Zeitzwang als Beispiel für ein soziales Prozessmodell der Zivilisationstheorie von Norbert Elias


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

21 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Merkmale der Eliasschen Zivilisationstheorie
2.1. Elias Zivilisationstheorie
2.2. Figurationen
2.3. Prozesstheorie
2.4. Universaler Gültigkeitsanspruch der Zivilisationstheorie

3. Definition und Entwicklung des Begriffs Zeit...
3.1. Natürliche und soziale Zeit
3.2. Bedeutung der „Zeit“

4. Zeit als Zivilisationsprozess
4.1. Aktive und passive Zeitbestimmung
4.2. Erstes Auftreten von Interdependenzen
4.3. Verdichtung von Interdependenzen
4.4. Zeit als integraler Bestandteil der individuellen Persönlichkeit

5. Persönliche Stellungnahme zu Elias Zivilisationstheorie

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Wenn man mich nicht fragt, was Zeit ist, weiß ich es, wenn man mich fragt, weiß ich es nicht. Warum frage ich?“ so lautet das Vorwort zu Norbert Elias (1988) wissenssoziologischer Studie „Über die Zeit“. Obwohl Zeit in heutigen Gesellschaften eine zentrale und bedeutende Rolle Zeit spielt, kann man an dem einleitenden Satz bereits das ungelöste Kernproblem der Philosophie erkennen, nämlich was „Zeit“ eigentlich ist.

Zeit ist charakteristisch für die Art, wie Menschen sich orientieren, da sich Menschen weniger als jedes andere Lebewesen mit Hilfe ungelernter Reaktionen orientieren, sondern geprägt sind durch Lernen vorangegangener Erfahrungen einer langen Kette menschlicher Generationen. Bei diesen Lernprozessen spielen Symbole eine zentrale Bedeutung, denn Menschen haben die einzigartige Fähigkeit, durch den Gebrauch von Symbolen miteinander zu kommunizieren. Die Sprache einer Gruppe wird beim Heranwachsen zum erlernten Mittel der Kommunikation des einzelnen Menschen. Sie wird zu seiner oder ihrer Sprache, also zu einem integralen Bestandteil der individuellen Person. Dabei handelt es sich um Symbole, die nicht genetisch fixiert sind, sondern die Menschen selbst geschaffen und erlernt haben, die gesellschaftsspezifisch sind und mit deren Hilfe sich Menschen in der Welt orientieren. Allerdings muss trotz dieser Fähigkeit einschränkend angemerkt werden, dass Menschen über alles, was in einer Sprache nicht symbolisch festgelegt ist, nicht kommunizieren können. Auch Zeit stellt eine Symbolsprache dar, denn das, was z.B. die Uhr durch die Symbolik ihres Zifferblatts mitteilt, das ist es, was man letztendlich „Zeit“ nennt.

Besonders durch seine Orientierungsfunktion hat Zeit in unterschiedlichen Gesellschaften unterschiedliche Bedeutung erlangt und kann durch diesen gesellschaftlichen Wandel als soziales Symbol gleichzeitig mehrere Funktionen erfüllen, z.B. kommunikative Funktion, soziales Orientierungsmittel, etc.

Am Beispiel „Zeit als soziales Orientierungsmittel“ wird auch schon das Grundprinzip der Eliasschen Zivilisationstheorie, die Interdependenz der Individuen voneinander, deutlich:

Eine Bahnhofsuhr zeigt an, wie viel Zeit verbleibt, bis der Zug eintrifft, und dadurch fängt der einzelne Mensch an, sein Verhalten zu regulieren. Ist der Mensch beispielsweise wegen eines wichtigen Termins auf den Zug angewiesen, so wird er sich zu beeilen beginnen, um diesen Zug noch zu erreichen. Hat er bis zum Eintreffen des Zuges hingegen ausreichend Zeit, so wird er möglicherweise gelassen im Restaurant bei einer Tasse Kaffee warten.

Im Beispiel treffen Fremdregulierung und Selbstregulierung ineinander und je nach Bedeutung des Ereignisses und der verbleibenden Zeit kann sich ein zum Selbstzwang gewordener sozialer Zeitzwang entwickeln, der sich als Musterbeispiel für einen Typ zivilisatorischer Zwänge eignet, dem man in entwickelteren Gesellschaften häufig begegnet. „Man könnte an der Entwicklung der Zeitinstrumente und des Zeitbewussteins […] mit ziemlicher Genauigkeit ablesen, wie die Funktionsteilung und mit ihr zugleich die Selbstregulierung, die dem Einzelnen auferlegt ist, voranschreitet“ (Über den Prozess der Zivilisation 2, 1990, S. 338). Den Selbstzwang zur Orientierung im Sinne der Zeit können Mitglieder dieser Gesellschaften oft am eigenen Leibe beobachten, während andere Formen zivilisatorischer Selbstzwänge der eigenen Person weniger leicht als solche für sie erfassbar sein mögen. So ist es den meisten Menschen auch kaum bewusst, dass sie auch einem zivilisatorischen Selbstzwang in Bezug auf Tischbesteck folgen. Während es heute als selbstverständlich gilt, bei Tisch Essbesteck wie Messer, Gabel und Löffel zu verwenden, musste sich beispielsweise der Gebrauch einer Gabel erst als Essinstrument entwickeln. „Vom 16. Jahrhundert ab kommt die Gabel […] langsam als Essinstrument in Gebrauch, nachdem sie vorher eine Zeitlang nur zum Herunternehmen der festen Speisen aus der Platte gedient hatte“ (Über den Prozess der Zivilisation 1, 1995, S. 88).

In der wissenssoziologischen Studie „Über die Zeit“ beschäftigt sich Elias mit den grundlegenden Fragen, wie alltägliches Wissen über die Zeit zustande kommt und wie es sich mit Gesellschaftsbedingungen wandelt. Insbesondere am sich entwickelten Zeitzwang soll dieser Wandel der Gesellschaftsbedingungen aufgezeigt werden, nämlich dass Zivilisation auch Veränderungen in der Verhaltensregulierung bedeutet.

2. Merkmale der Eliasschen Zivilisationstheorie

Kernthema der Zivilisationstheorie von Norbert Elias sind Figurationen, Prozesse der wechselseitigen Abhängigkeit der in einer Gesellschaft lebenden Menschen. „Der Begriff Zivilisation bezieht sich auf sehr verschiedene Fakten: auf den Stand der Technik, […]“ (Über den Prozess der Zivilisation 1, 1995, S. 1).

2.1. Elias Zivilisationstheorie

Norbert Elias geht davon aus, dass Menschen nur geringe Chancen besitzen, als einzelne wie als Gruppen zu überleben, wenn ihr natürliches Potenzial zur Selbstkontrolle und zur Selbstregulierung von momentan aufschießenden Trieb- und Affektimpulsen nicht von Kindheit an beim Zusammenleben mit anderen Menschen im Sinne ganz spezifischer regulativer Verhaltens- und Empfindungsmuster entwickelt wird. Menschen orientieren sich deshalb weniger als jedes andere Lebewesen mit Hilfe ungelernter Reaktionen, sondern sind geprägt durch Lernen vorangegangener Erfahrungen einer langen Kette menschlicher Generationen.

Bei diesen Lernprozessen spielen Symbole wie z.B. Zeit eine zentrale Bedeutung, denn Menschen haben die einzigartige Fähigkeit, durch den Gebrauch von Symbolen miteinander zu kommunizieren. So kann Zeit als soziales Symbol mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllen, z.B. Wort und Begriff der Zeit zusammen stellen ein Beispiel für eine kommunikative Funktion menschlicher Symbole (jedes einzelne Mitglied einer Gesellschaft verbindet mit dem Lautmuster durch ein erlerntes Erinnerungsmuster einen Sinn) dar. Die Bedeutung der Lernprozesse wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass Menschen über alles, was in einer Sprache nicht symbolisch festgelegt ist, auch nicht kommunizieren können.

Dabei ist zu beachten, dass bereits die Lautgebung derart gruppenspezifisch und in verschiedenen Gesellschaften derart verschieden ist, dass, obwohl alle Menschen biologisch von der gleichen Art abstammen, eine direkt-sprachliche Kommunikation zwischen Mitgliedern verschiedener Gesellschaften nicht mehr möglich ist. Zur gesellschaftsspezifischen Sprache gehören folglich eine Reihe von Symbolen wie der bereits erwähnte Umgang mit der Zeit, aber auch z.B. das Erleben des Todes (z.B. Kastenwesen und Wiedergeburt in Indien, Himmel und Hölle im christlichen Glauben, etc.), die den Menschen einer bestimmten Gesellschaft wie andere gruppenspezifische Verhaltensweisen als natürlich und unwandelbar erscheinen, aber als Kommunikationsmittel dennoch zuerst erlernt werden müssen, „[…] die geheimen Wertungen, die sie unausgesprochen mit sich tragen, alles das macht sie schwer erklärbar für jeden Nicht-Zugehörigen“ (Über den Prozess der Zivilisation 1, 1995, S. 2). Die schwere Erklärbarkeit für Nicht-Zugehörige lässt sich auch am Beispiel von Sprichwörtern nachvollziehen: Sprichwörter waren für Mitglieder in früheren Gesellschaften und bestimmten Entwicklungsstufen unersetzliche Instrumente der Kommunikation, deshalb verwendeten diese Sprichwörter in Gesprächen und Auseinandersetzungen als ein normales Verständigungsmittel genauso wie Mitglieder späterer Gesellschaften ihre Abstraktionen und Verallgemeinerungen eines höheren Syntheseniveaus. Deshalb mögen Sprichwörter für Mitglieder späterer Gesellschaften, die somit als Nicht-Zugehörige der Mitglieder von früheren Gesellschaften zählen, nur mehr als Teil der Folklore ihrer Vorväter erscheinen, die mehr zur Vergangenheit als zur Gegenwart gehören (Über die Zeit, 1988, S. 167.)

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Details

Titel
Zeitzwang als Beispiel für ein soziales Prozessmodell der Zivilisationstheorie von Norbert Elias
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
2,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
21
Katalognummer
V263333
ISBN (eBook)
9783656520504
ISBN (Buch)
9783656532088
Dateigröße
507 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
zeitzwang, beispiel, prozessmodell, zivilisationstheorie, norbert, elias
Arbeit zitieren
Carsten John (Autor:in), 2010, Zeitzwang als Beispiel für ein soziales Prozessmodell der Zivilisationstheorie von Norbert Elias, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/263333

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