Tagesfahrt München-Südtirol und zurück

Formen und Aspekte transnationaler Lebenswelten


Seminararbeit, 2012

17 Seiten, Note: 1,3

Lisa Fink (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Transnationalismus und transnationale soziale Räume

3. Hintergründe zu Strecke und Vorgehensweise
3.1 Tagesfahrt München-Südtirol und zurück
3.2 Die Besonderheit der Region Südtirol
3.3 Die Vorgehensweise

4. Formen und Aspekte transnationaler Lebenswelten
4.1 Bildung
4.1.1 Auslandsstudium
4.1.2 Aus- und Weiterbildung
4.2 Arbeitswelten
4.2.1 Aspekte der beruflichen Mobilität
4.2.2 Temporäre Arbeitsmigration
4.3 Soziale Beziehungen
4.3.1 Fernbeziehungen
4.3.2 Transnationale Familien

5. Schlusswort

6. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

70.000 Autos, 5328 Lastwagen und bis zu 220 Züge passierten allein im Jahr 2008 täglich den Brennerpass. Zugleich wurden rund 50 Millionen Tonnen Fracht auf der wichtigsten Transitstrecke Europas transportiert, rund 35 Millionen Tonnen davon auf der Straße, 15 Millionen auf dem Schienenweg. Trotz zahlreicher Klagen seitens der Anwohner gegen die dadurch verursachte Umweltverschmutzung, gilt die Brennerautobahn nach wie vor als schnellste und günstigste Verbindung nach Süden.[1]

Der Brennerpass stellt somit einen Akkumulationspunkt, eine Schnittstelle zahlreicher individueller Wege und Lebenswelten dar. Eben diese individuellen Wege und Lebenswelten, die Individuen dazu veranlassen, über nationale Grenzen hinweg zu agieren, sollen Thema der vorliegenden Seminararbeit sein.

Nach einer kurzen Betrachtung des Begriffs der Transnationalität, bzw. der transnationalen Räume sowie einer kurzen Erläuterung der Hintergründe zu der untersuchten Strecke und der verwendeten Vorgehensweise, sollen unterschiedliche Formen und Aspekte transnationaler Lebenswelten anhand meiner durch teilnehmende Beobachtung erbrachten Erkenntnisse während diverser Fahrten mit einem Bus von München nach Bozen in Südtirol und zurück, als Beispiel für einen Schnittpunkt transnationaler Lebenswelten, die tagtäglich den Brennerpass überqueren, thematisiert werden.

In den Kulturwissenschaften ist die Thematik der transnationalen Lebenswelten insbesondere im Bereich der Migrations- und Biographieforschung einzuordnen, zwei Forschungsrichtungen, die sich beide durch Globalisierungsprozesse und Internationalisierung, die „Lebensläufe diversifiziert und Wanderungsbewegungen beschleunigt“ haben, unter „Mobilitätsdruck“ gesetzt und zu einer Neuausrichtung herausgefordert sehen. Beide interdisziplinären Forschungsrichtungen sehen sich heute daher vor die Aufgabe gestellt, ihre Theorie und Methodik daraufhin zu verändern, dass sie „den empirischen Befunden mobilisierter Biographien und Wanderungsbewegungen gerecht werden“ können.[2] Die vorliegende Arbeit soll, in Form einer kleinen empirischen und analytischen Analyse, einen kleinen Teil hierzu beitragen.

www.sueddeutsche.de/auto/brennerautobahn-im-durchfahrland-1.169036 (23.07.2012)

Bauschke-Urban, Carola 2010: Im Transit. Transnationalisierungsprozesse in der Wissenschaft. Wiesbaden: VS Verlag, S.129

2. Transnationalismus und transnationale soziale Räume

Während in den 1990er Jahren die Vokabel ‚Globalisierung’ zu einem Schlüsselbegriff in der allgemeinen und sozialwissenschaftlichen Debatte wurde, begann in der Migrationsforschung der Begriff ‚Transnationalität’ „als Spezialfall der Globalisierungsforschung zu florieren“.[3] Auf Grund der verhältnismäßig späten Entdeckung der Thematik der transnationalen Migration kann, nach Bürkner, der Eindruck entstehen, es handle sich bei Transnationalismus ausschließlich um ein spezifisches Phänomen der Globalisierung. Tatsächlich lassen sich jedoch historische Migrationsbewegungen aufzeigen, die schon vor der aktuellen ‚Globalisierung’ transnationale Züge aufweisen, so dass das Neuartige an der aktuellen transnationalen Migration in erster Linie ihre Regelmäßigkeit und kurze Dauer sind, welche erst in der heutigen Zeit durch eine verbesserte Verkehrs- und Kommunikationsstruktur möglich sind.[4]

Ausgangspunkt des Transnationalismusansatzes, dessen Schlüsselbegriffe ‚Transnationalismus’ und ‚Transmigration’ darstellen, ist die Feststellung einer zunehmenden Bedeutung von zirkulären und temporären Arbeitsmigrationsprozessen.[5]

Im Gegensatz zu den internationalen Migrationsströmungen, die seit den 60er Jahren als unidirektional verstanden werden und den bidirektionalen Pendel-Migrationsprozessen, die ab den 80er Jahren vermehrt zunehmen, werden Lebensläufe von Migranten heute als multidirektional beschrieben, man spricht von „plurilokalen Lebensführungen“ und „plurilokalen Wirklichkeiten“. Als wichtigstes Merkmal des Transnationalismus erschließt sich hieraus, „dass Migranten im Migrationsprozess verschiedene ökonomische, kulturelle, soziale und politische Beziehungen zu mehr als einem Nationalstaat entwickeln“. Fragen der Zugehörigkeit können folglich nicht mehr nur im Rahmen des Nationalstaates verstanden werden. Migranten organisieren durch die Entstehung transnationaler Gemeinschaften ihre Beziehungen und Netzwerke auf translokaler Ebene, so dass man hierbei von de-lokalisierten sozialen Wirklichkeiten sprechen kann, von eigenständigen Organisationsformen neuer Migrationsprozesse die sich zwischen Herkunfts- und Ankunftsregion entwickeln.

Bei diesen neu entstehenden „transnationalen sozialen Räumen“ geht man von einer neuen Grenzziehung aus, so dass diese nicht mehr in den traditionellen Grenzen von Herkunfts- und Ankunftsregion liegen.[6]

Neu ist auch, dass man die „eindimensionale“ Sichtweise von Push- und Pull-Faktoren aufgibt und von einer „kumulativen“ Verursachung von Wanderungen ausgeht, wobei die Netzwerke der Migranten eine essentielle Rolle spielen und den Migrationsprozess verstärken, „schließlich ist die Entfaltung transnationaler sozialer Räume von der Existenz sozialer Netzwerke zwischen Migranten und Nicht-Migranten in verschiedenen Nationalstaaten abhängig“. Migrantennetzwerke werden als soziale Einheiten aufgefasst, auf deren Mesoebene Forschungen mikrotheoretische Ansätze wie etwa Handlungstheorien, individuelle Motive, Gründe und Ursachen von Migration erklären, und mit makrotheoretischen Konzepten koppeln sollen.[7]

Durch Transmigration bilden sich qualitativ neue soziale Wirklichkeiten und demnach neue transnationale Identitäten. Diese bedienen sich der Elemente der Herkunfts- und der Ankunftsregion und vermischen diese zu etwas Neuem und Eigenem.

Bezeichnend für diesen Ansatz ist auch, dass von dem ehemaligen soziologischen Container-Konzept abgelassen wird, bei dem Migrationsströmungen nur dann soziologisch von Interesse sind, wenn sie als Wechsel von einem nationalen Behälter in den anderen stattfinden. Nach Pries stößt dieses Verständnis an seine Grenzen, während das Konzept der transnationalen Räume von einer Neubestimmung des Verhältnisses von geographischem und sozialem Raum ausgeht. Die Ortsbindung von sozialen Gruppen und Gemeinschaften wird aufgehoben, während die im alten Raummodell vorherrschende Verschachtelung von sozialem und geographischem Raum „zu einer Aufstapelung unterschiedlicher sozialer Räume im gleichen Flächenraum und der Ausdehnung sozialer Räume über mehrere Flächenraume“ wird.

Neu bei dem Ansatz des Transnationalismus ist also lediglich, dass die transnationale Perspektive den Container des Nationalstaats verlässt, und sich dem transnationalen Sozialraum widmet, der sich –nach Pries- „pluri-lokal über verschiedene Nationalgesellschaften hinweg“ aufspannt.

3. Hintergründe zu Strecke und Vorgehensweise

3.1 Tagesfahrt München-Südtirol und zurück

Da ich selbst, aus privaten Gründen, in der Regel ein bis zweimal pro Monat von München nach Südtirol und zurück fahre, bot sich diese Strecke für meine Untersuchung transnationaler Lebenswelten an.

Die Firma Rauchreisen, eines der führenden Reiseunternehmen Südtirols, mit Reisebüros in Bozen, Kaltern und Vintl, bietet - bis auf wenige Ausnahmen im Jahr – täglich eine Tagesfahrt von Südtirol nach München und zurück an. Der Bus fährt um 5.15 Uhr am Bozener Hauptbahnhof –wohin Passagiere aus den umliegenden Gemeinden per Zubringerbus gebracht werden- ab, fährt über Brixen und Sterzing, überquert den Brenner, macht bei Innsbruck eine Pause und erreicht München gegen 9.30 Uhr, von wo aus er –für jene, die noch am selben Tag zurück fahren – um 17 Uhr vom Hauptbahnhof und 17.30 Uhr vom Max-Josephs-Platz abfährt, um gegen 21.15 Uhr Bozen zu erreichen, von wo aus Zubringerbusse die Mitfahrenden weiter in die umliegenden Gemeinden bringen.[8]

3.2 Die Besonderheit der Region Südtirol

Es sollte noch erwähnt werden, dass es sich bei der Tagesfahrt von Südtirol nach München und zurück zwar um eine Reise über zwei Nationalgrenzen - die italienisch-österreichische und die österreichisch-deutsche Grenze - hinweg, handelt, wodurch man also von einer transnationalen Bewegung sprechen kann, wobei zu beachten ist, dass es sich bei der Region Südtirol, obgleich zu Italien gehörend und trotz 70% Italienisch-Sprachiger Einwohner in der Hauptstadt Bozen, dennoch um eine überwiegend deutschsprachige Region handelt, die Tagesfahrt nach München also eine Reise innerhalb des deutschsprachigen Raumes darstellt und auf Grund des eher ländlichen Charakters Südtirols, die nächstgelegene Großstadt - neben Verona und Innsbruck - München darstellt, weshalb nahe liegt, dass die Einwohner Südtirols für diverse Erledigungen und Anlässe in die doch schnell erreichbare Großstadt reisen.[9]

3.3 Die Vorgehensweise

Für meine Untersuchung interessierten mich insbesondere die folgenden zentralen Fragestellungen: „Wer nutzt wie und warum das Angebot der täglichen München-Tagesfahrt mit dem Bus und zu welchem Zweck ?“ Das „Wer“ bezieht sich verständlicherweise auf die Personen, welche die Tagesfahrt nutzen, während das „wie“ beschreibt, was sie während der Fahrt tun und das „warum“ meint die Frage, aus welchem Grund sie etwa nicht den Zug oder das Auto vorziehen. Für meine Untersuchung zentral ist jedoch die Frage nach dem „Zweck“ der Reise, also die Frage, aus welchem Anlass Menschen das Angebot der Tagesfahrt wahrnehmen und welche Lebenswelten sich dahinter verbergen. Auf Grund der beschränkten Kapazität einer Hausarbeit soll der Fokus daher hauptsächlich auf letzteren Aspekt gelegt werden.

[...]


[3] Goeke, Pascal (2007): Transnationale Migrationen. Post-jugoslawische Biografien in der Weltgesellschaft. Bielefeld: Transcript Verlag, S.9

[4] Becker, Jörg (2010): Erdbeerpflücker, Spargelstecher, Erntehelfer. Polnische Saisonarbeiter in Deutschland – temporäre Arbeitsmigration im neuen Europa. Bielefeld: Transcript Verlag, S.42

[5] ebd., S.37ff.

[6] Pries, Ludger (1999): New Migration in Transnational Spaces. In: Pries, Ludger (Hg.): Migration and Transnational Social Spaces. Aldershot; Brookfield USA; Singapore; Sydney, S.29

[7] Becker, Jörg (2010): Erdbeerpflücker, Spargelstecher, Erntehelfer. Polnische Saisonarbeiter in Deutschland – temporäre Arbeitsmigration im neuen Europa. Bielefeld: Transcript Verlag, S.38ff.

[8] www.rauchreisen.it (28.07.2012)

[9] Messner, Reinhold (2006): Gebrauchsanweisung für Südtirol. München: Piper Verlag

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Tagesfahrt München-Südtirol und zurück
Untertitel
Formen und Aspekte transnationaler Lebenswelten
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Insitut für Volkskunde/Europäische Ethnologie)
Veranstaltung
Seminar "Transnationale Lebenswelten"
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
17
Katalognummer
V203189
ISBN (eBook)
9783656301004
ISBN (Buch)
9783656301073
Dateigröße
445 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
tagesfahrt, münchen-südtirol, formen, aspekte, lebenswelten
Arbeit zitieren
Lisa Fink (Autor:in), 2012, Tagesfahrt München-Südtirol und zurück , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203189

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