Wie Indigenität zu Rechtsprechung führt. Der Fall der Endorois


Trabajo Escrito, 2012

19 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definition indigener Völker

3. Rechte indigener Völker

4. Der Fall der Endorois
4.1 Der Eingriff des Staates
4.2 Auswirkungen der Landnahme
4.2.1 Wirtschaftliche und gesundheitliche Auswirkungen
4.2.2 Religiöse und kulturelle Auswirkungen
4.3 Die Klage vor der ACHPR
4.4 Die Entscheidung der ACHPR
4.4.1 Artikel 8 - Das Recht auf freie Religionsausübung
4.4.2 Artikel 14 - Das Recht auf Besitz
4.4.3 Artikel 17 - Das Recht auf Kultur
4.4.4 Artikel 21 - Das Recht auf freien Zugang zu natürlichen Ressourcen
4.4.5 Artikel 22 - Das Recht auf Entwicklung

5. Die Bedeutung der Indigenität im Fall der Endorois

6. Fazit

7. Bibliographie

1. Einleitung

Jahrhundertelang unterlagen weltweit unzählige indigene Völker den Folgen von Fremdherrschaft, Unterdrückung, Missbilligung und Diskriminierung. Ihre Bedürfnisse und Anliegen wurden oft einfach ignoriert und den Interessen der Machthaber unter- stellt. Erst Ende des 20. Jahrhunderts fand die Frage nach dem Umgang mit indigenen Völkern internationale Bedeutung. Die UN deklarierte den Zeitraum von 1994 bis 2004 als die erste „World Decade on the Rights of Indigenous Peoples“ (Gilbert 2007: 207).

Ziel war es in dieser Zeitspanne, eine internationale Zusammenarbeit als Vorausset- zung für die Auseinandersetzung mit der Frage zu schaffen, wie indigene Völker hin- sichtlich der Menschenrechtsdebatten behandelt werden sollten. 2002 wurde dem UN Wirtschafts- und Sozialrat zu diesem Zwecke das Ständige Forum über indigene Angelegenheiten als beratendes Gremium beigestellt (ebd.). Darüber hinaus wurde 2007 ein Expertenmechanismus über die Rechte indigener Völker gegründet, um dem UN-Menschenrechtsrat thematisches Fachwissen über indigene Angelegenheiten zur Verfügung zu stellen. Seit 2001 wird desweiteren ein UN-Sonderberichterstatter zur Lage der Menschenrechte und Grundlegenden Freiheiten indigener Völker eingesetzt. Der Zeitraum von 2005 bis 2015 wird als zweite Dekade der Rechte Indigener Völker bezeichnet, welche die Teilhabe der Indigenen an Entscheidungsprozessen, die Be- kämpfung von Diskriminierung und die Entwicklung von Programmen, Projekten und Kontrollmechanismen als Hauptziele nennt.

Weltweit gibt es ca. 5000 Völker, die als „Indigene“ oder „Ureinwohner“ definiert werden. Das sind etwa 300 bis 400 Millionen Menschen. Die meisten von ihnen leben in Indien und Amerika. Oft stellen indigene Völker in der Bevölkerung ihres Landes eine Minderheit dar, deren Lebensweise sich stark von der der Mehrheit unterschei- det. Konflikte entstehen oft, wenn indigenen Völkern das von ihnen bewohnte und genutzte Land streitig gemacht wird. Dabei werden ihre grundlegenden Menschen- rechte oft nicht in gleichem Umfang geschützt wie die der übrigen Bevölkerung.

Vor dem Hintergrund universell gültiger Menschenrechte stellt sich die Frage, ob den indigenen Völkern besondere Rechte zuteilwerden sollten, die sich von denen der Mehrheitsbevölkerung abheben, oder ob die Gewährleistung einer Allgemeingültig- keit der Menschenrechte ausreicht, um den indigenen Völkern ihre Lebensweise be- wahren zu können.

Dass die Frage nach der Indigenität eines Volkes in der Rechtsprechung durchaus eine Rolle spielen kann, werde ich in dieser Arbeit am Beispiel der Endorois zeigen. Dabei vertrete ich die These, dass die Klage des Volkes der Endorois positiv entschieden wurde, weil die Endorois von der Afrikanischen Kommission als indigenes Volk defi- niert wurden und ihnen aus diesem Grunde die entsprechenden Kollektivrechte zu- gesprochen wurden.

Entscheidend ist dementsprechend vor allem die Definition indigener Völker. Auf diese gehe ich im zweiten Kapitel ein. Anschließend komme ich auf die Rechte indi- gener Völker in internationalen Verträgen zu sprechen, bevor das vierte Kapitel den Fall der Endorois schildert und auf die Rechtsverletzungen, die Auswirkungen des Staatseingriffes, die Anklage und die Entscheidung der Afrikanischen Kommission eingeht. Im Kapitel fünf wird die Bedeutung der Indigenität für die positive Recht- sprechung erarbeitet.

2. Definition indigener Völker

Eine festgesetzte, allgemeingültige Definition indigener Völker existiert bis heute nicht. Die heutzutage meistgebrauchte Definition geht auf den ehemaligen UNSonderberichterstatter José Martinez Cobo zurück. Indigene Völker sind demnach marginalisierte Gemeinschaften mit einem Territorium, welches von den Vorfahren erstbesiedelt wurde. Sie besitzen eine spezifische Kultur, die oft mit einer eigenen Religion, Produktionsweise, Sprache, Tradition und Lebensweise einhergeht, welche sich von der Mehrheitsgesellschaft stark unterscheidet.1

Oft haben Indigene kaum Zugang zum politischen System ihres Landes, werden von diesem nicht repräsentiert, sondern marginalisiert, diskriminiert und unterdrückt. Cobo war es wichtig, dass sich die indigenen Völker selbst definieren können. Aus- schlaggebend für eine Definition war für ihn die Selbstidentifikation als distinkte Ge- meinschaft.

Die Arbeitsdefinition der UN umfasst in Anlehnung an Cobos Definition vier Hauptkriterien für Indigenität:

- Historische Kontinuität mit den Ureinwohnern eines bestimmten Landes oder Gebietes vor dessen Eroberung oder Besiedlung von außen
- Kulturelle Differenz (kulturelle Eigenheiten, Traditionen und soziopolitische Organisationsformen)
- Nicht-Dominanz innerhalb des Staates
- Selbstidentifikation

Die genannten Kriterien müssen dabei nicht alle gleichermaßen zutreffen, vielmehr sollte in jedem Fall neu geprüft werden, ob es sich um Indigene handelt oder nicht. Eine globale, „harte“ Definition indigener Völker zu verfassen sei laut UN rbeitsgruppe über Indigene Bevölkerungen sowohl nicht möglich als auch nicht sinnvoll, da keine Definition alle Einzelfälle in gerechtem Maße einschließen könne.

Die UN Deklaration über die Rechte indigener Völker umfasst demnach keine Definition indigener Völker. Stattdessen wird in Artikel 33 ein Recht formuliert, welches jeder Gemeinschaft die Entscheidung ermöglicht, sich als indigenes Volk zu definieren: „Indigenous peoples have the right to determine their own identity or membership in accordance with their customs and traditions [...“.]2

Dieses Verfahren birgt Vor- und Nachteile. Zum einen ermöglicht es indigenen Völkern sich als solche zu definieren und ihre Rechte einzufordern, zum anderen könnten sich Gemeinschaften als indigene Völker ausgeben, weil sie sich davon Besitz und Profit erhoffen und Staaten erhalten einen größeren Spielraum tatsächliche indigene Völker nicht anzuerkennen.

Um den Rahmen für mein Fallbeispiel zu schaffen, möchte ich noch kurz auf die Prob- lematik der Definition indigener Völker in Afrika eingehen. Die Kolonisierung Afrikas führte zu einer flächendeckenden Unterwerfung der einheimischen Bevölkerung, welche seit jeher aus zahlreichen verschiedenen Ethnien besteht. Gegenüber den Kolonisatoren würde sich daher die überwiegende Zahl der Bevölkerung als indigen bezeichnen, obgleich es wiederum innerhalb der heutigen afrikanischen Staaten zahl- reiche Völker gibt, welche bereits vor der Kolonisierung indigenen Charakter besa- ßen, weil sie noch ursprünglicher sind als die Bevölkerungsmehrheit (Kenrick 2004: 6). Die Definition indigener Völker muss demnach oftmals relativ gesehen werden und die gesellschaftlich vorherrschenden Strukturen sowie die geschichtlichen Ereignisse spielen dabei eine entscheidende Rolle.

3. Rechte indigener Völker

Auf internationaler Ebene sind hinsichtlich der Rechte indigener Völker zwei Doku- mente bedeutend: Die UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples sowie die ILO-Konvention 169. Die UN Declaration on the Rights of Indegenous Peoples wurde in der ersten Sitzung des UN Menschenrechtsrats im Juni 2006 von diesem verab- schiedet. Auf der 61. Sitzung der UN-Vollversammlung am 13. September 2007 wurde die Deklaration mit den Stimmen von 143 der 192 UNO-Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, angenommen.

In den 46 Artikeln werden Rechte indigener Völker ausgeführt, sowie auch Pflichten und allgemeine Empfehlungen für die Staaten formuliert. Besonders hervorzuheben sind die folgenden Punkte: Der Schutz vor Diskriminierung (Artikel 2), das Recht auf Selbstbestimmung (Artikel 3), das Recht auf eine eigene Kultur (Artikel 8.1), die Pflicht des Staates die indigenen Völker ihres Landes vor gewaltsamer Landnahme zu schützen (Artikel 10), das Recht auf Religionsfreiheit (Artikel 12), das Recht auf Entwicklung (Artikel 23) sowie das Recht das traditionell besiedelte Land und dessen natürliche Ressourcen zu nutzen, zu kontrollieren, zu besitzen und weiterzuentwickeln, und zwar unter dem Schutze des Staates (Artikel 26).3

Wie alle Resolutionen der UN-Vollversammlung besitzt auch diese Deklaration keine Rechtsverbindlichkeit. Erst wenn die Empfehlungen der UN in die nationale Rechtsprechung der Unterzeichnerstaaten oder in international rechtsverbindliche Verträge übernommen werden, entsteht die Möglichkeit der Einklagbarkeit und somit eine Verpflichtung der Staaten die Rechte der Indigenen zu schützen.

Damit dies geschieht ist es an den Betroffenen, den Zivilgesellschaften, den Men- schenrechtsorganisationen und nicht zuletzt an den Medien, Druck auf die Staaten auszuüben, um die Rechte der Indigenen zu manifestieren. Doch gerade die Länder, die besonders viele oder große indigene Völker zu ihrer Bevölkerung zählen, oder auch Industrienationen wie die USA, welche von der industriellen Nutzung der von indigenen Völkern beanspruchten Territorien profitieren, wehren sich gegen eine Aufnahme indigener Rechte in ihre Rechtsprechung. Sie befürchten vor allem wirt- schaftliche Einbußen und Landverlust.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) verabschiedete im Jahr 1989 ein „Über- einkommen über eingeborene und in Stämmen lebenden Völkern in unabhängigen Ländern“, welches im September 1991 in Kraft trat (ILO-Konvention 169). Bereits 1957 setzte sich die ILO als eine der ersten Organisationen mit den Rechten von Indigenen auseinander und verfasste schon damals ein „Übereinkommen über den Schutz und die Eingliederung eingeborener Bevölkerungsgruppen und anderer in Stämmen lebender oder stammesähnlicher Bevölkerungsgruppen in unabhängigen Ländern“ (ILO-Konvention 107), welches jedoch schon bald wegen seines „paternalistischen und assimilatorischen Charakters“ in Kritik geriet und schließlich in den 80er Jahren als Konvention 169 überarbeitet wurde.4

Inhaltlich ähneln viele Artikel denen der UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples. Dazu gehört das Recht auf ein eigenes Territorium (Artikel 14) sowie kultu- relle Identität (Artikel 23,25,31), das Recht auf selbstbestimmte Entwicklung (Artikel 7.1) sowie der Schutz vor Gewalt und Diskriminierung (Artikel 3).5Die ILO-Konvention 169 ist das einzige internationale Dokument, das speziell indigenen Völkern eine Viel- zahl an Grundrechten und deren rechtsverbindlichen Schutz garantiert (Groß 2007). Allerdings wurde sie bisher von nur 22 Staaten ratifiziert. Mit Dänemark, den Nieder- landen, Norwegen und Spanien sind unter diesen nur vier westliche Industrienatio- nen vertreten.6

In der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker (auch: Banjul Charta) nehmen in einem internationalen Dokument erstmals kollektive Rechte als Menschenrechte einen hohen Stellenwert ein.7In der Charta ist neben den Rechten und Pflichten von Individuen auch von Rechten und Pflichten afrikanischer „Völker“ die Rede (englisch: „peoples“). Hierbei werden ganz bewusst „Völker“ von „Staaten“ unterschieden, denn erstere existierten lange bevor die Grenzen der heutigen afrika- nischen Staaten gezogen wurden. In sehr vielen Fällen breitet sich der Lebensraum der Völker über nationale Grenzen hinweg aus und Staatsgebiete umfassen oft zahl- reiche Völker, die sich durch mehrere Merkmale voneinander unterscheiden. Sicher erfüllen nicht alle dieser Völker die Kriterien einer indigenen Gemeinschaft, aber alle indigenen Gemeinschaften in Afrika werden von der AU als eigenständige Völker an- erkannt und sind damit Träger der in der Banjul-Charta verfassten Rechte.

4. Der Fall der Endorois

Die Endorois bilden eine Volksgruppe Kenias, die ein Gebiet im zentralkenianischen Riftvalley besiedelt. Schon vor hunderten von Jahren soll sich das Volk der Endorois, das heute ca. 60 000 Menschen umfasst, in dem fruchtbaren Land zwischen dem Lake Bogoria und dem Mochongoi Forest niedergelassen haben (Rutte 2004: 48).

Das Land ist für die traditionell nomadisch lebenden Viehzüchter nicht nur aus materiellen, sondern auch aus religiösen und kulturellen Gründen lebenswichtig. Der Mochongoi Forest gilt als Geburtsstätte des Volkes, während der See Bogoria als Grabstätte der Ahnen geehrt wird. Beides sind heilige Stätten, die für die Endorois eine große Bedeutung einnehmen (Sing 2011: 517).

4.1 Der Eingriff des Staates

Die Endorois lebten in diesem Gebiet über Jahrhunderte relativ losgelöst von ande- ren, benachbarten Völkern und auch während der Kolonialzeit fanden kaum Eingriffe in die traditionelle Lebensweise statt. Erst mit Beginn der Unabhängigkeit Kenias wuchs das Interesse des Staates an dem Land der Endorois, da dieses durch seine natürliche Schönheit und Artenvielfalt als Touristenmagnet große Einnahmen ver- sprach.

Im November 1973 erklärte der kenianische Minister für Tourismus weite Teile des von den Endorois besiedelten Landes um den Lake Bogoria als Game Reserve und verstaatlichte den Mochongoi Forest (ebenda: 520). Von der touristischen Erschlie- ßung profitierten vor allem Hoteliers, Bergbauunternehmen und Privatinvestoren und das große Projekt wurde als Entwicklungsmotor gewertet. Gleichzeitig mussten tausende Menschen ihre Häuser verlassen und wurden teilweise gewaltsam von ih- rem Land vertrieben.

Kenias Präsident Daniel Arap Moi versprach, den ca. 400 betroffenen Familien neue Farmen und gleichwertiges Weideland zur Verfügung zu stellen. Außerdem sollten sie 25% Gewinnbeteiligung an den Einkünften durch den Tourismus sowie 85% der entstehenden Arbeitsplätze erhalten. Staudämme sollten weiterhin eine Wasserversorgung gewährleisten und eine finanzielle Entschädigung sollte zur Errichtung von Wasserzugängen, Schulen, Krankenhäusern, Straßen etc. beitragen. Keine dieser Entschädigungen wurde geleistet, lediglich in den 80er Jahren wurde an einige Familien eine unverhältnismäßig kleine Summe ausgezahlt (Claridge 2011: 2).

[...]


1http://indigenouspeoples.nl/indigenous-peoples/definition-indigenous (30.12.2012)

2http://www.un.org/esa/socdev/unpfii/documents/DRIPS_en.pdf (01.02.2013)

3http://www.un.org/esa/socdev/unpfii/documents/DRIPS_en.pdf (07.02.2013)

4http://www.humanrights.ch/de/Themendossiers/Minderheitenrechte/Standards/ILO/idart_2109- content.html (17.11.2012)

5http://www.ilo169.de/index.php?option=content&task=view&id=20&Itemid=31 (17.11.2012)

6http://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=1000:11300:0::NO:11300:P11300_INSTRUMENT_ID:312314 (17.11.2012)

7http://www.dadalos.org/deutsch/Menschenrechte/Grundkurs_MR2/Materialien/dokument_7.htm (04.02.2013)

Final del extracto de 19 páginas

Detalles

Título
Wie Indigenität zu Rechtsprechung führt. Der Fall der Endorois
Universidad
Otto-von-Guericke-University Magdeburg  (Institut für Politikwissenschaft)
Curso
Einklagbarkeit von Menschenrechten
Calificación
1,3
Autor
Año
2012
Páginas
19
No. de catálogo
V271937
ISBN (Ebook)
9783656635581
ISBN (Libro)
9783656635604
Tamaño de fichero
932 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Menschenrechte, indigene Völker, Endorois, Einklagbarkeit
Citar trabajo
Sabine Forkel (Autor), 2012, Wie Indigenität zu Rechtsprechung führt. Der Fall der Endorois, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/271937

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