Interkulturelle Bildung in Nordrhein-Westfalen

Ein Vergleich von Lehrplänen des Unterrichtsfachs Geschichte der Jahre 1999 und 2013 hinsichtlich interkultureller Bildungsziele und Kompetenzstandards


Seminararbeit, 2013

23 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Interkulturelle Bildung
2.1 Entstehung und Entwicklung
2.2 Inhalte, Zielsetzungen und Herausforderungen

3 Kompetenz- und Zielkriterien zur Untersuchung interkultureller Bildungsinhalte in Lehrplänen

4 Interkulturelle Bildung in NRW-Lehrplänen
4.1 Interkulturelle Bildungsinhalte und Kompetenzstandards 1999 und 2013
4.1.1 Lehrplanversion von 1999
4.1.2 Lehrplanversion von 2013
4.2 Bewertung der Lehrplaninhalte hinsichtlich der Ziele Interkultureller Bildung

5 Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Zum ersten Mal seit den Brandanschlägen auf Asylbewerberheime in den frühen 1990er Jahren ist in Deutschland die Einwanderung von Menschen aus dem Ausland wieder verstärkt zum beherrschenden Thema im öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs geworden. Eine Kombination verschiedener Ereignisse und Entwicklungen führte dazu, dass in den Jahren 2012, 2013 und 2014 der interkulturelle Umgang mit 'Fremden', aus dem Ausland stammenden Menschen, immer wieder Thema in den Massenmedien war und ist.

Die anhaltenden Einwanderungsversuche von Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen aus nordafrikanischen Ländern über das Mittelmeer in die Europäische Union auf der Suche nach Asyl und wirtschaftlichen Perspektiven ist einer der Themenkomplexe, die die Diskussion entfachten. In einer Europäischen Union mit offenen Staatsgrenzen ziehen EU-Bürger auf der Suche nach Wohlstand als billige Arbeitskräfte z.B. ins Ruhrgebiet. Die Migration dieser Menschen sorgt für Konflikte und entsprechenden Diskussionsbedarf zur Problematik der Interkulturalität. Vor dem Hintergrund rechts-terroristischer Anschläge radikaler Gruppierungen auf ausländische und ausländischstämmige Bürger einerseits und fremdenfeindlicher Tendenzen in der deutschen Bevölkerung als Reaktion auf eingewanderte Menschen andererseits, rückt die interkulturelle Bildung als möglicher Lösungsansatz für Spannungsverhältnisse in einer kulturell heterogenen Gesellschaft in den Fokus des öffentlichen Diskurses.

Da "Schule eine der Institutionen [ist], die der nachwachsenden Generation helfen kann, sich in einer globalisierten Gesellschaft zu orientieren"[1], soll diese Arbeit zeigen, welche interkulturellen Bildungsinhalte in den Kernlehrplänen des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) vorgesehen sind. Neumann/Reuter(2004) untersuchten in ihren Studien aus dem Jahr 2000 und 2004 Lehrpläne anderer Bundesländer, darunter Berlin und Bayern. Hingegen wurde in dieser Form bisher noch keine Untersuchung nordrhein-westfälischer Lehrpläne vorgenommen. Deswegen sollen in dieser Arbeit Lehrpläne des Landes NRW unter dem Gesichtspunkt interkultureller Bildung analysiert werden.

Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, werden in dieser Arbeit lediglich die Kernlehrpläne (KLP) des Unterrichtsfachs Geschichte für die gymnasiale Oberstufe untersucht. Es soll analysiert und anschließend verglichen werden, ob und wenn ja, welche Unterschiede sich zwischen den KLP-Versionen aus den Jahren 1999 und 2013 hinsichtlich der Lehrinhalte zur Interkulturellen Bildung zeigen. Darüber hinaus werden die den Lehrplänen voran gestellten Richtlinien für den geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht in der gymnasialen Oberstufe mit einbezogen. Außerdem soll die Berücksichtigung der Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) in die Bewertung mit einbezogen werden.

Dem Fach Geschichte als Teil der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften wurde hierbei Vorrang vor den Naturwissenschaften gegeben. Der Grund dafür ist die offensichtliche Schwierigkeit, Interkulturelle Bildung (IB) im Unterricht (und somit auch in den KLP) der naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer themenbezogen sinnvoll einzubinden. Dieser Umstand erschwert eine vergleichende Analyse der KLP dieser Fachbereiche. Außerdem ist das Unterrichtsfach Geschichte für mich persönlich relevant, da es eines meiner Studienfächer im M.Ed.-Studium ist.

Zunächst soll in dieser Arbeit der Begriff Interkulturelle Bildung definiert werden. Dazu werden im 2. Kapitel der Arbeit die Geschichte und Entwicklung der IB als wissenschaftliche Disziplin und als pädagogische Bildungsaufgabe beleuchtet und die dazu notwendigen verschiedenen Dimensionen der IB dargestellt. Typische Ziele sollen zudem anhand von einschlägiger Fachliteratur vorgestellt werden. Im dritten Kapitel wird die methodische Herangehensweise zur Analyse und zum Vergleich der KLP erläutert. Dabei greife ich auf das Analysemuster aus den Aufsätzen von Ursula Neumann und Lutz Reuter[2] zurück, das bereits oben erwähnt wurde und im 3. Kapitel ebenfalls ausführlicher erläutert werden.

Anschließend wird im 4. Kapitel Ziel und Herangehensweise der KLP-Analyse beschrieben. Zunächst werden die Kompetenzziele und interkulturellen Bildungsinhalte der Lehrplanversionen von 1999 und 2013 dargestellt. Mit Hilfe der im 3. Kapitel beschriebenen Methodik werden die KLP daraufhin untersucht, inwieweit sie interkulturelle Kompetenz- und Bildungsziele enthalten und in welcher Weise die didaktische Ausformung in der Umsetzung der Bildungsziele im Unterricht angedacht ist.

Auf die Analyse folgt im nächsten Schritt der Vergleich und die anschließende Bewertung der verschiedenen KLP-Versionen. Hierbei sollen mögliche Unterschiede beschrieben und verdeutlicht werden, um eine eventuelle Entwicklung oder Verlagerung des Schwerpunktes innerhalb der Fächer hinsichtlich IB darzustellen.

Im Fazit (5. Kapitel) sollen die Möglichkeiten und Grenzen der IB umrissen werden. Zudem wird ein Ausblick auf eine mögliche erweiterte Konzeption interkultureller Bildungsinhalte gegeben, die eine sinnvolle Ergänzung zu den KLP-Inhalten darstellen könnte.

2. Interkulturelle Bildung

Der Bereich der Interkulturellen Bildung (IB) ist einer der jüngeren Bereiche der Pädagogik. Gesellschaftliche Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die erzieherischen Aufgabenbereiche führten zur Entstehung dieser pädagogischen Disziplin. In diesem Kapitel wird ein Überblick über die historische Entwicklung der IB und ihre Zielvorstellungen gegeben.

2.1 Entstehung und Entwicklung

Interkulturelle Bildung entwickelte sich vor etwa 50 Jahren als pädagogisches Forschungs- und Arbeitsfeld. In dieser Entwicklung wurde IB auch als erziehungswissenschaftliche Disziplin in der Ausbildung für Pädagogen wichtig. Die IB hat also eine relativ junge Geschichte.

Ausgelöst wurde die Beschäftigung mit interkulturell-pädagogischen Themenfeldern durch die Beschreibung von Problemen im Unterricht und der sozialen Arbeit mit Kindern aus Einwandererfamilien in den 1960er Jahren. Lehrkräfte in Schulen und Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen erkannten die Schwierigkeiten, die eine verschleppte Integration der in den 1950er Jahren eingewanderten ausländischen 'Gastarbeiter' mit sich brachte. Die Schilderung der Schwierigkeiten im interkulturellen Umgang zwischen eingewanderten und ansässigen Familien in und mit den institutionellen und vorherrschenden kulturellen Gegebenheiten in Deutschland wurde als pädagogische Disziplin in den 1960er mit dem Begriff "Ausländerpädagogik"[3], beziehungsweise "Ausländerarbeit"[4] bezeichnet.

In ihrer Einführung in die Interkulturelle Bildung[5] beschreibt Marianne Krüger-Potratz, dass durch sich häufende erziehungswissenschaftliche Veröffentlichungen und Tagungen, die sich mit dem Thema der so genannten Ausländerpädagogik und Ausländerarbeit befassten, ein neuer Forschungszweig in der Vergleichenden Erziehungswissenschaft entstand.[6] Die Veröffentlichungen in pädagogischen Zeitschriften und Tagungen waren die "Orte der fachlichen Auseinandersetzung und Reflexion"[7] zum Themenkomplex.

Ende der 1970er Jahre erscheinen erstmals pädagogische Zeitschriften zur Interkulturellen Bildung, gleichzeitig etabliert sich die IB als Lehr- und Forschungsfeld an Hochschulen. Bei der Forschungsarbeit an den Hochschulen handelt sich um die wissenschaftliche Evaluation von interkulturellen Modellvorhaben und die Begleitung von Forschungsprojekten.[8] In den 80er Jahren fand die IB Platz in eigenen Studiengängen, die an Hochschulen in NRW und Hamburg gelehrt wurden.[9] Die Hochschulstandorte in West- und Norddeutschland können also als Ursprungsgebiete der IB in Deutschland betrachtet werden.

In den 80ern gab es noch keine hochschulübergreifende Organisation der Studiengänge, die sich etwa durch allgemeingültige gemeinsame Standards in der Lehre auszeichnete. Diesen Schritt machte das neue Forschungsfeld 1994, als sich die IB an deutschen Hochschulen in der Arbeitsgemeinschaft Interkulturelle Bildung organisierte (seit 2000 Kommission Interkulturelle Bildung in der Sektion für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft ).[10] Die IB ist ein vielschichtiges Bildungs- und Forschungsfeld. Ihre unterschiedlichen Schwerpunkte und typische Ziele sollen nun kurz erläutert werden.

Ziel der IB ist es, "Angehörige von kulturellen Minderheiten und überhaupt von "kulturell" definierten Gruppen, egalitär und wertschätzend zu behandeln."[11] Es geht dabei nicht um die "Assimilation der Minderheiten"[12], sondern im Gegenteil darum, in einer Gesellschaft Kompetenzen zu herauszubilden, die den Angehörigen verschiedener kultureller Gruppen ermöglichen, die Besonderheiten der ihnen jeweils 'fremden' Kultur zu verstehen und die eigene Kultur reflektiert zu betrachten, um sich in erster Linie als Menschen mit Gemeinsamkeiten und nicht als Fremde mit Unterschieden zu verstehen und so Kommunikation und im besten Falle harmonisches Zusammenleben zu ermöglichen. Das Zusammenleben stellt hierbei den Gegenentwurf zum Nebeneinanderleben in einer Gesellschaft mit Menschen dar, die keine interkulturellen Kompetenzen besitzen und darum zu einem polykulturellen Zusammenleben nicht in der Lage sind. Diese notwendigen Kompetenzen sollten innerhalb eines gesellschaftlichen Verbundes (also zum Beispiel eines Staates oder Staatenbundes) idealer Weise sowohl von den Menschen, die der "Mehrheitskultur" angehören, erlernt werden als auch von den Menschen, die in einer kulturellen Minderheit leben.

Christina Allemann-Ghionda begründete die Bedeutung der IB für Bildung und Erziehung und beschreibt die Konzeption des Bildungsziels "interkulturelle Kompetenz". Demnach fußt die IB auf der Annahme,

"die Dimension der soziokulturellen Zugehörigkeit und somit auch der soziokulturellen Unterschiede und der sich daraus ergebenden Vielfalt im Hinblick auf menschliche Kommunikation und auf pädagogisches Handeln nicht zu vernachlässigen, sondern im Gegenteil gesellschaftlich und pädagogisch [...] von großer Bedeutung sind."[13]

Die hier angesprochnen "sich ergebenden Unterschiede"[14] sind es, die bei mangelnder interkultureller Kommunikation oft als Probleme gesehen werden. In einer milden Variante der Wahrnehmung dieser angesprochenen Unterschiede kann es bei Menschen verschiedener soziokultureller Zugehörigkeit zu einer sprichwörtlichen Befremdlichkeit kommen. In einer stärkeren Form kann sich dieses Gefühl zu einer Angst vor Fremdem und in einer radikalen Form zu Fremdenfeindlichkeit steigern. In allen drei Stufen dieses durch den Mangel an "menschliche[r] Kommunikation"[15] hervorgerufenen Problems zwischen den betroffenen Menschen verschiedener soziokultureller Zugehörigkeit können Formen der Ignoranz, der verbalen oder auch politischen Ausgrenzung, aber auch der Bereitschaft zur Gewalt (gegen Sachwerte oder Menschen) auftreten.

Diesen durch natürliche - weil menschliche - Verhaltensweisen entstandenen Barrieren mit Pädagogik als Mittel zur Etablierung interkultureller Bildungsinhalte in der Gesellschaft entgegenzuwirken stellt nach dem oben angeführten Zitat von Allemann-Ghionda das Ziel und die damit einhergehende Herausforderung der IB dar.

Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen herrscht in der wissenschaftlichen Diskussion um IB in vielen Punkten Einigkeit[16], wenn es darum geht, die Ziele der IB zu beschreiben und die pädagogischen Anwendungsgebiete zu umreißen. Im Kapitel Interkulturelle Bildung - zum aktuellen Stand der Diskussion[17] beschreibt Krüger-Potratz im Rahmen ihres Buches diese Punkte. Sie sollen hier kurz dargestellt werden, um einen Überblick zu schaffen, auf dessen Basis auch anschließend auf die zu untersuchenden Lehrpläne eingegangen werden kann.

2.2 Inhalte, Zielsetzungen und Herausforderungen

Krüger-Potratz konstatiert zunächst, dass sich IB an alle richtet, also sowohl an Kinder als auch Erwachsene und ebenso nicht nur für Schülerinnen und Schüler, sondern auch an die pädagogischen Kräfte[18] im Erziehungs- und Bildungsbereich. Außerdem muss IB für alle soziokulturellen Bereiche stattfinden. Wie Krüger-Potratz schreibt, ist sie "kein spezielles Konzept für Bildungssituationen mit Menschen mit Migrationshintergrund"[19], sie richtet sich also mindestens im gleichen Maße an Menschen, die in einer kulturell relativ homogenen Gesellschaft leben.

[...]


[1] Krüger-Potratz 2005, S. 31.

[2] Vgl. Neumann, Ursula; Reuter, Lutz R.: Interkulturelle Bildung in den Lehrplänen - neuere Entwicklungen. In: Zeitschrift für Pädagogik 50 (2004) 6 (Im Folgenden bezeichnet als "Neumann/Reuter 2004")

[3] Krüger-Potratz 2005, S. 27.

[4] Ebd., S. 29.

[5] Ebd.

[6] Ebd., S. 29.

[7] Ebd., S. 29.

[8] Vgl. Ebd.

[9] Vgl. Ebd.

[10] Vgl. Ebd.

[11] Allemann-Ghionda, Christina: Bildung für Alle. Diversität und Inklusion: Internationale Perspektiven. Paderborn 2013., S. 40.

[12] Ebd.

[13] Allemann-Ghionda 2013, S. 42.

[14] Ebd.

[15] Ebd.

[16] Vgl. Krüger-Potratz 2005, S. 30.

[17] Ebd.

[18]Vgl. hierzu auch Bender-Szymanski, Dorothea: Interkulturelle Kompetenz bei Lehrerinnen und Lehrern aus der Sicht der empirischen Bildungsforschung. In: Auernheimer, Georg (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität. Wiesbaden 2013, S. 201-231, sowie
Lanfranchi, Andrea: Interkulturelle Kompetenz als Element pädagogischer Professionalität –Schlussfolgerungen für die Lehrerausbildung. In: Ebd. S. 231-263.

[19] Krüger-Potratz 2005, S. 30.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Interkulturelle Bildung in Nordrhein-Westfalen
Untertitel
Ein Vergleich von Lehrplänen des Unterrichtsfachs Geschichte der Jahre 1999 und 2013 hinsichtlich interkultureller Bildungsziele und Kompetenzstandards
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Autor
Jahr
2013
Seiten
23
Katalognummer
V269887
ISBN (eBook)
9783656611288
ISBN (Buch)
9783656610687
Dateigröße
526 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
interkulturelle, bildung, nordrhein-westfalen, vergleich, lehrplänen, unterrichtsfachs, geschichte, jahre, bildungsziele, kompetenzstandards
Arbeit zitieren
Peter Mathis Wolters (Autor:in), 2013, Interkulturelle Bildung in Nordrhein-Westfalen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/269887

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Interkulturelle Bildung in Nordrhein-Westfalen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden