Schaffensfroh und qualifiziert. Akzente postmoderner Pädagogik


Livre Spécialisé, 2013

244 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Geschichte der Arbeit
1.1 Arbeit im Wandel der Zeiten
1.2 Industrialisierung und Triebverzicht
1.3 Wissenschaft, Technik, Transhumanismus

2. Philosophie der Arbeit
2.1 Arbeit und Religion
2.2 Das Humankapital
2.3 Entfremdete und schöpferische Arbeit
2.4 Vom Konsument zum Prosument

3. Das Wachstum der Bevölkerung
3.1 Das Wachstum der Weltbevölkerung
3.2 Die Situation der Entwicklungsländer
3.3 Frauen und Arbeit
3.4 Die reife Gesellschaft

4. Die Globalisierung
4.1 Globalisation
4.2 Kritiker der Globalisierung
4.3 Die Finanz- und Schuldenkrise
4.4 Globalisation und Bildung

5. Förderung kreativer Arbeit
5.1 Förderung von Kreativität und Innovation
5.2 Produktive Postmoderne Orientierung
5.3 Naturwissenschaftliche Bildung
5.4 Positive Einstellung zur Arbeit

6. Postmoderne Bildung
6.1 Postmoderne Konzepte der Erziehung und Bildung
6.2 Erziehung zum Gestaltungsoptimismus
6.3 Pädagogik der Informationsgesellschaft
6.4 Pädagogik der Qualität

Ausblick

Literaturverzeichnis

Über den Autor:

Einleitung

Wir leben immer noch in einer Welt, die unter Hunger, Armut und Ungerechtigkeit leidet. Fast ein Drittel der Menschen in den Entwicklungsländern existiert unter der Grenze absoluter Armut, dreizehn Mal mehr als die relative Armut in den fortgeschrittenen Industrieländern. Die 31 ärmsten Länder Afrikas wiesen in den Jahren zwischen 1965 und 1985 ein jährliches Realwachstum des Bruttosozialprodukts von minus 0,3 Prozent auf (Vgl. GIARINI / LIEDKE 1998, S. 117).

Und dennoch: Noch niemals in der Geschichte der Menschheit waren menschliche und andere Ressourcen in solchem Überfluss vorhanden, wie in der Gegenwart. Diese Ressourcen an Kenntnissen, Fertigkeiten und Bildung sind das Rohmaterial, aus dem eine bessere Zukunft für die Menschheit geschaffen werden kann (Vgl. GIARINI/LIEDTKE 1998, S. 25 ff. ) Ein Maßstab für die Verbesserung der weltweiten Lebensbedingungen könnte die Steigerung der Lebenserwartung sein. Allerdings bleibt die Frage unbeantwortet, ob mit der Steigerung der quantitativen Lebenserwartung auch eine Zunahme der Lebensqualität einhergeht. Fast überall auf der Erde finden wir noch Armut, Rückständigkeit und Unwissenheit, welche in manchen Fällen sogar noch zunehmen. Und selbst in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften gibt es Depressionen bis zum Suizid, Drogenabhängigkeiten und Essstörungen, Mobbing und Delinquenz bis zu den sogenannten Schul-Massakern (Vgl. KERSCHER, 2008, 2010, 2011, 2012). Die größte Herausforderung für Erziehung, Pädagogik und Bildung ist die Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten, die vorhandenen und erst neuerdings nutzbaren Ressourcen in vorteilhafter Weise einzusetzen. Unsere Möglichkeiten, unsere Umgebung, die Natur und das Wirtschafts- und Sozialleben zu gestalten, sind größer als jemals zuvor in der Menschheitsentwicklung. Sie erfordern jedoch ein unablässig wachsendes Gefühl von Verantwortung für die Veränderungen, die wir bewirken, und für jene, die wir ablehnen. Postmoderne Erziehung, Pädagogik und Bildung können spezifische Beiträge zur Hebung des moralischen Niveaus der jungen Generation und der Förderung von Intelligenz, Initiative und Kultiviertheit beisteuern. Der Mensch hat das Potential, seine Umwelt, seine Lebensqualität und seine Kultur durch schöpferische Tätigkeit in einem Maße zu beeinflussen, wie es keiner anderen Spezies auf unserem Planeten möglich ist.

1. Geschichte der Arbeit

1.1 Arbeit im Wandel der Zeiten

In der Frühgeschichte der menschlichen Evolution bestand die Arbeit als menschliche Überlebenstätigkeit hauptsächlich im Sammeln von Früchten und Nüssen, im Jagen und Fischen, Bau oder Einrichtung von Unterkünften, z.B. Höhlen, und ähnlichen Aktivitäten wie Herstellung von Werkzeugen, Bekleidung aus Fellen, Entfachen von Feuer und Erhitzen von Nahrung. Arbeit war überwiegend der Garant für das Überleben in einer noch sehr naturbelassenen, unkultivierten Umgebung. Unsere Vorfahren in grauer Urzeit mussten lernen, sich den Umweltbedingungen, dem Klima und den Witterungsverhältnissen geschickt anzupassen (Vgl. GIARINI / LIEDTKE 1998, S. 34 ff.).

Mit der Entwicklung der Viehzucht und der Einführung der Landwirtschaft gewann der Mensch größeren Einfluss auf die Lebensbedingungen. Besonders die planmäßige Anpflanzung und Ernte von Getreide, Feldfrüchten und Nutzbäumen und deren Höherzüchtung und weltweite Verbreitung im Laufe von Jahrtausenden veränderte die Lebensweise und verbesserte die Überlebenschancen der Menschheit.

Exkurs 1: Kulturgeschichte des Ölbaums

Vor Tausenden von Jahren wurden die Oliven des wilden Baumes gesammelt.Vor 6.000 Jahren wurde der Ölbaum in Syrien und Kreta kultiviert. Der zur fruchtbaren Gartenolive kultivierte Baum wurde von Volk zu Volk weitergegeben, Zweige und Olivenkerne wurden Verwandten und Nachbarn geschenkt. Schon früh wurde der Ölbaum daher zum Symbol des Friedens.

In Wirtschaft, Religion und Kunst sowie in vielen Mythen spiegelt sich die wichtige Rolle des Olivenbaums wider.

Zu biblischen Zeiten bildete die Ölfrucht neben dem Feigenbaum und dem Weinstock das Bild des Wohlstandes.

Man benutzte das Öl als Speise, bei Opfergaben, als Brennöl und zum Salben des Haares und des ganzen Körpers.

Zu Zeiten Homers diente das Öl in Griechenland zum Salben des Körpers. Als Luxusgut war es damals den Reichen und Edlen vorbehalten.

Der Sieger bei den Antiken Olympischen Spielen in Griechenland erhielt einen Kranz aus Ölzweigen.

Der Ölbaum in Texten der Bibel

Im alten Christentum ist die Taube mit dem Ölzweig ein Symbol des Friedens. Der Bibel zufolge schickte Noah nach der großen Sintflut eine Taube aus. Sie kam mit einem Ölzweig im Schnabel zurück. Die Flut war gesunken, die Erde grünte wieder, ein Überleben war möglich.

Auch heute noch findet sich dieses Friedens-Symbol des Zweiges des Ölbaums in PICASSOs Zeichnungen von Friedenstauben mit Ölzweig im Schnabel, als Symbol der Friedensbewegungen Europas und im Logo der UNO, der Organisation der Vereinten Nationen.

Der Olivenbaum wird genutzt als Nahrungsmittel durch seine Frucht, die Olive. Direkt vom Baum verzehrt ist sie zu bitter, deshalb wird sie in Salzlake eingelegt. In der mediterranen Küche wird sie oft in Brot, Salaten und Saucen verwendet.

Aus den Oliven wird das Öl gepresst. Das native extra Öl ist gesund wegen seiner ungesättigten Fettsäuren und soll sich positiv auf das Herzkreislaufsystem und den Fettstoffwechsel auswirken. Auch das Risiko, an Diabetes und Krebs zu erkranken, soll abnehmen.

Aus Olivenholz werden Blockflöten, Möbel und Frühstücks-Brettchen gebaut.

Medizinisch wirkt der Blätter-Extrakt Schlaf-fördernd, das Immunsystem stärkend und auf den Cholesterinspiegel senkend.

Für kosmetische Zwecke wird daraus Hautcreme produziert.

Inhaltsstoff von nativem Olivenöl hat die gleiche Wirkung wie das entzündungshemmende Schmerzmittel Ibuprofen oder Aspirin.

Das Schmerzmittel und natives Olivenöl verursachen ein charakteristisches Brennen im Hals.

Dieser Eigenschaft verdankt sich der Name Oleocanthal (Oleo = Öl, canth = stechen , al = aldehyd). Oleocanthal bezeichnet einen Wirkstoff, der erstmals in Olivenöl entdeckt wurde. BEAUCHAMP publizierte 2005 seine Entdeckung, dass eine Substanz in Extra Nativem Olivenöl entzündungshemmende und antioxidative Wirkung besitzt.

Antioxidantien verhindern die Oxidation empfindlicher Moleküle. Sie sind u.a. in Knoblauch, Blaubeeren, Brokkoli, Zitrusfrüchten, Tomaten, Vollreis, Kaffee, Tee, Kakao und im Wein enthalten.

Spanien ist weltweit der größte Hersteller von Olivenöl. Im Jahre 2003/2004 wurden 1,13 Millionen Tonnen hergestellt. Das waren 36% der Weltproduktion. Zum Vergleich die Nr.2, Italien: 685.000 t.

Exkurs 2: Zitrusfrüchte

Zitrusfrüchte , wie Zitronen, Limetten, Orangen, Mandarinen und Grapefruits, sind wahre Vitamin-C-Bomben. Sie stärken das Immunsystem und schützen vor Erkältung und Grippe. Der Ursprung der Zitruspflanze liegt in Südostasien. Heute werden weltweit mehr Zitrusfrüchte angebaut und konsumiert als Wein. Schon 2.000 Jahre vor Christus waren in China kleine Orangen und Pampelmusen, kleine Mandarinen und Kumquats bekannt. Auf den Philippinen wird heute noch gern der Saft kleiner grüner Miniatur-Zitronen verzehrt, Kalmansi genannt. 800 vor Chr. war die Zitrone und die Zitronat-Zitrone bereits in Indien bekannt. Die Zitronat-Zitrone wird in Indien auch „Buddhas Hand“ genannt.

ALEXANDER, der sogenannte Große, brachte den Zitronant-Zitronen-Baum nach Kleinasien und damit später nach Südeuropa.

Exkurs 3: Der Weinbau

Weintrauben oder Weinbeeren sind die Früchte der Weinrebe. Diese Kletterpflanze gehört zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheit überhaupt.

Es gibt heute rund 16.000 Rebsorten. Es gibt grüne, gelbe, rote und dunkelblaue Beeren. Weinbeeren können roh gegessen, zu Rosinen, Traubensaft oder zu Wein oder Sekt verarbeitet werden.

Weinbau wurde bereits vor 8.000 Jahren in Persien betrieben. Der Gott des Weines war in Ägypten Osiris, in Griechenland Dionysos, in Rom Bacchus und in Babylonien hieß er Gilgamesch.

Für die alten Griechen war der Wein ein Gegenstand religiöser Verehrung und Sinnbild der Kultur. Es gab viele Feste, Rituale und Opfer.

Wein in Texten der Bibel

NOAH ist der Bibel nach der erste Ackerbauer und der erste Winzer und Weintrinker. Eingeschlafen durch zu viel Weingenuss sieht ihn sein Sohn HAM entkleidet in seinem Zelt liegen (Hamiten = dunkelhäutige Afrikaner). NOAH verflucht deshalb HAMs Sohn KANAAN dazu Knecht zu sein. Damit wurde später von Christen die Versklavung schwarzhäutiger Völker gerechtfertigt.

Im Buch der Psalmen dient Wein der Lebensfreude.

Bei SOLOMON ist er Arznei für Leidende.

Das Wirken des Heiligen Geistes wird mit gärendem neuen Wein verglichen.

Im Sakrament des Abendmahls bildet Wein das Element für das Blut CHRISTI.

Wein in Literatur und Dichtung

ODYSSEUS kann aus der Höhle eines Riesen fliehen, weil er ihn mit Wein betrunken macht.

Rotkäppchen bringt nach den Gebrüdern GRIMM der Großmutter Kuchen und Wein.

Friedrich HÖLDERLIN preist in seiner Elegie „Brot und Wein“ den Wein als Gabe der Himmlischen.

Wein aus medizinischer Sicht

Übermäßiger Konsum von Wein kann zu psychischer und körperlicher Abhängigkeit führen. Zu viel Alkohol-Konsum kann zu ernsthaften gesundheitlichen und sozialen Störungen führen. In mediterranen Ländern wird Wein deshalb häufig in Maßen zu Speisen gesellig genossen.

OPC, das sind Oligomere Proanthocyanidine, kommen vor allem in den Kernen und der Haut von Weintauben vor. OPC sollen als starke Antioxidantien wirken. Die Kerne und die Trauben-Haut sind ebenfalls Quelle für das Antioxidans Resveratrol. OPC und Resveratrol finden sich u.a. in Himbeeren, Maulbeeren und besonders in Weintrauben. In Rotwein ist die Konzentration dieser Wirkstoffe am höchsten. Der Wirkstoff schützt die Wein-Pflanzen vor Parasiten und Pilzinfektionen.

Ein Glas Rotwein pro Tag soll sich gut zur Vorbeugung von Herzinfarkten eignen.

Das bisher erforschte OPC ist 18 mal so stark wie Vitamin C und 50 mal so stark wie Vitamin E.

Also: Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren!

Merkmale der Agrargesellschaft

Die Landwirtschaft in früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden war stark von Jahreszeiten, Klima und Wetter abhängig. Die einzig künstliche Lichtquelle war das Feuer in Ölampe, Kienspan, Wachskerze. Dementsprechend wurde nur bei Tageslicht auf den Feldern und in den Gärten gearbeitet. Die Werkzeuge waren noch recht einfach und es dauerte sehr lange, bis Verbesserungen in den Produktionsprozess eingeführt wurden. Die ertragsreichere Dreifelder-Wirtschaft begann das bis dahin bekannte Zweifeldersystem ab dem 8. Jahrhundert zu ersetzen, war aber in manchen Regionen Europas bis ins 13. Jahrhundert noch nicht abgeschlossen.

Die leibeigenen Bauern und städtischen Handwerker waren im Mittelalter sehr traditionsverbunden. Kenntnisse und Ferigkeiten der Landwirtschaft und des Kunsthandwerks wurden vom Vater an den Sohn und von der Mutter an die Tochter durch mündliche Unterweisung und Nachahmung weiter gegeben. Über Generationen gab es die unverändert gleichen Produktionsweisen.

GIARINI/LIEDTKE (Vgl. 1998, S. 90) zufolge stieg das reale Pro-Kopf-Einkommen im Zeitraum von 800 bis 1500 n. Chr. in West-Europa im Durchschnitt um nicht mehr als 0,1 bis 0,2 Prozent im Jahr. Bei diesem langsamen Wandel verbesserte sich der Lebensstandard im Laufe eines Menschenlebens nur unmerklich. Erst alle 500 Jahre verdoppelte sich das Realeinkommen der Bevölkerung!

Das Wirtschaftsleben hing in erster Linie von den leibeigenen Bauern ab, die 80 bis 90 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten (Vgl. GIARINI/LIEDTKE 1998, S. 92f. ). Den größten Teil der Ernte verzehrten sie selbst. Die Möglichkeiten, einen Überschuss an Ernterträgen zu verkaufen, waren sehr gering, zum Beispiel am Markttag in den mittelalterlichen Städten. Es gab fast keine Erwerbsarbeit, außer in den Städten, und meistens wurde sie in Naturalien vergütet. Für die Bearbeitung des Landes mussten die unfreien Bauern den Zehnten ihrer Ernte entrichten und Frondienste leisten. Als Gegenleistung erlaubte der Grundherr die Errichtung von Unterkünften, organisierte das mittelalterlich grausame Rechtssystem und bot militärischen Schutz (Vgl. Norbert ELIAS, Der Prozess der Zivilisation). Das Territorium war das Gebiet, auf dem der Krautjunker Terror ausüben konnte (Vgl. Andre GLUCKSMANN, Die Meisterdenker.).

In diesem Feudalsystem war Geld als Tauschmittel zur Befriedigung von Konsumgütern nahezu überflüssig. Einzig ein kleiner Teil der Agrargesellschaft, der im Fernhandelt tätig war, profitierte von einer Geldordnung. Aber es gab kein funktionierendes Geldsystem, das zur Unterstützung des Handels hätte eingesetzt werden können. Die Mehrheit der Bevölkerung hatte keinen Bedarf an dem Tauschmittel Geld.

1.2 Industrialisierung und Triebverzicht

Sexuelle Aufklärung im heutigen Sinn war noch vor gut 300 Jahren gänzlich unbekannt. Im Altertum und Mittelalter betrachtete man Sexualität als festen Bestandteil des Lebens und nicht als einen besonderen, problematischen Komplex, der besondere Aufmerksamkeit verdient hätte. Sexuelles Wissen wurde ganz selbstverständlich wie jedes andere Wissen erworben. Kinder lebten nicht in einer eigenen, geschützten Welt, sondern nahmen an fast allen Arbeits- und Freizeitaktivitäten der Erwachsenen teil (Vgl. HAEBERLE 1985 ; vgl. USSEL 1970)

Da die Mehrheit der Bevölkerung vor dem Zeitalter der Industrialisierung auf dem Lande lebte, hatten die Kinder genügend Gelegenheit, Tieren bei der Paarung zuzusehen. Auch war es keineswegs ungewöhnlich, dass Mensch und Tier unter einem Dach lebten. Weder in Ober- noch in Unterschichten gab es eine ausgesprochene Privatsphäre, und es herrschte wenig Schamhaftigkeit und Verlegenheit in bezug auf die natürlichen Körperfunktionen. Familien badeten und schliefen gewöhnlich unbekleidet gemeinsam. Brautwerbung und Schwangerschaft wurden offen diskutiert, Geburten fanden zu Hause statt. Sexuelle Dinge blieben für niemanden ein Geheimnis, und man hielt Jungen und Mädchen mit Beginn der Pubertät für heiratsfähig.

Selbst zu Beginn der Neuzeit, als die städtische Mittelschicht begann, wichtige Informationen in gedruckter Form zu verbreiten, wurde Sexualität noch nicht als Thema für sich behandelt. In Lehrbüchern für Kinder, wie beispielsweise den „Colloquia Familiara“ des ERASMUS VON ROTTERDAM (1522), wurde Sexualität offen und einfach als fester Bestandteil des täglichen Lebens behandelt, dem man nicht mehr und nicht weniger Bedeutung zumaß als allen anderen Dingen von allgemeinem Interesse.

Im Laufe der folgenden Jahrhunderte entwickelten die Menschen jedoch eine völlig andere Einstellung.

Kindheit und später auch Jugendalter wurden als besondere, „unschuldige“ Lebensphasen definiert, in denen es galt, die jungen Menschen vor den Versuchungen der Erwachsenenwelt zu schützen. Eine zunehmende Prüderie interpretierte alles Sexuelle als schmutzig und gefährlich. Masturbation wurde zum allgemeinen Problem und zu einer ernsthaften Gefahr für die Gesundheit erklärt. Jos van USSEL ( 1970) hat eindrucksvoll die Methoden der Anti-Masturbations-Kampagnen im 18. und 19. Jahrhundert beschrieben.

Sexualität war zu einem mysteriösen und zutiefst verwirrenden Gegenstand geworden.

Es herrschte die Auffassung , dass Sexualität gefährlich sei und Kinder unschuldige Wesen, die vor dieser Gefahr unter allen Umständen bewahrt werden müssten. Eine Einstellung war, den „natürlichen“ Zustand „heiliger Unschuld“, in den ein Kind angeblich geboren wird, möglichst lange zu erhalten.

Jegliche Informationen auf dem sexuellen Gebiet sollten Kindern und Jugendlichen auf keinen Fall zugänglich sein und jede Neugier im Keim erstickt werden , indem man das Thema als schmutzig und ekelerregend darstellte. Sexuelle Unwissenheit war (bei Kindern) gleichbedeutend mit Reinheit.

Eine andere Ansicht war, dass man den Gefahren nur durch frühzeitige „sexuelle

Aufklärung“ begegnen könne. Nach dieser Auffassung war sexuelle Unwissenheit gefährlicher als sexuelles Wissen , da es zu schädlichen Missverständnissen und Phantasien führen könne.

Entsprechend dieser allgemeinen Auffassung wurde an einigen für die damalige Zeit „progressiven“ Schulen erstmals „Aufklärungsunterricht“ gegeben. Das Ziel war, einen Sinn für Sittsamkeit und eine „gesunde Scheu“ vor sexuellen Dingen zu vermitteln. Die Methode der Sexualerziehung bestand im Fernhalten und Ablenken von der Sexualität und in der Abschreckung. So wurden die anatomischen Unterschiede zwischen Mann und Frau im Leichenschauhaus demonstriert. Zusätzlich wurden Schüler in Krankenhäuser und Siechenheime geführt, um ihnen Syphilitiker und Wahnsinnige als Opfer der Masturbation vorzuführen.

Kurzum, der eigentliche Zweck des gesamten Unternehmens war nicht so sehr, die Jugend über sexuelle Dinge aufzuklären, als sie vor Versuchungen zu warnen.

Mit der Französischen Revolution von 1789 wurde die Forderung nach sexueller Erziehung für Jungen und Mädchen gestellt. Leider schwächte sich der sexualrevolutionäre Impuls schnell wieder ab. Das Thema „Sexualität“ verschwand wieder aus den Lehrplänen, kaum dass es richtig eingeführt worden war.

Nicht nur in Frankreich, sondern überall in Europa wurde das Bürgertum immer mächtiger und zunehmend konservativer. Mit dem Aufstieg der Mittelschichten in Europa und Nordamerika wurde die Verbreitung sexuellen Wissens zunehmend eingeschränkt.

Dies führte soweit, dass es zu extremer Zensur auf dem gesamten Gebiet der Information über Sexualität kam. Es gab überhaupt keine Erwähnung sexueller Aspekte in Lexika, Sachbüchern, Bibeln, Kinderbüchern, Märchenbüchern usw. und auch im täglichen Leben mussten die geringsten Anspielungen auf dieses Thema in jeglicher Hinsicht vermieden werden. Es wird auch von der „Verschwörung des Schweigens“ gesprochen.

Unwissenheit und Heuchelei breiteten sich aus, und viele schwer erkämpften bürgerlichen Freiheiten gingen rasch wieder verloren. Diese zunehmende Prüderie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine internationale Erscheinung ungekannten Ausmaßes. In England bringt man diese Entwicklung mit der Regierungszeit der Königin Viktoria in Verbindung, woher der Begriff des Viktorianischen Zeitalters rührt.

Die Kirche mit ihrem Sündenbegriff und ihrer Leibfeindlichkeit spielte und spielt bis in die Gegenwart eine große Rolle bei der Unterdrückung der Sexualität.

Sämtliche Ursachen dieser historischen Entwicklung wurden jedoch nie völlig geklärt. Sie sind aber großenteils im direkten Zusammenhang mit der allgemeinen Industrialisierung zu sehen. Verwissenschaftlichung und Technisierung, Verstädterung, Industrialisierung und der voranschreitende Kapitalismus verlangten einen Menschentypus, der diesen neuen Entwicklungen besser angepasst war als der mittelalterliche Mensch. Die veränderten Umweltbedingungen erzwangen von den Menschen eine neue Art und Weise des Umgangs mit sich selbst, mit anderen Menschen, mit der Erziehung, der sachlichen Umwelt und den großen Lebensfragen (Vgl. KENTLER 1975, S. 33).

Industrialisierung bedeutet, dass eine Gesellschaft sich durch den Arbeitseinsatz ihrer Mitglieder aus Armut und Naturabhängigkeit herausarbeitet. In der Aufbauphase sind daher Verzichtsbereitschaft, Selbstbeherrschung und aufopferungsvoller Arbeitseifer notwendige Tugenden. Das Mittel, um diese zu erreichen, war die sexualfeindliche Erziehung. Durch sie lernten die Menschen, ein so drängendes und immer aktuelles Bedürfnis wie die Sexualität unwichtig zu nehmen und seine Befriedigung für längere Zeit aufzuschieben.

Aus dem sinnenfreudigen, sexualbejahenden Menschen wurde der asketische, prüde, leistungsbesessene Mensch der frühen Neuzeit.

Diese anspruchslose, genügsame Einstellung zum Leben zog einen extrem sparsamen Umgang mit den sexuellen Kräften, Konsumverzicht und die Unterwerfung unter ein strenges Leistungsprinzip nach sich.

Die Frage, welcher materielle Nutzen für den Menschen persönlich dabei herausspringen würde, blieb völlig außer acht.

Es wurde nicht mehr gearbeitet, um zu leben, sondern gelebt, um zu arbeiten.

Da die meisten Menschen den Forderungen dieser sexualfeindlichen Erziehung nicht gerecht werden konnten, entstand eine „doppelte Moral“: In der Öffentlichkeit werden moralische Grundsätze vertreten, im Geheimen aber die Triebbedürfnisse ausgelebt ( Z.B. Pornographie, Prostitution ).

Diese Epoche der extremen Sexualunterdrückung hatte fatalste Folgen für körperliche und seelische Gesundheit. Viele Kinder und Jugendliche wurden grausamen und überflüssigen „Behandlungen“ unterworfen, um sie zum Gehorsam zu formen und ihren Eigenwillen zu brechen (Vgl. SCHATZMANN 1974). Ein besonderer Kampf galt der Masturbation der Kinder und Jugendlichen (Vgl. USSEL 1975, vgl. PILGRIM 1975 ).

Diese Methoden erscheinen uns heute wie Horrorszenarien, aus welchem Grunde ich sie nicht näher ausführen möchte.

Oft kam es allein durch die der unterdrückenden Sexualerziehung entstammenden Schuldgefühle zu seelischem Leiden und ernsthaften Erkrankungen bis hin zu Selbstmorden.

Angst vor Sexualität bestimmte das ganze Leben.

Frank WEDEKINDs Drama „Frühlingserwachen“ (1891) gibt uns noch heute einen erschütternden Einblick in die damalige repressive Atmosphäre.

Die sexuelle Unwissenheit forderte im Laufe der Jahre einen schrecklichen Preis von der Gesellschaft durch eine Vielzahl unglücklicher Ehen, unerwünschter Kinder und frustrierter Lebensläufe. Niemand wird je das ganze Ausmaß menschlichen Elends, das dadurch verursacht wurde, ermessen können. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden jedoch bestimmte Aspekte dieses Elends so deutlich, dass sie nicht mehr übersehen werden konnten. Immer mehr Menschen wurden nervös, depressiv oder sogar körperlich krank infolge ihrer sexuellen Probleme, und jede Behandlung war erfolglos, solange diese Probleme verleugnet blieben.

Ärzte wie FREUD, BLOCH, und HIRSCHFELD, die solchen Patienten zu helfen versuchten, kamen deshalb zu der Überzeugung, dass das Schweigen gebrochen werden müsse und Reformen einzuleiten seien.

So begannen sie, zunächst ihre Kollegen, später ein größeres Publikum von Erwachsenen über Sexualität zu informieren.

Als die Ängste der Erwachsenen schließlich überwunden waren, konnte man auch Jugendliche und Kinder wieder in die Diskussion einbeziehen.

Hierdurch wurde der Weg für eine neue und umfassende Reform der Sexualerziehung und –moral ermöglicht.

1.3 Wissenschaft, Technik, Transhumanismus

Die Schaffung von Werkzeugen, von Techniken und Technologien gehörte schon immer zur menschlichen Geschichte (Vgl. GIARINI / LIEDTKE 1998, S. 76 ff.). Steinzeit, Eisenzeit und Industrielle Revolution stellen Stufen der menschlichen Entwicklung dar. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war die Technik nur gering mit der wissenschaftlichen Entwicklung verknüpft. Technik war das Resultat menschlichen Erfindungsreichtums, oft intuitiv, durch Versuch und Irrtum, um Werkzeuge für die Jagd und den Krieg herzustellen, um Tiere zu zähmen, Pflanzen zu nutzen und Häuser zu bauen. Die Herstellung von Eisen für Schwerter, Pflugscharen und Nägel erfolgte aufgrund pragmatischer Beobachtungen und Erfahrungen, die sich über Jahrhunderte und Jahrtausende entwickelten, ohne dass die Menschen verstanden, was Kohlenstoff und Eisen sind. Auch die Industrielle Revolution wurde von praktischen Ingenieuren vorangetrieben, die den Wasserdampf einsetzen konnten, ohne dass sie wirklich wussten, dass das Wasser aus Wasserstoff und Sauerstoff besteht. Wasserkraft wurde für Mühlen benutzt, ohne dass die Müller etwas von Gravitation wussten.

„Die moderne und postmoderne Wissenschaft ist hingegen die Tochter der philosophischen Frage nach dem Aufbau des Universums, und der Zusammensetzung und dem Verhalten von Materie und Materialien“ (GIARINI/LIEDTKE 1998, S. 76).

Erst am Ende des 19. Jahrhunderts gewann die wissenschaftliche Forschung Einfluss auf die Produktion neuer Werkzeuge.

Wenn in vergangenen Jahrhunderten der Begriff Wissenschaft verwendet wurde, dann meinte man damit in den meisten Fällen, auch bei MARX, nicht die Wirklichkeit der Praxis der Wissenschaft und Forschung. Vielmehr meinte man mit Wissenschaft eine Denkmethode, von der man Vollkommenheit, Gewissheit und letztgültige Autorität annahm. Wissenschaft wurde oft im Gegensatz zu Aberglaube, Religion und Tradition gedacht. Insofern war das Pochen auf Wissenschaftlichkeit auch eine Ideologie, sozusagen ein Glaube an die Wissenschaft.

In einem praktischeren Gebrauch des Begriffes Wissenschaft meinte man damals wie auch oft heute noch eine Aufgabe, die gut gemacht ist und ein Höchstmaß an Präzision aufweist. Es ist möglich, die Qualität „wissenschaftlich“ auf jede Art von gut ausgeführter Tätigkeit anzuwenden, sogar auf den Frühmenschen, der einen Faustkeil oder eine Speerspitze herstellt. Dies hebt jedoch solche Prozesse eigentlich nicht auf das Niveau von Wissenschaftlichkeit, wie wir sie heute verstehen.

Wissenschaftliche Fortschritte beruhen zum Teil auf menschlichen Träumen und Visionen. In manchen Fällen werden sie durch Mythen und Mythologien angeregt. Zu erinnern sei nur an DÄDALOS und IKARUS aus der Mythologie des Antiken Griechenlands als Vorläufer der heutigen Luftfahrt. Die moderne und postmoderne Wissenschaft beinhaltet das Aufzeigen von Grenzen jeder scheinbaren Gewissheit und unablässige Kritik (Vgl. LYOTARD 1994). Dies ist ein bedeutsamer Unterschied der heutigen Auffassungen der Wissenschaftstheorie und denen des 19. Jahrhunderts, als die Wissenschaft als eine Methode zur Erlangung von absoluter Gewissheit galt und damit als Konkurrentin und Kontrahentin der Religion, des Aberglaubens und der Spiritualität erschien. „ Der religiöse Glaube hat mit der Suche nach universeller Wahrheit zu tun, der wissenschaftliche Glaube – wenn dieses Bild hier überhaupt brauchbar ist – hat mit der Ungewissheit zu tun“ (GIARINI/LIEDTKE 1998, S. 78).

Transhumanismus

Transhumanismus und Extropianismus begrüßen den schnellen Technologie-Wandel als positive Chance der Menschheitsentwicklung mit offenen Armen..

Transhumanismus (Vgl. für die folgenden Ausführungen Wikipedia, „http://de.wikipedia.org/wiki/Transhumanismus“, 2010 ) ist eine Philosophie und Bewegung, welche Veränderungen der menschlichen Spezies durch Technologie befürwortet oder philosophisch überdenkt im Hinblick auf mögliche Verbesserung der menschlichen Existenz. Der Name (lat. trans = jenseits von / lat. humanus = menschlich) verweist auf das Bestreben, die Grenzen menschlicher Möglichkeiten und Bedingungen zu verändern und zu erweitern.Die menschliche Evolution könnte gesteuert werden, um so eine Erweiterung der mentalen, physischen und psychischen Kapazitäten des Menschen zu erlangen. In diesem Zusammenhang relevante Technologien sind unter anderem molekulare Nanotechnologie, Gen- und Biotechnologie, Bio-Gerontologie, Informationstechnologien, Kognitionswissenschaft, künstliche Intelligenz, das „Hochladen des Bewusstseins“ in digitale Speicher und Kryonik, das Konservieren Verstorbener in der Hoffnung auf zukünftige Wiederbelebungsmöglichkeiten..

Es existieren Kontroversen, inwiefern transhumanistische Zukunftsprognosen über die Technologie realistisch sind, und welche ethischen bzw. anthropologischen Konsequenzen sich aus ihren Überlegungen ziehen ergeben.Die Bezeichnung "Transhumanismus" wurde erstmals 1957 vom Biologen Julian HUXLEY geprägt, der sie definierte als "Mensch, der Mensch bleibt, aber sich selbst, durch Verwirklichung neuer Möglichkeiten von seiner und für seine menschliche Natur, überwindet". Die Definition HUXLEYs gewann keinen großen Anhang und unterscheidet sich im Wesentlichen von der allgemeingebräuchlichen seit den achtziger Jahren. Der Begriff "transhuman" gelangte allerdings schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Übersetzung von DANTEs Paradiso in die englische Sprache und wird bereits 1949 in Wörterbüchern mit der späteren Bedeutung aufgeführt.1966 begann Fereidoun M. ESFANDIARY, ein iranisch-amerikanischer Futurist, mit "transhuman" ,eine Abkürzung für engl. "transitory human", also Mensch im Wandel, Menschen zu bezeichnen, die Technologien, Lebensstile und Weltansichten annehmen, die einen Übergang zur "posthumanity", "Posthumanität", bilden. Als "Posthumane" bezeichnet man dabei jene zukünftigen Individuen, welche ihre Körper im Rahmen der Möglichkeiten der von Transhumanisten postulierten Technologien signifikant ihren Bedürfnissen angepasst haben werden.

Die moderne Definition des Transhumanismus geht jedoch auf Max MORE zurück: "Transhumanismus ist eine Kategorie von Anschauungen, die uns in Richtung eines posthumanen Zustands führen. Transhumanismus teilt viele Aspekte mit dem Humanismus, einschließlich eines Respekts vor Vernunft und Wissenschaft, einer Verpflichtung zum Fortschritt und der Anerkennung des Wertes des menschlichen oder transhumanen Bestehens in diesem Leben. [...] Transhumanismus unterscheidet sich vom Humanismus im Erkennen und Antizipieren der radikalen Änderungen in Natur und Möglichkeiten unseres Lebens durch verschiedenste wissenschaftliche und technologische Disziplinen [...]."

Anders SANDBERG beschreibt modernen Transhumanismus als die Philosophie, dass wir uns zu höheren Niveaus entwickeln können und sollten, physisch, geistig und sozial, durch den Gebrauch rationaler Methoden, während Robin HANSON ihn beschreibt als die Idee, dass neue Technologien wahrscheinlich unsere Welt im folgenden Jahrhundert so sehr ändern werden, dass unsere Nachkommen auf vielen Arten nicht mehr 'Mensch' sein werden.

Laut einer Zusammenfassung transhumanistischer Literatur ist Transhumanismus die Befürwortung der Verbesserung des menschlichen Zustands durch "Verbesserungstechnologien", wie die Überwindung des Alterns und die Erweiterung der intellektuellen, körperlichen oder physiologischen Kapazitäten und das Studium des Nutzens, der Gefahren und der Ethik der Implementierung dieser Technologien.

Transhumanismus und Technologie

Transhumanismus unterstützt ganz allgemein neue Technologien, einschließlich vieler in den Medien kontrovers diskutierter, wie Nanotechnologie, Biotechnologie mit Schwerpunkt auf Gentechnik, Informationstechnologie und Kognitionswissenschaft, sowie spekulativer zukünftiger Technologien wie starke künstliche Intelligenz, das Hochladen, engl.: Uploading, des menschlichen Bewusstseins in digitale Speicher, das Entwickeln von Superintelligenz und die Weiterentwicklung der Kryonik.

Aufgrund der aktuellen Beschleunigung des technologischen Fortschritts spekulieren viele Transhumanisten auf einen radikalen Durchbruch in den nächsten 50 Jahren. Der Transhumanismus unterstreicht, dass dieses wünschenswert sei und dass der Mensch sich durch die Anwendung technologischer Innovationen, wie Gentechnik, molekulare Nanotechnologie, Neuropharmazeutik, prothetischer Verbesserungen und neuer Gehirn-Computer-Schnittstellen über den gegenwärtigen menschlichen Stand hinaus entwickeln kann und sollte.Es sei, so die Transhumanisten moralischer Kritik entgegnend, überhaupt nicht im Sinne der transhumanistischen Idee, irgendeine Form von Unterteilung in gut und schlecht, lebenswert und -unwert vorzunehmen, sondern Mittel und Technologien bereitzustellen, die jedem Menschen ermöglichen, seine Lebensqualität nach Wunsch zu verbessern, und mit denen jedermann die Art zu leben, sein Aussehen, seine physikalischen und seelischen Möglichkeiten selbst bestimmen könne. Niemand würde zu irgend einer Veränderung gezwungen werden. Jedoch würden viele Menschen, wenn die Technologien erst vorhanden und etabliert seien, die eine oder andere Dienstleistung an sich vornehmen, da es z.B. für jeden sicher verlockend klingt, nie wieder an jeglicher Infektionskrankheit erkranken zu können oder nie wieder einen Knochenbruch erleben zu müssen.

Eine weitere Anwendung wären aus eigenen Stammzellen gezüchtete Organe, so dass bei einem Organversagen das betreffende Organ, sofern nötig, sofort ausgetauscht werden könnte. Dies hätte zusätzlich noch den Vorteil, dass keine Abstoßungsreaktion stattfinden würde, weil das Gewebe ja genetisch körpereigenes ist.

Aufklärung und humanistische Wurzeln

Der Tradition der Aufklärung und ihren politischen, moralischen und philosophischen Gedanken des 19. Jahrhunderts folgend, strebt der Transhumanismus danach, auf dem globalen Wissen der Moderne für das Wohl der gesamten Menschheit aufzubauen.

Der Transhumanismus strebt danach, Vernunft, Wissenschaft und Technologie zu Zwecken der Armutsbekämpfung, der Befreiung von Krankheiten, Behinderungen, Unterernährung und von repressiven Regimen weltweit anzuwenden. Viele Transhumanisten verlangen, die Qualität allen Lebens zu verbessern und streben danach, gesundheitlich gleiche Chancen auch durch Eliminierung genetisch bedingter mentaler und körperlicher Krankheiten zu erreichen.

Laut Transhumanismus besteht ein ethischer Imperativ für Menschen, sich um Fortschritt und Verbesserung der Lebensqualität der Menschheit zu bemühen, Perfektionismus. Wenn die Menschheit in eine noch spekulative Post-Darwinistische Phase ihrer Existenz eintritt, in der Menschen die ungerichtete Evolution überwinden würden, so wäre es erstmals möglich, dass zufällige Mutationen durch rationale, moralische und ethische, aber vor allem durch kontrollierte und zielgerichtete Änderung ersetzt werden könnten.

Geschichtliche Entwicklung

Zur Entstehung des Begriffs Transhumanismus gibt es unterschiedliche Aussagen. Julian HUXLEY hat 1957 in seinem Buch "New Bottles for New Wine" (Neue Flaschen für Neuen Wein) den Begriff Transhumanismus im gleichnamigen Kapitel postuliert. Der Begriff kam anschließend in Abraham MASLOWs "Toward A Psychology of Being" (Psychologie des Seins, 1968) und Robert ETTINGERs "Man into Superman" (1972) vor. Wie MASLOW und ETTINGER benutzte auch der iranisch-amerikanischen Futurist F.M. ESFANDIARY, der seinen Namen in FM-2030 änderte, den Begriff in seinen Schriften aus den 1970er Jahren in Bezug auf Personen, die sich neue Technologien, Lebensweisen und Weltbilder zu eigen machen, die einen Übergang zum Posthumanen erkennen lassen.

In seinem Buch "Are You Transhuman?" (1989) schreibt FM-2030:

"Transhumane sind die erste Manifestation einer neuen Art von evolutionären Wesen. Sie ähneln darin den ersten Hominiden, die vor vielen Millionen Jahren die Bäume verließen und begannen sich umzuschauen. Transhumane haben nicht notwendigerweise das Ziel, die Evolution höherer Lebensformen zu beschleunigen. Viele von ihnen sind sich ihrer Rolle als Übergangsform der Evolution gar nicht bewusst."

Die frühen Transhumanisten trafen sich formal in den frühen achtziger Jahren an der Universität von Kalifornien, Los Angeles, die zur zentralen Entwicklungsstätte für Transhumanisten wurde.

Auf der anderen Halbkugel des Globus, in Australien, schrieb Damien BRODERICK, Zukunftsroman-Autor, das “Judas Mandala”. 1982 verfasste Natasha das "Transhumanistische Künstlermanifest" und produzierte später die Kabelfernseh-Show TransCentury UPdate zur Transhumanität. Diese spezialisierte Talkshow erreichte über 100.000 Zuschauer. 1986 wurde Eric DREXLERs bekanntes Buch zur Nanotechnologie “Engines Of Creation” veröffentlicht. Heute gehören das “Extropy Institute” und die “World Transhumanist Association” zu den größten transhumanistischen Organisationen.

Transhumanistische Strömungen

Es lassen sich im Transhumanismus Unterströmungen ausmachen, die in der Realität aber selten klar voneinander abgegrenzt sind.

Demokratischer Transhumanismus ist eine politische Philosophie, die liberale Demokratie, Sozialdemokratie und Transhumanismus zusammenführt.

Extropianismus ist eine Richtung des Transhumanismus, gekennzeichnet durch einen Satz Grundregeln zur Extropie. Es ist eine politische Philosophie bestehend aus gemäßigtem Libertärismus und Transhumanismus. Demnach ist die Menschheit bisher von einer Philosophie der Entropie ausgegangen, der Abnahme, des Schrumpfens, des Mangels, des Verlustes. Extropie bedeutet soviel wie Ausdehnung, Erweiterung, Zunahme der menschlichen Fähigkeiten, Erweiterungen des Bewusstseins, Weiterentwicklung zu posthominiden Formen des Seins. Extropianismus fokussiert Fülle, Expansion und Bereicherung des Lebens. Zum Beispiel gibt es auf unserem Planeten mehr Nahrungsmittel als ich jemals verzehren kann. Da gibt es mehr Geld als ich jemals ausgeben könnte. Es gibt mehr Menschen als ich jemals treffen könnte. Es gibt auf unserer Erde mehr Liebe als ich jemals erfahren kann. Da gibt es mehr Freude als ich mir überhaupt vorstellen kann. Und die menschliche Kreativität und Innovationsfähigkeit ist unermesslich.

Posthumanismus ist eine Philosophie, die danach strebt, die Grundregeln des Renaissance-Humanismus zu überschreiten, um den Vorstellungen des wissenschaftlichen Wissens im 21. Jahrhundert eher zu entsprechen. Singularitarianismus ist eine moralische Philosophie, auf dem Glauben gegründet, dass eine technologische Singularität möglich ist, und überlegte Tätigkeit befürwortet, um diese in sicherer Form herbeizuführen.

Transhumanistischer Sozialismus ist eine politische Philosophie, eine Synthese aus Sozialismus und Transhumanismus.

Kontroversen

Kritiken am Transhumanismus können in zwei Hauptkategorien geteilt werden:

- gezielte Einwände gegen die transhumanistische Annahmen insbesondere in Bezug auf die Möglichkeiten von Technologie, und- Kritik des ethischen und moralischen Fundamentes von Transhumanismus.

Praktische Kritik

Der Genetiker und Wissenschaftsautor Steve JONES argumentiert, dass die Menschheit nicht über die phnatastische Technologie verfügt und niemals verfügen wird, die die Technologie-gläubigen Befürworter des Transhumanismus suchen. JONES behauptet, dass Technologien wie die Gentechnik nie so leistungsfähig sein werden, wie allgemein angenommen wird.In seinem Buch “Futurehype: Die Tyrannei der Prophezeiung”, Universität von Toronto, zählt der Soziologe Max DUBLIN viele fehlgeschlagene Vorhersagen des vergangenen technologischen Fortschritts auf und postuliert, dass moderne futuristische Vorhersagen ähnlich ungenau ausfallen werden. Er tritt auch gegen das, was er als Fanatismus und Nihilismus in der Befürwortung transhumanistischer Zwecke sieht, und behauptet, dass historische Ähnlichkeiten zu chiliastischen Bewegungen wie religiösen und marxistischen Ideologien bestünden.

Moralische Kritik

Kritiker behaupten weiterhin, dass Transhumanisten einseitig auf technologische Entwicklung setzten, ohne die damit einhergehenden ethischen Aspekte hinreichend zu berücksichtigen.

Einer der bemerkenswerten Kritiker des Transhumanismus ist Bill JOY, Mitbegründer von Sun Microsystems, der in seinem Essay “Why the future doesn't need us” argumentiert, dass die Menschheit wahrscheinlich ihre eigene Auslöschung durch transhumanistische Maßnahmen betreibt. Dies führte einige zu dem Schluss, dass die Menschheit eine angeborene Inkompetenz besitze, ihre eigene Evolution zu leiten.In seinem Buch “Our Posthuman Future”, schreibt der in den letzten Jahren zu bioethischen Themen arbeitende Politikwissenschaftler Francis FUKUYAMA, dass Transhumanismus die progressiven Ideale der liberalen Demokratie auf kritische Weise unterminieren könnte. Dies könnte als ungewollte Nebenwirkung durch eine fundamentale Veränderung der menschlichen Natur und der menschlichen Gleichheit eintreten. Dagegen wird von überzeugten Transhumanisten eingewendet, dass die Menschen auch heute nicht gleich seien und dass die eine liberale Gesellschaft anführenden Eliten grundsätzlich aus einer kleinen Gruppe von Menschen mit überlegenen biologischen Eigenschaften, meist überlegener Intelligenz, hervorgehen, zu der die meisten Menschen von vornherein nicht gehören. Weiterhin weisen sie darauf hin, dass die berufliche Laufbahn eines Menschen und sein Einkommen in starkem Maße durch seine Erbanlagen bestimmt werden. Würde der Staat allerdings jedem neben Bildung Techniken zugänglich machen, die es z.B. ermöglichen würden die geistigen Fähigkeiten eines Menschen nach oben hin anzugleichen, könnten prinzipiell alle in gleichem Maße an dem, was die Gesellschaft bietet, teilhaben. Zum ersten Mal in der Geschichte würde also soziale Gerechtigkeit nicht mehr nur Chancengleichheit und Umverteilung bedeuten, sondern auch Gleichheit der Möglichkeiten aller. Weiterhin wird am Transhumanismus die Subjektivität und Willkür einer vermeintlichen “Verbesserung” ausgesuchter Leistungsmerkmale kritisiert. Auch die Popularität eugenischer Methoden im Rahmen der Rassenhygiene in Ideologien im 20. Jahrhundert und die eugenisch begründete Ermordung, Folterung und Sterilisierung von Menschen, die als "minderwertiges Leben", "asozial" oder auf andere diskriminierende Weise charakterisiert wurden, wird als Beispiel dafür genannt, wozu Ideologien wie der Transhumanismus letztendlich ausarten könnten.

Gegen letzteres wird allerdings eingewendet, dass sich die Verbesserungen, die Ziel des Transhumanisums sind, grundlegend von den Verbesserungen, die mit eugenischen Programmen erreicht werden sollten, unterscheiden. Im Gegensatz zur Eugenik sollen die biologischen Eigenschaften der Menschen im Transhumanismus an ihre eigenen Bedürfnisse angepasst werden und nicht an ein vom Staat festgelegtes Ideal. Es bleibt auch fraglich, ob es überhaupt sinnvoll ist, Menschen, die in einer transhumanistisch geprägten Gesellschaft leben, über verwaltungspolitische Notwendigkeiten hinaus nach ihren biologischen Eigenschaften, die durch den Transhumanismus nicht mehr langfristig stabil sind, gesellschaftlichen Gruppen zuzuordnen.

Weiter argumentieren Befürworter des transhumanistischen Weltbildes, dass Menschen, die beispielsweise während des sogenannten "Dritten Reiches" als "lebensunwert" klassifiziert worden sind, wie Personen mit erblich bedingten Krankheiten, mit Hilfe der von den Transhumanisten angestrebten Technologien in vielen Fällen erstmals geheilt werden könnten und in anderen Fällen deren Lebensqualität durch diese Fortschritte stark verbessert werden würden.

Außerhalb der reichhaltigen Science-Fiction-Literatur wurde der Transhumanismus zum Beispiel von Michel HOUELLEBECQ in seinem Roman "Elementarteilchen" provokativ ironisch thematisiert. Die Menschheit beschließt hier als Reaktion auf die Desillusionierungen der Moderne, zugunsten einer geschlechtslosen, unsterblichen Spezies von der Weltbühne zu verschwinden.

2. Philosophie der Arbeit

2.1 Arbeit und Religion

Obwohl jeder Mensch zu wissen scheint, was Arbeit ist, fehlt im Grunde genommen immer noch eine exakte Definition dieser Tätigkeit. Offensichtlich wird nicht jede Aktivität des Menschen als Arbeit angesehen. Essen, Trinken, Schlafen, Träumen, Beten, Atmen, Lieben, Hassen, Helfen und Spielen werden nicht als Arbeit betrachtet. Das gilt auch für Tätigkeiten, die zwar anstrengend sein mögen, wie schnelles Schwimmen in einem See, Teilnahme an einem Marathonlauf, jahrelanges Üben auf einem Musikinstrument, Radtouren um den Bodensee oder Fußballspielen als Hobby. Erst durch die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (Vgl. BERGER / LUCKMANN 1992 ) wird aus diesen Tätigkeiten Arbeit bei Berufssportlern oder Berufsmusikern. Andererseits werden die beruflichen Tätigkeiten eines Handwerkers, eines Polizisten oder eines Bankangestellten normalerweise als Arbeit angesehen. Eine Definition der Arbeit könnte mit GIARINI und LIEDTKE (Vgl. 1998, S. 30 ff.) folgendermaßen lauten. Arbeit ist das Arrangement zwischen Menschen und ihrer Umwelt mit dem Ziel der Selbsterhaltung, des Überlebens und der Erhaltung der menschlichen Gattung.

In der Bibel heißt es, dass ADAM und EVA wegen der Ursünde aus dem Paradies mit den Worten vertrieben wurden: „Im Schweiße Deines Angesichtes sollst Du Dein Brot erarbeiten!“ Dem biblischen Arbeitsbegriff haftet Mühsal, Anstrengung und Plackerei an. In der Antike wurde die körperliche Arbeit wegen ihres anstrengenden Charakters den gefangenen Sklaven der eroberten Völker aufgebürdet, während geistige Arbeit, politische Lenkung, Kampfkunst, Vergnügen und Lustbarkeiten den Aristokraten vorbehalten blieb (Vgl. BORNEMANN: Das Patriarchat, 1975).

Im Antiken Hellas wurde Arbeit in Verbindung zu den Göttern gesehen. Die Griechischen Götter lehrten die Menschheit die Kunst der Arbeit. Die Göttin ATHENE unterrichtete die Menschen in der Kultivierung des Olivenbaumes und in der Zähmung von Tieren, um sie vor Wagen zu spannen. Die Göttin DEMETER lehrte den Getreideanbau. Die Göttin DIANE lehrte die Jagd mit Pfeil und Bogen, der Gott NIKE lehrte das Siegen und der Gott DIONISOS förderte den Anbau der Weinrebe. PROMETEUS brachte den Menschen die Nutzung des Feuers bei. Die Verbindung der Menschen und ihrer Arbeit mit den Göttern führt zu Ritualen und Anrufung der Götter zum Erntedankgebet.

Mit der Entstehung des Christentums ändert sich das Weltbild. Diese Religion trennt Mensch und Gott. Die irdische Welt bildet einen Gegensatz zur überirdischen Welt. Arbeit wird nicht mehr als Wiederholung gottgegebener Tätigkeit angesehen, sondern die Mühen und Qualen der Arbeit werden als Strafe und Sühne für die Ursünde von ADAM und EVA und als Konsequenz der Vertreibung aus dem Paradies gedeutet. Die Arbeit ist jedoch immer noch auf den Schöpfer Gott bezogen, hat er doch gemäß Bibel die Welt in sechs Tagen erschaffen und den Menschen als sein Ebenbild angeleitet, seinen Schöpfungs-Rhythmus nachzufolgen, nämlich sechs Tage Arbeit und einen Tag der Kontemplation. Die Verteilung der geistigen und körperlichen Arbeit bleibt sehr eng an die Ständegesellschaft gebunden, an die Unveränderbarleit der sozialen kastenartigen Schichtung, an die von Gott gegebene und gewollte Ordnung der feudalen mittelalterlichen Ständegesellschaft. Das Gegen Ende des Mittelalters aufsteigende Bürgertum der Händler, Handwerker und Manufaktureigentümer, der Erfinder und Bewohnern der Städte findet keine Legitimation ihres neuen, selbst, durch eigene Tüchtigkeit erworbenen Reichtums, ihrer Bildung und ihres sozialen Aufstiegs im papistischen Katholizismus.

Mit dem Protestantismus des Christentums, besonders mit dem Schweizerischen Kirchenlehrer CALVIN ändert sich die Auffassung von Arbeit und ihres Stellenwertes im menschlichen Leben sehr deutlich. CALVIN deklarierte Arbeit als Gott gefälligen Hauptzweck des Lebens, die sogar zur Erlösung führe. Emsigkeit, Fleiß und wirtschaftlicher Erfolg aufgrund von harter und ehrlicher Arbeit seien Tugenden, die das Auge Gottes erfreuen. CALVIN gibt der vita activa – dem aktiven arbeitsamen Leben - absoluten Vorrang vor dem vita contemplative – dem kontemplativen geistigen Leben (Vgl. GIARINI / LIEDTKE 1998, S. 32 f. ). Diese calvinistischen Vorstellung von Wagnis, Erfolg und Unternehmertum rückten mehr und mehr ins Zentrum einer Arbeitsmoral und Arbeitsmotivation, zunächst in den Vereinigten Staaten von Amerika als Zufluchtsort der in Europa verfolgten protestantischen Sekten, wie Puritaner, Quäker, Mormonen, Presberytaner, Baptisten, Adventisten und anderen, unter anderem von LUTHER und CALVIN beeinflussten Protestanten. Das Wesen der gegenwärtigen kapitalistisch orientierten Marktwirtschaften gründet nach Max WEBER zum großen Teil auf dieser protestantischen Lehre von der Arbeit als Quelle alles Wohlstandes und Seelenheils. Dieser „Geist des Kapitalismus“ ( Vgl. Max WEBER 1905 ) wird gegenwärtig auch in andere Teile der Welt exportiert, die teilweise einer völlig anderen religiösen Tradition entstammen, wie zum Beispiel China oder Indien.

Die Philosophie des Zeitalters der Aufklärung trennt den Begriff der Arbeit von seinem religiösen Bezug zu Gott. Die Arbeit verliert jede sakrale Bedeutung. Nach KANT (1788) wird die Arbeit zu einer Pflicht. Der Wert der Arbeit wird bemessen an seiner Übereinstimmung mit moralischen Forderungen. Diese moralischen Forderungen stammen nicht mehr von Gott, sondern sind von der menschlichen Gemeinschaft in völliger Freiheit formuliert worden, zum Beispiel in der Erklärung der Menschenrechte durch die Französische Revolution. KANT betont die Pflicht, für sich selber zu sorgen, die Pflicht, für seine Familie zu sorgen, die Pflicht, Verträge zu erfüllen. Aber Arbeit, Erfolg und wirtschaftlicher Wohlstand sollen an moralischen Werten orientiert sein. Medizinische Experimente an Menschen, Biotechnologie und Drogenhandel mögen wirtschaftlich zwar erfolgversprechend und profitabel sein, jedoch gesellschaftlich vom ethisch-moralischen Standpunkt aus nicht immer wünschenswert.

2.2 Das Humankapital

Das sogenannte Humankapital wird in jeder Theorie der Volkswirtschaft oder Betriebswirtschaft als ein zentraler Produktionfaktor angesehen (Vgl. GIARINI /LIEDTKE 1998, S. 27 ff.). Unter Humankapital verstehen wir das Potential an nutzbarem und wertvollem Wissen und Qualifikationen in einer Gesellschaft, das durch Schulung, Ausbildung und Bildung entsteht. Es ist unter anderem die Fähigkeit eines Menschen, verschiedene Produktionsfaktoren einzusetzen, sie auf spezifische und geplante Weise zusammenwirken zu lassen und ein angestrebtes Produkt zu erzielen.

Von diesem Humankapital hängt unser aller Wohlstand und der von zukünftigen Generationen ab. Die anderen Produktionsfaktoren, insbesondere das eigentliche Kapital im engeren Sinne, Geld, Gold, Vermögen, Finanzkraft, Aktien usw., produzieren von alleine ohne angemessenes Wissen und ohne Kenntnisse, Fertigkeiten, Erfahrungen wenig oder nichts. Es kann sogar manchmal kontraproduktiv sein, wie die Spekulationen an den Börsen zeigen. Daher muss der Bildung und der Förderung von Humankapital die erste Priorität eingeräumt werden.

Es gibt Schätzungen, dass 50 bis 90 Prozent des Kapitalstocks der Vereinigten Staaten von Amerika aus Humankapital bestehen (Vgl. BECKER 1988; vgl. JORGENSON / FRAUTHENI 1987). Der Ertrag aus Investitionen in die Förderung von Humankapital besteht zum Einen aus der Summe lebenslänglicher Einkünfte, die sich aus qualifizierter gegenüber unqualifizierter Arbeitskraft ergeben. Zum Anderen ist das qualifizierte Humankapital einer Person mit dem subjektiven Gefühl des intellektuellen Wohlbefindens, der optimistischen Zuversicht und der gesellschaftlichen Anerkennung verbunden.

In unseren Geld-zentrierten kapitalistischen Gesellschaften ist das Kapital im klassischen Sinne ein Medium zur Anregung menschlicher Tätigkeiten und zur Motivation von Unternehmergeist und Initiative. Die Mobilisierung von Humankapital, das für Produktion und Innovation so entscheidend ist, hängt außer der Entlohnung und dem Profit von weiteren Faktoren ab. Motivation und Leistungsbereitschaft, Initiative und Kreativität, Arbeitshaltung und Fertigkeiten sind weitere Mobilisierungsfaktoren für Humankapital und damit für den Wohlstand der Nationen.

GIARINI und LIEDTKE (1998, S. 28) gewinnen leider den Eindruck, dass es unseren modernen Gesellschaften nur in wenigen Fällen gelingt, das Potential an Humankapital zu aktivieren und dass das Wirtschaftsleben daher deutlich unter seinem Leistungsoptimum bleibt. Wie die Zahlen der Arbeitslosen zeigen, ist die jüngere Generation in einer schwachen Position. In fast allen Ländern sind die meisten Arbeitslosen junge Männer und Frauen unter 25 Jahren. Diese Fehlentwicklung kann bei jungen Menschen aufgrund mangelnder Berufsperspektiven zu einem verbreiteten Gefühl der Enttäuschung, von Erbitterung und schließlich zum Rückzug vom Arbeitsmarkt und aus der Gesellschaft führen. Das bedeutet volkswirtschaftlich einen Verlust an Humankapital, der die Individuen und die Gesellschaft als Ganzes eines künftigen Wohlstands beraubt. Aus soziologischer Sicht kommt es zu einer Anomie der Gesellschaft.

Die Anomietheorie von MERTON

Der Ausgangspunkt der neueren Anomietheorie von MERTON (1968), die erstmalig 1938 publiziert wurde, ist die Neuformulierung der Ansicht DURKHEIMS, dass Anomie ein Zustand der Normlosigkeit, besonders ein Zustand des Zusammenbruchs der Verhaltensregulierung und des Anspruchsniveaus sei. Die Ausgangsfrage lautet bei MERTON: Warum üben einige soziale Strukturen auf gewisse Personen einen deutlichen Druck aus, sich eher deviant als konform zu verhalten?

MERTON wendet sich mit seiner Orientierung an der strukturell-funktionalen Theorie strikt gegen die theoretischen Axiome der Psychoanalyse von FREUD und der Neo-Psychoanalyse z.B. von FROMM. Während die Psychoanalyse davon ausgehe, dass die Gesellschaftsstruktur grundsätzlich die freie Entfaltung der dem Menschen angeborenen Antriebe unterdrücke und daher der Mensch von Zeit zu Zeit in offene Rebellion gegen diese Repression ausbreche, um Freiheit zu erlangen, was oft auch pathologische oder kriminelle Formen annehmen könne, sieht die soziologische Theorie des Funktionalismus in der Sozialstruktur eine stimulierende Kraft. Wo immer die Sozialstruktur Antriebe unterdrücke, bringe sie neue Handlungen hervor. Während die Psychoanalyse die Ursache abweichenden Verhaltens in erster Linie am Individuum untersucht hat, wendet sich die soziologische Sichtweise MERTONs der Sozialstruktur zu. „Der funktionale Ansatz gibt daher die Position auf, die von den verschiedensten individualistischen Theorien eingenommen wird, die Annahme nämlich, dass die unterschiedliche Rate abweichenden Verhaltens in verschiedenen Gruppen und sozialen Schichten eine zufällige Folge des unterschiedlichen Anteils pathologischer Persönlichkeiten in diesen Gruppen und Schichten sei. Unser Ansatz untersucht vielmehr, in welcher Weise die soziale und kulturelle Struktur auf Personen in unterschiedlichen Situationen in dieser Struktur einen Druck ausübt, sich sozial abweichend zu verhalten." (MERTON 1968, S. 284).

MERTONs Ansatzpunkt ist die Unterscheidung zwischen „kultureller" und „gesellschaftlicher" Struktur. Unter kultureller Struktur werden die kulturell definierten Ziele, Absichten und Motivationen und die legitimen Mittel zur Erreichung dieser Ziele verstanden. Mit dem Begriff der gesellschaftlichen Struktur ist die reale Chancenstruktur, zum Beispiel die schichtbedingte beschränkte Verwirklichungschance, gemeint. In einer schlecht integrierten Gesellschaft liegt der Akzent auf den kulturell definierten Zielen, ohne dass entsprechende legitime Mittel zu ihrer Erreichung für jedermann und insbesondere für die Unterschicht in ausreichendem Maße vorhanden sind. Beispielsweise betont die US-amerikanische Gesellschaft die Akkumulation von Reichtum und von Statusgütern als wichtigstes Erfolgskriterium. Die Ideologie der Chancengleichheit, die in den USA besonders stark verbreitet ist („Vom Tellerwäscher zum Millionär"), läßt Reichtum als kulturell definiertes Ziel für alle Gesellschaftsmitglieder prinzipiell als erreichbar erscheinen. Aber die tatsächliche Sozialstruktur beschränkt oder verschließt den Zugang zu den legitimen Mitteln zur Erreichung dieser Ziele für die unterprivilegierten Schichten, da ihnen Erwerb von Reichtum durch Erbschaft, eigene Leistung, Sparen usw. de facto unmöglich ist. Aus diesem anomischen Zustand der Gesellschaft resultiert ein Druck zu deviantem Verhalten auf die unterprivilegierten Schichten.

Anomie entsteht, wenn ein Hiatus zwischen den kulturell definierten Zielen und legitimen Mitteln einerseits und den sozial strukturierten, tatsächlichen Möglichkeiten und Chancen besteht. Die kulturell definierten Ziele müssen nach MERTON nicht notwendigerweise Reichtum und Statusgüter sein. Es sind auch andere Statussymbole wie beispielsweise Tugendhaftigkeit und Gottgefälligkeit in einer religiösen Sozietät oder Offiziersehre in einem Armeekorps oder das Erzielen von Toren in einem Fußballspiel etc. denkbar. Nur bei einem zu starken Auseinanderklaffen von Zielen und Mitteln entsteht abweichendes Verhalten in großem Umfang.

In Kastengesellschaften, wie im alten Indien beispielsweise, in denen für jede Kaste genau definierte Ziele, Intentionen und Motive sowie entsprechende legitime Mittel zur Erreichung dieser Ziele auch von der Sozialstruktur her tatsächlich optimal vorhanden sind, wird ein abweichendes Verhalten aufgrund anomischer Zustände nicht anzutreffen sein. „Eine vergleichsweise starre Klassenstruktur, eine Kastenordnung etwa, mag die Chancen noch weit stärker einengen, als es in der heutigen amerikanischen Gesellschaft geschieht. Nur wenn das kulturelle Wertsystem bestimmte gemeinsame Erfolgsziele für die ganze Bevölkerung über alle übrigen Ziele setzt, während die Sozialstruktur für einen großen Teil dieser Bevölkerung den Zugang zu den gebilligten Mitteln zum Erreichen dieser Ziele entscheidend einengt oder sogar völlig verwehrt, haben wir abweichendes Verhalten in größerem Umfange zu erwarten." (MERTON 1968, S. 298). In anderen Gesellschaften, in denen beispielsweise starre Klassenstrukturen auch mit unterschiedlichen Klassensymbolen für Erfolg verbunden sind, korrelieren Armut und Verbrechen nicht so hoch wie in den USA (vgl. MERTON 1968, S. 299).

Für anomische Sozialstrukturen, in denen ein hoher Druck in Richtung auf deviantes Verhalten entsteht, hat MERTON eine Typologie der Situationsbewältigung entworfen:

Ziele Mittel

1, Konformität + +
2. Innovation + -
3. Ritualismus - +
4. Eskapismus - -
5. Rebellion ± ±

- Konformität bedeutet, dass sowohl die Ziele als auch die Mittel bejaht werden. Es handelt sich hierbei um kein deviantes Verhalten.
- Innovation bedeutet, dass zwar die Ziele bejaht werden, dass jedoch neue, innovatorische Mittel gewählt werden. Hierzu rechnen Erfindungen, neue Absatztechniken usw., aber auch zielgerichtete Kriminalität.
- Ritualismus bedeutet, dass die Ziele vernachlässigt, dass aber die Mittel nicht nur bejaht, sondern sogar überbetont werden. Hiermit mein MERTON den Bürokratismus.
- Eskapismus bedeutet Rückzug, Flucht. Sowohl die Ziele als auch die Mittel zur Erreichung dieser Ziele werden gleichermaßen verworfen. Nichtsesshafte, psychisch Kranke wie z.B. Depressive und Süchtige, wie z.B. Drogenabhängige oder Alkoholiker, sind solche Eskapisten.
- Rebellion, worunter MERTON den politischen Protest rechnet, zeichnet sich dadurch aus, dass die Ziele und Mittel der herrschenden kulturellen Definition abgelehnt werden und durch neue, revolutionäre Ziele und Mittel ersetzt werden.

SPRINGER (1973) hat die Anomietheorie von MERTON sehr anschaulich in folgende Thesen gefasst:

„I. These zur Innovation:

(1) Je stärker bestimmte (gemeinsame) Erfolgsziele eines Wertsystems für

alle Gesellschaftsmitglieder (gegenüber anderen Zielen) betont werden, (2) je schwächer dagegen die zur Erreichung der Ziele sozial strukturierten

Mittel betont werden,

(3a) je geringer - (bei aller Schwäche der betonten Mittel) - die tatsächlichen Möglichkeiten sind, sich dieser Mittel zur Erreichung der stark betonten und internalisierten Ziele dennoch zu bedienen, d. h.

(3b) je niedriger der soziale Status von Gesellschaftsmitglieder ist,

(0) desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass Mitglieder einer solchen Gesellschaft sich abweichend verhalten, d.h. illegitime Mittel zur Errei­chung des Erfolgzieles wählen.

II. These zum Rückzugverhalten:

(1) Wenn in einer Gesellschaft die Erfolgsziele stark betont und internalisiert werden, und

(2) wenn die zu ihrer Erreichung legitimierten Mittel stark betont und internalisiert werden,

(3) wenn aber andererseits die legitimen Wege/Mittel erfolglos sind,

(0) dann werden die kulturellen Ziele und Mittel aufgegeben und abweichende Verhaltensmuster realisiert, wie Landstreicher, Säufer etc.

III. Die aufgeschlüsselten Hypothesen lassen sich wie folgt generalisieren:

(1) Wenn in einer Gesellschaft für Mitglieder mit sinkendem Status Mangel an Zugang zu legitimen und illegitimen Mitteln zur Erreichung der internali­sierten Erfolgsziele besteht,

(0) dann tritt abweichendes Verhalten auf." (SPRINGER 1973, S. 12).

Erziehung, Ausbildung und Bildung sind wesentliche Elemente in der Verhinderung von Devianz und in der Schaffung von Humankapital als Voraussetzung zukünftiger Prosperität und ökonomischer Entwicklung. Das anhaltende Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte und die damit einhergehende Steigerung des Lebensstandards in einer zunehmend komplexeren Welt erhöht die Nachfrage nach qualifiziertem Humankapital in der Gesellschaft und in der Wirtschaft. Eine Vertiefung und Verbreitung des Humankapitals ist nötig. „ Mit anderen Worten, wir brauchen mehr und besser ausgebildete Menschen, um den Anforderungen einer komplexen Zukunft gerecht zu werden “ ( GIARINI / LIEDTKE 1998, S. 29).

2.3 Entfremdete und schöpferische Arbeit

Karl MARX, deutscher Jurist und Philosoph, wurde 1818 in Trier geboren und verstarb 1883 in London. Seit seiner Studentenzeit war er ein Revolutionär. Seit 1843 war er verheiratet mit Jenny von Westphalen, einer jungen Adeligen aus dem Rheinland. Zusammen mit Friedrich ENGELS verfasste er 1848 das Kommunistische Manifest. Wegen seiner umstürzlerischen Ideen musste er nach Brüssel, Paris und London ins Exil fliehen. Während ihn viele quasi religiös als Erlöser der Arbeiterklasse von Ausbeutung und Verelendung verehrten, sahen andere in ihm den leibhaftigen Teufel (Vgl. GOYTISOLO 1996, besonders S. 190 ff.). MARX war der Begründer der Arbeiterinternationale und Urheber des wissenschaftlichen Sozialismus, welcher im ehemals zaristischen Russland von 1917 bis zum Aufstieg JELZINs herrschte.

MARX war davon überzeugt, dass die Welt längst den Traum von einer besseren Zukunft besaß, von der sie nur das Bewusstsein erlangen musste. Er wünschte eine Emanzipation des Menschen , deren Kopf die Philosophie und deren Herz das Proletariat sein sollte. MARX erwartete von einer zukünftigen kommunistischen Gesellschaft, dass sie den Widerspruch zwischen dem Menschen und der Natur lösen könnte. MARX war der geistige Urheber einer Bewegung, die zwei Milliarden Menschen umfasste und als globale Alternative zu den Ungerechtigkeiten des Kapitalismus auftrat.

Doch die Ereignisse der letzten einhundertfünfzig Jahre haben seine Visionen zunichte gemacht und die Irrtümer und Schrecken der nach seiner Lehre errichteten totalitären Gesellschaften bloßgelegt. Ob Prophet, Genie, Betrüger, machtbesessener Gelehrter oder jemand, der den Schutz der Ausgebeuteten auf seine Fahne schrieb, die Persönlichkeit von Karl MARX lässt niemanden gleichgültig.

Im Jahre 1848 war MARX von der greifbaren Nähe der Weltrevolution überzeugt. Das von ihm und ENGELS verfasste “Kommunistische Manifest” sollte die Lunte sein, die das Pulverfass zum Explodieren bringen sollte. Im Laufe seines Lebens wurde er nicht müde, die ökonomische Krise zu prophezeien, die dem Kapitalismus ein Ende bereiten würde. MARX zufolge habe die moderne kapitalistische Produktion mit ihren kaum dreihundert Jahren Geschichte in diesem kurzen historischen Zeitraum so große Widersprüche hervorgebracht, einerseits was die Akkumulation von Kapital in den Händen Weniger anbelangt und andererseits die Schaffung mittelloser Massen in den Städten betrifft, dass diese Widersprüche zum Untergang der kapitalistischen Gesellschaftsform führen müssten.

MARX verwendet häufig Begriffe wie Basis und Überbau. Mit einer Veränderung der ökonomischen Grundlagen einer Gesellschaft wälzt sich auch deren Überbau um. MARX unterschiedet zwischen den materiellen, naturwissenschaftlich nachweisbaren Veränderungen und den langsameren Umwälzungen juristischer, politischer, religiöser, künstlerischer und philosophischer Formen, die er Ideologie nennt. Das ideologische Bewusstsein erwächst aus den Widersprüchen der gesellschaftlichen Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse.

Nach MARX ist die menschliche Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen. MARX beschreibt sehr zutreffend, was in den ersten Dekaden des Einundzwanzigsten Jahrhunderts im weltweiten Maßstab geschieht, und dennoch haben die Multinationalen Unternehmen mehr Macht und Kontrolle denn je (Vgl. GOYTISOLO 1996, S. 194 ff.).

Entfremdete Arbeit aus marxistischer Sicht

Als Grundtypus des Sozialverhaltens in der kapitalistischen Gesellschaft entwickeln sich nach BUCHHOLZ „Sozialistische Kriminologie“ (1971) Egoismus, Unsolidarität und der Kampf aller gegen Alle als Folge des wirtschaftlichen Leistungs- und Konkurrenzprinzips.

Die auf die Spitze getriebene Konsum-Gesellschaft führt letztlich durch die Verwandlung jeglicher menschlicher Werte in Waren zu einer fortschreitenden Demoralisierung, Isolierung und Vereinsamung der Menschen.

Die sozialen Umgangsformen im Spätkapitalismus nehmen aufgrund der ungleichen Verteilung des Mangels, der Arbeit und des gesellschaftlichen Reichtums die Form der Zuspitzung vieler egoistischer, individualistischer und unsolidarischer Verhaltensweisen an, deren Folgen u.a. in der Zunahme von Bereicherungskriminalität, von Gewalt und Mobbing oder von Süchten und psychischen Störungen bestehen können. Auch Massaker an Schulen oder in anderen öffentlichen Einrichtungen mit anschließendem Suizid des Amokschützen könnten Indizien für einen Mangel an Gefühlen der sozio-kulturellen Zusammengehörigkeit (Vgl. DURKHEIM 1893/1970) sein.

Der Gedanke eines zunehmend unsozialen Verhaltens der Menschen zueinander in einer auf Konkurrenz und Ungleichheit basierenden Gesellschaft findet sich bereits bei Friedrich ENGELS Schriften aus dem 19. Jahrhundert..

„In diesem Lande ist der soziale Krieg vollständig ausgebrochen; jeder steht für sich selbst und kämpft für sich selbst gegen alle anderen, und ob er allen anderen, die seine erklärten Feinde sind, Schaden zufügen soll oder nicht, hängt nur von einer selbstsüchtigen Berechnung über das ab, was ihm am vorteilhaftesten ist.

Es fällt keinem mehr ein, sich auf friedlichem Wege mit seinen Nebenmenschen zu verständigen; alle Differenzen werden durch Drohungen, Selbsthilfe oder die Gerichte abgemacht. Kurz, jeder sieht im Anderen einen Feind, den er aus dem Wege zu räumen, oder höchstens ein Mittel, das er zu seinem Zwecke auszubeuten hat. Und dieser Krieg wird, wie die Kriminaltabellen beweisen, von Jahr zu Jahr heftiger, leidenschaftlicher, unpersönlicher...Dieser Krieg Aller gegen Alle...darf uns nicht wundern, denn er ist nur die konsequente Durchführung des schon in der freien Konkurrenz enthaltenen freien Prinzips.“ (ENGELS 1972, S. 200f.) schrieb ENGELS über die sozialen Zustände seiner Zeit in England.

Das Sozialverhalten der Menschen im Kapitalismus kann aus marxistischer Sicht recht zutreffend durch HOBBES Auffassung vom Menschen charakterisiert werden: „Der Mensch ist des Menschen Wolf!“ Was HOBBES als anthropologisches Axiom annahm, gilt für Marxisten freilich nur in einer kapitalistischen Ausbeutungsgesellschaft.

Während das Konkurrenzprinzip ganz generell für die gesamte Gesellschaft gilt, kommt für die armen Klassen erschwerend hinzu, dass die materielle Verelendung eine psychische Verelendung zur Folge hat.

ENGELS beschreibt die Demoralisierung der englischen Arbeiterschaft an den Beispielen sexueller Regellosigkeit, Trunksucht und Zerfall der Familienbande.

Wenn ENGELS das Konkurrenzprinzip und die Verelendung der arbeitenden Unterklassen kritisiert, dann orientiert er sich an der Utopie einer gerechten, solidarischen, menschlicheren Gesellschaft. Verschiedene marxistische Denker hofften auf die Verminderung abweichenden Verhaltens in einer von Ausbeutung und Konkurrenz freien, durch gerechte Verteilung des Reichtums und durch soziales Miteinander gekennzeichneten sozialistischen Gesellschaft. Bedauerlicherweise zeigte die bisherige Geschichte, dass sämtliche politischen Weltverbesserungsversuche in Totalitarismus mündeten.

Eine weitere, abweichendes Verhalten fördernde Komponente stellt aus der Sicht des Marxismus die Entfremdung dar.

Der Begriff der Entfremdung

Die Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit, vom Mitmenschen und von der Realität resultiert unter anderem aus der hochgradigen Arbeitsteilung, ein Faktor, den auch DURKHEIM (1893) als einen Grundpfeiler seiner Anomietheorie erkannte.

Man muss kein Marxist sein, um der Arbeit als produktiver Lebenstätigkeit des Menschen eine große Rolle zuzumessen. Die Arbeitsteilung führt tendenziell zur Entfremdung.

Die Arbeit als menschliches Bedürfnis, welche Selbstverwirklichung, schöpferische Aktivität und sinnstiftende Lebenstätigkeit sein könnte, wird zu einer entfremdeten Sklavenarbeit und führt zur Entäußerung, Veräußerung und Verdinglichung.

Unter den Bedingungen der Ausbeutung, der Zwangsarbeit und des Leistungs- und Konkurrenzdrucks erscheinen Nichtarbeit, Freizeit und Urlaub als Freiheit und Glück.

Die Entfremdung des Menschen von schöpferischer Tätigkeit kann zu Sinnkrisen und zur Zunahme abweichender Verhaltensweisen führen (Vgl. ISRAEL 1972).

Bereits ENGELS hat die schädlichen Auswirkungen einer entfremdeten Arbeit beschrieben:

„Eine andere Quelle der Demoralisierung unter den Arbeitern ist die Verdammung zur Arbeit. Wenn die freiwillige produktive Tätigkeit der höchste Genuss ist, den wir kennen, so ist die Zwangsarbeit die härteste, entwürdigendste Qual. Nichts ist fürchterlicher, als alle Tage von morgens bis abends etwas tun zu müssen, was einem widerstrebt. Und je menschlicher der Arbeiter fühlt, desto mehr muß ihm seine Arbeit verhasst sein, weil er den Zwang, die Zwecklosigkeit für ihn selbst fühlt, die in ihr liegen. Weshalb arbeitet er denn? Aus Lust am Schaffen? Aus Naturtrieb? Keineswegs. Er arbeitet um des Geldes, um einer Sache Willen, die mit der Arbeit selbst gar nichts zu schaffen hat, er arbeitet, weil er muss, und er arbeitet noch dazu so lange und so ununterbrochen einförmig, dass schon aus diesem Grunde allein ihm die Arbeit in den ersten Wochen zur Qual werden muss, wenn er noch irgend menschlich fühlt.“ (ENGELS 1972, S.186f.).

Nach ENGELS führt die Entfremdung in der Arbeit, die Monotonie und die Beschränkung auf wenige Handgriffe zu einer Verkümmerung der menschlichen Fähigkeiten und zu einer Demoralisierung des Arbeiters.

In seinem Element sein -nicht entfremdete Arbeit

Sir Ken ROBINSON ist einer der meistgefragten Experten in Sachen Kreativität, Innovation und Bildung der Gegenwart. Sein Hauptanliegen: Ein grundlegendes Umdenken in unseren Schulen ist überfällig, denn Kreativität ist genauso wichtig wie die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben. Deshalb fordert er eine radikale Umgestaltung unseres Bildungssystems.

Von Pablo PICASSO stammt der Satz: „Jedes Kind ist ein Künstler. Die Frage ist, wie es ein Künstler bleiben kann, wenn es erwachsen wird.“ Hat ROBINSON eine Antwort auf diese Frage?

ROBINSON: Ich denke, ein Teil des Problems liegt darin, dass Menschen das Vertrauen in ihre eigene Kreativität verlieren. Sie sind gehemmt, weil sie sich vom Urteil anderer Leute abhängig machen. Kleine Kinder sind viel hemmungsloser. Deshalb geht es zuallererst darum, wieder Vertrauen in die eigenen Ideen zu gewinnen und sie auch wirklich zu verfolgen.

Der zweite Punkt ist, dass Menschen niemals auf eine abstrakte Art und Weise kreativ sein können. Um kreativ zu sein müssen wir etwas tun, beispielsweise ein Bild malen oder eine mathematische Aufgabe lösen. Oder wir handeln kreativ im Rahmen unseres Berufs als Unternehmer oder als Koch oder als was auch immer. Wichtig ist, dass man etwas tut, das man wirklich liebt, etwas, das die Vorstellungskraft anregt.

Und der nächste wichtige Aspekt, wie wir unsere kreativen Instinkte quicklebendig halten, ist der, dass wir nicht nur das Vertrauen in die eigenen Ideen wiederherstellen, sondern auch die notwendigen Fähigkeiten für die Arbeit selbst entwickeln müssen. Das ist ein Prozess. Menschen denken immer, entweder sie seien kreativ – oder aber sie seien es nicht. All die großartigen kreativen Menschen, die ROBINSON kennen gelernt hat, arbeiten hart, sie entwickeln sich und ihre Arbeit ständig weiter und es gelingt ihnen, ihr inneres Kind lebendig zu halten.

ROBINSON hat die Erfahrung gemacht, dass es in der Wirtschaft extrem viele Menschen gibt, die unzufrieden sind und eine innere Distanz zu ihrer Arbeit haben. ROBINSON trifft häufig Leute, die keinerlei Leidenschaft verspüren; sie verrichten lediglich den Job, für den sie eingestellt worden sind. Aber andererseits trifft er auch immer wieder Menschen, die das, was sie tun, wirklich lieben und sich nicht vorstellen könnten, jemals etwas anderes zu tun. Sie sind in ihrem Element. Sie tun etwas, für das sie eine natürliche Gabe besitzen und zu dem sie sich hingezogen fühlen.

ROBINSONs Erfahrung zufolge ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass Menschen persönliche Erfüllung finden und erfolgreich sind, wenn sie einer Arbeit nachgehen, zu der sie sich befähigt fühlen, die sie gern mögen und mit der sie sich innerlich verbunden fühlen. Es gibt in den Organisationen aber viel zu viele Menschen, die ganz einfach im falschen Job sind. Sie werden in bestimmte Positionen gesteckt, weil ihr Lebenslauf oder ihre akademische Qualifikation dafür passend erscheinen.

Oftmals wäre es einfach besser, sie etwas ganz anderes machen zu lassen. Wenn die Logik heißt, die vorhandenen Talente der Menschen in meiner Organisation möglichst optimal einzusetzen, dann sollte ich sicherstellen, dass meine Mitarbeiter solche Jobs machen, die ihren individuellen Talenten und ihren natürlichen Fähigkeiten entsprechen. Die entscheidenden Erfolgsfaktoren für Organisationen sind doch Flexibilität, Reaktionsvermögen und die Fähigkeit zu konstanter Innovation. Sie sind heute schon enorm wichtig und werden zukünftig noch wichtiger werden. Und genau diese Erfolgsfaktoren lassen sich nur mit Menschen umsetzen, die ihre individuellen kreativen Talente optimal einsetzen und ausleben dürfen. Genau das ist der entscheidende Baustein für nachhaltigen Erfolg.

ROBINSONs Motto ist gleichzeitig auch der Untertitel seines Buchs: „How finding your passion changes everything“ – wie das Entdecken der eigenen Leidenschaft alles verändert (2002). Die Auswahl des Untertitels war also nicht ganz zufällig. Aber es geht darum, seinen eigenen Nordstern zu finden. ROBINSON ist überzeugt, wenn Du Deinem eigenen Nordstern folgst, wird Dein Leben eine andere Form von Authentizität erlangen.

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Fin de l'extrait de 244 pages

Résumé des informations

Titre
Schaffensfroh und qualifiziert. Akzente postmoderner Pädagogik
Auteur
Année
2013
Pages
244
N° de catalogue
V212581
ISBN (ebook)
9783656409403
ISBN (Livre)
9783656411956
Taille d'un fichier
1189 KB
Langue
allemand
Mots clés
Geschichte der Arbeit, Arbeit im Wandel der Zeiten, Transhumanismus, Arbeit und Religion, Humankapital, Entfremdete und schöpferische Arbeit, Konsument und Prosument, Wachstum der Weltbevoelkerug, Frauen und Arbeit, Alternde und reifere Gesellschaft, Globalisierung, Kritiker der Globalisierung, Finanz- und Schuldenkrise, Globalisation und Bildung, Förderung von Kreativität und Innovation, Produktive Postmoderne Orientierung, Naturwissenschaftliche Bildung, Positives Denken und Arbeit, Postmoderne Bildungskonzepte, Erziehung zum Gestaltungsoptimismus, Pädagogik der Informationsgesellschaft, Pädagogik der Qualität
Citation du texte
Professor Dr. phil. Karl-Heinz Ignatz Kerscher (Auteur), 2013, Schaffensfroh und qualifiziert. Akzente postmoderner Pädagogik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212581

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