Facebook Revolutions? Social Media und der politische Wandel in Ägypten


Tesis (Bachelor), 2013

39 Páginas, Calificación: 1,5


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Hintergründe des arabischen Frühlings in Ägypten
l.l Arbeit, Brot und freie Wahlen
l.2 Medien(r)evolution in Ägypten
l.3 Shabab Al-Facebook – Bild einer Generation

2. Ägypten steht auf
2.l l8 Tage bis zum Fall Mubaraks – eine Chronik
2.2 Soziale Medien als Werkzeug der Bewegung

3. Mensch und Medien
3.l Medien, Raum und Lokalität
3.2 Wir alle sind #Tharir – Medien und Gemeinschaft
3.3 Neue Medien, neue Anführer?

4. #OccupyEverywhere – Zwei Bewegungen im Vergleich
4.l Organisation
4.2 Gemeinschaft
4.3 Nutzung sozialer Medien

5. Eine Facebook Revolution?
5.l “Everybody Can’t Be Che Guevara“– Oder doch?
5.2 Schlusswort

Literaturverzeichnis

Vorwort

In den ersten Monaten des Jahres 20ll begann in der arabischen Welt das, was später als „Arabische Revolution“ oder „Arabischer Frühling“ überall auf der Welt durch die Medien bekannt werden sollte. Tunesier und Ägypter gingen als erste auf die Straßen ihrer Länder um die Diktaturen aufzubrechen, die sie schon jahrzehntelang beherrscht hatten, viele weitere Menschen in anderen Staaten folgten ihnen. Das Internet und besonders die sozialen Medien fanden in diesem Zusammenhang erstmals eine große Aufmerksamkeit; Besonders den Kommunikationsplattformen Facebook und Twitter, sowie dem arabischen Nachrichtensender Al Jazeera, der Film- und Audioaufnahmen von Bürgern einer breiten Masse zugänglich gemacht hat, werden häufig eine besondere Verantwortung an den Ereignissen zugesprochen. Welche Rolle haben soziale Medien während des Arabischen Frühlings eingenommen? Handelte es sich tatsächlich um eine, wie von Vielen behauptete, „Facebook Revolution“?

Das Internet und seine modernen Kommunikationsmöglichkeiten haben sicherlich einen Eindruck darauf hinterlassen, wie auch Staaten sich verhalten und Politik gemacht wird, wie Geschäfte durchgeführt werden, wie Menschen miteinander kommunizieren. Der öffentliche Raum ist durch das Internet größer geworden, Interaktionen müssen nicht mehr persönlich stattfinden. Soziale Kreise, in denen Menschen sich bewegen, haben nun viel weniger Grenzen, in denen Menschen sich aufhalten und handeln können. Besonders in Gesellschaften, die unter Zensur und staatlicher Kontrolle leben, können soziale Medien in diesem Zusammenhang Kanäle schaffen, um Barrieren und Zensur zu umgehen und auch kritische Meinungen anonym und sicher auszudrücken.

Das Ziel dieser Arbeit soll sein, ein besseres Verständnis dafür zu schaffen, welchen Einfluss soziale Medien bei den politischen und sozialen Entwicklungen der arabischen Welt hatten. Da die Geschehnisse in Ägypten besonders gut dokumentiert sind, werde ich mich speziell mit diesem Land beschäftigen. Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen, die zur Bedeutung sozialer Medien unterschiedliche Standpunkte annehmen, werden gegenübergestellt.

Um die aktuelle Lage des Landes verstehen zu können, ist es nötig, einen Überblick über seine neuere Geschichte zu haben, daher wird eine Einführung in die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Besonderheiten Ägyptens bis zu den Umbrüchen 20ll an erster Stelle stehen, gefolgt von einen kurzen Überblick zu geben über die Dynamiken, die die arabischen Medien durchlaufen haben. Eine kurze Zusammenfassung mit Fokus auf sozialen und teilnehmenden Medien soll dabei helfen und als Einführung dienen. Anschließend gehe ich näher auf die Geschehnisse ein, die im weiteres Verlauf als Arabische Revolution bezeichnet werden: den Anfängen der Proteste im Land bis zum Sturz von Hosni Mubarak.

Neben relevanten anthropologischen und kulturwissenschaftlichen Studien habe ich auch die Arbeiten andere Fachbereiche herangezogen, um ein möglichst vielschichtiges Bild der Ägyptischen Gesellschaft und seiner Revolution zu bekommen, darunter aus der Politikwissenschaft, den Kommunikationswissenschaften und den International Studies. Die Perspektiven der einzelnen Disziplinen, die kommunikationswissenschaftliche, die politische usw. können so zusammen mit einem anthropologischen Standpunkt in einen größeren sozialen Prozess eingeordnet werden, die zu komplex sind, um sie nur aus einer Perspektive heraus zu betrachten. Was können soziale Medien wie Twitter und Facebook uns über die Bewegungen sagen, in denen sie als Schlüsselfaktor berühmt geworden sind? Die Kommunikationsformen, die sich darin entwickelt haben, sagen etwas aus über die Organisationstrukturen und –formen von sozialen Bewegungen unserer Zeit. Besonders die Shabab Al-Facebook, die Facebook Jugend, spielt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle. Sie sind es, die den größten Teil der Internetbenutzer ausmachen und mit den digitalen Möglichkeiten ihrer Zeit aufwuchsen und bestens vertraut sind. Sie sind es auch, deren Unzufriedenheit über soziale Ungerechtigkeit und wachsenden Arbeitslosigkeit trotz guter Ausbildung einer der Hautpauslöser war für die Proteste. Die vorliegende Arbeit wird sich daher vermehrt mit dieser sozialen Gruppe im Zusammenhang mit sozialen Medien und den Aufständen in Ägypten befassen.

1. Hintergründe des arabischen Frühlings in Ägypten

1.1 Arbeit, Brot und freie Wahlen

Von den 82 Millionen Einwohnern Ägyptens leben 43% in den Städten, allein Kairo hat eine Population von 20 Millionen.1 Schätzungen zufolge werden in allen arabischen Länder bis zum Jahr 20l5 zusammen mehr als 395 Millionen Menschen leben, bei gleichzeitig immer knapper werdenden Ressourcen wie Wasser und Land; Schwierigkeiten, denen auch Ägypten entgegensieht, besonders auch im Hinblick auf die stetig wachsende urbane Bevölkerung, die mit einer heute schon überlasteten Infrastruktur konfrontiert ist.2 Das Durchschnittsalter in Ägypten liegt im Jahr 20l2 bei 24 Jahren, viele von ihnen sind gut ausgebildet und besitzen einen Universitätsabschluss, die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist trotzdem problematisch: die Jugendarbeitslosigkeit liegt mit offiziell 25%,3 um ein vielfaches

über dem Landesdurchschnitt von 9%.4 Dieser Trend, zusammen mit der Bevölkerungsrate und der zunehmenden Urbanisierung führt wenig überraschend zu einer steigenden Unzufriedenheit von weiten Teilen der Bevölkerung. Dazu kommt, dass die Nahrungsmittelpreise in den letzten Jahren um 25% stark angestiegen sind, was für die meisten Ägypter zu erschwerten Lebensbedingungen führt. Der Ausnahmezustand, der seit Mubaraks Machtübernahme fast durchgehend in Ägypten besteht, ist mitverantwortlich für das autoritäre System, unter dem Mubarak regiert. Der Ausnahmezustand machte es ihm möglich, während seiner gesamten Amtszeit ohne Einschränkungen politische Entscheidungen durchzusetzen. Eine Opposition gibt es zwar offiziell, die Muslimbruderschaft und einige andere kleine Parteien, ihr politischer Einfluss ist jedoch de facto gleich Null, die bestehenden Gesetze stehen ihnen so gut wie Entscheidungskraft zu.5

Seit 2000 schon hat Mubarak Reformen versprochen, um dem ansteigenden Unmut der Bevölkerung etwas entgegen zu kommen, vor den Parlamentswahlen im Jahr 2000 verkündete er, die Wahlen sollen sauber und fair verlaufen, nicht das Innenministerium übernehme jetzt die Wahlüberwachung, sondern das Justizministerium. Dass es bei den Wahlen tatsächlich mit rechten Dingen zuging, wird jedoch stark angezweifelt, auch bei allen vorherigen Wahlen seit der

Einführung des Mehrparteiensystems im Jahr l979 gewann Mubaraks NDP die Wahlen stets mit einer Mehrheit von mindestens 80%.6 Wenig später wurde auch deutlich, das Mubarak durchaus die Absicht hatte, die Regierung zu den nächsten Wahlen an seinen Sohn Gamal weiterzugeben, der zunehmend Regierungsaufgaben übernahm und ebenfalls bedeutende Positionen begleitete, was zu weiterem Unmut in der Bevölkerung und in der Opposition führte.7 Reformen nach einem Referendum im Jahr 2005 machten es auf dem Papier zwar möglich, mehr als einen Präsidentschaftskandidaten zu haben, doch de facto waren die Bedingungen so, dass es für einen Kandidaten, der nicht der NDP angehörte, praktisch unmöglich war, sich aufstellen zu lassen. Der Volksentscheid, der das veranlasste, stand schnell unter Verdacht, gefälscht worden zu sein. Die Proteste, die dadurch entstanden sind, führten auf den Straßen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen der Bevölkerung und der Polizei, bei dem auch mehrere weibliche Journalistinnen sexuell belästigt und Opfer von Gewalt wurden, als sie über die Proteste berichten wollten.8 Auch wenn Mubarak die Wahlen erneut mit einer Mehrheit von 88% Prozent gewann, so standen doch Veränderungen bevor: in den Jahren 2004 und 2005 allein formierten sich mehr als l4 Reformbewegungen, die gegen Mubaraks Wiederaufstellung zur Wahl, die Vererbung der Präsidentschaft an seinen Sohn und die Aufhebung des Ausnahmezustands öffentlich aussprachen.9

Den Protesten, mit denen Ägypten Anfang 20ll auf sich Aufmerksam machte, gingen eine Vielzahl von Bewegungen und Protesten voraus, die nicht den gleichen Effekt hatten, die der Protest auf dem Tahrir Platz am 25.Januar 20ll, aber dafür vielleicht als Vorläufer und Basis gesehen werden können. Allein im Jahr 2004 wurden mehr als 250 Proteste in Ägypten gezählt, mehr als l000 in den Jahren seit l998.10 Nicht nur politische Missstände ließen die Menschen auf die Straße gehen, im Jahr 2008 wurden um die 400 Arbeiterproteste gezählt, an denen sich 300,000 bis 500,000 Arbeiter beteiligt hatten.11

Die Unzufriedenheit der Menschen hat also eine lange Geschichte in Ägypten und der arabischen Welt, doch erst 20ll wurden daraus große landesweite Proteste, die letztendlich zum Sturz der jahrzehntelangen Diktaturen führten, zunächst in Tunesien, gefolgt von Ägypten und vielen weiteren Staaten. Warum 20ll den Ausschlag gab für viele Ägypter, sich gegen ihr Regime zu stellen, erklärt der Anthropologe Mark Allen Petersen mit drei Ereignissen, die sich kurz zuvor ereignet haben. Der Zusammenstoß palästinensischer Araber mit den ägyptischen Sicherheitstruppen fand nur kurz vor Beginn der Proteste im Januar statt, als Ägypten die Israelische Blockade gegen Gaza durchgesetzt hatte, bei den Parlamentswahlen Ende 20l0, die Mubarak mit unscheinbar großen Vorsprung gewann, stand im Verdacht, gefälscht worden zu sein und nicht zuletzt der gewaltsame Tod des jungen Ägypters Khaled Said, der Opfer von Polizeigewalt .12 Er beschreibt, wie vor allem die junge Generation, die gut ausgebildeten, versierten Universitätsabsolventen, soziale Medien einsetzten, um die Probleme ihrer Generation zu verarbeiten, hauptsächlich die hohe Arbeitslosigkeit trotz guter Ausbildung und die fehlende Meinungsfreiheit. Shabab Al-Facebook, die Facebook Jugend, werden sie von den Älteren genannt: die, die sich die technischen Möglichkeiten ihrer Zeit zu Nutze machten.13

1.2 Medien(r)evolution in Ägypten

Die Bedeutung von sozialen Medien während der arabischen Revolution kann nicht in einem Vakuum betrachtet werden. Ein Überblick über die Entwicklung und die Bedeutung der Medienlandschaft in Ägypten und in der arabischen Welt ist zuerst notwendig, um auch den Einfluss sozialer Medien während des Transformationsprozesses, der 20ll begann, zu verstehen.

Vor der Revolution von l952 war Ägypten eine Monarchie, die noch immer unter der Besatzung der Britischen und Französischen Regierungen zu leiden hatte. Dieser Hintergrund ist wichtig, die Medienlandschaft war dadurch geprägt von Berichten, die immer wieder das Ottomanische Regime und ausländische Besatzung im Allgemeinen thematisierten. Nicht selten waren dabei auch politische Debatten über Kolonialisierung und Nationalgefühl von großer Bedeutung.14 Auf der anderen Seite war die Medienlandschaft geprägt von einer Vielfalt an

Schriftstellern und Veröffentlichungen, die sich mit Literatur, Poesie und Kultur befassten. Zeitungen, Zeitungen, Radio und Magazine waren vielfältig und nicht nur sehr politisch orientiert, sondern konnten auch eine breite Leserschaft an sich binden.15 Mit der Revolution von l952, die Ägypten in eine Republik verwandelte, änderte sich jedoch auch die Medienlandschaft drastisch. Viele unabhängige Medien verschwanden aus der Öffentlichkeit, die Übrigen kamen unter staatliche

Kontrolle. Paradoxerweise führte die Unabhängigkeit Ägypten von seinen britischen Besatzern nicht zu einer freieren und unabhängigeren Medienlandschaft, vielmehr war diese von nun an von starker Zensur und staatlicher Kontrolle geprägt, unter der auch nun immer mehr Journalisten und Reporter mit Geld- oder Haftstrafen in ihre Schranken gewiesen wurden.16 Besonders Präsident Nasser hatte während seiner Regierungszeit ein strenges Auge auf die Zeitungen und Journalisten im Land, die er wahrscheinlich ganz bewusst einschränkte, um politische Ideologien vor ihrer Verbreitung zu bewahren, die nicht mit der Führung des Landes konform waren.

Indem die Presselandschaft in ihrer Vielseitigkeit und vor allem in ihrer Unabhängigkeit stark eingeschränkt wurde, konnte die Propaganda der Regierung unter Nasser ohne Konkurrenz verbreitet werden.17

Unter seinem Nachfolger Sadat hat das System mehrfach einen Wandel durchgemacht, und auch wenn er der Presse mehr Freiheiten eingeräumt hat, als sein Vorgänger, nahm die staatliche Regulierung doch immer noch verstärkt Einfluss auf die Medien und ihre journalistischen Freiheiten.18

Mit der Machtübernahme von Hosni Mubarak im Jahr l98l änderte sich auch daran nicht viel. Die unterschiedlichen Parteien, die nun ihre eigenen Zeitungen herausgeben konnten, standen einer Bevölkerung gegenüber, die zu großen Teilen aus Analphabeten bestand, und auch die Erlaubnis einer eigenen Zeitung macht im Angesicht der generellen Abwesenheit von Demokratie und Meinungsfreiheit im Land nur wenig Mut. Dazu kommt, dass die ägyptische Bevölkerung ohnehin wenig Vertrauen hatte in seine politischen Vertreter, und deren journalistische Veröffentlichungen daher ohnehin oft wenig Ansehen erhielten. Diejenigen, die ohne Anbindung an politische Parteien veröffentlichen wollten, waren zudem der ständigen Gefahr ausgesetzt, inhaftiert, bestraft oder gar gefoltert zu werden, sollte Meinung nicht der Ideologie des Staates entsprechen.19

Unter der Herrschaft von Mubarak hat sich dennoch einiges getan in der Medienwelt Ägyptens. Die Verbreitung des Satellitenfernsehens und der Zugang zum Internet leiteten eine neue Ära ein, die den Journalismus nachhaltig veränderte, eine Entwicklung, die auch Mubaraks strenges Regime nicht aufhalten konnte. Das staatliche Fernsehen hatte nun einen Konkurrenten, der nicht so einfach zensiert und reguliert werden konnte und seinen Zuschauern ein breiteres Bild bieten konnte über politische, soziale und kulturelle Gegebenheiten in anderen Teilen der Welt.

Außerdem ist anzunehmen, dass durch die Verbreitung von Satellitenfernsehen nun auch für die großen Teile der analphabetischen Bevölkerung die Möglichkeit bestand, sich über das Weltgeschehen aus verschiedenen Quellen zu informieren.2028% der erwachsenen Bevölkerung sind auch im Jahr 20l0 noch Analphabeten21, Aneignen von Informationen über Quellen wie das Fernsehen, sind also für einen großen Teil der Ägypter nach wie vor von Bedeutung.

Im Oktober l993 kam es zur zweiten großen Veränderung, der Einführung des Internets in Ägypten.22 Von Mubarak selbst kommt der Aufruf, die technischen Möglichkeiten zu nutzen, die seinen Bürgern nun offen stehen. Internetverbindungen werden im ganzen Land eingerichtet, Internetcafés finden sich schnell in jeder Stadt. Von diesen Modernisierungsmaßnahmen erhoffte Mubarak sich letztendlich, das Interesse ausländischer Investoren auf sich zu und Ägyptens Wirtschaft voran zu treiben. Aus diesem Grund wurde das Internet in Ägypten, im Gegensatz zu anderen arabischen Staaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien daher auch nicht zensiert und kaum Inhalte blockiert. So konnten sich schon früh Bewegungen und Gruppen online zusammenfinden um sich über Ungerechtigkeiten im Land auszutauschen, die später vielleicht die Basis für die Proteste von 20ll.23

Blogs, Kommunikationsplattformen und online Informationsdienste ermöglichen es den Menschen nun, sich miteinander, auch über regionale Grenzen hinweg, zu vernetzen und politische und soziale Ideen auszutauschen und große Menschengruppen zu erreichen und zu mobilisieren.

Durch die Anonymität, die das Internet seinen Nutzern bietet, ermöglicht es besonders den Menschen in diktatorischen Staaten, ihrer Meinung zu ökonomischen, sozialen und politischen Missständen Ausdruck zu verleihen, ohne die Sanktionen des Regimes fürchten zu müssen, würden sie ihre oppositionelle Meinung auf der Straße kundtun.

Die arabische Revolution. Berlin 20ll. S. 39-66.

Auch die Gründung des Nachrichtensenders Al Jazeera im Jahr l996 eröffnete neue Möglichkeiten der Informationsbeschaffung, die sich den Zensuren der Regierung entgegenstellten. Der Nachrichtensender gehört dem Regierungshaus von Katar an, und auch wenn von vielen Seiten angenommen wird, dass es auch als Werkzeug der Außenpolitik des Emirats eingesetzt wird, so muss doch gesagt werden, dass sich durch Al Jazeera die Medienlandschaft im Nahen Osten doch stark gewandelt hat. In Talkshows und Interviews verschiedener politischer Anhänger wurden unterschiedliche Meinungen publik gemacht und öffentlich diskutiert, während bis dato die Gesprächsthemen und Gäste im staatlichen Fernsehen stark reglementiert und zensiert wurde. Al Jazeera bot den Menschen erstmals auch die Möglichkeit, sich über Telefonanrufe an der Sendung zu beteiligen, indem einige Formate eine Hotline zur Verfügung stellten, in der das Publikum seine Meinung öffentlich vertreten konnte, und viele machten davon Gebrauch.24

1.3 Shabab Al-Facebook – Bild einer Generation

Viele verschiedene soziale und politischer Gruppen sowie Menschen aller Altersklassen waren an den Umbrüchen in Ägypten auf vielfältige Art beteiligt, die Jugendgeneration als alleinige Verantwortlicher herauszuheben, wäre deswegen unangebracht und würde die Situation unvollständig darstellen. Doch im Fall der Umbrüche in Ägypten, das Durchschnittsalter bei 24 Jahren liegt, lohnt es sich, diese Gruppe näher zu analysieren und so nicht nur deren Rolle während der Revolution besser zu verstehen, sondern die Umstände im Ganzen, die letztendlich dazu geführt haben, das ein Diktator nach über 30-jähriger Regierungszeit gestürzt werden konnte.

Die Generation, die mit Satellitenfernsehen und dem Internet aufgewachsen ist, die Smartphones und Blackberrys besitzt und sich auf Facebook und Twitter vernetzt, ist die, die jetzt, am Vorabend der Umbrüche in Ägypten und der arabischen Welt in den Startlöchern steht.

Im Gegensatz zu Generationen vor ihnen sind die meisten von ihnen gut ausgebildet, können lesen und schreiben (was zuvor noch nicht selbstverständlich war) und können sich neben Arabisch auch immer mehr auf Englisch oder Französisch verständigen und internationale Nachrichtensender verstehen.

Im Unterschied zu den meisten anderen Gebieten der Welt, ist in Ägypten die Jugendarbeitslosigkeit unter denen mit guter Ausbildung am höchsten. Im Jahr 2008 lag der Anteil derjenigen, die einen Universitätsabschluss besitzen, bei über 50%, während von ihren Altersgenossen, die nur ein elementares Bildungsniveau erreicht haben, nur weniger als l0% arbeitslos waren. Diese Statistiken sind üblich für Länder, in denen das Bildungssystem nicht an den lokalen Arbeitsmarkt angepasst ist. Umfragen unter Arbeitgebern in Ägypten und anderen arabischen Ländern haben gezeigt, dass das Wissen und die Fertigkeiten, die in den Schulen werden, nur wenig oder gar keinen Bezug hat, zu dem, was auf dem Arbeitsmarkt gefragt ist.25 Diese Umstände waren wahrscheinlich auch eine Ursache für die Unzufriedenheit und den Wunsch nach Reformen in Ägypten.

Im Jahrzehnt vor der Revolution formierten sich in Ägypten einige Bewegungen, die mehrheitlich von der Jugend des Landes initiiert wurden. Diese Jugendbewegungen machten es möglich, Schwächen zu überwinden, mit denen früherer Bewegungen zu kämpfen hatten. Sie waren die erste Generation, die durch den technischen Fortschritt ihrer Zeit, in der Lage war, über geographische und ideologische Grenzen hinweg verschiedene Gruppen zu erreichen und in einen Dialog mit einzubeziehen, um gemeinsame Ziele zu identifizieren und zu erreichen. Schließlich waren sie auch so in der Lage, eine Verbindung herzustellen zwischen den politischen und sozialen Bewegungen und Protesten, die es zuvor schon in Ägypten gab, die jedoch untereinander keine oder wenig Kontakt und Austausch hatten. Besonders in den Jahren ab 2004 werden auch zunehmend mehr Jugendbewegungen gegründet, darunter die Kefaya (arab. Genug) Bewegung und ihre Untergruppe Youth for Change, die sich später auch den Protesten 20ll anschließen werden.

[...]


1 United Nations Development Data 20l0. http://www.arab-hdr.org/data/profiles/EGY.aspx Letzter Zugriff 22.0l.20l3.

2 Arab Human Development Report 2009. The Report in Brief. Beirut 2009. S.2f.

3 CIA World Factbook Egypt. https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/eg.html Letzter Zugriff 22.0l.20l3.

4 International Monetary Fund. Letzter Zugriff 22.0l.20l3. http://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/20l0/02/weodata/weorept.aspx?sy=2008&ey=20l5&scsm=l&ssd= l&sort=country&ds=.&br=l&prl.x=47&prl.y=4&c=469&s=NGDP_RPCH%2CLUR&grp=0&a=

5 Bertelsmann Stiftung: Transformationsindex (20f0). Egypt Country Report 20f0. http:ƒƒwww.bti−project.deƒlaendergutachtenƒmenaƒegyƒ20f0ƒindex.nc Letzter Zugriff: 30.0f.20f3.

6 El-Din, Shahin (20l0): Democratic Transformation in Egypt. S. l00f. In: El-Din, Shahin; Brown, Nathan (Hg.): The Struggle over Democracy in the Middle East. Regional Politics and External Policies. New York 20l0. S. l02-l20.

7 Ebd. S.l04.

8 Ebd. S.l04f.

9 Ebd. S.l06.

l0 Hamzawy, Amr; Ottaway, Marina: Protest Movement and Political Change in the Arab World. In: Carnegie Endowment for International Peace Policy Outlook. Beirut 20ll. S. 2f.

l1 Beinin, Joel: Underbelly of Egypt’s Neoliberal Agenda. In: Middle East Report 5/2008. Onlineversion ohne Seitenangabe. http://www.merip.org/mero/mero040508

l2 Petersen, Mark Allen: Connected in Cairo. Growing up Cosmopolitan in the Modern Middle East. Indiana 20l2. S. 2.

l3 Ebd. S. 2.

l4 Khamis, Sahar: The Transformative Egyptian Media Landscape: Changes, Challenges and Comparative Perspectives. In: Journal of Communications (5/20ll). Seite lf.

l5 Ebd. Seite 2f.

l6 Ebd. Seite 2f.

l7 Boyd, Douglas (l982): Broadcasting in the Arab World: A Survey of the Electronic Media in the Middle East. Iowa l999. S. l5f.

l8 Ebd. S.l6.

l9 Khamis (20ll). S. 2ff.

20 Sakr, Naomi: Satelitte Realms: Transnational television, globalization and the Middle East. London 200l.

21 CIA: The World Factbook 20l0. Letzter Zugriff 22.0l.20l3. https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/eg.html

22 Khamis (20ll). S. 3ff.

23 Nordhausen, Frank: Die Sieger des Tahrir-Platzes. S.40ff. In: Nordhausen, Frank; Schmidt, Thomas (Hg.):

24 Noueihed, Lin; Warren, Alex: The Battle for the Arab Spring. Revolution, Counter-Revolution and the Making of a new Era. London 20l2. S. 49ff.

25 Drine, Imed (20f2): Youth Unemployment in the Arab World. World Institute for Development. http:ƒƒwww.wider.unu.eduƒpublicationsƒnewsletterƒarticles−20f2ƒen_GBƒ06−07−20f2−Drineƒ Letzter Zugriff: 30.0f.20f3.

Final del extracto de 39 páginas

Detalles

Título
Facebook Revolutions? Social Media und der politische Wandel in Ägypten
Universidad
University of Marburg  (Kultur- und Sozialanthropologie)
Calificación
1,5
Autor
Año
2013
Páginas
39
No. de catálogo
V213151
ISBN (Ebook)
9783656430346
ISBN (Libro)
9783656435433
Tamaño de fichero
536 KB
Idioma
Alemán
Citar trabajo
Katrin Hillenbrand (Autor), 2013, Facebook Revolutions? Social Media und der politische Wandel in Ägypten, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/213151

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