießen’, od stóp do głowy ‘von Kopf bis Fuß’[12] (Palm 1997, S. 37 f; Nagórko 2007, S. 257).

Viele Untersuchungen haben erwiesen, dass menschliche Emotionen der Hauptgegenstand der phraseologischen Benennungen sind. Es werden vor allem, von der Sprachgemeinschaft als negativ bewertete, Verhaltensweisen und Situationen in Form von Phraseologismen ausgedrückt.

Mit der Veränderung der sozialen Umwelt wird auch der Bestand an Phraseologismen ständig erneuert. Veraltete Redewendungen, die heute nicht mehr aktiv sind und ihre Bedeutung für Sprachbenutzer in manchen Fällen nicht mehr nachvollziehbar ist, nehmen ab. es entstehen aber kontinuierlich neue Phraseologismen aus der Welt der Technik, des Sports und der Politik (Nagórko 2007, S.257).

5 Kontrastive Phraseologie

5.1 Dimensionen der kontrastiven Phraseologie

Unter kontrastiver Phraseologie versteht man einerseits den Vergleich zweier Sprachformen innerhalb einer Nationalsprache, z.B. Standardsprache - Mundart (intralingual), andererseits den Vergleich zweier Nationalsprachen (interlingual) (Burger|1982,|S.|274). Gewöhnlich wird in der Fachliteratur die kontrastive Phraseologie meist nur auf die interlingualen Vergleich beschränkt.

Es werden Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen Sprachen im kontrastiven Sprachvergleich dargestellt (systematische Konfrontation). Dabei erfolgt die Gegenüberstellung hinsichtlich zweierlei Gesichtspunkten: zum einen wird die Übereinstimmung in der logisch-begrifflichen Bedeutung der Zeichen (Bedeutungsseite) beider Sprachen verglichen. Dieser semantische Aspekt wird auch die Äquivalenz der sprachlichen Zeichen genannt. Zum anderen werden die sprachlichen Phänomene im Hinblick auf die Kongruenz, d.h. auf die strukturelle Übereinstimmung der Formseite auf der syntaktischen, morphemischen Ebene und auf der Stilebene gegenübergestellt (vgl. Laskowski 2003, S. 128).

„Semantisch qualitativ und quantitativ gleichwertig sind phraseologische Verbindungen wie andere lexikalische Einheiten zweier Sprachen dann, wenn ihre semantische Strukturen identisch sind, d.h. in der Art, Anzahl und Anordnung der Bedeutungselemente sowie der einzelnen Bedeutungsstrukturen (Sememe) übereinstimmen“ (Laskowski 2003, S. 131 nach Karl 1982, S. 34).

Derartige gleichwertige Entsprechungen in Bezug auf den Wortbestand, die stilistischen Werte, die Bedeutung und die grammatische Struktur der sprachlichen Einheiten zweier Sprachen ist sehr selten zu finden, da beim interlingualen Vergleich oft „vielgestaltige kulturelle und national- bzw. landesspezifische Unterschiede in Erscheinung treten“ (Földes 1996, S.86). In Phraseologismen sind Sitten, Bräuche, Traditionen usw. verankert und so kann es für ein Land spezifische Phraseologismen geben, die eine nationalspezifische Kultur reflektieren, die in der anderen Sprache nicht vorhanden ist.

Äquivalente Übereinstimmung, sog. phraseologische Internationalismen sind zum Beispiel solche wie geflügelte Wörter aus der Bibel, mythologische Überlieferungen aus der Antike oder aus bekannten Werken der Weltliteratur.

[...]


[1] näheres zu Polylexikalität 2.4 , Festigkeit/Stabilität 2.2

[2] näheres zu Idiomatizität in Kap. 2.1

[3] Autosemantikon und der Gegenbegriff Synsemantion werden in Kap. 2.4 ausführlich behandelt

[4] hierzu im Kap. 2.3 näheres

[5] In meiner Arbeit, wenn nicht explizit hervorgehoben, verwende ich den Begriff Idiomatizität im engeren Sinne

[6] Nach dem Grad der Idiomatizität werden auch die phraseologischen Wendungen im zweiten Teil dieser Arbeit semantisch klassifiziert.

[7] Fleischer (1997) differenziert in seiner syntaktischen Klassifikation nur zwischen Nominal-, Verbal-, Adjektiv- und Adverbialphrasen.

[8] Beispiel aus Nagórko (2007), S. 262

[9] Beispiel aus Fleischer (1997), S. 124

[10] Beispiel aus Nagórko (2007), S. 264

[11] Beispiel aus Nagórko (2007), S. 266

[12] Beispiele aus Nagórko (2007), S. 257

Ende der Leseprobe aus 56 Seiten

Details

Titel
Phraseologismen mit dem Glied "ręka/Hand, Arm": Ein polnisch-deutscher Sprachvergleich
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,5
Autor
Jahr
2010
Seiten
56
Katalognummer
V200789
ISBN (eBook)
9783656307716
ISBN (Buch)
9783656308379
Dateigröße
1092 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Polnische Beispiele
Schlagworte
phraseologismen, glied, sprachvergleich
Arbeit zitieren
Agnieszka Fryszkiewicz (Autor:in), 2010, Phraseologismen mit dem Glied "ręka/Hand, Arm": Ein polnisch-deutscher Sprachvergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200789

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