Vergleiche zwischen Anders Petersen und Andreas Gursky in Bezug auf die Arbeiten "Café Lehmitz" und dem Bild "Cocoon 2"


Trabajo Escrito, 2012

22 Páginas, Calificación: 2.0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Authentizität und sozialdokumentarische Fotografie

3. Technik und Bildanalysen
3.1. Exkurs: Bild 1 und 88

4. Das Kräftefeld

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

7. Bilderverzeichnis

1. Einleitung

Café Lehmitz, die „Bierhalle“ in Hamburg an der Reeperbahn, wie das Lokal immer wieder bezeichnet wird, ist eine Bar, „in der alle Wattierungen, alle Förmlichkeiten und Floskeln abgelegt und ein Leben auf dem Zahnfleisch gelebt wird “(Vorwort: „Ich Dich lieben, Du mich auch?“ S. 5, Z. 4-5).

Hier verbringt der junge schwedische Fotograf Anders Petersen mit Unterbrechungen mehrere Jahre seines Lebens (1967-70) und dokumentiert authentisch die Gäste, die sogenannten „Grenzgänger“ (ebd. S5.Z, 22), gescheiterte Existenzen, Verlorene, Freunde.

„Hypnotisch intim“ (ebd.: S.5, Z. 27) fotografiert Petersen diese Leute und zeigt nicht das normale Bürgertum zu dieser Zeit in seiner „abgesicherten Schonzone“ (ebd.: S. 5, Z. 23), sondern ein Milieu, das „gemeinhin als asozial bezeichnet wird“ (Roger Anderson) mit Bildern von Sehnsüchten und „vom Gelächter der Verzweiflung“ (ebd.: S. 5, Z. 24).

Diese Arbeit ist eine der ersten Arbeiten von Anders Petersen, mehrere folgten, im selben Stil, und ebenso intensiv. 1978 veröffentlichte Petersen erstmals seine Aufnahmen in Buchform.

Ziel dieser Arbeit ist es, Bilder aus dem Buch „Café Lehmitz“ von Anders Petersen exemplarisch im Hinblick auf ihre gestalterische Machart zu betrachten. Dabei werden diese mit Arbeiten anderer Fotografen verglichen oder deren Standpunkt (Meinungen) zur Analyse herangezogen (zum Beispiel Andreas Gursky). Andreas Gursky soll im Hinblick auf die Bildmanipulation sowie das Thema Großformat eine Rolle spielen, er gilt als „the German-Überfotograf‘, so wird er auf einer online- Seite des art-Kunstmagazins genannt ( vlg. http://www.art- magazin.de/kunst/7341/andreas_gursky_cocoon_club).

Er steht für Bildbearbeitung im ganz großen Stil, er erbaut neue Bilder und sorgt somit für Seherfahrungen, diese gilt es, in Teilen zu analysieren und mit den Bildern von Anders Petersen zu vergleichen.

Damit die vorliegende Arbeit einen geschichtlichen Charakter bekommt, soll sich das Kapitel 3, mit dem Standpunkt der Fotografie der damaligen Zeit befassen. Aus heutiger Sicht, stand die „sozialdokumentarische Fotografie“ im Vordergrund, das heißt, das Festhalten von Momenten und Situationen bezogen auf ein bestimmtes Milieu (Milieufotografie), dokumentiert über einen bestimmten Zeitraum. Die Fotografie konnte benutzt werden um gesellschaftliche Phasen und Zustände darzustellen. Damit der Rahmen dieser Arbeit eingehalten werden kann, wird dieser Aspekt nur ansatzweise behandelt.

Anders Petersen dokumentierte an einem Ort eine bestimmte Klientel beziehungsweise eine Gesellschaftsgruppe. Es soll ein Beziehungsgeflecht beleuchtet werden zwischen der dort anzutreffenden Gesellschaft und dem Fotografen selbst, in diesem Fall zwischen den „gefallenen Helden“ aus der Bierhalle und Anders Petersen. Anhand von Bildern aus der Serie soll analysiert werden in welchem Zusammenhang beide Seiten zueinander standen und wie es dem jungen Fotografen aus Schweden gelang an seine Bilder zu kommen.

Da die Bildwirkung einen Betrachter auf ganz verschiedene Weisen erreichen kann, sei es positiv oder negativ, wird dieser Aspekt in der vorliegenden Arbeit mit aufgegriffen. Der gestalterische Bildfindungsprozess und die technische Umsetzung der Bilder sollen im Einzelnen analysiert werden. Die Neuerscheinung des Buches „Café Lehmitz“ von 2004 dient hier als Nachschlagewerk, wenn es zu Bild-/Textbeispielen gegeben werden.

Anhand der Ergebnisse wird im Laufe dieser Arbeit versucht, Interpretationsansätze vorzustellen. Es sollen auch Eigenaussagen des Fotografen selbst näher berücksichtigt werden.

Mittels Aussagen von Roland Barthes (Barthes: „Die helle Kammer“) wird vertiefend auf seine Thesen bezüglich des Porträts eingegangen. In seiner Denkweise bezogen auf den Moment und die Porträtsituation beschreibt er ein Kräftefeld, das während einer Aufnahme herrscht oder herrschen kann. Dieses soll entschlüsselt und auf Petersens Arbeit angewendet werden. Da Barthes Gedanken zur Fotografie Gegenstand einer eigenen Hausarbeit sein könnten, wird hier das Thema Porträt nur kurz aufgegriffen.

Weitere Betrachtungen stützen sich einerseits auf Nachtexte oder Vorworte aus den Fotobänden selbst. Ergänzend werden auch Veröffentlichungen aus Onlinenartikeln mit weniger wissenschaftlichem, sondern viel mehr journalistischem Anspruch herangezogen. Abschließend soll versucht werden, die neu gewonnenen Erkenntnisse in einem Fazit mit eigener Stellungnahme zusammenzufassen.

2. Authentizität und sozialdokumentarische Fotografie

Ein Vergleich zwischen Andreas Gursky und Anders Petersen liegt offensichtlich nicht direkt auf der Hand. Bezogen auf den Aspekt des Authentizitätsanspruches lassen sichjedoch interessante Überschneidungen und Unterschiede finden, beziehungsweise verschiedene Arbeitsweisen vergleichen.

Petersen sagt selbst, dass es keine Fotografie gibt, die nichtjemanden benutzt oder verlangt (vgl. Vortextinterview, Café Lehmitz). Er sagt auch, dass manche seiner festgehaltenen Momente ohne die Möglichkeit der Visualisierung (somit der Kamera) gar nicht erst stattgefunden hätten (Ribbat, Christoph: „Ich Dich lieben, du mich auch?“, S. 79, Z. 20-21).

Liegt also durch die bloße Anwesenheit einer Kamera an einem Ort schon eine Manipulation vor? Ob dies der Wahrheit entspricht und ob man in Petersens Fall von Manipulation sprechen kann, soll im folgenden Text dargestellt werden.

Die Menschen im Lehmitz wussten von einer anwesenden Kamera, sahen und kannten den Fotografen teilweise. (Man könnte sich nebenbei auch die Frage stellen, wie der gesamte Bildband „Café Lehmitz“ ausgesehen hätte, hätte Petersen verdeckt fotografiert und ob die Resultate dann weniger manipuliert wären?).

Durch den sogenannten Spiegel der Natur (pencil of nature - von der Natur ein Abziehbild nehmen) ist der Fotografie aufgrund ihrer apparativen Herstellung eine Authentizität impliziert, dass man als Betrachter damals gar nicht mehr nachgefragt hat, ob dieses oder jenes Werk nun unverfälscht, quasi nicht manipuliert ist. Und wenn, hätte man es nicht gesehen oder nachvollziehen können, da nur der Manipulator selbst das Original kennt und weiß, wo welche Eingriffe vollzogen wurden. Sicherlich gab es damals auch schon Techniken für eine Bildmanipulation (z.B. ein Bild wird aus zwei Negativen zusammenbelichtet (vgl. hier auch Seite 6 der vorliegenden Arbeit, wo auf ein Bildmanipulationsbeispiel von Robert Lebeck eingegangen wird)), jedoch waren diese viel aufwendiger und eingeschränkter in den Möglichkeiten (als heute).

Spätestens durch Andreas Gursky ist theoretisch bekannt, dass nicht immer alles der Realität entspricht und Schönheitsfehler fotografisch ausgebessert werden können oder das Gesamtbild digital neu zusammengebaut werden kann, so wie es das menschliche Auge gar nicht in Gänze erfassen könnte (vgl. Gurskys Großveranstaltungsbilder, z.B. Cocoon 2).

Es gibt die Auffassung, eine Manipulation würde schon durch das alleinige Kadrieren des Bildausschnittes vorliegen oder gewährleistet sein, da man so beispielsweise Dinge oder Menschen in Verbindung bringen kann, die gar nichts miteinander zu tun haben, Situationen zeigt, die so nicht stattgefunden haben (vgl. Abb. 1, S. 20 der vorliegenden Arbeit). Der Begriff Manipulation, im Sinne von Bearbeitung ist also sehr relativ, auch wenn eine Manipulation einer Täuschung nahekommt, soll dieser Begriffhier wertneutral benutzt werden.

Gursky setzt viele Menschen nebeneinander (sein Bild Cocoon 2 dient hier als Analysebeispiel, da es, wie Petersens Bilder, eine barähnliche Location (Disko) zeigt und man hier am ehesten auch von einer Milieuhaftigkeit sprechen kann) und suggeriert eine Diskomassenveranstaltung. Dass diese so gar nicht stattgefunden hat, weiß der Betrachter nur, wenn er die Hintergründe kennt (der Veranstaltungsraum in Frankfurt sieht anders aus, ist in der Realität kleiner und würde gar nicht so viele Menschen fassen). Der Betrachter könnte stutzig bezüglich des wahnsinnigen Detailreichtums werden. Keine Kamera auf der Welt könnte ein solches Bild in Gänze weitwinklig, dabei so durchgängig scharf aufnehmen, ohne zusätzlich Verzerrungen oder Bewegungsunschärfen zu erzeugen. Hier muss einfach nachgeholfen und nachbearbeitet worden sein. Man beachte, das Foto zeigt eine Diskosituation, wo man getanzt, springt und sich bewegt. Gursky geht gezielt vor, für ihn ist es, nach seiner Aussage, ein grundlegendes Missverständnis, dass man Fotografie dazu verdammt, ein Abbild der Wirklichkeit zu sein, von der Literatur würde dies schließlich niemand verlangen (vgl. Witzel, Eva: Die Konstitution der Dinge. Transcript-Verlag, 2012, S.307 (Reflexionen)).

Petersen stempelt die Personen nicht nebeneinander, bei ihm stehen sie wie in der realen Situation. Er benutzt Vorder- und Hintergründe eher um Mensch-Raum Konstellationen zu kadrieren und zu erschaffen. Dabei haben seine Bilder Dynamik, Direktheit und Tempo. Er hat keine moralische Scheu sich den Menschen zu nähern. Ob nun Kadrierung einer Manipulation nachkommt ist an dieser Stelle noch nicht auszumachen.

Gursky macht es anders, sein Bild steht still. Er ist nicht dabei, sondern schaut quasi von oben herab auf die Menge (Cocoon 2) wie ein göttlicher DJ. Es gibt eine sogenannte Distanz zwischen Ablichter und Abgelichtetem[1]. Dies könnte auf den Betrachter kühl und unzugänglich wirken, trotz der warmen, bunt, plakativen Grundfarbigkeit des Bildes und des „Diskofeelings“. Der Betrachter geht in der riesigen Masse unter, verliert sich, wird quasi erschlagen durch die vielen Menschen, wojeder gleich aussieht und das Auge kaum Halt findet.

Er ist wie Gursky kein Teil dieser Masse, sondern stiller Beobachter an seinem sicheren Ort, weit weg, wo man nicht eng gedrängt, ohne Bewegungsfreiheit, steht (vgl. hierzu auch Gurskys Cocoon 1). Dies stellt einen großen Unterschied zu Petersens dar, denn Petersen fotografiert seine Serie in einer Weise, die als „sozialdokumentarisch“ zu bezeichnen ist. Sozialdokumentarische Fotografie wird gesehen als teilnehmender Akt, nicht über den Dingen stehend, beschreibt Petersens Serie ideal. Die eben benannte Schutzzone bei Gursky gibt es in seinen Bildern nicht. Petersen fotografiert im Café Lehmitz wie der alte Werbeslogan vom Sportsender DSF (heute Sporti): „Mitten drin statt nur dabei“.

Ausdrücklich zu erwähnen ist hier, dass Gursky auch dokumentarisch arbeitet, seine Dokumentarfotografie war eine Voraussetzung für seine spätere künstlerische Entwicklung. Er war nun einmal Schüler bei den berühmten Bechers[2] und wurde von ihnen buchstäblich beeinflusst. Ob er ihre Regeln immer so befolgt hat, sei dahingestellt.

Petersen beobachtet im Gegensatz dazu nicht von außen, sondern taucht ein in den Mikrokosmos[3]. Sozialdokumentarisch, oder eher metaphorisch verglichen mit einer Dartscheibe würde Gursky, obwohl sein Bild technisch besser und aufwändiger bearbeitet ist, nur mit seinem Pfeil an der Außenseite kratzen, oder gar außerhalb auf der Wand landen, wo der Dartscheibenbereich endet. Anders Petersen würde mit seinem Pfeil vielleicht direkt ins Bullseye treffen und stecken bleiben. Das ist nicht unbedingt besser, er ist Gursky damit nicht überlegen, der Vergleich soll nur zeigen wo sich beide befinden würden und dass sie sich unterscheiden. Beide haben unterschiedliche Intentionen, das ist klar, Petersen will näher am Menschen, nah am Körper und an den Ängsten, Wünschen, Leidenschaften sein. Seine Arbeit zeugt nicht vom Außenseitertum. Er selbst sagt über seine Arbeiten und sich, er wolle Kontakt mit Menschen haben, sie anfassen können, fühlen und auch hören (vlg. Petersen, Anders: Café Lehmitz. Schirmer/Mosel 2004, S.23, Z. 36-37). Café Lehmitz als Fotoarbeit ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Eine Frage nach der Echtheit dieser Arbeit stellt sich dem Betrachter also gar nicht, da diese Arbeit dokumentarisch daher kommt, eine Realitätskonstruktion ist.

In dem Schlusstext im Buch „Ich Dich lieben, du mich auch?“ geschrieben von Christoph Ribbat, wiederholt dieser, dass die Dokumentarfotografie als Technologie der Überwachung und Kontrolle interpretiert werden kann (S.77). Weiter gedacht stimmt dieser Ansatz, wenn man sich einmal die dokumentarische Pressefotografie sowie die beweisführende Polizeifotografie vor Augen führt. Letzterer würde man nie eine Manipulation nachsagen oder diese gar vermuten, weil diese Fotografien einen Tatbestand ablichten („Genau so war es und sah es am Tatort aus!“).

[...]


[1] Eva Witzel beschreibt so eine Situation in ihrem Buch „Die Konstitution der Dinge“ mit folgenden Worten: „Der Überblick vermittelt zunächst nur den Anschein, als sei der Betrachter in einer allwissenden Position, doch der gewählte Ausschnitt von Welt gibt Rätsel auf und verweist auf ihre Perspektivität“.

[2] Begründer der bekannten düsseldorfer Fotoschule. Sie erwarben Ruhm durch ihre schwarz-weiß Fotografien von Industriebauten. Gursky war einer ihrer Meisterschüler.

[3] Wie damals Danny Lyon bei seiner Serie Bikeriders.

Final del extracto de 22 páginas

Detalles

Título
Vergleiche zwischen Anders Petersen und Andreas Gursky in Bezug auf die Arbeiten "Café Lehmitz" und dem Bild "Cocoon 2"
Universidad
University of Applied Sciences Bielefeld
Curso
Fotogeschichte
Calificación
2.0
Autor
Año
2012
Páginas
22
No. de catálogo
V203419
ISBN (Ebook)
9783656300984
ISBN (Libro)
9783656301042
Tamaño de fichero
630 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Roland Barthes, Andreas Gursky, Anders Petersen, Café Lehmitz, Cocoon 2, sozialdokumentarische Fotografie, Kleinbild, Großbild
Citar trabajo
Simon Herrmann (Autor), 2012, Vergleiche zwischen Anders Petersen und Andreas Gursky in Bezug auf die Arbeiten "Café Lehmitz" und dem Bild "Cocoon 2", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203419

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