Fächerübergreifender Geschichtsunterricht am Gymnasium

Konzept einer Unterrichtsreihe zum Einsatz authentischer, fremdsprachlicher Quellen


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2012

41 Páginas, Calificación: 2,7


Extracto


INHALTSVERZEICHNIS

1 Einleitung

2 Grundlagen
2.1 Begriffserklärungen
2.2 Begründung des Themas
2.3 Grenzen dieses Konzepts

3 Lehrerfunktionen

4 Aufbau der Unterrichtssequenz
4.1 Analyse der Lerngruppe
4.2 Anbindung an den Kernlehrplan
4.3 Analyse des Materials und methodische Anregungen

5 Durchführung der Unterrichtssequenz
5.1 Erste Stunde: Einführung Plakatanalyse
5.2 Zweite Stunde: Nutzung von Wörterbüchern
5.3 Dritte Stunde: Historische Zusammenhänge
5.4 Vierte und Fünfte Stunde: Plakatanalyse und Darstellung
5.5 Sechste Stunde: Präsentation und Zusammenfassung
5.6 Siebte Stunde: Ergebnisse Kreativaufgaben und Evaluation . . .

6 Evaluation der Unterrichtssequenz

7 Schlussbemerkungen

8 Literaturverzeichnis

A Materialsammlung

B Beispiele Schülerergebnisse

Wer aber das Gewesene klar erkennen will und damit auch das Künftige, das wieder einmal, nach der menschlichen Natur, gleich oder ähnlich sein wird, der mag es so für nützlich halten, und das soll mir genug sein. Thukydides, I,22 1

1 Einleitung

Die Diskussion der Frage des Einsatzes von Quellen im Geschichtsunterricht reicht selbst weit zurück in die Geschichte. Seit über zwei Jahrhunderten wird die Frage nach dem Wert und Nutzen des Quelleneinsatzes in der Schule dis- kutiert. Diese Diskussion war allerdings selten objektiv und meist von per- sönlichen oder gar „standes- und gesellschaftspolitischen Überzeugungen“2 geprägt. Stets war nicht nur die Bedeutung der Quelle für den Geschichts- unterricht, sondern auch die Bedeutung des Begriffs „Quelle“ einem Wandel unterworfen. Der Kernlehrplan Geschichte bezieht jedoch eindeutig Stellung, indem er als ein Ziel des Geschichtsunterrichts definiert, dass Schüler3 „wis- sen, dass und wie eine Kenntnis der Vergangenheit über die Interpretation von Quellen und die Analyse von Darstellungen gewonnen werden kann.“4

Eine besondere Bedeutung kommt im Geschichtsunterricht auch der Schaffung von Multiperspektivität und der Ermöglichung von Alteritätser- fahrungen durch die Schüler zu.5 Dieses Ziel hängt jedoch sehr stark ab vom Einsatz entsprechender Quellen, die diese Perspektiven und Erfahrungen ermöglichen. Eine ernsthafte und authentische Erfahrung dieser Anders- artigkeit kann aber durch die oftmals in Geschichtsbüchern enthaltenen Übersetzungen von fremdsprachlichen Quellen nur sehr schwer oder gar nicht erreicht werden, da eben die Sprache die Grundlage dieser Quellen darstellt. Hier eröffnet sich also ein Betätigungsfeld für den Geschichts- unterricht, das nicht nur fachspezifische Problemstellungen und somit den Schülern interessante Lernmöglichkeiten bietet, sondern auch fachübergrei- fende Kompetenzen schult, festigt und deren Sinnhaftigkeit unterstreicht. Hier bietet sich insbesondere eine Anknüpfung an das Fach Englisch an, da Englisch nicht nur als lingua franca einen festen und frühzeitigen Stellenwert im schulischen Curriculum besitzt, sondern aufgrund der historischen Ereignisse speziell im 20. Jahrhundert englischsprachige Quellen Perspektiven ehemaliger Feinde darstellen.

Etliche Schulen verfügen bereits über einen bilingualen Geschichtsunter- richt. Dieser bilinguale Unterricht eröffnet aber nicht nur zahlreiche neue Lernmöglichkeiten, sondern stellt auch besondere Anforderungen an Schü- ler und Lehrer gleichermaßen. Oftmals ist die Einrichtung eines dezidiert bi- lingualen Unterrichts aufgrund verschiedenster Faktoren nicht möglich oder nicht erwünscht. Um diesem Problem zu begegnen und Schülern trotzdem ei- ne auf authentischen Quellen beruhende Alteritätserfahrung oder einen Per- spektivwechsel bieten zu können, reicht aber vorerst auch der Einsatz au- thentischer, fremdsprachlicher Quellen unter entsprechender Anleitung aus. Es eignen sich naturgemäß insbesondere Quellen, deren textliche Aussage durch andere Kanäle wie beispielsweise Bilder oder Zeichnungen unterstützt wird.

In dieser Arbeit wird deshalb das Konzept einer Unterrichtsreihe, die US- amerikanische Propagandaplakate aus dem Zweiten Weltkrieg als authenti- sche Quellen einsetzt, um Schülern neben dem Erlernen der neuen Metho- de der Plakatanalyse auch einen Perspektivwechsel oder gar Alteritätserfah- rung anzubieten, vorgestellt und evaluiert, um dem Problem der fehlenden Authentizität der Quellen und somit der oftmals fehlenden Möglichkeit zum Fremdverstehen entgegen zu wirken. Dieses Konzept soll auch Kollegen als Handreichung dienen, die ohne das Hintergrundwissen des Zweitfachs Eng- lisch eine Unterrichtssequenz durchführen wollen, die die Analyse von Propa- gandaplakaten anhand authentischer Quellen ins Zentrum stellt.

2 Grundlagen

2.1 Begriffserkl ä rungen

Bereits in der Einleitung ist deutlich geworden, dass der Begriff der Quel- le aufgrund der Bedeutungsänderung im Lauf etlicher Jahrzehnte einer ge- nauen Erklärung und Definition bedarf.6 Daneben eröffnen sich weitere mit dem Quellenbegriff in engem Zusammenhang stehende Definitionsfragen, die im Hinblick auf das Thema dieser Arbeit von Bedeutung sind. Für den Geschichtsunterricht, aber auch für den Historiker, stellen Quellen die „ur- sprünglichste Information“7 dar. Eine Forderung an eine Quelle ist die größt- mögliche zeitliche Nähe der Quelle zum Ereignis, denn die Quelle dient His- torikern und Schülern als notwendige historische Erinnerung, die erst his- torische Erkenntnisprozesse ermöglicht. Die Quelle ist das Mittel, das Schü- lern erlaubt, das Denken und Handeln von Menschen in der Vergangenheit zu erkennen und zu verstehen. Oftmals werden Quellen mit Hilfe der For- mulierung des Historikers Paul Kirn definiert: er beschreibt Quellen als „alle Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann.“8 Dieser Definition folgend dienen für das vorliegen- de Konzept US-amerikanische Propagandaplakate aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs als Quellen und somit Schlüssel zur Vergangenheit.

Bei diesem Konzept handelt es sich um didaktische Überlegungen, die im Rahmen der Vermittlung fachlicher Inhalte den Schülern einen Zugang zur emotionalen Geschichte der Bürger der USA in der Zeit des Zweiten Welt- kriegs eröffnen. Die Fachliteratur bezeichnet diesen emotionalen und empa- thischen Zugang zur Geschichte oft als Fremdverstehen. So ordnet auch die Redaktion von Brockhaus-Warig den Begriff des „Fremdverstehens“ in der Ausgabe von 1981 der Psychologie zu und definiert ihn als „Verstehen einer anderen Person durch Einfühlen, Analogiebildung und die Vorstellung, die- se Handlung selbst durchzuführen.“ Heute wird dieser Begriff oftmals wei- ter definiert und steht in engem Zusammenhang mit modernen Fremdspra- chen. Dies beruht vor allem auf der hermeneutischen Auffassung, dass wir uns nicht deshalb verstehen, „weil wir ein identisches Wesen besitzen, son- dern weil wir mit dem Anderen in einen Dialog treten können.“9 Dieser Dia- log jedoch bedarf fundierter Kenntnisse, nicht nur der fremden Sprache, son- dern auch der fremden Kultur und deren Wertvorstellungen. Dies wiederum übertragen auf den Geschichtsunterricht setzt voraus, dass den Schülern be- reits ein Zugang zur Sprache vorliegt, um überhaupt in einen Dialog mit der Geschichte einer fremden Kultur, die es zu verstehen gilt, zu ermöglichen. Je besser ausgeformt diese Grundlagen der Sprache, aber im folgenden auch kul- turspezifische Wertvorstellungen, sind, desto genauer und detaillierter wird auch das Fremdverstehen initiiert. Weiter noch als das Verstehen oder Nach- vollziehen geht die Erfahrung, die eigene Person in die Andersartigkeit zu übertragen. Derartige Alteritätserfahrungen sind immer auch Ziel des mo- dernen Geschichtsunterrichts.10 Auch in diesem Konzept werden die Schüler Alterität erfahren können und so in die emotionale Welt historischer Ereig- nisse eintauchen.

2.2 Begr ü ndung des Themas

Die Entscheidung, diese Arbeit unter die Überschrift authentischer Quellen zu stellen, folgt im Großen und Ganzen Hans-Jürgen Pandels Forderung nach mehr Authentizität im Geschichtsunterricht.11 Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang nicht den authentischen Quellen an sich zu, denn sowohl zur Beschaffenheit, Beschaffung wie zur Nutzung im Unterricht ist bereits reichlich geforscht und geschrieben worden. Von viel größerer Bedeu- tung ist der Mehrwert, den diese Quellen dem modernen Geschichtsunterricht gegenüber übersetzten oder der unterrichtlichen Praxis angepassten Quellen liefern.

Diese Arbeit fußt im Wesentlichen auf zwei wichtigen Säulen, die jedoch eng miteinander verbunden sind: zum einen ist dies die Notwendigkeit des Einsatzes authentischer Quellen im Geschichtsunterricht, da diese oftmals nicht nur von Schulbüchern, sondern auch von Curricula und Kollegen bei der Umsetzung derselben wenig Beachtung finden oder ihre Authentizität durch Übersetzung einbüßen. Zum anderen sollen die Schüler der neunten Jahrgangsstufe die Methode der Plakatanalyse erlernen.12 Die Kombination dieser beiden Aspekte eröffnet den Schülern nicht nur die Möglichkeit eines Perspektivwechsels, sondern ist auch in der Lage Fremdverstehen zu fördern, Alteritätserfahrungen zu initiieren und den Schülern fachübergreifend den Nutzen und die Sinnhaftigkeit des Faches Englisch zu verdeutlichen.13 So werden in dieser Unterrichtsreihe neben wissenschaftspropädeutischen An- sätzen auch bereits Grundlagen für die Bearbeitung fremdsprachlicher Quel- len gelegt.

Das Gymnasium . . . hat durch seine altsprachliche Ausrichtung in der mo- dernen Schullandschaft stets eine besondere Rolle gespielt: bis vor wenigen Jahren war Latein nicht nur die erste, sondern auch die einzige Fremdspra- che, die die Schüler bis zur siebten Klasse erlernen konnten. Heute wird Englisch zwar ab der fünften Klasse unterrichtet, jedoch mit verringerter Stundenzahl. Nichtsdestotrotz ist heute ein akademischer Werdegang ohne Englischkenntnisse weitgehend ausgeschlossen. Aus diesem Grund legen die Fachschaften der neuen Fremdsprachen am Gymnasium . . . hohen Wert dar- auf, die Praxistauglichkeit ihrer Sprachen zu betonen und den Schülern die Unterschiede zum eher theoriegeleiteten Umgang mit Sprache, wie sie ihn im Lateinunterricht erleben, deutlich zu machen. Hierzu eignet sich die vorlie- gende Reihe ebenfalls, da die Schüler die Fremdsprache Englisch zur geziel- ten Informationsaufnahme verwenden.

Neben ihrer Funktion als Mittel zur Informationsaufnahme und -übertragung ist Sprache aber auch immer die grundlegendste Kulturtechnik gewesen und steht somit in enger Wechselwirkung mit jeder Art von Kultur. Oftmals ist eine spezifische Sprache auch Ausdruck einer besonderen Kultur- ja, Kultur ist abhängig von einer bestimmten Sprache. Nicht ohne Grund stellten die Vereinten Nationen das Jahr 2008 als „UN-Jahr der Sprachen“ unter eben dieses Motto des Zusammenhangs von Sprache und Kultur.14 Den Schülern zu verdeutlichen, dass neben Sprach- auch immer Kulturbarrieren ein problemloses Zusammenleben in unserer ständig globaler agierenden Ge- sellschaft verhindern, ist ebenfalls ein Ziel dieser Reihe. Eine fremde Sprache öffnet immer auch eine Tür in eine fremde Kultur- und nur die Kenntnis der Sprache und der Kultur ermöglicht ein gegenseitiges Verständnis. Durch die Verwendung der Fremdsprache Englisch wird bei den Schülern ein Perspek- tivwechsel eingeleitet, der durch „Fremdverstehen“ auch neue Bewertungs- und Handlungsoptionen bietet.

Diese Reihe zielt also auf unterschiedliche Kompetenzebenen ab. Ne- ben Sachkompetenz zur US-amerikanischen Propaganda werden auch Me- thodenkompetenzen, Urteilskompetenz und Handlungskompetenz geschult. Im Bereich der Methodenkompetenzen steht hier natürlich die Analyse von Propaganda- und politischen Plakaten im Mittelpunkt. Durch den Einsatz einer internetgestützten Quellensammlung werden die Schüler ebenfalls er- neut für den Umgang mit dem Internet als Informationsquelle und den damit verbundenen Möglichkeiten und Risiken sensibilisiert. Je nach Lernstand im Bereich der Medienkompetenz der Schüler bietet es sich an, im Verlauf der Sequenz dieses Vorgehen explizit zu thematisieren und so den Umgang mit dem Internet als Informationsquelle durch eine Metareflexion zu hinterfra- gen. Dieses Thema würde jedoch selbst mindestens den Umfang einer weite- ren schriftlichen Hausarbeit haben und kann somit nicht Teil dieses Konzepts sein. Es finden sich jedoch mittlerweile bei zahlreichen Verlagen entsprechen- de Handreichungen für Lehrer, die dieses Thema aufgreifen - auch wenn diese meist nicht explizit digitale Archive thematisieren.

Die Förderung der Urteils- und Handlungskompetenz der Schüler ist in diesem Konzept eng verzahnt mit der Ausbildung oder Förderung von Fremd- verstehen oder gar Alteritätserfahrungen. Hier findet sich ein weiterer An- knüpfungspunkt an die Didaktik der modernen Fremdsprachen, in denen meist der Begriff des interkulturellen Lernens genutzt wird. Für diese Fremd- sprachen definiert Herbert Christ „interkulturelles Lernen“ als „[. . . ] ein[en] Lernprozess, in dem nicht der Informationsgewinn als ausschlaggebendes Kriterium dienen kann, an dem der Er- folg zu messen wäre, sondern die Veränderung des eigenen Stand- punkts.“15

Eben diese Veränderung des eigenen Standpunkts ermöglicht den Schülern, „historische Phänomene in den Kontexten ihrer jeweiligen Zeit und Gesell- schaft zu verstehen und [. . . ] ein begründetes Urteil zu formulieren.“16

Diese fächerübergreifende Verbindung insbesondere der Fächer Geschich- te und Englisch hat in den letzten Jahren einen wahren Boom bilingualer Unterrichtsmodelle hervorgebracht. Einen Überblick gibt zum Beispiel Mar- kus Bernhardt.17 Da am Gymnasium . . . bisher kein bilingualer Geschichts- unterricht etabliert ist, findet diese Reihe im Rahmen des einsprachigen Ge- schichtsunterrichts statt. Dies hat den Vorteil, dass die vorliegende Reihe auch von Kollegen ohne Zweitfach Englisch durchgeführt werden kann und ermöglicht somit auch einen leichteren Transfer an andere Schulen, die eben- falls noch nicht die Vorteile des bilingualen Lernens nutzen können.

2.3 Grenzen dieses Konzepts

In einer ständig enger zusammen rückenden Welt hat die Ausbildung einer so- zusagen ebenfalls globalisierten Handlungskompetenz der Schüler einen im- mensen Stellenwert eingenommen. Jedoch, obwohl diese Ziele, alle Schüler als Bürger einer globalisierten Welt und mit entsprechenden interkulturellen Fähigkeiten ausgestattet aus der Schule ins Leben zu entlassen, durchaus er- strebenswert sind, gibt es etliche Faktoren, die das interkulturelle Lernen und somit Fremdverstehen nicht nur in Bezug auf historische Aspekte, sondern auch in der Lebenswirklichkeit der Schüler, deutlich einschränken. Auch die- ses Konzept findet daher seine Grenzen in den Wertvorstellungen der Schü- ler. Eine Vermittlung von Toleranz18 und Empathie kann nur dann gelingen, wenn diese bereits im Elternhaus angebahnt und losgelöst von anderen, egois- tischen Interessen stattfindet.19 Um die Mitarbeiter international agierender Unternehmen in interkulturellen Kompetenzen zu schulen, hat sich beispiels- weise bereits eine eigene Branche etabliert, die jedoch statt der Vermittlung von Urteils- und Handlungskompetenzen lediglich einen Knigge für das inter- nationale Parkett mit entsprechenden Verhaltensregeln und -normen liefert, um wirtschaftliche Interessen auf internationalen Märkten nicht zu gefähr- den.20 Es kann daher selbstverständlich nicht gelingen, im Rahmen dieses Konzepts eine entsprechende Werteerziehung nachzuholen und die Ausrich- tung elterlicher Werteerziehungen zu verändern. Auch bleibt weiterhin fraglich, wie entsprechende Werteerziehungen evaluiert und gesichert werden können und welche langfristige Wirkung erhalten bleibt. Daher kann auch die Evaluation dieses Konzepts21 lediglich einen Überblick über vermeintliche Lernzuwächse geben und aus den Äußerungen der Schüler schlussfolgern, inwieweit dieses Konzept seine Lernziele erreicht hat.

Da jedoch in der Zeit der Pubertät viele Jugendliche eine Orientierung su- chen und eigene oder gesellschaftliche Wertvorstellungen hinterfragen, ist ein Einsatz dieses Konzepts ungeachtet all dieser Grenzen und Probleme sinn- voll, da durch die Auseinandersetzung mit und die Versetzung hinein in frem- de Wertvorstellungen und gesellschaftliche Normen und Werte einer fremden Kultur nicht nur Handlungs- und Urteilskompetenzen geschult werden, son- dern auch Handlungsalternativen vorgestellt und so in den Fokus der Schüler gerückt werden.

3 Lehrerfunktionen

Das vorliegende Konzept für eine Unterrichtssequenz fördert nahezu alle im Kernlehrplan Geschichte festgelegten fachspezifischen Kompetenzen.22 Des- halb ist auch der Lehrer in unterschiedlichen Funktionen gefordert.23 Insbe- sondere die Funktionen Erziehen sowie Unterrichten stehen bei dieser Rei- he im Vordergrund. Durch die fächerübergreifende Anlage der Sequenz kann durch Lehrer mit der Fächerkombination Geschichte und Englisch jedoch auch die Funktion des Diagnostizierens übernommen werden, sofern dies für die Gestaltung des Fachunterrichts Englisch sinnvoll erscheint. Da dieses Konzept jedoch nicht ausschließlich von Kollegen mit entsprechender Fächer- kombination durchgeführt werden soll, steht diese Lehrerfunktion nicht im Fokus dieser Arbeit.

Da dieses Konzept insbesondere die Urteils- und Handlungskompetenz der Schüler fördert, ist die primäre Funktion des Lehrers im Verlauf der Un- terrichtssequenz das Erziehen 24. Durch die Auseinandersetzung mit den spe- zifischen Werten und Weltanschauungen einer fremden Kultur und das em- pathische Nachempfinden der Wirkung der Propagandaplakate werden den Schülern nicht nur Möglichkeiten der Persönlichkeitsentwicklung, die in den Jahren der Pubertät und der damit verbundenen Selbstfindung eine besonde- re Rolle spielen, aufgezeigt, sondern auch neue und zumeist unbekannte kul- turelle und sozialisierende Einflüsse beleuchtet, die den Schülern über den Weg des Verstehens und Nachempfindens Grundlagen für Verständnis und Toleranz von Andersartigkeit im Allgemeinen ermöglichen. Durch die Ausein- andersetzung mit spezifischen Werthaltungen und kulturellen Unterschieden erhalten die Schüler zugleich eine Orientierung für ihr eigenes Leben, die ihnen nicht nur Verständnis und Offenheit gegenüber fremden Kulturen ab- verlangt, sondern auch Wertmaßstäbe für die eigene Kultur und eigene Hand- lungsweisen liefert. An dieser Stelle findet der Übergang von der Urteils- zur Handlungskompetenz statt. Unter dem Aspekt der Globalisierung wird dem Lehrer neben der Vermittlung von fachlichen Inhalten die Pflicht zugewiesen, seine Schüler auf ein aktiv teilhabendes Leben in dieser Welt vorzubereiten und sie durch die Ausfüllung der Lehrerfunktion Erziehen mit den nötigen Kompetenzen auszurüsten, damit sie in dieser Welt nicht nur bestehen, son- dern diese auch verstehen können.

Neben der bereits genannten Funktion des Erziehens kommt dem Lehrer in diesem Konzept ebenfalls die Funktion des Unterrichtens 25 zu. Obwohl mit diesem Konzept selbstverständlich bereits eine Planungsgrundlage geschaf- fen wird, trägt jeder Kollege selbst immer noch die Verantwortung für die Detailplanung und die notwendige Anpassung dieses Konzepts an die eige- ne Lehr- und Lernsituation. Neben der Planung und Durchführung der Se- quenz fällt dem Lehrer mit der Förderung des selbstständigen Lernens so- wie der gegebenenfalls notwendigen Vermittlung entsprechender Lernstrate- gien eine weitere Ausprägung dieser Funktion zu. Insbesondere in Phasen der Gruppenarbeit26 kann der Lehrer außerdem mit bestimmten Fördermaßnah- men und Unterstützung den Lernerfolg aller Schüler nachhaltig beeinflussen und sichern. Bereits in der Begründung des Themas27 ist der Einsatz neuer Medien als ebenfalls wichtiger Aspekt dieser Unterrichtssequenz postuliert worden. Auch hier ist es Aufgabe des Lehrers, die neuen Medien sach- und adressatengerecht einzusetzen. Durch die recht enge Führung der Schüler beim Einsatz neuer Medien - hier insbesondere des Internets als Informati- onsquelle - ist jedoch eine falsche Nutzung nahezu ausgeschlossen. Je nach Lernstand der Schüler im Rahmen der fächerübergreifenden Medienkompe- tenz ist eine Reflexion über den Einsatz des Internets anzuraten. Da hierzu jedoch schon entsprechende Fachliteratur zur Reflexion zur Verfügung steht, wird in dieser Arbeit darauf verzichtet, entsprechendes Material zu evaluieren oder zur Verfügung zu stellen.

Zusammenfassend lässt sich also die Funktion des Lehrers in dieser Se- quenz durch unterschiedliche Ausprägungen des Erziehens und Unterrichtens als herausragende Aufgabenfelder beschreiben. Nichtsdestotrotz kann selbst- verständlich ein moderner, schülerorientierter und nachhaltiger Geschichts- unterricht nicht unter Auslassung der restlichen Lehrerfunktionen erfolgen. Diese spielen aber zumindest im Rahmen dieses Konzeptes eine unterge- ordnete Rolle, sollten jedoch trotzdem nicht vernachlässigt werden. Es emp- fiehlt sich selbstverständlich, auch diese Sequenz zur Leistungsmessung und -beurteilung einzusetzen und die Möglichkeiten der überfachlichen Kooperation zu nutzen.

4 Aufbau der Unterrichtssequenz

Einen guten Überblick über den aktuellen Forschungsstand gibt neben dem Standardwerk „Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht“28 auch Johan- nes Meyer-Hamme in seiner Dissertation, die auch in der Reihe „Schriften zur Geschichtsdidaktik“ einen Band füllt.29 Angelehnt an die Lernformen Bodo von Borries’ unterscheidet er vier unterschiedliche Lernformen im Ge- schichtsunterricht.30 Neben dem „Gedächtnis- und Reproduktionslernen“, bei dem hauptsächlich das Einprägen von Namen, Zahlen und einfachen Zusam- menhängen im Vordergrund steht, und dem Imitations- und Modelllernen, bei dem es darum geht, sich mit einer historischen Persönlichkeit zu identifizie- ren, ohne dies jedoch kritisch zu reflektieren, sieht Meyer-Hamme zwei wei- tere Lernformen, denen in diesem Konzept eine entscheidender Bedeutung zukommt. Im Bereich des Einsichts- und Entdeckungslernens, bei dem es um Analyse- und Interpretationsleistungen der Schüler geht, ist die Vermittlung der Methode der Plakatanalyse in dieser Sequenz verortet. Dieser Bereich lie- fert den Schülern, wie dies auch Mayer, Pandel und Schneider beschreiben,31

[...]


1 zitiert nach: Georg Peter Landmann: Thukydides. Geschichte des Peloponnesischen Krie- ges. Übersetzt und erläutert. München 1991.

2 Hans-Jürgen Pandel: Quelleninterpretation, Schwalbach/ Ts.: Wochenschau-Verlag,22003, S. 5.

3 Im Folgenden wird das generische Maskulinum Schüler genutzt, um sowohl das weibli- che wie auch das männliche Geschlecht zu repräsentieren. Dieses gilt selbstverständlich analog für alle weiteren generischen Maskulina.

4 Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen [Hrsg.]: Kern- lehrplan für das Gymnasium - Sekundarstufe I (G8) in Nordrhein-Westfalen. Geschichte. Düsseldorf/ Frechen: Ritterbach Verlag, 2007, S. 17.

5 vgl. ebd., S. 17.

6 Ein detaillierter Aufriss der Bedeutung des Quelleneinsatzes im Geschichtsunterricht so- wie eine detaillierte Übersicht über Quellengattungen und damit zusammenhängende Bezeichnungen oder Begriffserläuterungen gibt Hans-Jürgen Pandel in seiner Monogra- phie Quelleninterpretationen. Auf einen entsprechenden Detailreichtum und einen entsprechenden Umfang wird in dieser Arbeit aber verzichtet, da die unterrichtliche Praxis im Vordergrund stehen soll.

7 Pandel: Quelleninterpretation (wie Anm. 2), S. 10.

8 Paul Kirn: Einführung in die Geschichtswissenschaft, Berlin51969, S. 29.

9 Lothar Bredella/Herbert Christ: Didaktik des Fremdverstehens im Rahmen einer Theorie des Lehrens und Lernens fremder Sprachen, in: Lothar Bredella/Herbert Christ [Hrsg.]: Didaktik des Fremdverstehens, Tübingen: Narr, 1995, S. 8-19, hier S. 9.

10 vgl. Michael Sauer: Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Metho- dik, Seelze-Velber: Kallmeyer,32004, S. 64.

11 Um dem begrenzten Umfang dieser Arbeit Rechnung zu tragen, wird an dieser Stelle auf eine ausführliche Darstellung von Pandels Argumentation verzichtet, da dies ohnehin le- diglich eine Wiedergabe seiner Ausführungen wäre. Seine Ausführungen finden sich in Pandel: Quelleninterpretation (wie Anm. 2).

12 MSW NRW [Hrsg.]: Kernlehrplan Geschichte Sek. I G8 (wie Anm. 4), S. 29.

13 vgl. Bredella/Christ: Didaktik des Fremdverstehens (wie Anm. 9).

14 vgl. Helle Jeppesen: Sprache ist Identität, Deutsche Welle, Feb. 2008, URL: (besucht am 29. 04. 2012).

15 vgl. Herbert Christ: Fremdverstehen als Bedingung der Möglichkeit interkulturellen Ler- nens, in: Karl-Richard Bausch/Herbert Christ/Hans-Jürgen Krumm [Hrsg.]: Interkultu- relles Lernen im Fremdsprachenunterricht, Tübingen: Narr, 1994, S. 31-42. 16 MSW NRW [Hrsg.]: Kernlehrplan Geschichte Sek. I G8 (wie Anm. 4), S. 19. 17 vgl. Markus Bernhardt: Fremdverstehen als Bedingung der Möglichkeit interkulturellen Lernens, in: Jan Hodel/Béatrice Ziegler [Hrsg.]: Forschungswerkstatt Geschichtsdidak- tik 09. Berichte zur Tagung „geschichtsdidaktik empirisch 09“, Bamberg: Buchner, 2011, S. 214-223.

18 Da der Begriff Toleranz vielfach mit der lediglichen Hinnahme von Andersartigkeit ver- bunden wird und so der Aspekt des Dialogs ausgeblendet wird, werden neuerdings oft- mals andere Begriffe genutzt. Fordert das Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen lediglich die „Duldsamkeit und [. . . ] Achtung vor der Überzeugung des anderen“, so wird Toleranz heute oftmals als deutlich weiteres Feld gesehen, über das bisher trotz einer UNESCO-Toleranzdeklaration kein Einvernehmen hergestellt werden konnte. Dement- sprechend werden in der Literatur zahlreiche Begriffe zur Beschreibung von Toleranz angeboten. Da diese jedoch nicht allgemein anerkannt und verständlich sind, wird hier weiterhin der Toleranzbegriff verwendet.

19 vgl. Julia Bruchhausen: Entwicklung eines Konzepts für die Vor- und Nachbereitung der Fahrten des Europa-Projektes zur Förderung der interkulturellen Kompetenz der Schü- lerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 9 am Gymnasium Schloß Neuhaus, Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Zweiten Staatsprüfung, Studienseminar Paderborn - Gymna- sium/ Gesamtschule, 2006, S. 10.

20 Institut für interkulturelle Kompetenz und Didaktik e.V. [Hrsg.]: Interkulturelles Training, URL: (besucht am 04. 05. 2012).

21 vgl. Kapitel 6: Evaluation der Unterrichtssequenz, Seite 26.

22 vgl. MSW NRW [Hrsg.]: Kernlehrplan Geschichte Sek. I G8 (wie Anm. 4), S. 18-19.

23 vgl. dass. [Hrsg.]: Bereinigte Amtliche Sammlung der Schulvorschriften 2011/ 2012, Düs- seldorf/ Frechen: Ritterbach Verlag, 2012, 20-03 Nr. 21.3 ü.

24 Ebd., 20-03 Nr. 21.3 ü, Erziehen.

25 MSW NRW [Hrsg.]: BASS (wie Anm. 23), 20-03 Nr. 21.3 ü, Unterrichten. 26 vgl. Kapitel 4: Aufbau der Unterrichtssequenz, Seite 10. 27 vgl. Kapitel 2.2, Seite 4.

28 vgl. Hans-Jürgen Pandel/Gerhard Schneider [Hrsg.]: Handbuch Medien im Geschichtsun- terricht, Schwalbach/ Ts.: Wochenschau-Verlag,62011.

29 vgl. Johannes Meyer-Hamme: Historische Identitäten und Geschichtsunterricht. Fallstudi- en zum Verhältnis von kultureller Zugehörigkeit, schulischen Anforderungen und indivi- dueller Verarbeitung, Idstein: Schulz-Kirchner Verlag,12009.

30 vgl. ebd., S. 79.

31 vgl. Pandel/Schneider [Hrsg.]: Handbuch Medien im GU (wie Anm. 28).

Final del extracto de 41 páginas

Detalles

Título
Fächerübergreifender Geschichtsunterricht am Gymnasium
Subtítulo
Konzept einer Unterrichtsreihe zum Einsatz authentischer, fremdsprachlicher Quellen
Calificación
2,7
Autor
Año
2012
Páginas
41
No. de catálogo
V201057
ISBN (Ebook)
9783656274148
ISBN (Libro)
9783656274810
Tamaño de fichero
2096 KB
Idioma
Alemán
Notas
Ein Unterrichtskonzept zur Einbindung authentischer Quellen in den deutschsprachigen Geschichtsunterricht. Arbeit mit im Internet frei zugänglichen Materialien (siehe Anhang).
Palabras clave
Geschichtsunterricht, quellenarbeit
Citar trabajo
Oliver Kraatz (Autor), 2012, Fächerübergreifender Geschichtsunterricht am Gymnasium, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201057

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