Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das bürgerliche Trauerspiel und das Vater-Tochter-Verhältnis
2.1 Zeitgeschichtlicher Kontext
2.2 Die Vater-Tochter-Beziehung
3. Zwei Arten der Vater-Tochter-Beziehung
3.1 Odoardo und Emilia Galotti
3.2 Vater und Luise Miller
4. Beide Vater-Tochter-Beziehungen im Vergleich
4.1 Gemeinsamkeiten
4.2 Unterschiede
5. Fazit
Literatur-/Materialverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
1. Einleitung
„Guten Morgen, lieber Vater.“, so Luise Miller in Schillers Kabale und Liebe (KL 1.Akt, 3.Szene). Die Beziehung von Vater und Tochter wirkt innig und vertraut. Niemand scheint sich diesem Verhältnis in den Weg stellen zu können. Oder doch? Im Folgenden wird die Frage geklärt, wie sich die Vater-Tochter-Beziehung im bürgerlichen Trauerspiel des 18.Jahrhunderts konstituiert und anhand der Dramen Emilia Galotti und Kabale und Liebe gezeigt, wie sie sich unterscheidet. Dazu wird zuerst auf die wichtigsten Merkmale des Vater-Tochter-Verhältnisses eingegangen. Danach wird die Beziehung von Emilia und Odoardo Galotti sowie die von Luise und Vater Miller vorgestellt. Aus dieser Gegenüberstellung werden die wichtigsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Vater-Tochter-Beziehung herausgearbeitet und erörtert, wie unterschiedlich sich diese Rollenkonstellation auswirken kann.
2. Das bürgerliche Trauerspiel und das Vater-Tochter-Verhältnis
2.1 Zeitgeschichtlicher Kontext
Das bürgerliche Trauerspiel begründet sich theoretisch und praktisch als eines der literarischen Produkte in der Umbruchszeit Mitte des 18. Jahrhunderts. 1755 erschien das erste Drama, das sich mit dem Titel „Bürgerliches Trauerspiel“ auswies, Lessings Miß Sara Sampson.[1] Es war die Epoche des Sturm und Drang, in dem der Kampf des Bürgertums gegen die Übergriffe des fürstlichen Absolutismus und des privilegierten Adels behandelt wurde.[2] Zuvor war in der Dramatik ein tragisches Schicksal dem Adel vorbehalten, Bedingung war der Vers. Mit England (The London Merchant von Lillo, 1731) als Vorreiter der Emanzipation des Bürgertums traten nun Bürger in tragischen Rollen auf die Bühne, noch dazu in Prosa sprechend. Im Mittelpunkt standen Themen im Interesse des mittelständisch-bürgerlichen Publikums.[3] Rose Götte formuliert dazu folgende Einschätzung:
Charakteristischer als der Stand der Personen ist für diese Dramen, daß darin „bürgerliches Leben“ dargestellt wird. Was aber heißt das? „Bürgerliches Leben“ ist Familienleben, ist Privatleben. Politik, Heldentum und Kriegsgeschrei sind daraus verbannt. Seine Themen sind Heiraten, Erbschaften, Erziehungsfragen, Störung und Rettung des häuslichen Friedens.[4]
2.2 Die Vater-Tochter-Beziehung
Die zentrale Welt des bürgerlichen Trauerspiels des 18. Jahrhunderts ist der Familienkreis.[5] Die Thematisierung des innerfamiliären Konflikts, die Liebesheirat, sticht heraus. Dabei ist insbesondere die Beziehung von Vater und Tochter ausschlaggebend und von höchster Brisanz. Das emanzipatorische Streben der Tochter nach Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung steht in Opposition zur patriarchalischen Ordnung des Vaters.[6] Der Vater als Familienoberhaupt und Beschützer spielt die zentrale Rolle in dieser Konstellation. Der unausweichliche Konflikt im Bezug auf die Liebesheirat ist dann gegeben, wenn der Vater nicht mit der Partnerwahl der Tochter einverstanden ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob er patriarchalisch bestimmend oder liebevoll überzeugend agiert. Neben Ordnung und individueller Selbstbestimmung geraten Gewissen und Herz sowie Pflicht und Liebe in Kontradiktion. Meistens endet der Anspruch der weiblichen Hauptfigur auf Autonomie tödlich. Dieser Anspruch ist der der jungen Generation, die in der sowohl empfindsamen wie leidenschaftlich-sexuellen Liebe die legitime Grundlage der Ehe sieht. Er ist geistes- und problemhistorisch und ein großes Thema der Epoche.[7]
[...]
[1] Siehe Guthke 2006, 7.
[2] Siehe Kosch 1953, 234.
[3] Siehe Rischbieter 1983, Spalte 240.
[4] Hempel 2006, 7-8.
[5] Siehe Guthke 2006, 70.
[6] Siehe Guthke 2006, 71.
[7] Siehe Guthke 2006, 71-72.