Authentizität in Michael Glawoggers Film „Megacities“

Eine Dokumentarfilmanalyse


Hausarbeit, 2013

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Authentizität im Dokumentarfilm: Begriffserklärung
2.1 Dokumentarfilm
2.2 Authentizität
2.3 Authentisirungsstrategien

3. Sequenzanalyse
3.1 Ausgangsbasis: Filmprotokoll
3.2 Analyse auf auditiver Ebene
3.3 Analyse auf visueller Ebene

4. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang 1: Filmdaten

Anhang 2: Filmprotokoll

1. Einleitung

Im Michael Glawoggers Film „Megacities. 12 Geschichten von Überleben.“, den er selbst als Dokumentarfilm bezeichnet1, handelt es sich um die Geschichten von Menschen am Ran- de der Gesellschaft in den vier Großstädten Mumbai, Mexiko-City, Moskau und New York. In 12 Filmabschnitten begleitet er arme Menschen in ihrem Kampf ums Überleben und zeigt dabei ihre Einzelschicksale. Über jede Großstadt werden jeweils drei Geschichten erzählt.

In der vorliegenden Arbeit werden am Beispiel einer Filmsequenz „Moskau - Für einen Silberrubel“ des Glawoggers Films die Authentisierungsstrategien und Authentizitätsarten in diesem Dokumentarfilm untersucht. An diesem Fallbeispiel soll untersucht werden, ob Glawogger solche Strategien einsetzt und wie diese Strategien auf die Zuschauer wirken können bzw. wie der Regisseur sie zu wirken beabsichtigt. Darüber hinaus werden die Vor- und Nachteile der Authentisierungsstrategien erörtert.

In den Abschnitten 2.1 und 2.2. werden einführend für die vorliegende Untersuchung wesentliche Begriffe wie „Dokumentarfilm“ und „Authentizität“ erläutert. Abschnitt 2.3. widmet sich den visuellen und den auditiven Authentisierungsstrategien.

Im Abschnitt 3.1. wird zuerst eine kurze Beschreibung des Filmprotokolls gegeben. An- schließend werden in Abschnitt 3.2. die von Glawogger eingesetzten auditiven Authentisi- rungsstrategien analysiert. Abschnitt 3.3. widmet sich den vom Regisseur eingesetzten visuel- len Authentisirungsstrategien, wobei insbesondere die Einstellungsgrößen analysiert werden.

Der Abschluss der Untersuchung bildet Abschnitt 4, in dem die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit thesenförmig zusammengefasst und Fragestellungen beantwortet werden.

2. Authentizität im Dokumentarfilm: Begriffserklärung

2.1. Dokumentarfilm

Da es mehrere Definitionen von Dokumentarfilmen existieren, erscheint es sinnvoll, diese verschiedenen Definitionen aus unterschiedlichen Quellen zu betrachten, um besseres Verständnis der Authentizitätsstrategien in Dokumentarfilmen für diese Arbeit zu erlangen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Definition eines Dokumentarfilms keine triviale Aufgabe ist, wie das folgende Zitat zeigt:

„Im Diskurs über Dokumentarfilm werden von allen zwangsläufig und ganz selbstverständlich viele gewichtige Begriffe benutzt: Wahrheit, Realität, Authentizität, Glaubwürdigkeit, Mut, Haltung, Korruption, Manipulation, Grenzen, Freiheit. Geht es allerdings darum, diese Abstraktion zu defi- nieren, zu konkretisieren, ist mitunter eine gewisse Ängstlichkeit oder Unsicherheit zu spüren, die sich oft in einer Form von Unmut und Lustlosigkeit äußert, sich mit dem Gehalt dieser großen Wort näher auseinanderzusetzen. Provozierend könnte man behaupten: Viele berufen sich auf Realität und Freiheit, aber nur wenige können oder wollen sagen, was sie darunter verstehen.“ (SCHADT 2012: 19f.)

KRACAUER unterscheidet zwischen zwei allgemeinen Filmtypen: „der Spielfilm und der Film ohne Spielhandlung“ (KRACAUER 1973: 237 in HICKETHIER 2007: 181) und bringt damit den Gegensatz zwischen „Fiktion“ und „Nonfiction“ bzw. Dokumentation zum Ausdruck (HICKETHIER 2007: 181). Es handelt sich hier um eine Definition auf Basis der Gegenüberstellung des fiktionalen (Spielfilm) und nicht-fiktionalen (Dokumentarfilm) Films. Diese Gegenüberstellung scheint ungenau zu sein.

Für SILBERMANN ist Dokumentarfilm ein „auf der Realität beruhender Filmtyp ohne Berufsschauspieler und ohne Spielhandlung“ (HATTENDORF 1999: 43). Für SCHADT geht es in einem Dokumentarfilm um „nonfiktionale Realität, das Dokumentieren des real stattfin- denden, nonfiktionalen Lebens“ (SCHADT 2012: 23). RABIGER spricht in diesem Zusam- menhang über eine „Ausschnitt der Realität, gesehen durch die Augen eines fühlenden Men- schen, denn jeder Dokumentarfilm betrachtet die Wirklichkeit aus der Perspektive eines Indi- viduums.“ (RABIGER 2000: 16) Insgesamt lässt sich aus diesen Definitionen festhalten, dass einen Dokumentarfilm auf Realität basieren und einen Wirklichkeits- bzw. Wahrheitsans- pruch haben soll. „Das Dokumentarische soll die Welt zeigen, „wie sie ist“.“ (HICKETHIER 2007: 183) In diesem Zusammenhang spricht man von der „Objektivität des dokumentarisch Gezeigten“, wobei von einigen Dokumentaristen der „Verzicht auf den Eingriff in die Wirk- lichkeit“ angestrebt wird2. (ebd.: 182f.) Eine gegensätzliche Grundhaltung ist, dass ein Do- kumentarist das Material „organisieren und zum Sprechen bringen muss“ (ebd.). Man spricht von Inszenierung als ästhetischer Organisation des Materials. Während beim Spielfilm der Inszenierungscharakter offensichtlich ist, kann die Inszenierung in einem Dokumentarfilm einen Eingriff in die Wirklichkeit darstellen und ist nicht unumstritten. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass viele berühmte Dokumentarfilme „bis ins letzte Detail“ insze- niert wurden (ebd.: 184).

2.2. Authentizität

Der Begriff „Authentizität“ wurde im Mittelalter im Zusammenhang mit Schriftstücken und Reliquien verwendet und bedeutete „original, echt, zuverlässig“, also nicht gefälscht, wobei diese Bedeutung bis heute ihre Gültigkeit hat (KRISZIO 2006: 28).

In den Medien wird der Begriff „Authentizität“ im Zusammenhang mit der „Qualität do- kumentarischer Formate“ verwendet (ebd.: 29). HATTENDORF unterscheidet zwischen zwei Authentizitätsarten. Gemäß der ersten Variante ist ein Film authentisch, wenn die „objektive Echtheit“ bzw. ein Ereignis filmisch so abgebildet wurde, dass die filmische Aufnahme den Prozess dieses Ereignisses nicht beeinflusst hat. Es handelt sich demnach bei dieser Aufnah- me um einen Ausschnitt der Realität „wie sie ist“. Authentizität ist demnach eine natürliche Gegebenheit und „liegt in der Quelle begründet“ (HATTENDORF 1999: 67).

Gemäß der zweiten Variante geht es nicht um den unmittelbaren Bezug zur abgebildeten Wirklichkeit bzw. Realität, sondern um die Glaubwürdigkeit des Films bzw. seine Wirkung auf Zuschauern und ist „abhängig von der Wirkung filmischen Strategien im Augenblick der Rezeption“ (ebd.). Authentizität in dieser Form entsteht erst im Kopf des Zuschauers während des Sehens eines Films, sie ist also im Gegensatz zu der ersten Begriffsvariante keine Eigenschaft der Realität, sondern ein Gefühl, das durch einen Film vermittelt werden kann (SPONSAL und SEBENING 2009: 106).3

In diesem Zusammenhang kann ein Rückgriff auf die Definition der Realitätsebenen nach HOHENBERGER hilfreich sein:

1. die nichtfilmische Realität: Realität vor dem Moment der filmischen Produktion, die vorgibt, was gefilmt wird;
2. die vorfilmische Realität: „die Realität, die im Moment der Filmaufnahme vor der Kamera ist“;
3. die Realität Film: umfasst alle Filmherstellungsprozesse und Inputfaktoren, die in die Filmproduktion eingehen;
4. die filmische Realität: der eigentliche Film bzw. im Film gezeigte Realität;
5. die nachfilmische Realität: Rezeption im weitesten Sinn bzw. nichtfilmische Realität des Rezipienten. (HOHENBERGER 1988: 29f.)

Im Rahmen dieser Arbeit wird unter der Authentizität im Sinne des Bezugs zur abgebildeten Realität als Authentizität der Quelle verstanden und lässt sich mithilfe vom Abgleich mit der nichtfilmischen Realität nach HOHENBERGER überprüfen. Die Authentizität im Sinne von Glaubwürdigkeit des Films bzw. seiner Rezeption (nachfilmische Realität) wird hier unter Authentizität der Wahrnehmung verstanden. HATTENDORF spricht darüber hinaus über die Authentizität der Form, die sich aus der Glaubwürdigkeit der Strategien filmischer Bearbeitung ergäbe (HATTENDORF 1999: 71).

2.3. Authentisirungsstrategien

HATTENDORF versteht unter Authentisierungsstrategien „filminterne pragmatische Markierungen“4, die zum Abschluss eines „Wahrnehmungsvertrages“ mit dem Zuschauer führen. Im Falle, dass der Zuschauer trotz der Appelle dieser Markierungen den Film als nicht authentisch einstuft, führt das zum Vertrauensbruch und Ablehnung der „Botschaft“5 des Fil- memachers (HATTENDORF 1999: 311). Man kann diese Markierungen in zwei Gruppen unterteilen: Authentisirungsstrategien auf der visuellen Ebene und Authentisirungsstrategien auf der auditiven Ebene.

Eine Authentisirungsstrategie auf der visuellen Ebene ist beispielsweise die Verwen- dung der Handkamera, weil sie verwackelte und amateurhaft wirkende Bilder (Authentizität der Form) erzeugt, die von Zuschauern oft als authentisch wahrgenommen werden (Authenti- zität der Wahrnehmung), man spricht von „less-than-perfect cinematographic images.“ (BARSAM 1992: 302) Darüberhinaus werden die mithilfe der mit der Handkamera gemach- ten Amateur-Aufnahmen in der Regel aus der „Menschenperspektive“ (Kamera befindet sich auf Augenhöhe des Kameramanns) aufgenommen. Solche Aufnahmen können die Wirkung des Dabei-Seins erzeugen: der Zuschauer hat den Eindruck, „vor Ort“ gewesen zu sein.

Eine Authentisirungsstrategie auf der auditiven Ebene is beispielsweise die Verwendung des Original-Tons6. In den Dokumentarfilmen wird in der Regel angestrebt, mit dem Original- Ton zu arbeiten, um den Anspruch zu erfühlen, „ein „authentisches“ Dokument der Realität“ zu erstellen. Beim O-Ton Bericht handelt es sich beispielsweise um eine verkürzte Form der Reportage, bei der auf diese Weise vermittelt wird, dass ein Reporter „vor Ort“ eines Gesche- hens ist (HICKETHIER 2007: 186). Off-Screen Ton bzw. Off-Kommentar wird in den Do- kumentarfilmen oft durch den Filmemacher benutzt, um den Dokumentarfilm informativer zu machen. Die Erzählstimme kann auch die gezeigten Personen oder ihre Handlungen kommen- tieren. In Spielfilmen sind dagegen die Off-Erzähler, die überhaupt nicht im Bild auftauchen, selten zu treffen (MIKOS 2008: 238).

Die Markierungen bzw. Authentizitätssignale umfassen darüber hinaus verbale Hinweise auf die Echtheit der gestellten Ereignisse, lange nicht geschnittene Einstellungen, Präsenz des Filmemachers im Film, Verwendung der Dialekte, Zeigen des Archivmaterials und abgefilmten Dokumenten. (HATTENDORF 1999: 71ff.)

3. Sequenzanalyse

3.1. Ausgangsbasis: Filmprotokoll

Im praktischen Teil werden die Authentizität und die zugrunde liegende Strategien des Regisseurs systematisch auf Basis eines Filmprotokolls von „Megacities“ analysiert (siehe Anhang „Filmprotokoll“). Da die Analyse des ganzen Filmes den Umfang dieser Arbeit sprengen würde, wurde die Analyse auf Basis von einer Kurzgeschichte bzw. Filmabschnitt „Moskau - Für einen Silberrubel“ vorgenommen. Schwerpunkt der Untersuchung bilden die Identifizierung und Beschreibung der Authentisierungsstrategien auf auditiver (am Beispiel der Tonanalyse) und visueller (am Beispiel der Einstellungsgrößen) Ebene. Der entsprechende Filmprotokoll in vereinfachter Form beinhaltet Anfangs- und Endzeit einer Einstellung, Einstellungsdauer, Einstellungsgröße, Geräusche, Sprache und Musik, Lichtverhältnisse, Kamerabewegung und kurze Beschreibung des Bildinhalts.

[...]


1 Interview mit Michael Glawogger auf http://www.glawogger.com/htm/dokus/megacities.php (Zugriff am 12.02.2013)

2 Dieser möglichst wirklichkeitsnahen Aufzeichnung der Realität haben sich beispielsweise die Strömungen Cinema Vérité und Direkt Cinema verpflichtet. Die typischen Filmemacher von Direkt Cinema haben bspw. zum Ziel gesetzt haben, möglichst unbemerkt, rein beobachtend zu filmen und auf Inszenierungen zu verzichten. Auf eine besondere Beleuchtung und einen erhöhten technischen Aufwand wurde dabei verzichtet.

3 http://ipf.zhdk.ch/daten/subtext02.pdf(Zugirffam 11.03.2013)

4 HATTENDORF beschreibt in diesem Zusammenhang fünf Typen der dokumentarischen Authentisierung einer Darstellung: Dominanz des Wortes, Dominanz der Bilder, ausgewogenes Verhältnis von visuellen und verbalen Zeichen, Rekonstruierende Inszenierung und meta- diegetische Inszenierung. Die Beschreibung dieser Authentisierungstypen wird hier außen vor gelassen, da diese den Rahmen dieser Semi- nararbeit sprengen würde.

5 Sodass der Dokumentarist sein Material nicht mehr zum Sprechen bringen kann.

6 Der Ton in den Filmen kann aus zwei Perspektiven betrachtet und analysiert werden. Zum einem kann man zwischen On-Screen (die Quelle der Sprache bzw. der Sprechern ist im Bild zu sehen) und Off-Screen (die Quelle der Sprache bzw. der Sprechern ist im Bild nicht zu sehen) unterscheiden. Dabei kommt es darauf an, ob der Ton der Quelle zugeordnet werden kann, sie muss also nicht ununterbrochen im Bild zu sehen sein. Bei einem Erzähler bzw. Kommentator oder Interviewer, der überhaupt nicht im Bild gezeigt wird, handelt es sich um einen Off-Screen (auch Off-Kommentar genannt). Bei der zweiten Perspektive kommt es darauf an, ob es sich um den Ton handelt, der wäh- rend der Dreharbeiten aufgenommen wurde (Original-Ton) oder um den bearbeiteten oder nach Abschluss der Dreharbeiten erst aufgenom- men Ton (nicht Original-Ton) (MIKOS 2008: 237f).

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Authentizität in Michael Glawoggers Film „Megacities“
Untertitel
Eine Dokumentarfilmanalyse
Hochschule
HafenCity Universität Hamburg
Veranstaltung
Stadt im Film
Note
1,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
20
Katalognummer
V210442
ISBN (eBook)
9783656386070
ISBN (Buch)
9783656387329
Dateigröße
763 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar des Dozenten: "das war eine tolle arbeit, super aufbau, gute recherche die du toll auf deine filmanalyse übertragen hast"
Schlagworte
Authentizität, Authentizitätsstrategien, Dokumentarfilm, Dokumentarfilmanalyse, Film, Filmanalyse, Stadt im Film
Arbeit zitieren
Anna Korchagina (Autor:in), 2013, Authentizität in Michael Glawoggers Film „Megacities“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/210442

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