Frauen im modernen Selbstmordterrorismus


Bachelor Thesis, 2009

46 Pages

Marie Luedtkes (Author)


Excerpt


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Definition Terrorismus
2.1 Terrorformen
2.2 Sekundäre Ziele von Terrorismus

3. Frauen im modernen Terrorismus
3.1 Frauen in der LTTE
3.2 Frauen in palästinensischen Terrororganisationen

4. Selbstmordterrorismus als Taktik
4.1 Individuelle Motivation
4.1.1 Religiöse und nationalistische Motive
4.1.2 Schlüsselereignisse
4.1.3 Rache
4.1.4 Persönliche Motivation
4.2 Organisatorische Logik
4.3 Organisatorische Logik von weiblichem Märtyrertum

5. Legitimationsstrategien für weiblichen Selbstmordterrorismus
5.1 Beispiel LTTE
5.2 Beispiel palästinensische Terrororganisationen

6. Fazit

Literaturverzeichnis

EINLEITUNG

Die Anschläge des 11. Septembers, sowie Selbstmordanschläge in Israel, im Irak und anderen Ländern haben ein neues Interesse an Terrorismus in den Sozialwissenschaften entfacht. Viele Wissenschaftler widmen sich seitdem der Untersuchung von Ursachen, Folgen und Zusammenhängen von Terrorismus. Eine besondere Beachtung in den Wis- senschaften findet auch die Untersuchung von Selbstmordterrorismus als neuzeitlicher Taktik. Eine der überaschensten Entwicklungen der letzten Jahre ist, dass Frauen in den einst männerdominierenden Bereich des aktiven Kampfes eindringen und als Selbstmor- dattentäterinnen aktiv werden. Historisch waren Frauen in Konflikten fast ausschließ- lich in unterstützenden Funktionen eingebunden und ihr primärer Beitrag innerhalb eines Konflikts war es, neue Kämpfer zu gebären und sie innerhalb eines revolutionären Um- feld zu erziehen. Entgegen der existierenden Auffassung, dass Frauen friedfertiger, ge- mäßigter und kompromissbereiter sind, nehmen Selbstmordattentäterinnen eine aktive gewalttätige Rolle in einem politischen Konflikt ein.

Im Westen rufen Frauen, die als Attentäterinnen tätig werden, oft noch größeres Entset- zen hervor als männliche Protagonisten. Der westlich geprägte Stereotyp der Frau als lebensspendend und fürsorglich passt nicht zu der zerstörerischen Kraft die Selbstmordat- tentäterinnen verüben. Das bis vor kurzem geringe Forschungsinteresse an Terroristinnen führt oft dazu, dass sie als eine Anormalität betrachtet werden. Dabei waren gerade in den ideologischen Terrororganisationen der 1970er Jahre, wie der RAF, Frauen sowohl in Organisation und Führung als auch auf operativer Ebene vertreten. Auch die LTTE (Li- beration Tamil Tigers of Eelam) und die PKK (Kurdische Arbeiterpartei) weisen einen beachtlichen Anteil von Frauen auf. Bis sich Wafa Idris im Zuge des Nahost-Konflikts am 27. Januar 2002 in Jerusalem im Namen der säkularen al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden in die Luft sprengte, war die Terroristin kaum als ein in der Forschung zu untersuchendes Subjekt behandelt worden. Wafa Idris wird oft als erste Selbstmordattentäterin dekla- riert, obwohl bereits 1985 Sana´a Mouhadly im Namen der Syrischen Sozialen Natio- nalistischen Partei (SSNP) einen Selbstmordanschlag verübte. Mouhadly hat mit einem sprengstoffgeladenem Auto sich selbst und zwei israelische Soldaten umgebracht, sowie zwei weitere verletzt. In den darauf folgenden Jahren haben sich bei 12 von der SSNP verübten Selbstmordanschläge 4 Frauen selbst geopfert. Dies diente dem Ziel die isra- elischen Truppen aus dem südlichen Libanon zu vertreiben. Auch die Kurdische Arbei- terpartei hat in den 1990er Selbstmordanschläge als Taktik angewandt, von denen 11 der 15 verübten Attentate von Frauen ausgeführt wurden. Neben dem hohen Prozentsatz von Frauen bei Selbstmordanschlägen der SSNP und PKK, haben die meisten Selbstmor- dattentäterinnen zu den Liberation Tamil Tigers of Eelam gehört. Zwischen 30 und 40

Prozent der über 200 Selbstmordanschläge haben Frauen verübt. Im Gegensatz zu den meisten säkularen oder religiösen terroristischen Gruppen, die Selbstmordanschläge von Frauen verüben lassen, betrachtet die LTTE Frauen nicht als zweitklassige Märtyrer. Ihr Tod hat die gleiche symbolische Bedeutung und die gleiche rituelle Feier wie die der männlichen Märtyrer. Weitaus weniger bemerkt im Vergleich zu den rebellischen Opera- tionen der Frauen in der LTTE, blieben die 22 tschetschenischen Frauen, die in insgesamt 28 Selbstmordanschlägen seit Beginn des Konflikts in Tschetschenien, involviert waren. Ein zunächst rein säkularer Kampf, der mit fortwährender Radikalisierung mit einer reli- giösen Bedeutung aufgeladen wurde. Die aktive Partizipation von muslimischen Frauen im Tschetschenien-Konflikt könnte als Grundstein angesehen werden, der die Idee des weiblichen Märtyrertums zu den fundamentalistischen Terrororganisationen brachte. Wie ist es also trotz der augenscheinlichen Partizipation von Frauen zu begründen, dass aktiv gewalttätige Terroristinnen vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit in der Wissenschaft erhalten haben?

Zunächst könnte argumentiert werden, dass die typischen sozialen Rollen und Erwar- tungen, die mit Frauen assoziiert werden gewissermaßen ihr aggressives Potenzial negie- ren. Frauen, die terroristische Akte ausüben, ob sie nun für säkulare oder religiöse Ziele kämpfen, werden häufig als gegen Geschlechternormen verstoßend angesehen. Dass ag- gressive Potenzial von Frauen wird immer noch oft negiert, und so werden Frauen, wenn sie in den bewaffneten Widerstand eintreten, entweder sensationalisiert oder ignoriert.

Zudem ist die Anzahl von Frauen, die in terroristischen Akten beteiligt waren, im Ver- gleich zu Männern schon immer gering gewesen. Islamistische Kämpferinnen aus dem 6. Jahrhundert oder russische Revolutionärinnen aus dem späten 19. Jahrhundert werden oft angeführt, um zu belegen, dass Frauen eine historische Verbindung zu bewaffnetem Widerstand und Terrorismus haben. Dabei repräsentieren diese und ähnliche Ereignisse in Wirklichkeit isolierte Begebenheiten für von Frauen verübter politischer Gewalt und nicht ein etabliertes Muster. Auch wenn die Zahl der weiblichen Beteiligung in militanten bzw. terroristischen Gruppen in den letzten zwei Jahrzehnten drastisch gestiegen ist, ist die Aktivität von Frauen in Terrororganisationen fast unbemerkt geblieben. Kritischer als die Anzahl der Frauen ist aber der Fakt, dass — abgesehen von den wenigen Ausnahmen — Männer die Machtstruktur in den Terrororganisationen dominieren. Tatsächlich sind Frauen in den meisten Fällen nicht in der Führung vertreten und unterliegen der männlichen Dominanz.

Ein weiterer Aspekt warum militante Frauen in der Forschung vernachlässigt wurden, könnte sein, dass diese bis vor kurzem größtenteils in nationalen Konflikten aktiv waren, die für die westlichen Gesellschaften keine Bedrohung darstellen. Selbstmordanschläge, die von palästinänsischen Frauen in Israel verübt wurden, haben hingegen das Interesse der westlichen Nationen geweckt. Nach dem Anschlag von Wafa Idris und drei weiteren palästinänsischen Selbstmordattentäterinnen, wurde die Vorstellung, dass Frauen fähig sind unverfroren ein Blutbad anzurichten, in das westliche Bewusstsein befördert. Mit diesem erwachtem Bewusstsein, dass auch Frauen bereit sein können sich für „die Sache“ selbst zu opfern, erhielten militante Frauen eine wesentliche Steigerung in der ihnen zuteil werdenden Aufmerksamkeit. Zunächst war diese Aufmerksamkeit eher ein- dimensional. Am einen Ende des Spektrums wurden diese Frauen von der Öffentlichkeit als in kulturellen Umständen gefangen wahrgenommen, die von Männern zu Gewaltta- ten getrieben wurden. Die palästinänsischen Selbstmordattentäterinnen, welche sich zwi- schen 2002 und 2004 in die Luft gesprengt haben, wurden zunächst als Frauen am Rande der Gesellschaft charakterisiert, die Selbstmordanschläge begangen haben, um ihre Ehre bzw. die Ehre ihrer Familie wiederherzustellen. Am anderen Ende des Spektrums wurden sie von der Öffentlichkeit ähnlich reduziert als emanzipierte Feministinnen, die Gewalt anwenden um Respekt in einer sexistischen Gesellschaft zu erlangen, konstruiert. In die- sem Rahmen wird Gewalt als Chancengleichheit deklariert und auf das alte Argument bezogen, dass weibliche Gewalt ein Schritt zum Männlichen ist. Gewaltakte durch Terro- ristinnen werden in diesem Sinne häufig als Ausdruck für Gleichberechtigung angesehen. Obwohl die beiden genannten Charakterisierungen in einigen Fällen zutreffen, können sie nicht das weltweite Ausmaß der weiblichen Beteiligung an politischer Gewalt der letzten drei Jahrzehnte erklären. Selbst wenn das Aufbrechen von traditionellen Rollen ein sekundäres Ziel von militanten Frauen sein kann, zeigt sich in den Gesellschaften, in denen Frauen Terrorismus ausüben, keine Verbesserung der Frauenrechte. Zudem gibt es kaum Evidenz, dass in den Terrororganisationen selber Geschlechtergleichheit herrscht. Es kann davon ausgegangen werden, dass politische Gewalt keinen fundamentalen Wan- del in den gesellschaftlichen Werten, in Hinblick auf die Geschlechtergleichheit, in Kraft setzen kann.

Während die wachsende Anzahl von Frauen in Terrororganisationen nicht zwingend einen Wandel des Geschlechterverhältnisses abbildet, zeigt dies dennoch eine grundlegende Veränderung im Muster der politisch gewalttätigen Akteure.

Der Überraschungswert den Wafa Idris, als erste palästinensische Selbstmordattentäterin seit knapp 20 Jahren, hervorgerufen hat, gekoppelt an die große Medienaufmerksamkeit und den operationalen Vorteil, den eine Frau bringt, machte es islamistischen Dschihad- Organisationen geradezu unmöglich Frauen den Zutritt zu verweigern. Ein Grund dafür, dass Frauen der Zutritt verweigert wurde, ist, dass islamistische Fun- damentalisten weibliche Gesellschaftsmitglieder als zu beschützenden Besitz betrachten, was sie vom Dschihad2 und der operativen Ebene der Organisationen generell ausschließt.

Fortan suchten Kleriker nach einem religiösen Deckmantel, um Frauen als Selbstmordat- tentäterinnen zuzulassen. So kam es, dass ein gutes Jahr nach dem Anschlag von Wafa Idris der palästinensische Islamische Dschihad in Kooperation mit den al-Aqsa-Märtyrer- Brigaden Hiba Daraghmeh in die israelische Stadt Afula schickte, um einen Selbstmord- anschlag zu verüben.

Andere palästinensische Terrorgruppen, wie zum Beispiel die Hamas, haben nach dem Anschlag von Wafa Idris zunächst auf der Unrechtmäßigkeit eines Selbsmordanschlages durch eine Frau beharrt. Als jedoch die Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Märtyrerin immer positiver wurden und sich die Fatah, zu denen die al-Aksa-Märyrerbrigaden als terroristischer Arm gehören, zu der Selbstmordattentäterin bekannte, erkannten nicht nur die säkularen Gruppen eine Chance auf die positive Stimmung in der Öffentlichkeit zu re- agieren. Ein Sprecher der Hamas revidierte immer wieder seine Aussagen über die Rolle von Frauen im Dschihad, bis er schließlich in einem Interview Frauen als Selbstmordat- tentäterinnen willkommen hieß.

Die Einbindung von Frauen in Selbstmordterrorismus hat in den verschiedenen Gesell- schaften oft seine eigene Geschichte. In der Türkei (PKK) oder in Sri Lanka (LTTE) sind Frauen beispielsweise schon seit dem Anfangsstadium der Organisationen aktiv einge- bunden. Palästinensische Selbstmordattentäterinnen oder die isolierten Terroristinnen in Tschetschenien hingegen tauchten erst in jüngster Zeit auf. Dennoch ist der gemeinsame Faktor aller Länder, in denen diese Terrororganisationen ansässig sind, ihre patriarcha- lische Gesellschaftsstruktur. Trotz des patriarchalischen kulturellem Rahmens wurde Frauen der Zugang, ob nun seit Beginn oder später, zu einer aktiven Beteiligung an Ter- rorismus gewährt.

Sanftmut, Demut und Friedfertigkeit sind Begriffe mit denen häufig weibliches Verhalten, oder die Idealisierung weiblichen Verhaltens im Islam, beschrieben wird. Dieser Stere- otyp wird von den Terrorgruppen ausgenutzt um ihr Anliegen aufzubauschen. Auf der einen Seite — neben der Stereotypisierung von Frauen als gute Ehefrauen und Mütter — sind sie zu Morden fähig, indem sie Selbstmordanschläge begehen. Auf der anderen Seite interpretieren die westlichen die Gesellschaften ihr Verhalten, selbst wenn es in eine extreme Form der Gewalt schlägt, als ein Resultat von Ungerechtigkeit und einer verzweifelten Lage. Die Medien rechtfertigen und legitimieren oft diese gewalttätigen Akte, die den gewöhnlichen Axiomen und Annahmen über das „schwache“ Geschlecht widersprechen. Weiblicher Selbstmordterrorismus ist der vielleicht stärkste Ausdruck von weiblicher Militanz. Geschlechternormen werden auf radikale Weise überschritten. Nicht nur dadurch, dass Frauen Unschuldige töten, sondern auch, dass sie den eigenen Tod begrüßen und mit diesem Vorgang, existierende symbolische Kernstrukturen von Geschlecht aufbrechen und Neue schaffen.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es einen Überblick über die Beteiligung von Frauen als Selbstmordattentäterinnen in modernen Terrororganisationen zu liefern, uns herauszu- arbeiten warum Frauen Selbstmordterrorismus ausüben. Dies schließt die Fragen ein welchen organisatorischen Nutzen die Terrororganisationen in Selbstmordattentäterinnen sehen, wie ihr Aufbrechen der konventionellen Gendernormen legitimiert wird, und auch was diese Frauen motiviert sich selbst und andere im Namen einer Terrorgruppe zu töten. Das Hauptaugenmerk der Arbeit richtet sich auf die weibliche Beteiligung am Selbst- mordterrorismus, weshalb grundlegend keine Konzentration auf eine bestimmte Terror- gruppe gelegt wird. Auch die Ideologien, der in der Arbeit auftauchenden Organisationen, sind für die Arbeit von sekundärem Interesse und werden lediglich angerissen, wenn es für das Verständnis und die Unterscheidung angebracht ist. Besonders die zahlreichen palästinänsischen Gruppen, die Selbstmordterrorismus als Taktik anwenden, können auf- grund der Kürze der Arbeit nur oberflächlich in ihren Ideologien differenziert werden. Da aber besonders der Nahostkonflikt durch die internationale Aufmerksamkeit und andau- ernde Aktualität von Interesse ist — auch weil hier Frauen als Selbstmordattentäterinnen erst seit relativ Kurzem auftauchen — sollen die dort ansässigen Gruppen Beachtung finden, auch wenn keine feinen Differenzierungen möglich sind.

Das erste Kapitel der Arbeit wendet sich der Definition des Begriffs Terrorismus zu und stellt die wichtigen gemeinsamen Merkmale aller Terrororganisationen sowie eine grobe Kategorisierung der verschiedenen Typen von Terrorismus vor. Terrorismus als Strategie in einem asymmetrischen Konflikt zu verstehen ist wichtig, um später die Rationalität der Taktik des Selbstmordterrorismus nachvollziehen zu können.

Nach dieser terminologischen Einführung, liefert das zweite Kapitel einen kurzen historischen Abriss über die Partizipation von Frauen in den Terrorgruppen, die Selbstmordterrorismus anwenden. Zum einen werden dies, wie erwähnt, einzelne palästinensische Gruppen sein. Zum anderen wird dies die LTTE sein, die nicht nur bis jetzt die meisten Selbstmordanschläge verübt hat, sondern auch durch einen Frauenanteil von fast 40 Prozent für die vorliegende Arbeit von besonderem Interesse ist.

In weiterer Annäherung an die Forschungsfragen, wird das nächste Kapitel Selbstmord- terrorismus als Taktik behandeln. An dieser Stelle wird — um herausarbeiten zu können, warum Frauen in den letzten Jahren vermehrt als Selbstmordattentäterinnen aktiv wur- den — zunächst dargestellt, warum Selbstmordterrorismus generell seit einigen Jahren als Taktik angewendet wird und welche Motivation, sowohl aus Sicht des Individuums als auch aus Sicht der Organisation dahinter steht. In diesem Sinne wird zunächst die

Motivation des Individuums — mit spezifischen Blick auf die Motivation von Frauen — herausgearbeitet. Daran anschließend wendet sich die Arbeit der organisatorischen Motivation bzw. Logik von Selbstmordterrorismus zu und arbeitet auf Grundlage dessen, den speziellen Nutzen von Selbstmordattentäterinnen aus.

Nachdem erarbeitet wurde, welche individuelle Motivation und welche Mechanismen der Terrororganisationen hinter der Selbstmordtaktik stehen, bleibt die Frage, wie die Or- ganisationen, nachdem sie den taktischen Vorteil von Selbstmordattentäterinnen erkannt haben, das damit verbundene Aufbrechen der Gendernormen legitimieren. Diese Frage zu klären ist Ziel des fünften Kapitels. Nach einer theoretischen Einführung anhand der Hamas und des islamistischen Dschihads als religiöse Beispiele und der LTTE als säku- lares Beispiel, werden die rhetorischen Strategien dieser Organisationen vorgestellt, mit denen sie die Partizipation von Frauen am Märtyrertum rechtfertigen.

Im letzten Kapitel, dem Fazit, werden sowohl die Schlussfolgerungen aus den vorhe- rigen Analysen präsentiert, wie auch die Antworten der Forschungsfragen, warum Frauen Selbstmordterrorismus ausüben, welcher organisatorische Nutzen dahinter steht und wie ihr Aufbrechen der konventionellen Gendernormen legitimiert werden, zusammenge- fasst.

"EZUGSQUELLEN

Beyler/C.: Messengers of Death — Female Suicide Bombers. International Institute for CounterTerrorism. Herzliya 2003

Davis/J.: Martyrs: Innocence, Vengeance, and Despair in the Middle East. Palgrave Press. New York 2003

Duden: Das Fremdw ö rterlexikon. Band 5. 6. Aufl. Dudenverlag. Mannheim, Wien, Zürich 1997 MacDonald/E.: Erschie ß t zuerst die Frauen. Klett-Cotta. Stuttgart 1992

Morgan/R.: The Demon Lover: On the Sexuality of Terrorism. WW.Norton & Co. New York 1989

Ness/C. D. (Hrsg): Female Terrorism and Militancy: Agency, Utility, and Organization. Routledge Chapman & Hall. Abingdon 2008

Richardson, Louise: Was Terroristen wollen. Die Ursachen der Gewalt und wie wir sie bek ä mpfen k ö nnen. Frankfurt a.M.: Campus Verlag 2007

Victor/Barbara: Army of Roses: Inside the World of Palestinian Women Suicide Bombers. Rodale Press. Emmaus (Pennsylvania) 2003

2. Terrorismus definition

Seit dem 11. September 2001 ist das Wort „Terrorismus“ aus den Medien und den Köpfen der Menschen nicht wegzudenken. Seit dem Ende des sozialrevolutionären Terrorismus der 1970er Jahre war es zunächst ruhig um das Thema geworden. Erst die Anschläge auf das World Trade Center brachte die Problematik wieder auf die Medienagenda und ließ viele Menschen verunsichert und verängstigt zurück. Mittlerweile ist der Begriff „Terrorismus“ im alltäglichen Sprachgebrauch so verankert, dass er schon fast inflationär gebraucht wird.

Deshalb bedarf es zunächst einer genauen Betrachtung des Begriffs, um Terrorismus klar gegenüber anderen Konfliktformen abzugrenzen. Das Wort „Terror“ stammt aus dem La- teinischen und bedeutet „Schrecken“. Hier zeigt sich bereits eine wesentliche Dimension von Terrorismus, nämlich Schrecken zu verbreiten. Zum ersten Mal tauchte der Begriff „ terreur“ während der Französischen Revolution auf und bezeichnete den damaligen Staat- sterror durch die radikalen Revolutionäre (vgl. Dillinger 2008, 9). Heutzutage könnte grundsätzlich immer noch zwischen Terror — als einer staatlichen Schreckensherrschaft von oben — und Terrorismus — als Gewalt gegen staatliche Autoritäten von unten — un- terschieden werden. Allerdings hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch, sowie in den Wissenschaften, eine synonyme Verwendung der Begriffe etabliert (vgl. Dietl et al. 2006, 17).

Die wissenschaftlichen Definitionen des Begriffs Terrorismus sind zahlreich, wobei sich häufig Überschneidungen wieder finden, sodass trotz der Fülle an Definitionen von einem stabilen Grundverständnis ausgegangen werden kann. Die häufig in der Literatur auftre- tende Definition von Hess gibt einen ersten Überblick über die Merkmale von Terroris- mus: „Terrorismus ist erstens eine Reihe von vorsätzlichen Akten direkter physischer Ge- walt, die zweitens punktuell und unvorhersehbar sind, drittens aber systematisch mit der Absicht psychischer Wirkung auf weit mehr Personen als nur die unmittelbar getroffenen Opfer, viertens im Rahmen einer Gruppe mit bestimmten politischen Zielen durchgeführt werden, und fünftens den Gegner zu einer Reaktion provozieren sollen, die jene poli- tischen Ziele, die man direkt nicht erreichen kann, indirekt fördert“ (Hess 2002, 84ff). Auch Louise Richardson (2006, 28), renommierte Harvard-Professorin und Expertin für Sicherheitspolitik, arbeitet ähnlich definitorische Kriterien für Terrorismus heraus. Neben dem Merkmal der politischen Motivation eines Terroraktes betont sie, dass der Zweck von Terrorismus nicht der Sieg über den Feind ist, sondern die Verkündung einer Botschaft. Wie Hess gewichtet auch sie die psychologische Wirkung größer als den tatsächlichen Schaden, und weist ebenso daraufhin, dass die Opfer des Terroraktes und das Publikum, das mit dem Akt erreicht werden soll, nicht identisch sind. Für sie sind die Opfer nur das

Mittel, um ein weitaus größeres Publikum, wie eine Regierung, zu erreichen. Ein wich- tiges Merkmal, das sie hinzufügt, ist, dass sich Terrorismus bewusst gegen Zivilisten rich- tet, was Terrorismus von anderen Formen politischer Gewalt wie z.B. dem Guerillakrieg abgrenzt (ebd. 30). Dietl, Hirschmann und Tophoven (vgl. 2006, 17ff) ergänzen, dass es sich um eine andauernde Gewaltanwendung handeln muss und einmalige Ereignisse wie z.B. Tyrannenmord nicht unter Terrorismus fallen. Zudem betonen auch sie — wie Hess — die Vorsätzlichkeit der Gewaltanwendung, so dass z.B. Gewaltausbrüche bei Demons- trationen ebenso wenig unter Terrorismus fallen.

2.1 TERRORFORMEN

Eine Kategorisierung der verschiedenen Terrororganisationen erweist sich als recht schwierig, da in der zahlreichen wissenschaftlichen Literatur unterschiedliche Eintei- lungen vorgenommen werden. Die einen unterscheiden innerhalb des revoltierenden Terrorismus — im Gegensatz zum Staatsterrorismus — zwischen sozialrevolutionären/ ideologischen, ethnonationalistischen, religiösen und internationalen Terrorismus (vgl. Jaschke 2006, 105). Andere (vgl. Dietl et al. 2006, 22) differenzieren zunächst lediglich zwischen ethnonationalistischem Terrorismus (z.B. IRA und ETA), bei dem es um sepa- ratistische Forderungen geht, und ideologischem Terrorismus, welcher wiederum in die Stränge säkular (z.B. RAF) und religiös (z.B. islamistischer Fundamentalismus) unter- teilt wird. Da Terrorismus schon in allen Gesellschaftsformen, Religionen, sowie allen politischen Richtungen mit diversen Zielen aufgetaucht ist, ist eine präzise Kategorisie- rung selten möglich, da häufig Ziele und Motive ineinander übergehen oder sich über- schneiden. Dennoch lässt sich die Diversität aller Terrorgruppen zunächst grob auf zwei simple Variabeln reduzieren. Mit diesen kann die schier unüberschaubare Menge von Terrorformen organisiert werden und zum Verständnis beitragen, wie Terrorgruppen ihre Aktionen ausrichten (vgl. Richardson 2006, 37ff). Die eine Variabel ist die Art ihrer Ziele. Die Andere ist das Verhältnis zur Gemeinschaft, die sie zu repräsentieren behaupten.

Die Art der Ziele differenziert Richardson (ebd.) in grundsätzlich und begrenzt. Grund- sätzliche Ziele sind dabei jene Ziele, über die man nicht verhandeln kann und welche eine Zerschlagung des bestehenden Systems fordern. So waren die Ziele der sozialre- volutionären Terroristen grundsätzlicher Art, weil sie den Kapitalismus aufgrund seines mutmaßlich repressiven Charakters abschaffen und durch eine klassenlose Gesellschaft ersetzen wollten (vgl. Barth und Mirus-Küpper 2002). Die Bestrebungen heutiger fun- damentalistischer Terrorgruppen, wie der Al-Qaida, die Staaten des Nahen Ostens durch das Kalifat — der Herrschaft von Mohammeds Nachfolgern von seinem Tod bis zum 13.

Jahrhundert — zu ersetzen, ist ähnlicher grundsätzlicher Art. Begrenzte Ziele hingegen sind jene über die man generell verhandeln könnte, und die nicht eine vollkommene Zerstörung des politischen Systems voraussetzen, wie zum Beispiel die Forderung nach einem unabhängigen Tamilenstaat der LTTE (vgl. Richardson 2006, 37). Die zweite Variabel ist die Beziehung einer Terrororganisation zu der Gemeinschaft in der sie lebt und in deren Namen sie agiert. Das Verhältnis zur Gemeinschaft nimmt dabei die Ausprägung eng oder isoliert ein. Eine von der Gemeinschaft isolierte Bewegung ist wesentlich leichter zu zerschlagen, da ihr oft finanzielle Unterstützung fehlt. Geld muss häufig durch Kriminalität beschafft werden, wodurch sich das Risiko gefasst zu werden gesteigert. Zudem kommt es in isolierten Organisationen oft zu internen Spaltungen, wo- durch sich die Zahl der Deserteure erhöht. Ein Beispiel für isolierte Terrorbewegungen sind die RAF und die Roten Brigaden.

Weitaus gefährlicher sind jedoch Bewegungen mit einem engen Verhältnis zur Gemein- schaft. In diesem Fall, streben die größeren Gemeinschaften oft das Gleiche wie die Ter- rororganisationen an, obwohl sie nicht unbedingt zu den gleichen Mitteln greifen würden. Die Organisationen erhalten durch die Bindung an die Gemeinschaft passive Unterstüt- zung und sind weitaus weniger Gefahren ausgesetzt. Die Hamas und die Hisbollah sind gute Beispiele für Terrorbewegungen mit einem engen Verhältnis zur Gemeinschaft (ebd. 39).

2.2 Sekundiire Ziele von Terrorism us

Ein weiterer wichtiger Aspekt für das grundlegende Verständnis von Terrorismus als Stra- tegie ist, dass Terroristen sowohl durch langfristige politische als auch durch kurzfristige Ziele motiviert werden (Richardson 2006, 112). Diese Unterscheidung ist durchaus sinn- voll, wenn nicht gar notwendig, um zu verstehen, ob Terrorismus Erfolg hat und warum Terroristen so handeln wie sie handeln. Bei den primären politischen Ziele, wie z.B. der Schaffung einer neuen Gesellschaftsstruktur oder der Befreiung von einer Besatzungs- macht, haben Terroristen kaum Aussichten auf Erfolg. Die von Richardson (2006, 126) vorgestellten sekundären Motive „Rache“, „Ruhm“ und „Reaktion“ hingegen sind oft von erstaunlichem Erfolg gekrönt.

Pape (2005, 9) fügt zwei weitere generelle Anliegen von Terrorismus an: Unterstützer zu gewinnen und Gegner zu einer Reaktion zu nötigen. Die meisten terroristischen Kampa- gnen suchen bis zu einem gewissen Grad beide Ziele. Sie beabsichtigen die Politik des gegnerischen Staates mit ihren Kampagnen zu ändern, während sie gleichzeitig mit ihrer Kampagne Unterstützung mobilisieren und neue Rekruten für die Sache gewinnen wol- len. Für die Terrororganisationen hat sich herausgestellt, dass der Selbstmordterrorismus eine hervorragende Taktik ist, um zumindest ihr Publikum zu ängstigen, Unterstützung zu gewinnen und neue Rekruten zu mobilisieren.

Für die vorliegende Arbeit ist von Bedeutung, dass häufig alle Terrororganisationen die sekundären Ziele gemein haben. Terrorismus als Kommunikationsstrategie richtet seine Aktionen immer in Hinblick auf die Erreichung der sekundären Ziele aus. Dieser Fakt muss im Hinterkopf behalten werden, wenn man verstehen möchte, warum Terroristen Selbstmordanschläge ausüben.

3. HlSTORIE

In Hinführung auf die Forschungsfragen, ist es sinnvoll einen kurzen Blick auf die Geschichte der weiblichen Beteiligung, in den für die vorliegende Arbeit interessanten Terrororganisationen, zu werfen.

Bemerkenswert ist, dass, obwohl sowohl die tamilische wie auch die palästinensische Gesellschaft durch eine partriarchalische Struktur geprägt ist, der Grad in dem Frauen ak- tiv oder passiv in Terrororganisationen eingebunden sind stark variiert (vgl. Bloom 2005, 147). Ness (2008, 11) argumentiert in diesem Zusammenhang, dass dies auf die unter- schiedlichen Ideologien der Organisationen zurückzuführen ist und, dass ethnonationa- listische Terrorgruppen Frauen aktiver in die Organisation einbinden als religiös geprägte Terrorgruppen. Helie-Lucas (1999, 271ff) konkretisiert, dass eine Ursache für die Exklu- sion von Frauen in der fundamentalistischen Denkweise gefunden werden kann. Religiös- fundamentalistische Bewegungen kämpfen gegen eine Welt, die durch geschlechtliche Regellosigkeit gekennzeichnet ist — eine Welt in der Frauen als in Männerdomänen eindringend gesehen werden. Dennoch zeichnet sich ein unverkennbarer Wandel in der aktiven Beteiligung palästinensischer Frauen ab, dessen Genese im zweiten Abschnitt kurz umrissen wird.

3.1 frauen in der ltte

Die Tamilen sind eine 3,2 Millionen Minderheit in den nördlichen und östlichen Regionen Sri Lankas. Akkurate demographische Daten sind schwer zu ermitteln, da der aktuellste Census 1983 genommen wurde. Dennoch wird die Bevölkerung auf zirka 74 Prozent Singhalesen, die hauptsächlich Buddhisten sind, und zirka 13 Prozent Tamilen, die vor- wiegend Hindus sind, geschätzt (Alison 2003, 38). Seit 1983 kämpfen die LTTE — häu- figer nur Tamil Tigers genannt — um sich von der singhalesischen Mehrheit abzuspalten und einen eigenen unabhängigen tamilischen Staat zu gründen (Cunningham 2003, 180). Die tamilische Separatistenbewegung entstand 1972 zusammen mit der säkularen Tamil United Liberation Front (TULF), die als eine Dachorganisation für verschiedene sezessionistische politische Gruppen fungierte.

1977 wurden auf 168 legislative Sitze in Sri Lanka lediglich 18 TULF Mitglieder ge- wählt, was in weitläufigen Unruhen, die sowohl von tamilischer als auch singhalesischer Seite ausgingen, mündete. Die Angst nie eine legale Opposition zu der singhalesischen Mehrheit darstellen zu können, führte zu der Gründung von fünf tamilischen Guerilla Or- ganisationen mit mehr als 2500 Mitgliedern insgesamt (Grosscup 1998, 239). Eine dieser Gruppen, die Eelam Peoples´ Revolutionary Liberation Front (EPRLF), war die erste, die Frauen rekrutierte und setzte damit ein Beispiel dem andere tamilische Militante folgten (Alison 2003, 38). 1979 begann auch die LTTE Frauen zu rekrutieren und 1986 war die LTTE die mächtigste und radikalste der tamilischen Terrorgruppen und hat die Rolle der EPRLF und anderer rivalisierender Gruppen abgelöst (Grosscup 1998, 234).

Obwohl sowohl die Singhalesen als auch die Tamilen in ihrem Kampf gegen die impe- rialistische Herrschaft drei verschiedenen Besatzungsmächten Widerstand leisteten, war keine dieser Widerstandsbemühungen durch die eine signifikante Präsenz von Frauen charakterisiert (Grosscup 1998, 235). Tamilische Frauen waren eine unterdrückte Min- derheit unter der imperialistischen Herrschaft und blieben, während der antikolonialen Widerstandsbewegungen und bis zu Beginn der sezessionistischen Bewegungen 1960 ge- gen Sri Lankas Autoritäten, politisch inaktiv. Starke politische Frauenrollen waren folg- lich nicht Teil der traditionellen tamilischen Gesellschaft. Als tamilische Frauen jedoch eine Möglichkeit erhielten die Grenzen ihrer beschränkten Geschlechterrollen durch die Partizipation in einer Terrororganisation zu überschreiten, änderte dies den Status quo und sie wurden schnell in die LTTE hineingezogen. Die LTTE gliederte Frauen auf al- len Strukturebenen ein und trainierte sie sowohl für Führungsaufgaben als auch für den Kampf (vgl. Gonzales-Perez 2008, 62). Von insgesamt 15.000 Mitgliedern wuchs die Anzahl der Frauen von 3000 im Jahr 1991 auf fast 5000 im Jahr 2001. Diese Frauen be- schaffen Informationen, treten in den Kampf, begehen Selbstmordattentate und führen Anschläge auf Zivilisten aus (Goldstein 2001, 83). Neben diesen Kampfhandlungen sind Frauen außerdem in der strategischen Organisation aktiv. 1994 waren drei Frauen in dem zwölfköpfigen Central Commitee, welches das höchste Organ der LTTE darstellt, ver- treten. Bis 2002 hat sich die Zahl auf fünf erhöht (vgl. Alison 2003, 47). Die Elite Kom- mandoeinheit Black Tigers, die Schlüsselwaffe der LTTE, besteht zwischen 35 und 50 Prozent aus Kämpferinnen.

[...]


2 Dschihad:„zielgerichtetes Mühen“. In Europa oft als „heiliger Krieg“ bezeichneter Kampf der Muslime zur Verteidigung und Ausbreitung des Islams (vgl. Duden Fremdwörterlexikon 1997, 207)

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Details

Title
Frauen im modernen Selbstmordterrorismus
College
Dresden Technical University
Author
Year
2009
Pages
46
Catalog Number
V201017
ISBN (eBook)
9783656270539
ISBN (Book)
9783656271000
File size
486 KB
Language
German
Keywords
Selbstmordterrorismus, Terrorismus, Selbstmordattentäter, Selbstmordattentäterinnen, Female suicide bombers, Märtyrer, Märtyrerinnen
Quote paper
Marie Luedtkes (Author), 2009, Frauen im modernen Selbstmordterrorismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201017

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