Biblische Methodenlehre - Traditionskritik zum „Motiv des Jüngerversagens“ in Markus 9,14-29


Term Paper, 2011

18 Pages, Grade: sehr gut (15 Punkte)


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INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Die Methode der Traditionskritik
2.1. Der Untersuchungsgegenstand
2.2. Die Vorgehensweise
2.3. Das Verhältnis von Traditions- und Gattungskritik
2.4. Die systematische Einordnung

3. Das Motiv des Jüngerversagens in Markus 9,14-29
3.1. Die zentralen Aspekte der Handlungen
3.2. Der Kontrast zwischen Schüler und Meister
3.3. Die Jünger als Identifikationsfiguren für den Leser
3.4. Das Versagen der Jünger als Zeichen für die Größe des Meisters
3.5. Die Ursache für das Scheitern der Schüler
3.6. Das Verhältnis von Meister zu Schüler

4. Konklusion

5 Literatur

1. Einleitung

In den Industriestaaten ist der moderne Mensch maßgeblich geprägt durch das Rationalitätsverständnis von Naturwissenschaft und Aufklärung. Jede wissenschaftliche Theorie, ethische Norm, soziale Institution und theologische Weltdeutung muss gegen kritische Einwände und Anfragen bestehen können.

Auf den ersten Blick scheint es schwer möglich, die Schriften des Alten und des Neuen Testaments für die heutige Zeit fruchtbar zu machen. Es ist fraglich geworden, wie und ob sich diese Texte in die heutige Zeit übersetzten lassen und welcher Status ihnen vor dem Hintergrund einer rationalen Betrachtung zukommt. Die historisch-kritische Methode kann als Projekt verstanden werden, die Bibel mit rationalen, wissenschaftlichen Methoden zu enträtseln. Neben der literaturwissenschaftlichen Bibelauslegung hat sie sich als wissenschaftlicher Standard in der modernen Exegese etabliert. Sie beinhaltet verschiedene methodische Schritte.

Im Folgenden soll am Beispiel der „Traditionskritik“ verdeutlicht werden, wie in der historisch-kritischen Exegese vorgegangen wird. Dazu ist diese Arbeit in einen Methoden- und einen Anwendungsteil gegliedert. Im ersten Teil wird die „Traditionskritik“ in ihren Grundzügen skizziert und von anderen methodischen Schritten der Exegese differenziert. Im zweiten Teil wird die „Traditionskritik“ exemplarisch an dem Motiv des Jüngerversagens in Markus 9,14-29 durchgeführt. Dazu wird das dort vorgefundene Motiv in anderen Quellen aufgesucht und verglichen, um überlieferte Sinngehalte aufzuzeigen.

Ziel dieser Arbeit ist es, zu zeigen, wie die Traditionskritik die Möglichkeiten für ein tieferes Verständnis biblischer Texte im Spannungsverhältnis zwischen wissenschaftlicher Rationalität und Glaube eröffnet und welche Deutungsmöglichkeiten sich durch diesen methodischen Schritt gewinnen lassen.

2. Die Methode der Traditionskritik

In den Methodenbüchern zur Exegese herrscht eine gewisse begriffliche Unklarheit bezüglich der Bezeichnung der Methode. Bei Schnelle wird sie als Begriffs- und Motivgeschichte bezeichnet.[1] Auch Fohrer verwendet eine leicht abweichende Terminologie. Was hier unter dem Begriff „Tradition“ verstanden wird, bezeichnet er als Motiv.[2] Die verschieden Begriffe meinen allerdings inhaltlich den gleichen methodischen Schritt. Dieser wird hier als „Traditionskritik“ bezeichnet.

Im Folgenden wird zunächst der Untersuchungsgegenstand und die Vorgehensweise der Methode beschrieben. Ferner wird auf ihr Verhältnis zur Gattungskritik und ihre systematische Einordnung eingegangen.

2.1. Der Untersuchungsgegenstand

Es ist das Ziel der Exegese, Deutungsalternativen der biblischen Texte zu erarbeiten. Die exegetische Arbeit ist dann gelungen, wenn sie einen Gehalt aus den Texten gewinnen kann, der für die Menschen verständlich ist und für ihr persönliches Leben relevant ist. Die Exegese steht vor dem Problem, dass ihre Texte sehr alt sind. Sie sind, wie Utzschneider und Nietzsche schreiben, „Fremde aus der Ferne des historischen Raums.“[3] Wir versuchen die Gedanken aus einer Lebenswelt nachzuvollziehen, von der uns ca. 2000 Jahre trennen und die dadurch nur mit viel Mühe verständlich werden. Die Traditionskritik leistet einen Beitrag diesen historischen Graben zu überbrücken. Denn durch sie wird versucht, die geistige Welt, in der die biblischen Texte entstanden sind, zu rekonstruieren. Da die Texte der Bibel, wie jedes andere literarische Werk, in einem historischen Kontext entstanden sind, also zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort, finden sich in ihr Spuren des geistigen Hintergrundes der jeweiligen Zeit. Mit dem geistigen Hintergrund ist gemeint, dass es in jeder Kultur bestimmte Denkmuster gibt. Diese drücken sich in literarischen Texten aus. Das bedeutet, das in den Texten z.B. Motive, Bilder oder Begriffe auftauchen, die Träger von spezifischen Bedeutungen sind:

Bei einem Motiv handelt es sich um ein Bild, eine Methapher oder ein Thema mit relativ feststehender Bedeutung, auf die ein Autor zurückgreifen kann, um einen bestimmten Sachverhalt auszudrücken.[4]

In den Motive schlägt sich das spezifische Wissen, das Weltverständnis, der Werthorizont eines Kulturraums nieder. Dies kann man unter dem Begriff „Tradition“ zusammenfassen.

„Traditionen sind „geprägte Gestalten des kollektiven Wissens eines Kulturraums, eines Volkes oder einer Gesellschaft.“[5]

Ein gutes Beispiel, um sich diesen Sachverhalt zu verdeutlichen, sind Figuren in Erzählungen und Märchen. Der Prinz verkörpert i.d.R. positiven Eigenschaften, wie Tugendhaftigkeit, Sittlichkeit, Tapferkeit. Dieses Motiv ist also mit bestimmten Bedeutungen verbunden, die vom Leser, der in einer Kultur sozialisiert wurde, automatisch assoziiert werden und die von einem Verfasser verwendet werden können, um bestimmte Assoziationen hervorzurufen. Wenn in Tolkiens „Herr der Ringe“ die adelige Herkunft des Aragon enthüllt wird, zeigt dies an, dass es sich bei Aragon um eine gute Heldendenfigur handelt. Sehr deutlich wird die kulturelle Prägung bei Motiven deutlich, die in verschiedenen Kulturen, bzw. zu verschiedenen Zeiten mit unterschiedlichen Bedeutungen verbunden werden. Am Motiv des „Königs“ kann diese Veränderung gut nachvollzogen werden. Im Mittelalter war eine Vorstellung vom guten, gerechten König vorherrschend. Diese kulturelle Prägung des Königsmotivs drückt sich in Erzählungen, wie z.B. der Artus-Sage oder in Märchen aus und findet sich ebenso in philosophischen oder theologischen Schriften. Die mittelalterliche Kultur ist durchzogen vom Ideal des gerechten, zum Wohle der Untertanen regierenden, Königs.

Im Gegensatz dazu ist das Königsmotiv im römischen Reich, in der Zeit in der Rom von zwei Konsuln regiert wurde, durch andere Bedeutungen geprägt. Dort hatte das Motiv des Königs eine deutlich negative Prägung. Der König wurde von den Römern stärker als Alleinherrscher wahrgenommen und im Kontrast zur römischen Verfassung gesehen, die auf einer Gewaltenteilung beruhte. Es wäre die Aufgabe einer Traditionskritik diese verschiedenen Prägungen und die spezifische Bedeutung des Königsmotivs für den jeweiligen Kulturraum darzulegen und damit die Denkmuster aufzuzeigen, die zum Zeitpunkt der Entstehung eines Text jeweils vorherrschend waren.

Man könnte einwenden, dass jede Sprache sich prinzipiell dadurch auszeichnet, dass sie aus geprägten Zeichen, Wörtern, Elementen und Sätzen besteht. Ausdrücke wir „er sprach„ oder „er ging“ sind Träger einer allgemeinen Bedeutung.[6] Es benötigt keine besonderen Analyse, um den Sinn dieser Worten zu erfassen. Anders verhält es sich bei den Bedeutungen, die im Folgenden untersucht werden sollen. Der entscheidende Aspekt der Methode ist, dass die Bedeutungen, die die Traditionskritik untersucht auf einer spezifischen Ebene liegen.:

„Bei den geprägten Bedeutungssyndromen, nach denen in der Motiv- und Traditionskritik gefragt wird, handelt es sich vielmehr um Aussagezusammenhänge, deren Geprägtheit unterhalb der Ebene der allgemeinen Geprägtheit einer Sprache liegt.“[7]

Es muss sich also um Bedeutungen handeln, die konkreter sind, als die allgemeinen Bedeutungen der Sprache. Dies ist die Ebene der geschichtlichen und kulturellen Prägungen:

„Traditionsgeschichte untersucht die konkrete Bedeutung von Worte in der besonderen geschichtlichen Situation, die dem Text vorrausgeht oder dem Text parallel läuft.“[8]

D.h. mit verschiedenen Motiven, Bildern oder Wörtern wurden zur Zeit der Entstehung eines Textes bestimmte Bedeutungen verbunden, die vom Verfasser und zeitgenössischen Lesern verstanden wurden, weil sie im Denkhorizont der Kultur allgemein bekannt waren. Dies können Motive aus dem alltäglichen Leben sein. Es kann sich auch um Bedeutungen handeln, die durch Erzählungen, Mythen oder religiöse Texte geprägt sind, die im Entstehungszeitraum des Textes verbreitet waren. Sehr charakteristisch sind geprägte Bilder.[9] Solche Motive können in die Texte eingehen, ohne das der Verfasser sich dessen bewusst ist. Denn jeder Autor eines Textes ist in eine bestimmte Kultur hinein sozialisiert und übernimmt somit auch die Denkmuster seines Kulturraums:

„Jeder biblische Text ist von Menschen geschrieben worden oder hat seine Ursprünge in Gruppen, die in bestimmten religiösen Traditionen leben. Diese Traditionen werden durch Erziehung usw. angeeignet und gehen, ohne daß die jeweiligen Autoren und Erzähler es merken, in die formulierten Texte ein“.[10]

Im oben aufgeführten Zitat bezieht sich Fenske im besonderen auf religiöse Traditionen. Das Gleiche gilt aber auch für alle anderen Bereiche der Umwelt, mit denen der Autor in Kontakt kommt.

Zusammenfassend kann die Traditionskritik als methodischer Schritt verstanden werden, bei dem nach Motiven gesucht wird, die zur Zeit der Entstehung der biblischen Texte vorherrschend waren und die in verschiedene literarische Erzeugnisse eingegangen sind.

[...]


[1] Vgl. Schnelle, Udo, Einführung in die neutestamentliche Exegese, 2008, 137.

[2] Vgl. Fohrer, Georg, u.A., Exegese des Alten Testaments, 1993, 104.

[3] Utzschneider, Helmut, Nietzsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung, 2001, 22.

[4] Schnelle, Udo, Einführung in die neutestamentliche Exegese, 2008, 137.

[5] Utzschneider, Helmut, Nietzsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung, 2001, 187.

[6] Vgl. Fohrer, Georg, u.A., Exegese des Alten Testaments, 1993, 102.

[7] Fohrer, Georg, u.A., Exegese des Alten Testaments, 1993, 104.

[8] Fenkse, Wolfgang, Arbeitsbuch zur Exegese des Neuen Testaments, 1999, 41.

[9] Vgl. Fohrer, Georg, u.A., Exegese des Alten Testaments, 1993, 106f.

[10] Fenkse, Wolfgang, Arbeitsbuch zur Exegese des Neuen Testaments, 1999, 43.

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Details

Title
Biblische Methodenlehre - Traditionskritik zum „Motiv des Jüngerversagens“ in Markus 9,14-29
College
University of Frankfurt (Main)
Grade
sehr gut (15 Punkte)
Author
Year
2011
Pages
18
Catalog Number
V213301
ISBN (eBook)
9783656417408
File size
497 KB
Language
German
Keywords
biblische, methodenlehre, traditionskritik, motiv, jüngerversagens, markus
Quote paper
Matthias Gloser (Author), 2011, Biblische Methodenlehre - Traditionskritik zum „Motiv des Jüngerversagens“ in Markus 9,14-29, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/213301

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