Randgruppen des Mittelalters am Beispiel des Henkers


Term Paper (Advanced seminar), 2012

24 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Gliederung

1. Einleitung

2. Entstehung des Berufes des Henkers

3. Unehrliche Berufe

4. Aufgaben und Pflichten

5. Bezahlung

6. Strafvollzug
6.1 Das Enthaupten
6.2 Das Hängen
6.3 Das Vierteilen
6.4 Das Lebendigbegraben
6.5 Das Verbrennen

7. Die gesellschaftliche Stellung

8. Quellen

1.Einleitung

Wenn gemeinhin an die Zeit des Mittelalters erinnert wird, ersteht vor unserem geistigen Auge eine Bühne von stolzen Burgen und Kaiserpfalzen, Kathedralen und Klöstern, Märkten und Städten, auf der sich Edle und Ritter, Bischöfe und Mönche, wohlhabende Handwerker und reiche Händler bewegen. Populärwissenschaftliche Bücher über das Mittelalter tragen Titel wie „Mönche, Krieger, Lehensmänner - Spätantike und frühes Mittelalter“1, „Blüte des Mittelalters - Die Welt der Ritter und der Mönche“ oder „Kaiser, Ritter und Scholaren - Hohes und spätes Mittelalter“2. Ausgeblendet wird dabei zum einen, dass an die neunzig Prozent der mittelalterlichen Bevölkerung im landwirtschaftlichen Bereich als meist abhängige Bauern eine bescheidene und ärmliche Existenz fristeten, zum anderen, dass es auf dem Lande, aber vor allem in der Stadt eine Unterschicht gab, die zum großen Teil von der Teilnahme am wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben mehr oder weniger ausgeschlossen und der Diskriminierung preisgegeben war: die sozialen Randgruppen. Um den Begriff soziale Randgruppe in der mittelalterlichen Gesellschaft besser fassen zu können, wird der Aufbau der mittelalterlichen Gesellschaft hier kurz dargelegt.

Die mittelalterliche Gesellschaft stellt sich in ihrer Dimensionen so vielschichtig dar, dass eine einfache Unterteilung in Ober- Mittel- und Unterschicht als nicht zielführend ist. Eine erste Hilfe bietet die grobe Unterteilung in Unterschichten, Kriminelle und Minderberechtigte.3 Diese erst mal logische Einteilung der damaligen Gesellschaft wurde von dem Historiker Hergemöller vorgenommen, wobei er die von ihm eingeteilten Personenkreise unter vier weiteren Aspekten zu subsumierte.4

Nach Hergemöller wurden Personenkreise bestimmter Berufsgruppe, zusammengefasst in den unehrlichen Berufen, körperlich und geistig Signifikante, ethnisch-religiös unterschiedliche Gruppen, Ketzer(innen), Hexen und Sodomiten zu den sozialen Randgruppen gezählt.5 Unehrliche Berufe waren unteranderem Prostituierte, Abdecker, Scharfrichter, Bader und Spielleute. Zu der zweiten Gruppierung wurden körperlich beeinträchtigte Menschen gezählt, im damaligen Volksmunde auch als „Krüppel“ deklassiert. Menschen aus jüdischen Gemeinden zählten zu der dritten Gruppierung und Personengruppen, die dem christlichen Glauben widersprachen wurden häufig der Gruppe der Ketzer zugeschrieben.

Die vorliegende Ausarbeitung soll sich genau mit diesem Thema der sozialen Randgruppen beschäftigen, es soll anhand einer spezifischen Personengruppe, der des Henkers, verdeutlicht werden inwiefern diese einerseits von der Gesellschaft ausgeschlossen und gemieden wurde anderseits jedoch für die Rechtsprechung besonders innerhalb der Städte gebraucht wurden. Hierzu wird in einem ersten Schritt auf die Entstehung des Berufes des Scharfrichters eingegangen, dessen Pflichten und Aufgaben behandelt und seine Rolle innerhalb des Strafwesen des Mittelalters sowie die soziale Stellung infolge der Klassifizierung zu den unehrlichen Berufen. Desweiten wird auf die auf die Bezahlung und der Strafvollzug eingegangen.

2.Entstehung des Berufes des Henkers

Eine natürliche Unehre besaß der Beruf des Henkers nicht, deshalb soll kurz dargestellt werden inwiefern es einen Wandel in der Außenwahrnehmung des Berufs und in den Aufgaben und Pflichten des Scharfrichters im Laufe der Zeit gab. Hierfür soll eine grobe geschichtliche Entwicklung des Scharfrichterberufs aufgezeigt werden um so ein Verständnis für die mittelalterliche Stigmatisierung des Berufes zu verdeutlichen.

Bereits in der frühen Antike mit dem Aufkommen der ersten Städte, gab es den eigenständigen Beruf des Nachtrichters, dieser sorgte für die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und schütze die Bewohner der Städte des Nachts.6 Nicht desto trotz war es dem Nachtrichter zum Teil untersagt die Städte zu betreten, da er als unrein galt.

Durch die blutige Arbeit der Bestrafung und dem direkten Kontakt mit dem Bestraften haftete in der Vorstellung der Menschen das Böse an dem Nachrichter. Im spätantiken Rom übernahm ein Sklave, welcher carnifex genannt wurde, die verachtete Arbeit und musste außerhalb der Stadt wohnen. Da er mit infamia macula behaftet war, der Ehrlosigkeit, musste er in der Nähe des aquilinischen Tors seine Unterkunft errichten.7 Zudem hatte er eine auffällige Kleidung und ein Glöckchen am Knöchel zu tragen, damit Jedermann ihn rechtzeitig sehen, hören und somit meiden konnte.8 Somit war eine öffentliche Stigmatisierung des Scharfrichters bzw. des Nachtrichters vollzogen. Diese verschärfte sich mit der Ausbreitung des Christentums weiter. Nach dem Untergang des Römischen Reiches verschwand das Berufsfeld des Henkers und taucht erst Anfang des 13.Jahrhunderts wieder auf.

Mit Aufkommen des Christentums und der im Alten Testament aufgeführten Bestrafung mit dem Tod wurde die Problematik des Tötens wieder publik.

Während zu Beginn des Mittelalters das Volk selbst, oder das Opfer die Hinrichtung vollzog, wurden schon bald freie oder unfreie Männer mit dieser Arbeit beauftragt. Die Kirche legte sich lange Jahre nicht fest, ob sie eine besoldete Tötung dulden sollte.

Erst mit Papst Innozenz III. wurde 1210 beschlossen, dass die Hinrichtung ohne Todsünde ausgeübt werden durfte, „ sofern es dazu diene, die S ü hne nicht aus privatem Hass, sondern aufgrund eines Urteils, nicht besonnen, sondern nach reichlicher Beratung durchzuf ü hren. “ 9

Mit der Verfolgung der Albigenser, Waldenser und anderer Ketzer, gab der Papst 1252 die Folter frei.10

In den wachsenden Städten schuf man Rahmenbedingungen für den neuen Beruf des Henkers. Sie mussten eine Ausbildung mit Meisterstück nachweisen, durften ausbilden, erhielt ein Haus und Unterhalt.11 Erste mittelalterliche Aufzeichnungen und Erwähnungen des Scharfrichters im Zusammenhang mit der Stadt finden sich 1276, als das erste mal der Scharfrichter im Augsburger Stadtrecht erwähnt wird.12

Scharfrichter gehörten zu den Unehrlichsten der Unehrlichen. Sie waren einerseits für die Erhaltung des Straf- und Abschreckungssystems unabdingbar, andererseits, auf Grund des Gebotes „du sollst nicht töten“, auch schwere Sünder. Da man ihnen während der Folter einen gewissen Spielraum einräumte, galten sie als blutrünstige, diabolische Figuren. Vor allem der „Stücklohn“ unterstrich dieses Denken. Bei diesem Lohne wurde der Henker für einzelne Handlungen, z. B. während der Folter, bezahlt.13

Vor allem große Hinrichtungen wurden zum gern gesehenen Spektakel.14

War der Henker seines Handwerks mächtig, konnte er z. B. den Kopf mit einem Hieb vom Rumpf trennen oder lange foltern, ohne dass der Gepeinigte in Ohnmacht fiel, genoss er große Anerkennung und der Beifall war ihm sicher.

So bejubeltet man den Henker für seine „gute“ Arbeit und grenzte ihn doch auch dafür aus. Die Henker und ihre Gesellen waren Tabufiguren.

Die Menschen wussten, dass man sie brauchte, wollten jedoch nichts mit ihnen zu tun haben.

Die Angst ebenfalls in die Unehrlichkeit abzurutschen war zu groß.

Somit war jeder Kontakt zu ihnen und ihren Angehörigen verpönt. War dem Verkauf der Henkerswerkzeuge nichts entgegenzusprechen, wurde die Berührung mit denselben nach ihrem Kauf zum Unheil. Für viele Menschen war der Kontakt mit dem Henker eine so große Schande, dass sie Selbstmord begingen, wie z. B. 1546 ein Handwerksbursche, der mit einem Henker gezecht hatte.15

In einigen Städten war den Scharfrichtern das Betreten der Gaststätte untersagt. Indem man ihnen das Bier durch das Fenster reichte und danach den Krug zerschlug, umging man dieses Verbot.16

Die Isolierung reichte teils soweit, dass die Henkerswohnung immer weiter aus der Stadtmitte verbannte wurde. Diese Isolierung hatte auch andere Gründe. So musste der Henker eine Reihe von weiteren Tätigkeiten übernehmen, die vor allem mit Schmutz, Aas und Kot zu tun hatten. In kleineren Städten, in denen der Scharfrichter nicht durch seine Arbeit ausgelastet war, arbeitete er als Abdecker, Kloakenreiniger oder Hundeschläger. Auf Grund dieser übelriechenden Arbeit musste er ohnehin außerhalb der Stadt leben.

Diese teils demütigenden Arbeiten sollten einerseits die Diskriminierung und Absonderung der Henker verschärfen, anderseits sicherten sie den Lebensunterhalt der Henkersfamilien. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass meist die Gesellen diese Arbeit erledigten.17

Eine sehr ertragsreiche Nebentätigkeit war die Aufsicht über die Bordelle. Für ihren Schutz mussten die Prostituierten einen festen Betrag an den Henker zahlen. Vor allem die Kirche hatte einen großen Einfluss auf das Ansehen der Henker. 1210 sprach sie sich zwar für die Todesstrafe aus, die Sitzverteilung in der Kirche konnte jedoch die soziale Isolation verstärken.

Hatte der Henker einen gesonderten Platz in der Kirche, nahm auch in der Gesellschaft die Isolierung zu und umgekehrt.18

Nach seinem Tod wurde er zwar auf dem Gemeindefriedhof beigesetzt, meist jedoch an einem separaten Platz. Nicht nur räumliche Isolierung sollte die „Ehrlichen“ vor den „Unehrlichen“ schützen.

Damit ein versehentlicher, unheilbringender Kontakt mit dem Henker und seines Gleichen verhindert werden konnte, mussten sie sich oftmals äußerlich kennzeichnen. So wurde der Braunschweiger Henker 1414 gezwungen eine gelbe Kappe zutragen, um sofort als solcher erkannt werden zu können.

Gelb stand für Schwefel und Hölle und wurde auch bei anderen Randgruppen verwendet.19

Wurden sie einerseits gezwungen diese äußerliche Kennzeichnung zu tragen, war ihre Amtskleidung meist sehr prächtig. Dies sollte die Zeremonie steigern und den Scharfrichter als „ehrfurchtgebietende Gestalt an der Grenze zwischen Leben und Tod zeigen.“20

[...]


1 Vgl. Albrecht,Timm: Mönche, Krieger, Lehensmänner - Spätantike und frühes Mittelalter,1972.

2 Fremantle,Anne: Kaiser, Ritter und Scholaren - Hohes und spätes Mittelalter,1973.

3 Vgl. Hergemöller (2000), S. 168ff.

4 Vgl. Hergemöller (2000), S. 169f.

5 Vgl. S. 169.

6 Danckert, Werner: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe. 2. Aufl. München-Bern 1979, S. 24f.

7 Danckert, S. 25.

8 Ebd.

9 Hergemöller, Bernd- Ulrich, Randgruppen der spätmittelalterlichen Gesellschaft. (Warendorf: Fahlbusch, 1990) S. 88.

10 Ebd.

11 Ebd.

12 Nowosadtko: Scharfrichter und Abdecker. Der Alltag zweier „ unehrlicher Berufe “ in der Fr ü hen Neuzeit. 1994, S. 52.

13 Ebd. S. 101.

14 Irsigler, Franz / Lasotta, Arnold, Bettler und Gaukler Dirnen und Henker. (Köln: Greve, 1984) S. 139.

15Hergemöller, Bernd- Ulrich, Randgruppen der spätmittelalterlichen Gesellschaft. (Warendorf: Fahlbusch, 1990) S. 95.

16 Ebd.

17 Ebd. Vgl. S. 97.

18 Ebd. Vgl. S. 90.

19 Ebd. Vgl. S. 91.

20 Roeck, Bernd, Außenseiter, Randgruppen, Minderheiten: Fremde im Deutschland der frühen Neuzeit (Göttingen: 1993), S. 109.

Excerpt out of 24 pages

Details

Title
Randgruppen des Mittelalters am Beispiel des Henkers
College
Bielefeld University
Grade
2,0
Author
Year
2012
Pages
24
Catalog Number
V230727
ISBN (eBook)
9783656471134
ISBN (Book)
9783656471462
File size
529 KB
Language
German
Keywords
randgruppen, mittelalters, beispiel, henkers
Quote paper
Niels Mertens (Author), 2012, Randgruppen des Mittelalters am Beispiel des Henkers, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230727

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