Der Einfluss von Familie, Schule und Peer Groups auf die Lesesozialisation von Kindern und Jugendlichen


Hausarbeit, 2012

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Lesesozialisation von Kindern und Jugendlichen - Ein Überblick

3. Die Familie - Sozialisationsinstanz der ersten Stunde

4. Das Versagen der Schule im Lesesozialisationsprozess

5. Peer groups als Raum für individuelle Neuorientierung

6. Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Eine der großen Errungenschaften der Menschheit ist die Möglichkeit, das gesprochene Wort auf Papier zu bannen und damit über den Moment der mündlichen Wiedergabe hinaus zu sichern und weiterzugeben. Was früher vereinzelt an Höhlenwänden beziehungsweise auf Tontafeln oder Papyrus begann, wird heute in Zeitungen, Zeitschriften oder Büchern in nahezu unbegrenztem Maße fortgesetzt. Die Geschichte der Schriftlichkeit ist gleichzeitig auch eine Erfolgsgeschichte sondergleichen, stellt sie doch die Grundlage für den heutigen Stand der globalen Zivilisation dar. Die durch die Verschriftlichung der mündlichen Wiedergabe geschaffene Möglichkeit der massenhaften Informationsverbreitung über Länder- und Generationsgrenzen hinaus ist die Basis für die gesamte zivilisatorische Entwicklung unserer Zeit. So wurden mit der stetig steigenden Verfügbarkeit von Schriftgut nach und nach das Lesen und Schreiben zu elementaren Fähigkeiten die nicht mehr nur den Eliten einer Nation vorenthalten werden konnten. Rolf Engelsing geht davon aus, dass mit dem Ende des Ersten Weltkrieges in Deutschland der Analphabetismus beseitigt war, wobei man diese Aussage kritisch betrachten sollte, ließt und hört man heutzutage in den Medien doch immer wieder, dass selbst in unserem Schulsystem vereinzelt Schüler ihren Schulabschluss erlangen, ohne richtig Lesen und Schreiben zu können.1 Festhalten kann man jedoch, dass spätestens seit dem Ende des Ersten Weltkrieges das Lesen und Schreiben für den Großteil der deutschen Bevölkerung zur Grundbildung gehört und somit das Lese- und Schreibverhalten von Schülern zunehmend zur Forschungsgrundlage vieler Pädagogen, Psychologen und Soziologen wurde.

Diese Seminararbeit wird sich in ihrem weiteren Verlauf mit dem Leseverhalten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland beschäftigen und dabei beleuchten, inwieweit die Instanzen Familie, Schule und peer groups ebenjenes Verhalten von Kindern und Jugendlichen beeinflussen.

2. Die Lesesozialisation von Kindern und Jugendlichen - Ein Überblick

Wie bei so vielen Dingen im Leben werden auch beim Lesen schon im frühen Kindesund Jugendalter die Weichen gestellt, was die individuellen Fähigkeiten und Verhaltensweisen bezüglich dieser Kompetenz betrifft. Noch vor der Lesesozialisation setzt beim Kleinkind die literarische Sozialisation durch die Wahrnehmung mündlicher Sprache und die Konfrontation mit Bildern ein. Desweiteren hat die zwischenmenschliche Interaktion einen erheblichen Einfluss auf die literarische Entwicklung im frühkindlichen Alter.2 Kommunikative Situationen zum Beispiel durch das Erzählt- oder VorgelesenBekommen von Erwachsenen spielen eine bedeutende Rolle bei der Vorbereitung der Lesesozialisation von Kindern, da sie den Kindern ermöglichen, das Gehörte gemeinsam mit dem Vorlesenden in die reale Lebenswelt einzuordnen.3

Mit dem Eintritt in das Grundschulalter erleben Kinder in der Regel den Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit. Das Erlernen der unbekannten, die kindliche Neugier weckenden Schriftzeichen wird hierbei vor allem über Handlungen wie Spielen oder Malen gefördert. Hierbei gibt es mehrere Formen, wie Kinder den Zugang zu Texten finden können. Neben dem persönlichen Interesse an den noch unbekannten Schriftzeichen sind der Wunsch, sich ein Vorlesevergnügen selbst schaffen zu können und Erfolgserlebnisse während dieses Lernprozesses mögliche Wege, die den Grundschülern das Erlernen der Schriftlichkeit erleichtern.4

Durch die zunehmende Vertrautheit mit geschriebenen Texten ab der späten Kindheit wird die Freizeitlektüre ein wichtiger Bestandteil des Alltags.5 Maik Philipp hat bei der Auswertung mehrerer nationaler und internationaler Studien zum Thema Buchgenrepräferenzen festgestellt, dass Mädchen und Jungen in diesem Alter unterschiedliche Vorlieben haben, was die Inhalte der Freizeitlektüre angeht. Während Mädchen der vierten bis sechsten Klassenstufe vor allem ÄTiergeschichten, realistische Geschichten und Märchen sowie Sagen“6 bevorzugen, greifen Jungen vor allem zu Krimis und Gruselgeschichten. Abenteuer- und Science Fiction-Romane werden in diesem Alter von beiden Geschlechtern gern gelesen.7

Mit Eintritt in die Pubertät geraten die inzwischen Jugendlichen in der Regel in eine sogenannte ÄLesekrise“, die von starken Schwankungen zwischen der totalen Ablehnungshaltung gegenüber dem Lesen und suchthaften Leseanfällen geprägt ist und in deren Verlauf sich die Lesehäufigkeit in Bezug auf die Gesamtheit der Jugendlichen in Deutschland auf einem niedrigen Niveau einpendelt. Lesen dient den Jugendlichen in dieser Zeit entweder zur Abschottung vom individuellen sozialen Umfeld und zur Lösungssuche für die psychischen Herausforderungen des Erwachsenwerdens oder wird von ihnen als Zeichen der Rebellion gegen die elterlich gewünschten Handlungsmuster abgelehnt.8 Werner Graf bezeichnet diese Phase sehr treffend als ein Äunübersichtliches literarisches Suchverhalten zwischen Frustration und Bestätigung“9.

Entsprechend den Schwankungen in der Lesepraxis während der Pubertät ist das anschließende individuelle Leseverhalten äußerst differenziert und nahezu unvorhersehbar. In der Zeit der ÄLesekrise“ fällt es den Jugendlichen vor allem schwer, das Ärichtige“ Buch zu finden. So kann es durchaus passieren, dass die Lesekarriere nach einer temporären Leseabstinenz, in der Jugendliche ohne Literatur nach der eigenen Identität suchen, keinen neuen Auftrieb erlebt.10 Andererseits ist es jedoch auch möglich, dass Jugendliche nach oder während der ÄLesekrise“ das Lesen neu für sich entdecken und als eine selbstbestimmte und nützliche Form der persönlichen Entwicklung betrachten.11

Der soeben geschaffene Überblick über die Lesesozialisation von Kindern und Jugendlichen ist bezüglich seines Umfangs und seiner Untersuchungstiefe weit davon entfernt, als allgemeingültiges Entwicklungsmuster für das Leseverhalten von Kindern und Jugendlichen zu dienen. Vor allem zwischen den Sozialschichten aber auch zwischen den Geschlechtern sind die soeben genannten Entwicklungsstufen sehr unterschiedlichen ausgeprägt und werden mit sehr unterschiedlicher Stärke durchlaufen. Und selbst innerhalb einer Sozialschicht wie auch unter Mädchen beziehungsweise unter Jungen können sich sehr unterschiedliche Lesekarrieren herausbilden. Vielmehr sollte dieser Überblick die allgemeine Tendenz aufzeigen, dass sich, nach einer anfänglichen - mehr oder weniger stark ausgeprägten - Lesebegeisterung im Kindesalter mit Beginn der Pubertät eine generell rückgängige Lesemotivation einstellt, die letztendlich in sehr unterschiedlichen Lesekarrieren münden kann. Die individuelle Entwicklung der Lesekarriere ist von vielen sozio-psychologischen Faktoren wie zum Beispiel der Lesepraxis im familiären Umfeld, der Schule als Bildungsinstanz als auch den peer groups mit ihren Netzwerken zwischen ÄGleichgesinnten“ abhängig, was im weiteren Verlauf dieser Arbeit thematisiert werden soll.

3. Die Familie - Sozialisationsinstanz der ersten Stunde

Noch vor dem Grundschulalter entwickeln Kinder einen individuellen Habitus der stark auf das spätere Leseverhalten Einfluss nimmt. Gerade in dieser Zeit ist die Lesepraxis im familiären Umfeld des Kindes ausschlaggebend für dessen Einstellung gegenüber dem Lesen, da dieser familiäre Raum in der Regel über viele Jahre gleich bleibt.12 So haben Baker, Scher und Mackler festgestellt, dass Kinder besonders dann eine hohe Lesemotivation aufweisen und Lesen als Vergnügen betrachten, wenn in der Familie das Lesen als gemeinsame vergnügliche Aktivität betrachtet wird.13 Sonnenschein und Munstermann fanden in ihrer Studie heraus, dass die Art und Weise wie das Vorlesen in der Familie gegenüber Fünfjährigen zelebriert wird, einen großen Einfluss auf die Lesemotivation der Kinder in der ersten und zweiten Klasse habe: Je positiver die Interaktion, desto größer die Motivation.14 Auch Hurrelmann ist der Ansicht, dass die Familie die wirksamste Instanz der Lesesozialisation darstellt, da sie einen langanhaltenden Einfluss auf die Lesemotivation und -praxis habe.15

[...]


1 Vgl. Engelsing, Rolf: Analphabetentum und Lektüre. Zur Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen feudaler und industrieller Gesellschaft, Stuttgart 1973, S. 149.

2 Vgl. Graf, Werner: Lesegenese in Kindheit und Jugend. Einführung in die literarische Sozialisation (Deutschunterricht Grundwissen Literatur, Bd. 2), Hohengehren 2007, S.19.

3 Vgl. Rosebrock, Cornelia: Peer group und Lesen: ein vernachlässigtes Forschungsfeld, in: Groeben, Norbert / Hurrelmann, Bettina (Hrsg.): Lesesozialisation in der Mediengesellschaft - Ein Forschungsüberblick, Weinheim, München 2004, S. 251.

4 Vgl. Graf: Lesegenese, 2007, S. 38f.

5 Vgl. Rosebrock: Peer group, 2004, S. 252.

6 Philipp, Maik: Lesesozialisation in Kindheit und Jugend. Lesemotivation, Leseverhalten und Lesekompetenzen in Familie, Schule und Peer-Beziehungen, Stuttgart 2011, S. 56.

7 Vgl. ebd., S. 55f.

8 Hurrelmann, Bettina: Informelle Sozialisationsinstanz Familie, in: Groeben, Norbert / Hurrelmann, Bettina (Hrsg.): Lesesozialisation in der Mediengesellschaft - Ein Forschungsüberblick, Weinheim, München 2004, S. 185.

9 Graf: Lesegenese, 2007, S. 77.

10 Vgl. ebd., ebd.

11 Vgl. Rosebrock: Peer group, 2004, S. 253.

12 Vgl. Schaffner, E.: Determinanten des Leseverstehens, in: Lehnhard, Wolfgang / Schneider, Wolfgang (Hrsg.): Diagnostik und Förderung des Leseverständnisses, Göttingen 2009, S. 19-44; Zitiert nach: Philipp: Lesesozialisation Kindheit/Jugend, 2011, S. 87.

13 Vgl. Baker, L. / Scher, D. / Mackler, K.: Home and Family Influences on Motivations for Reading (Educational Psychologist, Bd. 32 (2)), 1997, S. 69-82; Zitiert nach: Philipp: Lesesozialisation Kindheit/Jugend, 2011, S. 90.

14 Vgl. Sonnenschein, S. / Munstermann, K.: The Influence of Home-Based Reading Interactions on 5- Year-Olds‘ Reading Motivations and Early Literacy Development (Early Childhood Research Quarterly, Bd. 17 (3)), 2002, S. 318-337; Zitiert nach: Philipp: Lesesozialisation Kindheit/Jugend, 2011, S. 90.

15 Vgl. Hurrelmann: Sozialisationsinstanz Familie, 2004, S. 169.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Der Einfluss von Familie, Schule und Peer Groups auf die Lesesozialisation von Kindern und Jugendlichen
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
17
Katalognummer
V208044
ISBN (eBook)
9783656352907
ISBN (Buch)
9783656354987
Dateigröße
550 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Familie, Schule, peer-groups, peer group, Lesesozialisation, Sozialisationsinstanz
Arbeit zitieren
Simon Thiele (Autor:in), 2012, Der Einfluss von Familie, Schule und Peer Groups auf die Lesesozialisation von Kindern und Jugendlichen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/208044

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