Mitleid und Tränentheorie im Theater anhand Lessings "Miss Sara Sampson" und "Emilia Galotti"


Seminararbeit, 2012

17 Seiten, Note: 2,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Lessing und das Mitleid

Die Träne im historischen Kontext

Allgemeine Tränentheorie

Miss Sara Sampson

Emilia Galotti

Vergleich beider Werke

Abschließende Bemerkungen

Literaturverzeichnis

Einleitung

Das Thema meines Referats und meiner daran anschließenden Arbeit lautet: „Einübung in das Mitleid: Tränen auf der Bühne“. Im Laufe der Arbeit, werde ich näher beleuchten, was unter diesem Thema zu verstehen ist.

Zu allererst werde ich in meiner Arbeit auf Lessing eingehen und seine Mitleidkonzeption näher beschreiben, da diese sehr wichtig für seine Trauerspiele ist und für die Gattung des Dramas insgesamt. Auf dieser Konzeption bauen seine Texte auf und sind ohne deren Kenntnis schwerlich auf Tränen zu untersuchen.

Anschließend werde ich auf die Physiognomik und die Lehre der Körpersäfte eingehen, um den historischen Kontext der Träne näher zu beleuchten und auch welche Bedeutung die Träne in dieser Theorie hat.

Weiters werde ich mich mit einem Punkt beschäftigen, den ich „Allgemeine Tränentheorie“ genannt habe und mich mit der Frage auseinandersetzen, wie man denn beim Publikum Tränen hervorrufen kann und worauf es ankommt, dass der Zuseher zu Tränen gerührt ist. Dieser Punkt bezieht sich auf dramaturgische Aspekte, wie man beim Publikum Mitleid erregt.

Als nächstes werde ich mich Lessings Texten zuwenden, da diese für meine Fragestellungen am interessantesten und am besten geeignet sind. Ich beginne mit „Miss Sara Sampson“ und arbeite einige wichtige Aspekte heraus, die Tränen auf der Bühne erzeugen und welche Wirkung sie auf das Publikum haben. Danach beschäftige ich mich mit „Emilia Galotti“, da sie, obwohl vom selben Autor, doch ganz andere Prioritäten setzt und im Gegensatz zur „Sara“ nicht so viele Emotionen aufkommen lässt.

Ich werde mich mit der Frage beschäftigen warum dies so sein könnte und werde am Ende die beiden Werke ausführlich miteinander vergleichen. Ein Vergleich dieser Werke bietet sich aufgrund desselben Autors und der breiten Diskussion der vergangenen Jahrhunderte an, da bereits Lessings Zeitgenossen diese beiden Werke ausführlich miteinander verglichen.

Nach der Lektüre der Forschungsliteratur, habe ich mir folgende Fragestellungen überlegt.

Das Schildern und das Bereden von Tränen auf der Bühne weckt automatisch Emotionen beim Publikum, welches durch diesen „Tränenberedungseffekt“ genau die Emotionen erlebt, die auf der Bühne dargestellt werden. Das sinnliche Vorzeigen des Beweinenswerten ist der wichtigste Punkt dieser Tränenkonzeption, da die sinnliche Darstellung das Publikum „reinigen“ soll. Doch wie werden Tränen beim Publikum hervorgerufen? Eine Frage mit der sich schon viele verschiedene Autoren beschäftigt haben und doch kann man einige Punkte als Gegeben zugrunde legen. Diese Frage werde ich auf die beiden Werke beziehen, aber ebenso versuche ich, auch mit einem Seitenblick auf Schiller, einige allgemeine Punkte zu finden, die allen Werken zugrunde liegen, die einen ähnlichen Ansatz wie das bürgerliche Trauerspiel vertreten.

Eine weitere wichtige Frage ist die, nach den rührenden Elementen des Textes und wie diese eingesetzt werden. Ich werde versuchen herauszuarbeiten welche Handlungen und Gespräche die Dramatik auf der Bühne verstärken und somit das Publikum zu Tränen rühren. So meint Mattenklott hierzu:„ Tränen sind hier als eine Ursprache der Natur zu verstehen, sie sind die unmittelbarste Äußerung der Affekte.“[1] Es gibt einige Textstellen, an denen sich dieses Zitat beweisen lässt und genau diese versuche ich in meiner Arbeit herauszufiltern.

Die letzte und abschließende Frage, die ich mir zu diesem Thema gestellt habe, ist: Warum war „Emilia Galotti“ nicht so ein großer „Weinerfolg“ wie „Miss Sara Sampson“? Ich werde die beiden Texte eingehend miteinander vergleichen und versuchen herauszuarbeiten warum selbst Herder und Goethe die Emilia als kalkuliert bezeichnen.

Lessing und das Mitleid

Bereits Aristoteles hat sich mit dem Drama beschäftigt und einige bis heute gültige Regeln dafür entwickelt, die im Laufe der Jahre erweitert, oder komplett umgestoßen wurden. An diese historische Größe wagt sich nun Lessing heran und spricht von einem Übersetzungsfehler in den Schriften Aristoteles, da Schrecken für Lessing lediglich das „überraschte und unterentwickelte Mitleiden“[2] darstellt. Schrecken ist mehr ein Effekt als ein Affekt und so postuliert er für den Aristotelischen Begriff der „phobos“ eine neue Übersetzung mit Furcht.[3]

Eine sehr gewagte Übersetzung, wenn man bedenkt, dass die Schriften von Aristoteles als unumstößliche Regeln des klassischen Dramas gegolten haben und immer noch gelten.

Lessing geht davon aus, dass „kein Grundsatz, wenn man sich ihn recht geläufig gemacht hat, die besseren Trauerspiele kann hervorbringen helfen, als der: Die Tragödie soll Leidenschaften erregen.“[4]

Die wahrhaft gute Tragödie also muss uns im Innersten berühren, da das Mitleid die wichtigste Funktion inne hat. Bewunderung und Schrecken sind laut Lessing lediglich die Vorstufe, aber den Hauptpunkt der Tragödie bildet immer das Mitleid.[5]

„Die Staffeln sind also diese: Schrecken, Mitleid, Bewunderung. Die Leiter aber heißt: Mitleid; und Schrecken und Bewunderung sind nichts als die ersten Sprossen, der Anfang und des Ende des Mitleids.“[6]

Lessing sieht Schrecken und Bewunderung nicht als Leidenschaften an. Sie spielen keine, oder nur eine untergeordnete Rolle in seiner Trauerspiel Definition, so schreibt er auch in einem Brief an Nicolai, dass er die Bewunderung aus seinem Trauerspiel verbannt. Daraus folgt auch, dass der Held des Trauerspiels stets der bedauerte und nicht der bewunderte Held ist.[7]

Der Zuschauer muss das Leid der Helden für sich selbst fürchten, „Das Mitleid, sagt Aristoteles, verlangt einen, der unverdient leidet: und die Furcht eines unsers gleichen.“[8]

Der Zuseher muss sich also mit dem Helden in gewisser Weise identifizieren können, um sich für sich selbst fürchten zu können, dadurch muss allerdings der Held dem Zuseher ähnlich sein, weil sonst eine Identifizierung nicht stattfinden kann und kein Mitleid aufkommt.

Lessing will in seiner Tragödienkonzeption in Anlehnung an antike Autoren die Helden „lieber zu empfindlich als unempfindlich machen“, so dass sie „lieber zu viele Klagen ausschütten, zu viele Tränen vergießen, als gar keine.“[9] Lessing postuliert hier also den empfindsamen Helden, um beim Publikum Mitleid zu erregen, um dadurch wiederum eine Reinigung desselben zu erlangen. Nur wenn man den Helden bedauert kann Mitleid aufkommen, für Bewunderung bleibt bei Lessings Dramaturgie kein Platz mehr.

Die Träne im historischen Kontext

Die Rührung galt auch schon früher als Tugendreflex, doch bestand eine Verwandtschaft der Tränenergießung mit den weniger edlen Ergießungen. Damalige Publikationen rücken den Empfindsamen meist an die Seite des Lüstlings, da beiden der Mangel gleich ist, ihre Säfte nicht an sich halten zu können. Dadurch setzt sich allerdings die Tugendhaftigkeit selbst einer erotischen Beargwöhnung aus.[10]

Einige Autoren gehen sogar einen Schritt weiter und setzen die Empfindsamkeit mit Onanie gleich, so etwa ein gewisser Pockels: „Ich möchte beynahe behaupten, ohnerachtet ich kein Arzt bin, daß die meisten empfindsamen Leute / Onanisten gewesen sind, oder noch sind, und daß sonderlich dies der Fall bey dem weiblichen Geschlecht ist.“[11]

Erst wesentlich später wurde der Zusammenhang von Körper und Gemütsverfassung entstofflicht, wodurch die Theorie entstand, dass Weinen ein Verströmen der Seele sei. Dieser Theorie kam die Einteilung des Körpers in verschiedene Zonen zu Hilfe. Tränen wären laut dieser Theorie zwar durch Konvulsionen des Herzens veranlasst, ihrer materiellen Beschaffenheit nach aber subtile Ausdünstungen des Gehirns. Aus dieser Teilung folgt, dass es einen Säftepegel im Körper gibt, bei dem sich unten der Schleim und oben die klare Flüssigkeit befindet. Dadurch ist eine Hierarchie der animalischen und geistigen Komponenten des menschlichen Daseins gegeben.[12]

[...]


[1] Alt, Peter-André: Tragödie der Aufklärung. Francke Verlag. Tübingen und Basel 1994.

[2] Lessing an Nicolai im November 1756, LWB XI/1, S. 121.),

[3] Dreßler, Thomas: Dramaturgie der Menschheit-Lessing. Verlag J.B. Metzler. Stuttgart. Weimar. 1996.

[4] Lessing an Nicolai im November 1756, LWB XI/1, S. 118.

[5] Dreßler, Thomas: Dramaturgie der Menschheit-Lessing. Verlag J.B. Metzler. Stuttgart. Weimar. 1996.

[6] Lessing an Nicolai im November 1756, LWB XI/1, S. 119.

[7] Dreßler, Thomas: Dramaturgie der Menschheit-Lessing. Verlag J.B. Metzler. Stuttgart. Weimar. 1996.

[8] Lessing, HDtg 74, LWB VI, S. 553.

[9] Das weinende Saeculum: Colloquium der Arbeitsstelle 18. Jahrhundert, Gesamthochschule. (Bd.7). Carl Winter Universitätsverlag GmbH. Heidelberg. 1983.

[10] Koschorke, Albrecht: Körperströme und Schriftverkehr. Wilhelm Fink Verlag. München. 2003.

[11] Pockels, Fragmente, 131f.

[12] Koschorke, Albrecht: Körperströme und Schriftverkehr. Wilhelm Fink Verlag. München. 2003.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Mitleid und Tränentheorie im Theater anhand Lessings "Miss Sara Sampson" und "Emilia Galotti"
Hochschule
Universität Wien
Note
2,00
Autor
Jahr
2012
Seiten
17
Katalognummer
V211787
ISBN (eBook)
9783656398165
ISBN (Buch)
9783656398707
Dateigröße
431 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
einübung, mitleid, tränen, bühne
Arbeit zitieren
Alexander Wimmer (Autor:in), 2012, Mitleid und Tränentheorie im Theater anhand Lessings "Miss Sara Sampson" und "Emilia Galotti", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/211787

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