Die Darstellung der zutiefst hasserfüllten und deshalb einsamen, vom Alter schwer gezeichneten und höchst argwöhnischen Madame Sievert Jansen in Theodor Storms „Im Nachbarhause links“ lässt keinen Zweifel, dass im Leben der Greisin etwas gründlich schief gegangen ist, das in ihrem späteren Leben seinen Tribut zollt. Gleichzeitig erleben wir die Bewohnerin des „Nachbarhauses links“ als reuelos und trotz schlechter physischer Verfassung als zäh und äußerst willensstark, was darauf hindeutet, dass sie sich mit ihrer Situation durchaus zu arrangieren weiß. Dafür liefert die Erzählung eine Erklärung: Botilla Jansen fand mit dem Geld einst etwas, das vermag, die „normalen“ menschlichen Bedürfnisse, welche den Ausschluss jedweder sozialer Kontakte eigentlich nicht zulassen, zu kompensieren – eine Ersatzbefriedigung. Insbesondere an ihrem Goldschatz, den die Greisin Zeit ihres Lebens angehäuft hat, kann sie nun, da ihr jedes andere Glück abhanden gekommen ist, ihre Triebe und Leidenschaften ausleben. Vom Geiz zerfressen, richtet sich folglich ihr ganzes Bemühen darauf, ihr Vermögen zu schützen – komme da, was wolle. Die Chance auf menschliche Nähe hat sie dank einer steten Haltung, die selbst die eigenen Familienmitgliedern zu Schnorrern und potenziellen Dieben erklärt, längst verwirkt.
Die vorliegende Arbeit wird untersuchen, wie das Geld in Botilla Jansens Leben einen solchen Stellenwert einnehmen konnte und in welch destruktiver Weise es sich fortan auf ihr Dasein auswirkt. Dazu wird nachvollzogen, inwiefern Geld bzw. Gold die Lebensstadien der Protagonistin beeinflusste und anhand zweier Theorien ein Einblick in die Psyche der Figur gewagt: Zum einen gibt die Erzählung Anhaltspunkte dafür, der Protagonistin eine Besessenheit durch einen „Dämon Gold“ zu attestieren. Zum anderen, doch daran angelehnt, lässt sich die Macht des Geldes mit einem Fetischismus erklären, also einer irrationalen Subjekt-Objekt-Beziehung, die auf dem Glauben Botillas an die Kraft ihres Goldschatzes beruht. Zu Beginn soll jedoch ein Einblick in die Entstehungsgeschichte der Novelle darlegen, weshalb sich Theodor Storm für einen derart desillusionierenden Stoff, bei dem alles auf das düster gezeichnete Ende eines verwirkten Menschenlebens gerichtet ist, entschied. Den Bogen hierzu schlägt das fünfte Kapitel, in dem geklärt wird, ob mit der Figur Mechtilds, Botillas positivem Gegenbild in der Erzählung, ein „Anlass zur Hoffnung“ vermittelt werden soll.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Desillusionierung des Humanisten Storm infolge gesellschaftlicher Bewegungen
- Botilla Jansen als Paradebeispiel der menschlich gescheiterten Kapitalistin
- Dem Goldrausch auf der Spur: Einflüsse und Auswirkungen im Leben der Botilla Jansen
- Zentrale Anhaltspunkte in der Novelle
- Zwischenfazit I: Das Gold - vier Lebensstadien, ein Bezugspunkt
- Zwischenfazit II: Botilla Jansen als „Opfer“ von Herkunft und Erziehung
- Die Kraft des Goldes – zwei Thesen
- Das Gold als dämonische Kraft
- Das Gold als Fetisch
- Mechtild – Das humane Gegenbild zu Botilla Jansen?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert die Rolle des Geldes und insbesondere des Goldes im Leben der Protagonistin Botilla Jansen in Theodor Storms Novelle „Im Nachbarhause links“. Ziel ist es, aufzudecken, wie das Geld zu einem zentralen Element in Botilla Jansens Existenz wurde und welche destruktiven Auswirkungen es auf ihr Leben hatte. Die Arbeit verfolgt dabei zwei zentrale Thesen: Zum einen wird untersucht, ob Botilla Jansen von einer „Dämon Gold“ besessen ist. Zum anderen soll der Fetischcharakter des Geldes im Leben der Protagonistin beleuchtet werden.
- Die Desillusionierung Theodor Storms im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklungen nach der Gründung des Deutschen Reiches
- Die Rolle des Geldes und des Goldes im Leben der Botilla Jansen
- Die Darstellung von Botilla Jansen als Beispiel für eine gescheiterte Kapitalistin
- Die Kraft des Goldes als dämonische Kraft und als Fetisch
- Der Kontrast zwischen Botilla Jansen und Mechtild als Vertreterin des Humanen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt den Leser in die Thematik der Novelle ein und stellt Botilla Jansen als zentrale Figur vor. Dabei wird deutlich, dass ihr Leben von der zerstörerischen Kraft des Geldes geprägt ist. Kapitel 2 beleuchtet die Desillusionierung des Autors Theodor Storm im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts. Es wird gezeigt, wie Storm die kapitalistische Entwicklung und den zunehmenden Einfluss des Geldes kritisch betrachtet. Kapitel 3 widmet sich den Auswirkungen des Goldes auf das Leben der Botilla Jansen. Es werden die verschiedenen Lebensstadien der Protagonistin und ihre Beziehung zum Goldschatz analysiert. Kapitel 4 beleuchtet die Kraft des Goldes aus zwei Perspektiven: als dämonische Kraft, die Botilla Jansen zu einem egozentrischen und herzlosen Menschen macht, und als Fetisch, der ihr eine irrationale Beziehung zu ihrem Vermögen ermöglicht.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter der Arbeit sind: Theodor Storm, „Im Nachbarhause links“, Botilla Jansen, Geld, Gold, Kapitalismus, Desillusionierung, Dämon Gold, Fetisch, Humanismus.
- Citation du texte
- Wiebke Hugen (Auteur), 2012, Trügerisch, machtvoll, destruktiv – Geld und Gold in Theodor Storms „Im Nachbarhause links“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205729