Die Räumlichkeit in Ingeborg Bachmanns Roman "Malina" als Spiegel für die Innerlichkeit des erzählenden Ichs


Dossier / Travail de Séminaire, 2011

15 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Krankheitsbild der Agoraphobie
2.1 Was versteht man unter dieser Krankheit?
2.2 Symptome bei der Protagonistin

3. Das Innere und die Räumlichkeit
3.1 Ivan als Tor zur Außenwelt
3.2 Die Ungargasse als eigene Welt

4. Das Telefon, die Unordnung und die Wand
4.1 Das Telefon
4.2 Die Unordnung
4.3 Die Wand

5. Fazit

Literatur-/Materialverzeichnis

Primärliteratur

Sekundärliteratur

1. Einleitung

„Es ist eine sehr alte, eine sehr starke Wand, aus der niemand fallen kann, die niemand aufbrechen kann, aus der nie mehr etwas laut werden kann. Es war Mord.“[1] Dies sind die letzten Worte der Ich-Erzählerin in Ingeborg Bachmanns Roman Malina. Im Romanverlauf fällt auf, dass sich die Protagonistin immer mehr in ihren häuslichen Wohnraum zurückzieht und letztendlich in ihm verschwindet. Inwieweit sich das Seelenleben der Ich-Erzählerin in ihrer räumlichen Umgebung und ihrer Wahrnehmung der Räume widerspiegelt, wird im Folgenden untersucht. Dazu wird zuerst ein kurzer Einblick in die Krankheitsmerkmale der Agoraphobie gegeben, an der die Ich-Erzählerin vorerst zu leiden scheint. Danach wird an verschiedenen Textstellen untersucht, wie sich das Verhalten der Protagonistin im Hinblick auf ihre soziale und häuslich-räumliche Umgebung konstituiert oder gar verändert. Ziel dieser Untersuchung ist es, herauszustellen, wie die Innerlichkeit des erzählenden Ichs in der Räumlichkeit bzw. Wohnsituation ihren Ausdruck findet.

2. Krankheitsbild der Agoraphobie

2.1 Was versteht man unter dieser Krankheit?

Der Begriff „Agora“ stammt aus dem Griechischen und bezeichnet 1. die Vollversammlung der altgriechischen Polis und 2. einen rechteckigen, von Säulen umschlossenen Platz in altgriechischen Städten, beispielsweise einen Markt- oder Versammlungsplatz.[2] Die sogenannte „Agoraphobie“ oder auch „Platzangst“ stellt eine zwanghafte Angst dar, die in einer Umgebung auftritt, in der man sich hilflos ausgeliefert fühlt und keine Möglichkeit zur Flucht sieht. Die Umgebungen können unter anderem öffentliche Plätze, öffentliche Verkehrsmittel oder große Menschenansammlungen sein.[3]

2.2 Symptome bei der Protagonistin

Auffällig ist, dass sich die Ich-Erzählerin von der Außenwelt immer weiter abschottet. Ihr einziger Bezugspunkt zur Welt außerhalb ihrer eigenen vier Wände wird Ivan, der seine Präsenz in ihrer Wohnung durch Anrufe sichert (dazu unter 3.1.). Das Verlassen der Ungargasse stellt für die Protagonistin eine große Herausforderung dar, denn Panikattacken überfallen sie, in denen sie sich darüber Gedanken macht, welche furchtbaren Dinge geschehen könnten. Außerdem gibt sie selbst zu, nicht einmal mehr als zwei Tage außerhalb der Ungargasse verweilen zu können („[...] und zurück in zwei Tagen, weil ich länger nicht weg sein kann aus der Ungargasse“, S.118-119). Sie findet immer wieder neue Gründe, der Welt außerhalb ihrer Wohnung aus dem Weg zu gehen und sich weiterhin in „ihre Ungargasse“ zurückzuziehen:

[…] hoffentlich bildet sich kein Komitee, hoffentlich sind nicht ein paar Millionen fällig, hoffentlich muss ich keinen Spaten in die Hand nehmen, ich kann nicht Spaten sehen und Schaufeln […] ich kann keine Schüsse hören, seit einem Fasching, seit einem Krieg, seit einem Film. […] Es kommt natürlich ganz anders, und ich habe zum Glück noch eine Grippe und 37,8, kann also nicht zu neuen Taten aufbrechen und in etwas hineingeraten. Ich kann keine Schauplätze sehen, aber wie sage ich es, daß mein Platz in der Ungargasse ist? (S.115)

Des Weiteren finden sich immer wieder Hinweise auf Depressionen, wie unter anderem das Gefühl der inneren Leere und eine ständige Müdigkeit („Zu Tod erschöpft, ja erschöpft“, „Ich bin einfach tot“, S.73).

Nicht einmal Briefe oder Telefonate von anderen Menschen als Ivan möchte die Ich-Erzählerin beantworten und entzieht sich so der sozialen Welt. Ihrer Sekretärin, Fräulein Jellinek, lässt sie freie Hand in den Formulierungen der Entschuldigung für ihre Unpässlichkeit („Bitte sagen Sie einfach, was Ihnen Spaß macht.“, S.49). Selbst als sie neben dem Telefon sitzt und nur den Hörer in die Hand nehmen müsste, flieht sie geradezu vor dieser Handlung. Dinge, die sie davon ablenken, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen, sind in diesem Fall wichtiger. So näht sie lieber einen Knopf an ihren Morgenmantel an, anstatt ein Ferngespräch aus Hamburg entgegenzunehmen („[...] sagen Sie, daß ich krank bin, verreist, tot.“, S.49). Die Beantwortung der Briefe, die als „Papierhaufen“ (S.48) vor ihr liegen, läuft genauso ab („Ach, schreiben Sie doch einfach, was Ihnen einfällt, daß ich verhindert bin oder verreist oder daß ich krank sein werde.“, S.49). Die Wortwahl „daß ich krank sein werde“ verweist darauf, dass die Protagonistin nicht einmal mehr den Gedanken hegt, etwas an ihrem Zustand der Sozialisolation zu ändern.

3. Das Innere und die Räumlichkeit

3.1 Ivan als Tor zur Außenwelt

Wie unter 2.2. schon angerissen, stellt Ivan noch den einzigen Bezug zur Außenwelt dar. Er ist der Einzige, der nicht mit der Protagonistin unter einem Dach wohnt und mit dem sie noch Kontakt pflegt. Seine persönliche Anwesenheit in der Wohnung selbst ist rar, doch durch seine Anrufe wird er für die Erzählerin präsent.[4] Der Geliebte der Protagonistin ist Bezugspunkt für jegliche Empfindung und Leidenschaft.[5] Auch, wenn er die Gefühle des erzählenden Ichs nicht erwidert („Das wirst du wohl schon verstanden haben. Ich liebe niemand. Die Kinder selbstverständlich ja, aber sonst niemand.“, S.57). Ivan verkörpert für die Protagonistin alles an Sehnsucht, Wohlbehagen und Schutz. Auffällig ist, dass er direkt gegenüber in der gleichen Straße wohnt („[...] Ivans Haus mit der Nummer 9“, S.10). Wie oft sie von „ihrer Ungargasse“ oder „ihrem Ungargassenland“ berichtet, macht deutlich, dass sich für die Erzählerin die ganze Lebens- und Liebeswelt nur in einer einzigen Straße abspielt („[...] mein Ungargassenland“, S.115). Passend dazu, ist Ivan Ungar. So hat sie auch eigentlich gar keinen Grund, einen Schritt aus dieser Welt zu treten. Für sie zählt nur die Welt (die Ungargasse) um und mit Ivan („Es heißt Ivan. Und immer wieder Ivan.“, S.29). Jemand anderen braucht sie scheinbar nicht. Oder doch? Hier schaltet sich Malina in die Geschichte ein. Wenn auch anfangs kaum in Erscheinung getreten, hat er dennoch eine Kontrollfunktion über das erzählende Ich. Ob nun als eingebildete Figur oder als realer Mensch, stellt er eine Art Gewissen oder auch Aufruf zum Selbstwertgefühl dar („Fall nicht immer. Steh auf.“, S.321). Er ist es, der die Erzählerin davon abhält, sich Ivan und ihrer Liebe zu ihm ganz hinzugeben. Die Gedanken des Ichs machen dies deutlich: „[...] aber für ihn wird nie sichtbar, daß ich doppelt bin. Ich bin auch Malinas Geschöpf.“ (S.105). Malina erteilt ihr sogar den Auftrag, Ivan und seine Kinder zu töten, auch wenn das nur als Metapher für die Loslösung von Ivan gesehen werden kann (S.321, S.328). Letztendlich gibt er ihr zu verstehen, dass es keinen Sinn mehr hat, weiterzuleben („Du sollst nicht mehr kämpfen.“, S.329) und dass es an der Zeit ist, sich selbst aufzugeben („Du wirst dort so sehr du sein, daß du dein Ich aufgeben kannst.“, S.330).

[...]


[1] Bachmann 1980, 356.

[2] Siehe Duden 2007, 57.

[3] Siehe Duden 2007, 57.

[4] Siehe Hildenheim 2000, 50.

[5] Siehe Hendrix 2005, 117.

Fin de l'extrait de 15 pages

Résumé des informations

Titre
Die Räumlichkeit in Ingeborg Bachmanns Roman "Malina" als Spiegel für die Innerlichkeit des erzählenden Ichs
Université
Johannes Gutenberg University Mainz  (Institut für Film-, Theater- und empirische Kulturwissenschaft)
Cours
Kunst des Wohnens, Wohnen in der Kunst
Note
1,3
Auteur
Année
2011
Pages
15
N° de catalogue
V205175
ISBN (ebook)
9783656313595
ISBN (Livre)
9783656315698
Taille d'un fichier
494 KB
Langue
allemand
Mots clés
Ingeborg Bachmann, Malina, Roman, Räumlichkeit, Innerlichkeit, Erzählendes Ich, Wand
Citation du texte
B.A. Bachelor of Arts Stefanie Zellmann (Auteur), 2011, Die Räumlichkeit in Ingeborg Bachmanns Roman "Malina" als Spiegel für die Innerlichkeit des erzählenden Ichs, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205175

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