Extracto
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Bedeutung der Sturzprophylaxe beim betagten Menschen
1.2 Definitionen
1.2.1 Gesundheitswissenschaft
1.2.2 Ambiente Intelligenz (AMI)
1.2.3 Ambient Assisted Living (AAL)
2. Hauptteil
Bisherige Ansätze des AAL zur Sturzprophylaxe
2.1 Lichtleiste im Schlafzimmerfußboden
2.2 Erinnerungshilfen für die Medikamenteneinnahme
2.3 Aktivierung zur Bewegung
2.4 Teppich mit Sturzsensor
3. Schluss
3.1 Wo wird diese Technik bisher eingesetzt?
3.2 Welche Einsatzgebiete sind für die Zukunft denkbar?
3.3 Ethische Aspekte
3.4 Persönliches Resumée
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1.1 Bedeutung der Sturzprophylaxe beim betagten Menschen
Die Sorge um veränderte Lebensverhältnisse im hohen Alter, zunehmende Unselbständigkeit und damit Abhängigkeit von Anderen ist für die Menschheit nichts Neues. Bereits aus dem 3. Jh. v. Chr. finden sich Schriften, wie beispielsweise „Peri gērōs“ („Über das Altern“) des Philosophen Ariston von Keos. Auch Platon und Sokrates befassten sich bereits mit dieser Problematik und suchten nach Lösungen. Zu der damaligen Zeit mussten die Menschen entweder gut vorsorgen und sich ein großes finanzielles Polster zulegen, oder sie hofften auf eine Altersversorgung durch ihre Kinder. (vgl. Höffe, O. 2010: 170).
Heutzutage gibt es die Pflegeversicherung, die im Bedarfsfall für die Pflege der Versicherten aufkommen soll. Auf die demographische Entwicklung in Deutschland soll hier nicht näher eingegangen werden, der Rahmen dieser Arbeit ist dazu zu eng gesteckt. Nur soviel sei gesagt: da es immer mehr und immer ältere Versorgungsbedürftige und immer weniger junge Beitragszahler und Pflegekräfte gibt, muss es ein Ziel von Gesundheitswissenschaft und Gesundheitswirtschaft sein, diese Diskrepanz teilweise durch eine Neuorganisation der Versorgung auszugleichen. Für das Jahr 2050 wird erwartet, dass nur noch 50% der benötigten Pflegekräfte auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Die vorhandenen Ressourcen müssen dann – noch mehr als heute schon – mit Bedacht eingesetzt werden. Alleine deshalb ist es von essentieller Wichtigkeit, die Selbständigkeit der Betagten so lange und so weit wie möglich zu erhalten, insbesondere, da dies auch in den meisten Fällen der Wunsch der Betroffenen selbst ist. (vgl. Horneber 2011: 9)
Eine entscheidende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Sturzprophylaxe zu: „Die Gefahr von Stürzen nimmt mit steigendem Alter stetig zu. Jedes Jahr stürzen ca. 30% der über 65-Jährigen und ca. 50% der über 80-Jährigen. … Sturzbedingte Verletzungen sind im Alter häufiger schwerwiegend, und ältere Menschen sind nach einer solchen Verletzung anfälliger für längere Erkrankungen und Krankenhausaufenthalte sowie für tödliche Komplikationen. Sturzbedingte Verletzungen (hauptsächlich Hüftfrakturen) verursachen beträchtliche Kosten durch Aufenthalte in Krankenhäusern und Rehabilitationszentren.“ (WHO 2012: 9)
Ein Sturz bereitet der Unabhängigkeit der Betagten häufig ein jähes Ende. Nicht nur die Schmerzen, sondern auch die Angst vor einem weiteren Sturz, Depressionen und andere psychische Probleme sind häufige Folgen wiederholter Stürze (vgl. De Ruyter, B. et al. 2011: 150). Sie sorgen dafür, dass sich die Menschen immer weniger bewegen, bis sie im schlimmsten Fall schließlich völlig immobil das Bett hüten. Aus diesen Gründen sind eine gute Sturzprophylaxe und eine rasche Reaktion, sowie professioneller Umgang mit der Situation nach einem dennoch eingetretenen Sturzereignis von großer Bedeutung für eine erfolgreiche Erhaltung der Mobilität.
Da gerade in der Altenpflege bereits jetzt ein großer Mangel an Fachpersonal herrscht und die vorhandenen Kräfte aus Zeit- und Kostengründen oft nicht ausreichend geschult werden, scheitert das Vorhaben „Mobilitätserhalt“ häufig schon an Unterbesetzung und nicht zielgerichtet qualifiziertem Personal.
Ein immer lauter werdender Hilferuf erreicht die Gesundheitswissenschaft aufgrund ihrer im kommenden Kapitel erläuterten Aufgaben und Ziele: Die Veränderung der Altersstrukturen in unserer Gesellschaft mit all den eben genannten Folgen macht es heutzutage zu einer wichtigen Aufgabe der Gesundheitswissenschaft, alternative Lösungen zur Verfügung zu stellen, die es ermöglichen, die Selbständigkeit derer zu bewahren, die bereit sind, als Pioniere neue Wege in der Lebensführung im Alter zu gehen. Hierzu bedarf es einer bezahlbaren und intuitiv bedienbaren, neuen Technik, die nicht kompliziert ist, sondern effektiv und einfach verständlich arbeitet.
Die relativ junge und noch recht unbekannte Disziplin des AAL sucht nach eben diesen Lösungen.
In der vorliegenden Arbeit möchte ich die bisher durch AAL und AMI ermöglichten Neuerungen zur Sturzprophylaxe, respektive Sturzerkennung im Bereich des unterstützten Wohnens und Lebens von hilfsbedürftigen, betagten Personen vorstellen.
1.2 Definitionen
Es bedarf vorab einiger Begriffsbestimmungen, um unmissverständlich über das geplante Thema, sowie AAL und seine Entwicklungen sprechen zu können.
1.2.1 Gesundheitswissenschaft
Unter „Gesundheitswissenschaften“ (im Plural) werden diejenigen Wissenschaften zusammengefasst, die aus unterschiedlichen Perspektiven das Thema „Gesundheit“ betrachten. Dabei handelt es sich um Disziplinen wie Gesundheitssoziologie, -psychologie, -pädagogik, -ökonomie und auch Sozial- und Umweltmedizin. Diese sind sehr unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen, die ein weites, schwer eingrenzbares und teilweise nicht zusammenhängendes Forschungsgebiet abdecken. Wird der gewählte Überbegriff im Singular verwendet, also „Gesundheitswissenschaft“, so soll dies die Absicht verdeutlichen, nicht die Beiträge der einzelnen Wissenschaften darzustellen, sondern die wichtigsten Elemente der diversen Fachgebiete zu einer „Wissenschaft von der Gesundheit“ zusammen zu führen. Die Fragestellung, mit der sich die verschiedenen Gesundheitswissenschaften jeweils von ihrer eigenen Perspektive aus befassen ist: „... wie, unter welchen Bedingungen und mit welchen Folgen Gesundheit erhalten und wiederhergestellt werden kann.“ (Waller, H.; Blättner, B. 2011: 9). Die Gesundheitswissenschaften lassen sich nach den Aufgaben, denen sie sich dabei stellen, in zwei Hauptgruppen einteilen: die erste Gruppe befasst sich mit den Möglichkeiten zur Verbesserung der individuellen Gesundheit, hierzu zählen zum Beispiel die Medizin und häufig auch die Pflegewissenschaft. In der zweiten Gruppe lassen sich Disziplinen zusammenfassen, die sich für die gesamte Bevölkerung um eine Verbesserung der Gesundheit, gesundheitsfördernde Veränderungen der Lebensbedingungen und Verbesserung der Gesundheitsvorsorge bemühen. Diese zweite Gruppe, in der sich beispielsweise die Sozialmedizin und die Gesundheitssoziologie finden, bezeichnet man analog zum englischen und amerikanischen Gesundheitssystem als „Public Health“ (vgl. Waller, H.; Blättner, B. 2011: 9).
„Public Health ist die Wissenschaft und die Praxis zur Verhinderung von Krankheiten, zur Verlängerung des Lebens und zur Förderung von physischer und psychischer Gesundheit unter Berücksichtigung einer gerechten Verteilung und einer effizienten Nutzung der vorhandenen Ressourcen (modifiziert nach Winslow 1920). Maßnahmen von Public Health zielen primär an [sic!] die Gesunderhaltung der Bevölkerung und ihrer Subgruppen. Die unterschiedlichen Bedürfnisse und Präferenzen der darin eingeschlossenen Individuen zu berücksichtigen, stellt eine besondere Herausforderung dar.“ (Deutsche Gesellschaft für Public Health: 2010).
In Westdeutschland wurde die vor dem Dritten Reich bereits etablierte und dann verwaiste Disziplin der Gesundheitsforschungen erst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen. Der Begriff „Gesundheitswissenschaft“ ist der Versuch, den englischen Begriff „Public Health“ sinnvoll ins Deutsche zu übersetzen. Dieses Unterfangen ist mit einigen Problemen verbunden, da Begriffe wie „Volksgesundheit“ in Deutschland mit einem bitteren Nachgeschmack an den Nationalsozialismus und seine Perversionen erinnern (vgl. Hurrelmann 2012: 17).
1.2.2 Ambiente Intelligenz (AMI)
Ambiente Intelligenz ist die „Intelligenz“ der Umgebung, oder die Voraussetzung für eine „intelligent“ reagierende Umgebung (Übersetzungen der Verf.). „“Intelligent“ wird eine Umgebung dadurch, dass sie auf die Anwesenheit von Menschen reagiert und in Abhängigkeit von deren Befindlichkeit unterschiedliche Dienste bereitstellt.“ (Heinze, R.; Naegele, G. 2010: 117).
„In einer AMI-Welt operieren verteilte Geräte gemeinsam, sind dabei in die Umgebung eingebettet und nutzen die Information und Intelligenz, die im Verbindungsnetzwerk verborgen sind. Beleuchtung, Ton, Bild, Haushaltsgeräte, Geräte zur Gesundheitspflege und verteilte Dienste arbeiten nahtlos zusammen, um mit Hilfe natürlicher und intuitiver Benutzeroberflächen das Gesamterleben des Anwenders zu verbessern.“ (De Ruyter, B. et al. 2011: 147)
1.2.3 Ambient Assisted Living (AAL)
„Unter „Ambient Assisted Living" (AAL) werden Konzepte, Produkte und Dienstleistungen verstanden, die neue Technologien und soziales Umfeld miteinander verbinden und verbessern mit dem Ziel, die Lebensqualität für Menschen in allen Lebensabschnitten, vor allem im Alter, zu erhöhen. Übersetzen könnte man AAL am besten mit „Altersgerechte Assistenzsysteme für ein gesundes und unabhängiges Leben". Damit wird auch schon skizziert, dass AAL in erster Linie etwas mit dem Individuum in seiner direkten Umwelt zu tun hat.“ (BM für Bildung und Forschung, 2012)
Das AAL zielt darauf ab, AMI-Konzepte und -Technologien so einzusetzen, dass sie Menschen „... in ihrer persönlichen Umgebung Sicherheit und Schutz … bieten und durch Stimulation Ältere zur Aufrechterhaltung eines selbstständigen Lebensstils zu befähigen.“ (De Ruyter, B. Et al. 2011: 150, kursiv wie im Original). Oder, etwas einfacher ausgedrückt: „Ambient Assisted Living bedeutet: Leben in einer durch „intelligente“ Technik unterstützten, assistierenden Umgebung, die sensibel und anpassungsfähig auf die Anwesenheit von Menschen und Objekten reagiert und dabei dem Assistenzbedürftigen und/oder dem Assistenzgebenden vielfältige Dienste leistet und Informationen bietet.“ (Meyer, W. 2011, 94)
2.4 Sturz
Es gibt viele verschiedene Definitionen davon, was unter einem Sturz zu verstehen ist, beispielsweise beschreibt ihn die DEGAM als „ein unfreiwilliges, plötzliches, unkontrolliertes Herunterfallen oder -gleiten des Körpers auf eine tiefere Ebene aus dem Stehen, Sitzen oder Liegen. Als Sturz bzw. Beinahe-Sturz ist auch zu verstehen, wenn ein solches Ereignis nur durch ungewöhnliche Umstände, die nicht im Patienten selbst begründet sind, verhindert wird, z.B. durch das Auffangen durch eine andere Person.“ (Zeitler, H.-P.; Gulich, M. 2007: 7).
Im Expertenstandard Sturzprophylaxe wird eine andere Definition verwendet: „Ein Sturz ist jedes Ereignis, in dessen Folge eine Person unbeabsichtigt auf dem Boden oder auf einer tieferen Ebene zu liegen kommt.“ (Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege 2006: 7).
Durch unterschiedliche Definition kommt es auch zu unterschiedlichen Angaben über Anzahl, Ursachen, Folgen und Präventionsmöglichkeiten von Stürzen.
Obwohl die Autorin der Ansicht ist, dass die Definition der DEGAM aktueller und wesentlich zutreffender – weil präziser – ist und sich auch nicht auf ein „Liegen“ nach dem Sturz versteift, wird in dieser Arbeit dennoch die auch vom DNQP ausschnittsweise verwendete Definition der Kellogg International Work Group on the Prevention of Falls by the Elderly von 1987 zu Grunde gelegt, da dies in Deutschland üblich ist, und es sonst zu Missverständnissen und Ungenauigkeiten kommen könnte.
3. AAL – ein Silberstreif am Horizont
Noch gibt es nicht viele Akteure, die das Feld des AAL in Deutschland vorantreiben wollen.Das Fraunhofer Institut spielt eine Vorreiterrolle in der Erforschung der Potentiale, die im AAL für die Bewältigung der Probleme in der künftigen Altenversorgung schlummern. (vgl. Fraunhofer Institut 2012).Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung engagiert sich zum Thema und ist bemüht, AAL und die bisherigen Entwicklungen auf diesem Gebiet in Deutschland und Europa bekannter zu machen (vgl. BM für Bildung und Forschung 2012).
Aus pflegewissenschaftlicher Sicht sind die Universitäten Osnabrück und Bremen mit ihren Forschungen mit an vorderster Front und forcieren immer wieder die humanwissenschaftliche Herangehensweise an ein Thema, das häufig aus technischer, wirtschaftlicher oder rein medizinischer Perspektive betrachtet wird. Gemeinsam mit einigen anderen Universitäten werden hier AAL-Technologien entwickelt, erprobt und auch die letztendlichen Nutzer und ihr relevantes Umfeld bereits im Vorfeld zu Meinungen, Problemen, Hoffnungen und Befürchtungen befragt (vgl. Hülsken-Giesler, M. et al. [ca. 2007]).
Die Forschungsgruppen um AAL haben sich bereits auf verschiedenen Wegen den Themen Sturz, Sturzvermeidung und Sturzerkennung durch AAL und AMI genähert: Es finden sich bisher folgende Forschungsfelder:
- Unterstützung durch Verbesserung der Umweltbedingungen
- Bessere Kontrolle der körperlichen Verfassung und Erhebung des aktuellen Gefahrenpotentials durch Telemonitoring
- „mitdenkende“ Einrichtungsgegenstände, die z.B. an notwendige Handlungen – wie die Medikamenteneinnahme – erinnern, oder Gefahrensituationen erkennen können und einen Alarm auslösen
- Mobilitätsassistenten, die gleichzeitig körperliche Unterstützung bieten und durch eine Navigationsfunktion bei der Orientierung helfen, z.B. der iWalker, ein Rollator der neuen Generation
- Sturzsensoren unterschiedlicher Art, die zur Sturzerkennung oder -prädiktion genutzt werden können
Im Folgenden wird eine Auswahl an bisher entwickelter Technik vorgestellt, die für die Sturzprophylaxe oder -identifizierung Relevanz besitzt.
3.1 Ein Helfer in der Dunkelheit
Gerade in der Nacht ist die Sturzgefahr für ältere Menschen sehr hoch: der Blutzuckerspiegel ist zwischen 2:30 Uhr und 05:00 Uhr physiologisch niedriger, als gewöhnlich, auch Blutdruck und Puls sinken im Schlaf deutlich ab, sämtliche Leistungs- und Reaktionsfähigkeit ist herabgesetzt, die Orientierung eingeschränkt. Der Parasympathikus hat das Zepter über den Körper übernommen. Meldet sich nun in diesem Zustand die Blase, wacht der Mensch auf und möchte rasch zur Toilette gehen. Ist es im Zimmer dunkel, kann sein/e BewohnerIn nicht einmal sehen, ob Gegenstände im Weg liegen und wo dieser Weg überhaupt entlang geht. In diesem Moment stürzen viele Betagte, die ohnehin über langsamere Reflexe und Reaktionen verfügen, als Jüngere und auch nicht mehr die Kraft und Geschwindigkeit besitzen, einen Sturz zu vermeiden. Zur Entschärfung dieser Gefahrensituation wurde vom Fraunhofer Institut ein Orientierungslicht im Fußboden entwickelt, das ebenso verblüffend simpel wie wirkungsvoll arbeitet: Stellt ein Bewohner im Dunkeln seine Füße auf den Fußboden neben dem Bett, wird dies von Sensoren registriert. Eine in den Boden eingebaute Lichtleiste schaltet sich automatisch ein und beleuchtet den Weg ins Badezimmer (vgl. Fraunhofer Institut: 2012). Die Selbständigkeit der Person wird durch dieses Lichtleitsystem in keiner Weise eingeschränkt, sondern – ganz im Gegenteil – sogar gefördert. Es handelt sich nicht um eine Kontrollmaßnahme oder Überwachung, sondern lediglich um eine Assistenz, um das gewünschte Ziel alleine zu erreichen.
[...]
- Citar trabajo
- Regina M. Binöder (Autor), 2012, Der Beitrag des AAL zur Sturzprophylaxe und dem Umgang mit Stürzen Pflegebedürftiger, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/270773
Así es como funciona
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