Das Modell “Produktionsschule“ als ein Instrument für die Entwicklungszusammenarbeit

Eine Untersuchung der institutionellen Umsetzbarkeit des Produktionsschulprinzips in der Berufsbildungszusammenarbeit


Tesis de Máster, 2012

92 Páginas, Calificación: 1,1


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1.0 Einleitung
1.1 Untersuchungsgegenstand und Problemkomplex
1.2 Erkenntnisinteresse und Zielsetzung
1.3 Forschungsstand und Relevanz
1.4 Methode und Aufbau

2.0 Berufsbildungszusammenarbeit in Entwicklungsländern
2.1 Das Umfeld von Berufsbildungszusammenarbeit - Eine definitorische Auseinandersetzung
2.1.1 Industrieland
2.1.2 Entwicklungsland
2.2 Entwicklungshilfe und entwicklungstheoretische Entwicklung
2.3 Aktuelle Schwerpunkte der Entwicklungszusammenarbeit
2.4 Berufsbildungszusammenarbeit in Entwicklungsländern
2.4.1 Entwicklungsgeschichte der Berufsbildungszusammenarbeit
2.4.2 Aktuelle Konzepte und Erkenntnisse der Berufsbildungszusammenarbeit
2.5 Zusammenfassung der Ergebnisse

3.0 Das Produktionsschulmodell
3.1 Abriss der Entstehungsgeschichte des Produktionsschulprinzips in Europa
3.1.1 Europäische Fallbeispiele zur Entstehung von ersten Produktionsschulen
3.1.1.1 Vollqualifizierende Fachschulen mit Lehrwerkstätten
3.1.1.2 Thematische Bezüge
3.1.2 Entwicklung der Produktionsschulen in Deutschland
3.1.2.1 Die Idee der elastischen Einheitsschule
3.1.3 Produktionsschulen auf dem Weg in die Moderne
3.1.3.1 Entstehung und Entwicklung des dänischen Produktionsschulsystems
3.1.3.2 Impulse für die Entstehung des modernen deutschen Produktionsschulsystems
3.2 Deutsche Produktionsschulen
3.2.1 Funktion und Prinzip der Produktionsschulen in Deutschland
3.2.2 Rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen in Deutschland
3.2.3 Die Verbleibforschung
3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse

4.0 Charakteristika von Produktionsschulen und deren Qualifikationsstruktur in Entwicklungsländern
4.1 Berufsfelder und Qualifikationsanforderungen
4.2 Produktionsschulansätze in Entwicklungsländern
4.2.1 Die Don Bosco Produktionsschulen
4.2.2 Produktionsschuleigene Erfolgsfaktoren auf dem informellen Berufsbildungssektor am Beispiel der Don Bosco Produktionsschulen
4.2.3 Das German-Singapore Institute (GSI)
4.2.4 Produktionsschuleigene Erfolgsfaktoren auf dem formellen Berufsbildungssektor am Beispiel des German-Singapore Institute (GSI)
4.3 Zusammenfassende Typisierung und Klassifikation von Produktionsschultypen

5.0 Chancen und Grenzen des Produktionsschulprinzips
5.1 Ungeklärte Fragen zur Effizienz von Produktionsschulen
5.2 Wirkungsbereiche von Produktionsschulen in Entwicklungsländern
5.2.1 Realistische abdeckbare Lern- und Berufsfelder in der Berufsbildungszusammenarbeit
5.2.2 Realistische Einsatzbereiche in der Berufsbildungszusammenarbeit

6.0 Zwischenfazit
6.1 Zur allgemeinen Berufsbildungszusammenarbeit
6.2 Zum Produktionsschulprinzip in der Berufsbildungszusammenarbeit

7.0 Umsetzbarkeit des Produktionsschulprinzips in Entwicklungsländern
7.1 Umweltfaktoren für einen gewinnbringenden Einsatz von Produktionsschulen
7.2 Produktionsschulinterne Strukturen für einen gewinnbringenden Einsatz in Entwicklungsländern

8.0 Forschungsempfehlung für die Berufsbildungszusammenarbeit
8.1 Überblick
8.2 Konsequenzen für die Berufsbildungsforschung
8.3 Rückschlüsse für die deutsche Produktionsschullandschaft

9.0 Quellen- und Literaturverzeichnis
9.1 Verwendete Literatur
9.2 Verzeichnis verwendeter Internetquellen
9.3 Sonstige Quellen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Millennium Development Goals 2000-2015

Abbildung 2: Schüler der Produktionsschule Altona nach dem Abgang

Abbildung 3: Schüler der Produktionsschule Zaarendorf nach dem Abgang

1.0 Einleitung

Die Bundesrepublik Deutschland betreibt schon seit den 1960er Jahren im Rahmen der internationalen Gemeinschaft Entwicklungszusammenarbeit. Sie gehört damit zu einer Allianz von reichen Ländern, welche in die wirtschaftliche Entwicklung von Ländern der Dritten Welt investieren (vgl. Arnold 1989, S. 11). Die dabei angewendeten Mittel und Instrumente sind vielfältig und unter anderem abhängig von der vorbefindlichen Kultur, den jeweiligen Landeseigenheiten und der Infrastruktur des jeweiligen Schwellenlandes. Obwohl die weltweiten entwicklungspolitischen Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft immer weiter verstärkt wurden, lassen deren Ergebnisse den Betrachter in vielen Fällen ernüchtert zurück. Bereits Ende der 1970er Jahre wurde trotz einiger Erfolge festgestellt, dass Hunger, Armut, Menschenrechtsverletzungen und Arbeitslosigkeit in vielen Ländern trotz des verstärkten Engagements von außerhalb dramatisch zugenommen haben (vgl. Axt/Karcher/Schleich 1987, S. 13), was letztlich dazu führte, dass zahlreiche entwicklungspolitische Maßnahmen in den letzten Jahrzehnten immer schärfer hinterfragt wurden. Alex Dreher, Professor für Development Economics, bemerkte dazu beispielsweise, dass Entwicklungshilfe in ihrer gegenwärtigen Form dazu diene, das Gewissen der Geber zu beruhigen, jedoch den Armen dieser Welt nicht helfen würde (vgl. Dreher 2005, S. 31).

Die Gründe für die angedeutete Entwicklung sind ebenso vielfältig wie komplex. Stetiges Bevölkerungswachstum, der Klimawandel, staatliche Fragilität und instabile Märkte sind verzahnt mit kulturellen und religiösen Unterschieden, differenten Regierungssystemen, technischem Wandel, erhöhten Qualifikationsanforderungen und den jeweiligen Zugangsmöglichkeiten zu einer soliden Bildung. Dazu kommt, dass die Hilfeleistungen der Geberländer, welche sich in Zahlen ausgedrückt inzwischen auf eine jährliche Summe von fast 65 Milliarden US Dollar belaufen, aus den unterschiedlichsten Motiven in die Nehmerländer transferiert werden (vgl. Bliss 2001, S. 7). Diese wenigen Punkte verdeutlichen paradigmenhaft, dass eine nachhaltige Entwicklungshilfe in Zeiten des 21. Jahrhunderts vor großen Herausforderungen steht, denn die Vielzahl von zusammenhängenden Wirkmechanismen und deren mannigfaltige, interdependente und komplexe Ausprägung bedürfen einer ebenso vielschichtigen und zusammenhängenden Strategie um erfolgreich zu sein (vgl. BMZ, Chancen schaffen – Minds for Change 2011, S. 8). Neben der rein finanziellen Zusammenarbeit mit den Nehmerländern, welche im Wesentlichen die Finanzierung von Sachgütern und diverse Anlageinvestitionen umfasst, konzentriert man sich inzwischen auch auf die technische und personelle Zusammenarbeit.

Die technische Zusammenarbeit lag in Deutschland nach Auftragsvergabe durch die Bundesregierung schwerpunktmäßig im Verantwortungsbereich der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ)[1], sowie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). Die Aufgaben dieser Institutionen umfassen die Bereitstellung von fachkundigen Beratern, entsprechend qualifizierten Ausbildern, Fachkräften und Sachverständigen für die Umsetzung von diversen Projekten. Darüber hinaus kümmert man sich um die Bereitstellung von entsprechender Ausrüstung und Materialien. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Aus- und Fortbildung einheimischer Fach- und Führungskräfte im Entwicklungsland selbst (vgl. BMZ, Journalistenhandbuch, 1998, S. 224-232).

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) verdeutlichte in einem im August 2011 erschienenen Richtlinienkonzept („Chancen schaffen – Minds for Change“), dass zielgerichtete Entwicklungshilfe zwar deutliche Perspektiven für ein Schwellenland eröffnen kann, jedoch sich daraus ergebende Potentiale nur durch ein großes Maß an Eigenanstrengung und Selbstverantwortung des jeweiligen Nehmerlandes ausgeschöpft werden können (vgl. BMZ, Chancen schaffen – Minds for Change 2011, S. 8). Aus diesem Grund gilt die personelle Zusammenarbeit heute als einer der wichtigsten Bereiche der deutschen entwicklungspolitischen Maßnahmen. Deren Ziel ist es, vorhandene Fähigkeiten und Kenntnisse der Menschen in den Entwicklungsländern zur eigenverantwortlichen Entfaltung zu bringen. Man unterstützt deshalb mit verschiedensten Instrumenten die Aus- und Fortbildung von Fachkräften, fördert Existenzgründungen und das damit einhergehende Schaffen von neuen Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, sowie unterschiedliche Berufsbildungsprojekte (vgl. BMZ, Journalistenhandbuch, 1998, S. 241).

Leider wird der Evaluation und Wirksamkeitsanalyse, dieser skizzenhaft dargestellten Maßnahmen immer noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, was nicht zuletzt an deren mehrdimensional ausgerichteten Zielen liegt, welche eine Beurteilung oftmals sehr schwierig machen. Vielfach bleiben die Bewertungskriterien dabei auf ökonomische Erfolge beschränkt (vgl. Tarp 2010, S. 33).

Es wird bereits hier deutlich, dass der Berufsbildung als Disziplin eine entscheidende Rolle in der Entwicklungszusammenarbeit (hier vor allem in der personellen Entwicklungszusammenarbeit) zukommt.

1.1 Untersuchungsgegenstand und Problemkomplex

Auch in der Berufsbildungszusammenarbeit, welche wie angedeutet einen Zweig der Entwicklungszusammenarbeit darstellt, werden zunehmend kritische Fragen laut. Diese beziehen sich unter anderem auf die ökonomische Existenzsicherung von Berufsbildungsprojekten in der Dritten Welt, sowie auf deren didaktische Struktur. Die geschaffenen Lernorte, Gewerbeschulen, Lehrwerkstätten und Ausbildungszentren werden in vielen Fällen bezüglich ihrer Wirksamkeit und Effizienz kritisiert. Diversen Projekten werden zu hohe Folgekosten, zunehmende Bürokratisierung und ein Abheben von der Arbeitsrealität im jeweiligen Entwicklungsland vorgeworfen (Greinert/Wiemann 1997, S.11). In einigen Schwellenländern wurde der europäisch-westlichen Berufsbildungszusammenarbeit sogar ein gänzliches Scheitern vorgeworfen. Die Kritik „[…] an der bisherigen berufsbildungsbezogenen Entwicklungshilfe bezog sich [vor allem] auf drei Punkte: die tendenzielle Eliteorientierung der bisherigen Berufsbildungszusammenarbeit, die Orientierung auf den formellen Sektor (also den offiziellen bzw. den quasi geregelten) und nicht auf den informellen Sektor (Schwarzarbeit, bestimmte Handwerksbereiche etc.) sowie die Tatsache, dass die bisherigen Konzepte zwischen Einzelprojekten und Gesamtsystemreform hin und her schwanken […]“ (Bojanowski 2009, S.11). Oft wurde gefordert, dass eine neue Form der Berufsbildungszusammenarbeit die Gleichrangigkeit von informellem und formellem Sektor im Sinne einer „Doppelstrategie“ genauso berücksichtigen müsste wie die Verbindung zwischen Einzelprojekt und Systemkonzept (vgl. ebd. 2009, S. 11).

Angesichts der angedeuteten Heterogenität regionaler Entwicklungsprozesse hat sich aber inzwischen die Einsicht durchgesetzt, dass generelle und allgemein gültige entwicklungspolitische Ansätze eine beschränkte Tauglichkeit aufweisen. Es lässt sich kein allgemein gültiges Paradigma formulieren, das den Beitrag von Berufsbildung für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung eines Landes begründet und aus dem sich eine einheitliche Handlungsstrategie für die Berufsbildungszusammenarbeit ableiten lässt. Die aufgeführte „Doppelstrategie“ wird heute von einigen Wissenschaftlern als gescheiterter Versuch abgetan. (vgl. Walter 2006, S. 509 ff.). Die Debatten um […] die Formulierung angemessener Konzepte der Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der Berufsbildung entzünden sich [aktuell] vor allem an der Frage nach der Reichweite staatlicher Verantwortung und Regulierung bei der Gestaltung von Berufsbildungsstrukturen. In der Vergangenheit haben sich weder das Konzept ausschließlich staatlich getragener Berufsbildungsangebote noch die Strategie einer Privatisierung und Verbetrieblichung beruflicher Bildung als erfolgreich erwiesen (ebd. 2006, S. 509).

Dennoch betonen die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), wie auch der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) immer wieder, dass vor allem die Berufsbildung ein Schlüsselfaktor bei der Bekämpfung von Armut darstellt (vgl. u.a. DED Jahresbericht 2009, S. 3 ff). Es stellt sich also die Frage, wie den skizzierten Problemen in der beruflichen Entwicklungshilfe zukünftig begegnet werden kann und welche Mittel zur Verfügung stehen, um eine nachhaltige und vor allem finanzierbare Berufsbildungszusammenarbeit zu gewährleisten und wie deren Umsetzung sowie Wirksamkeit vor Ort weiter optimiert werden kann. Dieser Themenkreis ist jedoch so umfangreich und mit verschiedensten Problemfeldern verknüpft, dass eine ganzheitliche und ausführliche Betrachtung im Rahmen dieser Arbeit nicht gewährleistet werden kann. Aus diesem Grund fokussiert der Autor im Folgenden auf ein Schulmodell der Berufsbildung, welches im Zusammenhang mit den skizzierten Kritikpunkten bereits vor über 15 Jahren intensiv diskutiert wurde (vgl. Greinert/Wiemann 1997, S. 7).

1.2 Erkenntnisinteresse und Zielsetzung

Die vorliegende Arbeit möchte vornehmlich mittels einer Literaturstudie untersuchen, ob das Produktionsschulprinzip nach heutigen Gesichtspunkten ein geeignetes Mittel sein könnte, um in Entwicklungsländern effektive Berufsbildungszusammenarbeit zu leisten. Dabei soll anhand der vorliegenden Literatur geprüft werden, ob dieses Schulmodell bei einem verstärkten Einsatz in Ländern der Dritten Welt in Zukunft zur Lösung aktueller Probleme in der Berufsbildungszusammenarbeit beitragen könnte. Es soll dargestellt werden, unter welchen Umständen der Einsatz dieses Schulmodells sinnvoll, bzw. zielführend erscheint. Dabei sollen auch die durch das Produktionsschulprinzip realistisch bedienbaren Berufs- und Lernfelder in Ländern der Dritten Welt berücksichtigt werden. Es gilt zu hinterfragen, ob das Produktionsschulprinzip zu einem Aufbau von wirksamen, effektiven und vor allem finanzierbaren Entwicklungsmechanismen beitragen könnte, welche den formellen als auch den informellen Sektor beruflicher Bildung in Schwellenländern berücksichtigen und situationsgerecht mit einbinden.

Aufgrund der mangelhaften Datenlage zu Produktionsschulen in Ländern der Dritten Welt ist es besonders schwierig, eine allgemeingültige und wissenschaftlich fundierte Aussage zu den oben aufgeworfenen Fragen zu treffen. Da sich diese Fragen von der Potenzialvermutung einiger Wissenschaftler bezüglich des Produktionsschulprinzips ableiten, ist das vorrangige Anliegen dieser Arbeit darauf bezogen, zu überprüfen, ob diese Vermutungen und Thesen bezüglich des Potenzials des Produktions-schulmodells für die Berufsbildungszusammenarbeit gerechtfertigt erscheinen. Dabei sollen die Erfolgsaussichten von Produktionsschulen in der Berufsbildungs-zusammenarbeit kritisch hinterfragt sowie unbeantwortete Fragen im Zusammenhang mit der Thematik aufgedeckt werden, um Forschungsperspektiven für die Berufsbildungsforschung zu generieren, mit deren Ergebnissen die Chancen und Potenziale dieses Schulmodells wissenschaftlich belegt oder falsifiziert werden können. Von daher verstehen sich die nachfolgenden Ausführungen als eine wissenschaftliche Arbeit, welche ein bisher vernachlässigtes Forschungsfeld aufgreift, um Konsequenzen bezüglich des Umgangs mit Produktionsschulen als Instrument der Berufsbildungszusammenarbeit anzusprechen.

Um diesem schwierigen Problemkomplex vollständig Rechnung zu tragen, ist es im Folgenden zwingend notwendig, die Bedingungen, unter denen Produktionsschulen außerhalb europäischer Gefilde erfolgreich wirken und gedeihen können (also für eine positive Entwicklung sorgen), klar zu skizzieren.

1.3 Forschungsstand und Relevanz

Das Konzept der Produktionsschule sorgte vor allem Anfang der 1990er Jahre in der Berufsbildungszusammenarbeit für durchaus kontrovers diskutierten „Zündstoff“. Die oben aufgeworfenen Fragen, wurden zu dieser Zeit vor allem durch Wolf-Dietrich Greinert und Günter Wienemann diskutiert (vgl. Greinert/Wiemann 1997). Inzwischen ist es um dieses Modell in der Wissenschaft offensichtlich etwas ruhiger geworden. Es findet sich kaum aktuelle Literatur zur aufgeworfenen Problematik. Dies verwundert insofern – diese Feststellung vorweg - als dass einige Produktionsschulen in Entwicklungs- und Schwellenländern (wenngleich in abgewandelter Form zum mitteleuropäischen Modell) mit großem Erfolg betrieben werden. Obwohl von Land zu Land unterschiedliche Produktionsschultypen existieren, verspricht das Grundmodell der Produktionsschule auf den ersten Blick ein Instrument zu sein, welches einen Lösungsansatz für die bereits angedeuteten Probleme der Berufsbildungs-zusammenarbeit liefern könnte. Der beschriebene Problemkomplex erlangt besondere Relevanz, weil es der beruflichen Entwicklungszusammenarbeit immer noch an geeigneten Instrumenten fehlt, welche die Ziele und Strategien der Entwicklungszusammenarbeit nachhaltig unterstützen (vgl. ebd. 1997, S. 28 ff.). Aktuelle Projekte, Konzepte und Erkenntnisse zum Forschungsstand und zur Berufsbildungszusammenarbeit sollen in Kapitel 2.4 noch einmal detailliert aufgegriffen werden.

1.4 Methode und Aufbau

Die nachfolgende Annäherung an die aufgeworfene Thematik erfolgt aufgrund der dürftigen Literaturlage weitestgehend deskriptiv. Die Ausführungen stützen sich zum einen auf eine Literaturanalyse zum Produktionsschulprinzip, zum anderen auf die Auswertung von vorliegender Literatur zu Produktionsschulen in Schwellenländern. Besondere Einbindung erfahren dabei im Folgenden auch die Erkenntnisse der GTZ und der weitestgehend bekannten non-profit Organisationen, wie beispielsweise der „Internationale Weiterbildung und Entwicklung gmbH“ (InWEnt). Darüber hinaus sollen Dokumente zu Produktionsschulen im europäischen und außereuropäischen Raum ausgewertet werden.

Um die im vorangegangenen Abschnitt gestellten Fragen zufriedenstellend beantworten zu können, ist es zunächst unumgänglich, ein ausreichendes theoretisches Verständnis zum vorliegenden Untersuchungsgegenstand zu schaffen. Aus diesem Grund sollen vor dem Einstieg in die eigentliche Thematik alle für den Themenkomplex wichtigen Bereiche erörtert und beleuchtet werden.

In Kapitel 2 wird deshalb zunächst zu klären sein, unter welchen Gesichtspunkten ein Land als Entwicklungsland gilt. Dabei wird ausführlich erörtert werden, was unter Entwicklungshilfe verstanden wird. Des Weiteren soll dargestellt werden, wie und vor allem aus welchen Gründen versucht wird, den betroffenen Ländern zu helfen. Dabei werden der Zweig der Berufsbildungszusammenarbeit und der bereits angedeutete Streit in der Berufsbildungszusammenarbeit sowie die heute verfolgten Strategien, Erfolge und Misserfolge besondere Berücksichtigung finden. Es soll skizziert werden, in welcher Weise Berufsbildungszusammenarbeit zur Armutsbekämpfung und zur Fortentwicklung eines Landes beitragen kann.

In Kapitel 3 richtet sich das Augenmerk auf das Produktionsschulprinzip. Es gilt zunächst zu verdeutlichen, was Produktionsschulen sind und wie sich deren Struktur darstellt. Dazu soll kurz beschrieben werden, wie Produktionsschulen entstanden sind und wie sich deren Gestalt bis heute weiterentwickelt hat. Dies geschieht zunächst mit besonderem Fokus auf Europa, um die heute vorbefindliche Philosophie und Lernorganisation der europäischen Produktionsschulen darzustellen, welche sich daraus entwickelte. Es wird erörtert, welche Berufsfelder und welches Klientel diese Produktionsschulen im Schwerpunkt bedienen und deren Wirkungsweise und Funktion (vor allem in Deutschland) skizziert. Dabei soll auch die Verbleibforschung in Bezug auf die abgehenden Schüler angerissen werden.

Aus den bis dahin gewonnenen Erkenntnissen ergibt sich eine Potenzialvermutung für das Produktionsschulprinzip in der Berufsbildungszusammenarbeit. Um diese Potenzialvermutung näher zu untersuchen, werden in Kapitel 4 zunächst ungleiche Strukturen und Qualifikationsanforderungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern aufgedeckt. Im Anschluss daran, werden mehrere aktuelle Produktionsschulprojekte in Entwicklungsländern vorgestellt, welche bereits seit vielen Jahren erfolgreich arbeiten. Sie werden hinsichtlich ihrer Arbeitsweise und ihrer Grundphilosophie untersucht. Dabei wird vor allem ihre Wirkung auf dem informellen und dem formellen Berufsbildungssektor in den jeweiligen Regionen / Ländern thematisiert. Anhand dessen, sollen im Schwerpunkt die Faktoren skizziert werden, welche für den Erfolg der genannten Beispiele verantwortlich sind. Infolge der daraus resultierenden Ergebnisse, sollen bestimmte Produktionsschultypen klassifiziert werden.

In Kapitel 5 werden die genannten Erfolgsfaktoren und Ergebnisse zunächst zusammengefasst und im Anschluss hinsichtlich ihrer allgemeinen Gültigkeit und Aussagekraft überprüft. Dabei soll die tatsächliche Effizienz des Produktionsschulprinzips in Ländern der Dritten Welt kritisch betrachtet werden. Zusätzlich wird erörtert, welche Strategien und Instrumente dazu geeignet erscheinen könnten, wirksame und mehr oder weniger flächendeckende Hilfs- und Entwicklungsleistungen der Berufsbildungszusammenarbeit in Entwicklungsländern zu etablieren. Der Fokus wird sich hier, gemäß der zu Eingang gestellten Fragen, auf die theoretische Umsetzbarkeit und die Realisierungsbedingungen des Produktionsschulprinzips in der Dritten Welt richten. Deswegen sollen die Wirkungsbereiche und (Lern-/Berufs-) Felder aufgezeigt werden, welche tatsächlich durch Produktionsschulen bedient und verbessert werden könnten. Es wird hier auf einen entsprechenden Praxisbezug ankommen, dessen Darstellung vor allem auf Erkenntnissen der bereits genannten Organisationen basieren wird.

Nachdem alle für den Themenkomplex wichtigen Aspekte diskutiert und untersucht worden sind, werden die bis dahin gewonnen Erkenntnisse in Kapitel 6 zusammengefasst, bevor in Kapitel 7 die tatsächliche Umsetzbarkeit des Produktionsschulprinzips in Entwicklungsländern geprüft wird. Hier wird es darum gehen, die Faktoren deutlich zu machen, welche für einen erfolgreichen Einsatz des Produktionsschulprinzips in Entwicklungsländern sprechen und diesen möglich machen.

Gemäß der zu Eingang gestellten Fragen, soll die Arbeit mit einer abschließenden Forschungsempfehlung bezüglich des Produktionsschulprinzips für die Berufsbildungszusammenarbeit enden. Dabei wird noch ein bewusst knapp gehaltener Rückschluss in Richtung der deutschen Produktionsschullandschaft gezogen.

2.0 Berufsbildungszusammenarbeit in Entwicklungsländern

Die nachstehenden Ausführungen zur vorliegenden Problemstellung widmen sich einem erweiterten Theorieverständnis zur Berufsbildungszusammenarbeit in Entwicklungsländern. Es ist zunächst unumgänglich, die einschlägigen Begrifflichkeiten, die mit der Entwicklungs- und Berufsbildungsarbeit in Ländern der Dritten Welt zusammenhängen, näher zu beschreiben, um Verständnisschwierigkeiten auszuschließen. Wie bereits angekündigt, kommt es im Anschluss darauf an, die Ziele und Motive der Entwicklungshilfe darzustellen, um die Rolle der Berufsbildungszusammenarbeit bei der Entwicklungsarbeit näher zu beschreiben. Die Strategien, Trends sowie der Zweck und die Kritik an der Berufsbildungszusammenarbeit werden ausführlich erläutert werden, um die Bedeutung dieser Disziplin der Berufsbildung in der Entwicklungszusammenarbeit zu verdeutlichen.

2.1 Das Umfeld von Berufsbildungszusammenarbeit - Eine definitorische Auseinandersetzung

Analysiert man die einschlägige Literatur im Umfeld der Berufsbildungszusammenarbeit, ist festzustellen, dass die Begrifflichkeiten „Industrie- und Entwicklungsland“ vielfach umschrieben jedoch nicht einheitlich definiert sind. Im Folgenden sollen zunächst diese Begriffe, welche unmittelbar mit der Berufsbildungszusammenarbeit verknüpft sind, auf ihre Hauptcharakteristika untersucht und definitorisch geklärt werden, um ein einheitliches Verständnis für den weiteren Verlauf der Arbeit sicherzustellen. Dies geschieht immer mit Augenmerk und Schwerpunksetzung in Bezug auf die vorliegende Thematik.

2.1.1 Industrieland

Die Hauptcharakteristika eines Industrielandes bzw. eines Industriestaates lassen sich nach der Analyse verschiedener lexikalischer Werke recht leicht zusammenfassen. Sie umfassen ein hohes Pro-Kopf-Einkommen, ein hohes Bruttoinlandsprodukt sowie einen guten Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die Rate der Kindersterblichkeit ist gering und die durchschnittliche Lebenserwartung ist in diesen Ländern am höchsten, was unter anderem daran liegt, das neben dem guten Zugang zu einem funktionierenden und modernen Gesundheitswesen keine Mangelernährung vorherrscht. Die politischen Strukturen sind meist säkular sowie demokratisch geprägt, basieren auf Gewaltenteilung und sind äußerst stabil. Ebenfalls sehr typisch für Industrienationen sind starke Industrie- und Dienstleistungssektoren sowie ein effizientes hoch leistungsfähiges Wirtschaftssystem. Die infrastrukturellen Gegebenheiten sind auf einem dementsprechend hohen Niveau angesiedelt und die Arbeitslosigkeit bewegt sich in der Regel auf einem geringen Niveau (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon 2011/Vimentis Lexikon 2011).

Bezüglich der vorliegenden Thematik ist es wichtig festzuhalten, dass der Zugang zu Bildung in Industriestaaten gemäß des Art. 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 (vgl. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948, Art. 26) gewährleistet und im Regelfalle deutlich übertroffen wird. Die Bildungssysteme sind stark formalisiert und zeichnen sich durch einen hohen Standard in allen Bereichen aus. Das Bildungsniveau der breiten Bevölkerung ist in diesen hochentwickelten Staaten überdurchschnittlich hoch und der Alphabetisierungsgrad liegt laut des Human Development Report (HDR) der Vereinten Nationen bei 99% (vgl. Human Development Report 2007, S. 233 ff.). Die Berufsbildungssysteme sind standardisiert und fester Bestandteil des Gesamtsystems. Deren Ausprägung und Ausgestaltung differiert jedoch trotz weitgehend identischer volkswirtschaftlicher Zielsetzungen von Land zu Land. Die teilweise höchst divergenten Berufsbildungssysteme weisen des Weiteren unterschiedliche Qualifikationstypen und Grundmuster betrieblicher Arbeitsorganisation auf (vgl. Walter 2006, S. 513), was die Vergleichbarkeit etwaiger Wertigkeiten von Bildungsabschlüssen zwischen verschiedenen Industriestaaten zuweilen noch erschwert. Aus diesem Grund unternimmt man beispielsweise in Europa diverse Anstrengungen, die verschiedenen nationalen Qualifikationssysteme auf einen gemeinsamen europäischen Referenzrahmen zu vereinigen, indem man versucht, einen allgemeingültigen und anerkannten Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR), der auch den beruflichen Bildungsstand eines Individuums mit einbezieht, zu etablieren (vgl. Fischer/Münk 2006, S. 88).

2.1.2 Entwicklungsland

Auch der Begriff des Entwicklungslandes ist in der Literatur nicht eindeutig definiert. Die Welthungerhilfe, als eine der größten privaten Hilfsorganisationen in Deutschland grenzt ihn durch eine Gegenüberstellung der Merkmale von Industriestaaten ab. Dazu dienen im Wesentlichen, wie bereits oben aufgeführt, wirtschaftliche und/oder soziale Kriterien. Demnach zeichnet sich ein Entwicklungsland durch ein „[…] niedriges Pro-Kopf-Einkommen, eine geringe Investitionsrate, eine wenig ausgebaute technische Infrastruktur und ein[en] hohe[en] Anteil der Landwirtschaft am Sozialprodukt sowie eine geringe Lebenserwartung, eine hohe Kindersterblichkeit und eine niedrige Alphabetisierungsrate […]“ (Welthungerhilfe zu Entwicklungsländern 2011) aus.

In ihrem „Handbuch der Dritten Welt“ weisen jedoch Nohlen und Nuscheler auf die Problematik der Klassifikation von Entwicklungsländern hin. „[…] Die Dritte Welt besteht aus den strukturell heterogenen Ländern mit ungenügender Produktivkraftentfaltung, die sich zur Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen und politischen Ziele gegenüber dem "reichen Norden" und aufgrund gemeinsamer geschichtlicher Erfahrungen und Interessen politisch solidarisieren und in verschiedenen Aktionseinheiten lose organisiert haben" (Nohlen/Nuscheler 1993, S.9). Eben diese Heterogenität in Bezug auf die von der Welthungerhilfe genannten Merkmale macht eine eindeutige Kennzeichnung von Entwicklungsländern nicht möglich. Dazu kommt, dass sich viele Länder der Dritten Welt seit 1950 stark ausdifferenziert haben. Einige der noch heute als Schwellenländer geltenden Staaten werden in Kürze alle Merkmale eines Industrielandes aufweisen. Andere sehr arme Länder hingegen, sind weiter zurückgefallen (vgl. Walter 2006, S. 509).

Letztlich kommt es auf den jeweiligen Kriterienkatalog bei der Bewertung des Entwicklungsstandes eines Staates an. Ein hohes Bruttoinlandprodukt, beispielsweise zustande gekommen durch die Einnahmen aus dem Ölgeschäft, lässt keine Aussage bezüglich des Entwicklungsstandes zu. So können verschiedene Kriterien in einigen Fällen zu unterschiedlichen Einordnungen desselben Landes führen. Die internationale Gemeinschaft folgt bei der Bewertung in der Regel den Statistiken, die aus dem HDI hervorgehen oder sie bewerten Entwicklungsländer nach den Statistiken des Development Assistance Committee (DAC)[2] (vgl. Welthungerhilfe zu Entwicklungsländern 2011). Nach Aussage des DAC „[…] sind alle Länder mit niedrigem oder mittlerem Pro-Kopf-Einkommen Entwicklungsländer, ausgenommen jene, die Mitglieder der G8 oder der Europäischen Union sind (das schließt Russland und die osteuropäischen EU-Mitglieder aus). Die Liste der Entwicklungsländer, die das DAC jährlich herausgibt, enthielt für das Jahr 2006 145 Staaten und 7 „überseeische Territorien“ (ebd. 2011).

In Bezug auf die vorliegende Thematik lässt sich nach Walter (in Arnolds Handbuch der Berufsbildung) ein Kriterienkatalog defizitärer Elemente von Berufsbildung in Entwicklungsländern erstellen. Dessen Punkte sollen im weiteren Verlauf eine Vergleichbarkeit von Industriestaaten und Entwicklungsländern ermöglichen (vgl. Walter 2006, S. 512):

- Entwicklungsländer verfügen über keine breitflächig angelegten Berufsbildungssysteme, sondern es besteht ein weitgehend beziehungsloses Gewirr einer Vielzahl von unterschiedlichen formell und informell ausgerichteten Berufsbildungseinrichtungen, Trägern und Einzelmaßnahmen
- In Entwicklungsländern herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit
- Die in Schuleinrichtungen erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten werden oft gar nicht auf dem lokalen Arbeitsmarkt nachgefragt
- Unternehmen und Betriebe investieren in Aus- und Weiterbildung nur so viel wie am Arbeitsplatz unbedingt benötigt wird. Das „on the job training“ ohne Zertifikate erschwert die Verwertbarkeit von Kompetenzen und Qualifikationen auf dem externen, lokalen Arbeitsmarkt
- Körperliche / handwerkliche Arbeit ist in der Regel mit gesellschaftlicher Geringschätzung verbunden. Dies führt kulturell bedingt zu einer in den Köpfen verankerten Marginalisierung von formeller beruflicher Erstausbildung. Deshalb werden die Angebote oft nicht angenommen, weil der „Sohn auch vom Vater“ erlernen kann zu überleben. Dabei spielen Kultur und Tradition nicht selten eine entscheidende Rolle.

Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen kann nun zunächst die Entwicklungs-zusammenarbeit allgemein und anschließend die Berufsbildungszusammenarbeit näher beleuchtet werden.

2.2 Entwicklungshilfe und entwicklungstheoretische Entwicklung

Der Begriff der Entwicklungshilfe steht als eine Art Sammelbegriff für verschiedene Formen der Unterstützung und Förderung der sog. Entwicklungsländer durch private und staatliche, nationale und internationale Organisationen der Industrieländer. Sie reicht, wie bereits angedeutet, von technischer Hilfe bzw. Zusammenarbeit (Beratung, Bildung etc.) bis hin zu Güterhilfe (Investitionsgüter, Nahrung etc.), Kapitalhilfe (z.B. Kredite) und handelspolitischer Zusammenarbeit (Stabilisierung von Preisen, Abbau von Zöllen etc.). Sie ist dabei immer mit (politischen) Auflagen verbunden und hat das Ziel, die hilfeempfangenden Länder langfristig in die Lage zu versetzen, dass sie auf Entwicklungshilfe verzichten können (vgl. Schubert/Klein 2005, S. 107). Die Schwierigkeit bei der Bestimmung des Entwicklungshilfebegriffs ergibt sich aus verschiedenen Paradigmenwechseln, der die Entwicklungsarbeit im Laufe ihrer Geschichte ausgesetzt war.

Die Ursprünge der Entwicklungshilfe und die Auffassung, dass diese die Aufgabe und Pflicht der Industrienationen sei, lassen sich erstmals in Bezug auf den Marshallplan zum Wiederaufbau des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Europas ableiten (vgl. Omer 2002, S.4). Der Marshallplan wurde im weitesten Sinne als uneingeschränkt erfolgreich betrachtet, was in den Anfängen der Entwicklungshilfe teilweise zu Forderungen nach einem Marshallplan für die Dritte Welt führte. Aus heutiger Sicht muss jedoch bemerkt werden, dass diese Forderungen wenig Gehalt hatten, denn das beispielsweise im Nachkriegseuropa immer noch vorhandene Humankapital oder der entsprechende Technologievorsprung konnten und können nicht auf die Dritte Welt übertragen werden (vgl. Lachmann 1999, S. 115 ff). Erst eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Entwicklungshilfe sorgte für das Entstehen erster fundierter Theorien.

Die früh entstandenen Modernisierungstheorien der 1950er und 1960er Jahre gingen davon aus, dass sich Entwicklungsländer nur durch die Übernahme von westlichen Ökonomiemustern von ihrer „Rückständigkeit“ befreien könnten. Dabei spielten die vorhandenen Traditionen und die Kultur eines Landes nur insofern ein Rolle, als dass sie als die Verweigerung institutioneller Anpassung begriffen wurden. Diese Verweigerung hätte, so die damalige Vorstellung, einen dauerhaften Entwicklungsrückstand zur Folge. Entwicklung und Fortschritt wurde vor allem als Wirtschaftswachstum begriffen. Aus diesem Grund versuchte man lange, die genannten westlichen Strukturen in den betroffenen Ländern zu etablieren. Durch den Ausbau der Infrastruktur und Investitionen mit westlichem Kapital versuchte man, das Pro-Kopf-Einkommen zu steigern. Die zu verbuchenden Erfolge waren jedoch eher mäßig, obgleich die Modernisierungstheorien bis heute zur Erklärung von „Unterentwicklung“ herangezogen werden. Sie dienen dabei jedoch eher zur Legitimation von geostrategischen, machtpolitischen und ökonomischen Eigeninteressen der Geberländer, statt einer ernsthaften Entwicklungsarbeit (vgl. Walter 2006, S. 510).

Die enttäuschenden Effekte der modernisierungstheoretisch begründeten Entwicklungshilfe lösten bereits in den 1970er Jahren eine heftige Debatte bezüglich der Suche nach alternativen und wirkungsvolleren Konzepten für die Entwicklungshilfe aus (vgl. ebd. S. 510). Das Resultat der geführten Diskurse war ein Gegenentwurf zu den Modernisierungsansätzen. Die Dependenztheorien sahen „[…] die zentralen Ursachen der Unterentwicklung und Abhängigkeit der Entwicklungsländer nicht in endogenen, sondern in exogenen entwicklungshemmenden Faktoren wie der Ausbreitung des kapitalistischen Weltsystems und der damit verbundenen internationalen Arbeitsteilung. Die Überwindung der während der Kolonialzeit geschaffenen strukturellen Ungleichheit zwischen Ländern der Metropolen und denen der davon politisch und wirtschaftlich abhängigen Peripherie sei nur möglich, wenn sich Peripherieländer aus der Bindung an das vorherrschende Weltwirtschaftssystem herauslösen („Dissoziation“) und autonomen Konzepten wirtschaftlicher, politischer und sozialer Entwicklung folgen“ (ebd. 2006, S. 510). Dieser Strategie sollte so lange gefolgt werden, bis die Entwicklungsländer gleichberechtigte Plätze am Weltmarkt belegen würden.

Es muss jedoch aus heutiger Sicht festgestellt werden, dass auch die Dependenztheorien keine zufriedenstellenden Antworten und Lösungen für die bis heute höchst differenten regionalspezifischen Entwicklungsverläufe liefern konnten. Ihre Argumentationsstruktur verläuft ähnlich wie die der Modernisierungstheorien, denn auch die Dependenztheorien fokussieren bei der Erklärung von Faktoren für nachhaltige Entwicklungshilfe eher auf wirtschaftliche Faktoren. Kulturelle und traditionelle Aspekte der Entwicklungsländer bleiben unberührt (vgl. ebd. 2006, S. 510). Sie können beispielsweise keine Erklärung für den teilweise rasanten Aufstieg verschiedener süd- und ostasiatischer Staaten zu erfolgreichen Industriestaaten liefern, denen teilweise noch stärker abgesunkene Länder in Afrika gegenüberstehen. „Gegenüber der Versachlichung westlich-bürokratischer Organisationsformen verweisen die südostasiatischen (Japan, Südkorea, Taiwan) Modelle mit ihrer Betonung informeller Kommunikations- und Kooperationsstrukturen, sozialer Bindung und persönlicher Beziehung auf alternative Modernisierungspfade und erweitern damit den Spielraum äquivalenter institutioneller Formen gesellschaftlicher Entwicklung. Die starke Verzahnung von Tradition und Wirtschaft in diesen Ländern und deren großer Erfolg an den internationalen Weltmärkten verweisen darauf, dass Kultur und Moderne keine Gegensätze sind, sondern bei der Konzeption und Ausrichtung von nachhaltiger Entwicklungshilfe und somit auch in der Berufsbildungszusammenarbeit zwingende Berücksichtigung finden müssen. Der kulturtraditionelle Rahmen, den ein Entwicklungsland vorgibt, muss der Ausgangspunkt aller Entwicklungshilfsmaßnahmen sein“ (ebd. 2006, S. 511).

Diese inzwischen weitgehend anerkannte Feststellung sorgte in jüngster Vergangenheit für einen erneuten Paradigmenwechsel in der Entwicklungshilfe, der im nachfolgenden Abschnitt beschrieben wird.

2.3 Aktuelle Schwerpunkte der Entwicklungszusammenarbeit

Die Weiterentwicklung der Entwicklungshilfe, welche sich aus den genannten Gründen inzwischen stärker auf regionalspezifische, traditionelle, ökonomische und sozio-kulturelle Eigenheiten der jeweiligen Entwicklungsländer einlässt, hatte eine weitere Wende zur Folge, die den heutigen Kurs und die Vorgehensweise der Geberländer bestimmt. Diese Trendwende lässt sich aus verschiedenen Entwicklungen am Ende der 1990er Jahre ablesen und hat direkten Einfluss auf die Berufsbildungszusammenarbeit.

Es lässt sich feststellen, dass der Begriff der Entwicklungshilfe ab den 1990er Jahren immer mehr dem der Entwicklungszusammenarbeit wich, der auch im weiteren Verlauf dieser Arbeit verwendet werden soll. Hintergrund war das vorherige Verständnis von „unterentwickelten Ländern“, dem immer auch ein gewisser Ideologievorwurf gemacht werden konnte, weil „[…] es implizit eine Entwicklungsperspektive nach dem Muster der „entwickelten“ Industrieländer vorgibt“ (Walter 2006, S. 510). Der Begriffswandel von Entwicklungshilfe hin zur Entwicklungszusammenarbeit illustriert den nunmehr herrschenden Anspruch einer partnerschaftlichen Gleichberechtigung von Geber- und Empfängerländern, anstatt der zu Anfang dargestellten dominierenden Rolle der Geberländer. An dieser Stelle muss natürlich erwähnt werden, dass Kritiker in diesem Zusammenhang immer wieder anmerken, dass diese Gleichberechtigung immer noch nicht wirklich existent ist. Oft unterstellt man den Geberländern, nur aus nationalen Interessen und unter dem Deckmantel überwiegend uneigennütziger und altruistischer Beweggründe zu handeln. Im Allgemeinen muss man „[…] davon ausgehen, dass Geberstaaten auf dem Wege der Entwicklungszusammenarbeit vor allem Eigeninteressen ökonomischer, politischer und geostrategischer Art verfolgen und gar Gegenleistungen erwarten“ (Vgl. Wagner 1993, S.9f).

Die negativen Auswirkungen, die durch das sicherlich teilweise berechtigt kritisierte Verhalten der Geberländer entstehen, sollen hier nicht weiter vertieft werden. Eines lässt sich jedoch in diesem Zusammenhang festhalten. Es hat sich inzwischen die Überzeugung durchgesetzt, dass „[…] scheiternde Entwicklung die Gewaltbereitschaft, Krankheiten, Konflikte, Klimawandel oder Flucht [bedingen]. Gelingende Entwicklung fördert weltweit zukunftsfähigen Wohlstand und Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Partizipation und Sicherheit […]“, die alle Länder und somit auch die Industrie- und Geberländer betrifft. (BMZ, Chancen schaffen – Minds for Change 2011, S. 10). Es ist deshalb zu beobachten, dass die entwicklungspolitische Diskussion seit Anfang des vergangenen Jahrzehnts vor dem Hintergrund der enttäuschenden Effekte der bis dahin an wirtschaftsliberalen Konzepten orientierten Strukturanpassungsmaßnahmen immer stärker vom zentralen Thema der Armutsminderung beherrscht wird (vgl. Walter 2006, S. 520), denn die Armut der Dritten Welt hat direkte Auswirkungen auf die Industriestaaten.

Dies verdeutlichen unter anderem die Zielvorgaben des sogenannten Millennium-Gipfels (2000) der Vereinten Nationen, während dessen Verlauf die beteiligten OECD Staaten ein Richtlinienkonzept zur entwicklungspolitischen Organisation verabschiedeten. Die Millennium - Entwicklungsziele (MDGs) sind zur zentralen Messlatte internationaler Entwicklungszusammenarbeit und Armutsbekämpfung geworden (vgl. Harmeling/Bals 2007, S. 4).

Abbildung 1: Millennium Development Goals 2000-2015

- Ziel 1: Beseitigung der extremen Armut und des Hungers
Zielvorgabe 1: Zwischen 1990 und 2015 den Anteil der Menschen halbieren, deren Einkommen weniger als 1$ pro Tag beträgt.
Zielvorgabe 2: Zwischen 1990 und 2015 den Anteil der Menschen halbieren, die Hunger leiden.
- Ziel 2: Verwirklichung der allgemeinen Primarschulbildung
Zielvorgabe 3: Bis zum Jahr 2015 sicherstellen, dass Kinder in der ganzen Welt, Jungen wie Mädchen, eine Primarschulbildung vollständig abschließen können.
- Ziel 3: Förderung der Gleichheit der Geschlechter und Ermächtigung der
Frau
Zielvorgabe 4: Das Geschlechtergefälle in der Primar- und Sekundarschulbildung beseitigen, vorzugsweise bis 2005, und auf allen Bildungsebenen bis spätestens 2015.
- Ziel 4: Senkung der Kindersterblichkeit
Zielvorgabe 5: Zwischen 1990 und 2015 die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren um zwei Drittel senken.
- Ziel 5: Verbesserung der Gesundheit von Müttern
Zielvorgabe 6: Zwischen 1990 und 2015 die Müttersterblichkeitsrate um drei Viertel senken.
- Ziel 6: Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und anderen Krankheiten
Zielvorgabe 7: Bis 2015 die Ausbreitung von HIV/AIDS zum Stillstand bringen und allmählich umkehren.
Zielvorgabe 8: Bis 2015 die Ausbreitung von Malaria und anderen schweren Krankheiten zum Stillstand bringen und allmählich umkehren.
- Ziel 7: Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit
Zielvorgabe 9: Die Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung in einzelstaatliche Politiken und Programme einbauen und den Verlust von Umweltressourcen umkehren.
Zielvorgabe 10: Bis 2015 den Anteil der Menschen um die Hälfte senken, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben.
Zielvorgabe 11: Bis 2020 eine erhebliche Verbesserung der Lebensbedingungen von mindestens100 Millionen Slumbewohnern herbeiführen.
- Ziel 8: Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft

Zielvorgabe 12: Ein offenes, regelgestütztes, berechenbares und nichtdiskriminierendes Handels- und Finanzsystem weiterentwickeln.

Zielvorgabe 13: Den besonderen Bedürfnissen der am wenigsten entwickelten Länder Rechnung tragen.

Zielvorgabe 14: Den besonderen Bedürfnissen der Binnen- und kleinen Inselentwicklungsländer Rechnung tragen.

Zielvorgabe 15: Die Schuldenprobleme der Entwicklungsländer durch Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene umfassend angehen und so die Schulden langfristig

tragbar werden lassen.

Zielvorgabe 16: In Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern Strategien zur Beschaffung menschenwürdiger und produktiver Arbeit für junge Menschen erarbeiten und umsetzen.

Zielvorgabe 17: In Zusammenarbeit mit den Pharmaunternehmen

erschwingliche unentbehrliche Medikamente in den Entwicklungsländern verfügbar machen.

Zielvorgabe 18: In Zusammenarbeit mit dem Privatsektor dafür sorgen, dass die Vorteile der neuen Technologien, insbesondere der Informations- und Kommunikationstechnologien, genutzt werden können.

(Eigene Darstellung: Entnommen bei: United Nations Development Programme 2003, S.1-4)

Der Blick auf die Zielvorgaben des Millennium-Gipfels, die auch vom BMZ übernommen wurden (vgl. BMZ, Chancen schaffen – Minds for Change 2011, S. 10), verdeutlicht die Schwerpunksetzung der heutigen Entwicklungszusammenarbeit. Im Zusammenhang mit den bereits vorangestellten Argumenten ist das Ziel der Entwicklungszusammenarbeit aus heutiger Sicht, flankierend beim Aufbau entsprechender Strukturen (wirtschaftlich, politisch, sozial) zu unterstützen, welche die Gesamtsituation in Entwicklungsländern verbessern. Die Überzeugung das makroökonomische Anpassungsstrategien und Systeme der Industrienationen wie eine „Käseglocke“ über bereits vorhandene Strukturen gestülpt werden können, hat sich aus den genannten Gründen als falsch erwiesen. Zur Verwirklichung der genannten Ziele, müssen deshalb viele Organisationen aus dem staatlichen und privaten Sektor zusammenarbeiten. Des Weiteren geht man dazu über, die betreffenden Entwicklungsstaaten in die Pflicht zu nehmen und verlangt diesen ein gewisses Maß an Eigenverantwortung ab (vgl. ebd. 2011, S. 10).

[...]


[1] Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) ist in Deutschland inzwischen in die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) aufgegangen.

[2] Das DAC ist der Entwicklungshilfe-Ausschuss der OECD. Ihm Angehörig sind die 24 wichtigsten Geberstaaten von Entwicklungshilfe, was fast alle OECD-Staaten betrifft. Die EU-Kommission ist Mitglied. Darüber hinaus besteht eine enge Zusammenarbeit mit der Weltbank. Das DAC hat im Rahmen seiner Arbeit gemeinsame Konzepte und Leitlinien sowie einheitliche Qualitätsstandards für die Entwicklungszusammenarbeit und die Bewertung von Entwicklungsländern erarbeitet (vgl. DAC Mandate 2011-2015 (2010), S. 2 f.).

„Die Mitglieder lassen ihre Entwicklungshilfe regelmäßig vom DAC nach den dort erarbeiteten Kriterien auf Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit prüfen. Das DAC ist außerdem ein Forum der Geber-Koordination und legt fest, welche Leistungen als öffentliche Entwicklungshilfe gezählt werden dürfen. Es erhebt und veröffentlicht Statistiken über die ODA. Der jährliche Bericht des DAC ist dazu international die wichtigste Quelle“ (Welthungerhilfe zu DAC 2011).

Final del extracto de 92 páginas

Detalles

Título
Das Modell “Produktionsschule“ als ein Instrument für die Entwicklungszusammenarbeit
Subtítulo
Eine Untersuchung der institutionellen Umsetzbarkeit des Produktionsschulprinzips in der Berufsbildungszusammenarbeit
Universidad
Helmut Schmidt University - University of the Federal Armed Forces Hamburg
Calificación
1,1
Autor
Año
2012
Páginas
92
No. de catálogo
V210567
ISBN (Ebook)
9783656381556
ISBN (Libro)
9783656381693
Tamaño de fichero
885 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
modell, produktionsschule, instrument, entwicklungszusammenarbeit, eine, untersuchung, umsetzbarkeit, produktionsschulprinzips, berufsbildungszusammenarbeit
Citar trabajo
Thomas Berger (Autor), 2012, Das Modell “Produktionsschule“ als ein Instrument für die Entwicklungszusammenarbeit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/210567

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