Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Disziplin der ,Neuroästhetik’
3 Überblick über die Empirische Hypothesen aus Linda Palmers ,Kant and the Brain´
3.1 Palmers Zusammenfassung der Kritiken Kants
3.2 Palmers Empirische Hypothesen
4 Kritische Erörterung der Hypothesen Palmers
4.1 Auseinandersetzung mit Kant
4.2 Auseinandersetzung mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen
4.3 Auseinandersetzung mit dem neuro-philosophischen Kontext
5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Kant ist als ein Ansatz der philosophischen Ästhetik zu sehen, der im Gegensatz zu anderen Autoren (wie Hegel, Adorno, Gehlen, Fiedler, Danto) im Bereich der Philosophie der Kunst nicht das Kunstwerk im Mittelpunkt sieht. Die Beschäftigung mit Kant dient hier der Herausstellung eines Ansatzes der ästhetischen Wahrnehmung – der Theorie eines menschlichen Urteils allein bei der Wahrnehmung des Schönen und des Erhabenen.
In Fokussierung auf diesen wahrnehmungs-ästhetischen Aspekt der Kunst finden sich auch aktuelle empirische naturwissenschaftliche Ansätze, die versuchen neuronale Korrelate für solche Prozesse der ästhetischen Wahrnehmung zu beschreiben. In diesem Rahmen hat sich ein interdisziplinäres Feld der ´Neuroästhetik’ gebildet.
In der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen einen solchen neuroästhe-tischen Ansatz zu beleuchten. Zunächst soll ein knapper allgemeiner Einblick in das Feld der ,Neuroästhetik’ gegeben werden. Kernteil der Arbeit soll dann die neuroästhetische Fokussierung auf das Konzepts Kants zum ,Geschmacksurteil’ sein. Anhand eines empirischen Deutungsansatzes der Autorin Linda Palmer vom Department of Philosophy der Carnegie-Mellon University in Pittsburgh mit dem Titel ,Kant and the Brain – A new empirical hypothesis’ (Palmer, 2008) soll so beispielhaft gezeigt werden, wie eine neurowissenschaftliche Übertragung von Kants Konzept aussehen kann. Im weiteren Verlauf soll beleuchtet werden inwieweit Palmers Ansatz einerseits schlüssig Kant interpretiert. Anderseits wird ihr Ansatz in Zusammenhang mit anderen neurowissenschaftlichen Ergebnissen gestellt, um herauszuarbeiten inwieweit Palmer die relevanten empirisch neurowissenschaftliche Ergebnisse herausgreift. Schließlich wird der Ansatz Palmers genutzt, um zu fragen, was ein solches Konzept für das Spannungsfeld zwischen Philosophie und Neurowissenschaften überhaupt leisten kann. Die ,Neuroästhetik’ wie sie hier bespielhaft gezeigt wird, wird so in den Gesamt-zusammenhang der ,Neurophilosophie’ gestellt. Es soll so gezeigt werden, dass in dieser Disziplin die Verbindung empirischer neurowissenschaftlichen Daten mit philosophischen Konzepten nur ein Aspekt sein kann. Ein anderer Aspekt wäre die theoretisch neurophilosophische Frage nach den wissenschaftstheoretischen Möglichkeiten solcher empirisch beleuchteter Erkenntnis überhaupt. Hier schließt sich erneut der Kreis zu Kant im Sinne seiner ersten Kritik, der ,Kritik der reinen Vernunft’ (vgl. Kant KrV, 1781/1887). Es stellt sich nämlich die Frage: Können wir aufgrund unserer inneren Beschaffenheit überhaupt solche Erkenntnisse über unsere neuronalen Struktur der ästhetischen Wahrnehmung erlangen?
2 Die Disziplin der ,Neuroästhetik’
Gute deutschsprachige Übersichten über aktuelle Themen der ,Neuroästhetik’ finden sich in den Bänden ,Neuroästhetik’ herausgegeben von Martin Dresler (Dresler, 2009) sowie in dem von Katrin Hermann herausgegeben Band ,Neuroästhetik - Perspektiven auf ein interdisziplinäres Forschungsgebiet’ (Hermann, 2011). Eine englischsprachige Aufsatzsammlung findet sich unter dem Titel ,Beaty and the Brain – Biological Aspects of Aesthetics’ (Rentschler, Herzberger, Epstein, 1988). In der Sammlung von Hermann findet sich vor allem im Aufsatz ‚Beautiful Brains and Magnificent Minds – Neuroaesthetics as a Link between Neuroscience and Philosophy of Mind’ von Kirsten Brukamp (Brukamp, 2011) eine recht systematische Übersicht über verschiedene Aspekte und Ebenen dieser Disziplin. Sie unterscheidet die neurowissenschaftliche Untersuchung der Grundlagen von ästhetischer Wahrnehmung, Kreativität und Kunsttheorie (vgl. Brukamp 2011, 53-54). Ferner nennt sie die Untersuchung gegenseitiger Inspiration von Neurowissenschaft und Kunst als Ebenen der ,Neuroästhetik’ (vgl. Brukamp 2011, 54). Schließlich führt sie als Aspekt der ,Neuroästhetik’ aus, dass die bildliche die Darstellung morphologischer neuronaler Strukturen und in einem weiteren Sinne auch der lebende Organismus und der Geist selbst Kunstwerk sein können (vgl. Brukamp, 2011, 54-55). Es wird daher bereits auf formaler inhaltlich ordnender Ebene deutlich, dass die hier analysierte Arbeit zu empirischen Hypothesen Palmers zum Geschmacksurteils bei Kant wesentlich den ersten Aspekt neurowissenschaftliche Untersuchung - nämlich die Grundlagen von ästhetischer Wahrnehmung aufgreift. Brukamp nennt aber durchaus auch insgesamt vielfach zitierte bekannte Neurowissenschaftler, die sich frühzeitig der ,Neuroästhetik’ zuwandten und bereits auch neben dem Aspekt der Erforschung neuronaler Aspekte der ästhetischen Wahrnehmung die weiteren Aspekte wie Kreativität und Kunsttheorie aufgreifen: Ramachandran und Hirnstein sowie Zeki. Diese Autoren sind die ersten, die 1999 im ,Journal of Consciousness Studies’ in einer Sonderausgabe mit dem Titel ,Art and the Brain’ dieses Thema aufgriffen (Ramachandran und Hirnstein, 1999; Zeki, 1999). Diese wurden gefolgt von anderen Autoren dieser Ausgabe und einer weiteren Ausgabe mit dem Titel ,Art and the Brain II’ im Jahr 2000. Zu den o.g. Autoren bietet ferner André Schmiljun in einer Studienarbeit ,Die Rolle der Kunst im Spiegel der Neuroästhetik’ (Schmiljun, 2008) einen übersichtlichen Einblick, der hier als orientierend herangezogen wird. Kurzgefasst gehe es Ramachandran und Hirnstein um das Erarbeiten neuronaler Prozesse der angenehmen Empfindung. Dabei sei die Aufgabe der Kunst nicht allein, das Essentielle der Dinge, die eine bestimmte Emotion auslöse, durch Kunst herauszuarbeiten. Vielmehr bestehe die Aufgabe der Kunst darin, die zu Grunde liegende neuronalen Strukturen noch stärker zu aktivieren, als diese durch ein natürliches Objekt bereits der Fall sei (vgl. Schmiljun 2008,7). Hierzu werden Ramachandran und Hirnstein direkt zitiert:
Indeed, as we shall see, what the artist tries to do (either consciously or unconsciously) is to not only capture the essence of something but also to amplify it in order to more powerfully activate the same neuronal mechanisms that would be activated by the original object. (Ramachandran und Hirnstein, 1999, 16)
Es wird von Schmiljin herausgearbeitet, dass Zeki in diesem Zusammenhang über die These von Ramachandran und Hirnstein hinausgeht, da er davon ausgehe, dass neben den Künstlern auch die Neurobiologie selbst durch die Erforschung der Funktion des Gehirns am künstlerisch schaffenden Prozess des Herausarbeitens des Essentiellen teilhat (vgl. Schmiljun 2008,12).
Für die hier zu analysierende Arbeit Palmers zu neuronalen Grundlagen des Geschmacksurteils bei Kant ist dabei besonders von Interesse, dass Zeki anders als Hirnstein und Ramachandran von einer aktiven Rolle des Gehirns beim Erfassen des Essentiellen ausgeht:
Essentially, this is what the brain does continually – seizing from the constantly changing information reaching it the more essential one, distilling from the successive views the essential character of objects and situations. (Zeki, 1999, 80)
Wie eingangs erwähnt, zeigen diese Beispiele der ,Neuroästhetik’ einerseits, dass das Gebiet durchaus auch entsprechend der in der Einleitung genannten breiten Definition von ,Kunstphilosophie’ Verwendung findet. Hier soll im Folgenden aber im Wesentlichen der Aspekt der neurowissenschaftlichen Untersuchung der ästhetischen Wahrnehmung am Beispiel neuronalen Grundlagen des Geschmacksurteils bei Kant aufgenommen werden.
3 Überblick über die Empirische Hypothesen aus Linda Palmers ,Kant and the Brain´
3.1 Palmers Zusammenfassung der Kritiken Kants
Palmer arbeitet zunächst die für sie wesentlichen Aspekte der drei Kritiken Kants heraus, um schließlich nach neuronalen Korrelaten hiervon zu fragen. Um den zweiten Schritt der neurowissenschaflichen Hypothese gut zu verstehen, wird hier eingangs auf die von ihr herausgearbeiteten Punkte aus den Kritiken Kants eingegangen. Direkt in der Einführung (vgl. Palmer, 2008, 1) wird kurz die Kantische Terminologie des ,Urteils’ aus der ,Kritik der reinen Vernunft’ (vgl. Kant KrV, 1781/1787) aufgegriffen. Das Urteil sei der aktive mentale Akt generelle Konzepte / Begriffe auf partikulare Erscheinungen anzuwenden. Hierbei wird bereits auf die aus der Kritik der reinen Vernunft bekannten Termini ,Anschauung’ und ,Erkenntnis’ Bezug genommen.
In Kant’s terminology these are examples of judgment: the mental act of applying general concepts to particulars. This act, for Kant, involves the coordination of two mental abilities, identified in his Critique of Pure Reason as “understanding” and “imagination” respectively. (Palmer, 2008,1)
Im zweiten Abschnitt (vgl. Palmer, 2008, 2ff.) werden dann die wesentlichen Aspekte aus Kants Kritik der reinen Vernunft wie Kategorienbildung/ Verstandesbegriffe zur Erläuterung der Erkenntnis a priori und die reinen Formen der Anschauung ,Raum’ und ,Zeit’ erläutert.
Schließlich wird auf die Kritik der Urteilskraft (Kant KdU, 1799, §21) Bezug genommen:
In his Critique of Judgment Kant adds a new development to this theory. In the course of an analysis of judgments of beauty, Kant argues that an internal signal (of pleasure) accompanies the coordination of imagination and understanding in judging. This signal is found, he argues, not only in the purely “aesthetic judgment” of beauty but also in cognition [...] Kant here appears to propose nothing less than an additional sense, one not devoted to processing external sensory inputs, nor internal bodily signals such as balance, hunger, and so forth, but instead reporting on the processing state of the mind itself. (Palmer 2008, 1)
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