[...] Das Bild des Säuglings hat sich gewandelt und man betrachtet ihn nun auch als ein aktives, differenziertes und beziehungsfähiges Wesen. Diese neue Sicht drückt sich auch aus in einer neuen Bezeichnung: der kompetente Säugling. Trotzdem ist die Erforschung des Säuglings und seiner Fähigkeiten nicht einfacher geworden, aber man besitzt heute durch die enorme Verbesserung der technischen Möglichkeiten viel bessere Instrumente um den Säugling genau zu beobachten. Einige Methoden der Säuglingsforschung werde ich am Beginn meiner Arbeit vorstellen. Ich werde aber nur auf Methoden die mit der Beobachtung von Säuglingen zu tun haben eingehen. Selbstverständlich gibt es über diese hinaus noch viele weitere methodische Möglichkeiten das Wesen und die Fähigkeiten des Säuglings zu erfassen beispielsweise in Form von Entwicklungstests die mehr den körperlichen Bereich untersuchen, oder Bindungstests, welche Auskunft über die Qualität der Beziehung zwischen Mutter und Kind geben. Sogar Intelligenztests für Säuglinge gibt es. Als zweiten Schwerpunkt meiner Arbeit werde ich ein aktuelles bzw. bereits ausgewertetes Projekt der Säuglingsforschung vom Institut für Psychologie an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt vorstellen. Ans Ende dieser Arbeit möchte ich einige kritische Gedanken zur Forschung mit Säuglingen stellen.
Inhaltsverzeichnis
1. Warum Säuglingsforschung?
2. Methoden der Säuglingsforschung
2.1. Veränderungen in der Säuglingsforschung
2.2.1. Präferenzmethode
2.2.2. Die Habituierungsmethode
2.2.3. Visueller Paarvergleich
2.2.4. Überraschungsparadigma
2.2.5. Methoden der visuellen Erwartung
2.2.6. Suchaufgaben
2.2.7. Verzögerte Nachahmung
3. Einblicke in eine aktuelle Untersuchung zur Verzögerten Nachahmung
3.1. Überblick über die Entwicklung der Untersuchung
3.2.Voruntersuchung
3.3. Das Experiment 1: Untersuchung des Einflusses des Versuchsleiterwechsels auf die Nachahmungsleistung
3.3.1. Methode
3.3.2. Das „Frankfurter Instrumentarium“ – Vorstellen der verwendeten Gegenstände und Handlungen
3.3.3. Ablauf des Experiments
3.4. Überblick über die Ergebnisse und Folgeuntersuchungen
4. Kritische Auseinandersetzung zum Thema: Der Säugling als Forschungsobjekt
Literaturverzeichnis
1. Warum Säuglingsforschung?
Der Mensch ist bisher schon auf vielfältige Art und Weise erforscht worden, sei es seine Entstehung, sein Körper oder sein Geist, zu allem gibt es mehr oder weniger sichere Erkenntnisse. Aber trotzdem gibt es nach wie vor Vieles was die Forschung noch nicht schlüssig erklären kann oder versteht. Man weiß immer noch nicht genau wie das Gehirn Informationen speichert und wieder hervorholt. Es ist schwierig Dinge zu erklären, die sich nicht substantiell oder visuell nachweisen lassen.
Vor ähnlichen Schwierigkeiten stehen Forscher wenn sie Säuglinge und deren Fähigkeiten z.B. in Punkto Erkennen, Gedächtnisleistung erforschen wollen. Der Mensch durchlebt am Beginn seines Lebens bis etwa zu seinem 18. Lebensmonat eine Phase in welcher er sich noch nicht sprachlich ausdrücken kann. Da die Sprache nichts anderes als kulturell gewählte Symbole für etwas ist, spricht man auch davon, dass der Mensch sich in einer präverbalen und präsymbolischen Phase seines Lebens befindet. Vor nicht all zu langer Zeit war man gemeinhin der Meinung, dass der Säugling in dieser Zeit nur ein passives, undifferenziertes Wesen ist, welches vollkommen seinen Trieben ausgeliefert ist. Bis vor wenigen Jahren herrschte beispielsweise in der Medizin in einigen europäischen Ländern, so z.B. Frankreich, die Meinung vor Neugeborene könnten noch keine Schmerzen empfinden. Aus diesem Grunde wurden medizinische Eingriffe, auch Operationen, ohne Betäubung durchgeführt. Mittlerweile gibt es Gott sei Dank weitere Erkenntnisse über das Schmerzempfinden von Neugeborenen, so dass solche Eingriffe heute nicht mehr ohne Narkose durchgeführt werden.
Das Bild des Säuglings hat sich gewandelt und man betrachtet ihn nun auch als ein aktives, differenziertes und beziehungsfähiges Wesen. Diese neue Sicht drückt sich auch aus in einer neuen Bezeichnung: der kompetente Säugling. Trotzdem ist die Erforschung des Säuglings und seiner Fähigkeiten nicht einfacher geworden, aber man besitzt heute durch die enorme Verbesserung der technischen Möglichkeiten viel bessere Instrumente um den Säugling genau zu beobachten. Einige Methoden der Säuglingsforschung werde ich am Beginn meiner Arbeit vorstellen. Ich werde aber nur auf Methoden die mit der Beobachtung von Säuglingen zu tun haben eingehen. Selbstverständlich gibt es über diese hinaus noch viele weitere methodische Möglichkeiten das Wesen und die Fähigkeiten des Säuglings zu erfassen beispielsweise in Form von Entwicklungstests die mehr den körperlichen Bereich untersuchen, oder Bindungstests, welche Auskunft über die Qualität der Beziehung zwischen Mutter und Kind geben. Sogar Intelligenztests für Säuglinge gibt es. Als zweiten Schwerpunkt meiner Arbeit werde ich ein aktuelles bzw. bereits ausgewertetes Projekt der Säuglingsforschung vom Institut für Psychologie an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt vorstellen. Ans Ende dieser Arbeit möchte ich einige kritische Gedanken zur Forschung mit Säuglingen stellen.
2. Methoden der Säuglingsforschung
2.1. Veränderungen in der Säuglingsforschung
Am Anfang der Psychologie und der Entwicklung von Theorien über den Menschen betrachtete man die Entwicklungen im Säuglingsalter weniger aus einer direkt beobachtenden Perspektive als vielmehr aus einer rekonstruktiven Perspektive. Sigmund Freud analysierte seine eigenen Träume, Wünsche und Assoziationen und entdeckte so die kindlichen Sexualwünsche. Auch andere Theoretiker wie Spitz und Mahler haben durch Aussagen von erwachsenen Patienten Theorien über die Entwicklung und die Seinszustände von Säuglingen entwickelt. Natürlich beobachteten sie auch Säuglinge, aber ihr Hauptaugenmerk lag auf dem rekonstruierten Bild des Säuglingsalters durch Patienten. Diese Vorgehensweise erscheint ausreichend sofern sie nur Theorien der Entwicklung im Bereich der Psychoanalyse betrifft. Hierbei kommt es nicht so sehr auf die tatsächlichen Befindlichkeiten an, sondern darauf, dass die Patienten mittels der Rekonstruktion von Gefühlen, Träumen und Wünschen letztlich geheilt werden. Diese Sichtweise würde allerdings auch bedeuten, dass sich die Theorien der Psychoanalyse gar nicht mehr mit Theorien aus anderen Disziplinen messen lassen müssten, so lange sie in ihrer Praxis nur weiterhin Erfolge vorweisen können. Dadurch würde sich die Psychoanalyse isolieren von den anderen, was aus meiner Sicht wenig wünschenswert erscheint. Auch Dornes erklärt in seinem Buch „Der kompetente Säugling“, dass er „ eine Einbeziehung der Ergebnisse der direktbeobachtenden Säuglingsforschung in den Korpus der psychoanalytischen Theorien trotz der zum Teil unterschiedlichen Methodologien beider Disziplinen [für] möglich und wünschenswert“ (Dornes, 2001, S. 33) hält.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch gravierende Nachteile bei der direkten Beobachtung von Säuglingen, wie bei jeder Beobachtung. Neben all den methodologischen potentiellen Fehler- und Einflussquellen ist der wichtigste Aspekt den man bei der Beobachtung im Auge behalten sollte der Fakt, dass man das zu betrachtende Subjekt immer nur von außen beobachten kann, niemals von innen. Es lassen sich mit den modernsten Kameras, Hautwiderstandsmessern und sonstigen Messinstrumenten immer nur äußere Manifestationen von inneren Vorgängen abbilden. Welche Gefühle und Gedanken dem gezeigten Verhalten zugrunde liegen kann man als Forscher meist nur mutmaßen. Dieses gilt besonders bei der Beobachtung von größeren Kindern und Erwachsenen. Bei Säuglingen und Kleinkindern hat man das Glück, dass „Der Affektausdruck […] noch nicht sozialisiert [ist], Gefühle können noch nicht verborgen oder verdrängt werden, und deshalb sind Gefühlsausdrücke, Körpermotorik und andere Verhaltensmanifestationen die besten und zuverlässigsten Auskunftgeber für das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein bestimmter Gefühle.“ (Dornes, 2001, S. 26) Aber was diese Affektausdrücke bedeuten bleibt nach wie vor den Mutmaßungen der jeweiligen Forscher überlassen. Man sollte auch hierbei berücksichtigen, dass ein erwachsener Forscher immer nur von seinem subjektiven Standpunkt aus deuten wird, der in einer langen Sozialisationsphase entstanden ist. Wie sich die jeweiligen Empfindungen aus der unsozialisierten und präverbalen Sicht eines Säuglings darstellen, kann man nicht genau wissen. Dies ist ein Aspekt der in der Forschung an und mit Säuglingen meiner Ansicht nach noch viel mehr Gewicht erlangen sollte.
2.2. Überblick über die wichtigsten Methoden in der Säuglingsforschung
2.2.1. Präferenzmethode
Bei dieser Art der Untersuchung versucht man festzustellen ob und ab welchem Alter der Säugling Unterschiede zwischen zwei dargebotenen Reizen erkennen kann. Voraussetzung für eine valide Messung ist, dass der Säugling sich bei beiden Messungen in einem gleichen ausgeruhten, wachen und von Elementarbedürfnissen, wie z.B. Hunger, freien Zustand befindet. Man bietet ihm hierbei entweder einen visuellen oder auch einen auditiven Reiz dar und misst bei einem visuellen Reiz die Fixierungsdauer bzw. bei einem auditiven Reiz die Aufmerksamkeitsspanne. Danach bietet man dem Kind einen zweiten Reiz an und misst ebenfalls die Fixierungsdauer bzw. Aufmerksamkeitsspanne für diesen Reiz. Wurde der eine Reiz länger als der andere fixiert, dann geht man davon aus, dass der Säugling diesen Reiz präferiert. Aus dieser Präferenz für einen Reiz schließt man außerdem, dass er bereits in der Lage ist die beiden dargebotenen Reize voneinander zu unterscheiden. Mit diesem Setting hat man beispielsweise untersucht ob Neugeborene und Säuglinge bereits eine Präferenz für die Stimme der Mutter bzw. für ihre Muttersprache aufweisen. Man konnte dabei zeigen, dass bereits Neugeborene die Stimme ihrer Mutter eindeutig der Stimme anderer fremder Personen vorziehen. Die Mütter wurden hierbei dazu aufgefordert in den letzten Wochen der Schwangerschaft den Kindern im Bauch eine bestimmte Geschichte wiederholt vorzulesen. Nach der Geburt lasen einmal die Mütter die bereits bekannte Geschichte vor und dann eine andere Person. Die Präferenz wurde mittels Saugens ermittelt. Wenn die Kinder an einem Spezialsauger z.B. schneller saugten konnten sie zwischen den beiden Stimmen wechseln. Saugten sie dagegen ruhig wurde diese Geschichte beibehalten.
Dornes kritisiert an diesem Setting zwei Aspekte. Zum einen scheint es so zu sein, dass in verschiedenen Studien unterschiedliche Maße für die Fixierungsdauer verwendet wurde. Dadurch ergaben sich durchaus Unterschiede bezüglich der Ergebnisse im Hinblick auf Alter etc. Außerdem kann man nun verschiedene Studien nicht miteinander vergleichen. Der zweite Aspekt den Dornes in seinem Buch „Der kompetente Säugling“ als Problem mit dieser Art der Untersuchungsmethode darstellt, ist die Tatsache, dass man durch die Präferenzbekundung des Säuglings keinerlei Aussagen darüber machen kann wie er den Unterschied wahrnimmt, und ob er diesem Unterschied eine Bedeutung beimisst. Hierzu ein kleines Beispiel von Dornes (2001):
„Ein Erwachsener geht durch den Wald und bemerkt sehr wohl den Unterschied zwischen den verschiedenen Bäumen, schaut aber keinen Baum länger an als einen anderen, weil er daran z.B. gar nicht interessiert ist oder aber ganz andere Sorgen hat.“ (S.35)
2.2.2. Die Habituierungsmethode
Wie schon bei der Präferenzmethode gilt auch bei dieser, wie eigentlich bei jeder Untersuchungsmethode, dass der Säugling wach und frei von Elementarbedürfnissen sein sollte. Bei diesem Setting können wie schon bei der vorher vorgestellten Methode verschiedene Reizformen als Reizgeber genutzt werden, wie z.B. Bilder, Gegenstände oder Geräusche, Stimmen etc. Man kann hier nicht nur die Fixationszeit feststellen, sondern auch Untersuchungen machen bei denen die Augenbewegungen, die Herzrate, körperliche Aktivität, Saugen oder Vokalisation als zu untersuchende Variable gemessen werden. Der Säugling bekommt zunächst den ersten Reiz dargeboten. Seine Aufmerksamkeit nimmt während des Betrachtens (wenn es sich um ein Bild handelt) stetig ab. Er wendet sich dann vielleicht nicht mehr so oft dem Bild zu, oder er wendet sich sogar ganz ab. Dieses nennt man Habituierung. Nach einer kurzen Pause oder auch direkt im Anschluß wird ihm ein zweiter, neuer Reiz dargeboten. Seine Aufmerksamkeit steigt wieder an, er dishabituiert. Durch diesen zweiten neuen und fremden Reiz der die Aufmerksamkeit des Säuglings erregt, kontrolliert man, dass die Abnahme der Aufmerksamkeit bei dem ersten Reiz nicht durch Übermüdung begründet ist. Man hat für das Maß der Habituierung zweierlei Möglichkeiten diese festzulegen. Entweder man nimmt die Fixationszeit des Säuglings als Maß und misst wann diese unter ein vorher bestimmtes Kriterium fällt z.B. unter 50 Prozent der durchschnittlichen Fixationszeit bei drei Durchläufen (vgl. Natour, 2001, S. 21). Danach ist die Habituierungsphase dann beendet. Auf diese Weise wird die Zeit während welcher der Säugling den Gegenstand betrachten kann individuell für jeden neuen Probanden bestimmt. Dieses Verfahren bezeichnet man als säuglingskontrolliertes Verfahren („infant control procedure“). Im Gegensatz dazu steht das nicht-säuglingskontrollierte Verfahren („fixed-trial procedure“). Hier wird im Vornherein die Anzahl und die Dauer der Durchgänge in denen der Säugling den Reiz betrachten kann festgelegt. Die Methode der Habituierung wird unter anderem dafür genutzt um zu untersuchen welche Stabilität Gedächtniseinträge bei Säuglingen besitzen. Man kann dabei dann mehrere Verzögerungen einbauen und beispielsweise messen ob es nach einer Woche bei der Habituierung eine Art von Einspareffekt gibt der Gestalt, dass der Säugling auf den selben Reiz schneller zu habituieren ist.
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- Arbeit zitieren
- Aurelie Kuhn-Kapohl (Autor:in), 2003, Beobachtung von Säuglingen und Kleinkindern - Ausgewählte Methoden der Kindheits- und Jugendforschung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20337
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