Das Kunstmärchenkonzept der Frühromantik und seine Übertragung auf die Kinder - und Jugendliteratur der 1950-er und 1960-er Jahre

Am Beispiel „Die Abenteuer des starken Wanja“ von Otfried Preußler


Term Paper (Advanced seminar), 2011

24 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhalt

1. Gegenstand der Arbeit
1.1 Motivierung
1.2 Definitionen

2. Die Entstehung des Kunstmärchens in der Romantik
2.1 Kindheitsbild der Romantik
2.2 Romantische Kinder- und Jugendliteratur
2.3 Das Kunstmärchen in der Romantik
2.4 Die Muße im Kunstmärchen

3. Die Adaption des romantischen Kunstmärchenkonzeptes
3.1 Die Entwicklung der KJL Ende der 1950-er und 1960-er Jahre
3.2 Die Abenteuer des starken Wanja - ein Kunstmärchen?
3.3 Kunstmärchen oder phantastische Literatur?

4. Zusammenfassung

5. Literatur
5.1 Primärliteratur
5.2 Sekundärliteratur

1. Gegenstand der Arbeit

1.1 Motivierung

Das Interesse für diese Hausarbeit erwuchs zunächst aus der Frage, in welche literarische Gattung sich Otfried Preußlers „Die Abenteuer des starken Wanja“ einordnen lässt. Der Verdacht keimte auf, dass es sich dabei um ein Kunstmärchen handeln könnte, was es nötig machte, sich mit den kinderliterarischen Anfängen dieses Gattungskonzeptes eingehender zu beschäftigen. Die Auseinandersetzung mit den Ursprüngen des Kunstmärchens mündete schließlich im Rückschluss bei Preußlers Werk in seiner Zeit.

Weshalb könnte sich ein Kinderbuchautor, als der er sich selbst bezeichnet, beim Konzept des Kunstmärchens aus dem neunzehnten Jahrhundert bedienen und in wie weit greift er tatsächlich darauf zurück? In seiner Rolle als Kinderbuchautor lag auf den ersten Blick ein möglicher Grund, gilt doch das Märchen gemeinhin als ausgesprochenes Genre der Kinder- und Jugendliteratur. Ein weiterer Forschungsgengenstand der Arbeit war darauf zurückführend die Verortung des Kunstmärchens im Genrespektrum der Kinder- und Jugendliteratur.

Der erste Teil der Arbeit basiert vor allem auf der Recherche aus literaturtheoretischen Texten zum Kunstmärchen und zur Kinder- und Jugendliteratur der Romantik, während sich der zweite Teil betont am konkreten Textbeispiel „Die Abenteuer des starken Wanja“ orientiert und eine kurze Einordnung des Werkes in seine Zeit mithilfe theoretischer Textgrundlagen vornimmt und schließlich mit dem romantischen Kunstmärchenkonzept verglichen wird.

Die Fokussierung auf Preußler als konkretes Textbeispiel ist zum einen dadurch begründet, dass der Kunstmärchenbegriff innerhalb der fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit märchenhaften Texten während der 1960-er Jahre kaum mehr diskutiert und verwendet wurde und ein allein allgemeiner theoretischer Vergleich zwischen dem Kunstmärchenkonzept der Romantik und der 1960-er Jahre sich deshalb schwierig gestaltete. Zum anderen ist die Spanne innerhalb der Kunstmärchenliteratur seit jeher sehr groß, doch da die entsprechende Funktionsbestimmung des Kunstmärchens im Hinblick auf Kinder- und Jugendliteratur geschehen soll, scheint Preußler als geeignetster Vertreter für dieses Anliegen[1].

1.2 Definitionen

Zur besseren Abgrenzung soll vorweg das Verständnis der Begriffe Kunstmärchen und Kinder- und Jugendliteratur für diese Arbeit konkretisiert werden. Es handelt sich vorläufig lediglich um Arbeitsdefinitionen.

Die beiden Nomen, aus denen der Terminus Kunstmärchen besteht, implizieren zwei wesentliche Aussagen. Zum einen handelt es sich beim Märchen wie es bereits bei einem Ursprung des Wortes ahd. māri- s agāri („Verbreiter von Gerüchten“) zum Ausdruck kommt um einen fiktionalen Stoff, der mündlich überliefert wurde.[2] Der später angefügte Diminutiv –chen an den Wortstamm Mär versprachlicht den kürzeren Umfang der Erzählform. Kunst - in diesem Kompositum verweist darauf, dass die Erzählform einer bestimmten Intention, nämlich der eines benennbaren Autors, folgt und aufgrund dessen komplexere Strukturen besitzen kann als seine „natürliche“, über zum Teil Jahrhunderte im Kollektiv gewachsene Ausgangsform das Märchen.

Die Abgrenzung von Kinder- und Jugendliteratur (KJL) kann nach sehr unterschiedlichen Kriterien erfolgen. Für diese Arbeit scheint die allgemeine Festlegung von KJL als jene Literatur, die von Autoren speziell für Kinder verfasst wurde, sinnvoll. Denn das Wechselverhältnis zwischen „intentionaler Kinder- und Jugendliteratur“[3] und nicht intentionale könnte gerade bei der Betrachtung des Kunstmärchens in der Romantik zu interessanten Ergebnissen führen. Desweiteren soll in der Arbeit das inhaltliche Spannungsfeld zwischen KJL als Erziehungsliteratur und als kindgemäße bzw. –gerechte Literatur ausgelotet werden. Unter kindgemäßer Literatur wird dabei sowohl Literatur verstanden, die sich an den entwicklungspsychologischen und intellektuellen Anforderungen des Kindes orientiert, als auch Literatur, die durch ihre spezifischen Eigenschaften zur „Aneignung literarischer Regeln“ dient und damit für Kinder als Lesepublikum zugeschnitten ist. Die Termini Kinderliteratur und Kinder- und Jugendliteratur werden im Rahmen dieser Arbeit synonym verwendet.

2. Die Entstehung des Kunstmärchens in der Romantik

Die Betrachtung des Kunstmärchens als Kinderliteratur kann nicht ohne ein Vorverständnis für die Sicht auf Kindheit während dieser Epoche geschehen. Bevor also die romantische Kinderliteratur und das Kunstmärchen untersucht werden, soll das Verständnis der Kindheit kurz umrissen werden.

2.1 Kindheitsbild der Romantik

Die Vorstellung von Kindheit an sich muss berücksichtigt werden, wenn der Versuch unternommen werden soll, das Kunstmärchen im Verlaufe dieser Arbeit als einen essentiellen Kern der romantischen, poetischen Konzeption auszumachen und es als eine wesentliche Triebfeder für die Entwicklung der KJL im Allgeneinen zu benennen.

Am Anfang des sich wandelnden Kindheitsbildes stand Johann Gottfried Herders Vorstellung von Kindheit als „Paradies unschuldiger Hoffnungen und Wünsche“[4] und als eine Zeit, die durch die Suche „nach dem Wunderbaren“ [5] geprägt ist. Er distanzierte sich mit dieser Positionierung frühzeitig zur aufgegklärten, vernunftbetonten Kindheitsauffassung von seinen Zeitgenossen. Seine Gleichsetzung der Wachstumsstadien des Menschen mit den Stadien der Menschheitsgeschichte setzte diese individuelle Entwicklungsphase außerdem erstmals in Relation mit der Geschichte im Allgemeinen [6] (zum exakten Geschichtsverständnis in der Literatur s.u. 2.3 Das Kunstmärchen in der Romantik).

Das romantische Kindheitsbild wurzelte in der Abgrenzung zum aufklärerischen Kindheitsideal und entwickelte sich entscheidend in der Zeit der Frühromantik weiter. In kritischer, literarischer Auseinandersetzung mit der Kindheitsvorstellung der Aufklärung bedienten sich die Frühromantiker vor allem der Satire. In dieser Form griffen sie in erster Linie den übertriebenen Wunsch nach Erziehung, die Verstandesbetonung der Aufklärer, die geringgeschätzte Kindheitsauffassung und die Pädagogik überhaupt an.

Mit der Frühromantik erfolgte gleichzeitig eine „Aufwertung von Kindheit“[7] als dem Erwachsenenalter überlegene Entwicklungsphase. Novalis fasste das frühromatische Kindheitsbild wie folgt zusammen: „Wo Kinder sind, da ist goldenes Zeitalder.“ [8] Er verquickte in jenem Zitat die Vorstellung von Kindheit mit der besonderen Zeitauffassung der Frühromantiker. Die Kindheit lag nahe der Grenze zur Ewigkeit und rückte als permanenter Grenzgänger damit dem Wunderbaren über die Grenzen der Wirklichkeit hinweg näher. Ihre Wahrnehmung überstieg die der Erwachsenen bis ins Übersinnliche. Aufgrunddessen avancierte das Kindheitsbild zum unerreichbaren Idealbild des Menschen jener Zeit[9].

[...]


[1] MAYER, Mathias; TISMAR, Jens: Kunstmärchen. 3.völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart: Metzler 1997, S.56.

[2] PÖGE-ALDER: Märchenforschung. Theorien, Methoden, Interpretationen. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2007, S.22.

[3] BRAUNGART, Georg et.al. (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. 3Bde. Berlin: Walter de Gruyter 2003, S. 254 (Stichwort: Kinder- und Jugendliteratur).

[4] HERDER, Johann Gottfried zitiert nach: EWERS, Hans-Heino (Hg.): Kinder und Jugendliteratur der Romantik. Eine Textsammlung. Stuttgart: Reclam 1984, S. 9.

[5] Ebd, S.9.

[6] Ausführlich dazu EWERS 1984, S.8ff.

[7] EWERS 1984, S.20.

[8] NOVALIS, zitiert nach: EWERS 1984, S.24.

[9] EWERS 1984, S.24.

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Details

Title
Das Kunstmärchenkonzept der Frühromantik und seine Übertragung auf die Kinder - und Jugendliteratur der 1950-er und 1960-er Jahre
Subtitle
Am Beispiel „Die Abenteuer des starken Wanja“ von Otfried Preußler
College
Ernst Moritz Arndt University of Greifswald  (Institut für Deutsche Sprache und Philologie)
Course
Muße. Zur Funktion freier Zeiten in Literatur und Ästhetik des 18./19. Jahrhunderts
Grade
1,0
Author
Year
2011
Pages
24
Catalog Number
V262685
ISBN (eBook)
9783656511922
ISBN (Book)
9783656511854
File size
633 KB
Language
German
Keywords
kunstmärchenkonzept, frühromantik, übertragung, kinder, jugendliteratur, jahre, beispiel, abenteuer, wanja, otfried, preußler
Quote paper
Antje Sigrid Kropf (Author), 2011, Das Kunstmärchenkonzept der Frühromantik und seine Übertragung auf die Kinder - und Jugendliteratur der 1950-er und 1960-er Jahre, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/262685

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