Die DDR-Gesellschaft der 80er - eine Freizeitgesellschaft?


Dossier / Travail de Séminaire, 2002

25 Pages, Note: 1.7


Extrait


Inhalt

I Einleitung

II Politische Rahmenbedingungen
1. Die Politik der 80er Jahre
2. Kultur- und Freizeitpolitik
3. Erziehungs- und Jugendpolitik

III Werte und Wertewandel
1. Leben und Werte in den 80er Jahren
2. Jugendliche in der DDR

IV Freizeit in der DDR
1. Freizeitkonzepte
2. Freizeit als Wert
3. Organisierte und informelle Freizeit
4. Die besondere Stellung des privaten Raums

V Einzelne Freizeitaktivitäten
1. Verschönerung der Wohnung, Gartenarbeit
2. Nebenarbeit, gesellschaftliche Tätigkeiten
3. Geselligkeit in der Familie und im Freundeskreis
4. Fernsehen und Radio
5. Musik
6. Sport

VI Der Einfluss der westlichen Medien
1. Fernsehen
2. Hörfunk
3. Auswirkungen

VII Konsumgüter
1. Staat und Konsum in den 80er Jahren
2. Intershops als Fenster zum Wohlstandsparadies

VIII Die DDR-Gesellschaft der 80er – eine Freizeitgesellschaft?

Literaturverzeichnis

I Einleitung

"Don't worry – be happy!" Dies ist der Titel eines Hits aus den 1980er Jahren und spiegelt einen Grossteil der Bevölkerung der Bundesrepublik dieser Zeit wider: Spass haben in der Freizeit, die Suche nach Abenteuer und Exotik, Erlebnisreisen und Outdoor-Boom – und alles um jeden Preis und ohne sich Gedanken zu machen. Immer wieder liest man die Bezeichnung "Freizeitgesellschaft" für die Gesellschaft der 80er, oder auch "Erlebnisgesellschaft" oder "Risikogesellschaft".

Aber wie sah es im anderen Teil von Deutschland, in der DDR aus? War die Gesellschaft dort auch eine Freizeitgesellschaft? Auf den ersten Blick würde man dies ablehnen, denn diese Vorstellung passt mit dem Bild des Sozialismus nicht zusammen. Aber vielleicht war sie es zumindest teilweise nach dem Vorbild des Westens?

Diesen Fragen zunachgehen ist Inhalt dieser Arbeit. Dazu soll die DDR-Gesellschaft der 80er in verschiedenen Bereichen charakterisiert werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Freizeit, daneben werden Werte, Medien und Konsumgüter behandelt. Manche Punkte, vor allem bei den einzelnen Freizeitaktivitäten werden nur kurz beschrieben, andere, wie zum Beispiel das Reisen, werden ganz ausgelassen wegen der Übersichtlichkeit. Am Ende werden dann die gestellten Fragen nach der Freizeitgesellschaft diskutiert werden.

II Politische Rahmenbedingungen

1. Die Politik der 80er Jahre

Zum Ende der 70er Jahre und zum Beginn der 80er änderten sich einige Rahmenbedingungen, die für die DDR-Regierung neue Herausforderungen brachten. Von ausserhalb des Staats sind zu nennen zum einen die Ölkrise von 1979, der allgemeine Innovationsschub auf dem Weltmarkt, der die DDR-Wirtschaft unter Druck setzte zu folgen und ab 1985 die Reformpolitik Gorbatschows, die das System des Sozialismus veränderte. Aber auch innerhalb des Staats änderte sich einiges. Es kamen zum Beispiel neue Bewegungen auf, zum Beispiel die Friedensbewegung, die oppositionelle politische Forderungen anbrachten.

Politisch und wirtschaftlich herrschte in der DDR das System des "real-existierenden Sozialismus". Doch die gewünschte "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" – eigentlich Kernstück der sozialistischen Gesellschaftspolitik – geriet durch die Veränderungen immer mehr in die Diskussion. Bis jetzt hatte die Partei eine pragmatische Politik geführt, die schnell die Arbeits- und Lebensstandards heben sollte. Die politisch-ideologische Leistung Honeckers war gewesen, dass er die "handfesten Konsumerwartungen der Bevölkerung mit Traditionen und Zukunftsvisionen der Arbeiterbewegung verband"[1], ein "konsumorientierter Versorgungssozialismus"[2]. Aber ab der Ölkrise galt es, mit der internationalen Konkurrenz mitzuhalten und sich ihr anzupassen. Der Ruf nach "beschleunigter Intensivierung" war auch in der SED zu hören, aber er war immer kombiniert mit dem Hinweis auf die Überlegenheit des Sozialismus. Die Intensivierung sollte eine eigene Qualität erhalten.[3]

Im Parteiprogramm von 1976 war ein Ziel die "weitere Annäherung der Klassen und Schichten" gewesen und die Politik sollte "persönlichkeitsfördernde Arbeitsinhalte" schaffen und "monotone, niedere Qualifikationen" reduzieren. In den 80er Jahren kam dies in die Diskussion und es wurde das Ende der "Einheit von ökonomischem und wissenschaftlich-technischem Fortschritt einerseits und der Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Qualifikationsstruktur andererseits" und mehr soziale Differenzierung der Gesellschaft gefordert. Sie wurde von immer mehr Menschen als notwendig für den ökonomischen und technischen Fortschritt gesehen. Die Grundrichtung der Sozialpolitik blieb jedoch gleich, Leistungen für Familien und Frauen wurden sogar noch erhöht. Die Werte der sozialen Sicherheit und Geborgenheit wurden auch in der Presse gelobt und als besser gesehen als die Kälte des Kapitalismus. Der Staat sah sich als fürsorgliche Autorität und stellte sich auch so dar. Doch insgesamt mangelte es an einer glaubhaften Gesamtideologie für die Bevölkerung.[4]

Die Einheitlichkeit bestimmte aber immer noch in weiten Teilen die DDR der 80er Jahre. Die SED als alleine Entscheidungsmacht in politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Punkten gab die einzige "richtige" Weltanschauung vor. Sie stellte mittels einer "Erziehungsdiktatur"[5] für jeden Bereich des Lebens die Ziele auf und setzte somit Grenzen für eine freie Entwicklung des Einzelnen. Als Folge der zwei Pole der Forderungen nach Innovationen und den Parteiprinzipien lagen die Ziele oft als Kompromiss zwischen denen des Marxismus-Leninismus und den realen Bedürfnissen der Bevölkerung.[6] Die propagierten politisch-ideologischen Ideale und die tatsächlich erlebte Realität gingen in den 80er Jahren immer weiter auseinander.

2. Kultur- und Freizeitpolitik

Das offizielle Ziel der Kulturpolitik waren allgemein die Errichtung der Diktatur des Proletariats und der Aufbau des Sozialismus. Auch die Kultur sollte im Dienst des Klassenkampfs stehen und sollte die sozialistische Kulturrevolution durchführen.[7] Im Programm der SED von 1986 wurde ihre Aufgabe definiert als "die für die entwickelte sozialistische Gesellschaft charakteristische Art und Weise des gesellschaftlichen Lebens (...) in der Freizeit (...) so wie in den Lebensgewohnheiten (...) auszuprägen"[8].

Speziell für die Freizeit wurde aber auch festgestellt, dass es "objektive Erfordernisse" gäbe, so bedeute sie zum Beispiel nicht grenzenlose Freiheit. Aber es bestünde auch eine Pflicht zur Erholung, denn der Mensch müsse sich auch von innen ausruhen, ein sinnvoller Wechsel von Anspannung und Entspannung sei notwendig. Ein Mangel an Freizeit sei keine Tugend, denn jeder habe eine "persönliche und gesellschaftliche Verantwortung für die Reproduktion der Arbeitskraft durch Erholung".[9] Diese gehöre zur sozialistischen Persönlichkeitsentwicklung und sei aber nicht gleichzusetzen mit passiven Freizeitverhalten.

In den 80er Jahren kam die Erkenntnis, dass die geforderten Potentiale für die Produktion nicht ohne individueller Entfaltung erreicht werden konnten. Die Politik versuchte mehr auf die konkreten Wünsche der Bevölkerung einzugehen und stellte mehr die Funktion der Kompensation in der Freizeit in den Vordergrund. Freizeit wurde als eine Art Belohnung dargestellt, "für besondere Leistungen im Arbeitsbereich (sollte es) eine verbesserte Versorgung mit dem "Konsumgut" Freizeit" geben.[10] Doch immer noch galt der Anspruch, alle Möglichkeiten und Angebote für die Freizeit allein durch die Partei zu bestimmen, was eigentlich gegen die Idee der Freizeit von Kreativität und Entfaltung war. Ausserdem blieben neue Bedürfnisse nach nicht-organisierten Angeboten und informellen Räumen unberücksichtigt, so dass man sagen kann, dass die Freizeitpolitik der 80er Jahre nicht gleichzeitig der Ideologie und den realen Bedürfnissen gerecht wurde.

3. Erziehungs- und Jugendpolitik

Die Jugendpolitik der SED unterlag den "Gesetzmässigkeiten der technischen Revolution"[11], denn die Jugend sollte zur Erfüllung des Perspektivplans beitragen. Die Aufgabe der Politik war die Schaffung von Motivation durch gezielte Bewusstseinsbildung. Das Prinzip wurde umgesetzt mit einer Kollektiverziehung vom Kindergarten bis zu den Betrieben. Die Jugend galt als unruhig, aber sie war gleichzeitig aktiver Konsument in der Gesellschaft. Eine völlige Kontrolle war schwierig und so probierte man es zumindest indirekt über das Bildungssystem. Die jugendliche Öffentlichkeit sollte durch staatliche Angebote organisiert werden. Das System funktionierte in weiten Teilen, denn ein negatives Auffallen während der Schulzeit konnte sich bereits entscheidend auf die Berufs- oder Studiumswahl wirken. Darum wählten viele lieber den konfliktfreien Weg und verhielten sich konform.[12] Interessant ist eine Umfrage unter Schülern in der ersten Hälfte der 80er. Es gaben viele an, dass nicht die staatliche Beeinflussung störend war, sondern die auserwählte Vermittlung von Wissen und die Vorenthaltung bestimmter Teile davon.[13]

III Werte und Wertewandel

1. Leben und Werte in den 80er Jahren

In den 80er Jahren konnte die SED der Gesellschaft keine überzeugende Identität mehr vermitteln. Dies ging zusammen mit einem Verlust an Glaubwürdigkeit von der Partei innerhalb der Bevölkerung. Das Problem war, dass sie sich weder mit diesem Entfremdungsprozess beschäftigte noch in großen Mass auf gesellschaftlichen Veränderungen reagierte. Stattdessen blieb sie bei traditionellen, veralteten Vorstellungen.[14] Später, zur Zeit des Umbruchs in Osteuropa, hatte man ebenfalls keine Antwort auf die Reformen des Kommunismus und auch das Feindbild des Westens ging durch die Annäherung der Sowjetunion an die Bundesrepublik kaputt.[15]

Die Folge war eine endgültige desillusionierte Gesellschaft. Die Lüge des "real-existierenden Sozialismus" war zu offensichtlich, die Partei unglaubwürdig und Wünsche und Bedürfnisse wurden nicht befriedigt.[16] Insgesamt wuchsen die Probleme im Alltag: das Realeinkommen sank, aber die Preise für Waren stiegen, es herrschte ein dauerhafter Versorgungsmangel, die Infrastruktur war schlecht und es ging viel Zeit verloren mit alltäglichen Dingen, wie Warten beim Einkaufen. Grundmann machte eine Umfrage zur Zufriedenheit der Bevölkerung mit den Lebensbedingungen drei Jahre vor dem Ende der DDR. Das Ergebnis war, dass die meisten unter anderem zufrieden waren mit Möglichkeiten zu der Kinderbetreuung, den Wohnverhältnissen und den Beziehungen zwischen den Einwohnern. Wenig zufrieden waren sie dagegen mit Einrichtungen für gesellige Veranstaltungen und Möglichkeiten für kulturelle und sportliche Betätigung. Dass heisst, der Alltag wurde als monoton und drückend empfunden. Auf die Frage nach der Arbeit der Regierung, sagten viele, dass es zu viel Aufmerksamkeit wäre für die Erhöhung der Produktion und die Zusammenarbeit mit sozialistischen Ländern. Zu wenig wäre es unter anderem für die Erhöhung der Löhne und Renten und die Verbesserung der Qualität der Konsumgüter.[17] Die Umfrage spiegelt die oben dargestellte Stimmung in der Bevölkerung wieder, besonders was der Bereich der Freizeit und Konsumgüter ist.

Von 1975 bis 1985 setzte ein Wertewandel in Richtung mehr Materialismus ein. Es bildeten sich zwei Milieus heraus, ein subkulturelles und ein linksintellektuell-alternatives, die ca. 11% der Gesamtbevölkerung ausmachten.[18] Basis war ein langsam einsetzender sozialer Wandel. In den 80ern kam dazu ein normativ-kultureller Wandel im Bereich von Werten, Lebenszielen und Perspektiven. Dazu gehörten zum Beispiel die frühere Ablösung von der Familie, die Gründung von Alternativ- oder Protestgruppen oder die Forderungen nach Unterhaltung und Spass in der Freizeit.[19]

[...]


[1] Thaa, W./ Häuser, I./ Schenkel, M./ Meyer, G. (1992): Gesellschaftliche Differenzierung

und Legitimitätsverfall des DDR-Sozialismus. – Tübingen., S.65

[2] ebd., S. 125

[3] ebd., S.65

[4] ebd., S.65f

[5] Informationen zur politischen Bildung (2001): Deutschland in den 70er/80er Jahren. –

Heft 270. – Bonn., S.43

[6] nach Thaa u.a. (1992), S.74

[7] Informationen zur politischen Bildung (1991): Geschichte der DDR. – Heft 231. –

Bonn., S.34

[8] Steitz, L. (1987): Sozialistische Lebensweise und Aktivität. – Berlin., S.111

[9] ebd., S.120f

[10] Thaa u.a. (1992), S.96

[11] Eisenmann, P. (1991): Die Jugend in den neuen Bundesländern. Sozialistische

Bewußtseinsbildung und ihre Folgen. – In: ApuZ B27/91., S.3

[12] ebd., S.6f

[13] ebd., S.8

[14] nach Thaa u.a. (1992), S.123

[15] ebd., S.63f

[16] ebd., S.125

[17] Grundmann, S. (1999): Zur Un-/Zufriedenheit der DDR-Bevölkerung. – In: Timmermann, H.

(Hrsg.): Die DDR – Erinnerungen an einen untergegangenen Staat. – Berlin., S.281ff.

[18] Gensicke, T. (1992): Mentalitätsentwicklung im Osten Deutschlands seit den 70er Jahren. –

Speyer. , S.57f und Georg, W. (1993): Modernisierung und Lebensstile Jugendlicher in

Ost- und Westdeutschland. – In: ApuZ B26-27/93. – Bonn. , S.23

[19] Thaa u.a. (1992), S.128

Fin de l'extrait de 25 pages

Résumé des informations

Titre
Die DDR-Gesellschaft der 80er - eine Freizeitgesellschaft?
Université
University of Tubingen  (Institut für Zeitgeschichte)
Cours
Zeiterfahrung und kultureller Umbruch
Note
1.7
Auteur
Année
2002
Pages
25
N° de catalogue
V27050
ISBN (ebook)
9783638291934
ISBN (Livre)
9783638648493
Taille d'un fichier
501 KB
Langue
allemand
Mots clés
DDR-Gesellschaft, Freizeitgesellschaft, Zeiterfahrung, Umbruch
Citation du texte
Silke Eggert (Auteur), 2002, Die DDR-Gesellschaft der 80er - eine Freizeitgesellschaft?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27050

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