Das Recht von Kindern mit Behinderung: Vielfalt von Anfang an

Bayerische Kindertagesstätten machen sich auf den Weg zur Inklusion


Bachelorarbeit, 2013

56 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Abstract

1. Einleitung

2. Begriffsbestimmungen
2.1 Behinderung
2.2 Kindertagesstätte
2.3 Bildung
2.4 Heterogenität
2.5 Integration
2.6 Inklusion
2.7 Partizipation

3. Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
3.1 Die Entwicklung der UN-Behindertenrechtskonvention
3.2 Die Rechte von Kindern mit Behinderung
3.3 Die UN-Behindertenrechtskonvention in Bayern
3.3.1 Aktionsplan zur Umsetzung in Bayern
3.3.2 Was bedeutet dies für bayerische Kindertagesstätten?

4. Von der Integration zur Inklusion

5. Bedingungen für eine gelingende Inklusion
5.1 Finanzielle Ressourcen
5.2 Einrichtungen - Ausstattung der Räume
5.3 Gruppenzusammensetzung und Spielangebote
5.4 Pädagogische Fachkräfte in einer inklusiven Pädagogik
5.4.1 Pädagogik der Vielfalt
5.4.2 Allgemeine Pädagogik
5.5 Interdisziplinarität

6. Veränderungen für die Heilpädagogik

7. Organisationsentwicklung
7.1 Lernende Organisation
7.2 Gründe für die Entwicklung einer Organisation
7.3 Methoden der Organisationsentwicklung

8. Veränderung in den bayerischen Kindertagesstätten
8.1 Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan (ВЕР)
8.2 Das bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz
8.2.1 Kindbezogene Förderung
8.2.2 Personelle Ressourcen
8.3 Der Index für Inklusion

9. Partizipation von Kindern und deren Eltern
9.1 Inklusion aus der Sicht der Kinder
9.2 Zusammenarbeit mit den Eltern

10. Barrieren bei der Umsetzung von Inklusion เท Bayern

11. Praxisbeispiele aus dem Allgäu
11.1 Kindertagesstätte in der Stadt Kempten
11.1.1 Vorstellen der Einrichtung
11.1.2 Klientel und pädagogisches Personal
11.1.3 Der Weg zu einer inklusiven Einrichtung
11.2 Kindertagesstätte einer Landgemeinde im Oberallgäu
11.2.1 Vorstellen der Einrichtung
11.2.2 Klientel und pädagogisches Personal
11.2.3 Der Weg einer inklusiven Kindertagesstätte
11.3 Differenzen beider Einrichtungen

12. Fazit

Literaturverzeichnis

Internetquellen:

Abstract

Inklusion ist ein Modell, das mit sinnvoll eingesetzten Ressourcen, die sich eng an den Bedarfen der Menschen mit Behinderung vor Ort orientieren, die Teilhabe aller Menschen in der Gesellschaft ermöglicht. Die in dieser Bachelorarbeit beschriebene Inklusion von Kindern in bayerischen Kindertagesstätten bezieht sich auf die Betreuung, Bildung und Erziehung in heterogenen Gruppen. Die Unterschiedlichkeit von Kindern ist die Ausgangslage für eine inklusive Pädagogik.

เท Artikel 24 der UN- Behindertenrechtskonvention ist festgelegt, dass kein Kind aufgrund einer Behinderung vom Bildungssystem ausgeschlossen werden darf (vgl. Bundesministerium, 2011). Dazu werden individuelle Unterstützungsmaßnahmen bereitgestellt, um die bestmögliche soziale Entwicklung zu gewährleisten. So können alle Kinder in allgemeinen Kindertagesstätten ihrer Individualität nach gefördert werden.

เท dieser Arbeit werden zuerst Begriffe erklärt, die für ein genaues Verständnis der Inhalte wichtig sind. Im Anschluss daran wird auf die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen eingegangen und eine Verbindung zu Kindertagesstätten im Bundesland Bayern hergestellt. Daraufhin folgt die Darstellung des Paradigmenwechsels von der Integration zur Inklusion und deren Unterschiede.

เท einem weiteren Teil wird der Frage zu Umsetzungsmöglichkeiten von Inklusion nachgegangen. Dabei wird das Konzept der Organisationsentwicklung kurz erörtert. Anschließend sollen der rechtliche Rahmen, die Ressourcen und Bedingungen in Bayern aufgezeigt werden. Der Index für Inklusion wird als mögliche Hilfestellung für die Umsetzung von Inklusion vorgestellt. Zum Schluss folgen zwei Praxisbeispiele aus dem Allgäu, die den Weg zur Verwirklichung der Inklusion beschreiten.

Das Ziel der Teilhabe von Anfang an, der inklusiven Betreuung, Bildung und Erziehung in Kindertagesstätten, ist die immer noch bestehende Aussonderung und Stigmatisierung abzuschaffen und zu ersetzten durch eine Pädagogik der Vielfalt. Die Teilhabe von Anfang an soll Kindern in ihrer Vielfalt ermöglichen, an der alltäglichen Lebenswelt gemeinsam aufwachsen zu können.

1. Einleitung

เทา deutschen Bildungssystem ist es normal, Kinder und Jugendliche im Verlauf ihrer Bildungslaufbahn immer wieder neu zu sortieren. Es gibt eine große institutioneile Ausgrenzung. Dies hat Auswirkungen auf den gesamten Lebenslauf der Menschen, auf deren Berufschancen und die Lebensqualität. Vor allem Menschen mit Behinderungen erleben diese Selektion im Bildungssystem.

Durch unterschiedliche Erklärungen und Konventionen rückt das Recht von Kindern mit Behinderung auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben immer mehr in den Vordergrund. เท der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN- BRK) gewährleisten die Vertragsstaaten, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden wo und mit wem sie leben wollen. Sie sind nicht mehr verpflichtet, in besonderen Fördereinrichtungen betreut zu werden. Dies ist Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts und somit das Ziel der Inklusion. Im Bayerischen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK wird als Ziel die Gestaltung eines inklusiven Sozialraums angegeben. „Inklusiver Sozialraum bedeutet ein barrierefreies Lebensumfeld, das alle Menschen mit und ohne Behinderung, ... selbstbestimmt gemeinsam mit gestalten und nutzen können“

(Bay. Staatsministerium, Aktionsplan, 2011, ร. 11).

เท der vorliegenden Arbeit geht es um das Recht von Kindern mit Behinderung auf die Teilhabe in einer wohnortnahen Kindertagesstätte, das Recht auf Inklusion. Die Umsetzung der UN- BRK bei Kindern bezieht sich in der Öffentlichkeit vorwiegend auf den Bereich der Schule. Doch das Recht auf Teilhabe beginnt nicht erst mit der Einschulung. Teilnehmen an der Gesellschaft beginnt von Anfang an. So muss sich eine inklusive Pädagogik auch dem vorschulischen Bereich widmen. Die Gesellschaft muss begreifen, dass Inklusion in Einrichtungen der frühen Kindheit ein Aspekt von Inklusion in der gesamten Gesellschaft ist“ (Booth, 2006, ร. 5).

Inklusion lässt sich nicht schnell verwirklichen. Die Umsetzung ist ein Prozess, der je nach Organisation unterschiedlich lang sein kann.

เท dieser Bachelorarbeit wird der Weg zur Inklusion von Kindertagesstätten in Bayern dargestellt. Die Arbeit beschreibt die Bedingungen der Organisationsentwicklung und die Voraussetzungen für eine gelingende Inklusion.

Die Autorin beschränkt sich auf die Entwicklung und die Bedingungen im Bundesland Bayern, da deutschlandweit sehr unterschiedliche Gesetze, Förderungen und Bildungspläne für Kindertagesstätten vorgegeben sind.

Durch diese Arbeit sollen Beteiligte เท Kindertagesstätten ermutigt und informiert werden über die UN-Behindertenrechtskonvention. Dazu werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie eine Veränderung der Einrichtung hin zur inklusiven Kindertagesstätte gelingen kann. Viele pädagogische Fachkräfte sind verunsichert was Inklusion betrifft. Die Verfasserin machte die Erfahrung, dass Einrichtungsleitungerl oft noch der Ansicht sind, Kinder mit Behinderung ablehnen zu können. เท Bayern benötigt es deshalb Aufklärungsarbeit und ein sensibles Umgehen mit Veränderung innerhalb Organisationen.

2. Begriffsbestimmungen

2.1 Behinderung

Die Klärung des Begriffs „Behinderung“ ist Voraussetzung für ein Verständnis von „Teilhabe an der Gesellschaft“ bzw. die in dieser Arbeit beschriebene gemeinsame Bildung und Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung in einer Kindertagesstätte. เท der Literatur finden sich verschiedene Definitionen von Behinderung. เท der Sonderpädagogik beinhaltet der Behindertenbegriff Menschen mit schwersten Schädigungen des Gehirns, der Bewegungsfähigkeit und der Sinnesorgane bis hin zu Kindern, die Beeinträchtigungen im Lernen haben.

Der Behindertenbegriff hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt von der Festlegung auf Defizite eines Menschen auf die Barrieren in der Gesellschaft. Behinderung soll nicht mehr das Merkmal eines Menschen sein, sondern der Mensch ist oder wird behindert durch Bedingungen, die in der Umwelt vorgegeben sind.

Wolfgang Jantzen, Professor für Behinderung und Inklusion, beschreibt dies folgendermaßen: „Behinderung ist demnach eine Relation zwischen Kind und Welt, die dann veränderbar und kompensierbar wird, wenn die Umgebung die Denklogik des Defektes aufgibt“ (Jantzen, 2011, ร.4).

Auch in der Präambel der UN-Behindertenrechtskonvention wird zum Ausdruck gebracht, „dass das Verständnis von Behinderung sich ständig weiterentwickelt und dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sich an der vollen, wirksamen und gleichberechtigen Teilhabe an der Gesellschaft hindern“

(Bundesministerium, 2011, ร. 6).

Der Behindertenbegriff wird in diesen Definition somit als keine feststehende Eigenschaft von einzelnen Menschen beschrieben, sondern es sind die Barrieren in der Umsetzung von Teilhabe an der Gesellschaft, der Erziehung und Bildung.

Daraus lässt sich schließen, dass etwas über die Bedingungen ausgesagt wird, unter denen sich ein Kind entwickelt, wenn von einem Kind mit Behinderung gesprochen wird.

Der Wandel um das Verständnis des Behindertenbegriffs kam 2001 durch die bis heute gültige „International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF)“ zum Ausdruck. Der bisherige Fokus auf Schädigung wurde ersetzt durch die Sicht auf persönliche Fähigkeiten und soziale Teilhabe (vgl. Albers, Bree, Jung, Seitz, 2012, ร. 18). Die ICF klassifiziert nicht mehr den Menschen, sondern Situationen. Die ICF-CY ist die Version für Kinder und Jugendliche.

Nach dem Sozialgesetzbuch gilt:

§ 2 (1) Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist (SGB IX, 2010, ร. 16).

Bezogen auf Kinder wird der Begriff der Behinderung im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan (ВЕР) wie folgt definiert:

Kinder mit Behinderung und von Behinderung bedrohte Kinder Dies sind Kinder, die in ihren körperlichen Funktionen, ihrer geistigen Fähigkeit oder ihrer seelischen Gesundheit längerfristig beeinträchtigt sind, die deutlich vom Entwicklungsstand, der für ihr Lebensalter typisch ist, abweichen und an der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt sind (vgl. § 2 Satz 1 SGB IX). Kinder mit Behinderung und von Behinderung bedrohte Kinder haben einen Anspruch auf Eingliederungshilfe, für deren Gewährung bei Kindern bis zu 6 Jahren in Bayern die Sozialhilfe zuständig ist (§ 10 Abs. 2 Satz 2 SGB vili, Art. 53 BayKJHG, § 30 SGB IX, § 53 SGB XII)

(vgl. Bay. Staatsministerium - ВЕР, 2012, ร. 141).

Aus den verschiedenen Definitionen wird deutlich, dass Behinderung inzwischen vorwiegend als ein Produkt der Selektion und der Barrieren in der Gesellschaft gesehen wird. Dennoch ist eine Festlegung auf einen Behindertengrad oder „von Behinderung bedroht“ immer noch notwendig, um finanzielle Unterstützung zu erhalten.

„Der Begriff der Behinderung verleiht rechtlichen Schutz, ermöglicht den sozialrechtlich zugesicherten Hilfebedarf nach dem individuellen Erziehungs- und Bildungsbedarf und er stigmatisiert zugleich.“ ( Lee, 2010, ร. 50)

2.2 Kindertagesstätte

Eine Kindertagesstätte umfasst Kinderkrippe, Kindergarten und Hort bzw. Schulkindbetreuung. Unter dem Begriff müssen jedoch nicht alle Einrichtungen gleichzeitig zur Verfügung stehen oder in einem Haus untergebracht sein.

(1) Kindertageseinrichtungen sind außerschulische Tageseinrichtungen zur regelmäßigen Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern.

(3) Integrative Kindertageseinrichtungen sind alle unter Abs. 1 genannten Einrichtungen, die von bis zu einem Drittel, mindestens aber von drei behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindern besucht werden“ (Bayrisches Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG), 2006, Art. 2, ร. 20).

2.3 Bildung

Die zeitgemäßen Definitionen des Begriffs der Behinderung deuten auf den Aspekt der sozialen Ungleichheit hin. Die Barrieren der Gesellschaft tragen wie in Punkt 2.1 beschrieben zu unterschiedlicher Teilhabe von Menschen an der Gesellschaft bei. Das bedeutet auch, dass Kindern, welche in die Kategorie „Behinderung“ eingestuft sind, geringere Bildungschancen eingeräumt werden. Die Entfaltung ihrer Ressourcen und ihrer Gesamtentwicklung wird behindert durch die noch häufige Beschulung in einer Förderschule. Dazu stellt Jantzen fest: „Die Entwicklung des Kindes ist von Teilhabe an Kommunikation und sozialem Verkehr abhängig. Folglich resultiert Behinderung aus der Unterbindung oder Beeinträchtigung dieser Relation und nicht aus dem Defekt“ (Jantzen, 2011, ร. 7).

Bildung und Behinderung stehen deshalb in engem Zusammenhang, sie stellen in der Gesellschaft zwei wesentliche Determinanten sozialer Ungleichheit dar.

Doch was ist Bildung? Es ist nicht leicht, den Bildungsbegriff zu definieren. Oft wird Bildung als Besitz oder als Ergebnis verstanden, welches der Mensch anstrebt.

Der Bildungsbegriff hat eine lange Tradition. Der klassische Begriff der Bildung entstand im 18. Jahrhundert mit den Vertretern Wilhelm von Humboldt (1767-1835), Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827), Friedrich Fröbel (1782-1852), Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) und Karl Marx (1808-1883).

„Bildung ist ein Schlüssel für individuelle Lebenschancen und Motor für gesellschaftliche Entwicklungen. Bildung soll dem Menschen helfen, nicht unter seinen Möglichkeiten zu bleiben und umfasst Wege zu Wissen, Urteilskraft und Selbständigkeit“

(Lee, 2010, ร. 193).

Bildung beginnt nicht erst mit dem Eintritt in die Schule, sondern ist ein Prozess, der mit der Geburt beginnt. Der deutsche Erziehungswissenschaftler Wolfgang Klatki bezeichnet dies als „lebenslangen Prozess“:

Eine zentrale Kategorie wie der Bildungsbegriff oder ein Äquivalent dafür ist unbedingt notwendig, ... wenn lebenslanges Lernen“ nicht in ein unverbundenes Nebeneinander oder gar Gegeneinander von zahllosen Einzelaktivitäten auseinanderfallen soll, wenn vielmehr pädagogisch gemeinte Hilfen, Maßnahmen, Handlungen und individuelle Lernbemühungen begründbar und verantwortbar bleiben oder werden sollen (Klafki 1996, ร. 44).

Kinder erkunden und erschließen sich ihre Welt mit viel Neugierde. Sie zeigen dabei Eigenaktivität und eine hohe Motivation. Sie treten in Kontakt mit anderen Menschen und lernen von ihnen.

เท der Kindertagesstätte erlernen Kinder in Bildungsprozessen die Sprache und entwickeln immer mehr Verständnis für deren Begriffe, Symbole, Bedeutungen. Körperliche und geistige Fertigkeiten werden geweckt und ausgebildet. Die Kinder werden durch Bildungsprozesse in die Gesellschaft mit ihren Bräuchen, der Religion und Ethik, wie auch in die Kunst und Kultur eingeführt. Dabei werden sie von den pädagogischen Fachkräften begleitet und gebildet. Durch die Auseinandersetzung mit neuen Erfahrungen und Erkenntnissen lernen sie, Zusammenhänge zu erkennen und Verantwortung für ihr eigenes Handeln zu übernehmen. So bilden sich die Kinder selbst.

Durch Bildungsprozesse entwickeln sie ihre eigene Persönlichkeit und ihre Individualität. Dadurch entsteht Vielfalt. Klafki bezeichnet Bildung als einen Prozess, der auf die Entwicklung von Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarisierungsfähigkeit zielt (vgl. Klafki, 1991).

Im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan wird Bildung wie folgt dargestellt:

Bildung vollzieht sich als individueller und sozialer Prozess. Kinder gestalten ihren Bildungsprozess aktiv mit. Sie sind von Geburt an mit grundlegenden Kompetenzen und einem reichhaltigen Lern- und Entwicklungspotential ausgestattet. Eine elementare Form des Lernens ist das Spiel, das sich zunehmend zum systematischeren Lernen entwickelt (Bay. Staatsministerium, ВЕР, 2012, ร. XVII).

Durch das Sozialgesetzbuch SGB vili § 22 wird der Bildungsauftrag in Kindertageseinrichtungen geregelt (vgl. Münder et. al. 2013, SGB vili, ร.274). Der Bildungsauftrag umfasst die Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern und soll sich an den Bedürfnissen der Kinder und seinen Familien orientieren. Dabei wird nicht unterschieden zwischen „Regelkindern“ und „Kinder mit Behinderung“. Der Bildungsauftrag betrifft alle Kinder.

Dies führt zu einer inklusiven Bildung. Deren Verwirklichung ist ein Schwerpunkt der UN-Behindertenrechtskonvention (vgl. Bundesministerium, 2011, Art. 24, ร. 36 ff).

Um zu einer inklusiven Bildung zu gelangen, muss Bildung bei den kleinsten Kindern beginnen und darauf aufbauen. Im Fokus steht die Gemeinschaft, das Bilden von zwischenmenschlichen Beziehungen. Darauf baut das Lernen auf im Bereich der Kognition, Sprache, Motorik und Kultur. Bildung darf kein Ergebnis mehr sein, das bewertet wird. Inklusive Bildung ist für jeden Einzelnen vorrangig der Erwerb von Kompetenzen. Dies fordert ein Umdenken und eine Bewusstseinsveränderung bezüglich des Bildungsbegriffs.

Bildung für Alle setzt auf inclusive quality learning (UNESCO 1990) und verlangt eine neue Pädagogik, die davon ausgehen müsse, dass menschliche Unterschiede normal sind, dass das Lernen daher an die Bedürfnisse des Kindes angepasst werden muss und sich nicht umgekehrt das Kind nach vorbestimmten Annahmen über das Tempo und die Art des Lernprozesses richten soll (UNESCO 1994)

(Sulzer, Wagner, 2011, ร. 8).

Ein inklusives Verständnis von Bildung kann sich erst entwickeln, wenn alle Kinder, auch Kinder mit besonderen Bedürfnissen, ihre Beiträge zum Gruppengeschehen einbringen können. So profitieren alle Kinder von Anfang an. Bildung ist ein Menschenrecht.

2.4 Heterogenität

เท der UN-Konvention wird das Recht auf Bildung für alle betont. Bei einer inklusiven Pädagogik liegt den Fokus auf der Verschiedenheit der Kinder. Dies setzt eine Heterogenität in Gruppen, in dieser Arbeit also in den Kindertagesstätten, voraus.

Im Duden wird Heterogenität definiert als „Verschiedenartigkeit, Ungleichartigkeit, Uneinheitlichkeit“ (Duden, Das Fremdwörterbuch 1990, ร. 307).

Die Erziehungswissenschaftlerin Annedore Prengel stellt die Heterogenität der Zwei- Gruppen-Theorie entgegen (vgl. Prengel, 2006). Diese Theorie ist immer noch stark vertreten in der Gesellschaft. Sie unterscheidet zwischen sogenannten „Regelkindern“ und den Kindern mit Behinderung oder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Bei Heterogenität wird jedoch jedes Kind als besonderes Kind gesehen.

Kindertagesstätten sind im Vergleich zu Schulen besser in der Lage, Heterogenität zuzulassen, da sich diese nicht an einen vorgegebenen Lehrplan mit Leistungsnachweisen halten müssen. Die Beschreibung über den „guten Unterricht“ von Jantzen kann in der pädagogischen Arbeit in Kindertagesstätten verwirklicht werden.

„Guter Unterricht hätte demnach vor Eintritt in die Aufgabe eine optimale Orientierung auf die Aufgabe hin zu entwickeln, statt lediglich am Ende induktiv die Fäden zusammenzuführen ... ; guter Unterricht wäre experiment- und erfahrungsorientiert und würde nach Möglichkeit in Projekten stattfinden...“ (Jantzen, 2010, ร. 4).

Der Umgang mit Heterogenität im Bildungssystem ist eine pädagogische Herausforderung. Separierende und ausgrenzende Bildungs-, Erziehungs- und Förderorte sollen nach und nach aus der Gesellschaft verschwinden. Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob Inklusion verwirklicht werden kann. Es geht darum, Wege zu finden und zu gestalten, wie Inklusion verwirklicht werden kann.

2.5 Integration

Bevor in dieser Arbeit näher auf den Begriff der Inklusion eingegangen werden kann, wird der Begriff „Integration“ definiert.

„Etymologisch stammt der Begriff .Integration' aus dem Lateinischen integratio, worunter das Wiederherstellen einer Einheit oder eines Ganzen zu verstehen ist“

(Lee, 2010, ร. 23).

„Als integrativ bezeichne ich ... eine allgemeine (kindzentrierte und basale) Pädagogik, in der alle Kinder und Schüler in Kooperation miteinander auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau an und mit einem .Gemeinsamen Gegenstand' spielen, lernen und arbeiten“ (Feuser, 1995. ร. 173-174).

Diese Definition des Erziehungswissenschaftlers und Professors für Behindertenpädagogik Prof. Dr. Georg Feuser gleicht in Bayern noch einer Vision, sie kommt jedoch einem Verständnis von Inklusion sehr nahe.

Im Duden wird Integration mit „Einbeziehung, Eingliederung in ein Ganzes“ definiert (Duden, Das Fremdwörterbuch, 1990, ร. 354).

Integration hält an der Praxis der bereits bei Prengel erwähnten Zwei-Gruppen-Theorie fest. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf bzw. Eingliederungshilfe werden durch spezielle Fachkräfte gefördert. Findet diese Förderung nicht in Sondereinrichtungen, sondern in Kindertagesstätten statt, ist die institutioneile Trennung aufgehoben. Zusätzliche Therapeutinnen und Therapeuten oder heilpädagogische Fachkräfte stehen ausschließlich Kindern mit Behinderung zur Verfügung. Die Möglichkeiten und die Formen der Integration werden durch den Schweregrad der Behinderung vorgegeben. Dies hat zur Folge, dass Kinder mit einer schwereren Behinderung bzw. einer Mehrfachbehinderung eine stärkere Selektion erfahren. Im Rahmen der UN-BRK und dem Recht von Menschen mit Behinderung auf uneingeschränkter Teilhabe von Anfang an werden Fördereinrichtungen immer mehr zu Einrichtungen, die fast ausschließlich Kinder mit einer schwereren Behinderung aufnehmen.

2.6 Inklusion

Bei Inklusion werden Menschen mit Behinderungen nicht erst integrationsfähig, also anpassungsfähig gemacht. Sie gehören von Anfang an mit zur Gesellschaft. Der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Alfred Sander ist einer der bedeutenden Figuren der deutschen Integrations- und Inklusionspädagogik. Er bezeichnet Inklusion als ein „erweitertes und optimiertes Modell von Integration“ und versteht Inklusion als eine konsequente Weiterführung von Integration. Inklusion ist für ihn „eine von Fehlformen befreite, auf ihr eigentliches Ziel konzentrierte Integration“ (Sander, 2006).

Dies ist eine Sichtweise des Begriffs Inklusion. Ein großer Unterschied liegt jedoch in einem entscheidenden Bereich. Solange von Integration gesprochen wird, wird versucht, einzelne Menschen mit Besonderheiten in eine Gruppe von Menschen einzugliedern. Sie werden soweit gefördert, dass sie es schaffen, sich in der „Regelgruppe“, wie diese in den Kindertagesstätten bezeichnet werden, beteiligen zu können.

Inklusion jedoch bedeutet, dass sich Menschen mit Behinderung nicht mehr anpassen müssen bzw. durch Förderung und Therapie angepasst werden. Die Gesellschaft, so auch die Kindertagesstätten, müssen Voraussetzungen schaffen, allen Menschen die Teilhabe zu gewähren. Inklusion schließt alle mit ein und bezieht sich dabei auf alle Menschen in ihrer Vielfalt. Eine Grundlage für Inklusion sind innere Haltungen und Werte.

Inklusion wird verstanden als die Gestaltung eines Umfelds, in dem Vielfalt in dem Sinne wahrgenommen wird, dass alle Kinder, Jugendliche sowie Erwachsene gleichermaßen wertgeschätzt werden. Dabei geht es um die Anerkennung von Unterschieden im Hinblick auf Kultur, Identität, Leistungsstandards, Interessen, Erfahrungen, Geschlecht, sexuelle Orientierung und körperliche Fähigkeiten (Albers et al. 2012, ร. 67).

2.7 Partizipation

Inklusive Bildung und Erziehung erfordert Partizipation im Sinne von Teilhabe. Das Teilhaben an Bildungsprozessen bedeutet zuerst einmal das Einlösen des Rechts auf Bildung für jedes Kind ohne Ausnahme und ohne Ausschluss.

Im Duden wird Partizipation definiert als „das Teilhaben, Teilnehmen, Beteiligtsein“ (Duden, Das Fremdwörterbuch, 1990, ร. 578).

Für Kindertagesstätten bedeutet Partizipation die Beteiligung und Mitbestimmung der Kinder an der Gestaltung des Alltags. Eine Grundvoraussetzung für eine gelingende Partizipation ist die positive Grundhaltung der pädagogischen Fachkräfte. Die Kinder sollen als Partner ernstgenommen werden.

Die Partizipation in Kindertagesstätten bezieht sich ebenfalls auf die Zusammenarbeit im Team und mit den Erziehungsberechtigten der Kinder.

Teilhabe fordert dabei nicht nur das Teilnehmen. Vielmehr muss es ein aktives Miteinander, gemeinsam getragene Entscheidungen, ein gemeinsames Gestalten und Entwickeln sein. Dabei entwickelt sich ein konstruktiver, kooperativer und kreativer Prozess. Methoden dazu sind Kinderkonferenzen, Projektgruppen und Perspektivenwechsel. Die Kommunikation erfordert die einfache Sprache. Partizipation baut auf den Dialog miteinander auf und ist die Grundlage einer gemeinsamen Identitätsbildung.

Im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan wird Partizipation als Kinderrecht beschrieben.

Kinder haben - unabhängig von ihrem Alter - ein Recht auf Partizipation. Alle Bildungsorte stehen in der Verantwortung, der Partizipation der Kinder einen festen Platz einzuräumen und Demokratie mit Kindern zu leben. Partizipation bedeutet die Beteiligung an Entscheidungen, die das eigene Leben und das der Gemeinschaft betreffen, und damit Selbst- und Mitbestimmung, Eigen- und Mitverantwortung und konstruktive Konfliktlösung. Basierend auf dem Bild vom Kind als aktiven Mitgestalterseiner Bildung sind Partizipation und Ko-Konstruktion auf Dialog, Kooperation, Aushandlung und Verständigung gerichtet. Partizipation ist Bestandteil ko-konstruktiver Bildungsprozesse und Voraussetzung für deren Gelingen (Bay. Staatsministerium, ВЕР, 2012, ร. XIX).

Integration, Inklusion, Heterogenität und Partizipation sind Themen, die aktuell nicht mehr als Einzelbereiche gesehen werden können. Sie müssen als gemeinsames Konzept ganzheitlich zusammengeführt werden.

3. Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Die UN- Behindertenrechtkonvention trat am 26. März 2009 in Deutschland in Kraft. Dieser Konvention liegt der Gedanke der Inklusion zugrunde. Sie fasst die Rechte von Menschen mit Behinderung zusammen und stellt klar, dass Teilhabe ein Menschenrecht ist, nicht ein Akt der Fürsorge. Bereits bestehende Menschenrechte für die Situation von Menschen mit Behinderungen wurden in der Konvention konkretisiert mit dem Ziel, ihre Chancengleichheit in der Gesellschaft weltweit zu fördern. เท dem Übereinkommen wird Behinderung als Teil der Vielfalt menschlichen Lebens gesehen und überwindet damit das noch oft vorherrschende Prinzip der Wohltätigkeit und Fürsorge.

3.1 Die Entwicklung der UN-Behindertenrechtskonvention

1994 wurde der Diskriminierungsschutz als Grundrecht für Menschen mit Behinderung in das Grundgesetz aufgenommen. เท Artikel 3, Absatz 3, Satz 2 wird eine Benachteiligung aufgrund einer Behinderung verboten. Damit findet Inklusion erstmalig Aufnahme in die rechtliche Grundordnung (Grundgesetz, 1949).

Die Umsetzung von Inklusion in der Gesellschaft wurde im Rahmen der UNESCO- Weltministerkonferenz 2006 als Auftrag an alle Mitgliedstaaten formuliert.

So verabschiedete die UN-Generalversammlung der Vereinten Nationen 2006 die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die Ende 2008 im Bundestag und Bundesrat in Deutschland beschlossen wurde. Seit März 2009 ist sie auch für Deutschland gemäß Art. 45 Abs. 2 verbindlich.

„Inklusive Bildung bedeutet, dass allen Menschen die gleichen Möglichkeiten offen stehen, an qualitativ hochwertiger Bildung teilzuhaben, unabhängig von besonderen Lernbedürfnissen, Geschlecht, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen“ (Alberset al. 2012, ร. 11).

3.2 Die Rechte von Kindern mit Behinderung

Kinder mit Behinderungen werden im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wie folgt berücksichtigt:

Artikel 7 Kinder mit Behinderungen

(1) Die Vertragsstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen können.

(2) Bei allen Maßnahmen, die Kinder mit Behinderungen betreffen, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.

(3) Die Vertragsstaaten gewährleisten, dass Kinder mit Behinderungen das Recht haben, ihre Meinung in allen sie berührenden Angelegenheiten gleichberechtigt mit anderen Kindern frei zu äußern, ..., um behinderungsgerechte sowie altersgemäße Hilfe zu erhalten, damit sie dieses Recht verwirklichen können (Bundesministerium, 2011, ร. 18).

Die Gesetzesgrundlagen dazu sind in Artikel 24 unter dem Titel „Bildung“ festgelegt (vgl. Bundesministerium, 2011, ร. 36f).

Inklusion ist somit als Menschenrecht im gesetzlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag verankert. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist für die Arbeit in deutschen Kindertagesstätten ein verbindlicher Handlungsrahmen geworden. Es stellt einen Verstoß gegen Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention dar, wenn ein Kind aufgrund seiner Behinderung in einer Kindertagesstätte abgelehnt wird.

Um zusätzliche Unterstützung in der Kindertagesstätte zu erhalten, kann für Kinder mit Behinderung oder von Behinderung bedrohte Kinder Eingliederungshilfe nach § 53, SGB XII, beantragt werden (vgl. Großmann, 2009, SGB XII).

Die Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, den Kindern die Möglichkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Dies bedeutet auch, die Bildung und Entwicklung zu einem weitgehend selbständigen Leben zu fördern und zu unterstützen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 56 Seiten

Details

Titel
Das Recht von Kindern mit Behinderung: Vielfalt von Anfang an
Untertitel
Bayerische Kindertagesstätten machen sich auf den Weg zur Inklusion
Hochschule
Fachhochschule Bielefeld
Veranstaltung
Heilpädagogik - Inklusion
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
56
Katalognummer
V233253
ISBN (eBook)
9783656521594
ISBN (Buch)
9783656567615
Dateigröße
675 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Inklusion, Kindertagesstätte, Organisationsentwicklung, Bayern
Arbeit zitieren
Barbara Holzbrecher (Autor:in), 2013, Das Recht von Kindern mit Behinderung: Vielfalt von Anfang an, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/233253

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden