Wie wird Kritik in Casting Shows medial inszeniert? Zur Praxis performativer Wandlungsprozesse


Mémoire (de fin d'études), 2008

88 Pages, Note: 1


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 ”Reality TV“ in einer liberalen Gesellschaft
2.1 Die Begrifflichkeiten eines ”jungen“ Fernsehgenres
2.1.1 Richtungsweisende Gedanken zur Funktion und Bedeutung des ”Reality TV“
2.2 Die Entgrenzung von O¨ ffentlichkeit und Privatheit durch das ”Reality TV“
2.3 Das tragende Thema der ”Talk Shows“
2.3.1 ”Daily Talk“ als moralischer Diskurs
2.3.2 ”Suffering“ und ”Change“ als grundlegende Thematik der ”Talk Shows“
2.4 Beziehungsshows und die ¨offentliche Darstellung von ”Liebe“
2.4.1 Die mediale Darstellung von ”Gl¨uck“
2.5 ”Big Brother“ und die Darstellung von Allt¨aglichkeit

3 Der wissenschaftliche Diskurs der ”Casting Shows“
3.1 Forschungsrelevante Anmerkungen zu den ”Casting Shows“
3.2 ”Casting Shows“ als Spiegel der Leistungsgesellschaft
3.3 Identifikationsangebote der ”Casting Shows“ f¨ur die Rezipienten
3.4 Weitere Aspekte der ”Casting Shows“

4 Forschungsdesign und Methode der Datenerhebung
4.1 Forschungsinteresse und Forschungsfrage
4.2 Qualitativer Forschungsansatz: Grounded Theory
4.2.1 Der methodische Ansatz
4.2.2 Die Ad¨aquatheit der Grounded Theory f¨ur den Forschungsgegenstand
4.3 Die methodische Forschungsarbeit
4.3.1 Die Kernkategorien der Bewertungsszenen der ”Casting Shows“

5 Die mediale Darstellung von Kritik innerhalb der ”Casting Shows“
5.1 Differenzierte Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes ”Casting Show“
5.2 Die Aus¨ubung von Kritik als asymmetrische Interaktionsordnung
5.2.1 Die Disziplinierung der K¨orper zur Aufnahme der Kritik
5.2.2 Musik anstelle sprachlicher Reaktionen auf Kritik
5.2.3 Die Ausformung eines asymmetrischen Beziehungsgeflechts
5.3 Die Charakterisierung der sprachlichen Form der Kritik
5.4 Die performative Konstruktion von Person und Pers¨onlichkeit

6 Diskussion: Kritik als Instrument einesWandlungsprozesses
6.1 Wandlungsprozess ohne Steuerungsm¨oglichkeit durch das Selbst
6.2 Die Kritik ist der Wandel
6.3 Die Akzeptanz der Asymmetrie
6.4 Der Lerneffekt fur das kommunikative Handeln in Kritiksituationen

7 Fazit: Unproblematische Form der Kritik

Abk¨urzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Literatur

Anhang

1 Einleitung

Seit im Jahr 2000 die erste Staffel de, haben die ”Popstars“imdeutschenFernsehenausgestrahltwur- ”CastingShows“ihrenSiegeszugdurchdasPrivatfernsehen,aberauchin den öffentlich rechtlichen Programmen angetreten. Neben hierzulande noch Casting-Formate wie ”Popstars“(ProSieben)entstanden ”DeutschlandsuchtdenSuperstar“(RTL), ”Musical Showstar 2008“ (ZDF), ”Starsearch“(Sat1),undvielemehr.DieKritikerdiesesFernsehfor- mates sehen diesen Erfolg auf dem Voyeurismus der Rezipienten begründet, so schreibt die Zeit Online: ”DasRezeptisteinfach:DasPublikumdarfseinenVoyeurismusvordemFern- sehgerät ausleben, und die Kandidaten lockt das Versprechen von der schillernden Musikkar- riere.“1 Doch ist die Annahme in dieser Einfachheit haltbar? Ein weiterer häufig geäußerter Kritikpunkt an Formaten wie dem der ”CastingShow“istder,dasssiedieGrenzenzwi- schen ÖffentlichkeitundPrivatheit auflösen (vgl. Reichertz/Fromm 2002, S. 78). Emotionen und Intimität erscheinen nun vor einem Millionenpublikum, gehörten sie doch im bisherigen Verständnis in die Privatsphäre.

Gegen kritische Stimmen solcher Art muss folgende Perspektive gesetzt werden: Die Le- benswelt des Einzelnen2 gestaltet sich immer unübersichtlicher. Dies zwingt den Akteur da- zu, sich neuen kulturellen Ressourcen zuzuwenden, die ihm Handlungsorientierungen für seinen Alltag liefern. Hierzu zählt ebenfalls das Fernsehen mit der ihm eigenen Kultur und den kulturellen Praktiken, die es vermittelt (vgl. Iványi/Reichertz 2002, S. 9). Aus dieser Perspektive heraus gilt es sich, anzusehen, welche Handlungsressourcen durch Formate, wie dem der ”CastingShow“,zurVerfügunggestelltwerden.Ebendiesmachtsichdiehiervor- liegende Arbeit zur Aufgabe, zu zeigen, welches prägende Element innerhalb der Casting- Formate sichtbar und somit als Handlungsorientierung für den Alltag der Rezipienten nutzbar wird.

Dabei wird es zu Beginn darum gehen, zu zeigen, wie die bisherige Forschung diese Hand- lungsorientierungen innerhalb anderer Formate des Genres ”RealityTV“identifizierthat und wie sich diese Art der Sendungsformate zu einer liberal orientierten Gesellschaft ver- halten. Ebenso werden die Besonderheiten dieser Genrefamilie aufgezeigt. Hierfür werden Forschungsarbeiten zu ”TalkShows“, ”Beziehungsshows“undzum ”BigBrother“-Format herangezogen. Anschließend wird anhand des aktuellen wissenschaftlichen Diskurses zu den ”CastingShows“derenkulturelleRahmung,inVerbindungmitunterschiedlichenFor- schungsperspektiven, kenntlich gemacht werden.

Im darauf folgenden Teil der Arbeit wird die Methodik zur Erhebung der Daten ausgeführt, worauf die Darstellung der empirischen Ergebnisse erfolgt. Hierbei wird sichtbar werden, wie das prägende Element als erscheint.

”Kritik“innerhalbder ”CastingShows“anhanddesDatenmateri-

Im letzten Teil der Arbeit wird es darum gehen, die strukturellen Besonderheiten medial dargestellter Kritik aufzuzeigen und zusammenzufassen, um dann heraus zu kristallisieren, welche Form der Kritik erkennbar wird und wie diese für das kommunikative Handeln der Rezipienten im Alltag relevant werden kann. Somit erscheint eine durch mediale Darstel- lung beeinflusste Form der Kritik, die abschließend diskutiert wird. Dem folgt ein Fazit, innerhalb dessen die wichtigsten Ergebnisse der Studie nochmals zusammengefasst werden.

Zusätzlich erfolgt ein Ausblick auf zukünftige Forschungsmöglichkeiten im Bereich der sting Shows“ und des ”Ca- ”RealityTV“.

2 Die ”RealityTV“ineinerliberalenGesellschaft

”CastingShows“,diedasThemadieserArbeitdarstellen,gehörenzueinemFernseh- genre, das mit dem Oberbegriff ”RealityTV“bezeichnetwird.DiesesspezielleGenrevon Fernsehformaten weist gegenüber anderen gewisse Besonderheiten auf, die für die vorliegen- de Forschungsarbeit maßgeblich sind. Daher gilt es, sich in diesem Kapitel damit auseinander zu setzen, worin diese Besonderheiten bestehen und welche Diversität an Fernsehformaten in diesem Bereich vorhanden ist, allerdings können dabei nur die prominentesten berücksichtigt werden. Es wird dabei deutlich werden, wie jedes einzelne Sendungsformat auch seine ei- gene Thematik aufweist, die sich von anderen unterscheidet und welche gesellschaftlichen Strukturen, die für das kommunikative Handeln relevant sind, dabei sichtbar werden.

2.1 Die Begrifflichkeiten eines ”jungen“Fernsehgenres

Bevor es möglich ist, tiefer und eingehender in die Besonderheiten und Sendungsbereiche des ”RealityTV“einzudringen,musszuerstgeklärtwerden,wasmanunterdieserBegriff- lichkeit genau zu verstehen hat. Der Beginn des ”RealityTV“wirdinden1990ernundden Jahren 2000 aufwärts datiert (vgl. Hill 2007, S. 2 und Huff 2006, S. 11). Diese Datierung bezieht sich zwar auf den englischsprachigen Fernsehmarkt, kann aber für den deutschen annähernd identisch gesetzt werden.

Der Begriff ”RealityTV“istnichtdereinzige,derfürdiesebestimmteArtvonFernsehfor- maten - die im Folgenden noch näher erläutert werden sollen - geprägt wurde. Im englischen Raum existiert daneben noch der Begriff des ”FactualTV“bzw. ”FactualEntertainment“, während im deutschsprachigen Raum die Begriffe des oder ”performativenRealitätsfernsehens“ ”Affektfernsehens“geprägtwurden. ”RealityTV“stelltindieserReihedenallumfas- sendsten Begriff dar, der eine große Spannweite an Fernsehformaten umfasst, in denen ”rea- le“ Menschen auf den Bühnen agieren (vgl. Hill 2007, S. 2). Diese Fernsehformate bewe- gen sich in einer Zwischenwelt von Information und Unterhaltung sowie Dokumentation und Drama (ebd., S. 2). Des Weiteren kann zu der Bestimmung dieser Formate hinzugefügt werden, dass diese ”[...]mitunterschiedlicheninszenatorischenMittelneineDramatisie- rung alltäglicher Ereignisse oder Themen sowohl mit wirklichen als auch mit Schauspielern verfolgen“ (Göttlich in: Döveling/Mikos/Nieland 2007b, S. 9). Der Effekt dieser Alltagsdra- matisierung mit Privatleuten als Protagonisten ist, dass die Grenzen zwischen Faktizität und Fiktion, als auch ÖffentlichkeitundPrivatheitverschwimmen (vgl. Döveling/Mikos/Nieland 2007b, S. 9).

Weitere Kennzeichen dieser ”Realigufig prominent ist, eine Inszenierung mit Live-Charakter und ein persönlicher Kom- munikationsstil, der sehr stark an der Alltagskommunikation ausgerichtet ist (vgl. Fromm 1999, S. 361). Das Besondere an dieser Art des Fernsehformats ist also vor allem, dass in ihnen reale Menschen handeln und so gut wie keine fiktiven Protagonisten (vgl. Iványi/ Reichertz 2002, S. 25). Dies beinhaltet dann im Weiteren auch, dass alles, was in den Sen- dungen passiert, für die dort auftretenden Menschen reale Handlungsfolgen birgt, die auch nach der Sendung ihre Gültigkeit nicht verlieren (ebd., S. 26). Erklärbar ist dies darüber, dass innerhalb dieser Formate die gesellschaftlichen Normen gelten und die dort agierenden Akteure die Situation innerhalb der Sendung als real definieren (ebd., S. 26).

”DasPrimäre solcher Shows ist, dass es dort zu (teilweise sehr weitreichenden) Handlungen kommt, die bei den Akteuren und den Beobachtern Affekte auslösen.“ (Iványi/Reichertz 2002, S. 26). Daher bietet sich als schlüssigste Begriffsdefinition für die hier interessierenden Fernseh- formate - vor allem die ”CastingShow“alsForschungsgegenstanddieserArbeit-dievon Keppler an. Diese unterscheidet das ”RealityTV“inein ”narrativesRealitätsfernsehen“,da- mit sind vor allem Sendungen angesprochen, die in der Vergangenheit liegende Ereignisse oder Katastrophen reinszenieren und ein ”performativesRealitätsfernsehen“,das,wieRei- chertz es auch fasst, direkte Handlungsfolgen für den Alltag der Akteure birgt (vgl. Keppler in: Klaus/Lücke 2003, S. 198). Denn ”performativ“verweistdarauf,dassdieSprechhandlun- gen, also das kommunikative Handeln in diesen Sendungen des ”RealityTV“auchgleich- zeitig zur Vollziehung von Handlungen führen. Dies meint, dass allein durch das Äußern einer bestimmten Absicht gleichzeitig eine tatsächliche Handlung herbeiführt wird. So löst zum Beispiel die sprachlich geäußerte Vergebung den Tatbestand der Vergebung aus, der nicht einfach nach einer solchen Sendung zurückgenommen werden kann, sondern seine Gültigkeit behält (vgl. Iványi/Reichertz 2002, S. 26).

Weiterhin kommt dem Begriff der ”Authentizität“fürdas ”performativeRealitätsfernsehen“ eine besondere Bedeutung zu. Dies liegt darin begründet, dass, wie oben schon ausgeführt, reale Menschen innerhalb dieser Fernsehformate handeln. Daraus folgt für die Zuschauerper- spektive, dass die Sendungen des ”RealityTV“undihreProtagonistennachihremAuthen- tizitätsgehalt beurteilt werden (vgl. Hill 2007, S. 57). Authentizität meint in diesem Zusam- menhang, ”dassesumdenwünschenswertenAusdruckdesInnens(desGefühls,derStim- mung, der Meinung) am >Außen des Körpers< (in Gestik, Mimik und Sprache) geht“ (Rei- chertz/Fromm 2002, S. 94), der dabei dem wahrhaftigen Innen entsprechen soll. Dies meint, dass sich Emotionen, ohne von dem Akteur selbst bewusst hinterfragt worden zu sein, direkt und spontan zeigen und damit als glaubhaft gelten können (ebd., S. 96). Für Realitätsformate wie ”BigBrother“istebendieseGlaubhaftigkeitessentiell,daihreProtagonistenvonder Öffentlichkeit danach beurteilt werden (ebd., S. 97). Dies hängt damit zusammen, dass die Kandidaten bei dieser Art des Fernsehformates eben sich selbst darstellen sollen, ihre Reaktionen und ihre Handlungen in der Show, also ihrem alltäglichen Handeln Eins-zu-eins gleichen sollen (vgl. Kurotschka 2007, S. 131).

Um die Besonderheit dieser Fernsehformate noch einmal auf den Punkt bringen zu können, kann festgehalten werden: ”Reality-TV-dasbeinhaltetgenaudie[...]Erfahrungeinerwi- dersprüchlichen Einheit von Künstlichem und Wirklichkeit, von Inszenierung und Leben, von Fiktivem und Faktischem, von Performation und Dokumentation, schließlich auch von Beson- derem und Alltäglichem“ (Kästner in: Klaus 2008, S. 157). Für die sich dabei der Begriff des ”CastingShows“bewährt ”performativenRealitätsfernsehens“,dadieserspeziellfürSen- dungsformate zugeschnitten ist, deren Inszenierungen nicht Eins-zu-eins dem Alltäglichen entsprechen, die aber reale Handlungsfolgen für die dort auftretenden nicht-prominenten Protagonisten bergen (vgl. Klaus/Lücke 2003, S. 199).

2.1.1 Richtungsweisende Gedanken zur Funktion und Bedeutung des ”RealityTV“

Die Frage, die sich der aktuelle wissenschaftliche Diskurs zu den Reality-Formaten stellt, ist die, welche Auswirkungen die Darstellung von Alltäglichem und alltagsnaher Kommu- nikation auf die Rezipienten und ihr kommunikatives bzw. soziales Handeln hat. So weist zum Beispiel Udo Göttlich darauf hin, dass zu diesen Formaten durch die Mediensoziologie ”Landkarten“erarbeitetwerdenmüssten,dieesermöglichen,dieFunktionunddieBedeu- tung solcher Alltagsrepräsentationen zu entschlüsseln (vgl. Göttlich 2008, S. 143). Einen weiteren Hinweis in diese Richtung liefert Tanja Thomas mit der Feststellung, dass jedwede mediale Kommunikation auch die Funktion hat, entsprechende Sinnorientierungen zu liefern (vgl. Thomas 2008, S. 22). Des Weiteren fügt sie hinzu, dass Medien den Zugang zu kul- turellen Praktiken ermöglichen, über die dann wiederum Orientierungen und Sinngebungen für das Alltagshandeln rezipiert werden (ebd., S. 32). Darüberhinaus hält sich der Ansatz, dass die Medien bzw. das Fernsehen der Verbreitung von gesellschaftlichen Wertvorstellun- gen dienen (vgl. Reichertz 2007b, S. 54). Dabei herrscht die Auffassung, dass gerade die Medien die Wertvorstellungen jeglicher Kultur, die in dieser Welt vorhanden ist, der breiten Masse zur Verfügung stellt (ebd., S. 50). Dies scheint damit verbunden zu sein, dass gerade die Massenmedien dem Rezipienten erlauben, an kommunikativen Handlungen teilzuhaben oder Informationen zu erhalten, die ihm ansonsten verschlossen geblieben wären (McLuhan und Meyrowitz in: Reichertz/Fromm 2002, S. 78).

Weiterhin besteht die Annahme, dass die Rezipienten von Medieninhalten sich mit dem Dar- gestellten identifizieren und darüber hinaus über die medialen Kommunikationsinhalte ihr Bild von der Umwelt, in der sie handeln, stabilisieren (vgl. Hunziker 1996, S. 7-8). Die Begründung hierfür liefert eine immer komplexer werdende Umwelt, die es dem einzelnen nicht mehr ermöglicht, über persönliche Kontakte jedwede nötig werdende Information für das kommunikative Handeln im Alltag zu erhalten (ebd., S. 10). Reichertz unterstützt die- sen Gedanken, in dem er darauf verweist, dass das Medium Fernsehen Orientierungen für Sinnbildung, Identitätskonstruktion und Handlungsentwürfe des einzelnen Akteurs liefert, der sich vor eine immer unübersichtlichere Welt gestellt sieht (vgl. Reichertz/Fromm 2002, S. 9).

Im Folgenden sollen diese Gedanken zu Medien und im spezielleren zum die bestehende Forschung zu einzelnen ”RealityTV“über ”RealityTV“-Formatengefestigtundvertieftwer- den, um dann zeigen zu können, wie die Casting Shows und ihr prägendes Element für das kommunikative Alltagshandeln relevant werden können.

2.2 Die Entgrenzung von Öffentlichkeit und Privatheit durch das ”RealityTV“

”RealityTV“,wieesimoberenAbschnittbeschriebenwurde,führt,aufgrundseinerVeröff- entlichung von privaten und intimen Inhalten, zu einer Irritation eines liberal orientierten Verständnisses von Öffentlichkeit und Privatheit. Denn die Trennung von der Privatsphäre und der öffentlichen Sphäre, wie sie im Bürgertum des 18. und 19. Jahrhunderts entstand und so auch die liberale Gesellschaftform prägt, wird von diesen Fernsehformaten vordergründig verflüssigt (vgl. Illouz 2003b, S. 114). Das Verständnis einer liberal orientierten Öffentlichkeit und eines öffentlichen Diskurses beinhaltet vor allem Vernunft, die Idee des besseren Arguments, aus dem sich die öffentliche Meinung bildet, und Rationalität (vgl. Habermas 1990, S. 119). Des Weiteren stehen bei dieser Vorstellung von ÖffentlichkeitThemen im Vordergrund, welche die allgemeinen An- gelegenheiten betreffen und sich eben nicht auf persönliche und intime Problematiken oder Konflikte konzentrieren (vgl. Illouz 2003b, S. 114).

”DerbürgerlicheIdealtypussahvor, daß sich aus der wohlbegründeten Intimsphäre der publikumsbezogenen Subjektivität eine literarische Öffentlichkeit herausbildete“ (Habermas 1990, S. 250). Gerade die Massenme- dien führen nun aber laut Habermas dazu, dass ein ehemals räsonierendes öffentliches Pu- blikum sich zu einem rein kulturkonsumierenden Publikum transformiert. Ein Medium wie das Fernsehen reduziert sein Publikum allein auf das Hören und Sehen und verweigert ihm jegliche mündliche Partizipation, die es ihm ermöglichen würde, sich zu den Medieninhalten zu äußern (vgl. Habermas 1990, S. 261). Öffentlichkeit verkommt zu der Sphäre der Publi- zierung privater Biographien (ebd., S. 262). Dabei räumt Habermas allerdings ein, dass sich gerade Medien wie das Fernsehen ”[...]alsAdressatenfürpersönlicheNöteundSchwierig- keiten, als Autoritäten der Lebenshilfe [...]“ (ebd., S. 263), empfehlen. Allerdings wandelt sich das frühere Räsonnement der Privatleute durch die Massenmedien zu einem Programmpunkt und verliert darüber seine ehemals publizistische Funktion (ebd., S. 253) und leitet dadurch auch nicht mehr zum öffentlichen Nutzen der Vernunft an (ebd., S. 260).

An diesem Punkt setzt Eva Illouz mit ihrer Forschungsarbeit zu ”TalkShows“an.Sieräumt in dieser ein, ganz im Sinne Habermas, dass ein performatives Realitätsfernsehformat, wie die ”TalkShow“natürlichvordergründigdieIdeeeinerliberalenGesellschaftadabsurdum führt. Denn zum einen verflüssigt sich in den ”TalkShows“dieTrennungvonöffentlicher Sphäre und Privatsphäre, da sie intime Geschichten einzelner Protagonisten veröffentlicht (vgl. Illouz 2003b, S. 114). Und zum anderen irritiert die in der Öffentlichkeit dargestellte Emotionalität in jeder vorstellbaren Form, da der liberale Gedanke im Gegensatz dazu von Rationalität in der öffentlichen Sphäre ausgeht (ebd., S. 115). Illouz schlägt daraufhin aller- dings vor, ein Fernsehformat wie die ”TalkShow“nichtnachderVorstellungeinerliberalen Gesellschaft zu bemessen, die von einer klaren Trennung von öffentlich und privat und ei- nem bürgerlichen Räsonnement ausgeht, sondern zuerst zu betrachten, um was es wirklich in solchen Formaten geht (ebd., S. 120-121). Daher soll nun anhand der aktuellen Forschung zum performativen Realitätsfernsehen gezeigt werden, wie sich dies realisieren lässt.

2.3 Das tragende Thema der

Das Hauptthema der ”TalkShows“ ”TalkShows“sindprivateEinzelschicksaledes ”einfachenMenschen“ von Nebenan (vgl. Fromm 1999, S. 20-21). Dabei zeichnet sich dieses Fernsehformat durch private Inhalte und eine realitätsnahe Kommunikationssituation aus, die ihm auch den An- schein des Intimen verleihen (ebd., S. 21). ”EineIntimisierungwirdhiervornehmlichinder emotionalen Inszenierung und damit im Kommunikationsstil selbst vorgeführt“ (ebd., S. 22). Die Themenbandbreite innerhalb der ”TalkShows“istdabeisehrweitgestreut,obPaar- beziehungen, familiäre Problematiken, Berufliches, etc.; die ”TalkShow“befasstsichmit jedweder Alltagsproblematik, die vorstellbar scheint. Dabei werden auch so genannte Tabu- themen wie zum Beispiel Sexualität, psychische Probleme und Straftaten nicht ausgelassen (vgl. Bente/Fromm 1997, S. 321). Die unprominenten Talk-Teilnehmer, der ihnen eigene pri- vate Kommunikationsstil und ein anwesendes Studiopublikum führen des Weiteren bei die- sem Format des performativen Realitätsfernsehens zu einem starken Live-Charakter für den Zuschauer (vgl. Fromm 1999, S. 23). ”DieDaily-TalksenthaltensomitvieleElementeder alltäglichen zwischenmenschlichen Kommunikation“ (ebd., S. 23). Und dies, obwohl Tabu- bereiche der Gesellschaft in die öffentliche Sphäre über die werden. Darüberhinaus geben ”TalkShow“hineingetragen ”TalkShows“deneneineStimme,diezuvoramöffentlichen Diskurs nicht teilnehmen konnten und verändern zusätzlich die Form des Diskurses, da nun eben Themen in der Öffentlichkeit diskutiert werden, die vorher nicht zur Sprache kommen durften (vgl. Mikos 2007, S. 23). Dabei geht es immer wieder darum, eine diskursorische Auseinandersetzung über das ”gutenLeben“zupraktizieren(ebd.,S.23).

Eine der differenziertesten Arbeiten zu der Thematik der ”TalkShows“liefertEvaIllouz, die sich sowohl allgemein mit diesem Format des performativen Realitätsfernsehens ausein- ander gesetzt hat, als auch die ”OprahWinfreyShow“,alsprominentesteSendungdieses Formats in den USA, genauestens auf deren Inhalte und Wirkungen hin analysiert hat. Die- se Forschungsarbeit soll nun im Folgenden genauer betrachtet werden, da sie auch für die vorliegende wissenschaftliche Arbeit zu den ”CastingShows“denAusgangspunktliefert. Illouz beschäftigt sich dabei in ihren Arbeiten vor allem damit, das eigentliche Thema der ”DailyTalks“unddessenRelevanzfürdenAkteurundseinenAlltagimkulturellenKontext aufzudecken.

2.3.1 ”DailyTalk“ als moralischer Diskurs

Obwohl ”TalkShows“demliberalenVerständnisvonÖffentlichkeitwidersprechen,wieoben schon allgemein für die performativen Realitätsformate des Fernsehens angeführt wurde, stellen sie doch eine neue Form des Diskurses zur Verfügung, nämlich den, über Emotio- nalität, als kulturellen Kode, die Normen und Werte alltäglicher Beziehungen zu diskutieren (vgl. Illouz 2003b, S. 129). Dabei erscheint Sprache oder besser kommunikatives Handeln als zentrales Motiv dieses Fernsehformats (ebd., S. 131). Es trägt damit den Glauben der liberalistischen Idee - den an den öffentlichen Diskurs - in eine Sphäre hinein, die in einer liberalen Gesellschaft davon ausgeschlossen bliebe, nämlich die des Intimen (ebd., S. 131).

An dieser Stelle gilt es, sich die Idee Habermas’ bewusst zu machen, in der er davon aus- geht, dass in der spätmodernen Gesellschaft die sprachliche Verständigung über Normen und Werte extreme Wichtigkeit erlangt, da die ehemals festen Regeln für die Koordinierung von Handlungen in sich zusammengefallen sind (Habermas in: Illouz 2003b, S. 131-132). So bleibt dem Individuum nur die sprachliche Verständigung mit anderen, um seine Handlungen zu koordinieren. Somit steht Sprache und kommunikatives Handeln in der Spätmoderne für eine stabile normative Ordnung (Habermas in: Illouz 2003b, S. 131-132). Genau hier haken die ”Talk Shows“ mit ihrer Darstellung eines ¨offentlichen Diskurses und ihrem sprachli- chen Definiertsein ein. Denn sie stellen genau das dar, was für die Moderne grundlegend ist, nämlich dass zwischenmenschliche Beziehungen mit und durch Sprache bzw. kommunikati- ves Handeln vermittelt werden (Habermas in: Illouz 2003b, S. 131-132). ”Itisthecommuni- cative competence, or the ability to argue about the nature and the limits of our commitments to each other, that is the topic of talk shows“ (Illouz 2003b, S. 135). Illouz Auffassung nach zielen somit genau ”TalkShows“daraufab,zuzeigen,wiewichtigdieRegelungeinesge- genseitigen Austauschs ist und wie darüber unterschiedliche Meinungen wieder integriert werden können (ebd., S. 136). Dabei stellt es kein Problem dar, dass die öffentliche und die private Sphäre einander angenähert werden, denn darüber wird den Rezipienten nur gezeigt, dass fast uneingeschränkt jede Problematik, sei sie intimer oder öffentlicher Natur, zu einem Thema des öffentlichen Diskurses werden kann (ebd., S. 137-138) ”Talkshowsthusseemto be a sort of popular and populist discourse of theodicy, a discourse trying to explain, ra- tionalize, and come to terms with forms of pain that seem increasingly difficult to legitimize and account for“ (ebd., S. 142). Es kann also festgehalten werden, dass ”TalkShows“den Rezipienten eine bestimmte Form des öffentlichen Diskurses vermitteln, der sich für diese in ihr kommunikatives Alltagshandeln überführen lässt.

2.3.2 ”Suffering“ und ”Change“ als grundlegende Thematik der ”Talk Shows“

Die weiteren thematischen Schwerpunkte der weisen, sind die des ”TalkShows“,dieeinehoheRelevanzauf- ”suffering“und ”change“3.DiesebeidenKategoriender ”DailyTalks“ hängen dabei eng zusammen, denn die erzählerische Darstellung von ”suffering“einerPer- son geschieht nur in der moralischen Absicht, eine erzählerische Auflösung im finden (vgl. Illouz 2003a, S. 126). Die Show an sich fungiert dabei als ein ”change“zu ”agentofchange“4, denn innerhalb einer Folge einer ”TalkShow“wirddasSelbst,verstandenalseineformbare Einheit, verändert (ebd., S. 129). Dieser ”change“einesSelbstwirdperformativhergestellt, und zwar allein über das Erzählen und Darstellen von ”suffering“(ebd.,S.129). ”Change“ kann dabei ganz unterschiedliche Problematiken der Person betreffen, sei es das Aussehen, die Gesundheit oder Paarbeziehungen, etc. (ebd., S. 130).

”Allofthesehavebecomeobjects of advice and domains in which one is instructed to transform one‘s life“ (ebd., S. 130). Diese Darstellung von ”change“,seiernunkörperlichoderseelisch,stelltinjederHinsicht die erzählerische Lösung der gezeigten Konflikte dar, so dass die erzählte Geschichte einer Person noch innerhalb der Sendung eine für den Zuschauer befriedigende Auflösung und gleichzeitig der moralische Aspekt seine Erfüllung erfährt, und zwar die Entschädigung ei- ner verletzten Person (ebd., S. 130). ”Theshow‘spleasurederivesfromtheinstantaneous transformation - physical or psychic - [...]“ (ebd., S. 130).

Somit erscheint der zweite thematische Schwerpunkt der ”DailyTalks“derzusein,dass das Leben oder das Selbst einer Person jederzeit dargestellt und verändert werden kann und dies im Fall einer auftretenden privaten Problematik auch sollte. Diese ”Selbstheilung“stellt dabei aber keine kulturelle Neuerung dar, sondern ist nur eine neue Form von Ritual, wie es in jeder Kultur zur Darstellung und Veränderung des Selbst schon existent ist (ebd., S. 149). Somit greift ein Sendeformat wie das der ”TalkShow“nurinschonbestehendekultu- relle Gegebenheiten ein und verändert diese durch eine mediale Darstellung derselben. Illouz drückt dies noch differenzierter aus, in dem sie darauf verweist, dass ”Accordingtothisana- lysis, popular texts are likely to be those texts that encode problematic and demanding social conditions“ (Illouz 2003a, S. 61)5. Somit werden sie für das Alltagshandeln der Rezipienten im jeweiligen kulturellen Kontext relevant.

Neben dem ”RealityTV“-Formatder ”TalkShows“existierenauchnochweitereSendun- gen, die diese Definition für sich in Anspruch nehmen können. Dies sind zum einen die ”Beziehungsshows“, ”BigBrother“undderGegenstanddieserForschungsarbeit,die ”Ca- sting Shows“. Jedes dieser Fernsehformate spricht seine eigene Thematik an, die für das kommunikative Alltagshandeln eine Relevanz aufweist. Im Folgenden wird dies an den Beziehungsshows weiterhin verdeutlicht werden.

2.4 Beziehungsshows und die öffentliche Darstellung von

Die so genannten Beziehungsshows stellen ein weiteres Format des ”Liebe“ ”RealityTV“oderper- formativen Realitätsfernsehens dar. In ihnen werden ähnlich den ”TalkShows“intimeBe- ziehungen thematisiert, allerdings nur eine bestimmte Form dieser, die Paarbeziehungen. In Sendungen wie ”NurdieLiebezählt“oder ”Traumhochzeit“gestehensichPaarevorei- nem Millionenpublikum ihre Liebe, versöhnen sich, finden einen Partner und heiraten. Die- ses Fernsehformat hat damit schon während der Entstehung einer Sendung einen Einfluss auf das weitere ”reale“LebenseinerTeilnehmer(vgl.Fromm1999,S.25).Somitkommt es auch hier, durch die Darstellung intimer Begebenheiten, zu einer Versetzung der Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit (ebd., S. 26). Diese Grenzverschiebung findet, wie bei den anderen Formaten dieses Genres auch, ihren Ausdruck wiederum in den Vorwürfen des praktizierten Exhibitionismus, Voyeurismus, etc., die dem performativen Realitätsfernsehens von allen Seiten entgegen hallt (vgl. Iványi/Reichertz 2002, S. 27).

Jo Reichertz, der sich eingehend mit dem Format der Beziehungsshows in seinen Forschungs- arbeiten beschäftigt hat, findet für die Darstellung intimer Beziehungen im Medium Fernse- hen folgende Erklärung: Das Zustandekommen von intimen Paarbeziehungen und die damit verbundenen Praktiken stehen immer in Verbindung mit dem kulturellen Fundament einer Gesellschaft. Des Weiteren kann diese Kultur einer Gesellschaft nicht allein auf interaktio- nale Aushandlungsprozesse zurückgeführt, sondern muss ebenso durch mediale Darstellung immer wieder der allgemeinen Diskussion über kulturelle Praktiken zugeführt werden (vgl. Iványi/Reichertz 2002, S. 32). Somit muss auch ”Liebe“,alseinekulturellePraxis,immer wieder dargestellt werden, um zu sichern, dass das Vorhandensein eines solchen Gefühls auch für das Gegenüber und die Gesellschaft sichtbar wird. Andernfalls verbleibt dieses Gefühl allein bei dem, der ”Liebe“empfindetundverhindertsomitdenBeginneinerPaar- beziehung (ebd., S. 32-33). Reichertz stellt sich nun in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit ”Beziehungsshows“dieDarstellungvon ”Liebe“verändern,dasmeint,inwieweit sie auf die Alltagspraxis der Darstellung von Liebe einwirken (ebd., S. 33).

Ausgehend von der Feststellung, dass für die Darstellung von ”Liebe“immerschonMe- dien in den unterschiedlichsten Formen genutzt wurden, z. B. Romane, Briefe, Zeitungen, etc., wird nun auch das Fernsehen ein Ort, an dem Gefühle ausgedrückt bzw. dargestellt werden können (ebd., S. 46-49). Reichertz bezieht sich dabei auf die Sendungen Liebe zählt“ und ”Nurdie ”Traumhochzeit“,dieesPaarenermöglichen,dass ”[...](fast)alleStatio- nen einer Liebeskarriere in Szene gesetzt und bearbeitet [...]“ (Iványi/Reichertz 2002, S. 49) werden können. Allerdings werden in diesen Sendungen die eigenen Gefühle nicht mehr nur für ein Gegenüber, den Partner, inszeniert, sondern auch für das anwesende Publikum, sei es im Studio oder vor den Fernsehbildschirmen (ebd., S. 49). Dies führt zu einer Theatra- lisierung der Darstellung von ”Liebe“.Diesmeint,dasseineInszenierungvorliegt,diesich nicht mehr allein auf das Erreichen eines instrumentellen Ziels bezieht, sondern immer das anwesende Publikum miteinbezieht (ebd., S. 44). Hiermit wird nicht nur ein Fakt benannt, sondern eine Notwendigkeit der medialen Darstellung von Liebe. Denn ”Menschen,diezu zweit allein sind, und wissen, dass sie dabei von Zuschauern beobachtet werden, reagieren auf den beobachtenden Blick der Zuschauer mit einer weiteren Typisierung: sie typisieren die Typisierung ihrer Handlung“ (Iványi/Reichertz 2002, S. 45). Somit wird ersichtlich, dass die Handlungen nicht nur für ein direktes Gegenüber erkennbar gemacht werden müssen, sondern auch für ein Publikum, das dabei gewollt anwesend ist. Reichertz weist daraufhin, dass dabei beide Zielrichtungen für die theatrale Inszenierung von Handlungen maßgebend sind, da ansonsten keine Theatralisierung vorliegt (ebd., S. 45). Des Weiteren müssen ge- sellschaftliche Darstellungsmuster verwendet werden, die dann von den Zuschauern erkannt bzw. der entsprechenden Handlung zugeordnet werden können (vgl. Reichertz 2007a, S. 37- 38).

Somit kann festgehalten werden, dass ”Liebe“inihrermedialenDarstellungeineTheatra- lisierung erfährt, sich aber natürlich auch auf gesellschaftliche Vorstellungen von Liebe be- zieht. Dieses Reflektieren von Liebesdarstellungen durch das Medium einer Fernsehsendung scheint dann auch wiederum Einfluss auf die gesellschaftliche Vorstellung von ”Liebe“und deren Sichtbarmachung zu haben, die dann wiederum in den Alltag eingebunden wird. Rei- chertz fasst dies folgendermaßen zusammen: ”Manchessprichtalsodafür,dasssichmitder Theatralisierung der Liebesoffenbarung hinter dem Rücken der Beteiligten eine gesellschaftliche Sicht etabliert hat, welche ‘Liebe’ nicht mehr bzw. nicht mehr allein daran misst, wie rein und wie tief sie im Inneren des liebenden Individuums gründet, sondern daran, was Liebende bereit sind, füreinander unter den Augen der Öffentlichkeit zu tun bzw. zu geben“ (Iványi/Reichertz 2002, S. 54).

2.4.1 Die mediale Darstellung von

”Glück“ Auch die mediale Darstellung von Glück übt eine Wirkung auf die gesellschaftlichen Vorstel- lungen von einem ”glücklichenMenschen“aus.Dasheißt,sieverweistdarauf,wiesichein Individuum verhalten muss, damit es von den anderen Gesellschaftsmitgliedern als erkannt wird und auf der anderen Seite beurteilen kann, zu welchem Zeitpunkt es ”glücklich“ ”glücklich sein“ darf (vgl. Reichertz 2007a, S. 100). Das Argument für den Bedarf an einer medialen Darstellung von ”Glück“wirdhierinderInstinktarmutdesMenschengesehen,derdurch diese in seinem Alltag immer wieder zu Entscheidungen zwischen unterschiedlichen Hand- lungsoptionen gezwungen ist (ebd., S. 102). Hierfür benötigt das Individuum ein bestimmtes Wissen um die gesellschaftlich geltenden Glücksvorstellungen, die wiederum von den Me- dien verbreitet werden (ebd., S. 104). Die Medien, also auch das Medium Fernsehen, fungie- ren in diesem Zusammenhang als Lernhilfen für die Rezipienten, die über sie in Erfahrung bringen, wie eine gesellschaftlich angemessene Darstellung von Glück funktioniert (ebd., S. 109). Doch auch hier führen die Medien dazu, dass ähnlich der ”Glück“ineinenDarstellungszwang, ”Liebe“,verfällt,wasmeint,dassGlücksichanseinerTheatralisierung,also öffentlichen Darstellung bemisst (ebd., S. 111).

Es kann in diesem Rahmen also festgehalten werden, dass für Gefühle wie auch ”Liebe“oder ”Glück“überihreDarstellungindenMedienHandlungsorientierungenfürdenAk- teur in seinem alltäglichen kommunikativen Handeln geschaffen werden. Somit erhält der Einzelne sein Wissen über bestimmte gesellschaftliche Praktiken und den dazugehörigen Handlungsmustern aus den Massenmedien oder im engeren aus dem Medium Fernsehen.

2.5 ”Big Brother“ und die Darstellung von Allt¨aglichkeit

Ein weiteres Format, das sich hier einreihen lässt, ist

”BigBrother“,eineSendung,inder

eine Gruppe von Menschen eine bestimmte Zeit in einem

”Container“6 verbringtundda bei vierundzwanzig Stunden unter Beobachtung steht. Innerhalb dieses Sendeformats kann man den ”Insassen“ des Containers bei jeglicher k¨orperlicher und allt¨aglicher Verrichtung zusehen, egal, wie banal oder auch intim diese auf den ersten Blick wirken mögen (vgl. Schicha 2000, S. 78). Es wird ein Alltag inszeniert, den die Kandidaten dann einhundert Ta- ge lang vor einem Fernsehpublikum öffentlich leben (vgl. Mikos 2000, S. 165). Dabei sind die einzigen erlaubten Kommunikationsmittel der Kandidaten im Haus die Mündlichkeit und die Körperlichkeit, als diejenigen Kommunikationsmedien, die von den beobachtenden Zu- schauern und der Fernsehkamera direkt wahrgenommen werden können (vgl. Stäheli 2000, S. 71).

Auch ”BigBrother“wurdehäufigdafürkritisiert,dassdortIntimesder Öffentlichkeit zu- geführt würde und dadurch die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichenverschwimmen (vgl. Reichertz/Fromm 2002, S. 78). Im Gegensatz allerdings zu den ”TalkShows”,dieeben- so alltägliche intime Themen auf den Bildschirm projizieren, geschieht dies bei ”BigBrother“ in der Form eines Spiels, bei dem es darum geht, an dessen Ende viel Geld in Verbindung mit symbolischem Kapital zu gewinnen (vgl. Willems 2000, S. 25). Dieser Gewinn lässt sich dabei für die Kandidaten nur erreichen, wenn sie bei den Zuschauern einen hohen Beliebt- heitsgrad erlangen, denn diese entscheiden im Verlauf der Sendung über Sieg und Niederla- ge. Dies führt zu einer proportionalen Verknüpfung von Kapitalgewinn und positivem Image, denn mit steigender positiver Wahrnehmung eines Kandidaten durch die Zuschauer steigen auch dessen Chancen auf den Gewinn (ebd., S. 25-26). Dies bringt die Kandidaten dazu, in- nerhalb des Containers stets an ihrem äußeren Eindruck arbeiten zu müssen, um für sich ein positives Ergebnis zu erreichen (ebd., S. 28). Dabei steht, wie auch bei anderen Formaten des performativen Realitätsfernsehens, die ”Natürlichkeit“bzw. ”Authentizität“derTeilnehmer bei ihrem Verhalten und den täglichen Verrichtungen im Vordergrund, die dabei auch gleich- zeitig den Eindruck von echtem Alltag bei den Rezipienten produziert (ebd., S. 29). Und ebenso werden die ”wirklichen“PersonendiesesperformativenFormatsdadurcherkennbar, dass für sie reale Handlungsfolgen über die Sendung hinaus entstehen, also nach Ablauf des Spiels viel Geld und symbolisches Kapital zu besitzen oder nicht (ebd., S. 35).

Der mögliche Reiz dieses ”RealityTV-Formats“fürdieZuschauerliegtdabeiimVerglei- chen des eigenen Lebens mit dem dargestellten Alltag der Kandidaten im ”BigBrother- Container“. Das heißt, sie können den eigenen Alltag damit in Verbindung setzen und sich für diesen mögliche Handlungsmuster herausziehen (vgl. Willems 2000, S. 34). ”WasBig Brother bietet, ist also ein Laborexperiment, das, indem es auf verschiedene Weise Theatralität herunter- und hinaufmoduliert, Sinn- und (damit) Affektangebote macht, die das Publikum gebrauchen kann“ (ebd., S. 35).

Ein weiterer Ansatz ist der, dass ein Format, wie es ”BigBrother“darstellt,daraufverweist, dass durch gesellschaftliche Differenzierung eine Vereinzelung der Individuen hervorgerufen wird, das heißt, dass die ehemalige Identifikation mit Mitmenschen aus dem näheren Umfeld des Einzelnen dadurch ersetzt wird, dass nun Fernsehprotagonisten als Identifikationsobjekt fungieren (vgl. Schicha 2000, S. 88-89). Thomas Sudholt geht bei diesem Format weiterhin davon aus, dass es die Wertediskussion im Alltag der Menschen erweitert. Er vertritt dabei die These, dass nicht mehr die Eliten einer Gesellschaft alleine das definieren, was als wahr, schön und gut gilt, sondern dass dies ein tägliches Thema des Fernsehens darstellt (vgl. Sud- holt 2001, S. 123). Diese über das Fernsehen vermittelten Gespräche, wie sie im Format ”BigBrother“stattfinden,haltendannEinzugindieGesprächedesAlltags,alsoeineForm der Populärkultur, die den Wertepluralismus unterstützt (ebd., S. 123-124). Dabei bieten sich wiederum die Charaktere im ”BigBrother-Container“durchihreeigenen,überdasMedium Fernsehen transportierten Wertvorstellungen, Lebensstile und Verrichtungen ihres ”Alltags“ für junge Menschen als Orientierungsobjekte für deren eigene Lebensentwürfe an (ebd., S. 124). Dies gilt laut Sudholt auch für andere performative Fernsehformate.

In einem anderen Beitrag zu dem Sendeformat dass es sich um eine Art ”BigBrother“wirdergänzendhinzugefügt, ”Infotainment“7 handelt,beidemdieZuschaueralltäglicheHand- lungsabläufe und Probleme betrachten können (vgl. Götz 2001, S. 145). ”Angesichtsder glänzenden und auf Außergewöhnliches gerichteten Bilderwelt bietet sich bei ‘Big Brother’ die Chance, den Blick wieder auf den eigenen grauen Alltag zu lenken“ (ebd., S. 153). So- mit erlaubt es das Format, andere Menschen und deren Verhaltensweisen zu studieren und sie je nach Bedarf in die eigene Alltagswelt einzubinden. Daher kann gesagt werden, dass ”BigBrother“Schablonenfür ”Identitätsarbeit“undgleichzeitig-wieauchdie ”TalkShows“ (siehe 2.3) - einen Diskurs über das ”guteLeben“liefert(vgl.Mikos2000,S.166).

Es kann also anhand der bisher besprochenen performativen Realitätsformate festgehalten werden, dass jedes Sendeformat innerhalb dieses Genres eine eigene Thematik bedient, die für das kommunikative Handeln im Alltag relevant wird. So leiten ”TalkShows“,wieEva Illouz dies in ihrer Forschungsarbeit deutlich machte, zu einer neuen Form des öffentlichen Diskurses an, in dem auch intime Inhalte eine Rolle spielen und zeigen auf der anderen Seite die Funktion eines ”agentofchange“,dersichtbarmacht,wiedie ”Selbstheilung“einesIn- dividuums herbeigeführt wird. Die ”Beziehungsshows“wie ”Traumhochzeit“oder ”Nurdie Liebe zählt“, wie sie Jo Reichertz eingehender untersucht hat, liefern Handlungsorientierun- gen zum Thema ”Liebe“,und ”BigBrother“stelltallgemeinereSchablonenzurBewältigung des Alltags eines Individuums zur Verfügung. Somit erhellt sich anhand der bisherigen For- schung zu einem performativen Realitätsfernsehen immer mehr der Eindruck, dass diese Sen- dungen für das Alltagshandeln der Rezipienten eine Relevanz aufweisen. Um sich nun der Thematik der ”CastingShows“schonimAnsatznähernzukönnen,sollimfolgendenKapitel der bisherige wissenschaftliche Diskurs zu diesem Format eingehend beleuchtet werden.

3 Der wissenschaftliche Diskurs der ”CastingShows“

Das Format der ”CastingShows“ ”CastingShow“wurdeimbisherigenwissenschaftlichenDiskursausun- terschiedlichen Perspektiven heraus untersucht. Vorab kann zu diesem Format festgehalten werden, dass es dem Zuschauer Einblicke in das Musikgeschäft und den dort praktizier- ten Castings gewährt und er somit annähernd direkt miterleben kann, wie Menschen diesen Castingprozess durchlaufen (vgl. Döveling/Kurotschka/Nieland 2007a, S. 104). Für die For- schung selbst können zwei Hauptströmungen herauskristallisiert werden: Zum einen der Fo- kus auf das Leistungsprinzip und zum anderen die Identifikationsangebote dieser Show für die Rezipienten. Es wurde auch ansatzweise der Frage nachgegangen, warum Jugendliche an einer ”CastingShow“teilnehmenundsichsomitdem ”harten“UrteileinerJuryausset- zen. Diese Sichtweisen auf das zu untersuchende Format werden anhand der bestehenden Forschungsarbeiten im folgenden Abschnitt dargestellt. Auffällig ist dabei, dass im Rahmen von deutschen Musik-Casting-Shows vor allem ”DeutschlandsuchtdenSuperstar“(DSDS) untersucht und das gleichermaßen populäre Format mit einbezogen wurde. ”Popstars“indenmeistenFällennicht

3.1 Forschungsrelevante Anmerkungen zu den ”CastingShows“

”CastingShows“,wie ”DeutschlandsuchtdenSuperstar“und ”PopstarsonStage“,zeichnen sich - wie alle performativen Realitätsformate - dadurch aus, dass ”[...]fiktionaleundnicht- fiktionale Erzählweisen ineinander verwoben werden“ (Kurotschka 2007, S. 117). Fernseh- shows dieser Art offenbaren dabei eine Welt, die einerseits inszeniert ist, und andererseits das Leben realer Personen darstellt (ebd., S. 120). Als ein Format des performativen Rea- litätsfernsehen greift die ”CastingShow“dabeidirektindasLebenderKandidateneinund verändert dieses auch nach Ablauf der Sendung dauerhaft (ebd., S. 143). Sendungen wie DSDS sind ”(1)eineGeschichte,die(2)imRahmeneinerLive-Showerzähltwird,inder (3) ein Spiel gespielt wird, das (4) wirkliche Folgen hat“ (ebd., S. 145). Die Kandidaten werden innerhalb dieser Sendungen dabei vor das paradoxe Problem gestellt, darzustellen, dass sie authentisch agieren (ebd., S. 145). Kurotschka hält für die ”CastingShow“DSDS fest, dass diese für die Zuschauer uneindeutig bleibt in Bezug darauf, was nun Realität und was Fiktion sei. Ebenso hält sie fest, dass die Tatsache, dass innerhalb der Sendung reale Menschen auf der Bühne stehen, dazu führt, dass die Sendung eine lebensweltliche Relevanz erhält (ebd., S. 146). Somit reihen sich die Realitätsformaten ( ”CastingShows“beidenanderenperformativen ”TalkShows“, ”BigBrother“etc.),dieeingangsbeschriebenwurden,mit ein.

In den ”CastingShows“selbstgehtesumdasSuchenundFindenneuerGesangstalenteoder auch Models ( ”Germany’snextTopmodel“),diesichinnerhalbdesAuswahlprozessesunter- schiedlichen Aufgaben stellen müssen und dabei von einer Expertenjury - und auch zum Teil von dem Fernsehpublikum selbst per Telefonvoting - ausgewählt werden. Interessant ist aller- dings, dass das Format ”CastingShow“alseinöffentlicherGesangswettbewerbnichtallzu neu auf dem Fernsehmarkt ist, denn es gab sie schon früher. Zum Beispiel - die Talentprobe für jedermann“ oder ”Werwillderkann ”Toi,toi,toi-dieerstenSchritteinsRampenlicht“, um hier nur zwei dieser älteren Formate zu nennen (vgl. Thomas 2005, S. 34, Anmerkung). Neu an Formaten, wie ”DeutschlandsuchtdenSuperstar“oder ”PopstarsonStage“,istvor allem die Vermarktung der Teilnehmer und Gewinner als Ware auf dem Musikmarkt (vgl. Reichertz 2007a, S. 94). Ebenfalls neu ist der verlängerte Prozess der Selektion, der sich meist über Wochen zieht und die dazugehörige Bewertung der Kandidaten durch eine Jury, die meist in erniedrigenden und beleidigenden Formen medial inszeniert wird (vgl. Thomas 2004, S. 198). Dabei erscheinen eben zum einen Menschen, die sich in nicht alltäglichen Situationen befinden, und zum anderen wird wiederum Alltägliches, über die der Formatfa- milie eigenen Intimisierung, Dramatisierung und Personalisierung dargestellt (vgl. Döveling 2007, S. 201). Hieraus ergibt sich auch die Forschungsperspektive, dass ”CastingShows“das Leistungsprinzip an sich reproduzieren, wie im Folgenden näher ausgeführt werden wird.

3.2 ”Casting Shows“ als Spiegel der Leistungsgesellschaft

Die ”CastingShows“wurdeninderbisherigenForschungalsdasperformativeRealitäts- format identifiziert, in dem das Prinzip der Leistungsgesellschaft reproduziert wird (vgl. Jähner 2005, S. 621). Man sieht in dieser Fernsehshow eine Art Bewerbungsgespräch, ebenso wie eine Art ”Stellenausschreibung“mit ”Massenexperiment“,indemKarrierenundderen Legitimationen nachgezeichnet werden (ebd., S. 627).

[...]


1 Die Zeit online/ Tagesspiegel (2008): http://www.zeit.de/online/2008/04/dsds vom 15.10.2008

2 Für die einfachere Lesbarkeit wird im Verlauf der Arbeit auf die Unterscheidung weiblicher und männlicher Formen verzichtet. Ausnahmen wurden nur gemacht, wenn sich direkt auf eine bestimmte Person bezogen wurde.

3 Die englischen Begrifflichkeiten, die Eva Illouz in ihrer Forschungsarbeit verwendet wurden hier absichtlich nicht ¨ubersetzt, um sie nicht durch deutsche Entsprechungen zu verf¨alschen. Im Deutschen w¨urde man hier von ”Leiden“ (= suffering) und ” A¨ nderung“ (= change) sprechen.

4 Auch hier wurde die englische Begrifflichkeit einer deutschen U¨ bersetzung vorgezogen (= ”Mittler der Ver¨anderung“).

5 Eva Illouz versteht diese performativen Realitätsformate des Fernsehens als kulturelle Texte, ähnlich früheren Volksmärchen, die durchweg problematisch gewordene soziale oder ökonomische Verhältnisse im vormodernen Europa ansprachen (vgl. Illouz 2003a, S. 60).

6 Dieser ”Container“istdasHaus,indasdieKandidatenvon ”BigBrother“einziehenunddortvierundzwanzig Stunden am Tag von Kameras beobachtet werden.

7 Mit diesem Begriff ist ein Lernprogramm für den Alltag gemeint (vgl. Götz 2001, S. 136)

Fin de l'extrait de 88 pages

Résumé des informations

Titre
Wie wird Kritik in Casting Shows medial inszeniert? Zur Praxis performativer Wandlungsprozesse
Université
LMU Munich
Note
1
Auteur
Année
2008
Pages
88
N° de catalogue
V230571
ISBN (ebook)
9783656457305
ISBN (Livre)
9783656457381
Taille d'un fichier
1199 KB
Langue
allemand
Mots clés
praxis, wandlungsprozesse, darstellung, kritik, shows
Citation du texte
Veronica Maier (Auteur), 2008, Wie wird Kritik in Casting Shows medial inszeniert? Zur Praxis performativer Wandlungsprozesse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230571

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