Menschen mit Psychotraumen im Beruf - Möglichkeiten sozialarbeiterischer Intervention


Tesis, 2002

94 Páginas, Calificación: 1,7


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Notfallhelfer/Innen als besonders gefährdete Berufsgruppe
2.1. Subjektive Disposition der Helfer/Innen - Protektive und pathogene Faktoren

3. Definition von Psychotraumata
3.1. Typologie traumatisierender Situationen
3.2. Traumaverlauf: Psychische Reaktionen - während und nach Extrembelastungsreaktionen
3.3. Trauma - Ereignisbruch in der Biographie eines Menschen

4. Diagnostische Verfahren zur Feststellung des Psychotraumas

5. Therapeutische Ansätze zur Überwindung der Psychotraumata
5.1. Debriefing - eine Möglichkeit der Akutintervention - Kritische Stellungnahme
5.2. Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie ( MPTT )
5.3. Augenbewegungstherapie ( EMDR )

6. Anforderungen an Qualifikation und Persönlichkeit der Sozialarbeiter/Innen

7. Möglichkeiten sozialarbeiterischer Akut-Intervention
7.1. Angebot von Beratungsgesprächen
7.2. Vermittlung von Selbsthilfetechniken
7.3. Arbeit mit dem sozialen Umfeld der Notfallhelfer/Innen

8. Sozialarbeiterische Arbeitsfelder im Nachsorge- und Präventionsbereich
8.1. Nachsorge- und Selbsthilfegruppen
8.2. Anregung rehabilitativer Maßnahmen
8.3. Öffentlichkeitsarbeit
8.4. Thematische Integration in Ausbildungsinhalte der Notfallhelfer/Innen

9. Zusammenarbeit der Sozialarbeiter/Innen mit Traumaexperten

10. Resümee

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Obwohl Katastrophen und alles was mit ihnen zusammenhängt, oft publikumswirksam sowie populistisch in den Medien dargestellt werden, sind individuelle traumatische Erfahrungen noch immer ein Tabubereich unserer Gegenwart. Die Gesellschaft hat Angst vor den eigenen Emotionen und weiß nicht, wie sie mit dem eigenem oder fremden Kummer umgehen soll. Oft heißt es, jeder Mensch mache traumatische Erfahrungen und man solle nicht so ein Aufhebens darum machen. Dabei ist zu beobachten, dass sich ein Teil unserer Gesellschaft gerne auf eine voyeuristische Art und Weise mit dem Thema Katastrophe via Medien oder gar persönlich (z.B. als Hochwassertourist) befaßt, andererseits den direkten Umgang mit den traumatisierten Betroffenen scheut.

Zudem wird der Begriff Trauma umgangssprachlich auch salopp verwendet, ähnlich wie "Streß", worunter bekanntlich jeder leidet und doch irgendwie damit zurecht kommt.

So werden z.B. eine schlechte Note in der Prüfung, eine Niederlage im Sport oder ein Streit mit dem Vorgesetzten als "traumatisch" beschrieben, tatsächlich resultieren aus diesen Erfahrungen in der Regel keine für ein Psychotraumata geltenden charakteristischen Symtome. Traumata hingegen nehmen jedoch eher die Konnotation von Leiden und Krankheit an. Traumatische Erfahrungen scheinen zudem oft Ursache oder Mitursache seelischer und psychosomatischer Erkrankungen, aber auch Suchterkrankungen, Eßstörungen, selbstverletzendem Verhalten oder den Angststörungen zu sein.

Die Psychotraumatologie als relativ neue und noch wachsende Fachdisziplin beschäftigt sich intensiv mit den Psychotraumata im Alltag der Menschen. Dabei richtete sich der Focus der Aufmerksamkeit in Fachkreisen als auch in der Öffentlichkeit zunächst auf die Schicksale der traumatisierten Opfer nach Kriegs-, Unfall- oder Mißbraucherfahrungen, während professionelle Helfer/Innen nahezu ignoriert wurden. Erst durch Katastrophen wie dem Flugtagunglück von Ramstein oder das ICE-Unglück von Eschede gewann die Situation der Notfallhelfer/Innen als Zeugen dieser Ereignisse an Bedeutung.

Gerade mit den Notfallhelfer/Innnen der ersten Stunde, die berufsbedingt mit einschnei- denden Ereignissen und Tragödien wie Verkehrsunfällen, Verbrennungen oder anderen Katastrophen konfrontiert werden, möchte ich mich in meiner Diplomarbeit auseinander- setzen. Feuerwehrleute, Sanitäter/Innen, Notärzt/Innen und Polizist/Innen riskieren oft ihr eigenes Leben, um das anderer zu retten. Sie tragen ein erhöhtes Risiko für Er- schöpfungszustände ("burn-out-Syndrom") und sind selbst in einem hohen Maße not- fallgefährdet."Die Leiden und Schrecken, die ihnen während ihrer Einsätze begegnen, überstehen weniger als ein Viertel der Helfer/Innen unversehrt."1

Obwohl auch andere zu Psychotraumata führende Belastungen im beruflichen Alltag, wie Mobbing oder Arbeitsplatzverlust in den letzten Jahren ein verstärktes Interesse hervorriefen, wurde die Gruppe der Notfallhelfer/Innen sowohl in der Traumaforschung als auch in der sozialarbeiterischen Auseinandersetzung mit dem Thema offensichtlich kaum berücksichtigt. Vielleicht wurde hier die Haltung der Öffentlichkeit übernommen, das Menschen bei der Wahl dieser Berufe bewußt ein erhöhtes Traumarisiko in Kauf nehmen würden wie bei der Ausübung einer gefährlichen Sportart. Zudem schreibt man den Helfer/Innen aufgrund ihrer Ausbildung eine höhere Selbsthilfekompetenz bei der Verarbeitung ihrer erlittenen Traumata zu. In meiner Ausarbeitung möchte ich mich u.a. mit der Begriffsklärung von Psychotraumata, typischen traumatisierenden Situationen und therapeutischen Verfahren im allgemeinen als auch mit der speziellen Lage traumatisierter Notfallhelfer/Innen beschäftigen. Der zweite Teil der Arbeit befaßt sich mit den Möglichkeiten und Chancen sozialarbei- terischer Interventionen, die dem Heilungsprozeß traumatisierter Menschen zugute kommen. Weitere Aspekte zur interdisziplinären Zusammenarbeit von Psycholog/Innen und Sozialarbeiter/Innen, Anmerkungen zu den Anforderungen an die Persönlichkeit der Sozialarbeiter/in und einige Hinweise zur Umsetzung von präventiven Maßnahmen runden diesen Abschnitt ab.

2. Notfallhelfer/Innen als besonders gefährdete Berufsgruppe

Das seelische System eines Menschen kann durch punktuelle oder dauerhafte Belastungen in seinen Bewältigungsmöglichkeiten überfordert und schließlich traumatisiert/verletzt werden. Professionelle Helfer/Innen wie die Einsatzkräfte der Feuerwehr, der Polizei und der Rettungsdienste sind durch eine berufsbedingte Anhäufung extrem belastender Ereignisse sowohl primärem als auch sekundärem traumatischen Streß ausgesetzt. Im Gegensatz zur primären traumatischen Belastungsstörung, die mit einer direkten Konfrontation von traumatischem Streß assoziiert ist, wird sekundärer (indirekter) traumatischer Streß als eine Belastung definiert, die durch das Wissen über ein traumatisches Ereignis ausgelöst wird - aber auch durch das Helfen einer traumatisierten oder leidenden Person entstehen kann. Durch dieses erhöhte Risiko im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung, früher oder später mit einem einschneidenden, emotionalen Ereignis konfrontiert zu werden, müssen alle mit der Notfallhilfe betrauten Berufsgruppen zu der Hochrisikopopulation für die Entwicklung von Psychotraumata hinzugezählt werden. "Für Rettungssanitäter/Innen gilt sogar, daß sie in einem Zeitraum von einigen Monaten mehr emotional befrachtete Situationen durchmachen als der durchschnittliche Mensch während seines ganzen Lebens."2Unklar erscheint jedoch zu sein, warum sich trotz dieser schon länger bekannten Tatsachen bis ins Jahr 1999 in Deutschland keine repräsentative, epideminologische Untersuchung mit der Frage beschäftigte, inwieweit dieses erhöhte Auftreten von primärem und insbesondere auch sekundärem Streß zu einer erhöhten Prävalenz der akuten und post- traumatischen Belastungsstörung führen würde. Erst die ausgewerteten PSS-, FBL-, SVF- und GHQ-28-Fragebögen von 402 Einsatzkräften der Berufsfeuerwehren in Rheinland-Pfalz (Rücklaufquote von 70 %) im Rahmen einer Untersuchung der Uni-Trier (1999) ergaben einige Aufschlüsse. So erfüllten 18,24 % der Einsatzkräfte die Kriterien einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und zeigten zudem auch psychische Auffälligkeiten.

"Weitere 6,29 % der Untersuchten berichteten zwar über Belastungssymtome, die für eine PTBS ausreichen würden, zeigten aber darüber hinaus keine psychischen Auffällig- keiten.3Neben einer Gruppe von 27,04 % mit ausschließlich erkennbaren psychischen Auffälligkeiten erfüllten weitere 23,9 % der Helfer/Innen die Kriterien einer subsyndromalen PTBS. Lediglich 24,53 % aller befragten Einsatzkräfte zeigten keinerlei relevante psychische Auffälligkeit.

Bei der Darstellung der Einsätze, die bei den Notfallhelfer/Innen am ehesten seelische Wunden hinterlassen, kamen die durchgeführten Studien zu ähnlichen Ergebnissen. In einer Befragung der Uni-Hamburg (1997) berichteten alle 353 Einsatzkräfte (100 %) der Feuerwehr, Rettungsdienste und Polizei über berufliche Einsätze, in denen sie mit Toten, Sterbenden und Schwerstverletzten konfrontiert wurden. Als besonders belastend wurden an erster Stelle übereinstimmend Einsätze mit verletzten oder toten Kindern sowie der Anblick und Geruch toter Menschen erlebt. Sie stellen bei den beteiligten Helfer/Innen oft den Sinn und die Gerechtigkeit des menschlichen Daseins in Frage und Situationen dar, an die sie sich niemals gewöhnen können. Daneben sind jedoch auch andere schwierige, aber durchaus alltägliche Ereignisse, eine mögliche Grundlage für Gewissenskonflikte vor allem bei jungen, unerfahrenen Einsätzkräften. So erlebten laut einer Studie von Teegen, Domnick und Heedegen 96 % der Notfallhelfer/Innen Einsatzsituationen mit extremer Handlungsunfähigkeit, 93 % lebensbedrohliche Einsätze, 91 % bizarre Selbsttötungen und 71 % den Tod von Kindern (1997). So können Situationen mit einer eigenen Verletzung oder ein Unfall mit mehreren Verletzten eine(n) Helfer/In (vorübergehend) zum Nichthandeln zwingen. Dieser erlebte Kontrollverlust macht die eigentlichen Helfer/Innen zu Opfern, die Folge sind dann oft Reaktionen wie Wutausbrüche oder Frustration.

Rettungs- und Ordnungskräfte haben durch ihre Ausbildung und durch ihre moralischtechnisch-dienstliche Verpflichtung gelernt, qualifiziert in extremen Situationen zu reagieren."Dies gilt vor allem dann, wenn sie sehr gut auf dieses Ereignis vorbereitet sind oder schon über eine gewisse Erfahrung in solchen oder ähnlichen Bereichen verfügen."4

Sollte allerdings in unvorbereiteten Situationen etwas Unvorhergesehenes passieren, so reagieren Notfallhelfer/Innen genauso unsicher und überfordert wie die allermeisten Menschen. Nichts scheint die professionellen Helfer/Innen jedoch mehr zu schrecken als die eigene Hilflosigkeit. Dennoch wird deren Rolle als Retter u.a. assoziiert mit Kraft, Allwissen, Kontrolliertheit, physischer und psychischer Stärke. Hohe Ansprüche an sich selbst, nicht selten gepaart mit einem Hang zum Perfektionismus verfestigen das Selbstbild der Notfallhelfer/Innen zum unfehlbaren Profi oder Spezialisten. Diese zugeschriebenen und selbstauferlegten Attribute bilden eine Gefahr und führen zu einer Haltung der Einsatzkräfte, sie müssen jederzeit funktionieren, auch auf Kosten der eigenen Gesundheit. Sie vermitteln nach ihrem Selbstverständnis Ordnungen und stehen für deren Ein- haltung gerade. Erleben sie plötzlich ein Bild der Un-Ordnung, das ihrer Anschauung nicht mehr entspricht, kommt es oft zu einer passiven Haltung, vor allem aber zu rollen- bedingtem Streß.

Da auch eine gewisse emotionale Stärke das Rollenbild der erfolgreichen Helfer/Innen in der Öffentlichkeit charakterisiert, gelten auch emotionale Reaktionen als deplaziert. Eigene Betroffenheit und Gefühle können von den Einsatzkräften nur begrenzt nach außen getragen werden. Viele Betroffene haben Angst als Versager oder Weichling vor ihren Mitmenschen und ihren Kollegen dazustehen. Eine unglückliche Position beziehen hier oftmals ihre direkten Vorgestzten und Dienstherren. Sie kümmern sich augenscheinlich zu wenig um die Belange ihrer Mitarbeiter/Innen; Nachsorgegespräche und Teamsupervisionen werden häufig vernachlässigt. Die Einstellung der Leitungskräfte dokumentiert sich schließlich in Stillhalteparolen wie: "Es ist doch alles in Ordnung, es hat doch alles geklappt." Viele Helfer/Innen fühlen sich nach solchen oder ähnlichen Reaktionsweisen von ihren direkten Ansprechpartnern im Stich gelassen und versuchen sich emotional empfindungslos zu machen.

Aber auch die Darstellung einiger Medien, z.B. die TV-Sendung "Notruf" bei RTL, erschwert die Selbsteinschätzung und damit die berufliche Tätigkeit einiger Helfer/Innen bei Feuerwehr, Polizei oder Rettungsdienst. Durch eine unrealistische und überzogene Darstellung zu Held/Innen emporstilisiert, fühlen sich vor allem unerfahrene Einsatzkräfte als "weißer Ritter", die selbstlos helfen sowie dem Unheil bis zur Erschöpfung die Stirn bieten können. "Im Extremfall berichteten Notfallhelfer/Innen während der Rettungsmaßnahmen über Flow-Erlebnisse, von einem Gefühl der (momentanen) Unverwundbarkeit."5

Als zusätzliche Schwierigkeit erwiesen sich in letzter Zeit neben den Gaffern bei Unfallereignissen die beliebt gewordenen Videoaufnahmen von den Einsätzen. Diese von den Trägern zu Schulungszwecken anberaumte Maßnahme erhöht den Versagensdruck auf Seiten der Helfer/Innen, die sich ungerne "auf die Finger schauen lassen". Sie verbergen ihre Ängste/Unsicherheit vor aufgedeckten Fehlern mitunter damit, in die Offensive zu gehen und versuchen mit unbewußter Härte, den Spieß umzudrehen.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, das die Arbeit von Notfalleinsatzkräften neben potentiell traumatischen Stressoren durch diverse physische und psychische Belastungen charakterisiert ist. Zu den physischen Belastungen während der Einsätze gehören neben extremer Hitze, Rauch, Lärm oder austretende giftige Substanzen ebenso die Folgen häufiger Schichtwechsel und zusätzlicher Bereitschaftsdienste. Neben den in diesem Kapitel aufgeführten psychischen Anforderungen, die sich aus der Aufgaben- und Rollenstruktur ergeben, muß noch der permanente Zeitdruck aller Helfer/Innen in ihrem beruflichen Alltag genannt werden.

2.1. Subjektive Disposition der Helfer/Innen - Protektive und pathogene Faktoren

Manche Menschen werden von einem Ereignis schwerer getroffen, entwickeln eine Reihe von Symptomen, können diese aber überwinden und gehen vielleicht sogar gestärkt aus der Krise hervor. Andere bleiben quasi in der posttraumatischen Krise stecken, so daß es zu einer chronifizierten, traumabedingten Störung kommt. Daher wird in diesem Kapitel die Frage erörtert: Warum sind einige Notfallhelfer/Innen nach einem durchaus ähnlichen Ereignis anfälliger für die Entwicklung von Psychotraumata als andere?

"Die große Variationsbreite traumatischer Situationen, Situationsfaktoren und Dynamiken trifft auf ein breites Spektrum subjektiver Disposition und persönlicher Reaktionsbereitschaft."6Alle Menschen bringen ihre unterschiedlichen Dispositionen physiologischer, psychischer oder sozialer Art in die traumatische Situation ein. Sie verfügen über subjektive Faktoren und Voraussetzungen, die günstige oder nachteilige Auswirkungen auf eine Verarbeitung ihrer traumatischen Erfahrungen haben können. Protektive Faktoren, auch Schutz- oder Resilenzfaktoren genannt, unterstützen die menschliche Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit in schwierigen Situationen. Zudem können diese Faktoren auch korrektiv in den Verarbeitungsprozeß eingreifen, sollte dieser stagnieren. Dagegen tragen die auch als Risiko- oder Vulnerabilitätsfaktoren bezeichneten pathogenen Faktoren entscheidend zu einer seelischen Verletzung und Verwundbarkeit der betroffenen Menschen bei. "Während anfänglich die Natur des Stressors noch der entscheidende Faktor in der Ausformung der Symptomatik sein mag, spielen im Verlauf einer Chronifizierung oder Heilung die individuelle Vulnerabilität und die Stärken einer Person eine tragende Rolle."7

Obwohl die Risikofaktoren für die Entwicklung von Psychotraumata Gegenstand vieler empirischer Untersuchungen sind, finden sich kaum Hinweise auf geschlechtsspezifische Unterschiede. Dabei wurden die unter den professionellen Einsatzkräften zahlenmäßig klar unterrepräsentierten Frauen vielleicht vernachlässigt, weil die Häufigkeit des Erlebens traumatischer Ereignisse mit ca. 60% bis 69% bei Frauen und Männern gleichhoch angegeben wird. "Die Gefährdung, während des Lebens eine posttraumatische Belastungsreaktion zu entwickeln, wird im DSM IV mit 1% bis 14% angegeben. Bei Frauen liegt sie bei etwa 13% und bei Männern bei 5%."8Frauen mit Depressionen und Angststörungen vor dem traumatischen Ereignis oder einer traumatischen Erfahrung in der Kindheit sind besonders gefährdet. Die für Notfallhelfer/Innen wichtigsten verletzlich machenden Faktoren für Psychotraumata sind:

- Lange und heftige Konfrontation mit dem erschütternden Ereignis

Je länger und heftiger die Helfer/Innen den belastenden Situationen ausgesetzt sind, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, etwas zurückzubehalten.

- Verletzte Persönlichkeit oder psychische Probleme "Persönlichkeitseigenschaften können das Risiko erhöhen, eine traumatische Erfahrung zu machen, ebenso wie demographische Faktoren."9Diese Helfer/Innen verlieren schnell ihr psychisches Gleichgewicht, wenn ihnen etwas Ernstes widerfährt. Sie haben ein außergewöhnliches Bedürfnis nach Sicherheit und Struktur, sind von Natur aus ängstlich und leiden oft unter einer nicht verarbeiteten frühen sexuellen Mißbraucherfahrung. In einer ähnlichen Lage befinden sich Notfallhelfer/Innen, denen zur Zeit ihrer beruflichen Einsätze aus anderen Gründen bereits eine hohe Anpassungsfähigkeit abverlangt wird, z.B. durch einen soeben verstorbenen Elternteil.

An dieser Stelle müssen jedoch auch bestimmte, vorhergehende psychische Störungen genannt werden. "Insbesondere frühere bzw. komorbide psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen haben einen starken Einfluß auf die Entwicklung und Aufrechterhaltung einer PTB."10

- Familiengeschichte psychiatrischer Problematik

Das Risiko eines Psychotraumas ist größer in Familien, in denen psychische Krankheiten wie eine Depression oder Psychose überdurchschnittlich oft vorkommen. Daneben stellt eine nachgewiesene posttraumatische Belastungsstörung bei einem Elternteil ebenfalls ein Risikoelement für die Kinder dar.

- Geringes Maß an Vorhersehbarkeit/Kontrollierbarkeit von erschütternden Ereignissen Eine berufsspezifische Schwierigkeit ergibt sich dadurch, wenn eine Gruppe von Einsatzkräften, z.B. Polizist/Innen während einer Großbrandkatastrophe, aufgrund ihrer Aufgabenrolle und Ausrüstung kaum etwas anderes machen kann, als bei den furchtbaren Bildern von Leichen und Sterbenden leidend zuzusehen.

- Starke Identifikation mit dem Opfer

Die Konfrontation mit dem Leiden und Tod von Menschen ihres eigenen Alters, vor allem wenn diese einen mehr oder weniger vergleichbaren Hintergrund haben, stellen eine unausweichliche Konfrontation mit der eigenen Verletzbarkeit und Sterblichkeit der Helfer/Innen dar. Die Beteiligung von Kindern in Notfallsituationen, aber auch die Gefahr, ein Opfer persönlich zu kennen, als ein besonderes Risiko in ländlichen Gegenden sind weitere Bedrohungen für die psychische Gesundheit von Helfer/Innen. Weitere Risikofaktoren können ein niedriger sozioökonomischer Status, wie Armutsverhältnisse oder eine unsichere Wohngegend, das Alter zum Zeitpunkt der Traumatisierung (z.B. Jugend, höheres Lebensalter) und auch die Lebensarbeitszeit werden. "Je mehr Berufserfahrung in Jahren professionelle Helfer/Innen aufweisen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, an einer PTB zu erkranken."11

Wichtige protektive Einflußfaktoren für Notfallhelfer/Innen sind:

- Gewisses Maß an Kontrollierbarkeit/Vorhersehbarkeit von erschütternden Ereignissen Für beide Faktoren erweisen sich frühzeitige Trainingsprogramme im Rahmen der Ausbildung für den Katastrophenfall als nützlich.
- Adaptiver "Coping-Style" (Bewältigungsstrategie)

Er verweist auf die Auseinandersetzung der Notfallhelfer/Innen mit den auftretenden Stressoren und belastenden Situationen. Grob unterschieden neigen Helfer/Innen mit einem aktiven Stil dazu, sowohl während als auch nach einer Notfallsituation primär aktiv handelnd zu reagieren. Sie suchen nach Lösungen, gehen eine Konfrontation mit dem Umfeld und sich selbst ein. Betroffene mit diesem Bewältigungsstil begegnen dem traumatischen Erlebnis mit persönlicher Offenheit. Sie reden bzw. schreiben über ihre Gefühle und verbessern damit ihre subjektive Befindlichkeit. Dagegen zeichnet sich der passive Stil dadurch aus, der direkten Konfrontation aus dem Wege zu gehen und endet oft in einem emotionalen Rückzug. Betroffene, die zu dieser Strategie neigen, betrinken sich oder treten unvermittelt ihren Urlaub an.

Die Frage, welche der Strategien in belastenden Situationen effektiv wirkt oder nicht, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Eine Mischung aus mehreren Bewältigungsstilen erscheint sinnvoll, so gilt eine passive Vermeidung kurz nach einem erschütternden Ereignis durchaus als förderlich.

"Entscheidend sind Vielfalt und Flexibilität der Coping-Strategien, während einseitige Festlegung auf eine an sich nützliche Taktik die Wirksamkeit vermindert.12

- Soziale (emotionale) Unterstützung

Mindestens über eine Person zu verfügen, die an einen denkt, einem zuhört, einem emotional beisteht und die eigenen Gefühle nicht verurteilt, gilt als wichtigster Puffer gegen Streß und psychische Störungen. Alleinstehende Helfer/Innen, aber auch Verheiratete, die in ihrer Ehe einsam sind, müssen daher ebenfalls als Gefährdete für das Erleben eines Psychotraumas gesehen werden. Für Notfallhelfer/Innen ist der Erfahrungsaustausch mit den Kolleg/Innen in der Regel eine wichtige Unterstützung in ihrem Beruf. "Dabei ist jedoch zu beachten, das unangebrachte Witze oder eine nicht-einfühlende Bemerkung seitens eines Kollegen oder Vorgesetzten nach einem belastenden Einsatz zu einer sekundären Victimisierung (d.h. zum zweiten Mal Opfer werden) führen können."13Humor stellt für einige Menschen zwar eine Möglichkeit dar, mit einer schwierigen Situation umzugehen; was jedoch komisch und was nicht (mehr) komisch ist, bleibt eine persönliche Angelegenheit.

- Kohärenzsinn

“Der Kohärenzsinn drückt die Fähigkeit aus, das Geschehen geistig einzuordnen, verstehen und ihm einen Sinn geben zu können."14Besonders die Notfallhelfer/Innen mit einer gut ausgebildeten, innerpersönlichen Hilfsquelle dieser Art verfügen aufgrund ihres Weltverständnisses und ihrer Intuition über gute Fähigkeiten zur Prognose von Ereignissen und Verhaltensweisen.

Neben den in diesem Kapitel aufgeführten Schutzfaktoren können weitere "reife" Abwehrmechanismen wie Altruismus und Sublimation, eine gefestigte religiöse Orientierung, aber auch eine überdurchschnittliche Intelligenz den Betroffenen helfen, ihre traumatischen Erfahrungen besser in ihr Leben zu integrieren. Eine entscheidende Rolle in der langfristigen traumatisierenden Wirkung eines Stressors spielt die individuelle Anpassungsleistung eines Menschen . Dabei sind Alter und Entwicklungsstand, aber auch bereits gemachte belastende oder gar traumatisierte Erfahrungen bedeutende Kriterien.

3. Definition von Psychotraumata

Am Anfang dieses Kapitels steht zunächst folgende Frage: Was ist ein Psychotraumata? Umgangssprachlich wird der Begriff Trauma (ähnlich wie das Wort Streß) sowohl für etwas außerhalb der Person (das Ereignis), als auch für die psychische Reaktion darauf verwendet: "Er hat ein Trauma erlebt" (vgl. "Er hat viel Streß am Arbeitsplatz") und "Sie hat ein Trauma davongetragen" (vgl. "Sie steckt total im Streß").

Ein Psychotrauma bedeutet in erster Linie eine Verletzung der Seele eines Menschen (griechisches Wort Trauma = Wunde), in der Mehrzahl durch eine Erfahrung hervorgerufen, die außerhalb des üblichen menschlichen Erlebens liegt. "Menschen, die als Opfer von schlimmen Unfällen, Gewalttaten oder Drohungen schwere Schrecken erlitten, die um ihr Leben, das Leben von Mitmenschen oder ihre seelische oder körperliche Unversehrtheit große Angst hatten, erlebten eine folgenreiche Grenzüberschreitung ihrer Unversehrtheit, die sich in die bewußte und unbewußte Erinnerung dieser Menschen eingravieren kann: Die sogenannte seelische Traumatisierung."15Dieser seelische Schmerz kann von manchen Menschen nicht mehr in der ihnen gewohnten Weise bewältigt werden.

Bei einer Betrachtung der zahlreichen wissenschaftlichen Traumadefinitionen fällt auf, daß das Gefühl der direkten Bedrohung des Lebens und der körperlichen Integrität zwar im Mittelpunkt steht, jedoch nicht die einzige Dimension einer Gefährdung ist. "Das amerikanische Klassifizierungssystem DSM-IV beschreibt Traumen als potentielle oder reale Todesbedrohungen, ernsthafte Verletzung oder eine Bedrohung der körperlichen Versehrtheit bei sich oder anderen, auf die mit intensiver Furcht, Schrecken oder Hilflosigkeit reagiert wird."16Mittlerweile wird zwischen Traumata unterschieden, die direkt als Opfer erlebt wurden und solchen, die z.B. von professionellen Notfallhelfer/Innen beobachtet wurden oder von denen Personen, z.B. Angehörige, gehört haben. Die bisher nahezu ignorierten Notfalleinsatzkräfte, in ihren Berufen traumatischem Streß jeglicher Art ausgesetzt, finden damit endlich Beachtung in Fachkreisen, wenn es um die Berücksichtigung traumagefährdeter Menschen geht.

Die Wissenschaftler Fischer/ Riedesser definieren ein psychisches Trauma als ein "vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt."17Sie heben die Bedeutung eines zentralen traumatischen Situationsschemas hervor, das sich aus der Verzahnung von objektiven Gegebenheiten und subjektiver Bedeutungszuschreibung auf dem Hintergrund der persönlichen Lebensgeschichte herausbildet. Als entscheidend gilt dabei die Relation von Ereignis und erlebendem Subjekt, sowie dessen Beziehung zur Umwelt.

Eine weitere Orientierung bieten die entsprechenden Passagen der beiden Klassifizierungssysteme ICD-10 (Anwendung im europäischen Gesundheitswesen) und DSM-IV (Verwendung als Diagnosemanual). So werden die zeitlich unmittelbaren psychischen Folgen nach einem traumatischen Ereignis entgegen einer weitläufigen Meinung nicht als posttraumatische Belastungsstörung, sondern zunächst als akute Belastungsreaktion (ICD-10: F 43.0) oder akute Belastungsstörung (DSM-IV: 308.3) diagnostiziert.

Der ICD-10-Schlüssel legt dabei trotz einer prinzipiellen Übereinstimmung mit dem DSM-Manual eine stärkere Betonung auf die unmittelbare Reaktion einer traumatisierten Person. "Die akute Belastungsreaktion wird als vorübergehende Störung gesehen, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche psychische oder physische Belastung entwickelt, und die im allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt."18Die Symptomatik zeigt typischerweise ein gemischtes und wechselndes Bild, beginnend mit einer Art "Betäubung", Desorientiertheit und einer Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten. In den meisten Fällen folgen dann ein Unruhezustand, einhergehend mit vegetativen Zeichen panischer Angst wie einer Tachykardie, Schwitzen oder Erröten. Eine akute Belastungsreaktion und eine posttraumatische Belastungsstörung weisen dieselben Symptome auf, der große Unterschied liegt in der Dauer der Beschwerden. "Im DSM-IV wird heute die akute Belastungsstörung (Acute Stress Disorder - ASD), die innerhalb eines Monats dignostiziert werden kann, von der posttraumatischen Belastungsstörung (Posttraumatic Stress Disorder - PTSD) unterschieden, die definitionsgemäß erst nach Ablauf eines Monats nach dem traumatischen Ereignis diagnostiziert werden kann."19Sie wird in diesem System zu den Angststörungen gerechnet, obwohl in der Regel eine äußere Verursachung vorliegt.

Posttraumatische Belastungsstörung (DSM-IV 309.81)

A. Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die beiden folgenden Kriterien vorhanden waren:

(1) Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit beinhalteten.
(2) Die Reaktion der Person umfaßte intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen (subjektive Bedeutung eines Stressors).

B. Das traumatische Ereignis wird beharrlich auf mindestens eine der folgenden Weisen wiedererlebt:

(1) Wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis, die Bilder, Gedanken oder Wahrnehmungen umfassen können.
(2) Wiederkehrende, belastende Träume von dem Ereignis.
(3) Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt, in Form von Illusionen oder dissoziativen Flashback-Episoden.

Diese Phänomene des Wiedererlebens nennt man auch Intrusionen, weil die Betroffenen sie als unwillkürlich, eindringlich und belastend erleben.

(4) Intensive psychische Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern.

(5) Körperliche Reaktionen bei der Konfrontation ... (siehe oben). Was dabei alles als Auslöser wirken kann, ist bei jeder Person verschieden und kann sowohl äußere wie auch innere Reize umfassen.

C. Anhaltende Vermeidungsreaktionen, die mit dem Trauma verbunden sind oder eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität. Mindestens drei der folgenden Symptome liegen vor:

(1) bewußtes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen (innere Auslöser),
(2) bewußtes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma hervorrufen (äußere Auslöser),
(3) Unfähigkeit, einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern, auch psychogene Amnesie genannt,
(4) deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten, oft als ein In-Sich-Zurückziehen gedeutet,
(5) Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen (Isolierung),
(6) eingeschränkte Bandbreite des Affekts (Gefühl eines emotionalen Abstumpfens),
(7) Gefühl einer eingeschränkten Zukunft.

D. Anhaltende Symptome erhöhten Arousals (Veränderung des Erregungsniveaus, oft auch Hyperarousal genannt). Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor:

(1) Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen,
(2) Reizbarkeit oder Wutausbrüche,
(3) Konzentrationsschwierigkeiten,
(4) übermäßige Wachsamkeit (Hypervigalenz),
(5) übertriebene Schreckreaktion (ständig auf dem Sprung).

E. Das Störungsbild dauert länger als einen Monat (d.h. das auslösende Ereignis geschah vor mindestens einem Monat).

F. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leidensdruck oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.

Bestimme ob: Akut: Wenn die Symptome weniger als drei Monate andauern.

Chronisch: Wenn die Symptome mehr als drei Monate andauern.

Von einem verzögerten Beginn kann man ausgehen, wenn die Symptome mindestens sechs Monate nach dem Belastungsfaktor beginnen.

(Quelle: Saß, H./ Wittchen, H.U. u.a. Dignostische Kriterien-DSM-IV, S. 189-191)

Die beiden Klassifizierungssysteme erfordern unterschiedliche Symptomzahlen zur Fest- legung der Diagnose, wobei das ICD-System etwas weniger strikt verfährt. Die posttraumatische Belastungsstörung wird dort unter F 43.1 der Gruppe der Belastungsstörungen, wie auch die akute Belastungsreaktion und verschiedene Anpassungsstörungen, zugeordnet, jedoch trotz weitgehender Übereinstimmung etwas weniger spezifiziert dargestellt. "Die ICD-10 nennt intrusive Phänomene als Leitsymptom, während Ver- meidung und erhöhter Erregbarkeit eine geringere Rolle zugeschrieben wird."20

Diese Vergabe der PTB-Diagnose erscheint zumindest unter dem Aspekt sinnvoll, das nicht alle traumatisierten Menschen ein "ausreichendes" Vermeidungsverhalten zeigen. Der ICD-Schlüssel geht bei einem chronischen Verlauf von einem Übergang in eine Persönlichkeitsstörung (F 62.0) aus.

Die Traumatologen G.Fischer/P.Riedesser schlagen für die geschilderte Symptomkonstellation gar die Bezeichnung basales psychotraumatisches Belastungssyndrom vor. "Wir halten die Vorsilbe posttraumatisch für zweifelhaft, da sie eine Gleichsetzung von Trauma und traumatischem Ereignis suggeriert, während Trauma nach unserem Verständnis eher einen prozessualen Verlauf nahelegt. Das Trauma ist nicht vorbei, wenn die traumatische Situation oder das traumatische Ereignis vorüber ist. "21Eine traumatische Erfahrung ist als ein dynamischer Verlauf mit Phasen der traumatischen Situation, der traumatogenen Reaktion und des traumatischen Prozesses zu sehen.

3.1. Typologie traumatisierender Situationen

"Als traumatisierend gelten nach dem DSM-IV Ereignisse, die vorher außerhalb der Erfahrungen des betroffenen Menschen lagen, die sehr belastend sind und eine Bedrohung des eigenen Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit signalisieren."22Nach wissenschaftlichen Kriterien lassen sich derzeit folgende Extremsituationen/-ereignisse als potentiell traumatisierend kennzeichnen:

1.) Außergewöhnliche Situationen als direkte Bedrohungen.

Hiermit ist ein erschütterndes Ereignis als existentielle Erfahrung verbunden mit einer Bedrohung des eigenen Lebens oder der körperlichen Integrität gemeint. Für Einsatzkräfte droht Gefahr z.B. durch den Einsturz von Gebäuden und Brücken, durch Explosionen sowie mögliche Vergiftungen durch chemische oder toxische Stoffe.

2.) Außergewöhnliche Situationen als indirekte Bedrohungen.

Situationen, die mit erschreckenden und grotesken Wahrnehmungen einhergehen, z.B. der Anblick von grausamer Gewalt wie Verstümmlungen, des Sterbens eines Menschen auf gewaltvolle Weise oder entstellter Leichen lagen vorher in der Regel außerhalb des Erfahrungs- und Denkhorizontes des betroffenen Individuums. "Zeuge eines solchen Ereignisses zu werden gilt ebenso als traumatische Erfahrung, wie von einem solchen Geschehnis zu erfahren, ohne unmittelbar Zeuge gewesen zu sein, wenn es sich um nahestehende Personen handelt, z.B. Familienmitglieder, die betroffen waren."23Vor allem mit Bezug auf Katastrophenhelfer/Innen wurde der Begriff der vicariierenden (stellvertretenden) Traumatisierung entwickelt, um die emotionale Belastung zu bezeichnen, der diese oft ausgesetzt sind.

3.) Extremsituationen mit Grenzüberschreitungen der individuellen Belastbarkeit.

Nicht eine reale Bedrohung der Existenz, sondern Überlastreaktionen, die für viele betroffene Menschen lediglich "normale" kritische Lebensereignisse bedeuten, werden als zu hoch und bedrohlich empfunden. Der traumatisierte Mensch erhält den Eindruck, er bewältige die für ihn übermächtige Lage nicht mehr und fühlt sich als Versager.

4.) Erlebte Hilflosigkeit.

Der Mensch erlebt diesen Zustand der situativen Ohnmächtigkeit, wenn gegen persönliche Bedrohungen nichts unternommen werden kann, aber auch, wenn dem Leiden anderer Menschen zugesehen werden muß, ohne eingreifen zu können. Hierbei trägt eine zeitliche Ausdehnung des Unglücks zum Gefühl der eigenen Handlungsunfähigkeit der Notfallhelfer/Innen bei.

In allen Fällen erkennt das Individuum eine existentielle Notlage, die als fremdgesteuert empfunden wird.

"So besteht in allen vier Situationen aus der subjektiven Situationsbewertung des Betroffenen heraus keine Möglichkeit mehr, zur Sicherung der eigenen Existenz und der inneren Balance in das Geschehen einzugreifen."24

Da es fast unmöglich ist, eine vollständige Liste traumatisierender Ereignisse zusammenzustellen, möchte ich mich auf einige extrem belastende Situationen im beruflichen Alltag der Notfallhelfer/innen beschränken:

- Katastrophen (natürliche oder vom Menschen verursachte),
- Infektion oder Beinah-Infektion mit dem HIV- oder Hepatitis-B-Erreger,
- Schwere Verkehrsunfälle, insbesondere wenn Kinder oder mehrere Opfer beteiligt sind,
- Bergung von verbrannten Leichen oder Leichenteilen,
- Plötzliche Konfrontation mit dem Tod, u.a. nach Suiziden,
- Physische Aggression (Gewaltdelikte wie Raubüberfälle).

Als besonders streßreich und pathogen werden Einsatzsituationen bezeichnet, auf die folgende Charakteristika zutreffen: Unkontrollierbarkeit, Unvorhersagbarkeit, Mehrdeutigkeit und die Antizipation negativer Konsequenzen.

Dabei können sowohl einmalige erschütternde Vorkomnisse in Form einer Monotraumatisierung (Typ-I-Trauma) als auch sich längerfristig hinziehende Umstände wie eine Polytraumatisierung (Typ-II-Trauma) die natürlichen Abwehrbarrieren der Menschen brechen und posttraumatische Langzeitwirkungen auslösen. Auf Dauer können viele scheinbar "kleine" Geschehen entweder simultan oder sukzessiv wirken und gegenseitig ihre Auswirkung auf die betroffene Person erhöhen. "Der Begriff des kumulativen Traumas bezeichnet eine Abfolge von traumatischen Ereignissen oder Umständen, die jedes für sich subliminal (unterschwellig) bleiben können, in ihrer zeitlichen Abfolge und Häufung jedoch die restitutiven Kräfte des Ich so sehr schwächen, daß insgesamt eine oft sogar schwer traumatische Verlaufsgestalt entsteht."25

3.2. Traumaverlauf: Psychische Reaktionen - während und nach Extrem belastungssituationen

Nicht jeder traumatisierte Mensch entwickelt eine posttraumatische Belastungsstörung. Neben dem traumatischen Ereignis spielen psychologische, biologische und soziale Faktoren (siehe Kap.2) eine Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Störung. In den meisten Fällen treten die charakteristischen Symptome sofort oder innerhalb weniger Tage nach dem Traumazeitpunkt oder -zeitraum auf. Der verzögerte Beginn nach symptomfreien Monaten oder Jahren gilt eher als Ausnahme. "Während und unmittelbar nach einem traumatischen Ereignis reagiert praktisch jede(r) mit Schrecken, Erschütterung und Entsetzen."26

Der natürliche und als dynamischer Prozeß zu betrachtende Traumaverlauf ist durch die folgenden drei Phasen gekennzeichnet.

1.) Schockphase: "In den unmittelbaren Stunden und Tagen nach einem Trauma herrschen oft psychische Schock- oder akute Belastungszustände vor."27Symptome wie eine bleiche Hautfarbe, eine schnelle und flache Atmung oder ein Zittern der Beine sind deutliche Zeichen des akuten Schockzustandes. Die Betroffenen können nicht glauben, was passiert ist (Verleugnung), wirken verwirrt, oder glauben, sich an einem anderen Ort zu befinden (Desorientierung). In dieser Phase sind medizinische Erste-Hilfe-Maßnahmen zur Beruhigung und Kreislaufregulierung unerläßlich.
2.) Einwirkungsphase: "Sie beginnt einige Zeit nach dem Ereignis und kann bis zu zwei Wochen dauern."28Obwohl die stärkste Erregung bereits abgeklungen ist, sind die betroffenen Menschen von dem traumatischen Ereignis innerlich völlig in Anspruch genommen, es ist von zentraler Bedeutung. In dieser Phase kommt es zur Herausbildung der für ein Psychotrauma so charakteristischen Hauptsymptome, den Schlafstörungen, einer Übererregbarkeit/ Überwachheit, den Alpträumen/Flashbacks und

Nacherinnerungen. Neben Reaktionen wie Selbstzweifel, Ohnmachtsgefühlen oder gar Selbstanklagen können jedoch im Wechsel damit ungewöhnlich aggressive Wutanfälle und heftige Vorwürfe wie Beleidigungen oder Beschimpfungen gegenüber den Vorgesetzten/Funktionsträgern auftreten, seien die Klagen nun berechtigt oder nicht. Aber bereits zu diesem Zeitpunkt deutet ein im verstärkten Maße auftretendes dissoziatives Erleben auf eine erschwerte Anpassung hin. Eine traumatische Erfahrung ist dadurch gekennzeichnet, daß das Ich in seiner Fähigkeit, Reize von innen oder außen zu verarbeiten, vorübergehend oder längerfristig gestört ist. Besonders destabilisierend wirkt sich dabei eine massive körperliche Grenzverletzung, z.B. eine Vergewaltigung, aus. "Das Selbst wird dann überflutet von Wahrnehmungskonfusion, Affektstürmen und katastrophischen Empfindung, von Ich-Fragmentierung und Selbstauflösung."29Mittels der Dissoziation als Bewältigungsmechanismus versucht der traumatisierte

Mensch, bereits während oder unmittelbar nach dem Ereignis, durch bestimmte Gedanken und Einstellungen die furchtbare Erinnerung abzuspalten, um die normale Relation zur übrigen Persönlichkeit zu verlieren. Die Fähigkeit zur sogenannten Depersonalisierung durch eine (induzierte) Dissoziation ermöglichte z.B. den KZ-Opfern, durch eine Flucht in die Phantasie die unerträgliche Realität zu verlassen und sich wie bei einem Selbstrettungsversuch aus der Situation herauszukatapultieren. "Im besten Fall entsteht ein emotionsloses, dissoziertes Funktionieren (monitoring), bei dem alles, was sich im Kör- per an Empfindungen abspielt, nur am Rande wahrgenommen wird."30Sollten die dissoziativen Ausweichstrategien allerdings fehlschlagen, kann unter Umständen ein inaktives Nichtwahrnehmen der Realität den Menschen verändern: "Es geht mir gut" oder "Ich bin nicht in Gefahr". Die anhaltende Vermeidung von Gedanken, Reizen und Aktionen, die auch nur entfernt an das Traumaereignis erinnern, stellen letztlich auch einen Versuch dar, sich den beiden anderen Hauptsymptomen, der erhöhten Übererregung (Hyperarousal) und den Wiedererlebensreaktionen (Intrusionen) zu entziehen. Bei vielen traumatisierten Menschen manifestiert sich ein Cocktail mehrerer Einzelbeschwerden. Gerade die scheinbar im Widerspruch stehenden Hauptsymptome der überwältigenden Intrusionen und ausbleibenden Emotionen (Dissoziation, Vermeidung) erfahren die

Betroffenen nicht gleichzeitig, sondern abwechselnd. Sie bilden den Kern des Psychotraumas. "Die traumatisierte Person wird fortwährend zwischen dem einen Extrem totalen Wiedererlebens und dem anderen Extrem völliger Verleugnung hin- und hergerissen."31Intrusives Wiedererleben kann durch vielfältige Reize und Situationen ausgelöst werden, häufig in Form visueller Art (Alpträume, Flashbacks oder Nachhallerinnerungen), seltener durch Gedanken. Die meisten Traumatisierten erleben die schrecklichen Szenen des traumatischen Vorfalls als rekurrente (unkontrollierbare) Überflutung. Sie wachen nachts schweißgebadet auf und empfinden die Bilder als Wiederholung ihrer gemachten, realen Erfahrung. "Die Betroffenen haben keine Sperrvorrichtung gegen die auch tagsüber hereinbrechenden Erinnerungsbilder, sind ihnen starr und hilflos ausgeliefert."32Manchmal kommen auch nur Bruchstücke wieder hoch, die mit dem Ereignis offenbar in keinem Zusammenhang stehen. Die Reaktionen auf die traumatische Erfahrung lassen sich insgesamt in folgende Symptomgruppen unterscheiden:

- Auswirkungen auf der Gefühlsebene, u.a. durch Depressionen, Angst oder Wut und Schuldgefühle,
- Auffälligkeiten auf der kognitiven Ebene wie Selbstzweifel, Teilnahmslosigkeit oder Hadern mit religiösen Anschauungen,
- Auswirkungen auf der Verhaltensebene z.B. durch Intoleranz oder Substanzmißbrauch,
- körperliche (somatische) Auffälligkeiten wie Schock, Herzrasen, Schlaf- und Eßstörungen.

3.) Erholungsphase: Im Idealfall beginnen sich die traumatisierten Menschen nach ca. vier Wochen von dem einschneidenden Ereignis zu erholen, die Dauererregung sinkt ab. Wenn die Energien wieder frei sind, haben die Menschen wieder Interesse an ihrem vorherigen "normalen" Leben, denken über die Vergangenheit nach oder schmieden positive Zukunftspläne. "Kommen weitere erschreckende Nachrichten oder belastende

Lebensumstände hinzu, so verzögert sich die Erholungsphase und kann sogar gänzlich ausbleiben."33

[...]


1 Vgl. Miesen, Jana ( 1999 ): "Posttraumatisches Syndrom". S. 12

2 Vgl. Buijssen, Huub ( 1997 ): Wenn der Beruf zum Alptraum wird. S. 64

3 Vgl Wagner, Dieter ( 1999 ): "Primäre und sekundäre Posttraumatische Belastungsstörung." S. 34

4 Vgl. Buchmann, Knud Eicke ( 1999 ): Beratung. S. 85

5 Vgl. Hermanutz, Max ( 2000 ): Trauma - Opfer oder Helden? S. 5

6 Vgl. Fischer, G./Riedesser,P. ( 1998 ): Lehrbuch der Psychotraumatologie. S. 132

7 Vgl. Butollo, W./Hagl,M./Krüsmann,M. ( 1999 ): Kreativität und Destruktion ...; S. 118

8 Vgl. Hermanutz, Max ( 2000 ): Trauma - Opfer oder Helden? S. 119

9 Vgl. Butollo, W./Hagl, M./Krüsmann, M. ( 1999 ): Kreativität und Destruktion... S. 120

10 Vgl. Wagner, Dieter ( 2000): Wirkfaktoren der Prävention... S. 205

11 Vgl. Wagner, Dieter ( 2000 ): Wirkfaktoren der Prävention... S. 206

12 Vgl. Fischer, G./Riedesser, P. ( 1998 ): Lehrbuch der Psychotraumatologie. S. 139

13 Vgl. Buijssen, Huub ( 1997 ): Wenn der Beruf zum Alptraum wird. S. 96

14 Vgl. Maercker, Andreas ( 1997 ): Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen. S. 35

15 Vgl. Rupp, Manuel ( 1996 ): Notfall Seele: Methodik und Praxis... S.151

16 Vgl. Maercker, Andreas ( 1997 ): Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen. S. 5

17 Vgl. Fischer, G./ Riedesser, P. ( 1998 ): Lehrbuch der Psychotraumatologie. S. 79

18 Vgl. Dilling, H./Mombour, W./ Schmidt, M.H. ( Hrsg. ); ( 2000 ), Internationale Klassifikation... S. 168

19 Vgl. Butollo, W. / Hagl, M./ Krüsmann, M. ( 1999 ): Kreativität und Destruktion... S. 25

20 Vgl. Butollo, W./ Hagl, M./ Krüsmann, M. ( 1999 ): Kreativität und Destruktion... S. 37

21 Vgl. Fischer, G./ Riedesser, P. ( 1998 ): Lehrbuch der Psychotraumatologie. S. 44

22 Vgl. Buchmann, K.E./ Hermanutz, M. ( 1996 ): Trauma und Katastrophe. S. 39

23 Vgl. Butollo, W./ Hagl, M./ Krüsmann, M. ( 1999 ): Kreativität und Destruktion... S. 28

24 Vgl. Buchmann, K.E./ Hermanutz, M. ( 1996 ): Trauma und Katastrophe. S. 41

25 Vgl. Fischer, G./ Riedesser, P. ( 1998 ): Lehrbuch der Psychotraumatologie. S. 124

26 Vgl. Butollo, W./ Hagl, M./ Krüsmann, M. ( 1999 ): Kreativität und Destruktion S. 73

27 Vgl. Maercker, Andreas ( 1997 ): Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen. S. 23

28 Vgl. Fischer, G./ Riedesser, P. ( 1998 ): Lehrbuch der Psychotraumatologie. S. 143

29 Vgl. Sachsse, U. ( 1996 ): "Die traumatisierte therapeutische Beziehung." S. 355

30 Vgl. Perren-Klingler, G. ( 1995 ): Trauma: Vom Schrecken des Einzelnen... S. 20

31 Vgl. Buijssen, Huub ( 1997 ): Wenn der Beruf zum Alptraum wird. S. 88

32 Vgl. Saum-Aldehoff, Th. ( 1995 ): "Sieben Jahre Ramstein - Die höchstmögliche Erschütterung". S. 27

33 Vgl. Fischer, G. ( 2000 ): Neue Wege aus dem Trauma. S. 28

Final del extracto de 94 páginas

Detalles

Título
Menschen mit Psychotraumen im Beruf - Möglichkeiten sozialarbeiterischer Intervention
Universidad
Niederrhein University of Applied Sciences Mönchengladbach  (Sozialwesen)
Calificación
1,7
Autor
Año
2002
Páginas
94
No. de catálogo
V22073
ISBN (Ebook)
9783638255080
Tamaño de fichero
673 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Menschen, Psychotraumen, Beruf, Möglichkeiten, Intervention
Citar trabajo
Andre Halberkamp (Autor), 2002, Menschen mit Psychotraumen im Beruf - Möglichkeiten sozialarbeiterischer Intervention, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22073

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