Alfred Döblin: "Prometheus und das Primitive" vs. "Amazonas"


Term Paper, 2009

20 Pages, Grade: 1,7


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Zusammenhang zwischen Amazonas und Prometheus und das Primitive

3. Die Sonderstellung des Menschen in der Welt und die Aufgaben der Technik

4. Prometheus und das Primitive

5. Tendenzen der Annäherung an den Gegenspieler

6. Mystik und Pseudomystik

7. Möglichkeit der Rückkehr zur Natur

8. Möglichkeiten der Aufhebung der Vereinzelung

9. Der absolute Staat

10. Fazit

11. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Man könnte sich fragen, was Döblin Mitte der dreißiger Jahre, als die faschistische Gefahr schon deutlich sichtbar war, dazu motivieren konnte, einen Roman scheinbar so völlig losgelöst von der politischen Realität zu schreiben, wie die Erzählung über die frühen Eroberungen der Weißen in Südamerika - Amazonas. Manche warfen ihm sogar vor, dass es für einen Geschichtsroman die falsche Zeit sei und dass er sich doch bitte der gegenwärtigen Realität zuwenden solle.

Spätestens mit dem im Anschluss an die Amazonas -Trilogie erschienenen Essay Prometheus und das Primitive sollte allerdings deutlich geworden sein, dass sich die Trilogie durchaus mit der damaligen politischen Aktualität beschäftigte.

So kommt auch Kittstein zu dem Schluss, dass der Essay “zutiefst geprägt” ist “vom Gegenwartsinteresse des Verfassers” (Kittstein 2006, S.289) und in erster Linie das Ziel verfolgt, “den Nationalsozialismus aus der historischen Entwicklung Europas heraus verständlich zu machen.” (Kittstein 2006, S.289)

Betrachtet man die Amazonas -Trilogie also als ebensolchen Erklärungsversuch, so wird dem Vorwurf, es sei die falsche Zeit für einen Geschichtsroman, der Boden unter den Füßen weggezogen. Auch der Vorwurf mangelnder Kontinuität zwischen den Bänden kann in diesem Kontext zurückgewiesen werden.

Viele Kritiker sprachen bisher nämlich vor allem deswegen von einer mangelnden Kontinuität in Döblins Amazonas -Trilogie, weil sie sich an den inhaltlichen Unterschieden zwischen den beiden ersten und dem dritten Buch stießen. Auf den ersten Blick ist tatsächlich nicht von der Hand zu weisen, dass Band 1 und 2 von den frühen Eroberungen der Weißen im südamerikanischen Urwald handeln, während der dritte Band einen zunächst völlig willkürlich erscheinenden Sprung ins Europa des zwanzigsten Jahrhunderts vollführt.

Auch der Herausgeber Walter Muschg konnte diese 3 Bände nicht als Einheit sehen und entschloss sich dazu, den dritten Band gar nicht erst zu veröffentlichen. (Vgl. u.a. Kittstein 2006, S.297)

Mittlerweile hat die Forschung aber realisiert, dass es durchaus eine Existenzberechtigung für den dritten Band (“Der neue Urwald”) gibt. Man muss nur erkennen, auf welcher Ebene die Verbindungen zu den beiden ersten Bänden stattfinden. Man kann sogar sagen, dass “das Verständnis des Gesamtwerkes gerade durch den Bezug der ersten beiden Teile zum ´neuen Urwald` des zwanzigsten Jahrhunderts” (Maaß 1997, S.125) gewährleistet wird, und ohne den dritten Band Döblins Intentionen im Dunkeln verbleiben würden.

So mag der “Neue Urwald” also stofflich zwar nur wenig mit den beiden ersten Bänden zu tun haben, thematisch ist er eng mit ihnen verbunden: Den drei Bänden ist gemeinsam, dass sie die “Antithetik des Menschenbildes” (Kort 1970, S.113) aufzuzeigen versuchen. Es dreht sich alles um die Gegensätze, zwischen denen sich Döblins Figuren wiederfinden: “Sinn und Sinnlosigkeit des Handelns, Passivität und Aktivität, Selbstpreisgabe und Selbstbehauptung.” (Kort 1970, S.114)

Der Roman versucht, “im Rahmen eines umfassenden historischen Entwurfs die von Faschismus und Kriegsdrohung überschattete Gegenwart als Teil eines mit der frühen Neuzeit beginnenden Geschichtsprozesses zu deuten” (Kittstein 2006, S.297) und so den Entstehungsprozess und die Möglichkeit des Entstehens des Nationalsozialismus (und prinzipiell eines jeden modernen totalitären Staates) nachvollziehbar zu machen.

Zum Erkennen von Döblins Absicht trägt wie gesagt unter anderem Prometheus und das Primitive bei, auf welchen hier ausführlich eingegangen werden wird. In diesem Essay nimmt sich Döblin den beiden seiner Meinung nach den Menschen und die Welt beherrschenden Antriebe des Prometheischen sowie des Primitiven an und erklärt, wie sie den Menschen leiten.

2. Der Zusammenhang zwischen Amazonas und Prometheus und das Primitive

Döblins Amazonas -Trilogie und sein Essay Prometheus und das Primitive werden aufgrund ihrer Thematik und ihrer Entstehungszeit von der Forschung oft in einen direkten Zusammenhang gestellt. Manche Forscher sind dabei sogar der Ansicht, dass die Trilogie ohne Kenntnis des Essays “nur sehr schwer verständlich” (Müller-Salget 1972, S.373) sei. Obwohl diese Aussage wohl etwas überzogen ist, ist es durchaus legitim zu behaupten, dass der Essay zum Verständnis des Werkes beiträgt. Man sollte dabei aber nicht den Fehler begehen, den Essay “umstandslos als Schlüssel für das poetische Werk zu verwenden” (Kittstein 2006, S.296) da man in diesem Falle Gefahr läuft, die Komplexität der Amazonas -Trilogie zu unterschätzen.

So antizipiert der Roman zwar die im Essay auftauchenden Thesen “zum Gang der europäischen Geschichte und zur historisch begründeten Diagnose des Faschismus” (Kittstein 2006, S.296), er nimmt dabei allerdings eine völlig andere Perspektive in Bezug auf das Thema ein als der Essay. Während letzterer eine Makroerzählung darstellt, die “die großen Linien der abendländischen Geschichte in sehr allgemeiner Form und verhältnismäßig knapp entwickelt” (Kittstein 2006, S.298), geht der Blick in Amazonas eher auf die einzelnen Figuren und die sie umgebenden gesellschaftlichen Umstände, also in das “sich in der Mikrodimension abspielende konkrete menschliche Erleben, Handeln und Leiden unter den wechselnden geschichtlichen Bedingungen” (Kittstein 2006, S.298). Während Prometheus und das Primitive versucht, einen groben theoretischen Überbau zu liefern, geht es im Roman vielmehr darum, diese Theorie anhand der konkreten Darstellung von Individuen und ihrer gesellschaftlichen Umgebung greifbar zu machen.

3. Die Sonderstellung des Menschen in der Welt und die Aufgaben der Technik

Die Natur hat die Tendenz, immer wieder Objekte hervorzubringen, die sich dann von ihr absondern und ihr sogar gegenübertreten, wie Döblin gleich zu Beginn seines Aufsatzes Prometheus und das Primitive feststellt. (Vgl. Döblin 1972, S.347)

Das prominenteste Beispiel dieses Vorgangs liefert dabei der Mensch. Einerseits mit einem tierähnlichen Organismus ausgestattet, der ihn an die Gesetze der Natur - Geburt, Wachstum, Tod - fesselt, versucht er andererseits, eben dieser Natur zu entkommen. Er misstraut seiner eigenen Naturhaftigkeit und gerät so in eine schmerzhafte Zwitterstellung: Er pendelt ständig zwischen den beiden Polen “Teil der Natur” und “Gegensatz zur Natur” hin und her. (Vgl. Maaß 1997, S.58 u. vgl. Heinze 2003, S.58)

Döblin kommt zu dem Schluss, dass der Mensch der Meinung ist, “aus der Natur, wenn auch nur teilweise, entlassen zu sein, [er] bietet ihr die Stirn und hält das für die eigentliche Menschenart.” (Döblin 1972, S.346) Die unvollständige Individuation kann dabei allerdings nie zu einer vollständigen werden, da der Mensch ontisch mit der Natur verbunden bleibt. (Vgl. Heinze 2003, S.58)

Die Ahnung einer Trennung und Aussonderung erleben alle lebendigen Gebilde. Der Mensch unterscheidet sich hier insofern von allen anderen Lebensformen, als dass er als einziger aus der passiven Haltung des Hinnehmens dieses Gefühls in die aktive Haltung wechselt und der Natur gegenübertritt.

Unter diesen Lebensumständen des Menschen lässt sich nun der Sinn und das Wesen der von den Menschen entwickelten Technik feststellen: “Bei der Technik handelt es sich nicht allein um eine Kampfaktion gegen die Natur, sondern auch um einen Brückenschlag aus der Individuation heraus.” (Döblin 1972, S.348)

Döblin sieht den einzelnen Menschen dabei als isoliertes Individuum, das erst durch die Menschwerdung und die Abkehr von der Natur in eben jene Isolation geriet. Aus der ursprünglich einheitlichen Natur wurde durch die Zerlegung in die menschlichen Einzelwesen eine “zerlegte Welt”. (Döblin 1972, S.348)

Der wichtigste Sinn der Technik war nun, sich der ursprünglichen Natur wieder anzunähern, und nicht, wie vielfach behauptet, die Natur zu unterwerfen. Die ursprüngliche Natur, das Urwesen, “hat jedem von seinen Abkömmlingen einen Hauch der Ahnung von dieser Abkunft und damit zugleich den Antrieb zur Rückbewegung” gegeben (Döblin 1972, S.348), welcher jetzt durch die Technik verwirklicht werden kann.

Um dies richtig zu verstehen, muss man sich des ursprünglichen, ersten, idealistischen Zieles der Technik bewusst sein: für Entdecker wie Galilei galt, wie Goethe schon schrieb, zu erkennen, “was die Welt im Innersten zusammenhält”. (Goethe 2007, S.13)

Nachdem die Wissenschaftler den Glauben an einen überirdischen Gott aufgrund der fehlenden rationalen Beweisbarkeit eben jenes verwarfen, war das Ziel, die erfahrene Individuation von der Natur aufzuheben und die Einheit mit der Natur wiederzuerlangen. Als bestes Hilfsmittel, um zu diesem Ziel zu gelangen, galt die Technik: wollte man einerseits durch die Technik der Religion wieder zu einer Einheit mit der Natur finden, so erhoffte man sich auf der anderen Seite, durch die technisch-rationale Erforschung der Natur einen Einblick in ebenjene zu erlangen, sie verstehen zu lernen und ihr so wieder näher zu kommen.

Die Forscher wollten die “Verehrung einer anthropomorphen, außerweltlichen Gottheit durch die Einsicht in die immanente Göttlichkeit der allumfassenden Natur” (Kittstein 2006, S.326) ersetzen.

Dieser Wille zur Rückbewegung ist dabei “kein Fremdkörper im Menschen, sondern ein Antrieb aus der Isolation, die eine Fragmentierung ist, heraus, zur Vervollständigung”. (Döblin 1972, S.348)

Einer der Gründe, warum die Individuation des Menschen jedoch nie ganz aufgehoben werden kann und der Mensch sich nie wieder vollständig mit dem Urwesen vereinigen kann, ist, dass die erlittene Abtrennung von der Natur und die Zwitterstellung gerade ein Merkmal des Menschseins ist. Will der Mensch die erfahrene Individuation vollständig rückgängig machen, so muss er seine Existenz als Mensch aufgeben.

Auch die primitive indigene Bevölkerung, die Döblin in Amazonas darstellt, lebt in dieser Zwitterstellung: Es ist erst diese qualvolle Stellung, die sie zur Entwicklung einer mystischen Innentechnik treibt. (Vgl. Kittstein 2006, S.292)

Bruno, der im Kapitel “Herr von Twardowski” im dritten Band der Trilogie die Taten von Wissenschaftlern wie Galilei verteidigt, argumentiert, dass die technischen Entwicklungen der frühen Neuzeit keineswegs zwangsläufig in “zunehmende Isolation von der Natur, in zweckrationale Weltbeherrschung, neue Unfreiheit, Verzweiflung und Aggressivität” (Kittstein 2006, S.327) führen mussten, sondern dass die späteren Generationen die Schuld am heutigen Zustand hätten, da sie sich alleine auf Herrschaft und Macht konzentrierten und die Entwicklungen und Entdeckungen für ihre Zwecke missbrauchten. Am Ende müssen alle einsehen, dass es “den schwachen Menschen auch nicht besser [geht], seitdem die Erde das Recht hat, sich um die Sonne zu drehen, und alle es zugeben”. (Döblin 1991, III S.112)

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Excerpt out of 20 pages

Details

Title
Alfred Döblin: "Prometheus und das Primitive" vs. "Amazonas"
College
University of Trier
Grade
1,7
Author
Year
2009
Pages
20
Catalog Number
V232063
ISBN (eBook)
9783656487128
ISBN (Book)
9783656490548
File size
500 KB
Language
German
Keywords
Döblin, Amazonas, Alfred, Prometheus
Quote paper
MA Paul Diederich (Author), 2009, Alfred Döblin: "Prometheus und das Primitive" vs. "Amazonas", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/232063

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