Fremdheitserfahrungen in der interkulturellen Literatur in Deutschland


Zwischenprüfungsarbeit, 2004

26 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die interkulturelle Literatur in Deutschland

3. Zum Begriff des Fremden

4. Sevgi Emine Özdamar: „Die Brücke vom goldenen Horn“
4.1. Kurzüberblick
4.2. Fremdheit und Verfremdungen auf der Metaebene
4.3. Fremdheitserfahrungen

5. Sten Nadolny: „Selim oder die Gabe der Rede“
5.1. Kurzüberblick
5.2. Fremdheit auf der Metaebene
5.3. Fremdheitserfahrung und Fremdheitsverarbeitung im Text

6. Schlussbemerkung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Zwischenprüfungsarbeit beschäftigt sich mit der Reflexion von Fremdheitserfahrungen innerhalb der interkulturellen Literatur in Deutschland. Um dieser Thematik gerecht zu werden, sieht es die Verfasserin als notwendig an, zuerst allgemein auf Entwicklung und Stand der interkulturellen Literatur einzugehen. Hierbei stehen folgende Fragestellungen im Mittelpunkt:

- Wie lässt sich der Begriff der interkulturellen Literatur definieren?
- Welche Voraussetzungen muss ein Text erfüllen, damit man ihn der interkulturellen Literatur zuordnen kann?
- Welche spezifischen Eigenarten und Aspekte sind für diese Gattung konstituierend?

Nach dieser sehr allgemein gehaltenen Einführung in die Problematik der interkulturellen Literatur soll ein hieraus resultierender Teilaspekt erklärt und erläutert werden: Die interkulturelle Literatur stellt nicht zuletzt eine dichterische Reflexion der Einwanderung dar. Die Begegnungen und/oder Konfrontationen unterschiedlicher Lebensweisen, Kulturen und Auffassungen haben sich in literarischen Modellen niedergeschlagen.[1] Ein signifikanter Aspekt, der hieraus resultiert, ist der Begriff des „Fremden“. Dabei sollen nicht nur Theoriemodelle der Literaturwissenschaft, sondern auch die der Linguistik berücksichtigt werden, um zu klären, was die Begriffe der „Fremdheit“ und des „Fremden“ beinhalten und umfassen können. Die linguistische Begriffsvariante ist dann auf den Bereich der interkulturellen Literatur übertragbar und kann somit verifiziert werden. Der Begriff des „Fremden“ ist eng mit dem Begriff des „Eigenen“ verbunden, denn nur wenn etwas „fremd“ erscheint, wird das „Eigene“ bewusst.[2] Dieser Aspekt ist genau zu definieren und die beiden Begriffe sind voneinander abzugrenzen.

In einem weiteren Schritt sollen die hier herausgearbeiteten definitorischen Ansätze an ausgewählten Textbeispielen übergeprüft werden. Hierzu sollen zwei Romane in Bezug auf Fremdheitserfahrungen in der interkulturellen Literatur untersucht werden: Einerseits „Die Brücke vom goldenen Horn“ von Emine Sevgi Özdamar und andererseits „Selim oder die Gabe der Rede“ von Sten Nadolny. Es handelt sich hierbei um zwei völlig unterschiedliche Romane, die jedoch beide der interkulturellen Literatur zuzuordnen sind und nach Meinung der Verfasserin bezüglich des Aspektes der Beschäftigung mit Fremdheitserfahrung sehr ergiebig sein können. Bei der Analyse sollen nicht nur die impliziten Fremdheitserfahrungen untersucht werden. Vielmehr soll zudem analysiert werden, wie das „Fremde“ beschrieben und erzähltechnisch dargestellt wird. Weiter sollen Textpassagen, die den aus Fremdheitserfahrungen resultierenden Kulturschock thematisieren, untersucht werden. Hier soll gezeigt werden, wie die Figuren auf die Erfahrungen des „Fremden“ reagieren und vor allem, wie diese Erfahrungen verarbeitet werden. Aufgrund dieser Textanalysen lassen sich sehr gut Rückschlüsse auf die jeweiligen Gesellschaftsbilder der Autoren Özdamar und Nadolny ziehen.

In der Schlussbemerkung soll zusammenfassend dargestellt werden, wie die beiden Romane in die interkulturelle Literatur einzuordnen sind und welche gattungstypischen Aspekte sie erfüllen. Vor allem aber soll der durch die Analyse der beiden Texte herausgearbeitete Aspekt der Fremdheitserfahrung abschließend vergleichend diskutiert werden.

Zur Analyse der beiden Romane ist es natürlich notwendig, Texte aus der Sekundärliteratur heranzuziehen. Besonders hilfreich bei der Einführung in die Thematik der interkulturellen Literatur in Deutschland sind der Aufsatz von Sargut Sölcun, sowie die Aufsätze von Carmine Chiellino und Aglaia Blioimi. Zur Definition des Begriffs des Fremdverstehens wird unter anderem der Aussatz von Fred Lönker herangezogen. Daneben findet natürlich der Aufsatz von Sten Nadolny über seinen Roman „Selim oder die Gabe der Rede“ besondere Berücksichtigung.

2. Die interkulturelle Literatur in Deutschland

Literatur reflektiert die politischen und sozialen Verhältnisse ihrer Zeit.[3] Dies gilt natürlich auch für die die vorliegende Thematik betreffenden, demographischen Veränderungen seit dem Ende des 2. Weltkrieges in Deutschland. Nach dem 2. Weltkrieg setzte eine Wanderungsbewegung ein, die man zu den großen Wanderungsbewegungen innerhalb der deutschen Geschichte rechnen kann. Von 1955-1973 siedelten nach Deutschland viele so genannte „Gastarbeiter“ über, die die deutsche Wirtschaft wieder mit aufbauen sollten. Der Aufenthalt dieser ausländischen Arbeitskräften war nur für eine kurze Periode geplant. Kamen die ersten dieser ausländischen Arbeitskräfte aus Italien, Spanien und Portugal, so stiegen seit dem Ende der sechziger Jahre die Anteile türkischer und jugoslawischer Arbeits-Migranten erheblich an. Der Großteil dieser ausländischen Arbeitskräfte verrichtete ungelernte oder angelernte Tätigkeiten in den Zentralbereichen der industriellen Produktion.[4] Aufgrund dieser Migration begegneten sich unterschiedliche Lebensweisen und Kulturen, deren Konflikte und Ineinandergreifen die Literatur reflektiert.

Die Texte, die der interkulturellen Literatur unterzuordnen sind, zeigen in Bildern, Rückblicken und Vorstellungen eine meist starke Präsenz der verlassenen Heimat im Bewusstsein ihrer Autoren.[5] Dies kann mit gesellschaftlichen oder politischen Ereignissen in mehr oder weniger enger Verbindung stehen, wobei dabei auch immer der kulturelle Hintergrund des Autors berücksichtigt werden muss, weshalb hier eine Relativierung sehr gefährlich wäre. Die Autoren sind nicht immer in der Lage, sich völlig von ihrem historischen und sozialen Hintergrund zu lösen, wobei aber auch ihr Standort im Einwanderungsland eine große Rolle zu spielen scheint. Ihr Standort im Einwanderungsland wirkt sich zudem auf die Themenwahl und die Wahl der jeweiligen Gattung aus.[6] In den Texten von Autoren mit einem Migrationshintergrund vollzieht sich eine Gratwanderung zwischen den Kulturen des Heimatlandes und des Einwanderungslandes. Diese Gratwanderung führt zu einer gewissen Selbständigkeit.[7]

Die interkulturelle Literatur verdankt ihren literarturhistorischen Stellenwert vor allem dem Aspekt, dass sie weder als Verlängerung der heimatlichen Literatur, noch simplifizierend lediglich als ein Teil der deutschen Literatur anzusehen ist.[8] In ihrer Anfangsphase wurde die „Migrantenliteratur“ hauptsächlich noch von Übersetzungen beherrscht. Die Sprache der Fremde galt noch als „Fremdsprache“. Das Schreiben in der eigenen Sprache zeugt zudem von einem Bedürfnis nach kollektiver Identität.[9] Die Bildung der Kompetenz durch Distanzierung der Gesamtrealität war in der internationalen Gemeinschaft der „Gastarbeiter“ zwar sehr paradox, doch führten gerade solche Distanzierungen zu einer schnelleren Durchsetzung der heimatlichen Perspektiven, deren Abgrenzungsmechanismen die erlebte Fremdheit erleichtern.[10] Zu Beginn der „Migrantenliteratur“ versuchten die Autoren noch bewusst eine Vermittlerfunktion zu erfüllen und dabei die Grenzen jener spezifischen Fremdheit aufzuzeigen und zu definieren.[11]

Sargut Sölcün geht in ihrem Aufsatz über die Literatur der türkischen Minderheit auf einige Komponenten der Migrantenliteratur ein, die seit den achtziger Jahren in einem widersprüchlichen Verhältnis zueinander stehen. Die türkischen AutorInnen sahen sich selbst als Künstler und wollten dementsprechend auch von der Gesellschaft als solche angesehen werden. Die multikulturelle Industriegesellschaft sieht in ihnen jedoch lediglich nur „genuine Kulturvermittler“.[12] Eine der Intentionen der türkischen AutorInnen besteht darin, sich von ihren eigenen Landsleuten, den ehemaligen Gastarbeitern zu emanzipieren, die ihrerseits weder mit den Integrationsvorschlägen der einheimischen Mehrheit einverstanden sind, noch das fremde Land verlassen wollen.[13]

Für die interkulturelle Literatur in Deutschland bedeutet dies nun, dass die Autoren mit Migrationshintergrund - ob absichtlich oder nicht - zu Chronisten und Kritikern ihrer Zeit geworden sind, was zur Entstehung einer neuen Gattung geführt hat.[14] Was genau zeichnet diese Gattung aus? Welche spezifischen Eigenarten sind auf der Metaebene zu erkennen? Wodurch lässt sich ein Text der interkulturellen Literatur zuordnen? Diese Fragen sind in der später folgenden Textanalyse zu klären.

Daneben gilt es die Frage zu diskutieren, was der Begriff der interkulturellen Literatur genau umfasst. Zur Beantwortung dieser Frage sind definitorische Überlegungen zum Begriff der „Interkulturalität“ notwendig. Der Begriffsbestandteil „-inter“ kann sowohl als ein „Dazwischen“, als auch ein „Miteinander“ der Kulturen gedeutet werden. Der Begriff der „Interkulturalität“ beschreibt also grenzüberschreitende Beziehungen zwischen den Kulturen. Er verweist auf eine besondere Form von Beziehungen und Interaktionen, die innerhalb einer Kultur stattfinden. Sie besitzen keinen statischen, sondern einen dynamischen Charakter.[15]

Es existieren zudem im Bereich der interkulturellen Literatur Aspekte, die darauf hindeuten können, wann ein Text interkulturell angelegt ist. Aglaia Blioumi arbeitet hierzu vier wichtige Aspekte in seinem Aufsatz, über Sten Nadolnys „Selim oder die Gabe der Rede“ heraus, die in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sind:

- Der erste Gesichtspunkt, den Blioumi skizziert, ist der des dynamischen Kulturbegriffes, der eine „unabdingbare Voraussetzung für ein interkulturelles Potential darstellt und der alle Bereiche der konstruierten Realität mit einschließt.“[16] „Ein dynamischer Kulturbegriff akzeptiert den Wandel und den Prozess innerhalb eines kulturellen Gebildes, klammert dagegen essentialistische Zuschreibungen aus.“[17]
- Ein weiterer Aspekt in Bezug auf interkulturelle Texte, ist der Begriff der Selbstkritik. Hierunter versteht Blioumi eine Selbstkritik auf der kulturellen Ebene. Dieser Begriff hinterfragt „Vertrautes“ und „Eigenes“ nicht nur in Bezug auf das Individuum, sondern auch in Bezug auf das gesamte Umfeld.[18]
- Die Hybridität stellt einen weiteren wichtigen Aspekt in der Skizzierung von Identitäten dar. Dies kann sowohl in einer persönlichen als auch in einer kollektiven Identitätsfindung manifestiert sein. Die Hybriditä t ist konstituierend für die Interkulturalität, da sie die Anerkennung der Multikulturalität innerhalb eines Kollektivs fördert.[19]
- Abschließend nennt Blioumi den Aspekt der doppelten Optik, der die Darstellung des „Eigenen“ und des „Fremden“ aus verschieden Perspektiven ausdrückt und somit zu einer Auflockerung der eigenen kulturellen Sicht führen kann.[20]

[...]


[1] Vgl. Sölcün, Sargut: Literatur der türkischen Minderheit, in: Chiellino, Carmine (Hrsg.): Interkulturelle Literatur in Deutschland, Ein Handbuch, Stuttgart 2000, S. 135-153, hier S. 135.

[2] Vgl. Lönker, Fred: Aspekte des Fremdverstehens in der literarischen Übersetzung, in: Lönker, Fred (Hrsg.): Die literarische Übersetzung als Medium der Fremderfahrung, Berlin 1992, S. 41-63, hier S. 43 ff.

[3] Vgl. Sölcün, Sargut: Literatur der türkischen Minderheit, in: Chiellino, Carmine (Hrsg.): Interkulturelle Literatur in Deutschland, Ein Handbuch, Stuttgart 2000, S. 135-153, hier S. 135.

[4] Vgl. Bade, Klaus J. 1993:Deutsche im Ausland, Fremde in Deutschland, S. 393ff.

[5] Vgl. Sölcün, Sargut: Literatur der türkischen Minderheit, in: Chiellino, Carmine (Hrsg.): Interkulturelle Literatur in Deutschland, Ein Handbuch, Stuttgart 2000, S. 135-153, hier S. 135.

[6] Vgl. Sölcün: Literatur, S. 135.

[7] Vgl. Sölcün: Literatur, S. 135.

[8] Vgl. Sölcün: Literatur, S. 135.

[9] Vgl. Sölcün: Literatur, S. 136.

[10] Vgl. Sölcün: Literatur, S. 136.

[11] Vgl. Sölcün: Literatur, S. 136 ff.

[12] Vgl. Sölcün: Literatur, S. 136 ff.

[13] Vgl. Sölcün,: Literatur, S. 136.

[14] Vgl. Sölcün: Literatur, S. 136 ff.

[15] Vgl. Blioumi, Aglaia: Interkulturalität und Literatur. Interkulturelle Elemente in Sten Nadolnys Roman „Selim oder die Gabe der Rehe“, in: Blioumi, Aglaia (Hrsg.): Migration und Interkulturalität in neueren literarischen Texten, München 2002, S. 28-41, hier S, 31.

[16] Vgl. Blioumi: Interkulturalität, S. 31.

[17] Vgl. Blioumi: Interkulturalität, S. 31.

[18] Vgl. Blioumi: Interkulturalität, S. 31.

[19] Vgl. Blioumi: Interkulturalität, S. 31.

[20] Vgl. Blioumi: Interkulturalität, S. 31.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Fremdheitserfahrungen in der interkulturellen Literatur in Deutschland
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Veranstaltung
Interkulturelle Literatur
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
26
Katalognummer
V26166
ISBN (eBook)
9783638285872
Dateigröße
591 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fremdheitserfahrungen, Literatur, Deutschland, Interkulturelle, Literatur
Arbeit zitieren
Yvonne Plonka (Autor:in), 2004, Fremdheitserfahrungen in der interkulturellen Literatur in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26166

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